Selbstwiderspruch von Komori-666 ================================================================================ Kapitel 3: Wie gewonnen, so zerronnen…? --------------------------------------- Es war wie ein Eiszapfen, der sich von der Decke löste und beim Aufprall in tausend kleine Splitter zerschellte. Viele kleine Eissplitter, die wie Messer gewaltsam durch die Haut bis tief in seine Brust vordrangen und wie aus dem Nichts einen so schneidenden Schmerz hinterließen, dass ihm plötzlich jegliche Luft fehlte. Was? Was hatte sein Vater da gerade gesagt? Das konnte nicht sein Ernst sein, so einfach konnte man das doch nicht entscheiden. Unmöglich. Er konnte nicht atmen, wusste nicht was er sagen sollte. Seine Gedanken schwirrten wirr in alle Richtungen und es fiel ihm schwer, sich eine Meinung darüber zu bilden. Geschweige denn ein Wort zu formulieren und über die Lippen zu bringen. Er hatte den Onodera Verlag doch extra verlassen… „W…Was?“, vielleicht hatte er sich ja verhört. Vielleicht meinte sein Vater das ganz anders. „Wir sind ein Familienunternehmen. Das muss ich dir wohl nicht erklären.“ „A…Aber… das kannst du doch nicht einfach so entscheiden?“ „Was denkst du, was ich von Anfang an von dir erwartet habe?“ „Aber Vater! Ich habe doch gerade erst im Marukawa Verlag angefangen und noch kaum Erfahrungen gesammelt! Außerdem kann ich meine Arbeit doch nicht einfach so verlassen!“ „Sei unbesorgt. Ich habe letztens Isaka beim Golf getroffen und bereits alles mit ihm besprochen. Bezüglich deiner Erf-“ „Du hast was?!“, Onodera erschrak selbst angesichts seiner harschen Art, aber viel mehr schockierte ihn diese arrogante Bevormundung seines Vaters. „Ritsu! Ich verbitte mir diesen Ton!“ „Du kannst doch nicht einfach Entscheidungen für mich treffen, ohne mich wenigstens vorher mit einzubeziehen!“ „Ich beziehe dich jetzt mit ein. Es hat keinen Zweck, über Eventualitäten zu sprechen, ohne konkrete Fakten zu wissen.“ „Konkret? Wie bitte?! Was hast du mit Isaka-san besprochen? Ich bin erwachsen, Vater, und kein Kind mehr, das deine Bevormundung braucht. Ich treffe meine Entscheidungen selbst! Das geht nicht!“ „Und wie sollen diese Entscheidungen dann aussehen? Willst du dein restliches Leben einen solchen Schund produzieren? Ich hatte immer gedacht, dass du wirkliche Literatur liebst. Und willst du mit diesen Erfahrungen dann den Betrieb übernehmen? Ich denke doch eher nicht, Ritsu.“ Onodera biss sich auf die Lippe, ballte die Fäuste. Oh Mann, da hatte er sich ganz schön im Ton vergriffen. Er musste sich zusammenreißen, wieder zur Ruhe kommen. Andererseits, in keinem Alternativszenario, an das er denken konnte, hätte er anders reagiert. Das konnte sein Vater doch nicht tun! Wo war sein Mitspracherecht?! Sie lebten doch nicht mehr im Mittelalter. Und dennoch konnte er nicht leugnen, dass er die Hintergründe und Motive seines Vaters gut verstand. Es ging um die Zukunft des Verlags, der von seiner Familie gegründet und mühsam zu dem gemacht wurde, was er jetzt war. Verstehen war jedoch nur die eine Seite der Medaille, es gutzuheißen die andere. „Ich…ich habe keine Antworten auf deine Fragen, Vater. Aber ich… ich kann jetzt nicht in den Verlag zurück.“ „Was willst du dann, Ritsu?“ ~~~ Ich will Takano nicht verlieren! Ich will Takano nicht verlieren! Ich will Takano nicht verlieren! Er hatte nicht gewartet; kaum dass sie an der Notaufnahme angekommen waren, hatte er die Tür aufgerissen und war aus dem Auto gesprungen. So schnell er konnte sprintete er die Gänge entlang, er durfte und wollte nicht noch mehr Zeit verlieren. Er musste zu Takano. Er musste ihn sehen. Er musste wissen, dass es ihm gut ging. Dass alles wieder gut werden würde. Fast wäre er in eine Krankenschwester gelaufen, doch noch bevor diese ihn ermahnen konnte, hatte er sie nach dem Unfall gefragt. Wo er hingebracht wurde, wo Takano war. Der Mann, der in dem Verkehrsunfall verwickelt war. Ihr strenger Blick wurde sanft und sie hatte ihm die Richtung gezeigt. Und nun rannte er. Er rannte so schnell er nur konnte die kahlen, leblosen Gänge entlang. Auf dem Weg zu der Person, die ihm alles bedeutete. Er war ein Narr. Er hatte so viel Zeit damit verschwendet vor Takano wegzulaufen, weil er Angst vor dem Danach hatte. Wenn das Glück vorbei war, was kam, wenn man nicht mehr glücklich sein konnte. Nach der Liebe. Was für ein Idiot er war. Es war nicht vorbei, es war nie vorbei gewesen, seit ihrer Schulzeit nicht. Und nichts hatte es ihnen gebracht, außer Schmerz. Einen Schmerz, der so tief saß, dass er Angst vor Takano hatte. Vor dem, was er für ihn fühlte. Davor, dass er diesen Schmerz noch einmal durchleben musste. Wenn die Liebe vorbei war. Und jetzt erst merkte er, wie lächerlich das war. Er hatte Takano einmal mehr weh getan, sich selbst das Leben zur Hölle gemacht und sich der wichtigsten Person in seinem Leben entzogen. Obwohl er sie so vermisst hatte. Obwohl er sich so nach Takano gesehnt hatte. All die Jahre. Für was? Nur, um jetzt festzustellen, was für ein Idiot er war. Dass er Takano heute verloren haben könnte. Dass er in nie wiedersehen könnte, nie wieder mit ihm sprechen, mit ihm streiten, ihm zuhören, mit ihm Zeit verbringen könnte… ihn nie wieder zu küssen, ihn zu fühlen, dessen Geruch in sich aufzunehmen. Alles. Weil er Angst davor hatte, was nach dem Glück kam, wenn die Liebe vorbei war. Wenn Liebe selbst nicht ausgereicht hatte. So, wie er damals gedacht hatte. Als er dachte, dass seine Liebe für seinen Senpai einfach nicht ausgereicht hatte, um zusammen zu sein. Idiot… jetzt musste er lernen, dass es bereits vor dem Anfang vorbei sein könnte. Wenn die Liebe noch da war. Es konnte bereits vorbei sein, obwohl ihre Gefühle noch da waren. Und er hatte es nicht gemerkt. Er hatte es für selbstverständlich genommen, dass Takano da war. Dass sich nichts ändern würde. Dass er sie nur vor erneutem Leid bewahrte, wenn er sich nur vor Takano distanzieren und seine Gefühle nicht zulassen würde. Und jetzt? Genau das Gegenteil war der Fall gewesen. Ich will Takano nicht verlieren! Onodera merkte auf, als er am Ende des Ganges Yokozawa sitzen sah. Zu dessen Linken war ein Behandlungszimmer. Er wirkte erschöpft, seine sonst so straffe und aufrechte Haltung war gebrochen. Je näher er kam, desto besser konnte er Yokozawa erkennen. Dessen blasses Gesicht, die tiefen Augenringe, die Sorgenfalten und die Kraftlosigkeit, die von ihm ausging. Wieso saß er dort? Wieso war er nicht bei Takano? Doch irgendwie beruhigte ihn das. Yokozawas Anwesenheit bereitete ihm nach wie vor Unbehagen und dessen Worte hingen ihm immer noch nach. Yokozawa würde Takano mehr lieben, dass er ihm Takano rigoros entreißen würde, wenn er ihn schlecht behandelte oder gar verletzte… und jetzt? Jetzt befanden sie sich in einem Krankenhaus und er wusste nicht einmal, wie es Takano ging. Yokozawa schien ihn bemerkt zu haben, richtete seinen Blick auf ihn und noch bevor Onodera sich versehen konnte, stand vor ihm der alte Yokozawa. Von dessen Erschöpfung zeugten nur noch die geröteten Augenlider. Nun stand er aufrecht und groß vor ihm, stierte ihn mit seine eisigen grauen Iriden wütend an und rief Onodera deutlich ins Gedächtnis, warum man ihn als den wilden Bären des Marukawa-Verlags bezeichnete. „Wo ist Takano?“, Onoderas Stimme war genauso gehetzt, wie er sich fühlte. Er hatte keine Lust, sich jetzt mit Yokozawa anzulegen. Ich will Takano nicht verlieren! „Was hast du hier verloren?!“ „Wo ist Takano?“ Ich will Takano nicht verlieren! „Tauchst jetzt einfach hier auf! Was willst du hier? Wo warst du? Und warum warst du nicht wie geplant bei Masamune?! Wenn das Ganze hier irgendetwas mit dir-“ Nein, ich darf Takano nicht verlieren! „ICH MUSS ZU TAKANO!“ „Meine jungen Herren! Ich muss doch sehr bitten, das hier ist ein Krankenhaus. Unsere Patienten brauchen dringend Ruhe, wenn Sie streiten möchten, dann tun Sie dies bitte außerhalb dieser Einrichtung.“ Behutsam schloss der ältere Herr die Tür des Behandlungszimmers, aus dem er gerade kam. Beide hatten sie ihre Aufmerksamkeit sofort auf ihn gerichtet und sich ihm ganz zugewandt. Ob er Takanos Arzt war? Onodera wusste es nicht, seinem Auftreten und Alter nach zu folgen, musste er jedoch eine höhere Position innehaben – sicher konnte er ihm Auskunft geben. „Verzeihen Sie…“, beide schwiegen, peinlich berührt und gescholten wie zwei kleine Kinder. „Sind Sie Takanos Arzt? Haben Sie ihn behandelt? Wie geht es ihm? K-kann ich zu ihm?“ Onodera konnte nicht die Konzentration aufbringen, um seine Gedanken zu ordnen. Er war zu durcheinander und der Drang, Takano zu sehen, zu wissen, dass es ihm gut ging, war einfach zu groß. „Nun mal langsam. Ja, der bin ich. Und wer sind Sie? Über meine Patienten kann ich nur mit Angehörigen sprechen und als solcher hat sich bereits der Herr neben Ihnen identifiziert.“ Onodera fühlte sich wie vor dem Kopf gestoßen. Natürlich. Er sollte doch wissen, dass nur Angehörige… aber war er das? Was war er für Takano? Konnte er es sich wirklich erlauben, sich als dessen Angehöriger zu verkaufen? Yokozawa hatte es getan, aber zurecht – das wusste auch Onodera. Auch wenn es ihn schmerzte. Er wusste, dass Yokozawa sich all die Jahre wirklich um Takano gekümmert hatte, dass sie sich nahestanden. Also, was war er? „Entschuldigen Sie bitte das Durcheinander und die Unannehmlichkeiten, Doktor.“ Erschrocken fuhren Onodera und Yokozawa herum, als sie die Stimme hinter sich vernahmen. Keiner von beiden hatte bemerkt, dass Kirishima zu ihnen gestoßen war. „Wie Sie gewiss nachvollziehen können, kann man es ihnen in Anbetracht der Umstände nicht verübeln. Mein Name ist Kirishima Zen, ich habe gerade noch die Formalitäten am Empfang geregelt, beide als Angehörige und gleichzeitig Besucher angemeldet.“ Lächelnd hatte die beiden Besuchspässe hochgehalten, bevor er diese jeweils an Onodera und Yokozawa verteilte. „Seien Sie bitte unbesorgt, beide sind enge Angehörige und Familie von Takano, Masamune.“ Kirishima spürte die verwunderten Blicke seiner Kollegen auf sich, konnte aber sehen wie auch sein Gegenüber eine entspanntere Haltung einnahm. An der Rezeption hatte man ihn darüber ins Bild gesetzt, dass er der hiesige Oberarzt war und sich in besonderen Fällen immer selbst den Patienten widmete. Takano musste einer dieser sein. Gleichzeitig hatte er erfahren, dass sich sein Partner noch nicht mit den Formalitäten befasst hatte, womit die junge Empfangsdame ihre Chance genutzt und ihn dafür eingespannt hatte. Im Nachhinein war es wohl auch besser so, er konnte verstehen, dass Yokozawa nicht den Kopf dafür hatte. Er konnte sehen und spüren wie dessen Verwunderung in Dankbarkeit überging. Und Onodera war vorhin einfach nur losgerannt. Den hätte er, selbst wenn er gewollt hätte, nicht aufhalten können. Und somit hatte die Empfangsdame auch Onodera nur wütend nachsehen können. Kirishima bereute keineswegs hergekommen zu sein, es war gut, dass die beiden Chaoten jemanden hatten, der sich um den Rest kümmerte. Jemand, der nicht vor Sorge fast umkam. Einwilligend hatte der Arzt sich Onodera geschnappt und ihn etwas weggeführt, Yokozawa hatte er ja bereits in Bild gesetzt. Kirishima konnte nur hoffen, dass es Takano gut ging. Nicht nur für ihn selbst, sondern auch für Yokozawa. Er brauchte Takano, vielleicht nicht mehr als Liebhaber, aber als Freund. Als wichtige und essenzielle Person in dessen Leben. Die Situation hatte Yokozawa zugesetzt, man sah ihm an, wie kräftezehrend die letzten Stunden gewesen sein mussten. Kirishima konnte deutlich sehen, dass dessen Fassade langsam zu bröckeln begann. „Oh Mann, euch kann man keine Minute aus den Augen lassen.“ Seufzend lockerte er seine Haltung, gegenüber seinem Partner konnte er sich ruhig entspannen. Zumindest äußerlich. Und vielleicht würde Yokozawa es ihm gleichtun. „Und demzufolge, was ich an der Rezeption gerade alles gefragt und gebeten wurde zu bestätigen, musst du genau wie Onodera hier einfach wild reingerannt sein, ohne nach links und rechts zu schauen.“ Der leichte Rotschimmer auf Yokozawas Wangen, ebenso wie sein betrübter Blick waren auch ohne dessen Antwort Bestätigung genug. Doch so gar kein Wort… ? „Yokozawa?“ „Bist du wütend?“ Kirishima verstand die Frage nicht. Die Worte, ja. Was Yokozawa wissen wollte eigentlich auch, nur… wieso sollte er wütend sein? Sein Blick ruhte auf Yokozawa, hegte die Hoffnung, etwas in dessen Mimik herausfinden zu können. Wütend… ? Er meinte doch nicht etwa… ? „Du meinst, ob ich eifersüchtig bin?“ Das Gefühl der Hilflosigkeit trieb Yokozawa fast in den Wahnsinn. Zum einen die Sache mit Masamune und dann stand auf einmal Kirishima hinter ihnen und erklärte dem Arzt sie seien enge Angehörige, Familie. Derselbe Kirishima, der sich auf seine eigene und oft überspielte Art von Unsicherheit immer irgendwie Gewissheit über ihre Beziehung einholte. Und dann kam er hier an und fand ihn so fertig vor, mit den Gedanken bei niemand anderem als seinem besten Freund. Seiner unerwiderten Liebe, die trotz allem einen anderen ihm vorgezogen hatte. Seine Gedanken, Gefühle, sein Herz, alles konnte sich nur darauf konzentrieren, dass es Masamune gut ging. Und genau dann musste Kirishima ihn so sehen. Das war nicht fair. Das war nicht das, was er Kirishima zeigen wollte, weil es nicht das war, wonach es aussah. Und jetzt stand er ihm gegenüber, ganz locker, mit diesem ausdruckslosen Gesicht und dem schon fast sachlichem Tonfall. Oh Mann, er konnte seinen Partner gerade überhaupt nicht einschätzen. Ob er sauer war? Eifersüchtig hatte er nicht sagen wollen, aber ja, Yokozawa konnte verstehen, wenn Kirishima nicht gerade erfreut war. Wenn er wütend wäre. Sei es aus Eifersucht, oder dem Gefühl des Verrats. Aber er hatte in nicht verraten, er… er… wie sollte er ihm das erklären? Er fühlte sich hilflos und erst jetzt merkte er, wie kalt ihm war. Wie es ihm eisig den Rücken hinablief, die Kälte tief in seinem Inneren saß und er seine Finger eigentlich kaum noch spürte. „… auch.“ Yokozawa fühlte sich zurück in seine Kindheit versetzt. Er, der es verbockt hatte und nur darauf wartete gescholten zu werden. Er spürte den Kloß in seinem Hals und sein Magen, der sich vor lauter Sorge schon völlig verkrampft hatte. „Mach dich nicht lächerlich!“ Noch bevor Yokozawa reagieren konnte hatte Kirishima ihn bereits zu sich gezogen und hielt ihn eng an sich gedrückt. Er spürte dessen lockiges Haar an seinem Gesicht, dessen Wärme und den vertrauten Duft seines Partners. „Mir würde es nicht anders gehen. Ich habe mir furchtbar Sorgen um dich gemacht!“ Kirishima wartete kurz, merkte wie Yokozawa sich an ihm anlehnte und Halt suchte. Er wollte gar nicht wissen, wo Yokozawas Fantasie ihn hingeführt hatte – so ein Blödsinn, er wäre der Letzte, der ihn nicht verstehen und dessen Gefühle voll und ganz nachvollziehen konnte. „Und, wie geht es nun Takano?“ Damit brach Kirishima in Yokozawa den letzten Widerstand und er konnte spüren, wie dieser in seinen Armen haltsuchend zusammensackte. ~~~ Er konnte nicht glauben, was er hörte. Diese Worte wirkten so unwirklich, so surreal. Er konnte kein Wort von dem glauben, was ihm der Arzt gesagt hatte. Er spürte, wie seine Knie weich wurden und seine Beine an Stabilität verloren. Wie unter ihm alles drohte nachzugeben und eine schwere Last von oben auf ihn hereinbrach. Doch er hielt stand. Er konnte jetzt nicht nachgeben, noch nicht. Denn irgendetwas in ihm wehrte sich, es zu glauben. Nicht, bis er es mit eigenen Augen gesehen hatte. Bis er ihn nicht gesehen hatte. Dass er lebte. Dass es ein Morgen geben würde. Dass es noch nicht vorbei war. Er durfte jetzt nicht nachgeben, er musste auf den Beinen bleiben, irgendwie. Wenn jetzt seine Knie einknickten und er sich setzte… würde er wieder aufstehen können? Diese ganze Situation zehrte im Moment dermaßen an seinen Kräften, dass er es nicht wagte, dieses Risiko einzugehen. Er musste weiterfunktionieren. Bis er Gewissheit hatte. Bis er es mit eigenen Augen gesehen hatte. Er musste Takano sehen, er musste sich selbst ein Bild von dessen Zustand machen. Erst dann könnte er wirklich realisieren, was der Arzt ihm gerade geschildert hatte. „Bitte lassen Sie mich zu ihm. Ich muss ihn sehen.“ Onodera sah den strengen Blick, mit dem er begutachtet wurde. Hörte das schwere, unzufriedene Seufzen des Arztes und konnte dessen Bedenken regelrecht greifen. Er war der Einzige, der darüber entscheiden würde, was jetzt passieren würde. Der Letzte, der zwischen ihm und Takano stand. Er wusste, dass es dem Arzt gewiss nicht an Einwänden mangelte. Onodera konnte es nachvollziehen, er hatte ihm immerhin zugehört, jedes einzelne Wort in sich aufgenommen und hörte sie nach wie vor in seinem Inneren widerhallen. Dennoch, er würde keine Ruhe finden, bis er Takano nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Onodera beobachtete, wie der Widerstand des Mannes vor ihm abebbte und er zur Seite trat. Er sprach kein Wort, richtete einfach nur seine flache Hand auf die Tür hinter ihm. Onodera erkannte die einladende Geste, auch wenn sie gezwungen wirkte. Wie von selbst hatten sich seine Beine in Bewegung gesetzt und die letzten Meter überbrückt. Er hatte seine Hand bereits nach der Tür ausgestreckt, als er innehielt und sich selbst ermahnte. Er konnte hier nicht einfach so reinmarschieren. Er konnte weder seiner Angst noch dieser kleinen Stimme der Hoffnung in seinem Kopf diesen Freiraum geben. Die Tür aufzureißen und in den Raum zu platzen war egoistisch und rücksichtlos. Und es war gewiss nicht das, was der Arzt von ihm erwartete. Er musste sich zusammenreißen, durfte jetzt nichts überstürzen. Seine Finger berührten das kalte Material und holten ihn zurück ins Hier und Jetzt. Er war in einem Krankenhaus, es war bereits spät, um nicht zu sagen mitten in der Nacht. Takano hatte einen Unfall gehabt… und er hatte überlebt. Onodera nahm einen tiefen Atemzug, füllte seine Lungen mit Sauerstoff und zählte langsam bis zehn, als er die Luft langsam durch seine Nase aus seinem Brustkorb gleiten ließ. Mit gestrafften Schultern verweilte er noch ein paar Sekunden, bis er sich ruhiger, sicherer fühlte. Doch hätte er gewusst, was ihn erwartete und mit was er konfrontiert wurde, kaum dass er das Zimmer betreten hatte, dann hätte er mit Sicherheit nicht die Kraft dazu gehabt. Die Realität peitschte ihm hart ins Gesicht und er erkannte erneut, was für ein entsetzlicher Idiot er gewesen war. Was hatte er erwartet? Dass er hier reinkam und Takano ihn mit seinem typischen genervten Ausdruck betrachtete und ihm mit irgendeinem Spruch seine Nerven strapazierte? Er ärgerte sich über seine eigene Naivität. Er hatte dem Arzt doch zugehört! Und dennoch fühlte er, wie erst jetzt die Realität gnadenlos über ihn hereinbrach. Sein Herz fühlte sich an, als würde es von dem Druck auf seiner Brust zerquetscht werden. Langsam und qualvoll. Nur ein paar Schritte entfernt war Takano. Und irgendwie war er es nicht. Er war nicht der Takano, den er kannte. Dem er damals in der Schule nachgelaufen war, ihn beobachtet hatte und alles über in wissen wollte – auch, wenn er es nie geschafft hatte, ihn danach zu fragen. Der Takano, der plötzlich vor ihm aufgetaucht war, sich als sein Vorgesetzter entpuppt und die Dreistigkeit besessen hatte, ihn an seinem ersten Arbeitstag vor einer Autorin zu küssen. Der große, hochgewachsene Takano, mit seinen breiten Schultern und den großen warmen Händen, die er so oft auf seinem Körper gespürt hatte. Der Mann, der ohne mit der Wimper zu zucken über ihn herfiel, wann immer es ihm beliebte. Der Takano, in dessen Armen er sich wohl fühlte und dessen Worte immer direkt zu ihm durchdrangen, ohne darauf zu achten, was für eine Lawine sie in ihm auslösten. Sein Takano. Der gleiche Mann, der nun vor ihm in diesem weißen Bett in einem weißen Zimmer lag. In einer dieser weißen Krankenhauskluften. Er wirkte so leblos, wie er regungslos dalag. Onodera hatte ganz genau hinsehen müssen, um das leichte Heben und Senken dessen Brustkorbs erkennen zu können. An seinen Armen konnte er die Zugänge sehen, die sie gelegt hatten. Nadeln, die seine Haut durchdrangen, um ihn mit Flüssigkeit und wer weiß was noch allem zu versorgen. Die unzähligen Bandagen, die unter dem weißen Stoff hervorlugten. Doch was ihm einen Schlag in die Magengrube versetzt hatte, waren all die Blutergüsse, die Verletzungen, die jeden entblößten Fleck von Takanos Körper zierten und im harten Kontrast zu dem makellosem weiß standen. Und das, obwohl nur das Wenigste sichtbar war. Er schluckte hart, seine Kehle war staubtrocken. Langsam näherte er sich dem Krankenbett, setzte sich bedacht auf den nebenstehenden Hocker. Onodera betrachtete den Mann vor sich, musterte dessen Züge und prägte sich jedes Detail seines Anblicks ein. Takanos geschlossene Augen, die langen Wimpern, die feinen dunklen Strähnen die ihm in die Stirn hingen, die geschwungenen Lippen und die gleichmäßigen, schönen Züge. Nur, dass sie nicht gleichmäßig waren. Weil Takanos schöne Züge von grässlichen Prellungen übersäht waren. Er konnte die geschwollenen Stellen deutlich sehen, die lädierte Haut und die Rötung, die ihr finales Stadium noch lange nicht erreicht hatte. Mit zitternden Händen strich Onodera vorsichtig die fast schwarzen Strähnen zur Seite. Er konnte sehen, wie die ganze Partie um dessen Schläfe bis hin zum Auge geschwollen und die Haut von tiefroten Blutergüssen verfärbt war und so wie es aussah noch viel dunklere Töne annehmen würde. Er konnte den Abdruck von Takanos Brille sehen, das Gestell, das sich in dessen Gesicht gedrückt hatte und nun in Form von dunklen Striemen zurückgeblieben war. „Die Airbags haben ihm das Leben gerettet.“ Ob das die Airbags waren, die Takano so getroffen hatten? Zaghaft und so vorsichtig wie nur möglich strich er über die blauen und roten Hämatome, über Takanos Wange bis hin zu dessen Kinn. Auf der anderen Seite konnte er die Schnitte sehen, die weitestgehend gesäubert und versorgt worden waren. Und dennoch waren sie gezeichnet von getrocknetem Blut, umrahmt von Schürfwunden und unterwandert von tiefem rot, das sich grausam von Takanos leichenblassen Zügen abhob. Dabei war er doch sonst schon so blass… Er wirkte so schwach und zerbrechlich. Nicht so stark und tough wie sonst. Onodera hatte Angst, Takano Schmerzen zuzufügen und alles nur noch schlimmer zu machen, als es schon war. Seine Augen lösten sich schwerfällig von Takanos Gesicht, wanderten langsam dessen Oberkörper entlang, versicherten sich, dass er wirklich noch atmete. Unter dem weißen Hemd, dass sie Takano angelegt hatten, konnte er an seinem Schlüsselbein die Rötung sehen, das Blau, das langsam hervorkroch und nur erahnen ließ, was sich unter dem Stoff befand, wie Takanos Schulter und Brust aussehen mussten. Und dennoch… „Keine Knochenbrüche und keine inneren Blutungen. Keine lebensbedrohlichen Verletzungen.“ Dafür alles andere, stieß es Onodera bitter auf. Takanos Körper war durch und durch geschunden, erschüttert vom Unfall und nur, weil seine Verletzungen nicht lebensbedrohlich waren, so waren sie nicht weniger ernst. Onodera versuchte sich daran zu erinnern, was der Arzt ihm noch gesagt hatte. Doch schon jetzt fiel es ihm schwer, sich vollständig an die Liste zu erinnern. Die Lunge war erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden und neben dem Schleudertrauma wären da noch etliche Prellungen, tiefe Schnittwunden und auch, wenn sie soweit keine Brüche feststellen konnten, schließe das keine Zerrungen, Kapsel- und Gelenkschäden aus. Und wenn Onodera das Ausmaß sah, dass all dies angenommen hatte… Er schloss die Augen, presste seine Lider mit aller Macht aufeinander und schluckte in der Hoffnung, die Magensäure, die in ihm emporkroch, unterdrücken zu können. „Die Chancen auf eine vollständige Erholung stehen sehr gut.“ Und dennoch half ihm die Aussage des Arztes nicht, seine Übelkeit und die Säure in seiner Kehle in den Griff zu bekommen. Er spürte die Schauer, die seinen Körper durchfuhren, den kalten Schweiß an seiner Stirn. Er musste sich zusammenreißen, er konnte sich jetzt nicht übergeben. Er war nicht der Patient, ihm sollte es gut gehen. Auch, wenn diese kleine Stimme in seinem Hinterkopf ihm zuflüsterte, dass er sich genau dafür schämen sollte. Dass er allen Grund hatte, sich schlecht zu fühlen. Dass er bei Takano hätte bleiben sollen. Dass es seine Schuld war. Wenn er doch nur geblieben wäre… Doch damit wäre nichts gewonnen. Vielleicht würden sie dann gemeinsam hier liegen. Vielleicht wäre es viel schlimmer gekommen. Vielleicht hätten sie nicht Glück im Unglück gehabt. Vielleicht wären sie nicht mit dem Leben und jeder Menge kaputtem Blech davongekommen. Er spürte, wie er sich beruhigte, mit tiefen Atemzügen seinen inneren Kampf allmählich für sich entschied, seinen Mageninhalt – der ohnehin nur aus Säure bestehen konnte – wieder zurückdrängte. Vorsichtig öffnete er die Augen wieder, musste ein paar Mal blinzeln, bis sich seine Sicht wieder klärte. Er sah, wie die Zahlen auf dem kleinen Monitor neben Takanos Bett an Schärfe gewannen. Zahlen, von denen er keine Ahnung hatte, was sie bedeuteten, die er nicht verstand und nur hoffte, dass sie genau das anzeigten, was sie anzeigen sollten. Sein Blick wanderte zurück zu Takano. Es wirkte, als würde er nur schlafen, als könnte er jeden Moment aufwachen. Sie hatten ihm ein Beruhigungsmittel gegeben, um ihn zu entspannen, den Schockzustand zu mildern. Doch Takano sah keineswegs entspannt aus. Im Gegenteil. Er wirkte noch immer unruhig, seine Lider flackerten und seine Muskeln wirkten angespannt. Onodera hatte das Gefühl etwas sagen zu müssen, dass er mit Takano reden sollte, ihm beruhigende Worte zusprechen sollte. Doch was? Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Was er ihm sagen könnte. Wie immer, wenn er mit Takano zusammen war. Nur, dass diese Situation um einiges erdrückender war. Onoderas Kiefer verspannte sich bei dem Gedanken, dass er im entscheidenden Moment noch nie den Mund aufgebracht hatte. Nicht, wenn es Takano war mit dem er sprach. Und jedes Mal hatte er Takano damit verletzt. Er biss die Zähne so fest zusammen, bis er den Schmerz in seinem Kiefer bis hoch zu seinen Schläfen spürte. Es gab zahlreiche Situationen, in denen er anders hätte reagieren können. Doch stattdessen hatte er immer wieder Takanos Unsicherheit vergrößert, ihm weh getan, den falschen Eindruck vermittelt und nicht zu vergessen, als er vor dessen Haustür lautstark verkündet hatte, er würde ihn hassen. Einst war er es gewesen, der seinem Senpai seine Gefühle offenbart und ihn damit überrumpelt hatte. Er war es auch gewesen, der Takano damals im Kurzschluss erst von sich gestoßen und getreten und danach die Flucht ergriffen hatte. Und er war es, der diese ganze Sache mit Takano erst zum Problem hatte werden lassen. Weil er nicht in dessen Nähe sein wollte, weil er keine Zeit mit ihm verbringen wollte, weil er keine Gefühle für ihn hegen wollte. Weil er wusste, dass er sich Hals über Kopf in Takanos Tiefen verlieren würde. Weil er sich nach Takano sehnte, wie nach keinem anderen. Weil er Angst davor hatte. Und dann noch die ganze Sache mit An-chan und der Verlobung, die richtigen Worte hatte er hier auch nicht gefunden. Er hatte Takano lediglich erklären können, dass das alles nur von An-chans und seinen Eltern arrangiert worden war, dass er selbst das alles gar nicht wollte. Aber weder konnte er Takano sagen, dass er ihn wollte, noch An-chan, dass er sie nicht wollte. Immerhin hatte er die Sache mit An-chan klären und diese ganze Verlobungssache auflösen können. Aber bei Takano waren ihm wie immer die Worte im Mund stecken geblieben und drohten ihn zu ersticken. Im Endeffekt hatte An-chan ihm diese Worte abgenommen, weil selbst sie gesehen hatte, was er für Takano empfand. Und genau in dem Moment hatte sein dreister Vorgesetzter wieder mal seine Privatgespräche belauscht. Onodera schürzte die Lippen, Takano war schon auch ein ganzes Stück Arbeit, nicht nur er selbst – sie schenkten sich nichts! Es war fast so, als hätten sie es sich gegenseitig beigebracht. Ich erlaube niemals, dass du wieder einfach so weggehst, wie damals. Ich warte solange, bis deine Gefühle wieder so werden wie früher. Deshalb gib endlich auf und sag mir, dass du mich auch liebst. Wenn Takano wüsste, wie sehr sich jedes einzelne seiner Worte in sein Hirn gebrannt hatte, wie oft sie ihn heimsuchten. Takano wirkte immer forsch und als ob er mit der ganzen Situation gut leben konnte, als würde es ihm nichts ausmachen. Als hätte er sich darauf eingestellt, ihn immer überrumpeln zu müssen, sich selbst in seine Wohnung zu lassen, sich ihm aufzudrängen, ihn zu gemeinsamen Mahlzeiten zu zwingen und für all das keine Gegenleistung zu bekommen – zumindest nicht die, die er sich erhoffte. Doch Onodera merkte zunehmend, wie schwer es Takano fiel, mit der Situation umzugehen und wie sehr es ihn mitnahm. Seit nun über zehn Jahren litt Takano unter der ganzen Geschichte und nun wurde er auch noch tagtäglich damit konfrontiert, mit ihm konfrontiert. Takano hatte in angefleht, sich ihm zu öffnen, sich ihm anzuvertrauen, ihm zu sagen was er dachte– sowohl die guten als auch die schlechten Dinge. Er solle sich entscheiden, ihn abweisen, wenn das alles für ihn nicht möglich war, wenn er nicht mit ihm zusammen sein wollte. Doch wie um alles in der Welt hätte er Takano abweisen sollen? Wie, wenn er doch wusste, dass er sehr wohl mit Takano zusammen sein wollte. Nur gesagt hatte er es nie. Naja… eigentlich nur Takano nicht. Denn Yokozawa konnte er es sagen. Die Frage, ob er ihn liebte, hatte er klar beantworten können. An-chan konnte er ebenso wenig etwas vormachen und auch Haitani hätte er es gesagt, wenn Takano sie damals nicht unterbrochen hätte. Und dann hatte er es indirekt sogar seinem Vater gesagt. Wenn dieser je herausfinden sollte, was hinter den Worten - dem ‚Unfug‘ wie sein Vater es genannt hatte - steckte, dann konnte er sich warm anziehen. Die Sache mit der Distanz zwischen seinem Vater und ihm hätte sich dann von ganz allein erledigt. Was war nur los mit ihm? Allen hatte er es gesagt, nur Takano konnte er es nicht gestehen. Der Person, die es als Erste hätte hören sollen. Die als Einzige ein Recht darauf hatte. Die es verdient hatte. Zögerlich streckte er seine Hand nach Takanos aus, berührte die weiche Haut nur mit den Fingerkuppen und fuhr entlang des Handrückens vorsichtig bis zu den Fingerspitzen und zurück. Ob er Takanos Hand nehmen konnte, wenn er schon kein Wort über die Lippen bekam? Ob er ihm wehtun würde? Leicht schüttelte er den Kopf, so, als wolle er den Gedanken abschütteln. Er wollte Takano zeigen, dass er für ihn da war, dass er nicht allein war. Dass er das nicht allein durchstehen musste. Er würde einfach vorsichtig sein müssen. Sanft umfassten Onoderas Finger Takanos Hand, drückten sie ganz leicht und er spürte, wie seine Wärme langsam auf Takanos Haut überging. Er spürte das leichte, unterschwellige Zittern an seinen Fingern, die Anspannung der Muskeln. Onodera war sich nicht sicher, ob es nicht vielleicht seine eigene Anspannung war, die er wahrnahm und ob es nicht sogar seine Hände waren, die zitterten. Wie ferngesteuert wanderte sein Arm über Takano und griff nach dessen anderer Hand, um sie sachte in die seine zu legen. Zärtlich streichelte er sie mit dem Daumen, mal fuhr er Linien, mal zog er kleine Kreise auf der Haut. Er konnte fühlen, wie bereitwillig Takano seine Wärme aufnahm – selbst, wenn es nur seine Hände waren. Sag doch endlich, dass du mich auch liebst. Sag es, bitte. Bitte… Er hörte Takanos Worte wie ein Echo in seinem Kopf. Wann immer er allein war und sich seine Gedanken zu seinem Vorgesetzten stahlen, waren es diese Worte, die er hörte. Die alles übertönten. Sie hatten ihn geprägt, sich in sein Fleisch gebrannt und würden vielleicht nie wieder verschwinden. Takano hatte ihn sehnlichst angefleht, ihm seine ganze Schwäche offenbart und seinem Leid damit Ausdruck gegeben. Ein Leid, für das er verantwortlich war. Eines, das auch ihn heimgesucht hatte und seit diesen Worten mehr als jemals zuvor. Damals hatte er es als unfair empfunden, dass Takano ihn mit dieser Bitte bedrängt hatte, seinen Schmerz auf ihm ablud. Er wusste, dass Takano ihm damit keine Vorwürfe machen wollte, doch es hatte unweigerlich dazu geführt, dass er sich diese Vorwürfe selbst gemacht hatte. Weil er sich seiner Gefühle bereits bewusst gewesen war. Gedankenverloren beobachtete er seine Finger, die noch immer Takanos Hände umschlossen und sie sanft streichelten. Seine Aufregung hatte sich etwas gelegt und Onodera spürte, wie langsam jegliche Kraft aus seinen Muskeln wich. Er spürte das Gewicht seiner Gliedmaßen und die Erschöpfung in jeder Faser seines Körpers. Der Tag hatte seinen Tribut auch von ihm gefordert und er merkte, wie er sich immer weiter vorlehnte und auf dem Bett abstützte. Er versuchte noch, gegen seine Müdigkeit anzukämpfen, doch seine Augenlider wurden immer schwerer, bis sie letztendlich zufielen. ~~~ „Was willst du dann, Ritsu?“ Meiner großen Liebe aus der Schule weiter nacheifern und wie sonst meine Gefühle leugnen, dachte er zynisch, konnte sich einen bitteren Ausdruck nicht verkneifen. Aber was sollte er seinem Vater schon sagen? Prinzipiell war es egal, was er sagte. Sein Vater hatte eine Entscheidung getroffen und kein Argument dieser Welt würde ihn umstimmen. Onodera hielt inne. Ging es denn überhaupt darum? Seinen Vater umzustimmen? Brauchte er dessen Zuspruch, dessen Unterstützung oder gar dessen Segen? Je länger er darüber nachdachte, desto mehr verstand er, was ihm eigentlich wichtig war. Was er wollte. Vielleicht war dieses Gespräch mit seinem Vater das Beste, das hätte passieren können. Es ging nicht darum, dass sein Vater zufrieden mit ihm war. Es ging darum, was ihm selbst wichtig war. Er musste nichts finden, was seinen Vater umstimmen könnte. Was er seinem Vater entgegnete musste der Situation und ihm selbst dienlich sein. „Ich will mich nicht wieder verstecken. Ich werde nicht schon wieder weglaufen.“ „Was redest du da für einen Unfug? Ich verstehe kein Wort, Ritsu.“ Es war kein Unfug, es war etwas, das er auch Takano noch sagen würde. Das er ihm versprechen würde. „Ich werde nicht zurück in die Firma kommen, Vater. Ich bleibe beim Marukawa Verlag.“ Auch, wenn es ihm schwerfiel sich auf Takano einzulassen, wenn er ihn unfreiwillig gewähren ließ, wenn er dessen Gefühle jedes Mal im Raum stehen ließ und nichts erwiderte… wortlos verlassen würde er ihn nie wieder. Denn das war weder ihm noch Takano dienlich. Und die Sache mit Takano war ihm wichtig. „Das ist mein letztes Wort!“, wenn er doch nur wirklich so viel Selbstvertrauen hätte, wie er es gerade vorgab. Sein Vater hatte bislang keinerlei Reaktion gezeigt, ihn nur angesehen. Onodera schluckte hart. Was auch immer jetzt von dessen Seite kommen würde, er könnte es nicht abwehren. Er hatte keine Gegenargumente, die er gegenüber seinem Vater noch vorbringen könnte. Er spürte die Anspannung seiner Muskeln, wie seine Atmung bebte. Wie lange konnte er dem undefinierbaren Blick seines Vaters noch standhalten? „Heißt das, du willst unseren Familienbetrieb nicht übernehmen und aufgeben?“ „Nicht jetzt. …Vielleicht… irgendwann mal.“ Er wollte eigentlich nur die Distanz zu seinem Vater wahren, nicht die Türen für immer schließen. Nicht jetzt, wo er noch nicht bereit für das war, was da auf ihn zukam. „Schön.“, sein Vater wandte sich und somit auch seinen strengen Blick von ihm ab und schritt in Richtung seiner Haustüre. „Vergiss nicht, dich bei deiner Mutter zu melden.“ Eh… was? Würde er nicht wütend werden und ihn auf seine Pflicht als Erbe hinweisen? Passierte das gerade wirklich, war es wirklich so einfach? Es fühlte sich fast zu einfach an. Onodera spürte den Luftzug in seinem Gesicht, als sein Vater die Tür öffnete und hörte nur noch das leise Klacken, als jene zurück ins Schloss fiel. War… war das wirklich gerade passiert? ~~~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)