Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 134: Femme Fatale - Nachwirkende Gefühle ------------------------------------------------ Femme Fatale – Nachwirkende Gefühle   „Es ist schwerer, Gefühle, die man hat, zu verbergen, als solche, die man nicht hat, zu heucheln.“ (François de la Rochefoucauld)   Sie hatten Serena und Vitali in ihre Zimmer gebracht, während der Rest von ihnen sich in dem Gang dazwischen aufgestellt hatte. Ewigkeit war von dem Kampf mit der Plage so erschöpft, dass sie sich in die gläserne Konstruktion zwischen den Räumen gelegt hatte, die einer Wiege ähnelte. Auf die Frage, ob er auch lieber allein sein wollte, hatte Justin den Kopf geschüttelt. Sein Gesicht hatte dabei deutlich gemacht, dass die bloße Vorstellung, mit der Erinnerung an sein Verhalten alleine zu sein, ihm unerträglich war. Auf Arianes Nachfrage, wie es ihm ging, hatte er nicht geantwortet, sondern verstört zu Boden gestarrt, deshalb wechselten sie das Thema. „Was genau war das?“, verlangte Erik endlich zu erfahren. „Eine Plage.“, antwortete Justin mit gesenktem Blick. „Wieso habt ihr mir nichts davon erzählt? Wir hätten das verhindern können.“, behauptete Erik. „Serena war anders als sonst. Wenn ich gewusst hätte –“ Ariane unterbrach ihn. „Du würdest bei jedem ungewohnten Verhalten davon ausgehen, dass der Schatthenmeister damit zusammenhängt?“ Erik ging nicht auf ihre Worte ein, sondern wandte sich an Justin, der sich statt neben Vivien neben ihn gestellt hatte. „Ich muss dich das fragen. Wegen Serena. Wie hat sich das angefühlt?“ Etwas in Justin schien die Frage als Bedrohung wahrzunehmen, seine Muskeln spannten sich an. Kurz zuckten seine Augen ängstlich in Viviens Richtung. Erik hielt einen Moment inne und richtete das Wort dann an Vivien und Ariane. „Könntet ihr kurz im Aufenthaltsraum warten?“ „Was?“, rief Ariane alles andere als begeistert. Erik warf ihr einen strafenden Blick zu. Vivien sah in Justins Richtung und eröffnete ihnen: „Ich weiß es schon.“ Justin schreckte zusammen und sah völlig verängstigt aus. Vivien löste sich von Arianes Seite und trat zu ihm. Sie ergriff seine Hand. „Es ist alles gut.“, versicherte sie und versuchte sich an einem Lächeln. Doch ihre Augen drückten immer noch tiefe Sorge aus, was Justin sichtlich verunsicherte. Vivien drehte sich von ihm weg, ohne seine Hand loszulassen. „Es war wie eine Droge.“, erklärte sie. Erik und Ariane starrten sie an. Vivien sprach weiter: „Als hätte etwas die eigenen Gefühle von Angst und Scham ausgeschaltet. Und von Rücksicht.“ Erik schien von Justin eine Bestätigung dieser Behauptungen zu erwarten. Justin nickte. „Es…“ Er zögerte und zog den Kopf ein. „Es fühlte sich an, als könnte man sich alles nehmen.“ „Oder jeden.“, präzisierte Erik. Auf seine Worte hin machte sich Justin noch kleiner. Vivien legte ihm mitfühlend die noch freie Hand auf den Arm, doch die Berührung schien ihn nur zusätzlich zu verängstigen, weshalb sie von ihm abließ. „Du konntest nichts dafür.“, sagte Erik. Justin war anderer Meinung. Er hatte in diesem Moment entschieden, Erik dafür zu bestrafen, dass er sich zwischen ihn und Vivien stellen wollte. Dass er seine Telepathie auf so grausame Weise einsetzen konnte, war ihm völlig neu gewesen, aber in diesem Moment hatte er es getan. Einfach so, als wäre es ein innerer Impuls, ein unbewusstes Wissen in ihm. Und er hatte Vivien… Bang sah er sie an. Sie schien sich mehr Sorgen um ihn zu machen als um sich selbst. Und das nach dem, wie er sie eben behandelt hatte, nach allem, was er eben bereit gewesen war, ihr anzutun. Erik zog das Fazit: „Von dem, was wir wissen, hat Serena Annäherungsversuche bei Vitali gemacht. Und er hat als einziger gemerkt, dass etwas nicht stimmt.“ Schuldbewusst ließ Justin den Kopf hängen. „Wir hätten ihm helfen müssen.“ Vivien versuchte ihm gut zuzusprechen. „Er hat uns nicht gesagt, was genau passiert ist.“ „Wir hätten seiner Einschätzung vertrauen müssen!“, beharrte Justin. „Das haben wir doch.“, sagte Vivien. „Aber wir haben ihn ihr nachlaufen lassen!“, antwortet Justin lautstark. Erik sah Justin an. „Wir alle haben gedacht, dass Vitali sich nur blöd anstellt.“ Er schien etwas ergänzen zu wollen, sah kurz ihn und Vivien an und sprach dann nicht weiter. Ariane gestand. „Ich habe nur mitbekommen, dass sie am Montag sehr fröhlich war. Wenn sie Vitali nicht angegriffen hätte, hätte ich überhaupt nicht begriffen, dass sie besessen ist.“ Justins Stimme klang bitter. „Er hat dir auch nicht explizit gesagt, dass mit ihr etwas nicht stimmt.“ Geräuschvoll stieß Erik die Luft aus. „Wenn du denkst, du hast was falsch gemacht, dann geh zu Vitali und klär das.“ Völlig verunsichert sah Justin ihn an. „Er ist dein Freund.“, erinnerte Erik. „Nicht nur ein Beschützerkollege. Und deine Unsicherheit hilft ihm nicht.“ Getroffen verzog sich Justins Gesicht. „Wenn du für ihn da sein willst, musst du erst mal selbst stabil sein.“, gemahnte Erik. „Also hör auf, dir Selbstvorwürfe zu machen.“ Ariane horchte bei seinen Worten auf. Eriks Aussage ähnelte derjenigen, die Justin auf dem Jahrmarkt ihr gegenüber geäußert hatte, als sie wegen ihren Schuldgefühlen gegenüber Erik durcheinander gewesen war. Nur dass Justin sehr viel einfühlsamer geklungen hatte als Erik. Da Justin noch immer zögerte, sprach Erik weiter. „Vielleicht war diese Plage gerade nicht schön, aber sie hat gezeigt, dass du sehr viel entschlossener und willensstärker sein kannst als du es dir manchmal erlaubst.“ Justin biss die Zähne zusammen, als würde der Einsatz einer derartigen Stärke eine frevelhafte Pflichtverletzung darstellen. „Dir sollte eins klar sein.“, sagte Erik mit entschiedenem Blick. „Du bist für Vitali wichtiger als du denkst! Und wenn du diese Wahrheit nicht sehen willst, dann verletzt du nicht nur dich, sondern auch ihn.“ Justin stockte. „Und jetzt geh endlich.“, befahl Erik. Justin blieb noch einen Moment stehen, dann machte er sich auf den Weg zu Vitalis Zimmertür. Derweil wandte sich Ariane an Vivien. „Jemand von uns sollte auch mal nach Serena sehen.“ „Ich gehe.“, verkündete Erik. Ariane reagierte empört. „Damit warst nicht du gemeint.“ „Ich verstehe sie ja wohl am besten.“, entgegnete Erik überzeugt. „Das kannst du dir ja gerne einreden!“,  erwiderte Ariane. „Ich bin dafür.“, sagte Vivien leichthin. „Was?“, stieß Ariane entsetzt aus. Ehe sie noch etwas sagen konnte, war Erik schon zu Serenas Zimmer getreten. Ariane schürzte unzufrieden die Lippen. „Wieso unterstützt du ihn auch noch darin?“, beschwerte sie sich bei Vivien. Vivien lächelte. „Je mehr er sich miteinbezogen fühlt, desto weniger Grund hat er, zu Secret zu werden.“ Ariane war baff. Dass Vivien in dieser Situation an so etwas denken konnte, machte sie für einen Moment sprachlos. „Und ich glaube wirklich, dass er Serena gut versteht.“, ergänzte Vivien. „Aber nicht besser als wir.“, beklagte sich Ariane. Vivien kicherte. „Bist du eifersüchtig?“ „Auf was?“ „Du bist für sie genauso wichtig.“, versicherte Vivien. „Das weiß ich.“, murrte Ariane. Vivien verkniff es sich zu ergänzen, dass Erik Serena trotzdem sehr viel besser verstehen konnte als Ariane.   Die Zimmertür öffnete sich und Serena begab sich in Habachtstellung. „Ich bin’s bloß.“, sagte Erik ruhig und trat ein. Ein Hauch Erleichterung trat auf Serenas Gesicht und ihre Haltung entspannte sich ein wenig. Für einen Moment sah Erik sie stumm an, wie sie halb gebrochen auf dem Bett saß, dann schritt er zu ihr und setzte sich neben sie. „Wie geht es dir?“ Als Antwort schüttelte sie bloß den Kopf. „So schlimm?“ Sie nickte. „He.“, sagte er sacht. Verletzlichkeit stand auf ihrem Gesicht geschrieben. „Das wird schon wieder.“ Er sah, dass sie den Tränen nahe war und entdeckte neben ihr auf dem Bett schon eine Vielzahl benutzter Taschentücher. „Willst du mir erzählen, was passiert ist?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ist okay.“ Sie sah zu Boden und zog die Schultern an. Er ließ ihr Zeit. Schließlich presste sie Worte hervor: „Er hasst mich bestimmt.“ Erik stieß mit einem halb belustigten, halb mitfühlenden Ton die Luft aus. „Er hasst dich bestimmt nicht.“ „Woher willst du das wissen?“, fragte sie ihn wie ein kleines Kind. „Weil es Vitali ist.“ Leidend sah sie ihn an. „Was auch immer du getan hast, er wird es dir verzeihen. Beschämt zog sie den Kopf ein. „Ich weiß, das war nicht leicht für dich.“, sprach er weiter. „Das warst nicht du.“ Nun wieder den Tränen nahe, sah Serena ihn an, als müsse sie ihm ein Geständnis machen. „Justin hat es mir erklärt. Du konntest dich nicht kontrollieren. Auch wenn es deine Gefühle waren, heißt das nicht, dass du so etwas normalerweise tun würdest.“ Sie schlug die Augen nieder und zog die Schultern an. „Vitali weiß das auch.“ Unsicher lugte sie zu ihm auf und schniefte. „Aber um sicherzugehen, solltest du mit ihm reden.“ Schock trat in ihr Gesicht. „Du musst nicht, wenn du nicht willst.“, sagte Erik. Sie nickte und holte tief Luft. „Danke.“ „Bitte.“ Er lächelte sie an.   Nach weiteren Atemzügen war Justin endlich bereit. Zaghaft klopfte er an Vitalis Zimmertür. Es kam keine Antwort. Vorsichtig öffnete er die Tür und lugte hinein. „Darf ich reinkommen?“, fragte er behutsam. Vitali zuckte bloß mit den Schultern. Justin fasste sich ein Herz und trat ein. Hinter sich zog er die Tür zu. „Wie geht es dir?“ Wieder zuckte Vitali nur mit den Schultern. „Es tut mir leid.“, eröffnete Justin ihm. Verständnislos schaute Vitali ihn an. „Ich hätte das verhindern müssen.“ „Wie denn?“, spottete Vitali. Er sah zur Seite. „Heute wart ihr wenigstens da.“ Justin spürte den Stich des schlechten Gewissens. Er wagte sich näher heran und nahm einen Stuhl, der an einem Tisch an der Wand stand, um sich Vitali gegenüber zu setzen. Einen Moment lang schwieg er. „Das meintest du mit komisch.“, stellte er betreten fest. Vitali verzog den Mund. „Ist sie… Hat sie…“ Justin getraute sich nicht, die Frage zu stellen. „Sie hat bloß versucht mich zu küssen.“, antwortete Vitali und hielt kurz inne. „Glaub ich.“ Seine Augenbrauen zogen sich kurz zusammen und sein Mund verformte sich, offenbar erkennend, dass das wohl nicht alles gewesen war. „Wie geht es dir damit?“, fragte Justin taktvoll. „Ich komm mir blöd vor.“, gestand Vitali. „Sie hat mich…“ Er pausierte und zog einen Schmollmund. „Aber jetzt ist sie das Opfer.“ „Was meinst du?“, fragte Justin überrascht. „Sie wurde gezwungen, ausgerechnet mich anzufassen. Bestimmt ist sie jetzt total angewidert. Dabei kann ich doch nichts dafür!“ Er schürzte die Lippen. „Ich hab gar nichts gemacht...“ Justin war überrascht über die Schlussfolgerung, die Vitali gezogen hatte. „Ähm, Vitali?“, begann er. „Sie wurde nicht…“ Er überlegte, wie er es formulieren sollte. „…gezwung-“ Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Die Tür öffnete sich ohne Weiteres und Erik wurde sichtbar. „Serena will mit dir reden.“ Vitalis Gesicht zuckte. „Nie im Leben!“, schrie er, als wäre das unmöglich. „Ariane soll sie noch mal läutern! Sie ist vielleicht immer noch besessen!“ „Hat sie schon gemacht.“, informierte Erik. „Serena hat drauf bestanden. Und…“ Serena erschien mit gesenktem Haupt neben ihm, die Hände hinter dem Rücken. Eriks Stimme wurde tiefer. „Sie wollte dass ich ihr die Arme auf den Rücken binde, damit du keine Angst hast, dass sie dich paralysiert. Außerdem besteht sie darauf, dass Ewigkeit alle zwei Minuten nach euch schaut.“ „Übertreibt’s mal nicht!“, schrie Vitali aufgebracht. „Also willst du sie nicht sehen?“, fragte Erik mit strengem Blick. „Ich seh sie doch schon!“, schimpfte Vitali, schließlich stand sie direkt neben Erik. „Soll sie hier draußen stehen bleiben?“, fragte Erik gereizt. Vitali schnaubte.  Justin versuchte zu schlichten. „Vielleicht ist das noch etwas früh…“ Ihm fiel auf, wie gebrochen Serena da stand. Wie ein Häufchen Elend. So wie er selbst sich fühlte wegen dem, was er getan hatte. Er wandte sich an Vitali. „Ich glaube, sie möchte sich bei dir entschuldigen.“ „Sie kann doch gar nichts dafür!“, wetterte Vitali. „Das war doch alles die blöde Plage. Ich weiß gar nicht, was ihr alle für nen Aufstand macht!!!“ Eriks Stimme bekam einen scharfen Ton. „Der einzige, der hier einen Aufstand macht, bist du!“ „Du hast Serena die Arme auf den Rücken gebunden!“, keifte Vitali. „Weil sie Angst hat, dass du sie sonst nicht sehen willst, du Idiot!“, gab Erik zurück. „Checkst du eigentlich, wie peinlich das für sie ist!“ Trotzig wendete Vitali den Blick ab. „Dann lass es doch!“, kreischte Serena aufgelöst und rannte davon. „Toll gemacht.“, höhnte Erik und ging Serena nach, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Vitali fluchte. Sorgenvoll sah Justin ihn an. Er rang sich zu weiteren Worten durch. „Warum hast du sie nicht reingelassen?“ „Warum wohl!“, schnauzte Vitali ihn an. „Erst ist sie nett zu mir, dann greift sie mich an und jetzt lässt sie sich die Arme zusammenbinden, um mich zu sehen!“ Eine Veränderung ging in Vitalis Gesicht vor sich. Seine Stimme klang, als würde sie brechen. „Wie soll ich mich denn bitteschön verhalten?!“ Die Partie um seine Augen nahm eine purpurne Farbe an und Justin begriff, dass Vitali von der Situation völlig überfordert war. In einer brutalen Geste wischte sich Vitali mit dem Ärmel über die Augen, als wären seine Tränen etwas, für das er sich bestrafen musste. Justin tat der Anblick weh. Er wusste nicht, wie er seinen Freund trösten sollte, aber Vitali ging auch von völlig falschen Tatsachen aus. Justin ergriff das Wort. „Ich glaube, für Serena ist es wichtig, mit dir zu reden.“, begann er vorsichtig. „Das war nicht nur die Plage.“ Vitali zog einen Schmollmund wie ein verunsichertes Kind. „Was soll das heißen?“ „Es… Es war eher so, als stünde sie unter Drogen.“ „Hä?“ „Sie wurde nicht von der Plage kontrolliert. Sie hatte durch die Plage bloß keine Kontrolle mehr über … ihre Gefühle für dich.“ Vitali riss die Augen auf. „Hääääääääääääää?“   Die Mädchen und Erik standen im Gang um Serena herum. Erik hatte ihr die Fesseln wieder gelöst, woraufhin Serena ihr Gesicht hinter den Händen verborgen hielt. Vivien umarmte sie und Ewigkeit, die von dem Lärm aufgewacht war, umschwirrte sie. „Ich bin so blöd.“, wimmerte Serena. „Du bist nicht blöd.“, versuchte Ariane sie zu beruhigen. „Wenn hier jemand blöd ist, dann Vitali.“, knurrte Erik. Ariane verteidigte Vitali entschieden. „Für ihn ist das auch nicht leicht.“ „Das hab ich auch nicht behauptet.“, entgegnete Erik grimmig. Plötzlich hörten sie ein lang gezogenes „Hääääääääääääää?“ aus Vitalis Zimmer kommen, dessen Tür noch offen stand. Das bewegte sogar Serena dazu, die Hände vom Gesicht zu nehmen. Auch Vivien ließ von ihr ab und starrte wie die anderen zu Vitalis Zimmertür. Im gleichen Moment kam Vitali in den Gang gestürmt. Doch sobald er Serena sah, erstarrte er. „Ariane!“, rief Serena entsetzt, aus Sorge, sie habe ihn versehentlich paralysiert. Ariane sah zu Vitali, bemerkte aber, dass er nicht bewegungsunfähig war. Er schaute ziemlich betreten und griff sich mit der Hand an die Seite seines Halses. „Willst du jetzt doch mit ihr reden?“, fragte Erik streng. Vitali machte ein unzufriedenes Gesicht. „Ja oder nein!“, forderte Erik nachdrücklich. Viviens Stimme erschallte in wohlbekannter Unbekümmertheit. „Natürlich will er mit ihr reden!“, rief sie heiter. „Sie sind doch Partner!“ Serena und Vitali sahen beide betroffen zu Boden. „Ihr könnt in Serenas Zimmer gehen.“, schlug Vivien vor und schob Serena zur Tür. Vitali folgte zaghaft.   Als die anderen die Tür hinter ihnen schlossen, kam einen Moment lang Panik in Vitali auf. Er versuchte seiner Gefühle Herr zu werden und sah unschlüssig zu Serena. Geradezu verängstigt stand sie da und schwieg. Vitali seufzte. Das Geräusch schien sie noch mehr zu verschüchtern. Kurz überlegte er, was er sagen sollte. Er hatte doch gar nichts gemacht! Wenn sie ihm zu nahe getreten war, dann weil er nicht schnell genug reagiert hatte. Sie konnte doch deswegen nicht sauer sein! Außerdem hatte sie ihn angegriffen! Das– Serenas Stimme brach in seinen Gedankengang ein: „Es tut mir leid.“ Perplex starrte er sie an. Dann biss er die Zähne zusammen. „Nicht deine Schuld.“ Serenas Mimik wurde leidend. Vitali stockte. Stimmte es wirklich, dass sie … nicht kontrolliert worden war? „Justin hat gesagt…“ Er brach ab, hielt inne und tat einen weiteren Atemzug. Er verlieh seiner Stimme mehr Nachdruck. „Das warst nicht du. Ich hab gesehen, wie Justin sich verhalten hat, und das war nicht er.“ Serena sah zu ihm auf. „Also brauchst du dich nicht entschuldigen.“ Sie klang aufgeregt. „Natürlich muss ich mich entschuldigen!“ „Hä?“ Sie war den Tränen nahe. „Ich hab dir wehgetan!“ „Das bin ich doch gewöhnt.“, entgegnete er mit betont unemotionaler Stimme. „Das solltest du aber nicht…“ Vitali hob die Arme zur Seite. „Was kann ich dafür, dass du brutal bist?“ Serena reagierte anders als er es erwartet hatte. Statt sauer zu werden und dadurch nicht länger so verzweifelt zu wirken, zog sie wie unter Hieben den Kopf ein. Er bemerkte seinen Fehler und wurde kleinlaut. „Sollte ein Scherz sein.“ Serena lief zu ihrem Bett, setzte sich und fixierte den Boden. Vitali wusste nicht, was er noch sagen sollte. „Können wir nicht wieder normal miteinander umgehen?“ Serenas Stimme klang bitter. „Sind wir je normal miteinander umgegangen?“ „Du weißt, was ich meine.“, antwortete er ausweichend. „Keine Ahnung.“ Eine Pause entstand. „Ey, müssen wir das jetzt so überdramatisieren? Du warst besessen oder unter Drogen, auch egal, und hast was gemacht, das du sonst nie tun würdest!“ Er versuchte nochmals der Situation die Schärfe zu nehmen. „Ist ja nicht so, als wäre irgendwas passiert…“ Serena zischte: „Darüber bist du bestimmt froh.“ „Hä?“, machte Vitali. Serena wiederholte es nicht. „Bist du bescheuert?!!“, brüllte Vitali und konnte sich nicht länger beherrschen. Seine Emotionen brachen sich Bahn. „Was glaubst du, wie ich mich fühle?! Du bist immer gemein zu mir! Andauernd! Und auf einmal… Was glaubst du, wie scheiße das ist!!!“ Getroffen sah sie ihn an. Doch Vitali war noch nicht am Ende seiner Schimpftirade angekommen. „Was glaubst du, wie dämlich ich mir vorkomme!“ Wieder verkrampfte sich der Bereich um seine Augen und er spürte, wie die Tränen in ihm hochkamen. Serena sprang vom Bett auf und kreischte: „Was glaubst du, wie dämlich ich mir vorkomme!“ Wut überkam Vitali. „Du kannst wenigstens sagen, du warst nicht du selbst!“ „Du Idiot! Du hast nicht –“ Sie brach ab und sah zu Boden, die Hände zu Fäusten geballt. „Was?“, forderte Vitali zu erfahren. „Nichts.“ „Red keinen Scheiß!!!“, brüllte Vitali hilflos. „Du kannst mich doch überhaupt nicht leiden!“ Serena verkrampfte ihre gesamte Muskulatur. „An dir gibt es ja auch nichts zu leiden, du Vollidiot!“ Ihre Stimme klang völlig aufgelöst, kurz vorm Brechen.   „Genauso wenig wie an dir, du dumme Kuh!“ Sie kreischte schrill: „Das hast du mir deutlich gezeigt!“ Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle. Plötzliches Schweigen. Vitalis Stimme wurde wieder leiser. „Was laberst du da?“ Serena wendete sich ab. Mit heftigen Schritten eilte Vitali auf sie zu und packte sie grob am Oberarm. Verstört sah sie ihm in die Augen. Plötzlich verlegen ließ er von ihr ab und drehte das Gesicht zur Seite. „Tut mir leid.“, presste sie hervor. „Ich wusste, dass du …“, er unterbrach sich. „…nicht mich...“ Er sah so gekränkt aus. „Du Vollidiot!“ In einem Akt der Verzweiflung schlang sie ihre Arme um seinen Hals. Als sie registrierte, was sie tat, überkam sie Panik. Panik, er würde sie von sich stoßen, so wie er es getan hatte, als sie ihn auf dem Lehrerpult festgehalten hatte. Sie war so dumm! So furchtbar dumm! Sie wusste doch, dass er – Jäh spürte sie seine Arme um ihre Taille.   Regungslos und angespannt standen beide da, voller Angst, der jeweils andere würde sie im nächsten Moment zurückweisen oder beschimpfen oder beides tun. Nichts dergleichen geschah. Vitali wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Wortlos verharrte er in der Umarmung. Das fühlte sich anders an, als während sie besessen gewesen war. Ganz anders. Serena spürte ihr Herz heftig pochen. Sie hatte keine Ahnung, wann sie loslassen sollte, was sie tun sollte! Was tat sie hier bloß?! Als sie geräuschvoll einatmete, löste Vitali langsam seinen Griff, ohne komplett von ihr abzulassen. Serena entfernte sich wieder etwas von ihm. Ihre Hände ruhten noch auf seinen Schultern. Beschämt schauten beide weg. Dann war die Neugier jedoch größer und sie sahen einander in die Augen. Beide waren planlos. Die Befürchtung, etwas völlig misszuverstehen und einen schrecklichen Fehler zu begehen, war viel zu groß. Hektisch stieß Serena das Erstbeste aus, das ihr in den Sinn kam. „Freunde?“ Wie in Trance nickte Vitali, ohne den Blick von ihr zu nehmen. Weitere Momente sahen sie einander in die Augen, als warteten sie auf etwas – eine Reaktion, darauf, dass einer den ersten Schritt machte. Doch nichts davon trat ein. Ziemlich unbeholfen lösten sie sich schließlich voneinander. Vitali nahm wieder mehr Abstand ein und rieb sich nervös den Hals. Serena fühlte die Nervosität in ihren Wangen, jetzt noch schlimmer als in seinen Armen. Zögerlich fragte sie: „Es macht dir nichts aus, von mir berührt zu werden?“ Vitali schaute ziemlich verstört. „Nicht – nicht so!“ Sie zog den Kopf ein. Er sprach leise. „Natürlich nicht.“ Wieder standen sie schweigend da. „Wieso nicht?“, flüsterte sie. „Mann, bist du bescheuert?!“, schrie Vitali heftig. „Du bist bescheuert!“, schrie Serena. „Ihr seid beide bescheuert!“, kam Eriks donnernde Stimme durch die Tür. „Kommt ihr jetzt endlich raus oder wollt ihr euch da drin noch lange anschreien?“ Einen weiteren kurzen Blick austauschend gingen sie extrem beschämt gemeinsam zur Tür. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)