Common Ground von DuchessOfBoredom ================================================================================ Kapitel 4: Coming up with a plan. (Of sorts.) --------------------------------------------- Duke saß allein in einem Reisebus. Was zum Teufel machte er hier und wo waren alle? Die Klassenfahrt ging doch gleich los, oder etwa nicht?! Nur wenige Sekunden später begannen sich wie aus dem Nichts die Wände des Busses an den Kanten zu öffnen und aufzufalten. Als der Bus schließlich komplett verschwunden war, sah er sich irritiert um. Er stand mitten auf einem Dungeon Dice Monsters Spielfeld. Der Bus war anscheinend wie ein Würfel dimensioniert worden. Bedeutete das, er war das Monster? Ihm blieb keine Zeit, um die Frage zu durchdenken, denn er sah sich direkt dem Gegner oder vielmehr den Gegnern gegenüber. Mehrere Anzugträger standen überlebensgroß hinter dem Spielfeld und sahen auf ihn herab. Der mittlere der Männer nahm drei Würfel in die Hand und schleuderte sie ihm entgegen auf das Spielfeld. Kurz befürchtete Duke, sie würden ihn treffen und unter sich begraben, waren sie doch um einiges größer als er, aber sie verfehlten ihn knapp und blieben rund um ihn herum liegen. Der erste Würfel zeigte auf der Vorderseite ein Diagramm mit einer sinkenden Kurve, der zweite - 45%, der dritte die durchgestrichenen Buchstaben DDM. Wie aus dem Nichts stand auf einmal Pegasus neben ihm. „Das nenne ich mal einen Angriff, was Duke? Kannst du dem standhalten? Diesmal werde ich dir nicht unter die Arme greifen – das musst du alleine schaffen! Achja, und du hast genau eine Woche Zeit!“ Max verschränkte die Arme und schien abzuwarten, was er tun würde. Völlig perplex und überfordert stand er der scheinbaren Übermacht gegenüber und wusste nicht recht, was er unternehmen sollte. Angst stieg in ihm hoch und er wandte sich ab. Auf der anderen Seite des Spielfeldes – seiner Seite, dem Vorstand gegenüber – blickten seine ebenso überlebensgroßen Freunde enttäuscht auf ihn herab. Yugi musterte ihn mit ernstem Gesichtsausdruck: „Ach Duke, wir würden dir ja gern helfen, aber wie sollen wir das machen, wenn du uns nichts erzählst?“ Tea neben ihm fragte weiter: „Warum versuchst du immer alles mit dir selbst auszumachen? Wir sind doch für dich da.“ Nach ihr setzte Tristan den Reigen fort: „Glaubst du, wir könnten deine Probleme nicht verstehen?“ Joey schüttelte nur den Kopf: „Oder hältst du dich etwa für was besseres?“ Verzweifelt versuchte Duke sich zu rechtfertigen: „Nein, natürlich nicht, Leute. Ich will euch da einfach nicht auch noch mit reinziehen. Es reicht doch, wenn ich mir Sorgen mache. Ihr habt schon so viel Mist durchgemacht, da sollt ihr mal eine unbeschwerte Zeit genießen und euch nicht auch noch um meine Probleme kümmern.“ Mit traurigen Augen schüttelte Yugi den Kopf und auf einmal war es der Pharao, der zu ihm sprach: „Mach, was du für richtig hältst, Duke, aber denk daran, dass sowohl die Dinge, die wir aussprechen, als auch die, die wir verschweigen, Konsequenzen mit sich bringen.“ Mit diesen mysteriösen letzten Worten verschwanden seine Freunde im düsteren Nichts und seine unterstützende Spielfeldseite war verwaist. „Hey, Leute, wartet!“, rief er ihnen nach, aber es hatte keinen Zweck. Als er sich wieder umdrehte, standen noch immer Pegasus und der Vorstand abwartend vor ihm und die Symbole des Misserfolgs auf den Würfeln starrten ihm anklagend entgegen. Noch einmal forderte Max ihn auf, diesmal in strengerem Ton: „Na los, sag uns, Duke, wie willst du dein Spiel retten? Der Vorstand verlangt Antworten!“ Verzweifelt rannte er auf den quadratischen Feldern des Spielfelds hin und her und versuchte nachzudenken, als einer der Vorstände den Befehl gab, den ersten der Würfel zu dimensionieren. Die Seiten öffneten sich, fielen auf dem Spielfeld an ihre Plätze und vergrößerten so den Zugriffsraum der Männer. In dem Würfel befand sich Frau Kobayashi. Sie stürmte über die Felder auf ihn zu, packte ihn am Arm und zog ihn mit sich, ohne dass er sich wehren konnte. „Sie kommen jetzt erstmal schön mit ins Naturkundemuseum, junger Mann!“ Er versuchte zu protestieren: „Aber das geht nicht, ich muss doch …“ Sie schüttelte den Kopf und packte noch etwas fester zu: „Sie müssen gar nichts anderes, Mr. Devlin, sie sind noch Schüler und müssen darum tun, was …“ Noch bevor er erfahren konnte, wer oder was nach Meinung von Frau Kobayashi festlegte, was er zu tun und zu lassen hatte, riss er sich mit aller Kraft los und rannte zurück in die Spielfeldmitte. Er wusste, die Zeit für sein Spiel verging gnadenlos, während er noch immer zu keiner Lösung gefunden hatte. Die Vorstandsmitglieder verschränkten die Arme, blickten kritisch auf ihn herab und begannen zu tuscheln: „Sehen Sie ihn sich doch an, er ist viel zu jung! Der hat doch keine Ahnung vom Geschäft und und wie so etwas läuft. Es war ein netter Versuch, aber jetzt sollten wir dem ein Ende setzen.“ „Die Performance des Spiels ist einfach zu schlecht geworden. Eine kurze Eintagsfliege, davor habe ich Pegasus ja die ganze Zeit gewarnt.“ „War doch nicht anders zu erwarten bei einem Duel Monsters-Spin-Off mit Würfeln. So etwas trägt nie lange.“ Energisch versuchte Duke sich gegen die Vorwürfe zur Wehr zu setzen. „Hey! Jeder, der einmal DDM gespielt hat, weiß, dass es so viel mehr ist, als ein Duel Monsters mit Würfeln! Ihr könnt mir das nicht wegnehmen! Das ist mein Spiel und ich kann und werde das richtig groß machen!“ In seiner Verzweiflung wandte er sich noch einmal an Pegasus: „Max, jetzt sag doch auch mal was! Du weißt, wie gut es ist! Wir könnten doch versuchen …“ Er brachte den Satz einfach nicht zu Ende, denn in Wahrheit hatte er keine Ahnung, was genau sie versuchen konnten. Mit einem tiefen Seufzer sackte er in der Spielfeldmitte zusammen, während der Vorstand begann, den zweiten verbliebenen Würfel zu dimensionieren, der sich nun langsam zu öffnen begann. Pegasus Anzug verfärbte sich von rot zu schwarz, während er konstatierte: „Es tut mir leid, Duke. Sieht aus, als hättest du es nicht geschafft.“ Damit verschwand auch er und verschwamm in der diffusen Masse der Vorstände. Duke war jetzt ganz allein auf dem Spielfeld. Gleich hatte sich der zweite Würfel komplett geöffnet und das Monster oder was auch immer darin war, würde ihn vermutlich vernichten. Zum Vorschein kam eine ihm wohl bekannte menschliche Gestalt. Ein großer, schlanker Mann, vielleicht Mitte Fünfzig mit schwarzen Haaren und kurzem Vollbart, der ebenfalls einen schwarzen Anzug trug. Oh nein, nicht er! Dukes Herz schlug so schnell, dass er befürchtete, sein Brustkorb würde gleich nachgeben. Der Mann trat auf Duke zu, beugte sich zu ihm hinunter, legte ihm die Hand ans Kinn und hob seinen Kopf, sodass er gezwungen war ihm ins Gesicht zu sehen. Der Mann schüttelte den Kopf und lächelte dabei mitleidig. „Duke, du dummer Junge. Ich hab dir doch immer gesagt, alleine würdest du es zu nichts bringen! Komm wieder zurück zu mir, dann ändern wir das. Gemeinsam.“ Gerade wollte Duke energisch widersprechen, als … Ein ungewohnter, schriller Ton riss ihn aus seinem Alptraum. Was war das denn? Sich mit dem Arm die Augen abschirmend blinzelte er vorsichtig gegen das erste Tageslicht. War es wirklich schon wieder hell? Verdammt, er war doch eben erst richtig eingeschlafen. Nicht, dass es besonders erholsam gewesen wäre, aber trotzdem… Die Matratze schaukelte leicht und er drehte den Kopf. Ah, Kaiba war gerade aufgestanden. Folgerichtig musste es sein Wecker gewesen sein, der geklingelt hatte. Einen Moment blieb Duke noch auf dem Rücken liegen, rieb sich das Gesicht und starrte an die Zimmerdecke. Das beklommene Gefühl in seiner Brust ließ nur langsam nach. Dieser Traum würde ihn noch verfolgen, das fühlte er. Schließlich setzte er sich im Bett auf und schaute sich noch immer leicht duselig im Raum um. Auf der anderen Seite des Bettes kniete Kaiba auf dem Boden über seinen geöffneten Koffer gebeugt, wo er wohl seine Kleidung für den heutigen Tag zusammensuchte. Seine Haare waren leicht zerstrubbelt und er trug ein dunkelblaues T-Shirt (das hundertprozentig irgendwo ein KC-Logo zierte) sowie eine graue leichte Schlafhose. Wow, man konnte ja beinahe auf den Gedanken kommen, es mit einem normalen Menschen zu tun zu haben. Ohne von dem Schwarzhaarigen Notiz zu nehmen, ging Kaiba mit seinen Klamotten ins Badezimmer und schloss die Tür hinter sich ab. Dukes Blick fiel auf das Nachtschränkchen seines Bettnachbarn. Da lag der Kartenanhänger mit dem Bild von Mokuba darin, das von ebenjenem manipulierte Telefon, sowie eine silberne Armbanduhr auf dem Buch, das der Brünette sich gestern aus dem Gemeinschaftsraum geholt hatte. Duke musste leicht den Kopf neigen, um den Titel lesen zu können: Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde. ‚Hm, wie passend.‘, schoss es ihm durch den Kopf und er schmunzelte. Nicht ganz Dracula, aber auch nicht so weit weg von seiner Vampir-Assoziation. Noch einmal seufzte er und rieb sich das Gesicht und die Augen, um den Traum zumindest für den Moment abzuschütteln und sich endlich zu fokussieren. Kaiba war bestimmt jemand, der sich nicht ewig im Bad aufhielt, also sollte er auch langsam mal aufstehen und seine Klamotten heraussuchen. Gedacht, getan. Seine schwarze Hose, ein schwarzes T-Shirt mit rotem Bund, das würde in Verbindung mit dem Haarband an roten Akzenten für heute reichen. Als er alles beisammen hatte, setzte er sich auf das Bett, checkte die Meldungen auf seinem Smartphone und wartete. Kaum zehn Minuten später trat Kaiba fertig angezogen, aber mit noch leicht nassen Haaren aus dem Badezimmer. Mokuba hatte offensichtlich auch bei seiner Kleidung ein Wörtchen mitgesprochen; gestern war das Duke noch gar nicht so richtig aufgefallen. Der Brünette trug nicht wie sonst seine engen schwarzen Sachen und seinen auffällig wehenden weißen Mantel, sondern eine ganz normale, schmal geschnittene hellgraue Jeans mit braunem Gürtel, der genau zu der Farbe seiner eleganten Lederschuhe passte. Dazu ein weißes Hemd, ordentlich in die Hose gesteckt, über das er gerade noch einen dünnen, dunkelblauen Wollpullover zog. Mit routinierten Handgriffen richtete er erst den Hemd- und Pulloverkragen und zog dann die Manschetten des Hemdes ein wenig aus den Ärmeln hinaus, sodass edle, schwarz- und silberfarbene Manschettenknöpfe zum Vorschein kamen. Auch wenn sie schlicht aussahen, zweifelte Duke für keine Sekunde daran, dass jedes einzelne der Kleidungsstücke verdammt teuer gewesen sein musste. Das war also Kaibas Definition eines normalen, unauffälligen Looks. Irgendwer würde ihm mal sagen müssen, dass eigentlich auch „Business Casual“ für einen Menschen seines Alters noch nicht casual genug war. Aber hey, es sah nicht schlecht aus und für die Ausflüge war es definitiv dezent genug. Kaiba war wohl nicht entgangen, dass Duke ihn angesehen hatte. Im Gegenzug wurde nun Duke aus kühlen, blauen Augen gemustert. Der Brünette hielt für einen kurzen Moment in seiner Bewegung inne. Natürlich, jetzt fragte er sich bestimmt, ob er, Duke, ernsthaft mit Make-Up geschlafen hatte. Pff, sollte er doch. Der Schwarzhaarige begegnete dem mit einem freundlich vorsichtigen „Morgen!“, wurde danach allerdings nicht einmal eines weiteren Blickes gewürdigt. Kaiba trat indes zu seinem Nachttisch, legte sich die Uhr um das linke Handgelenk, hängte sich seinen Kartenhänger um und schob ihn unter seinen Pullover. Jetzt, bei näherem Hinsehen sah er ziemlich fertig aus. Nun gut, um ihn selbst stand es wohl nicht viel besser, immerhin war die erste Nacht in dem Bett mit Wellengang für keinen von ihnen in irgendeiner Weise erholsam gewesen. „Du bist fertig im Bad?“, fragte Duke sicherheitshalber noch einmal nach und als der Brünette darauf nur stumm nickte, erhob er sich vom Bett und ging nun ebenfalls mit seinen Klamotten hinein. So langsam musste er sich sputen, er hatte nur noch knapp fünfzehn Minuten bis zum Frühstück. Der kleine Raum war noch geschwängert mit feuchter Luft und den Resten eines angenehmen, fruchtig-herben Duftes. Was auch immer es war, ob Kaibas Duschgel, Shampoo oder Parfüm, er mochte es. Nur zu gerne hätte er die Quelle genauer identifiziert, aber offenbar hatte der Brünette alle seine Waschsachen wieder in seinen Kulturbeutel zurück getan und diesen verschlossen auf den Fliesenabsatz über dem Waschbecken gestellt. Mein Gott, wie paranoid konnte man denn sein? Aber das Täschchen aufzumachen kam nicht in Frage. Nicht nur wäre er sich enorm merkwürdig dabei vorgekommen, in Kaibas Pflegeprodukten im wahrsten Sinne des Wortes herumzuschnüffeln; andererseits lag ihm noch Joey mit seinem ‚komprimierenden‘ Material im Ohr. So packte er stattdessen sein eigenes Waschzeug aus, zog die Schlafsachen aus, öffnete seine Haare und stieg unter die Dusche. Zum Glück wurde das Wasser schnell warm, auch wenn der Wasserdruck etwas zu wünschen übrig ließ. Gründlich wusch er sich Körper und Haare (Shampoo und Conditioner – wenn schon, denn schon!), zog sich nach dem Abtrocknen und Fönen an, schminkte sich neu, legte sein Haarband und den Würfel-Ohrring wieder an und war damit im Grunde fertig, um in den Tag zu starten. Als er aus dem Bad kam, fand er das Zimmer leer vor; Kaiba musste also schon hinunter gegangen sein. Auch Duke ging noch ein letztes Mal zu seinem Nachttisch, legte seinen Clownanhänger um, den er dort abgelegt hatte, und steckte sein Telefon in die Hosentasche. Dann verließ auch er das Zimmer in Richtung Speisesaal. „Mann, Leute, ich wünschte, ich hätte Popcorn!“ hörte er Joey sagen, als er unten ankam und zu seinen Freunden stieß. „Was hab ich denn verpasst?“, erkundigte er sich neugierig. Joey fasste genussvoll die bisherige Handlung des Schauspiels zusammen, welches er und die anderen offenbar schon seit einigen Minuten gebannt verfolgten: „Alter, es ist göttlich! Kaiba war am Buffet und hat gesehen, dass es da nur Milch, Tee und Saft gibt. Dann ist er zu der Küchenlady und hat nach Kaffee gefragt. Du hättest seinen Blick sehen sollen, als sie sagte, dass es für die jungen Gäste“, er machte Gänsefüßchen in die Luft, „keine koffeinhaltigen Getränke gibt, weil das ungesund wäre. Ihm ist echt alles aus dem Gesicht gefallen. Naja, seitdem streitet er sich mit der armen Frau rum und ist richtig angepisst. Diese Klassenfahrt ist jetzt schon super!“ „Ah ja.“, erwiderte Duke langgezogen und sah jetzt auch zu dem Brünetten hinüber, der beide Arme dominant auf den Tresen der Durchreiche zur Küche gestützt hatte und die ältere Dame auf der anderen Seite mit seinem Blick regelrecht aufspießte. In einem dazu passenden Tonfall, der so scharf war, als könnte er ihr damit die Kehle durchtrennen, fauchte er sie an: „Hören Sie, Werteste, ich bin nicht aus eigenem Antrieb hier oder meinen Sie, es macht mir Spaß eine ganze Woche mit diesen … Subjekten hier zu verbringen? Dazu habe ich eine absolut grauenhafte Nacht mit extrem wenig Schlaf in diesem minderwertigen Etablissement hinter mir. Wenn Sie mir jetzt also nicht sofort einen Kaffee organisieren, dann haben Sie nächste Woche so viele Klagen am Hals, dass Sie diesen Witz von einer Herberge hier zumachen können! Haben Sie verstanden?“ Die Dame rührte sich nicht und blickte ihn aus großen Augen eingeschüchtert an. „Also nochmal in aller Kürze, damit Sie mein Anliegen wirklich einwandfrei verstehen: Kaffee! Stark, schwarz, viel! Ich warte!“ Duke hatte sich voll auf die Szene vor ihm konzentriert, sodass ihm erst in dem Moment, als Kaiba die Worte „Stark, schwarz, viel!“ ausgesprochen hatte, der Ernst der Lage dämmerte. Kein Kaffee? Das war unmöglich, völlig ausgeschlossen, ganz besonders nach dieser Nacht! Für die anderen war es wohl ziemlich egal, aber er war, selbst wenn er gut geschlafen hatte, ohne eine morgendliche (und in der Regel auch nachmittägliche) Mindestzufuhr schlicht nicht in der Lage, am normalen Leben teilzunehmen. So ließ er von einem Moment auf den anderen seine verdutzten Freunde stehen, sprintete zu Kaiba und der Durchreiche und lächelte der Küchendame freundlich, aber leicht außer Atem entgegen: „Für mich bitte auch, wenn Sie einmal dabei sind, danke!“ Ein Seitenblick mit hochgezogener Augenbraue von Kaiba traf ihn. „Was?“, erwiderte Duke sachlich. „Glaubst du etwa, du bist der einzige hier, der morgens nicht ohne Kaffee auskommt?“ Kaiba nahm es schweigend zur Kenntnis und so standen sie sich ein paar Minuten in seltsamer Symmetrie gegenüber und warteten: der eine links, der andere rechts von der Durchreiche jeweils mit verschränkten Armen, eine Schulter an die Wand gelehnt. Wieder stieg Duke der fruchtig-herbe Duft in die Nase und diesmal sogar noch intensiver als im Badezimmer. Unbewusst atmete er tiefer ein. Mit jedem Atemzug mehr tippte er auf Parfüm. Gutes Parfüm. Wirklich gutes Parfüm. Erst das Klappern von Porzellan holte ihn wieder in die Realität; offenbar hatte er unbewusst die Augen geschlossen. Die Küchenfrau reichte Kaiba mit zitternden Händen eine große Tasse dampfenden Kaffees, den er mit einem unwirschen „Geht doch!“ statt eines Dankes entgegennahm und sich an einen noch leeren Tisch setzte. Umgehend bekam auch Duke seine Tasse, bedankte sich vielmals, auch im Namen von Kaiba (es sich mit Küchenpersonal zu verscherzen, war schließlich nie eine gute Idee) und ging zurück zu seinen Freunden. Tristan sah ihn bei seiner Rückkehr prüfend an: „Alter, du siehst echt beschissen aus!“ Duke lachte und setzte sich auf den Platz neben ihm. „Also an deinen Komplimenten musst du wirklich noch arbeiten, ist ja kein Wunder, dass du bei den Mädels nicht landest. Nein, Spaß beiseite, ich hab kaum geschlafen. Darum bin ich dem guten Kaiba auch nicht ganz undankbar für seine Aktion.“ Da er weder das Bett noch seinen Traum weiter thematisieren wollte, blickte er in die Runde und ging direkt zur Gegenfrage über: „Wie war denn eure Nacht so?“ Ryou sah ebenfalls nicht sonderlich fit aus und erklärte: „Ach, Joey hat so laut geschnarcht, es war kaum auszuhalten. Yugi war schlau und hatte Ohrstöpsel dabei, Tristan und ich müssen heute erstmal welche auftreiben.“ Yugi lächelte verlegen. „Ja, entschuldigt, ich hätte euch vorwarnen sollen, aber ich habs einfach vergessen.“ An dieser Stelle musste sich Joey einschalten: „Leute, ihr tut ja so, als wäre das ein Verbrechen an der Menschheit. Ich kann nichts dafür, ich hab nun mal eine verengte Nasenscheidewand.“ Tristan hatte gerade einen Schluck Saft genommen, prustete in sein Glas und verschluckte sich fast vor Lachen. „Alter, du kannst doch sowas nicht sagen, während ich trinke.“ „Mann, das heißt nun mal so, das ist ganz normale Anatomie, Tris.“ „Dass du diese Wörter überhaupt kennst!“ „Was soll das denn jetzt heißen?!“ Das Gespräch ging noch eine Weile so weiter. Duke, Tea, Ryou und Yugi grinsten sich nur an und schüttelten leicht die Köpfe. Den Anruf von Pegasus am Tag zuvor und seinen Traum hatte Duke in diesem Moment beinahe vergessen. Da die Herberge so weit außerhalb der Stadt lag, glich der Weg ins Museum zeitweise eher einer Wanderung. Erst einmal mussten sie etwa zwanzig Minuten lang das abschüssige, kurze Waldstück durchqueren, um den nächsten kleinen Vorort mit U-Bahn-Anschluss zu erreichen, von dem aus sie nochmals dreißig Minuten fahren würden. Der Weg war allerdings nicht unangenehm, denn es war ein freundlicher Oktober-Tag und die Sonne ließ die bunten Baumkronen im Wald noch mehr erstrahlen. Umso frustrierender war freilich für die meisten die Aussicht den Tag in einem Museum verbringen zu müssen. Die Schüler liefen ausgedehnt und in ihren üblichen Grüppchen nebeneinander, Frau Kobayashi eher in der Mitte im Gespräch mit Ginta, dem Klassensprecher. Yugi und seine Freunde befanden sich fast am Ende der Kolonne. Ihre Unterhaltung drehte sich schon seit mindestens fünfzehn Minuten ausschließlich um die neuen Karten, die sie gestern ausprobiert hatten. Duke für seinen Teil hatte sich in keiner Weise aktiv daran beteiligt – nicht, dass es irgendjemandem wirklich aufgefallen wäre, denn bei aller persönlichen Verehrung für Max war seine eigene Leidenschaft für Duel Monsters bei weitem nicht so ausgeprägt wie bei seinen Freunden und das wussten sie auch. Das Thema jedoch, sowie das noch immer leise nachhallende, beklemmende Gefühl aus dem Traum konfrontierten ihn zwangsweise wieder mit dem Problem seines eigenen Spiels und seine Gedanken kreisten wie wild um die eine zentrale Frage: Warum verkaufte und spielte sich DDM im Sommer im Vergleich so viel schlechter als Duel Monsters? Schon seit sie losgegangen waren, dachte er auf dieser einen Frage herum und hatte noch nicht mal den Ansatz einer Ahnung. Es war zum Aus-der-Haut-Fahren. „Mann, mit den neuen Karten kamen so viele coole Strategien rein, im nächsten Turnier wäre ich damit aber mal so richtig weit vorne.“ Wie üblich strotzte Joey nur so vor Selbstbewusstsein. „Apropos, wann ist denn mal wieder eins?“, fragte Tristan in die Runde. Yugi antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Nächsten Monat findet die Stadtteilmeisterschaft bei uns im Laden statt.“ Joey schüttelte ein wenig enttäuscht den Kopf. „Ja, aber das ist ja nur langweilig am Tisch. Also nicht, dass das gestern keinen Spaß gemacht hat – zumindest bis du mit mir den Boden aufgewischt hast, Yugi. Aber ich will mal wieder ein richtig krasses Turnier spielen, so richtig mit Duel Disk und so.“ Tea dachte kurz nach. „Mhm, müsste nicht ohnehin die neue Duel Disk bald erscheinen? Ich würde mal stark davon ausgehen, dass es dann auch wieder ein großes Turnier geben wird.“ Ryou verdrehte die Augen und kommentierte nicht ohne eine Spur Ironie: „Wenn man nur jemanden kennen würde, der praktisch an der Quelle sitzt und den man fragen könnte…“ Es war klar, dass er Kaiba meinte, allerdings wurde sein Beitrag komplett ignoriert. Tristan zückte stattdessen sein Handy und tippte kurz darauf herum. „Stimmt, ich hab grad nochmal nachgeschaut, der Release-Termin ist ja wirklich nicht mehr so weit weg. Wenn das so ist: was macht Kaiba dann überhaupt hier?“ Hier horchte Duke zum ersten Mal kurz auf und unterbrach für einen Moment seine Grübeleien. Auch Tea wunderte sich: „Und würde man dann nicht wenigstens erwarten, dass er pausenlos am Telefon hängt? Soweit ich das sehe, hat er heute den ganzen Tag noch nichts dergleichen gemacht.“ Duke entfuhr ein amüsiertes Schnauben und er schmunzelte. Kaibas Gesichtsausdruck, als er das Buch aus der Tasche gezogen und dann panisch sein Handy untersucht hatte, war einfach göttlich gewesen. Eigentlich hätte man es auf Video aufnehmen und Mokuba schicken müssen. Sofort waren alle Augen seiner Freunde auf ihn gerichtet. „Wieso lachst du?“, erkundigte sich Tristan. „Oh, ich bin sicher, dass Kaiba gerade nichts lieber tun würde, als zu arbeiten. Das Problem ist nur: er kann nicht. Mokuba hat ihn gewissermaßen … offline gestellt. Er hat weder einen Laptop, noch kann er telefonieren, wie er gestern Nachmittag in meinem Beisein feststellen musste.“, klärte Duke sie grinsend auf. Glückselig lächelte Joey in sich hinein. „Hach, das wird ja immer besser! Ich mochte den Kleinen ja schon immer gern, aber das setzt dem wirklich nochmal die Krone auf. Siehst du, Duke, genau sowas habe ich gestern gemeint. Das sind echt nützliche Insider-Informationen.“ Tea warf ihm einen tadelnden Blick von der Seite zu. „Meinst du nicht, du genießt das ein bisschen zu sehr?“ „Zu sehr? Nein, genau richtig! Diese ganze Klassenfahrt ist, was Kaibas Angepisstheitsfaktor anbelangt, bisher eine einzige Freude für mich. Gönnt das dem alten Joey doch mal!“ Yugi schüttelte nur den Kopf und kam schnell wieder auf das eigentliche Thema zurück. „Ich bin schon echt gespannt, was die neue Duel Disk kann. Ich hoffe, ich bekomme sie wieder einfach so, denn die wird bestimmt erstmal richtig teuer sein. Aber wenn sie alles noch realistischer macht, dann wird das wieder richtig stark.“ Dem konnte sich Joey nur anschließen. „Seht ihr, und genau darum hätte ich ja auch mal wieder Bock auf so ein Turnier. Es ist halt einfach nochmal ne ganz andere Liga, wenn da wirklich der Schwarze Rotaugendrache vor mir steht und Feuer spuckt, als wenn da nur die lahme Pappkarte vor mir liegt. Es ist echt krass, wie sehr ich mich in den letzten Jahren daran gewöhnt habe. Und du kannst es theoretisch halt einfach überall haben, wo ein bisschen Platz ist. Ich meine klar, die Karten kann ich auch überall hin mitnehmen und spielen, aber für das Hologramm-Zeugs musste man ja früher immer in so eine blöde Arena und das hat ja auch was gekostet. Mit der Duel Disk hab ich das einfach immer dabei.“ Moment, was hatte Joey da gerade gesagt? Duke spulte die Worte noch einmal in seinem Kopf ab. … überall, wo ein bisschen Platz ist …für das Hologramm-Zeugs musste man ja früher immer in so eine blöde Arena. … Mit der Duel Disk hab ich das einfach immer dabei. …immer dabei. Von den anderen unbemerkt hellte sich sein Blick auf und sein Herzschlag beschleunigte sich. Das konnte es doch sein, oder nicht? War nicht Dungeon Dice Monsters im Moment wie Duel Monsters, bevor es die Duel Disk gegeben hatte? Man konnte es klassisch am Tisch spielen oder in einer Arena. Beides war im Sommer eher ungünstig, wenn man nichts anderes wollte, als mit seinen Freunden draußen im Grünen zu sein. Für Duel Monsters ermöglichte die Duel Disk ein Spielerlebnis der besten technischen Qualität, egal, wo man war, ganz besonders aber draußen, wenn man die Möglichkeiten wirklich ausreizen wollte. Definitiv ein guter Grund, warum Duel Monsters auch im Sommer noch lief, während ein Tisch- und Indoor-Arena-Spiel wie DDM zurücksteckte. Hm, klang erstmal logisch. Aber konnte es wirklich so einfach sein? Die einfachsten Lösungen waren ja nicht selten die richtigen. Wenn das hier auch der Fall war, dann gab es eigentlich nur einen offensichtlichen und naheliegenden nächsten Schritt… „Kaiba läuft da vorne – ich wette, er freut sich einen ab, diese flammende Lobrede nochmal höchstpersönlich aus deinem Mund zu hören, Joey.“ „Klappe Tris, du weißt so gut wie ich, dass der Pinkel das unter Garantie niemals von mir zu hören kriegt. Dem kriecht sein Ego doch jetzt schon aus allen Körperöffnungen, die Genugtuung geb ich ihm da nicht auch noch.“ Während sich seine Freunde weiter unterhielten, wanderte Dukes Blick zu dem gerade erwähnten Kaiba. Kopfhörer im Ohr und die Hände in den Taschen seines elegant geschnittenen, beigen Mantels vergraben, ging er mit weitem Abstand von allen anderen vorneweg. ‚Was für Musik hört jemand wie Kaiba eigentlich?‘, schoss es ihm bei dem Anblick beiläufig durch den Kopf. Egal, das tat gerade nichts zur Sache, zurück zum Punkt. Wenn seine Überlegungen tatsächlich stimmten, dann war er bei dieser Klassenfahrt nicht in der schlechtesten, sondern im Gegenteil in der bestmöglichen Ausgangsposition überhaupt. Seto Kaiba höchstselbst war greifbar und in seiner unmittelbaren Nähe – sogar im selben Zimmer! Er würde nicht erst umständlich einen Termin mit ihm ausmachen müssen, er konnte einfach so direkt mit ihm über seine Idee sprechen: Eine Duel Disk für Dungeon Dice Monsters! Wenn das die Vorstände von Industrial Illusions nicht überzeugen würde, was dann? Bei Kaiba würde er angesichts seiner aktuellen Situation vermutlich auch nur offene Türen einrennen. Die Aussicht auf Arbeit auf dieser für ihn ansonsten recht trostlosen und anstrengenden Klassenfahrt wäre auf jeden Fall ein starker Pluspunkt und selbstverständlich würde es für ihn auch ein gutes Geschäft werden, davon war Duke überzeugt. Allerdings war es dafür unabdingbar ihm die wahren Hintergründe – die schlechten Verkaufszahlen – und die Dringlichkeit des Vorhabens – eine Woche Zeit – erst einmal zu verschweigen. Andernfalls würde Kaiba womöglich die Sinnhaftigkeit und Profitabilität in Zweifel ziehen und sofort ablehnen. Duke atmete einmal tief durch und ließ sich zufrieden, aber auch mit dem kribbeligen Gefühl innerer Aufregung, durch die Bäume die Sonne ins Gesicht scheinen. Nicht schlecht. Wesentlich schneller als erwartet hatte er eine sinnvolle Hypothese entwickelt (wenn das alles vorbei war, würde er sich bei Joey bedanken müssen), sowie eine solide Lösungsidee. Jetzt musste er nur noch einen guten Zeitpunkt abpassen, um Kaiba anzusprechen und das am besten heute noch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)