Balance Defenders von Regina_Regenbogen ================================================================================ Kapitel 140: Geduld und Nähe ---------------------------- Geduld und Nähe   „Die junge Liebe ist ein zartes Pflänzchen, zum Überleben muss es so manche Dürreperiode überstehen.“ (Michael Dur)    Justin hörte das Klingeln an der Haustür und seufzte. Er war es gewöhnt, dass alle davon ausgingen, er würde sich darum kümmern. Schicksalsergeben stand er auf und machte sich auf den Weg. Jähe Anspannung erfasste ihn, als auf sein „Hallo?“ von der anderen Seite Viviens Stimme kam. „Ich bin’s!“ Ihm wurde schlagartig bewusst, dass er eine ausgeleierte Jogginghose und einen alten Pulli trug und nun wirklich keinen schönen Anblick bot. Aber er konnte Vivien ja schlecht draußen stehen lassen! Eilig schloss er die Tür auf und stand Vivien gegenüber, die bibbernd da stand. Sie hatte keine Jacke mitgenommen und da es Dezember und schon nach acht Uhr abends war, waren die Temperaturen alles andere als angenehm. „Alles in Ordnung?“, fragte er besorgt. „Kann ich reinkommen?“, bat Vivien. Sie hatte die Arme schützend um sich gelegt, aber natürlich konnte das nicht viel gegen die Kälte ausrichten. Justin ging zur Seite und ließ sie eintreten. Er schloss die Tür hinter ihr.   Vivien war nervös und wusste nicht, ob das Zittern wirklich von der Kälte oder nicht vielmehr daher rührte. Die Frage, wie Justin darauf reagieren würde, dass sie einfach hereingestürmt kam, nahm ihre Gedanken ein. Vielleicht kam ihm das ungelegen. „Können wir reden? Allein?“ Sofort erkannte sie an seiner Gestik und Mimik, dass ihn die Frage verunsicherte. Er blickte zu einer der Zimmertüren. „Störe ich?“ Irgendwie kam es ihr vor, als würde sie nur die Worte aus irgendwelchen Filmen wiederholen, die sie irgendwann mal gesehen hatte. Sie musste doch wissen, dass sie Justin nicht störte! Oder? Justin wirkte so überrumpelt, dass ihr wieder angst und bange wurde. „Ich … meine Eltern.“, druckste er. „Tut mir leid, ich wollte nicht nerven.“ „Nein.“, rief Justin hastig. „Ich muss bloß fragen, ob das in Ordnung geht.“ Mit diesen Worten machte er sich auch schon auf den Weg zu einer der Türen.   Justin war nervös. Worüber wollte Vivien mit ihm sprechen? War es wegen vorhin? Hatte sie sich umentschieden? Vielleicht waren das doch nur die Nachwirkungen der Plage gewesen. Ach, was dachte er da schon wieder! Er musste aufhören damit. Seine Eltern saßen gemeinsam im Wohnzimmer vor dem Fernseher und schauten einen Krimi. Es war ihm unangenehm, sie stören zu müssen, ,. „Entschuldigung.“ Seine Eltern sahen ihn an. „Ähm. Tut mir leid. Vivien. Ähm, Vivien wollte mit mir reden. Ich wollte fragen, ob das ok ist.“ „Natürlich.“, sagte seine Mutter, als verstünde sie nicht, warum er überhaupt danach fragte. „Du hast doch ein Zimmer.“, sagte sein Vater ebenso verständnislos. Justin spürte Verlegenheit in sich aufkommen. „Achso.“, sagte sein Vater. „Wegen der ganzen Bücher in deinem Zimmer. Wir müssen uns mal darum kümmern. Willst du lieber mit ihr ins Esszimmer sitzen?“ Vivien hatte gesagt, dass sie mit ihm alleine sprechen wollte. Die Vorstellung, dass seine Eltern nur einen Raum entfernt waren, war ihm unangenehm. „Nein. Danke. Macht es euch wirklich nichts aus?“ „Nein, Justin.“, sagte sein Vater fast schon frustriert von seiner Frage und stellte den Ton des Krimis demonstraiv lauter. Das hieß wohl, dass er gehen sollte. Justin verließ den Raum und trat zurück in die Diele. Vivien hatte immer noch die Arme um sich gelegt. „Möchtest du… ähm… Wir können in mein Zimmer gehen.“ Er schämte sich, ihr das anzubieten. „Es sei denn es ist dir unangenehm!“, fügte er eilig an. Beim ersten Besuch bat man ein Mädchen doch nicht einfach in sein Zimmer! Nicht dass sie dachte, er habe irgendwelche Hintergedanken! Das war so peinlich! Er wollte nicht, dass sie so über ihn dachte. „Danke.“, sagte Vivien stattdessen und wartete. Justin begriff, dass sie ja nicht wusste, wo es lang ging, oder sie schlug aus Höflichkeit nicht den Weg ein, den sie vermutete. Er war es so gewöhnt, dass sie immer vorausging, die Situation kam ihm dadurch umso seltsamer vor. „Wir müssen hoch.“, sagte er, um die Stille zu durchbrechen, und ging voraus. Je näher er seinem Zimmer kam, desto nervöser wurde er. Was wollte Vivien ihm sagen? Noch immer befürchtete er das Schlimmste. Zudem war Vivien doch anders als sonst, oder? Sie wirkte so still. Sonst strahlte sie ihn immer an, aber jetzt... Er öffnete seine Zimmertür und erinnerte sich daran, dass er keine Sitzmöglichkeiten anzubieten hatte. Es gab nur den einen Schreibtischstuhl und das Bett. Hastig räumte er den Stuhl frei, damit sich Vivien darauf setzen konnte. Doch während er noch nach einem Platz für die Sachen suchte, war Vivien an ihm vorbeigegangen und hatte auf dem Bett Platz genommen. Irritiert sah er sie an. Vivien zuckte zusammen und machte den Ansatz, wieder aufzustehen. „Ist dir das unangenehm?“ Justin wandte eilig den Blick ab. „Nein.“ Es war ein seltsamer Anblick, Vivien auf seinem Bett. Er durfte nicht daran denken! Er atmete tief durch und konzentrierte sich darauf, dass sie mit ihm reden wollte. Vielleicht ging es ja um Beschützerangelegenheiten. Ja, daran hatte er gar nicht gedacht! Er benahm sich wirklich kindisch. Er stellte die Bücher auf den Boden und setzte sich auf den Stuhl, nun gezwungen, Vivien doch wieder in Augenschein zu nehmen. Sie sah ungewohnt unsicher aus, das verunsicherte wiederum ihn. „Justin.“, setzte sie an. Er versuchte ihr mit einem Blick zu zeigen, dass er ihr zuhörte. „Wieso – “ Sie brach nochmals ab und sah ihn dann verletzlich an. „Darf ich dich umarmen?“ Von der Frage völlig überrumpelt wich sein ernster Gesichtsausdruck einem schüchternen Schweigen. Er wusste nicht, wie sie sich das vorstellte. Unbeholfen stand er auf. Vivien tat es ihm gleich und warf sich in seine Arme. Sie drückte sich an ihn, wie sie es sonst nur tat, wenn sie Angst hatte oder Halt brauchte. „Hab ich was falsch gemacht?“, fragte er besorgt. Vivien löste sich von ihm. „Nein!“, versicherte sie. Sie senkte wieder den Blick. „Ich wollte nur fragen, …“ Sie holte Luft. „Vorhin … du bist so panisch geworden, als ich dir gesagt habe, dass ich dich liebe. Warum?“ Auf diese Frage war er nun wirklich nicht gefasst gewesen. Was sollte er denn darauf antworten? Er wusste es ja selbst nicht. „Ist irgendwas passiert, weshalb du gedacht hast, dass ich dich nicht lieben könnte?“, fragte sie in einem Ton, als fürchte sie ihn zu verschrecken. Justin sah sie verwirrt an. „Etwas von früher.“, präzisierte Vivien und sah wieder zu Boden. „Hat irgendeine andere Person dir wehgetan?“ Justin trat wenige Schritte zurück und setzte sich wieder auf den Stuhl. Er legte seine Hände zusammen und seufzte. Einen Moment lang starrte er zu Boden, sein Kopf senkte sich. Es war nicht so, dass ihm jemand wehgetan hatte... Mit Mühe rang er sich zu Worten durch. „Du ... Dir ist sicher nicht entgangen, dass ich immer gleich rot werde. Das war früher noch schlimmer.“ Er holte tief Luft und holte aus. „Als ich zwölf war, bin ich jedes Mal rot geworden, wenn ein Mädchen in meine Nähe gekommen ist. Und wenn ich aus irgendeinem dummen Grund den geringsten Körperkontakt mit ihr hatte, war mein ganzer Kopf rot. Eines der Mädchen in meiner Klasse war sehr nett. Sie hat sich auch mit mir unterhalten, obwohl ich in ihrer Nähe kaum ein Wort rausgebracht habe. Einmal hat sie mich am Arm berührt und ich bin knallrot geworden. Und weil mir das so peinlich war, ist es nur schlimmer geworden. Die anderen Schüler haben es wohl mitbekommen. Jedenfalls haben die anderen Mädchen danach angefangen, mich extra zu berühren, um meinen roten Kopf zu sehen und darüber zu lachen. Irgendwann hat eine angefangen und hat durchs ganze Klassenzimmer gerufen: Justin, ich liebe dich. Und ich wurde knallrot. Die ganze Klasse hat darüber gelacht, inklusive ihr. Das war mir einfach furchtbar unangenehm.“ Er machte eine kurze Pause. „Mit vierzehn bekam ich starke Akne. Die Mädchen haben dann aufgehört, mich aufzuziehen. Auf einmal war es, als wäre ich giftig für sie geworden. Eklig.“ Er biss die Zähne zusammen. „Irgendwie hab ich wohl gedacht, dass du … dass du mich auch nur…“ Plötzlich kam eine Hand in sein Sichtfeld und legte sich auf seine. Er hob den Blick und sah in Viviens amethystfarbene Augen, die in dem kargen Licht seines Zimmers dunkel wirkten. Sie hatte sich wieder auf das Bett gesetzt und wirkte besorgt, als hätte er ihr eine sehr traurige Geschichte erzählt. Dabei hatte er sich einfach nur immer schon wie ein Trottel aufgeführt, wenn es um Mädchen ging. Viviens Ton klang anders als er es von ihr gewöhnt war. Da war keine Fröhlichkeit, nur Ernst. „Ich würde mich nie über dich lustig machen.“ Plötzlich zeichnete sich Leid auf ihren Zügen ab. „Ich hab es immer ernst gemeint.“ Justin begriff, wie oft sie ihm gesagt und gezeigt hatte, dass sie ihn mehr mochte als es üblich war. Doch er hatte immer gedacht, das wäre einfach ihre Art und dass sie sich nichts dabei dachte. Vivien sprach weiter. „Es tut mir leid, dass ich meine Scherze mit dir mache. Ich hab es aber immer ernst gemeint. Wirklich.“ Justin nickte bloß. Vivien zog ihre Hand zurück. „Du dachtest, ich will dich beschämen?“ Justin dachte darüber nach. „Manchmal.“ Bei einem Blick zu ihr, begriff er, dass sie das kränkte. Hastig versuchte er zu erklären: „Ich dachte vor allen Dingen, dass du einfach extrem nett bist, so nett, dass man fälschlicherweise was hineininterpretiert, das nicht da ist. Du bist einfach zu allen so nett und herzlich und …“ Er sah sie an. „Ich dachte, du bist einfach zu gut für mich.“ Vivien zog die Schultern an, als hätte er ihr etwas Schmerzhaftes gesagt. Er konnte das nicht deuten. Sie schwieg. Hatte er etwas Falsches gesagt? „Ich bin nicht…“ Sie unterbrach sich. „Ich bin nicht die, für die du mich hältst.“, presste sie hervor, ihre Augen waren auf den Boden fixiert, als würde sie sich schämen. Er verstand nicht und gab ihr die Zeit weiterzusprechen, aber das tat sie nicht. „Wovon sprichst du?“, fragte er schließlich nach. „Ich bin nicht so stark und toll wie du denkst.“ Ihre Stimme klang gepresst. „Ich bin überhaupt nicht so, wie du dachtest.“ „Ich verstehe nicht.“, sagte Justin wahrheitsgemäß. „Ich bin klein und ängstlich und ich zeige dir nicht, was ich fühle, weil ich solche Angst davor habe, dass du mich dann nicht mehr magst.“ Sie klang, als wäre sie den Tränen nahe. „Vivien...“ Sie sah nun zu ihm auf. Ihre Augen schwammen in Leid. „Ich bin gar nicht so fröhlich und unbeschwert. Ich.. “ Sie rang nach Atem. „Vivien.“ Er rückte mit dem Stuhl näher zu ihr und legte seine Hände auf ihre. „Ich bin gar nicht wie du denkst.“, schluchzte sie. Justin sah sie nur an. „Vielleicht magst du mich nicht mehr, wenn du merkst, wie ich wirklich bin.“, japste sie. Ihre Worte trafen ihn mitten ins Herz. War das nicht genau dasselbe, das er gedacht hatte? Was er noch immer dachte? Dass Vivien sich von ihm trennen würde, wenn sie mehr Zeit mit ihm verbrachte und erkannte, was für eine langweilige Person er war, die nicht zu ihr passte. „Vivien.“ Er rutschte an den Rand seines Stuhls, sodass er Vivien mit den Armen umfassen konnte. Er zog sie an sich. „Egal, was ich noch von dir erfahre, ich mag dich so wie du bist. Auch wenn du nicht fröhlich und stark bist. Ich mag dich, nicht irgendwas an dir.“ Vivien zog sich zurück und starrte ihn an, als könne sie nicht glauben, was er da sagte. „Warum glaubst du das nicht?“, fragte Justin, nachdem er sich daran erinnert hatte, dass Vivien oft Fragen stellte, die sie selbst gerne gestellt bekommen wollte. Das war damals bei dem Gruppengespräch auch der Fall gewesen. „Du bist der erste Junge, der…“ Sie sah ihm in die Augen. „Du warst der erste, der mich so angesehen hat.“, eröffnete sie ihm. „Die anderen Jungs fanden mich immer nur nervig. Eigentlich … nicht nur die Jungs. Als ich klein war, wollten alle mit mir spielen, weil ich die besten Ideen hatte, aber als wir Teenager wurden, wollten die anderen erwachsen sein und fanden es kindisch, dass ich immer noch spielen wollte und mich nicht für Make-up, reale Jungs und irgendwelches Teenager-Zeug interessierte. Oft haben sie mich angeschaut, als wäre ich geistig zurückgeblieben, weil ich nicht bin wie die anderen in meinem Alter.“ Justin musste mit Erschrecken feststellen, dass Vivien die gleiche Angst äußerte, die er selbst immer gehabt hatte. Er hatte sich immer dafür geschämt, nicht so zu sein wie die anderen in seinem Alter. Er hatte sich immer wie ein Kind gefühlt im Vergleich zu den anderen. Er legte die Rechte auf die Seite ihres Gesichts. Ihre Augen suchten die seinen. „Ich will dich so wie du bist.“ Er schien die richtigen Worte gesprochen zu haben, denn sie sah zwar verletzlich aus, aber auch als würde sie sich ihm öffnen. Sie näherte sich seinem Gesicht. Er kam ihr entgegen. Im letzten Moment stoppte er in der Bewegung. Plötzliche Verlegenheit schoss in seinen Kopf. „Darf ich?“ Vivien kicherte. Er zog sich nochmals zurück, in einem Versuch, an ihrem Gesichtsausdruck ablesen zu können, warum sie gelacht hatte. Anscheinend hatte dieser Zug sie verunsichert, denn sie wich seinem Blick aus. „Du musst nicht, wenn du nicht willst.“ Justin schluckte. Natürlich wollte er sie küssen! Aber sie saßen hier im Halbdunkel in seinem Zimmer und Vivien saß auf seinem Bett. War das nicht eine unpassende Situation? Er wollte nicht, dass das verfänglich wurde. Er wollte nicht, dass sie dachte, er sei nur an ihrem Körper interessiert.   Vivien musste mit Ernüchterung feststellen, dass Justin keinen neuen Versuch startete, sie zu küssen. Das frustrierte sie, dabei wusste sie, dass sie sich nichts erhoffen durfte, um nicht enttäuscht zu werden. Es war doch gut genug so wie es war. Er saß so nah bei ihr, dass sie seine Körperwärme spüren konnte. Seine Beine waren direkt links und rechts um ihre herum. Wenn sie es recht bedachte, schloss er sie dadurch regelrecht ein und seine Hände ruhten nun auf ihren Schultern. Auch wenn er sein Gesicht zurückgezogen hatte, er war ihr dennoch ganz nah und das war alles, was zählte. Nicht? Wieso war sie dennoch so unsicher? Sie war doch bisher nie so kleinmütig gewesen wie jetzt. Dabei hatte er ihr doch gesagt, dass er auch so für sie empfand. Wieso zweifelte sie jetzt daran? Viel schlimmer als je zuvor. Justin zog seine Arme zurück. „Tut mir leid.“ Sie wusste nicht, wofür er sich jetzt entschuldigte. Dafür, dass er sie nicht küssen wollte? Für etwas anderes? Er begriff wohl jetzt erst, wie nahe er ihr war und rutschte auf seinem Stuhl zurück, um sich von ihr zu entfernen. Vivien versuchte, die Enttäuschung niederzuringen. Sie brauchte nicht enttäuscht sein. Sie durfte einfach nicht so viel erwarten. Auch wenn Justin gesagt hatte, dass er mit ihr zusammen sein wollte, hieß das nicht, dass sich viel geändert hatte. Sie konnte nicht erwarten, dass er von jetzt auf gleich seine Angst vor körperlicher Nähe ablegte. Egal wie sehr sie sich diese wünschte. „Es ist sicher unangenehm in diesem Zimmer.“, sagte Justin und rückte mit dem Stuhl sogar noch weiter von ihr weg, als wolle er genug Abstand zwischen sie bringen. Vivien starrte ihn nur an. Wollte er sie überhaupt noch hier haben? „Ist es dir unangenehm, dass ich da bin?“, fragte sie. Justins Gesichtsausdruck änderte sich. „Nein.“ Er klang wieder ängstlich. Als wolle er nichts falsch machen. „Aber es ist dir unangenehm, wenn du in meine Nähe kommst?“ Sie schien den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben. Justin wirkte ertappt und beschämt. „Vivien, ich…“ Sein Blick schweifte kurz über sie, um sich danach wieder auf den Boden zu heften. Gerade war ihr schleierhaft, was in ihm vorging, daher versuchte sie, die Situation in ihrer Gänze neutral zu betrachten. Sie saß auf seinem Bett und er auf einem Stuhl ihr gegenüber. Draußen war es dunkel und die Lampe in seinem Zimmer spendete ein gelbes, aber nicht besonders helles Licht. Und nun saß er beschämt vor ihr, als hätte er etwas Verwerfliches gedacht. Mit einem Mal begriff sie. Sie saß auf seinem Bett im Dämmerlicht, sie waren allein, draußen war es längst dunkel, es war schon spät, und Justin war so extremst übertrieben anständig, dass ihm das wohl schon verwerflich vorkam. Oder hatte er… Sie durfte nicht daran denken! Sonst wollte sie das! Wenn sie die Hoffnung zuließ, würde sie bloß wieder umso enttäuschter sein, weil er niemals etwas in diese Richtung tun würde! Nicht mal wenn sie den ersten Schritt tat. Verdammt. Der Gedanke war schon da und er war einnehmend. Der Gedanke, mit ihm auf seinem Bett zu knutschen und sich aneinander zu kuscheln, seine Hände, seine Lippen, seine Wärme... Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie durfte sich darauf einfach keine Hoffnungen machen! Das musste doch auch nicht jetzt sein! Irgendwann würde er ihr das bestimmt gestatten. Zumindest hoffte sie das… Irgendwann, aber nicht heute. Einfach wieder auf das konzentrieren, was er ihr gab, statt auf das, was er ihr eben nicht gab. „Justin, möchtest du einen Spaziergang machen?“ Er schaute verdutzt. „Bitte?“, sagte sie in dem süßesten Ton, den sie zuwege brachte. „Du hast keine Jacke.“, druckste er. „Willst du?“ Er nickte.   Justin wartete darauf, dass Vivien ihre Jacke bei sich drüben geholt hatte. Eigentlich war es schon zu spät für einen Spaziergang. Schon neun Uhr. Sie hätten sich ausruhen und bald ins Bett gehen sollen, schließlich war morgen Schule und es war ein langer Tag gewesen. Dennoch hatte er das Angebot nicht ausschlagen können, noch mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Er war wirklich ein Träumer. Vivien kam ihm entgegen gesprungen. Sie strahlte ihn an, noch heller als die Weihnachstbeleuchtung an den Fenstern ihres Hauses. Als würde sie sich über die Maßen freuen, dass er sich dazu bereit erklärt hatte, noch eine kleine Runde spazieren zu gehen. „Wo möchtest du lang?“, fragte er. Sie kicherte. „Mir egal. Hauptsache, du bist da.“ Ihre Worte verursachten Herzklopfen bei ihm. Sie griff nach seiner Hand. Zwar hatte sie das schon oft gemacht, auch als Beschützer, aber das war immer etwas anderes gewesen. Jetzt bedeutete es, dass sie zusammen waren. Ein Liebespaar. Justin wurde bei dem Gedanken warm, obwohl die Außentemperatur dem entgegen stand. Der Atem bildete kleine Wölkchen. Vivien lief los und zog ihn mit sich. „Willst du nicht Handschuhe anziehen?“, fragte Justin. Sie schüttelte den Kopf. „Ich will dich spüren.“ Justin schoss das Blut in den Kopf. Wieso musste sie das denn so formulieren? Beziehungsweise: Wieso machte sein Hirn daraus etwas ganz anderes? Er lugte nochmals zu ihr und brachte den Mut auf, ihre Hand mit in seine Jackentasche zu stecken. Vivien sah zu ihm auf und lächelte. In diesem Moment war er trunken vor Glück. Die Straßen waren teilweise mit Weihnachtsbeleuchtung versehen, die eine heimelige Atmosphäre bescherte. Vielleicht war es kindisch von ihm, aber zu so später Stunde im Schein der weihnachtlichen Lichter mit ihr zusammen den Weg entlang zu schlendern, fand er unheimlich romantisch. Vivien führte ihn zu einem kleinen Spielplatz in der Nähe, der zu dieser Zeit menschenleer war. Zielsicher steuerte sie auf zwei Schaukeln zu, die groß genug für Erwachsene waren. Sie ließ seine Hand los und setzte sich auf die eine Schaukel und wies ihn an, neben ihr auf der anderen Platz zu nehmen. Sobald er ihrem Wunsch nachgekommen war, reichte sie ihm wieder die Hand. Er konnte sie jetzt nicht mehr in seine Jackentasche stecken, aber seine Hände waren zumindest für den Moment noch warm. Vivien begann zu schaukeln, und da sie seine Hand festhielt, hatte er gar keine andere Wahl, als es ihr gleichzutun. Er bemühte sich, den gleichen Rhythmus wie sie zu finden und errötete erneut, als sein Hirn daraus eine völlig unangebrachte Metapher machte. Was war nur mit seinem Hirn kaputt? Das war doch alles total unschuldig! Oder nicht? Der Gedanke brachte ihn erneut aus dem Rhythmus, sodass er sich wieder aufs Schaukeln konzentrieren musste. Plötzlich bremste Vivien ab und ließ seine Hand los. Er stoppte ebenfalls, wusste nicht, was in sie gefahren war, dann stand sie plötzlich direkt vor ihm. Sie legte ihre Hand auf die, mit der er sich an der kalten Kette der Schaukel festhielt, und beugte sich zu ihm. Ihr Mund traf seinen. Ihr Gesicht und ihre Lippen waren kalt, aber weich. Dann spürte er ihre Hände seinen Kopf ergreifen. Er musste sich mit der anderen Hand irgendwo festhalten, um nicht von der Schaukel zu kippen und griff instinktiv nach ihr ihrer Taille. Vivien ließ nicht von ihm ab und presste nur weiter ihre Lippen gegen seine, immer nur kurz unterbrochen. Ihm war trotz der Kälte unglaublich heiß. Nachdem sich Vivien wieder kurz entfernt hatte, wollte er nach Luft schnappen und öffnete dafür den Mund, stattdessen spürte er im nächsten Moment Viviens Zunge. Er zuckte zurück und wäre fast von der Schaukel gefallen, hätte Vivien ihn nicht geistesgegenwärtig an der Jacke gepackt. Verschüchtert sah er zu ihr auf. „Zu viel?“ Justin nickte und kam sich wie ein Kind vor. „Ich mach’s nicht mehr.“, versicherte Vivien. „Es ist nur… ungewohnt.“, entgegnete er verlegen, nachdem er sich wieder richtig hingesetzt hatte. „Entschuldige.“, sagte sie hastig und zog den Kopf ein. „Ich hab nur immer noch Angst, dass du mir das morgen nicht mehr erlaubst.“ Justin schluckte. Hatte er nicht den gleichen Gedanken gehabt? Er erhob sich von der Schaukel, was Vivien dazu zwang, ihm Platz zu machen. Dieses Mal zögerte er nicht. Er legte seine Hände auf ihre Wangen und hauchte ihr einen kurzen sachten Kuss auf die Lippen. „Ich will das nicht nur heute.“, beteuerte er und spürte, wie aufgewühlt er innerlich war. „Versprochen?“, fragte Vivien so ungewohnt schwach, dass er im ersten Moment nichts darauf entgegnen konnte. „Solange du mich willst.“ Vivien umarmte ihn.   Sie drückte sich an ihn, wollte nicht, dass er jemals wieder losließ und hatte solche Angst, dass er es tat! Warum jetzt? Warum hatte sie jetzt solche Angst? Es war leichter gewesen, sich die ganze Zeit zu kontrollieren. Jetzt fühlte sie sich so ungeschützt und verwundbar! Bisher war sie immer darauf gefasst gewesen, dass Justin sich wieder vor ihr zurückzog und ihre Annäherungsversuche ins Leere liefen. Aber jetzt hatte sie Angst. Noch nie hatte sie sich irgendwem gegenüber so verletzlich gefühlt wie ihm. Sie hatte immer gewusst, egal was kam, sie hatte sich selbst. Und das war das Wichtigste. Aber sie wollte Justin! Sie wollte ihn so sehr, dass dieses Verlangen den Trost, dass sie doch immer noch sich selbst hatte, nicht zuließ. Sie wollte ihn und konnte ihn nicht davon abhalten, sich ihr zu entziehen. Sie hatte sich ewig nicht mehr so abhängig gefühlt. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Justin sanft. Offenbar hatte er an ihrem festen Griff bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Sie schüttelte den Kopf. „Vivien?“ Justin klang besorgt. „Ich fühle mich so hilflos.“ Er löste sich aus ihrer Umarmung und sah sie ernst an. Vivien schloss die Augen und schämte sich. „Kann ich etwas für dich tun?“ Sie sah zu ihm auf. „Lass mich nicht allein.“   Justin erinnerte sich, dass das die Angst war, die auch die Allpträume Vivien gezeigt hatten. Er wusste nicht, woher sie diese Verlustängste hatte, aber sie schienen sie wirklich zu quälen. „Ich lass dich nicht allein.“, versicherte er. Doch sie sah nicht so aus, als würde sie ihm glauben. Wovor hatte sie nur solche Angst? „Vertraust du mir?“, fragte er. Vivien senkte den Blick. Sie antwortete nicht. Für einen Moment war er erschüttert, ehe ihm einfiel, dass er selbst auf ihre Frage, ob er ihr vertraute, ständig ausweichend geantwortet hatte. Und das hatte nichts mit ihr zu tun gehabt. Hieß das, in Vivien gab es etwas, das sie davon abhielt, ihm zu vertrauen? „Was quält dich?“, erkundigte er sich behutsam. „Dass ich dich nicht für immer haben kann.“ Die Antwort verwirrte ihn. Vivien zog den Kopf ein. „Du bist kein Gegenstand.“ Sie sagte das so, als würde sie mit sich selbst reden. „Ich kann dich nicht besitzen und ich kann dich nicht halten. Ich bin davon abhängig, dass du mich magst und mich nicht verlässt. Das macht mir Angst. Ich habe Angst, dass ich kaputtgehe, wenn ich dich nicht mehr habe.“ „Vivien, wovon redest du da?“ „Ich habe Angst, weil ich dich so sehr liebe und nicht weiß, ob du mich jemals auch so lieben wirst.“ Sie war den Tränen nahe. Ihre Worte schockierten ihn. Er war immer davon ausgegangen, dass er sie mehr liebte als sie ihn. Zumal er bis heute ja nichts von ihren Gefühlen gewusst hatte. Doch auch jetzt, nachdem sie ihm ihre Liebe gestanden hatte, hielt er es für eine Selbstverständlichkeit, mehr Gefühle für sie zu haben als sie für ihn. „Vivien, was –“ Seine Hand wurde von ihr ergriffen und er spürte, wie sie ihre Kräfte auf ihn anwandte. Plötzlich spürte er einen tiefen Schmerz in seiner Brust, aber vor allem eine unglaubliche Wärme, und er wusste, dass diese Wärme ihm galt. Er konnte es schlecht beschreiben. Es fühlte sich an, als würde Vivien ihn für den wundervollsten Menschen auf der ganzen Welt halten. Er war davon überwältigt. Vivien ließ wieder von ihm ab und tat einen Schritt von ihm weg. Diesen Schritt tat er wieder auf sie zu, packte ihr Gesicht und küsste sie. Nicht länger vorsichtig wie zuvor. Er hielt sich nicht zurück, gab ihr ungehemmt seinen Mund. Vivien stieß augenblicklich ein geradezu furchtsames Geräusch aus. „Tut mir leid.“, sagte er hastig, im Glauben, er habe etwas für sie Unangenehmes getan. „Hör nicht auf.“, hauchte sie. Wieder ging eine Hitzewelle durch ihn hindurch. Er schämte sich erneut, musste schlucken. „Vivien, ich kann es dir vielleicht nicht immer zeigen, aber ich kann dir versichern, dass ich mir nicht vorstellen kann, jemanden mehr …“ Er unterbrach sich, befürchtend, dass es zu pathetisch klang, ihr auf diese Weise seine Liebe zu beschreiben. Kleinlaut wich er der Aussage aus. „Auch wenn ich nicht immer das mache, was du dir vielleicht wünschst.“ Er stockte und fügte an: „Aber wenn du dir etwas wünschst, dann sag es mir bitte. Ich weiß nicht, ob ich es erfüllen kann, aber ich will es versuchen.“ Vivien klang regelrecht aufgelöst. „Ich bin so unsicher, dass ich… Ich will nur vergessen, dass ich diese Angst habe. Aber ich weiß, dass ich mich damit nur ablenken will.“ Justin verstand nicht so ganz, was sie meinte. Wollte sie auf etwas Bestimmtes hinaus? Sie wirkte reuevoll. „Es tut mir leid, dass ich so viel von dir verlange.“ „Tust du nicht.“, versicherte er. „Wenn du wüsstest, dass ich die ganze Nacht nur von dir geküsst werden will, ...“ Die Eröffnung traf Justin und ließ ihn rot anlaufen. Er konnte sich der Vorstellung nicht erwehren, die daraufhin in seinem Kopf abgespult wurde. Ihm wurde schwummrig davon, als hätte er Alkohol getrunken. „Tut mir leid, ich will mich dadurch nur davon ablenken, dass ich Angst habe.“ Und ihn die ganze Nacht zu küssen, machte ihr keine Angst? Vergeblich versuchte Justin die Vorstellung aus seinem Kopf zu schütteln. „Justin, du liebst mich?“, fragte Vivien. Sein Herz hämmerte in seiner Brust. „Ja.“, bestätigte er. Vivien nickte bedächtig. Dann fuhr sie mit einem Mal hektisch auf. „Das hilft gar nichts! Ich will dich trotzdem die ganze Nacht küssen!“ Hilflos rief Justin. „Kannst du aufhören, davon zu sprechen?“ Sein Gesicht musste wieder puterrot sein. Vivien schien das jetzt erst zu bemerken. „Ist die Vorstellung so schlimm?“ „Vivien…“, flehte Justin inständig. „Wenn du so süß bist, wird es nicht besser.“, beanstandete sie. „Vivien, ich bin ein Mann!“, rief er aufgebracht, um ihr die Lage klarzumachen, in der er sich befand. Er bemühte sich, seine Lautstärke zu drosseln. „Sag so was nicht.“ „Was?“ „Dinge wie was du eben gesagt hast.“ „Dass du süß bist?“ „Nein.“ Vivien schien zu begreifen. Dann verzog sich ihr Gesicht. „Du sagst das so, als dürfte ich nicht so fühlen. Und als wärst du ein Monster, das über mich herfallen könnte. Dabei stößt du mich die ganze Zeit weg! Nicht umgekehrt!“ „Was denkst du, warum ich das mache!“, stieß er lautstark aus. Vivien sah ihn stumm an. Dann wirkte sie fast verlegen. „Wirklich?“ Was sollte er darauf antworten. Es war zu peinlich. Was musste sie jetzt von ihm denken? Er wollte nicht, dass sie sich darauf reduziert fühlte. „Ich dachte, ich bin die einzige, die so denkt.“, gestand Vivien. „Ich bin froh, dass es nicht so ist.“ Freute sie sich etwa über diese beschämende Enthüllung? Er hätte am liebsten rückgängig gemacht, diese Andeutung fallen gelassen zu haben. Er fühlte sich schrecklich deswegen! „Ich träume die ganze Zeit davon, wie es wäre – “ „Bitte hör auf.“ sagte Justin entschieden. „Ich kann das nicht.“ Vivien zog den Kopf ein. „Tut mir leid.“ Justin schämte sich. Er wollte nicht an so etwas denken. Für ihn war das furchtbar. „Es tut mir wirklich leid.“, betonte Vivien. Justin schüttelte den Kopf. Er wollte nicht länger darüber reden. „Bist du mir böse?“ „Nein.“, sagte er gröber als geplant. Getroffen sah Vivien ihn an. „Können wir bitte das Thema wechseln.“, sagte er noch immer gereizt klingend. Vivien ließ den Kopf hängen. Justin seufzte. „Tut mir leid. Mir ist das unangenehm.“ Vivien nickte bloß. „Ich wollte dich nicht verletzen.“, versuchte er, sie wieder zu Worten zu bewegen. Er spürte die Kälte jetzt umso deutlicher und Viviens Gesichtsausdruck war anzusehen, dass seine Worte ihr wehgetan hatten. „Ich kann damit nicht umgehen.“, erklärte er nochmals. Doch das schien Viviens Zustand bloß zu verschlechtern. „Können wir das nicht einfach vergessen?“ Nun ließ sie wieder den Kopf hängen. Justin seufzte. „Vivien, ich weiß nicht, was ich machen soll, damit du wieder fröhlich bist.“ „Ist es so unangenehm, dass ich solche Gefühle für dich habe?“ Justins Augenbrauen senkten sich kurz. „Das… So hab ich das nicht gemeint.“ Sie wirkte wieder so verletzlich. „Vivien, du erfrierst doch, wir sollten zurückgehen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nichts dafür!“, rief sie, als müsse sie sich verteidigen. „Was ist daran so schlimm?“ „Ich habe nicht gesagt, dass es schlimm ist!“, gab Justin zurück. „Aber du hast mich angesehen, als wäre es schrecklich, was ich gesagt habe!“, begehrte Vivien auf. „Weil ich damit nicht umgehen kann!“, schrie Justin. „Was ist daran so schwer zu verstehen?“ Viviens Lippen schürzten sich gekränkt. „Es klingt, als könntest du mit mir nicht umgehen.“ „Das hab ich nie gesagt.“, verteidigte sich Justin. „Aber das ist ein Teil von mir!“, schrie Vivien. Justin starrte sie an. Sie schob die Lippen vor. „Es ist mir egal, ob du das nicht sehen willst, aber ich… für mich ist es wichtig. Und ich möchte das nicht unterdrücken.“ „Was willst du damit sagen?“, forderte Justin zu wissen. „Dass ich von dir akzeptiert werden will, auch wenn dir nicht alles an mir gefällt.“ „Warum akzeptierst du es dann nicht, dass ich nicht darüber reden will?“ „Ich will doch gar nicht darüber reden. Ich will nur, dass du mir sagst, dass es okay ist, dass ich so empfinde, und du mich deshalb nicht verurteilst!“ Justin stockte. „Ich hatte nie vor, dich zu verurteilen.“ „Und kannst du es akzeptieren, dass ich so fühle?“ „Natürlich!“, sagte Justin, als wäre das das Selbstverständlichste auf der Welt. Vivien sprang in seine Arme. Er hielt sie fest. Für Momente sagte keiner von ihnen irgendwas. „Wir sollten wirklich zurückgehen. Es ist schon viel zu spät.“ Vivien löste sich von ihm. Schweigend liefen sie zurück, Vivien hatte nicht nochmals nach seiner Hand gegriffen und sie lief weiter von ihm entfernt als sonst. Schließlich bogen sie in die Blumenallee ein. „Vivien, bist du böse auf mich?“ Vivien schüttelte den Kopf. „Ich habe das Gefühl, es ist nicht alles geklärt.“, sagte Justin. Sie widersprach ihm nicht. „Ich komme gerade nur mit mir selbst nicht klar.“, entgegnete sie. Justin seufzte. Irgendwie war er davon ausgegangen, dass alles einfacher sein würde, wenn man wusste, dass der andere die eigenen Gefühle erwiderte, aber dem war nicht so. Er hatte den Eindruck, dass jetzt alles nur umso komplizierter war. Er ergriff erneut das Wort. „Es tut mir leid, dass ich so ausgerastet bin. Das ist ein Problem von mir. Ich hätte das nicht an dir auslassen sollen.“ „Ich mache mir einfach zu viele Gedanken.“, antwortete Vivien. „Dass du mich nie an dich ranlassen wirst. Aber das ist Unsinn.“ „Ich hab doch nicht gesagt, -“ Er unterbrach sich. „Kannst du mir nicht Zeit geben?“ Vivien nickte. „Tut mir leid, dass ich heute alles so persönlich nehme. Ich weiß, das ist unangenehm.“ „Es war ein langer Tag und es ist spät. Morgen wird es wieder besser sein.“ Vivien nickte wieder und lächelte ihn an, aber nicht auf die unbeschwerte Weise wie sie es sonst tat. „Danke.“ Er erwiderte das Lächeln. „Wir schaffen das, oder?“, fragte Vivien, als hätten sie eine schwere Ehekrise zu bewältigen. „Natürlich.“, entgegnete Justin. „Du machst dir wirklich zu viele Gedanken.“ Vivien holte tief Luft und atmete aus. Justin griff nach ihrer Hand. „Alles wird gut.“ Vivien nickte, aber ihr gewohntes Lächeln wollte nicht erscheinen. „Es ist doch normal, dass nicht alles sofort glatt läuft, oder?“, hakte Justin nochmals nach. Wieder nickte Vivien und ließ seine Hand los. „Gute Nacht.“ „Gute Nacht.“, erwiderte er. Sie wandte sich nicht nochmals um, als sie zu ihrer Tür ging und aufschloss. Justin sah ihr nach, dann ging er zu seiner Haustür.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)