Metanoia von Zaizen (The Journey of Changing One's Mind, Heart, Self or Way of Life) ================================================================================ Kapitel 4: Winter ----------------- So do whatever it takes 'Cause you can't rewind a moment in this life Let nothing stand in your way 'Cause the hands of time are never on your side If today was your last day and tomorrow was too late Could you say goodbye to yesterday? Would you live each moment like your last? Leave old pictures in the past? Donate every dime you had? And would you call old friends you never see? Reminisce old memories? Would you forgive your enemies? And would you find that one you're dreaming of Swear up and down to God above That you'd finally fall in love if today was your last day? ~ Das erste, was Clay wahrnahm, als sie langsam wieder an die Oberfläche ihres Bewusstseins vorstieß, waren die piependen Maschinen, die gemeinsam mit ihrem Herzschlag im Gleichklang einen beruhigenden Rhythmus vorgaben. Die Schmerzen in Kopf und Bauch waren verschwunden, an ihre Stelle war ein betäubendes Gefühl getreten, dass ihr Denken und ihre Bewegungen verlangsamte. Als sie langsam ihre Augen öffnete, fühlte es sich an, als müsste sie durch dickflüssigen Sirup waten. Die Decke des Krankenhauses war nicht so weiß, wie die des letzten, in dem sie gelegen hatte. Diese Decke hatte braun-gelbe Ränder und hatte einen starken Grauschleier, der vermutlich von den langen Dienstjahren erzählte. Undeutlich nahm sie einen Druck an ihrer linken Hand wahr, dann spürte sie eine angenehme Wärme, die sich um ihre kalten Finger legte. Mühsam drehte sie den Kopf zur Seite. Nic saß neben ihrem Bett, ihre Hand in den seinen. Seine Augen waren vom Weinen gerötet und von einer langen Nacht blau unterlaufen. Sein Blick hingegen war hellwach und bündelte die Erleichterung, die vermutlich gerade durch seinen ganzen Körper strömte. „Hey“, krächzte Clay schwach und schaffte es, den rechten Mundwinkel zu einem schiefen Lächeln anzuheben, das Nic erwiderte. „Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, weißt du das?“, fragte er sie ohne einen Hauch von Klage in seiner Stimme. Clay fühlte sich trotzdem schuldig. „Wir wussten, dass es irgendwann so kommen würde, Nic. Wir wussten nur nicht, dass es so früh passieren würde“, zwang sie sich zum Sprechen. Ihre Kehle fühlte sich rau und trocken an. Nic half ihr sich aufzusetzen und drückte ihr ein Wasserglas in die Hand, aus dem sie vorsichtig und dann immer gieriger trank. „Noch ist es nicht so weit, Clay. Die Ärzte sagen, es sieht schlecht aus, aber noch ist es nicht so weit“, sagte Nic, nachdem er ihr das Glas wieder vorsichtig aus der Hand genommen hatte und sich vorsichtig auf die Bettkante setzte. Ungläubig starrte Clay ihren besten Freund an. Es war ihr unverständlich, woher er diese Kraft und diesen Optimismus nahm. „Wie lange habe ich noch?“, stellte sie die entscheidende Frage, auf die eine lange Pause folgte. Nic stieß schwer und geräuschvoll den Atem aus. „Wenn du sofort mit der Chemo-Therapie beginnst, vielleicht noch ein halbes Jahr oder mehr. Wenn nicht… weniger.“ Das Gesagte sank wie ein Stein durch Clays Brust, bis es sich an der Stelle ihres Herzens festsetzte. „Ich werde meine letzten Tage nicht in einem Krankenhaus verbringen“, flüsterte Clay und sprach die Entscheidung aus, die sie bereits Anfang des Jahres getroffen hatte. „Dann lass uns hier abhauen, sobald es dir etwas besser geht. Du bekommst neue Medikamente und Schmerzmittel und wir setzen unsere Reise fort. Scheiß auf Detroit. Wir fahren direkt nach New York.“ Auf Nics Ansage hin musste Clay lächeln und schüttelte ungläubig den Kopf. „Warum tust du das für mich Nic? Warum kämpfst du für mich weiter, während ich schon aufgegeben habe?“, fragte sie und sah ihm fest in die Augen. Nic erwiderte den Blick ohne mit der Wimper zu zucken. „Wenn dir das noch immer nicht klar ist, bist du wirklich ein Holzkopf“, scherzte er und entlockte Clay ein weiteres Lächeln, dieses Mal jedoch trauriger Natur. „Ich liebe dich auch Nic“, sprach sie endlich aus, was so lange zwischen ihnen stand, „Aber ich kann dir nicht geben, was du verdienst.“ „Du gibst mir mehr als du denkst. Ich habe dir damals in Deutschland gesagt: Lass uns das beste aus der Zeit machen, die wir haben. Lass uns jeden Tag so leben, als wäre es unser Letzter“, erwiderte Nic und griff erneut nach ihren Händen. „Und genau das tun wir. Schau die die letzten Monate an. Wir sind von Zuhause abgehauen, wir wurden ausgeraubt, wir haben die besten Freunde gefunden, die man sich wünschen kann und wir haben Dinge erlebt, von denen andere nur Träumen“, zählte er auf. Clay beobachtete, wie sein Gesicht sich aufhellte und die Lebensfreude in ihm beinahe überzukochen schien. „Das haben wir“, stimmte sie leise ein und genoss für einen kurzen Moment den Anblick dieses wunderschönen und glücklichen Menschen. Dann wurde Nic wieder ernst. „Ich will mit dir zusammen sein, Clay. Scheiß egal wie lange du noch hast. Ich will jeden Moment mit dir genießen, dich jede Sekunde deines Lebens glücklich machen und am Ende, wenn es Zeit ist loszulassen, will ich auf unsere gemeinsame Zeit zurückblicken und wissen, dass wir nichts bereut haben.“ „Kannst du es denn? Loslassen, wenn es soweit ist?“, fragte sie ebenso ernst, auch wenn ihr Herz sich anfühlte, als wäre es im freien Fall. „Vielleicht nicht an jenem Tag, vielleicht nicht in jener Woche. Aber ich verspreche dir, ich werde dich loslassen, ohne dich zu vergessen“, antwortete Nic nach einigem Schweigen und trieb Clay damit Tränen in die Augen. Es waren keine verzweifelten Tränen, wie beim letzten Mal, sondern Tränen der Trauer und des Glücks, die sich gemeinsam einen Weg über ihre blassen Wangen bahnten und schlussendlich mit denen von Nic verschmolzen, als die beiden ihre Gesichter zueinander brachten und ihre Lippen sich berührten. ~ Es war Ende November, als Alex, Lindsey, Jason und Henry von Clays Krankheit erfuhren. Seitdem waren unzählige Stunden vergangen, in denen die vier Clay im Krankenhaus besuchten, Krankenzimmer-Konzerte gaben und Pläne für die Zukunft schmiedeten. Tränen hoben sie sich für die Zeit auf, in der sie nicht anwesend war. Nic war stets an ihrer Seite. Es war Mitte Dezember, als Clay ihr Behandlungsverweigerung schriftlich bestätigte und aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Zusammen mit Nic und ihre Freunden reiste sie endlich nach New York. Das Wiedersehen mit Gabriela war genau so, wie Clay es sich vorgestellt hatte: Emotional und wunderschön. Gemeinsam durchstreiften sie den Big Apple, kauften Geschenke für die Anderen und tranken heiße Schokolade in warmen Cafés. Es war kurz nach Weihnachten, als Clay in New York verstarb. Um den dünnen, blassen Hals trug sie die Kette, die Nic ihr an Heiligabend überreicht hatte. Die letzten Tage hatte sie kaum selbst stehen können, sodass Nic sie am ersten Weihnachtstag auf dem Rücken zum Broadway trug, wo sie sich irgendein kitschiges Weihnachtsmusical ansahen. Jede Nacht hielt sie Nic in den Armen, bis sie zwei Tage nach Weihnachten nicht mehr aufwachte. Silvester verbrachte Nic im Beisein seiner Freunde. Doch die Lücke, die Clay in ihre Mitte gerissen hatte, klaffte tief. Am Ende trat das ein, was Clay immer befürchtet hatte: Sie brach die Herzen ihrer Freunde, die sie über alles geliebt hatten. Sie trauerten um ihre Freundin, die ein so fester Teil in dieser kurzen Zeit gewesen war und versprachen sich, Clays größten Wunsch in Ehren zu halten: Sie würden gemeinsam nach vorn blicken. Nicht heute, nicht diese Woche, aber irgendwann. Clay vergessen würden sie niemals. ~ Wenn heute dein letzter Tag wäre, könntest du dich von der Vergangenheit verabschieden? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)