Das Geheimnis der Kleeblattinsel von BlueGenie1974 ================================================================================ Kapitel 9: Buch 2 - Kapitel 3 ----------------------------- Buch 2 – Kapitel 3 Aus den Chroniken der Kleeblattinsel: „Der zweite der vier Auserwählten ist zu uns gekommen. Doch wird es ihm und seinen Gefährten gelingen, Tosh Kamar zu überlisten? Der böse Herrscher hat uns ewige Rache geschworen. Er wird alles tun, damit die Mission scheitert. Iduna, wir flehen dich an, beschütze uns!“ 7. Juli 1916 2 Monate nach der Strandung der Goeben Strandung der Glorious Sankt Petersburg, Admiralität, Russland Admiral Alexander Wassiljewitsch Koltschak saß an seinem Schreibtisch und ging die letzten Meldungen der Flotte durch. Besonders die Berichte der Schiffe, die ihre Heimathäfen erreicht hatten, interessierten ihn. Nur von einem Schiff war bisher noch keine Meldung eingegangen. Es war die DIANA, ein geschützter Kreuzer Pallada-Klasse. Vor zwei Wochen war das Schwesterschiff der DIANA, die AURORA, in den Hafen von Murmansk eingelaufen. Juri Kamarov, der erste Offizier der DIANA war daraufhin zum Flottenchef beordert worden um persönlich Bericht zu erstatten. Er hatte auf der großen Weltkarte in Admiral Koltschaks Büro den Kurs markiert, den die DIANA nach dem Zusammentreffen mit der AURORA genommen hatte. Admiral Koltschak ließ nach dem Treffen mit Juri Kamarov seinen Adjutanten rufen und diktierte ihm einen Funkspruch für die SLAWA, ein Linienschiff der Borodino-Klasse. Sie sollte nach der DIANA suchen. London, White Hall, Vereinigtes Königreich Sir Hedworth Meux saß an seinem Schreibtisch und trank eine Tasse Earl Grey mit Zitrone, während der wie üblich in der London Times blätterte. Die Kriegsnachrichten interessierten ihn am meisten. Er sah von seiner Zeitung auf, als es an der Tür klopfte. „Herein!“, sagte der Flottenchef. Sein persönlicher Adjutant, Lucius Callahan, betrat den Raum. „Was gibt’s denn, Mr. Callahan?“, fragte Hedworth Meux. „Sir, die kaiserliche russische Marine, hat eines ihrer Schiffe verloren.“ „Welches?“, fragte der Admiral. 151 „Die DIANA, Sir. Ein geschützter Kreuzer der Pallada-Klasse.“ „Verstehe. Hat Admiral Koltschak bereits eine Suchaktion befohlen?“, wollte der Flottenchef wissen. „Er hat das Linienschiff SLAWA losgeschickt.“ „Welches ist die letzte bekannte Position, der DIANA, Mr. Callahan?“, fragte Sir Hedworth. Sein Adjutant markierte die Position des russischen Kreuzers auf der Karte, die auf der rechten Seite des Büros an der Wand hing. „Dort wurde sie von einem japanischen U-Boot torpediert, Sir.“ „Wie viele Torpedos haben ihr Ziel erreicht?“, fragte Sir Hedworth Meux. „Nur einer, Sir. Obwohl der japanische Kommandant einen Viererfächer abgefeuert hat.“ „Verstehe. Eine Frage, Mr. Callahan. Welche Schiffe haben wir in den lateinamerikanischen Gewässern?“, wollte Admiral Meux wissen. „Außer ein paar leichten Kreuzern nur noch den Schlachtkreuzer Hood und das Schlachtschiff Orion, Sir.“ „Wir sollten noch zwei schwere Einheiten dorthin schicken. Welche Schiffe wären zurzeit frei?“, fragte Sir Hedworth. „Nur der Schlachtkreuzer Repulse und der große leichte Kreuzer Glorious, Sir.“ „Wo befinden sich die beiden Schiffe zurzeit, Mr. Callahan?“, fragte der Admiral of the Fleet. „Die Repulse ist im Flottenstützpunkt Scapa Flow und die Glorious in Faslane-on-Clyde.“ „Senden sie einen Funkspruch mit den Vermerk „DRINGEND“ an beide Schiffe.“, sagte Sir Hedworth. „Ja, Sir. Was soll ich schreiben, Sir?“ „Nehmen sie Stift und Papier und dann schreiben sie folgendes: An Kommandant HMS Repulse: Laufen sie umgehend aus und fahren sie nach Valparaíso. Unterwegs Zusammentreffen mit HMS Glorious in Queenstown.“, diktierte der Flottenchef. Dann sagte er: „Und denselben Text noch einmal mit dem Rufzeichen für 152 die Glorious. Aber schreiben sie im letzten Satz „Repulse“ statt Glorious“ „Ja, Sir.“ Flottenstützpunkt Scapa Flow, Orkney Inseln Captain William Boyle, Spitzname „Ginger“ stand auf der Brücke des Schlachtkreuzers Repulse und starrte hinaus auf die offene See. Er war stolz, das Kommando auf diesem Schiff führen zu dürfen. Die HMS Repulse war ein Schlachtkreuzer der Renown-Klasse und war 240 Meter lang. Seine Breite betrug 30 Meter und das Gewicht dieses Stahlgiganten lag bei voller Beladung bei 36.800 Tonnen. Die schwere Artillerie der Repulse war in vier Zwillingstürmen untergebracht und verfeuerte Granaten mit einem Kaliber von 38,1 cm. Die Maschine des Schlachtkreuzers leistete 112.000 PS und ließ eine Höchstgeschwindigkeit von 31,7 Knoten zu. In der Offiziersmesse hing der Wahlspruch der Repulse. Auf einem Holzschild stand in Messingschrift „Qui Tangit Frangatur“. Was wörtlich übersetzt „Wer (mich) berührt, soll zerbrochen werden!“, bedeutete. Captain Boyle ging hinaus auf die Steuerbordnock und beobachtete die Aktivitäten auf dem Flottenstützpunkt. So wurde gerade wurde die HMS Hermes, ein geschützter Kreuzer der Highflyer-Klasse mit Kohlen beladen. Etwas weiter entfernt machte sich die HMS Collingwood, ein nach Vizeadmiral Cuthbert Collingwood benanntes Schlachtschiff der St. Vincent-Klasse bereit zum Auslaufen. „Ginger“ Boyle sah aus den beiden Schornsteinen des 163,30 Meter langen Schlachtschiffes Rauch aufsteigen. Der erste Offizier der Repulse, Kevin Blake, kam auf die Brücke, in der Hand den Funkspruch aus London. „Was gibt es, Mr. Blake?“, fragte Captain Boyle. „Sir, dieser Funkspruch kam gerade aus London. Er trägt den Vermerk „DRINGEND“.“ Mit diesen Worten übergab der erste Offizier „Ginger“ die Nachricht aus London. Der Kommandant der Repulse las sich die Nachricht durch. „Wir sollen also nach Lateinamerika und uns in Queenstown mit der Glorious treffen. Das Dumme ist nur, dass wir erst übermorgen zum Bekohlen und zur Munitionsübernahme vorgesehen sind, Mr. Blake.“, sagte William Boyle. „Captain, ich denke, dass White Hall den Stützpunktkommandeur sicher über unsere neuen Befehle informiert hat, denn dort kommen mehrere Versorgungstender mit direktem Kurs auf uns.“ Ein Boot nach dem anderen machte längsseits der Bordwand der Repulse fest. Zuerst waren die Kohlentender dran, die den Brennstoff für den 153 Schlachtkreuzer lieferten. Danach kamen die Tender mit Proviant, ehe die Schiffe mit der benötigten Munition. Um 16:30 Uhr war das Bunkern der Repulse abgeschlossen. Captain Boyle meldete dem Stützpunktkommandeur sein Schiff klar zum Auslaufen. Nach Eingang der Nachricht wurden die U-Boot-Netze geöffnet, die die britische Flotte gegen deutsche U-Boote schützen sollten. Um 17:15 Uhr verließ die HMS Repulse Scapa Flow und lief in den Nordatlantik. Flottenstützpunkt Faslane-on-Clyde, Schottland, Vereinigtes Königreich Captain Colin Meaney stand auf der Steuerbordnock seines Schiffes und beobachtete das Geschehen auf dem Flottenstützpunkt. Gerade lief die HMS AJAX, ein Schlachtschiff der King-George-V-Klasse aus dem Stützpunkt aus. Sie war nach Malta beordert worden. Er selbst hatte vor kurzem den Funkspruch aus London mit der Order nach Lateinamerika zu laufen und sich in Queenstown mit der HMS Repulse zu treffen, erhalten. Daraufhin hatte man der Glorious, einem großen leichten Kreuzer der Courageous-Klasse, absoluten Vorrang bei der Übernahme von Kohlen, Proviant und Munition eingeräumt. Die HMS Glorious war 240 Meter lang und an der breitesten Stelle 27,75 Meter breit. Voll beladen wog der Kreuzer 22.360 Tonnen und hatte einen Tiefgang von 7,5 Metern. Die Maschine der Glorious leistete 91.195 PS und ermöglichte so eine Höchstgeschwindigkeit von 31,42 Knoten. 829 Mann Besatzung waren notwendig, um den Kreuzer am Laufen zu halten. Die Reichweite des Schiffes lag bei 5.860 Seemeilen, wenn die Glorious 16 Knoten fuhr. Die mächtigen 38,1-cm-Geschütze waren in zwei Zwillingstürmen, einer am Bug, der andere achtern am Heck, untergebracht. Auf dem Brückendeck waren die 10,2-cm-Geschütze verbaut. 18 Stück verteilt auf 6 Drillingstürme führte die Glorious mit. Um 18:25 Uhr lief das Schiff aus seinem Stützpunkt aus. Niemand ahnte, dass dies die letzte Reise der Glorious sein würde. Queenstown, Irland, 7. Juli 1916, 22:00 Uhr Ortszeit Im Hafen herrschte geschäftiges Treiben. Gleich zwei Großkampfschiffe der Royal Navy lagen in Queenstown. Um 20:15 Uhr war die Repulse eingelaufen. Um 21:25 Uhr, die Glorious. Doch da die Dunkelheit bereits hereingebrochen war, konnte die Übernahme von Kohlen und Proviant nicht durchgeführt werden. Allerdings war es den Besatzungen beider Schiffe nicht erlaubt, von Bord zu gehen, da Repulse und Glorious schon am nächsten Morgen Queenstown wieder in Richtung New York verlassen sollten. Queenstown, Irland, 8. Juli 1916, 8:30 Uhr Ortszeit Die beiden Kriegsschiffe waren bereit, ihre Reise über den Atlantik fortzusetzen. Sie waren mit neuen Kohlen und Proviant versorgt worden. Die Einwohner der irischen Hafenstadt hatten sich alle an der Promenade versammelt um die Repulse und die Glorious zu verabschieden. Es war ein imposanter Anblick, als zuerst die Glorious an den Einwohnern Queenstowns vorbeidampfte, dicht gefolgt vom Schlachtkreuzer Repulse. Als die beiden Schiffe den Hafen 153 Hinter sich gelassen hatten, beschleunigten sie und drehten auf Südkurs, um die Passage zwischen Whitegate und Crosshaven zu durchqueren. New York City, Vereinigte Staaten von Amerika, 13. Juli 1916, 14 Uhr Ortszeit Die New Yorker staunten nicht schlecht, als sie zwei englische Kriegsschiffe im Hafen liegen sahen. Lagen hier doch in der Regel die großen Transatlantik-Liner. Doch zwei englische Kriegsschiffe waren wohl eher ein seltener Anblick. Und während die Schiffe neu bekohlt und verproviantiert wurden, hatten die Matrosen Landgang. Allerdings hatten die Kommandanten angeordnet, dass die Leute, die an Land waren, pünktlich um 22:00 Uhr wieder an Bord waren. Auch wurde den begleitenden Offizieren eingeschärft darauf zu achten, dass die anderen sich nicht bis zum Stehkragen volllaufen ließen. Valparaíso, Chile, 13. Juli 1916, 10:30 Uhr Ortszeit Im Hafen herrschte geschäftiges Treiben. Am Vortag war das russische Linienschiff Slawa in Valparaíso eingelaufen. Der Kapitän hatte der Besatzung für diesen Abend Landgang gewährt. Nun wurden neue Kohlen und neuer Proviant an Bord genommen. Der Grund war, dass Kapitän Viktor Borodin mit der nächsten Flut auslaufen wollte. Er wollte seine Mission so schnell wie möglich abschließen, und dann nach Hause zurückkehren. New York City, Vereinigte Staaten von Amerika, 13. Juli 1916, 16:30 Uhr Ortszeit Die Repulse und die Glorious hatten die Anker gelichtet, und waren von den Hafenschleppern in Richtung offene See gedreht worden. Im Gegensatz zum 8. Juli, als die beiden Kreuzer Queenstown verlassen hatten, führte heute die Repulse und die Glorious folgte. Zuerst steuerten die beiden Kriegsschiffe einen Südkurs, denn sie hatten den Panamakanal als Ziel, den sie durchqueren sollten. Nördlich von Colon fuhren Repulse und Glorious in den Kanal ein und nahmen Kurs auf die erste Ertappe des Kanals, die Gatun-Schleusen. Berlin, Admiralität, Deutschland, 13. Juli 1916, 20:30 Uhr Ortszeit Alfred von Tirpitz hatte gerade die Unterschriftenmappe aufgeschlagen und den ersten Befehl zur Unterschrift herausgeholt, als es an der Tür seines Büros klopfte. Der Admiral wusste, dass nur sein persönlicher Adjutant, Martin Lembke vor der Tür warten konnte. „Treten Sie ein, Lembke.“, sagte er. Martin Lembke, ein schlaksiger junger Mann im Alter von 26 Jahren, betrat den Raum. „Was gibt es, Lembke?“, fragte Admiral Tirpitz. „Her Admiral, die Royal Navy hat zwei weitere Kreuzer in den Pazifik 154 verlegt.“ „Welche?“, fragte der Großadmiral. „Den Schlachtkreuzer Repulse und den großen leichten Kreuzer Glorious.“ „Haben wir irgendwelche schweren Einheiten da oben?“, wollte der Flottenchef wissen. „Ja, Herr Admiral. Das Großlinienschiff Friedrich der Große und das Linienschiff Elsass.“ „Schicken wir noch Großer Kurfürst. Wo befindet sich das Schiff zurzeit?“, sagte Alfred von Tirpitz. „In Rio de Janeiro, Herr Admiral.“ „Dann ist das unsere einzige Möglichkeit. Die anderen Einheiten sind zu weit weg. Es wird Tage dauern bis sie Chile erreicht haben.“, sagte der Flottenchef. „Soll ich dem Kommandanten eine Nachricht mit dem Vermerk „DRINGEND“ schicken, Herr Admiral?“ „Die Frage erübrigt sich ja wohl von selbst, Lembke.“, sagte Admiral von Tirpitz. „Was soll ich schreiben?“ „An Kommandant Großlinienschiff „Großer Kurfürst“: Zwei englische Kreuzer auf dem Weg nach Chile. HMS Repulse und HMS Glorious. Laufen sie sofort nach Valparaíso. Englische Kreuzer abfangen, wenn möglich.“, sagte Tirpitz. „Ist das alles, Herr Admiral?“ „Ja, das ist alles, Lembke.“, sagte der Großadmiral. Eine halbe Stunde später durchgegeben. Rio de Janeiro, Brasilien, 13. Juli 1916, 15:30 Uhr Ortszeit Kapitän zur See Ernst Goette saß gerade an seinem Schreibtisch in der Kapitänskajüte und las die neuesten Geheimdienstberichte, als es an der Tür klopfte. „Herein!“, sagte er. Der erste Offizier des Großlinienschiffes „Großer Kurfürst“ trat ein. „Was gibt es, Uhlendorf?“, fragte der Kapitän. 155 Richard Uhlendorf, ein 1,84 m großer, athletisch gebauter 35jähriger Mann, reichte ihm die Nachricht aus Berlin. „Die kam gerade rein. Die Nachricht ist mit dem Vermerk „DRINGEND“ gekennzeichnet.“ „Das sehe ich selbst, Uhlendorf. Geben sie her!“, sagte Ernst Goette leicht gereizt. Und während der Kommandant von „Großer Kurfürst“ die Nachricht studierte, wurden seine Sorgenfalten auf der Stirn immer tiefer. Seinem ersten Offizier entging der besorgte Ausdruck im Gesicht von Kapitän Goette nicht. „Alles in Ordnung, Herr Kapitän?“, fragte er dann. Ernst Goette bedeutete ihm mit einer Geste sich zu setzen. Dann breitete er die Nachricht aus Berlin auf dem Tisch aus. „Diese Nachricht skizziert einen Alptraum, Uhlendorf. Sie teilt mir mit, dass die Royal Navy die Repulse und die Glorious in diese Gewässer entsandt hat. Aufgrund dieses Alptraums wird mir befohlen, Schritte einzuleiten, die, sollte sich diese Meldung als falsch herausstellen, dieses Schiff und seine Besatzung in Verderben führen.“, sagte er. Valparaíso, Chile, 13. Juli 1916, 16:30 Uhr Ortszeit Das russische Linienschiff SLAWA verließ den Hafen. Der Kommandant hatte seine eigene Theorie, warum sich die DIANA nicht mehr meldete. Doch Befehl war nun einmal Befehl. Kapitän Viktor Borodin lief exakt die gleiche Route, die auch der vermisste Kreuzer genommen hatte. Und so erreichte die SLAWA die Gewässer um die Kleeblattinsel. In sicherer Entfernung suchten die Offiziere des russischen Linienschiffes das Riff ab, das Oamaru umgab. Doch es war einer der Matrosen, der das Wrack der DIANA entdeckte, denn ihre drei Schornsteine ragten noch aus dem Wasser. An einem der Schornsteine bewegte sich etwas. Sofort ließ der Kommandant der SLAWA ein Beiboot aussetzen, um genauere Untersuchungen anzustellen. So wurde der leitende Ingenieur der DIANA gerettet. Nachdem das Boot wieder an Bord des Linienschiffes war, drehte die SLAWA ab und machte sich auf den Weg Richtung Heimat. Das erste Ziel war wieder Chile, wo neue Kohlen und neue Vorräte gebunkert werden mussten. Dort wollte Kapitän Borodin auch einen Funkspruch an die Admiralität schicken. Admiralität, Sankt Petersburg, Russland, 14. Juli 1916, 15:45 Uhr Ortszeit Juri Marganin suchte die Schreibstube auf. Speziell die Abteilung für eingehende Nachrichten interessierte ihn. Jeder Tag, an dem es keine Neuigkeiten über den Verbleib der DIANA gab, wurde sein Chef unruhiger. Eine neue Nachricht kam gerade rein und wurde dechiffriert. Er nahm das Blatt Papier und las die Nachricht durch. Wieder nichts. Sein Vorgesetzter, Admiral Koltschak, 156 würde nicht gerade erfreut sein. Denn vor zwei Tagen war die AURORA nach Sankt Petersburg zurückgekehrt. Der erste Offizier des vermissten Kreuzers war nachdem Festmachen sofort in der Admiralität erschienen und sich beim Admiral gemeldet, um ihm Bericht zu erstatten. White Hall, London, Vereinigtes Königreich, 14. Juli 1916, 15:15 Uhr Ortszeit Admiral Sir Hedworth Meux war gerade auf dem Sprung, denn er hatte einen Termin beim obersten Lord der Admiralität, Winston Churchill. Doch sein Adjutant Lucius Callahan, machte ihm einen Strich durch die Rechnung. „Fassen sie sich bitte kurz, Mr. Callahan. Seine Lordschaft erwartet mich.“, sagte der Admiral of the Fleet. „Sir, gerade kam die Meldung, dass unsere Schiffe den Panamakanal durchquert haben.“ „Wie lange wird es noch dauern, bis die Repulse und die Glorious Valparaíso erreicht haben?“, wollte Sir Hedworth wissen. „Unsere Schiffe sollten morgen Chile erreicht haben.“ Hedworth Meux nickte. „Sehr gut. Aber jetzt entschuldigen sie mich bitte. Winston Churchill wartet nicht gern.“, sagte er dann. „Ja, Sir.“ An Bord der SLAWA Kapitän Borodin hatte nach dem Wachwechsel auf der Brücke das Lazarett aufgesucht. Er hoffte, mit dem leitenden Ingenieur der DIANA sprechen zu können, in der Hoffnung, noch mehr zu erfahren, was für Admiral Alexander Koltschak wichtig sein konnte. Als der Kapitän des Linienschiffes die Krankenstation betrat, kam der leitende Arzt auf ihn zu. Kapitän Borodin fiel der besorgte Gesichtsausdruck des Doktors auf. „Wie geht es ihm, Doktor?“, fragte er. Der Arzt schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass er diese Nacht noch erleben wird.“ „Ist er ansprechbar?“, wollte der Kommandant der SLAWA wissen. Der Arzt machte eine vage Handbewegung. „Mal geht es ihm gut, mal geht es ihm schlecht.“ 157 „Und wie ist sein jetziger Zustand, Doktor?“, hakte Kapitän Borodin nach. „Im Moment wieder schlecht, Kapitän. Ich habe das Gefühl, dass sich der Mann im Delirium befindet.“ „Was veranlasst sie zu der Annahme?“, fragte der Kapitän. „Er redet ziemlich wirres Zeug, wenn ich das mal so sagen darf, Kapitän.“ „Kann ich mit ihm sprechen?“, fragte Kapitän Borodin. „Sie können ihr Glück versuchen, Kapitän. Aber ich wage es zu bezweifeln, dass sie irgendetwas Brauchbares aus ihm herausbekommen werden.“ An Bord von Großer Kurfürst Kapitän zur See Ernst Goette stand auf der Steuerbordnock seines Schiffes und suchte mit seinem Fernglas den Horizont ab. Seitdem das Schiff aus Rio de Janeiro ausgelaufen war, hatte er für die gesamte Besatzung erhöhte Alarmbereitschaft befohlen. So waren die Ausgucke rund um die Uhr besetzt. Auch Geschützdrill stand auf der Tagesordnung. Ernst Goette glaubte an eine gute Vorbereitung, denn er wusste nur zu gut. Dass derjenige in einem Gefecht die besseren Karten hatte, der als erster auf den Gegner feuern konnte. Dreimal am Tag hatte er Gefechtsübungen abhalten lassen. Besonders im Morgengrauen, und das wusste der deutsche Kapitän, war der Überraschungseffekt von entscheidendem Vorteil. Wer in der Lage war, im Schutz der Dunkelheit seinem Gegner eine Breitseite zu verpassen, der hatte die besten Chancen, als Sieger aus einem Gefecht hervorzugehen. Das Dumme war nur, dass die englischen Schiffe bei der Reichweite ihrer Geschütze einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Schiffen der deutschen Hochseeflotte hatten. Und das bedeutete oft, dass man näher heran musste, um überhaupt einen Volltreffer zu landen. Kapitän zur See Goette wollte auf gar keinen Fall der Repulse und der Glorious in die Hände laufen. Aber er rechnete immer damit. An Bord der SLAWA Kapitän Borodin saß nun am Krankenbett des leitenden Ingenieurs, des gesunkenen Kreuzers. Der Mann sah verheerend aus. Der Kommandant der SLAWA sah in ein mit Bartstoppeln übersätes Gesicht mit stechenden blauen Augen. Das schwarze Haar klebte dem Mann an der Stirn. „Wie fühlen sie sich?“, fragte der Kapitän. „Soll ich ehrlich sein?“ „Ich bitte darum.“, sagte Kapitän Borodin. „Beschissen.“ 158 „Sind sie in der Lage… einige Fragen zu beantworten?“, fragte der Kommandant der SLAWA. „Das hängt davon ab, was sie wissen wollen.“ „Können sie mir berichten, was sich nach dem Rendezvous mit der AURORA ereignet hat?“, fragte der Kapitän. „Wir wurden von einem japanischen U-Boot torpediert.“ „Wie viele Torpedos hat der japanische Kommandant abgefeuert?“, kam die nächste Frage. Der leitende Ingenieur der DIANA zeigte mit seiner rechten Hand eine vier. „Aber nur der letzte hat getroffen. Die anderen haben uns verfehlt. Danach mussten wir die Geschwindigkeit auf 9,5 Knoten drosseln, um, den Wassereinbruch so gering wie möglich zu halten.“ „Wie weit sind sie gekommen?“, fragte der Kapitän als nächstes. „So um die 1.000 Meilen. Aber dann sind wir in den Sog des Riffs geraten.“ „Was ist passiert, nachdem die DIANA aufgelaufen ist?“, fragte Kapitän Borodin. „Wir konnten gerade noch ein Boot zu Wasser lassen. 50 Mann haben sich so retten können. Ich selbst bin am zweiten Schornstein hoch geklettert.“ „Hat noch jemand außer ihnen überlebt?“, wollte der Kommandant des russischen Linienschiffes wissen. „Nur noch Jewgeni Moskrovnovitch. Er wurde von einer Welle über das Riff getragen und an den Strand einer Insel gespült.“ „Was ist aus den anderen geworden?“, fragte Kapitän Borodin. „Die anderen hat der Teufel geholt.“ Nachdem der LI der DIANA den Satz beendet hatte, fing er laut an zu schreien und krallte sich mit seinen Händen an den Ärmeln der Uniformjacke des Kapitäns fest und sah ihn mit vor Entsetzen geweiteten Augen an. Dann sank er auf das Kopfkissen zurück und blieb reglos liegen. Der Arzt kam herein, alarmiert durch die Schreie des Kranken. Er fühlte den Puls, dann sah er Kapitän Borodin an. „Er ist tot.“, sagte er. Der Kapitän nickte. Dann sagte er: „Bereiten sie alles für sein Begräbnis vor. Wir werden ihn auf See bestatten. 159 Um 17:00 Uhr hatte sich die Besatzung auf dem Achterdeck versammelt. Gemäß der Marinetradition hatte man den Toten in einen Leinensack eingenäht und diesen mit einer Eisenkugel beschwert. Nun lagen die sterblichen Überreste aufgebahrt an der Reling, bedeckt mit der Fahne der russischen Marine. Kapitän Borodin hatte gerade aus der Septuaginta ein Gebet gesprochen und schloss die Begräbniszeremonie mit eigenen Worten. „Wir übergeben dir, Herr, die sterblichen Überreste unseres Freundes und Kameraden Gennadi Filitow. Erbarme dich seiner und schenke seiner Seele ewigen Frieden. Nimm ihn auf in dein Reich.“, sagte er und schlug ein Kreuz. Die Offiziere und Matrosen taten es ihm gleich. Die Ehrengarde feuerte noch einmal Salut und ein Matrose mit einer Trompete spielte das Lied „Amazing Grace“. Dann hoben zwei kräftige Matrosen das Gestell an und der Leichnam des LI der DIANA glitt über Bord und verschwand schnell unter der Wasseroberfläche. White Hall, London, Vereinigtes Königreich, 14. Juli 1916, 15:35 Uhr Ortszeit Sir Hedworth Meux, Admiral of the Fleet, saß dem mächtigsten Mann der Royal Navy, Winston Churchill gegenüber. Der erste Lord der Admiralität war ein 1,68 m großer Mann mit einem runden Gesicht und stechenden braunen Augen. Seine braunen Haare hatten bereits angefangen sich zu lichten. Die Jacke seiner Uniform spannte bereits über Winston Churchills Bauchansatz. In seinem Mund steckte eine Zigarre. „Sie haben also die Repulse und die Glorious nach Chile entsandt?“, fragte der erste Lord. „Ja, Mylord.“ „Ich nehme an, um die dortigen Einheiten zu unterstützen.“, sagte Winston Churchill. „Ja, Sir. Die Deutschen sind unseren Streitkräften 2:1 überlegen. Sie haben mindestens drei schwere Einheiten dort. Ein Linienschiff und zwei Großlinienschiffe.“ „Das haben sie richtig gemacht. Aber es wird sie interessieren, dass Großadmiral von Tirpitz ein weiteres Großlinienschiff nach Chile beordert hat.“, sagte der erste Seelord. „Welches, Mylord?“ „ „Großer Kurfürst“.“, sagte Winston Churchill knapp. „Wäre es nicht besser, wenn wir noch die Royal Oak nach Chile entsenden, Mylord?“ 160 „ Dann würden wir unsere Home Fleet noch weiter schwächen. Wann erreichen unsere Kreuzer Chile?“, fragte der erste Lord. „Laut der letzten Meldung, morgen.“ „Hören sie, Sir Hedworth. Seitdem Walter Schwieger die „LUSITANIA“ versenkt hat, können wir es uns nicht mehr leisten, unsere Flotte auf der ganzen Welt aufmarschieren zu lassen. Die deutschen U-Boote sind eine ernste und tödliche Bedrohung unserer Schiffe.“, sagte Winston Churchill. „Aber die Deutschen haben ihre U-Boot-Angriffe doch ausgesetzt.“ Winston Churchill zog an seiner Zigarre. „Darauf würde ich mich lieber nicht verlassen. Ich traue Admiral von Tirpitz nämlich nicht.“, sagte er dann. Valparaíso, Chile, 18. Juli 1916, 20:58 Uhr Ortszeit Im Hafen herrschte wie immer geschäftiges Treiben. Ein französischer Frachter, die „Ardêche“ lief gerade aus, als die SLAWA einlief. Kapitän Viktor Borodin ließ sofort einen Funkspruch für die Admiralität absetzen. Einen detaillierten Bericht würde er auf der Heimreise abfassen. Danach lief die SLAWA wieder aus. Und beim Auslaufen begegnete das russische Linienschiff dem deutschen Großlinienschiff „Großer Kurfürst“. Kapitän zur See Goette war schon im Begriff das Feuer auf das russische Kriegsschiff eröffnen zu lassen, besann sich aber im letzten Moment. Ihm war eingefallen, dass er in den Hoheitsgewässern eines neutralen Staates, dessen territoriale Souveränität verletzt hätte. Über die möglichen Folgen wollte er gar nicht erst nachdenken. Er ließ die Kohlenvorräte ergänzen und verließ Valparaíso wieder. Kaum war das deutsche Linienschiff außer Sicht, liefen der englische Schlachtkreuzer HMS Repulse und der englische große leichte Kreuzer HMS Glorious in den Hafen von Valparaíso ein. Da die Sonne bereits unterging, hatten die englischen Kapitäne beschlossen, die Nacht im Hafen zu verbringen. Admiralität, Sankt Petersburg, Russland, 18. Juli 1916 03:58 Uhr Ortszeit Admiral Koltschaks Adjutant Juri Marganin schneite mal wieder in der Schreibstube vorbei. Deren Leiter verdrehte entnervt die Augen. „Nicht sie schon wieder!“, sagte er gereizt. „Kann ich was dafür, dass mir der Chef ständig im Nacken sitzt?“ „So schlimm?“, fragte der Leiter. „Schlimmer. Der alte Haifisch scharrt schon ungeduldig mit den Hufen, wegen der DIANA.“ 161 „Dann scheinen sie dieses Mal den richtigen Zeitpunkt abgepasst zu haben, Leutnant. Denn gerade ist eine Nachricht von der SLAWA eingegangen. Sie wird gerade dechiffriert.“, sagte der Mann. „Gute oder schlechte Nachrichten?“ „Keine Ahnung.“, sagte der Chef der Schreibstube, ein Offizier im Rang eines Leutnants. Keine 10 Minuten später war Alexander Koltschaks Adjutant auf dem zu seinem Chef. Und dieses Mal würde der Admiral nichts zu nörgeln haben. Endlich war das Schicksal der DIANA geklärt. Allerdings hatte Juri Marganin Mitgefühl mit den Angehörigen der auf See gebliebenen Besatzungsmitglieder. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie viel Trauer eine solche Nachricht bei Müttern, Ehefrauen, Verlobten, Schwestern und Freundinnen auslösen konnte. Dennoch wollte er nicht derjenige sein, der eine solche Nachricht überbringen musste. Juri Marganin fragte sich, ob sein Vorgesetzter sich überhaupt die Mühe machte, sich in die Hinterbliebenen hineinzuversetzen, und versuchte, was diese Menschen fühlten. Aber er bezweifelte stark, dass der alte Haifisch, wie Juri Marganin Alexander Koltschak hinter vorgehaltener Hand nannte, zu solchen Gefühlen überhaupt in der Lage war. Dann stand er vor Admiral Koltschaks Büro und klopfte. „Treten sie ein, Marganin.“, vernahm Juri Marganin die Stimme des Admirals. Der Adjutant des Flottenchefs betrat den Raum. Juri Marganin sah seinem Chef an, dass dieser wenig geschlafen hatte. Denn die dunklen Ringe unter den Augen von Alexander Wassiljewitsch Koltschak waren nicht zu übersehen. „Was gibt es, Marganin?“, fragte der Admiral. „Vor einer halben Stunde ist eine Nachricht von der SLAWA eingetroffen. Sie haben das Wrack der DIANA gefunden. Den leitenden Ingenieur von DIANA haben sie retten können.“ „Wenigstens das. Gott sei Dank.“, sagte Admiral Koltschak. Juri Marganin trat verlegen von einem Bein auf das andere. „Mit Verlaub, Admiral. Der Mann ist tot. Kapitän Borodin konnte ihn aber vorher noch befragen.“ „Hat er etwas erfahren?“, wollte der Admiral wissen. „Das geht aus der Nachricht nicht hervor. Aber Kapitän Borodin hat einen detaillierten Bericht angekündigt.“ Valparaíso, Chile, 19. Juli 1916, 5:15 Uhr Ortszeit Die Sonne war noch nicht aufgegangen, da liefen Repulse und Glorious 162 wieder aus. Die Übernahme neuer Kohlen und frischer Lebensmittel hatte noch am Vortag unmittelbar nach dem Festmachen der beiden englischen Kreuzer begonnen und die ganze Nacht hindurch gedauert. Um 4:00 Uhr hatten die Heizer die Kessel angeheizt um genug Dampf für die Maschinen zu erzeugen. Nun führte die Glorious, während die Repulse folgte. Außerhalb der chilenischen Hoheitsgewässer trafen die beiden Kreuzer dann mit der HMS Orion und dem Schlachtkreuzer Hood zusammen. Um 6:00 Uhr trafen die englischen Schiffe auf die deutschen Großkampfschiffe. Das Großlinienschiff „Friedrich der Große“ eröffnete das Feuer auf die Glorious. Die „Elsass“ nahm sich die Hood vor, und „Großer Kurfürst“ die Repulse. Die Orion hatte es mit dem deutschen Panzerkreuzer „Fürst Bismarck“ zu tun. An Bord der Glorious Die erste Salve des deutschen Großlinienschiffes erwischte den englischen Kreuzer völlig unvorbereitet. Eine 30,5-cm-Granate traf den vorderen Geschützturm. Die Explosion riss nicht nur den Turm aus seiner Barbette, sondern zerstörte auch das Deck darunter. Eine weitere Granate traf die Brücke und tötete bis auf den Kapitän und den ersten Offizier den gesamten Offiziersstab. Den dritten Treffer musste die Glorious auf der Höhe ihres Schornsteins einstecken. An Bord der Hood Der erste Offizier stürmte auf die Brücke. Kapitän Wilfred Tomkinson sah von seinen Seekarten auf. „Was gibt es, Mr. Graham?“, fragte, fragte er. „Sir, die Glorious wurde angegriffen.“ „Von wem?“, fragte Captain Tomkinson. Doch ehe der erste Offizier antworten konnte, schlug eine 28-cm-Granate der „Elsass“ vor dem Bug der Hood ein. „Feuer erwidern.“, befahl Wilfred Tomkinson- Im nächsten Augenblick schwenkten die mächtigen Geschütztürme herum und feuerten eine Breitseite auf die „Elsass“. An Bord von „Großer Kurfürst“ Kapitän zur See Goette hatte gerade die Repulse anvisieren lassen, als der englische Schlachtkreuzer das Feuer auf das deutsche Großlinienschiff eröffnete. Eine Granate schlug vor dem Bug des deutschen Kriegsschiffes ein. Eine Wassersäule stieg in den Himmel. Umgehend erwiderte „Großer Kurfürst“ das Feuer. Eine der Granaten schlug in den Rumpf der Repulse ein, richtete aber kaum Schaden an. Die Antwort des englischen Schlachtkreuzers war 163 verheerend. Eine Granate der Repulse schlug unterhalb des achteren Schornsteins von „Großer Kurfürst“ ein. Eine zweite traf einen der Munitionsaufzüge. Die Explosion riss ein Loch in die Bordwand und einen Teil des Decks weg. Dann schlug eine dritte Granate ein und zerstöre einen der vorderen Geschütztürme von „Großer Kurfürst“. An Bord der Orion Eine 24-cm-Granate von „Fürst Bismarck“ traf eines der 10,2-cm-Geschütze. Für Kapitän Hancock war es natürlich bitter, dass er nicht mehr über die volle Feuerkraft verfügte. Dennoch war sein Schiff dem deutschen Panzerkreuzer artilleristisch überlegen. Die mächtigen 34,3-cm-Geschütze waren nach wie vor intakt und somit in der Lage „Fürst Bismarck“ zu zerstören. Und eine 34,3-cm-Granate der Orion traf den deutschen Panzerkreuzer und riss den achteren Schornstein ab. „Fürst Bismarck“ feuerte sofort wieder. Der nächste Treffer des 127 Meter langen Kreuzers traf den Rumpf des feindlichen Dreadnoughts, aber der angerichtete Schaden war marginal. An Bord von „Fürst Bismarck“ Erneut musste der Panzerkreuzer einen schweren Treffer einstecken. Die Orion hatte erneut ihre schwere Artillerie eingesetzt und den achteren Geschützturm von Fürst Bismarck zerstört. Der Kapitän ließ erneut eine Salve mit den verbliebenen Geschützen abfeuern, aber der Erflog blieb aus. Der englische Dreadnought antwortete mit einer Breitseite aus seinen 34,3-cm-Geschützen. Korvettenkapitän Eduard Bartels sah die Granaten heranfliegen. „Diese Mistkerle“, sagte er leise. Dann erschütterte eine gewaltige Explosion das Schiff. Eine 34,3-cm-Granate der Orion hatte die Munitionskammer von „Fürst Bismarck“ getroffen. An Bord der „Elsass“ Kapitän zur See Johann von Lessel konnte nicht glauben, was er sah. Das vierte Schiff in ihrem Verband, Panzerkreuzer „Fürst Bismarck“ hatte den tödlichen Treffer kassiert. Ein orange-roter Feuerball hüllte das Schiff ein und die Druckwelle hob den Kreuzer ein Stück weit aus dem Wasser. Dabei brach „Fürst Bismarck“ in der Mitte durch. Das Heck sank zuerst. Dann der Bug. Als dieser unter der Wasseroberfläche verschwunden war, stieg ein Wasserschwall auf. An Bord der Repulse Die Druckwelle der Explosion war noch an Bord der Repulse zu spüren. Captain William Boyle und der erste Offizier, Kevin Blake, beobachteten, wie „Fürst Bismarck“ seine Reise in sein nasses grab antrat. „Die Leute tun mir leid.“, sagte „Ginger“ Boyle. 164 „Es waren Feinde, Sir.“ „Für unsere Regierung vielleicht. Für mich sind es Menschen. Von denen hat keiner unserem Land oder unseren Familien jemals etwas Böses getan. Der Kommandant von „Fürst Bismarck“ war genauso ein Befehlsempfänger, wie wir, Mr. Blake.“, sagte Captain Boyle. „Es herrscht Krieg, Sir. In einem Gefecht heißt es entweder wir oder der Feind. Ich persönlich ziehe „Wir“ vor. Ich habe Frau und Kinder zu Hause. Ich möchte wieder nach Hause kommen, und nicht so enden, wie die Männer auf „Fürst Bismarck“.“ „Ich habe auch Frau und Kinder, Mr. Blake. Und glauben sie bloß nicht, die armen Kerle auf dem deutschen Kreuzer hätten keine Familien. Ich möchte nicht in der Haut des Mannes stecken, der den Hinterbliebenen diese schreckliche Nachricht überbringen muss.“, sagte William Boyle. An Bord von „Friedrich der Große“ Kapitän zur See Theodor Fuchs fühlte Trauer in seinem Herzen. Er trauerte um die Männer, die dem Panzerkreuzer in sein nasses Grab gefolgt waren. Wie versteinert stand er auf der Backbordnock und starrte hinüber zu der Stelle, an der gerade „Fürst Bismarck“ gesunken war. Er dachte an Eduard Bartels, mit dem er am Abend zuvor noch in seiner Kabine zusammengesessen und ihm noch zur Geburt seiner jüngsten Tochter gratuliert hatte. „Die kleine wird ihren Vater nie kennenlernen.“, dachte er. Das Gefecht ging weiter. Eine weitere 30,5-cm-Granate von „Friedrich der Große“ traf die Glorious und riss ein Loch in die Bordwand. Daraufhin bekam Kapitän Meaney bekam vom Kommandanten der Hood einen Funkspruch per Flaggensignal. „Anfrage, ob wir es bis zu den Falkland-Inseln schaffen.“, sagte er zu seinem ersten Offizier. „Was sollen wir antworten?“ „Antwort: „Ich schaffe auch Plymouth, wenn befohlen.“ Die Antwort auf Meaney Nachricht folgte prompt. „Entlassen, Falklands. Gute Fahrt.“, lautete die Nachricht der Hood. Der große leichte Kreuzer Glorious ging auf Südkurs. Wegen der Schäden konnte die Glorious statt 31,6 Knoten nur 17 Knoten laufen. Berlin, Admiralität, Deutschland, 19. Juli 1916, 12:20 Uhr Ortszeit Großadmiral Alfred von Tirpitz war gerade von einer Unterredung mit seiner Hoheit Kaiser Wilhelm II. zurückgekehrt. Der Kaiser war ziemlich ungehalten darüber, wie der Krieg für das deutsche Kaiserreich verlief. Denn nach der 165 Versenkung der Lusitania, im Mai des vergangenen Kriegsjahres, und den damit hervorgegangenen Negativschlagzeilen, sah sich die kaiserliche Marine dazu gezwungen, auf den Einsatz ihrer U-Boote zu verzichten. Das hatte zur Folge, dass die Alliierten ungestört neue Munition und neue Soldaten an die Front schicken konnten. Außerdem hatte sich die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten zugunsten der Alliierten gewendet. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die USA an der Seite der Alliierten, England, Frankreich und Russland in den Krieg eintreten würden. Alfred von Tirpitz saß gerade an seinem Schreibtisch und fasste einen Brandbrief an seinen ärgsten Rivalen, den Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg ab, in dem er ihn aufforderte, seinen Widerstand gegen die Wiederaufnahme der deutschen U-Boot-Angriffe auf alliierte Truppentransporter und Versorgungsschiffe, endgültig aufzugeben, als es an der Tür seines Büros klopfte. „Treten Sie ein, Lembke.“, sagte Alfred von Tirpitz. Tirpitz persönlicher Adjutant, Martin Lembke trat ein. Seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, verhießen die Nachrichten, die er brachte nichts Gutes. „Was gibt es Lembke?“, fragte von Tirpitz. „Eine Nachricht von der „Elsass“, Admiral.“ „Gute oder schlechte Neuigkeiten?“, fragte der Großadmiral. Sein Adjutant war um eine Antwort verlegen, weshalb Alfred von Tirpitz mit der flachen Hand auf den Tisch schlug. „Um Himmels Willen, nun reden sie schon Lembke!“, sagte er. „Admiral… Der Kapitän der „Elsass“ meldet,… dass wir unseren Panzerkreuzer „Fürst Bismarck“ verloren haben.“ „Soll das heißen, dass das Schiff gesunken ist?“, fragte Alfred von Tirpitz ungläubig. „Jawohl, Admiral. Eine 34,3-cm-Granate der HMS Orion… hat die Munitionskammer von „Fürst Bismarck“ getroffen.“ „Überlebende?“, fragte der Flottenchef. „Nein, Admiral. „Fürst Bismarck“ ist mit Mann und Maus gesunken.“ „Wie sieht es auf der Gegenseite aus?“, fragte Alfred von Tirpitz. „Unser Großlinienschiff „Friedrich der Große“ hat den englischen Kreuzer Glorious ziemlich übel zugerichtet. Der Schlachtkreuzer Repulse wurde nur leicht beschädigt und die Orion hat auch nur leichte Schäden davongetragen. 166 Aber unser Linienschiff „Großer Kurfürst“ wurde ziemlich schwer beschädigt.“ „Das sind wirklich keine guten Nachrichten. Was ist mit der Glorious?“, hakte der Admiral nach. „Sie ist nach einem kurzen Nachrichtenaustausch mit dem englischen Schlachtkreuzer Hood nach Süden abgedreht.“ An Bord der Glorious Die Nacht war hereingebrochen. Da der Treffer von „Friedrich der Große“ die Brücke komplett zerstört hatte musste Kapitän Meaney sich anhand der Sterne orientieren. Außerdem musste er tagsüber mit Sextant und anderen Methoden aus der Ära der Segelschiffe das Schiff navigieren. Und das war schwerer als gedacht. Außerdem gab es immer wieder Meldungen über feindliche U-Boote in diesen Gewässern. Ihnen galt es auszuweichen. Der leitende Ingenieur, Phil Taylor kam zu ihm. Kapitän Meaney musterte ihn aufmerksam. Phil Taylor war ein 1,92 m großer Mann mit einem ovalen Gesicht und stechenden braunen Augen. Das wohl auffälligste an diesem Kerl war der ziemlich dicke Bauch, den Phil Taylor mit einem blauen Unterhemd verdeckte. Die braunen Haare waren vom Schweiß durchzogen, aber dennoch adrett zurückgekämmt. Seinen braunen Vollbart hatte der leitende Ingenieur leicht gestutzt. Die Nase des Mannes hätte Colin Meaney als guten Durchschnitt bezeichnet. Sein Unterhemd und auch das Gesicht von Phil Taylor waren mit Öl verschmiert. Auch seine Hände wären vom Öl ganz dreckig. Der LI der Glorious hielt einen roten Stofflappen in den Händen, mit dem er sich die Hände abwischte. „Was gibt es, Mr. Taylor?“ „Schlechte Neuigkeiten, Captain.“, antwortete Phil Taylor mit einer tiefen Bassstimme. „Wie schlecht?“ „Miserabel, wenn man es genau nimmt. Das Lager von Turbine 2 fängt an heißzulaufen. Und ich kann nur dann eine Reparatur vornehmen, wenn wir die Turbine vorübergehend stilllegen.“, sagte der Leitende Ingenieur der Glorious. „Wie viel würden wir an Geschwindigkeit verlieren?“ „6 Knoten mindestens, Sir. Wenn wir Pech haben, sogar 8.“, sagte Phil Taylor. „Ich kann nichts versprechen. Aber ich werde versuchen einen Platz zu finden, wo wir ankern und die Turbine reparieren können.“ „Dann finden sie diesen Platz besser schnell. Denn wenn sich das Lager festfrisst sitzen wir ganz schön in der Scheiße, Captain.“, sagte der LI. 167 Der leicht gereizte Unterton in der Stimme des leitenden Ingenieurs war nicht zu überhören. Colin Meaney seufzte schwer. „Wenn wir die Geschwindigkeit drosseln, dann riskieren wir, dass uns ein feindliches U-Boot vor die Torpedorohre nimmt.“ „Ich weiß nur eines, Sir. In zwei Tagen kann ich nicht mehr dafür garantieren, dass uns die Turbine nicht um die Ohren fliegt.“, sagte Phil Taylor wütend. „Ich nehme ihre Bedenken zur Kenntnis, Mr. Taylor.“ „Sie sollten meine Warnung besser ernst nehmen, Sir. Ich sage ihnen das in aller Deutlichkeit, in zwei Tagen kann ich für die Sicherheit dieses Schiffes nicht mehr garantieren. Wenn uns Turbine 2 um die Ohren fliegt, dann geht das auf ihre Kappe, Sir.“, sagte Phil Taylor und ging zurück in den Maschinenraum. Sankt Petersburg, Admiralität, Russland, 20. Juli 1916, 4:00 Uhr Ortszeit Die SLAWA war in den Hafen eingelaufen. Kapitän Borodin hatte nach dem Festmachen sofort das Schiff verlassen und war sofort zum Newski-Prospekt gefahren, wo sich der Sitz der russischen Admiralität befand. Nun stand er im Büro von Admiral Alexander Wassiljewitsch Koltschak. Der Flottenchef forderte ihn auf, sich zu setzen. „Was können sie mir berichten, Kapitän Borodin?“, fragte der Admiral. „Wie ich schon in meinem Funkbericht mitgeteilt habe, haben wir das Wrack der DIANA gefunden und den LI gerettet.“ „Das weiß ich schon alles. Mich interessiert, was der Leitende Ingenieur von DIANA ihnen noch gesagt hat.“, sagte der Flottenchef. „Er hat mir verraten, dass der zweite Offizier von DIANA, Jewgeni Moskrovnovitch neben ihm als einziger überlebt hat. Die anderen sind leider beim Untergang ums Leben gekommen.“ „Hat er sonst noch etwas gesagt?“, fragte der Admiral. „Er sagte, dass Jewgeni an den Strand einer Insel gespült wurde.“ „Einer Insel?“, fragte Alexander Koltschak ungläubig. „Einer Insel.“ Mit diesen Worten stand Kapitän Borodin auf und markierte an der großen Weltkarte an der Wand die Position des Wracks der DIANA und zeichnete das Riff noch dazu. 168 An Bord der Glorious Es war Mittag, als die Glorious die äußeren Ausläufer des Riffs, das Oamaru umgab erreichte. Kapitän Meaney suchte nach einem sicheren Ankerplatz um die dringend notwendige Reparatur von Turbine 2 vornehmen zu können. Doch er hatte sich gründlich verschätzt und war mit seinem Schiff zu nah an die Felsen herangefahren. Ein gewaltiger Ruck lief durch den Kreuzer, als die Glorious auf die Felsen auflief. Kapitän Meaney ließ sofort die Rettungsboote klarmachen. Doch das Gefecht hatte die meisten davon unbrauchbar gemacht. Nur ein einziges war noch intakt. Und in diesem befand sich Phil Taylor, der leitende Ingenieur. Er hob die Hand an die Schläfe und grüßte. Der Kommandant der Glorious erwiderte den Gruß. „Viel Glück, Mr. Taylor. Ich hoffe, dass sie es noch heil nach Hause schaffen.“, sagte er noch. „Danke, Sir. Ihnen auch alles Gute.“ Es sollte das letzte Mal sein, dass Phil Taylor den Kapitän lebend sah. Denn als das Boot auf dem Wasser aufsetzte, war ein lautes Kreischen zu hören, als die Glorious in zwei Teile zerbrach. Die Insassen begannen zu pullen, was das Zeug hielt, denn sie ahnten, welch tödliche Folgen der entstehende Sog haben konnte. Phil Taylor, als ranghöchster Offizier, hatte das Kommando inne. „Sie sinkt!“, rief ein Matrose. Phil Taylor drehte sich um, und sah das Heck der Glorious in den Fluten versinken. Der Bug folgte als nächstes. Für einen Augenblick konnte der leitende Ingenieur seinen Blick nicht von der Untergangsstelle des Kreuzers abwenden, auf dem er 4 Jahre lang gedient hatte. Doch dann holte ihn ein starker Ammoniakgeruch zurück in die Realität. „Haben sie was verschüttet, Mr. Adams?“, fragte er einen Matrosen. „Nein, Sir. Sie riechen es also auch?“ „Sonst hätte ich nicht gefragt, Mr. Adams.“, sagte Phil Taylor. Ein anderer Matrose meldete sich zu Wort. „Sir, es gibt eine Kreatur in den Ozeanen, die einen solchen Ammoniakgeruch verbreitet.“, sagte der Matrose. Phil Taylor wurde stutzig. „Und welches Tier soll das sein?“, fragte er dann. „Ein Riesenkalmar. Lateinische Bezeichnung Architeuthis dux.“ 169 „Sie scheinen sich ja mit der Materie auszukennen, Mr. Briggs.“, sagte Phil Taylor. „Ich hatte Biologie im Hauptfach, Sir.“ Kaum hatte der Matrose seinen Satz beendet, da wurde das Boot angehoben und auf den Kopf gestellt. Phil Taylor fiel ins Wasser. Doch als er wieder auftauchte, war die See um ihn herum ein Inferno. Ein Tentakel tauchte aus dem Wasser auf, packte den Biologiestudenten und zog ihn unter Wasser. Phil Taylor fing an zu schwimmen. Er wollte einfach nur noch weg. Er wusste, dass er den anderen nicht mehr helfen konnte. Ein lautes Krachen ertönte und der ehemalige leitende Ingenieur der Glorious sah Trümmerteile des verbliebenen Rettungsbootes durch die Luft fliegen. Ein Rumpfteil klatschte vor ihm ins Wasser. Phil Taylor schwamm darauf zu und klammerte sich daran fest. Eine Welle trug den Mann aus Inverness über das Riff, direkt in die Lagune dahinter. Phil Taylor zog sich ganz aus dem Wasser, als er sah, wie mehrere Dreiecksflossen die Wasseroberfläche durchbrachen. Er wusste, dass waren Haie. Doch als der Kopf eines weißen Hais mit weit aufgerissenem Maul unmittelbar neben ihm aus dem Wasser auftauchte, bekam es Phil Taylor mit der Angst zu tun, obwohl er ein Mann war, der sich vor nichts fürchtete. Es war Abend, und die Sonne begann am Horizont unterzugehen. Phil Taylor lag am Strand und atmete. Er versuchte aufzustehen, doch seine Beine versagten ihm vorerst den Dienst. Der Mann aus Inverness versuchte es erneut, und dieses Mal schaffte er es aufzustehen. Mit taumelnden Schritten ging er den Strand hinauf, bis er an die Grenze zwischen Ufer und dem Landesinneren gelangte. Phil Taylor hatte schon mehr als einmal Schiffbruch erlitten, und wusste, welche Gefahren ihn auf dieser Insel erwarten konnten. Also zog er sein Überlebensmesser, dass er immer in einer wasserdichten Hülle, an seiner Wade befestigt, mit sich führte, und fing an, aus Palmwedeln ein Gerüst zu bauen. Dann folgten der Boden und die Wände. Phil Taylor kletterte auf seinen Unterstand für die Nacht und legte sich schlafen. Doch so richtig wollte sich der Schlaf nicht einstellen. Der Schotte wand sich unruhig hin und her. Denn jedes Mal, wenn er im Begriff war einzuschlafen, erschienen vor seinem geistigen Auge die Bilder des Riesenkalmars und des Hais, der ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Doch irgendwann schlief Phil Taylor endlich ein. Am nächsten Morgen, die Sonne fing gerade an, am Horizont aufzugehen, vernahm der ehemalige leitende Ingenieur der Glorious Stimmen, die sich seinem Lager näherten. „Wer ist das?“, fragte eine Männerstimme. „Weiß ich auch nicht. Aber wir sollten vorsichtig sein. Wir wissen nicht, ob er gefährlich ist.“ 170 Kurz darauf hielt jemand einen Speer vor Phil Taylors Nase. Diesem war klar, dass der Mann, der mit dem Speer auf seine Brust zielte, auch nicht davor zurückschrecken würde, von der Waffe Gebrauch zu machen. Phil Taylor blieb regungslos liegen und starrte auf den Speer. Doch dann tauchte aus dem Nichts eine Frau auf. Noch sah er sie nicht, aber er hörte ihre Stimme. „Genug! Thorvald, nimm den Speer weg!“, befahl sie. Phil Taylor hatte keinen Zweifel daran, dass diese Frau es gewohnt war, dass man ihr gehorchte. Der Soldat richtete sich auf und zog den Speer zurück, so dass der Schotte sich zumindest mal aufsetzen konnte. Dann trat die Frau in sein Blickfeld. Phil Taylor musterte die Frau aufmerksam. Sie war 1,56 m groß und hatte einen schlanken Körper, wie ihn kein Bildhauer hätte besser gestalten können. Das ovale Gesicht mit den wunderschönen braunen Augen und diesen wunderschönen Lippen faszinierte den Schiffbrüchigen. Die Nase, nicht zu dünn und nicht zu dick fügte sich harmonisch in dieses hübsche Gesicht ein. Die braunen Haare trug die Unbekannte vorne Kurz und hinten über die Schulter fallend. Um den Hals trug sie einen Anhänger mit einem Stoffband und einem Herz aus purem Gold. Bekleidet war die Frau mit einem figurbetonenden roten Minikleid mit Pailletten und rot-schwarzen Sandaletten mit silbernen Ornamenten. Auf dem Kopf trug sie ein goldenes Diadem mit Diamanten besetzt. Phil Taylor ahnte sofort, dass er einer Person gegenüber stand, der man besser den ihr zustehenden Respekt entgegen brachte. So weit es seine Kräfte noch zuließen, ging er auf die Knie und verneigte sich. „Du kniest vor niemandem nieder.“, sagte die fremde Frau. Nur mühsam konnte sich der leitende Ingenieur der Glorious wieder auf die Beine stemmen. Der Soldat, Thorvald, der Phil Taylor mit dem Speer bedroht hatte wandte sich nun an die Frau. „Wäre es nicht besser, ihn zu fesseln, und vorübergehend im Verließ eures Palastes unterzubringen?“, fragte er. „Auf gar keinen Fall. Dieser Mann ist mein Gast. Wenn du auch nur ein einziges Mal Hand an ihn legst, hat das furchtbare Konsequenzen für dich.“ „Wie ihr wünscht, meine Königin.“, sagte Thorvald. Phil Taylor staunte nicht schlecht, als er hörte, dass er einer Königin gegenüberstand. Doch er konnte sein Staunen aber geschickt unterdrücken. Der Mann aus Inverness wollte erneut auf die Knie gehen, doch die Königin hielt ihn zurück. „Ich sagte doch, dass du vor niemandem mehr niederkniest. Du bist mein Gast. Willkommen auf Oamaru.“, sagte sie. Phil Taylor wollte zu einer dankenden Antwort ansetzen, doch ein Kloß 171 Bildete sich in seinem Hals, Er wusste einfach nicht, wie er mit seiner Gastgeberin sprechen sollte, ohne sie zu beleidigen. Also nickte er stumm, was der Königin ein charmantes Lächeln entlockte. Doch im Gegensatz zu seiner Herrin, die diese abwertende Geste verzieh, stellte das Nicken in Thorwalds Augen eine Majestätsbeleidigung dar. Der Soldat nahm eine Peitsche, die am Sattel seines Pferdes hin. Damit wollte er Phil Taylor den nötigen Respekt gegenüber der Königin einprügeln. Fast hätte der erste Peitschenhieb Phil Taylor erwischt. Doch er einzige Überlebende des Untergangs von HMS Glorious hatte den Angriff aus dem Augenwinkel kommen sehen. Geistesgegenwärtig fing der den Hieb ab, indem er das Ende der Peitsche mit der bloßen Hand auffing. Ein kurzer Ruck und Thorvald wurde nach vorn gezogen ehe es für ihn einen Schlag ins Gesicht setzte. Ein weiterer Soldat griff mit seiner Peitsche an, doch Phil Taylor hatte inzwischen einen Ast aufgenommen, mit dem er den Peitschenhieb abfangen konnte. Der Mann zerrte an der Peitsche, doch der Gast der Königin ließ einfach den Ast los und dieser traf den Soldaten mitten ins Gesicht. Thorvald griff wieder an, doch der Schotte packte ihn am Handgelenk und drückte die Faust zurück, sodass Thorvald sich selbst schlug. Ein dritter Soldat hatte inzwischen den Ast aufgenommen und damit nach Phil Taylor geschlagen. Doch dieser hatte sich geduckt. Als Antwort gab es eine Schelle links, dann eine Schelle rechts, bevor der Mann aus Inverness dem Mann einen Stoß vor den Kopf verpasste. Doch noch im Fallen sprang ein vierter Soldat von den Gardisten, die die Königin begleitet hatten, über seinen Kameraden und schaffte es, Phil Taylor einen Schlag ins Gesicht zu verpassen, ehe es eine Schelle links gab. Ein weiterer Schlag in Phil Taylors Gesicht und eine Schelle rechts, dann gab es für den Mann einen Dampfhammer auf den Kopf. Thorvald hatte inzwischen seinen Säbel gezogen und stürmte auf Phil Taylor zu. „Jetzt bist du dran! Jetzt bist du dran!“, rief er. Doch der Mann aus Inverness nahm ihm die Waffe aus der Hand. „Nicht bei mir.“, sagte er und brach die Klinge des Säbels in drei Teile. Einem weiteren Soldaten entriss Phil Taylor seinen Säbel und warf ihn Thorvald zu. „Hier, halt mal.“, sagte er dann. „Mach ich.“ Doch Thorvald bekam einen Schlag ins Gesicht, als er den Säbel gefangen hatte. Dabei geriet er ins Taumeln und knallte mit dem Kopf gegen den Stamm einer Kokospalme. Drei Kokosnüssel fielen von oben herab und prallten auf Thorvalds Kopf. Der Mann aus Inverness packte ihn am Kragen seines Kettenhemds und zog ihn nach vorne. 172 „Es gibt noch mehr.“, sagte er, als eine vierte Kokosnuss von oben kommen sah. Wieder griff ein Soldat ein, bewaffnet mit einem Bambusstock. Phil Taylor verpasste ihm damit einen Stoß vor die Brust und der Mann fiel nach hinten. Doch zwei weitere Soldaten griffen sich den Stock und versuchten, ihn nach hinten zu ziehen. „Na was jetzt? Stemmen oder Stoßen?“, fragte Phil Taylor, ehe er den Bambusstab mit den beiden Soldaten hochhob. Dann drehte er sich um die eigene Achse und schleuderte die beiden Gardisten zur Seite weg. Doch im nächsten Augenblick schlugen ihm zwei Soldaten ins Gesicht. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Für die beiden setzte es zwei Schläge auf den Hinterkopf. Wieder griff ein Soldat mit dem Bambusstab an. Doch der Schotte fing den Schlag und drückte den Stab nach unten und stieß ihn dem Soldaten ins Gesicht. Thorvald kam von hinten. Doch Phil Taylor drehte sich zu ihm um. Er fing zwei Schläge ab und sagte: „Du gehst mir auf die Nüsse!“ Dann setzte es für Thorvald eine doppelte Ohrschelle. „Ich finde, es reicht jetzt!“, sagte die Königin streng. Thorvald wollte schon den Befehl erteilen, Phil Taylor festzunehmen, da grätschte ihm seine Herrin erneut dazwischen. „Wenn ich mich recht entsinne, hab ich dir doch vorhin untersagt, die Hand an meinen Gast zu legen. Du hast dich meiner Anordnung widersetzt, Thorvald. Du weißt, welche Strafe bei mir für Ungehorsam gilt.“, sagte sie kalt. „Ja, ich weiß. Bei Ungehorsam wird man mit dem Tod bestraft.“ Die Königin seufzte. „Wäre dies das erste Mal gewesen, dass du mir gegenüber Ungehorsam gezeigt hast, hätte ich es bei einer Verwarnung belassen. So aber bleibt mir keine andere Wahl. Gleich morgen früh wird über dich gerichtet werden.“, sagte die Königin, deren Namen Phil Taylor immer noch nicht kannte. Dann befahl die Königin ihren Soldaten, sie in den Palast zurückzubringen. Thorvald wurde gefesselt und auf sein Pferd gehoben. Phil Taylor ging auf ihren Wunsch neben ihr. Eine Zeitlang sagte keiner ein Wort. Doch es war die Königin, die schließlich das Schweigen brach. „Wie ist dein Name, Fremder?“, fragte sie schließlich. „Phil Taylor. Und wer ist meine liebreizende Gastgeberin?“ „Ich bin Königin Jelena. Die erste Königin auf Oamaru.“, sagte Jelena. 173 „Die erste?“ „Ja. Außer mir regieren hier noch meine Schwester Eliska und meine Cousinen Shakira und Wioletta.“, sagte Königin Jelena. „Verstehe.“ „Woher kommst du?“, wollte Jelena wissen. „Aus Inverness, Hoheit.“ „Gehört das zu Großbritannien?“, fragte die Königin. „Ja. Warum fragt ihr?“ „Iduna sei Dank.“, sagte Jelena. Phil Taylor stutzte. „Wer ist Iduna?“, fragte er Jelena. Doch ihre Antwort war alles andere als zufriedenstellend. „Das erfährst du, wenn wir im Palast sind.“, sagte sie nur. Der Mann aus Inverness beschloss, es vorerst auf sich beruhen zu lassen. Als es Mittag wurde, erreichte die Gruppe Jelenas Palast. Phil Taylor bewunderte das eindrucksvolle Gebäude Mit den vielen großen Fenstern. Die Außenfassade des Haupteingangs war ebenso imposant. Auffällig waren die beiden Türme im gotischen Stil mit dem riesigen Rosettenfenster in der Mitte. Den Haupteingang bildete eine halbkreisförmig angeordnete Säulenreihe mit Ziegeldach. Links und rechts führte eine Treppe aus weißem Marmor und geschmiedeten verschnörkelten Treppengeländern nach oben. Ein großzügig angelegter Garten ergänzte das Gesamtbild der Eingangsbereichs von Jelenas Palast. Die Königin führte Phil Taylor ins Gebäude. Sie wies ihre Dienerinnen an, ihren Gast in eines der Badezimmer zu führen. Sie selbst verschwand in ihren privaten Gemächern. Phil Taylor sah ihr nach. „Sie ist wirklich attraktiv“, dachte er. Doch die Stimme einer Dienerin holte ihn in die Realität zurück. „Wäre der Fremde so freundlich, mit uns zu kommen?“, fragte sie freundlich. Phil Taylor nickte. „Hier entlang, Fremder.“, sagte die Dienerin und ging voran. Der Mann aus Inverness folgte ihr. Jelenas Dienerin führte den Schotten einen langen Flur entlang, bis sie vor einer großen Doppeltür standen. Die 174 Dienerin öffnete eine Tür und geleitete Phil Taylor in einen riesigen Saal mit marmornen Wänden. In der Mitte des Raumes befand sich ein rundes Becken. Die Dienerinnen verneigten sich kurz. „Wir lassen dich jetzt allein. Dann kannst du ungestört baden.“, sagte die eine. Danach schloss sich die Tür. Phil Taylor entkleidete sich und testete mit dem Fuß die Temperatur des Wassers. Dann stieg er in das Becken. Er war so damit beschäftigt, nach Seife und Waschlappen zu suchen, dass er nicht merkte, wie sich eine Seitentür öffnete. Königin Jelena betrat den Raum, bekleidet mit einem roten Bademantel aus purer Seide. Erst als sie ihn mit einem Rascheln fallen ließ, nahm Phil Taylor wahr, dass er nicht alleine im Raum war. Dann trat die Königin in sein Blickfeld. Nackt, wie Gott sie geschaffen hatte, setzte sie sich an den Rand des Beckens und schlug lasziv ihre Beine übereinander. „Was dagegen, wenn ich dir Gesellschaft leiste?“, fragte sie. „Tut ihr das nicht schon?“ Königin Jelena lachte. „Ich glaube, wir haben aneinander vorbeigeredet. Ich meinte, ob ich dir im Becken Gesellschaft leisten darf.“, sagte sie. „Ich dachte… dass eine Königin… gar nicht um Erlaubnis fragen braucht.“ Phil Taylor fühlte sich unwohl. Nervös rieb er sich den Nacken. Im Grunde genommen, so gestand er sich ein, kannte er die erste Königin Oamarus gar nicht. Vor ein paar Stunden waren sie sich am Strand das erste Mal begegnet. Und schon da hatte Jelena ihn geduzt, anstatt einen förmlichen Ton walten zu lassen, wie er es tat. Das verwirrte ihn. „Offenbar mag sie mich.“, schoss es Phil durch den Kopf, „denn weshalb sollte sie sonst ihre schützende Hand über mich halten?“ Und noch etwas musste sich Phil Taylor eingestehen. Er hatte zwar schon oft eine nackte Frau gesehen, wenn er auf Landgang in einem Freudenhaus eingekehrt war, aber keine war so eine wunderschöne Frau, wie Königin Jelena. „Sie scheint eine Frau zu sein, die sich ihrer Weiblichkeit und ihrer Attraktivität durchaus bewusst ist.“, dachte er. Die Königin merkte, wie nervös Phil Taylor war. „Ist alles in Ordnung? Du scheinst etwas durcheinander zu sein.“, sagte sie sanft. „Nun ja,… Ihr seid eine… eine Königin. Solltet ihr da nicht… auf die… Etikette achten?“ Erneut lachte Jelena. Dann stützte sie sich am Rand des Beckens ab und ließ sich ins Wasser gleiten. Und ehe Phil Taylor es sich versah, war sie bei ihm und sah ihn aus ihren braunen Augen liebevoll an. Mit dem was als nächstes geschah, rechnete Phil Taylor am allerwenigsten. Denn Jelena legte ihren rechten Arm um seinen Nacken, den linken um seinen Rücken und küsste 175 ihn. Er erwiderte den Kuss. Als sich ihre Lippen voneinander lösten, sah die Königin, wie ihr Gast vor Verlegenheit ganz rot wurde. Sie schenkte ihm das schönste Lächeln zu dem sie fähig war. Doch dann wurde sie ernst. „Ich will eine Sache ein für allemal klar stellen. Das hier ist mein Haus. Und hier gelten meine Regeln. Du bist zwar mein Gast, aber du bist kein Diplomat, sondern einfacher Mann, der an unserer Küste gestrandet ist.“, sagte sie. „Solltet ihr…“ Weiter kam Phil Taylor nicht, denn Jelena legte ihm den Zeigfinger ihrer linken Hand an die Lippen. „Die Etikette wahren? Wolltest du das sagen?“, fragte sie. Er nickte. Erneut lächelte die Königin. „Wir beide brauchen uns nicht an die Etikette zu halten. Wir sind allein. Außer uns beiden ist niemand hier. Wir können ganz ungezwungen miteinander reden, ohne das uns jemand belauscht.“, sagte Jelena. „Die Frage ist nur… wo anfangen.“ „Du wolltest doch am Strand wissen, wer Iduna ist.“, sagte Jelena. „Das stimmt.“ „Iduna ist unsere oberste Göttin. Sie schützt nicht nur die Kleeblattinsel, sondern auch die Inseln, die sie umgeben.“, sagte Jelena. „Kleeblattinsel?“ „Ja. So wird Oamaru auch genannt.“, sagte Jelena. Dann zeichnete sie mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand ein vierblättriges Kleeblatt auf den Beckenrand. Schließlich wandte sie ihr Gesicht wieder Phil Taylor zu. „Jedes der Kleeblätter steht für ein Königreich.“, erklärte sie ihm. „Und er regiert den Stängel?“ „Einst war es Tosh Kamars Reich. Heute lebt dort niemand mehr.“ „Tosh Kamar? Wer ist das?“ „Ein böser Herrscher. Er wollte die Kontrolle über die Quelle erlangen, die sich im Zentrum der Insel befindet. Wir haben ihn damals verbannt. 176 Doch er kehrte wieder zurück. Am Tag seiner Rückkehr hat er einen Fluch über diese Insel verhängt. Seitdem leben wir in Furcht vor ihm.“, sagte Jelena. „Ich verstehe nicht ganz, Jelena.“ „Beim Abendessen erzähle ich dir mehr.“, sagte die Königin. Es war 18:00 Uhr, als Phil Taylor von Jelenas Dienerinnen in den Speisesaal geführt wurde. „Seine Majestät kommt gleich.“, sagte eine Dienerin. Nur kurze Zeit später erschien Jelena. Dieses Mal trug sie ein dunkelblaues eng anliegendes Kleid, das eine Schulter frei ließ, während die andere bedeckt war. Auf dem Kleid waren drei Fäden aus Silber und drei aus Gold eingenäht. Dazu trug die Königin dunkelblaue Schuhe mit flachen Absätzen. Der einzige Überlebende des Untergangs der Glorious wollte sich ans andere Ende des Tisches setzen, doch die erste Königin Oamarus hielt ihn zurück. „Ich wünsche, dass du den Platz zu meiner Linken einnimmst, Phil.“, sagte sie. Der Schotte setzte sich auf den ihm zugewiesenen Platz. „Verstößt du damit nicht schon wieder gegen die Etikette, Jelena? Ich meine…“ Doch weiter kam der Mann aus Inverness nicht. Denn Jelena legte ihm eine Hand auf die Lippen. „Du und deine Etikette. Warum willst du dich immer daran halten? Hier auf Oamaru und speziell in meinem Haus gelten andere Gesetze. Ich mag dich, und deshalb nehme ich es mit den Konventionen nicht so genau. Obwohl sie durchaus angebracht wären.“, sagte sie dann. „Was ist mit Tosh Kamar und seinem Fluch?“ „Tosh Kamar hat einen Fluch über Oamaru verhängt. Wenn unser aller Heiligtum nicht binnen 5.000 Monden wieder in den Tempel zurückgebracht wird, dann wird sein Riesenkalmar aus den Tiefen des Ozeans auftauchen und diese Insel in die Tiefe ziehen.“, beantwortete Königin Jelena Phil Taylors Frage. „Was für ein Heiligtum ist das?“ „Ein Feueropal.17 cm lang, 10 cm breit und er hat einen Durchmesser von 16 cm. Eine Bande Piraten hat ihn am 15. Mai 1712 gestohlen. Tosh Kamar hat ihnen dabei geholfen.“, sagte Jelena. „Und was hat das mit mir zu tun, Jelena?“ „Du bist einer der vier Auserwählten, die den Feueropal wieder 177 zurückbringen sollen. James Beatle, dein Vorfahr war ein Mitglied des Landungstrupps, der den Opal gestohlen hat. In deiner Tasche, die du die ganze Zeit mit dir herumträgst, befinden sich seine Aufzeichnungen und ein Teil der Karte, die das Versteck des Opals zeigt.“, sagte Jelena. „Und wer sind die anderen?“ „Zwei sind schon hier. Der eine ist Dirk Hemmler. Er ist Deutscher und war Heizer auf dem großen Kreuzer Goeben. Der andere ist Jewgeni Moskrovnovitch. Er war der zweite Offizier auf dem geschützten Kreuzer DIANA. Er ist der Russe. Der vierte im Bunde ist ein Schwede. Aber frag nicht nach seinem Namen.“, antwortete Jelena. Phil Taylor wurde nervös. Denn er stand an einem Scheideweg. Auf der einen Seite wollte er nicht, dass Jelena und ihre Insel für immer im Meer versanken. Denn, so musste er sich eingestehen, er liebte die Königin. Auch wenn es die gesellschaftlichen Regeln nicht erlaubten. Aber auf der anderen Seite befand sich die Welt außerhalb der Insel im Krieg. Und einer der anderen Überlebenden war ein Feind. Und er war seinen Vorgesetzten gegenüber immer noch zu Treue und Loyalität verpflichtet. Wie sollte er sich entscheiden? Für die Liebe? Oder für die Pflicht gegenüber seiner Heimat? Die erste Königin Oamarus bemerkte diesen Umstand. „Bedrückt dich etwas, Phil?“, fragte sie besorgt. „Ich steh vor einer folgenschweren Entscheidung.“ „Was ist los? Du kannst mit mir über alles reden.“, sagte Jelena. „Ich muss meine Wahl treffen.“ „Und zwischen was musst du wählen?“, fragte die Königin. „Zwischen dir und meiner Heimat.“ Jelena sah Phil Taylor fragend an. „Auf der einen Seite will ich nicht, dass du und die anderen ein nasses Grab findet. Auf der anderen Seite herrscht Krieg und ich bin meiner Heimat gegenüber dazu verpflichtet sie zu schützen.“ „ Das versteh ich nicht, Phil. Du sprichst in Rätseln.“, sagte Jelena. „Wenn du stirbst, würde ich mir das nie verzeihen. So wie dich habe ich noch keine andere Frau geliebt.“ Jelena wurde warm ums Herz. „Du liebst mich?“, fragte sie mit Tränen in den Augen. 178 „Ja, Jelena. Ich liebe dich.“ Phil Taylor spürte, wie ihm eine tonnenschwere Last von der Seele fiel. Die ganze Zeit hatte er dieser Frau sagen wollen, dass er sie liebte, aber er hatte es nicht übers Herz gebracht. Nun hatte er den Mut gefunden, es ihr zu sagen. „Falls du es nicht bemerkt hast, Phil. Ich liebe dich auch.“, sagte Jelena. Nach dem Abendessen, das aus einem gemischten Salat, einer Tomatensuppe, gebratenem Hähnchen und einem selbstgemachten Erdbeerquark wollte Phil Taylor sich zurückziehen. Doch die Königin hatte andere Pläne. „Trinkst du noch ein Glas Wein mit mir?“, fragte sie. „Wenn du mich schon so charmant einlädst, sage ich garantiert nicht nein.“ Jelena ging voraus und führte den Schotten in die Bibliothek. Dort trat sie an eines der großen Fenster, das einen Block auf den Ozean gewährte. Sie nahm ein Glöckchen von ihrem Sekretär und klingelte damit. Nur kurze Zeit später erschien ein Diener. „Ihr habt geläutet, meine Königin?“, fragte er. „Bringe uns bitte zwei Gläser Port, Jean-Pierre.“ „Tres Oui, Hoheit.“, sagte der Diener und schloss die Tür hinter sich. Keine 10 Minuten später kehrte er mit zwei Gläsern portugiesischen Rotweins zurück. „Braucht ihr mich noch?“, fragte der Diener dann. „Nein. Du kannst dich zurückziehen.“ „Danke, meine Königin.“ Jelena reichte ihrem Gast ein Glas, dann sah sie wieder zum Fenster hinaus. „Wenn die Sonne anfängt unterzugehen, wird Tosh Kamars Riesenkalmar aus der Tiefsee auftauchen und die See in ein wildes Inferno verwandeln.“, sagte sie. „Du meinst, wie gestern, als ich hier ankam?“ „Ja, Phil. Der Riesenkalmar hat dich doch als einziger verschont, nicht wahr?“, sagte Jelena. „Das hat er. Die anderen hat er mit in sein Reich genommen. Ich werde ihre Angstschreie nie vergessen.“ In diesem Augenblick begann die Sonne unterzugehen und den Horizont 179 blutrot zu färben. „Wenn das Wasser sich vom Sonnenlicht rot färbt, dann erscheint er.“, sagte Jelena. Phil Taylor konnte nicht anders, als einen Arm beschützend um die Schulter der ersten Königin zu legen. Die Sonne war bereits zur Hälfte untergegangen, als sich die Fluten teilten, und der Riesenkalmar die Wasseroberfläche durchbrach. Wild schlug er mit seinen Tentakeln und seinen beiden Fangpeitschen auf das Wasser und brachte die See zum Brodeln. Nun wusste Phil Taylor, wie er sich zu entscheiden hatte. „Ich lasse dich nicht im Stich, Jelena. Und wenn es mich das Leben kosten sollte.“, sagte er. Die Königin hielt ihm ihre Hand vor den Mund. „Sag so etwas nicht, Liebling. Dich zu verlieren, würde mir das Herz brechen.“, sagte sie und weinte. 180 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)