Urisen von MAC01 ================================================================================ Kapitel 8: Mitgenommen ---------------------- "Und Jungs, was habt ihr heute noch so vor?", fragte Frau Honda am Frühstückstisch. "Hm, abhängen und entspannen und später wollten wir mit Freunden in einen Club oder ins Kino", antwortete Honda seiner Mutter, während er sein Rührei, dass sie heute zubereitet hatte, genoss. "Ist das heute?", kam es überrascht von Jonouchi. "Es ist Samstag, Kumpel", erwiderte Honda neckend. "Dann muss ich vorher noch mal schnell heim, Klamotten holen und so", meinte der Blonde und versuchte beiläufig zu klingen. "Dann lass uns gleich nach dem Frühstück los", schlug Honda vor, während Frau Honda ihre Stirn in Sorgenfalten legte. Der Blonde war in den letzten Jahren immer mal wieder überraschend zu Besuch gekommen, meist zierten irgendwelche blauen Flecken oder Schwellungen sein Gesicht oder hier und da hatte sie Blutergüsse an seinem Oberarm gesehen, die er unter dem T-Shirt zu verbergen suchte. Doch der junge Mann hatte immer recht deutlich signalisiert, dass er darüber nicht reden wollte. Die rote Wange vom Vortag war heller geworden und kaum noch zu sehen. "Ähm, ich geh gegen 18.00 Uhr schnell und treff dich und die anderen dann bei Burger World... wann wollten wir uns da treffen?", erwiderte Jonouchi abwiegelnd. "Gegen 21.00 Uhr", antwortete Honda und man konnte ihm anhören, dass ihm das nicht gefiel. "Werde pünktlich sein", meinte Jonouchi und grinste seinen besten Freund neckisch an. Nachdem sie den halben Tag gemeinsam auf der Play Cube gezockt hatten, hatte sich Jonouchi seine Klamotten, die Frau Honda gewaschen hatte, angezogen und war gegangen. Als er vor dem hohen Wohnhaus, in dem sein Vater und er lebte, ankam blickte er an der Fassade nach oben, bis er die Fenster ihrer Wohnung sah. Es war bereits dunkel, obwohl es erst halb sieben war, und aus der Wohnung kam kein Licht. Das war ein deutliches Indiz dafür, dass sein Vater nicht da war. Also überquerte Jonouchi hastig die Straße, stieg eilig die Treppen hinauf und bemühte sich so leise zu laufen, wie es ihm möglich war. Dann schloss er in Zeitlupe die Tür auf, um so wenig Geräusche wie möglich zu machen, und schlüpfte in die dunkle Wohnung. Er zögerte kurz, versuchte in die Dunkelheit zu lauschen, konnte aber nichts hören. Also wagte er es den Lichtschalter zu betätigen und das Licht einzuschalten. Zu seiner Erleichterung war die Couch leer. Ein riesiger Stein fiel von ihm und ließ ihn erleichtert aufatmen. Dann eilte er in die mit einem Vorhang abgetrennte Nische und stellte fest, dass sein Vater seine Wut an der Kommode abreagiert hatte. Die Schubladen waren auf das Bett geworfen und deren Inhalt verteilt worden, während die Kommode an sich zertrümmert an ihrem Platz lag. Sie zu betrauern, dafür hatte der Blonde keine Zeit. Er sammelte ein paar Sachen zusammen, eilte in das Badezimmer und zog sich um. Die saubere, kaum getragene Schuluniform, die er für den Nachhauseweg angehabt hatte, stopfte er in eine Sporttasche, so wie ein paar andere Klamotten. Dann tastete er unter seinem Bett nach dem kleinen, schwarzen Notizbuch und... fand es nicht. Sein Tasten wurde hektischer. Doch es war nicht da. Er durchsuchte das Chaos, doch nirgends war es zu finden. Leise fluchte er und raufte sich die Haare. Die Frage, ob sein Vater es möglicherweise gefunden haben konnte, ging ihm durch den Kopf, doch dann verneinte er die Möglichkeit. Wann hatte er das Buch das letzte Mal gesehen. Schließlich traf es ihn wie ein Blitz: Als die Stimme seines Vaters ihn vor zwei Wochen aus der Wohnung getrieben hatte, hatte er es in seine hintere Hosentasche seiner Schuluniform gesteckt und mitgenommen. War das tatsächlich schon zwei Wochen her? Es war nicht unüblich, dass er seine Einnahmen nicht immer zeitnah eintrug, daher hatte er es wohl die ganze Zeit nicht gemerkt. Aber wo war es nun? Es war nicht in der Tasche seiner Schuluniform und auch nicht in seinem Rucksack mit den Schulsachen... und hier schien es auch nicht zu sein. Hatte er das Notizbuch verloren? Nun ja, da sein Name nirgends in dem Buch stand und er mit Kürzel arbeiteten dürfte niemand aus dem Büchlein, der nicht wusste, um was es ging, Schlüsse ziehen können. Dennoch ging das mulmige Gefühl in seiner Magengegend nicht weg. Er stopfte alle seine Schulsachen in seinen Rucksack, nahm die Sporttasche, in der fast alle seine Sachen waren, und verließ die Wohnung wieder. Eilig lief er zum nahen Bahnhof, stieg die Treppe hinauf auf den Steg und wartete dort auf die Bahn. Als sie einfuhr stieg er ohne gelösten Fahrschein ein, denn er war total abgebrannt. Er konnte nur hoffen, dass kein Kontrolleur in der Bahn war. Tatsächlich schien er endlich mal Glück zu haben. Er stieg einmal um und kam schließlich am Bahnhof des Kommerz- und Verwaltungszentrums Dominos an. In diesem Viertel standen die höchsten Häuser der Stadt, unter anderem auch der alles überragende Kaiba Corp Tower. Er verließ den Bahnsteig und suchte im Untergeschoss die Schließfächer auf. In einer Ecke, in der gerade niemand war, stopfte er seinen Rucksack und die Sporttasche hinein und konnte die Tür mit einem Trick davon überzeugen, er hätte für zwei Tage Pfand eingeworfen. Also nahm er den Schlüssel und band ihn sich um das Fußgelenk unter seiner Hose. Jonouchi verließ den Bahnhof nicht auf der Seite des Kommerzviertels, in dem man von den zahlreichen Neonlichter, Reklametafeln und Werbebanner geblendet wurde, sondern auf der Rückseite. Was die wenigsten wussten war, dass dort ein sehr spezielles Vergnügungsviertel lag. Zahlreiche Schwulenclubs, -bars, -saunen, und -discos zierten die Straßen. Versuchten mit Sonderangeboten und Programme potentielle Kunden hinein zu locken. Immer wieder wurde die Straße links und rechts von Gassen gesäumt und in einer dieser Gassen bog Katsuya schließlich ab. Es war keine Hinterhofgasse, die dunkel dalag und von Müllcontainer gesäumt war, sondern lediglich eine kleine Straße, die nur für Fußgänger offen war. Die Straßenlaternen spendeten schwaches Licht, was der ganzen Szenerie eine verruchte Atmosphäre verlieh. Links und rechts standen in verschieden großen Abstände Jungs und Männer, froren und warteten. Schließlich kam der Blonde zu einer größeren Lücke und reihte sich ein. Er hasste es hier her zu kommen. Hasste es zu warten, wobei er nie lange warten musste, denn mit seinem naturblonden Haar war er denjenigen gegenüber klar im Vorteil, die sich ihr dunkles Haar blondiert hatten. Sein Blond wirkte nicht künstlich oder aufgesetzt und ließ ihn etwas exotisch wirken. Jonouchi stand keine zehn Minuten, als der erste Mann, der durch die Straße schlenderte auf ihn zuhielt. Im Magen des Blonden begann sich ein Knoten zu bilden. Am liebsten hätte er sich umgedreht und wäre weggelaufen. Hätte auf den Typen und sein Geld geschissen und das bisschen Würde, was er noch hatte, gerettet. Aber... er brauchte das Geld. Er wollte sich am späteren Abend nicht von seinen Freunden aushalten lassen und von irgendetwas musste er die kommende Woche leben. Die Kommunikation verlief wortlos. Der Mann war vor ihm stehen geblieben, hatte ihn gemustert und dann mitgenommen. So lief es immer. Seit fast drei Jahren. Seit sein Vater beschlossen hatte, dass er seinen Sohn nicht länger mitversorgen wollte. Und Jonouchi hasste diesen Teil seines Lebens... . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)