Common Ground von DuchessOfBoredom ================================================================================ Kapitel 16: Don’t call it obsession. (Because it’s not.) -------------------------------------------------------- Bei der Auslosung der Paare für den Orientierungslauf stand Duke wie üblich bei seinen Freunden und erwartete gespannt die Verkündung seines Partners oder seiner Partnerin. Kaiba wäre doch eigentlich nicht schlecht – dann könnten sie beim Laufen noch ein wenig über das Würfel-Konzept der DDM-Duel Disk fachsimpeln und vielleicht sogar seinen Rabatt für die neue Duell-Arena aushandeln … „Seto Kaiba und … Joey Wheeler.“ Hm, okay, das hatte sich jetzt offensichtlich erledigt. „Echt jetzt?! Oh Mann, ich kotze gleich!“, beschwerte sich Joey lauthals, aber es nützte ihm nichts. Keine Diskussion, das war Frau Kobayashis Ansage gewesen, wie der Blonde nochmals von Ryou erinnert wurde. Genervt verschränkte er die Arme vor der Brust und grummelte mit ein paar leise gemurmelten wüsten Verwünschungen auf den Lippen vor sich hin. Duke hingegen schmunzelte nur und schüttelte amüsiert den Kopf. Kaiba und Joey also. Na, wenn das mal gut ging! Noch immer griff Frau Kobayashi fleißig in das Glas, zog und faltete einen Zettel nach dem anderen auf, bis endlich auch sein Name fiel. „Duke Devlin und … Mariko Yuki.“ Bei der Nennung des zweiten Namens atmete Tea scharf ein, sah zur Seite und zog die Augenbrauen nach oben. Duke bemerkte es und sofort war sein Interesse geweckt. „Was ist los?“ Unsicher, wie sie es am besten sagen sollte, wiegte sie ihren Kopf hin und her: „Oh, es ist nur so, dass … ich bin ja mit Mariko auf dem Zimmer und naja, sie ist eines deiner … extremeren Fangirls. Sie hat mir schon am ersten Abend die Ohren abgekaut, wie verknallt sie in dich ist und versucht, mich über dich auszufragen: Wie du so bist und ob du sie schon mal erwähnt hättest …“ Duke zuckte nur mit den Schultern und winkte ab. „Ach, keine Angst, damit komme ich schon klar!“ Er ließ eine kurze Pause, dann fügte er lachend hinzu: „Es gibt Schlimmeres, als sich anderthalb Stunden lang anhören zu dürfen, wie großartig man ist.“ „Na, dann hoffe ich für dich, dass es so wird!“, gab Tea zweifelnd zurück und klopfte ihm kurz mitleidig auf die Schulter, bevor sie und ihr Teampartner Ryou aufgerufen wurden, um Karte und Kompass abzuholen. Nach und nach starteten die ersten Paare mit Zeitversatz und von zwei verschiedenen Ausgangspunkten auf ihren Weg in den Wald und nachdem Duke ebenfalls die Navigationshilfsmittel in Empfang genommen hatte, ging er mit einem freundlichen Lächeln auf die zierliche Mariko zu – ein verhältnismäßig hübsches Mädchen mit Brille und langen, dunkelbraunen Haaren, die sie für den Lauf zu einem praktischen, kleinen Dutt gebunden trug. An ihren immer größer werdenden Augen war abzulesen, dass sie kaum glauben konnte, dass ihr das gerade wirklich passierte. Spätestens als Duke sie erreicht hatte und sie mit einem sanften Lächeln und einem lockeren „Hi!“ begrüßte, war sie praktisch zu einer Salzsäule erstarrt und statt einer Antwort erhielt er nur ein gebrochenes Fiepen. Okay, Teas Warnung war wohl berechtigter gewesen, als er ursprünglich gedacht hatte. Trotz seiner mehrmaligen Versuche, ihr zu vermitteln, dass sie sich ruhig entspannen könne, löste sich das Mädchen erst aus seiner Paralyse, als sie zur Startlinie gerufen wurden. Auf dem kurzen Weg dorthin blieb sie weiterhin stumm und sah nur mit hochrotem Kopf zu Boden. Da sie momentan nicht wirklich handlungsfähig erschien, beschloss Duke, Karte und Kompass erst einmal bei sich zu behalten. Wenn das die nächsten anderthalb Stunden lang so weiterging, dann gute Nacht! Wenigstens blieb sie bei Herrn Takedas Pfiff nicht stehen, sondern rannte mit ihm los. Mariko schien jedoch durchaus sportlich zu sein, hielt sie doch auf dem Waldweg, der den ersten Teil der Strecke bildete, gut mit ihm mit, ohne dass er sein Lauftempo signifikant drosseln musste. Augenscheinlich lösten die Bewegung und die kühle Waldluft auch ihre Verkrampfung ein wenig, sodass sie an der ersten Station, dem Wegweiser, bereits in der Lage war, ihn kurz anzusehen und dabei scheu zu lächeln. Duke quittierte diesen ersten kleinen Fortschritt sogleich ermutigend mit einem freundlichen Nicken, bevor er die weitere Richtung bestimmte. Am zweiten Kontrollpunkt war er gerade dabei den Kompass einzunorden und auf der Karte zu platzieren, als … „Tea hat dich bestimmt schon vor mir gewarnt, oder?“ Beinahe ließ er vor Schreck den Kompass fallen – schließlich waren das die ersten richtigen Worte, die er seit knapp dreißig Minuten aus Marikos Mund hörte –, konnte es aber gerade noch verhindern. Leise und verschüchtert hatte die Frage geklungen, und auch ein wenig traurig; jetzt durfte er nichts falsches sagen. Nach einer sekundenlangen Pause, in der er nach einer guten und hoffentlich nicht verletzenden Antwort suchte, sah er von der Karte auf und drehte sich mit einem sanften Lächeln zu ihr um. Kaum sah er sie direkt an, stieg erneut Röte auf ihre Wangen und sie blickte wieder verschämt auf ihre Schuhe.„Gewarnt ist vielleicht das falsche Wort. Aber sagen wir, ich habe mich über deine Reaktion nicht mehr so sehr gewundert.“ Betretenes Schweigen war die unmittelbare Folge, sodass Duke beschloss, ihr Zeit zu geben und erst einmal einfach gemeinsam weiterzulaufen. Ein auffälliger Busch mit grellroten Beeren bildete den dritten Wegpunkt. Dort angekommen schien sich Mariko wieder weit genug gesammelt zu haben, um von neuem ein schüchternes Gespräch mit ihm zu suchen. Sie war ihm zwar zugewandt, aber ihn direkt anzusehen brachte sie offenbar noch immer nicht über sich: „Tut … mir voll leid, dass ich so komisch bin, aber es ist … nun mal so, dass ich …“, fahrig knetete sie ihre Hände in den Saum ihres T-Shirts, „Naja, ich werde immer so nervös, wenn du in der Nähe bist.“ Wieder bekam sie einen hochroten Kopf; es war wirklich erstaunlich. Duke seufzte nur und versuchte sie zu beruhigen: „Mach dir keine Gedanken, das ist doch ganz normal, wenn man …“ „ …verliebt ist?“, beendete sie seinen Satz schnell und blickte ihn auf einmal doch hoffnungsvoll von unten herab an. „Genau…“, nickte er zögernd, konzentrierte sich umgehend wieder auf Karte und Kompass und fächelte sich durch wiederholtes Zupfen an seinem T-Shirt ein wenig Luft zu. Lag es nur am Laufen oder warum schwitzte er auf einmal so? Eigentlich hatte er die Situation doch weniger unangenehm machen wollen. „Danke, dass du das verstehst!“, lächelte sie ihn an, trat zum ersten Mal etwas näher zu ihm und sah ebenfalls auf die Karte. Ein wenig mehr Mut schien sie jedenfalls gefasst zu haben, trotzdem wurde Duke das Gefühl nicht los, dass sich das Geschehen unbeabsichtigt in eine ziemlich falsche Richtung entwickelt hatte. „Wo müssen wir als nächstes hin?“, fragte sie interessiert weiter. „Ähm, grob nach Nordwesten.“, erwiderte Duke nach einem erneuten prüfenden Blick auf die Karte. „Na dann, los!“, forderte sie ihn mit einem selbstbewussteren Lächeln auf und rannte direkt in die Richtung los, die der Kompass in seiner Hand vorgab. Anscheinend hatte ihr der kurze Austausch neuen Elan gegeben und aufgestaute Energien gelöst – anders ließ sich die beginnende Verwandlung, deren Zeuge er hier wurde, wohl nicht erklären. Voller Verwunderung schüttelte Duke noch einmal den Kopf und folgte ihr schließlich. Nur wenige Minuten später erreichten sie den umgestürzten Baum, an dessen toten Wurzeln sich der vierte Stempel befand. Mariko stand schon bereit, zog die Kappe ab und bedeutete ihm, mit der Karte zu ihr zu kommen. Noch bevor sie den Stempel auf die entsprechende Stelle der Karte drückte, legte sie schnell unterstützend ihre linke Hand darunter, damit das Papier durch den Druck nicht wegknickte – vollkommen ungeachtet der Tatsache, dass Duke bereits dasselbe tat. Die unvermeidliche Berührung ihrer Hände und Unterarme schien dem Mädchen jedoch nicht das Geringste auszumachen, ganz im Gegenteil. Sie zuckte nicht weg, sie entschuldigte sich nicht, lediglich ein leichtes Rosa zierte ihre Wangen; und das, wo sie ihn vorhin noch nicht einmal direkt hatte ansehen, geschweige denn ansprechen können. Was war denn in den letzten fünfzehn Minuten bloß passiert? Für einen kurzen Moment genoss sie offenbar einfach nur den Kontakt, bevor sie endlich den Stempel machte und die Kappe wieder schloss. Ihr verträumter Blick wanderte weiter nach oben zu den herbstlich gelichteten Baumkronen und ihr entfuhr ein tiefer Seufzer. „Du erinnerst dich bestimmt nicht daran, aber vor ein paar Monaten hast du mir mal einen Flyer für irgendein Event in deinem Laden in die Hand gedrückt und hast dabei auch kurz meinen Arm gestreichelt.“ Jetzt kehrte auch die Röte auf ihre Wangen zurück und sie sah Duke verlegen an, bevor sie leise murmelnd ergänzte: „Das hab ich noch Stunden später gespürt!“ Dem Schwarzhaarigen blieb nichts anderes übrig als zu lächeln und zu nicken; so langsam kam er sich vor wie ein verzweifelter Wackeldackel in der Heckscheibe eines Autos. Diesen spezifischen Moment mit ihr mochte er nicht in ähnlich bleibender Erinnerung behalten haben, aber das allgemeine Vorgehen war ihm noch sehr vertraut, hatte es ihm doch lange Zeit wirklich gute Dienste geleistet. Nicht nur war es bei den Mädchen extrem gut angekommen, nein, es war auch noch höchst effektiv gewesen, denn in der Folge hatten besagte Mädchen tatsächlich in großer Zahl die beworbenen Veranstaltungen frequentiert. Unterm Strich war es ein großartiger, weil gleichzeitig günstiger Marketing-Coup gewesen: Wegen ihm (und dem „Sanfte Berührung am Arm“-Trick) kamen die Mädchen, die Mädchen zogen Jungs im kompatiblen Alter an (= die ideale Zielgruppe), die Jungs spielten, um die Mädchen zu beeindrucken (und natürlich umgekehrt) und am Ende kauften alle. Eigentlich ein perfektes System. Dann jedoch hatte Tea ihn einmal dabei beobachtet, wie er die Masche bei mehren Schulkameradinnen in Folge angewandt hatte und im Anschluss hatte er sich einen langen Vortrag über die Verwerflichkeit eines solch offensiven Spiels mit weiblichen Gefühlen anhören dürfen. Ihre Argumentation war in der Tat sehr schlüssig gewesen, was ihn letztendlich überzeugt hatte, so etwas zukünftig weitgehend zu unterlassen – zumindest für diesen speziellen Zweck. Und war Mariko nicht das perfekte Beispiel dafür, dass sie wie so oft Recht behalten hatte? Schnell wandte Duke sich wieder der Karte zu, in der Hoffnung, den mittlerweile sehr direkten Äußerungen von Mariko sowie seinem sich regenden schlechten Gewissen kurz zu entfliehen. Vergeblich, denn sie war noch nicht fertig: „Ich weiß noch, dass ich so hin und weg war! Es war noch tausendmal besser, als mein vorheriger Lieblingsmoment, als du mich mal auf dem Schulhof angelächelt hast.“ Hatte er das? Hm, gut möglich, er hatte wahrscheinlich fast jedes Mädchen der Klasse, wenn nicht gar der ganzen Stufe irgendwann einmal angelächelt. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und kicherte kurz verschmitzt, bevor weitere Bekenntnisse geradezu aus ihr heraus sprudelten. „Oh mein Gott, ich hatte schon Angst mein Kopf würde explodieren, so rot bin ich geworden! Seitdem muss ich ständig an dich denken! Hach, es tut wirklich gut, sich das endlich mal von der Seele zu reden! Das verstehst du doch, oder?“ Nicken! Einfach nur nicken! Und jetzt ablenken! „Lass uns mal zur nächsten Station weiter laufen, wir wollen doch nicht die letzten sein.“, bot er mit einem gezwungenen Lächeln an und wünschte sich beinahe die Salzsäule von vorhin zurück. „Ja, da hast du recht. “, stimmte sie zu und Duke atmete unmerklich auf. Für die nächsten fünf bis zehn Minuten würde mit Glück erst einmal wieder weitestgehende Stille herrschen. Wenn sie wieder zurück waren, musste er sich wirklich bei Tea entschuldigen: Erstens dafür, dass er ihre Warnung so leichtfertig abgetan hatte und zweitens, weil er erst jetzt wirklich verstanden hatte, was sie damals in ihrem Vortrag gemeint hatte. Station Fünf wurde von einem etwas größeren Felsen am Bach gebildet und ein paar Minuten lang suchten sie vergeblich den zugehörigen Stempel, bis ihn Mariko in einer Vertiefung im Stein entdeckte. Mit einem verzückten Lächeln fischte sie Duke die Karte aus der Hand, legte sie auf den Stein, drückte den Stempel an die richtige Stelle und kam dabei wie von selbst wieder ins Schwärmen: „Weißt du, es ist so toll, dich mal so richtig kennen zu lernen und ein bisschen Zeit mit dir zu verbringen! Normalerweise schaue ich dich ja immer nur aus der Ferne an. Hach, wenn du morgens ins Klassenzimmer kommst, macht mein Herz immer einen richtigen kleinen Hüpfer!“ Verdammt, kam denn jetzt an jeder Station ein neues Geständnis?! Für einen Themenwechsel wäre er jetzt wirklich, wirklich dankbar, aber wenn er den Gesichtsausdruck des Mädchens richtig interpretierte, dann glaubte er nicht daran, dass sich dieser Wunsch zeitnah erfüllen würde. Mit einem anhimmelnden Blick gab sie Duke die Karte zurück, stellte sich ganz eng neben ihn und legte ihm wie selbstverständlich die Hand auf den Unterarm, während er den Kompass drehte. Es war sicher nicht die erste Berührung eines Mädchens, die ihm einen Schauer über den Rücken jagte, aber sicherlich eines der wenigen Male, dass es kein wohliger Schauer war. So schnell wie er konnte, bestimmte er die Richtung, entzog sich dem Kontakt und lief weiter. Spätestens an Station Sechs wurde klar, dass mittlerweile potentiell alles dazu geeignet schien, Mariko auf ihre Gefühle zu sprechen zu bringen. Wieder stand sie ganz nah hinter ihm, während er den Stempel, der am Ast eines Baumes hing, auf die Karte presste. In diesem Moment fegte ihnen ein herbstlicher Windstoß entgegen und Duke musste die Karte ein wenig fester greifen, damit sie aufgeklappt blieb. „Dein Deo riecht wirklich toll!“ Mit wachsender Verzweiflung warf er kurz den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel. Dieser Lauf steckte wirklich voller Premieren: Auch dieses Kompliment hatte er so noch nicht bekommen. Während Duke zunehmend panisch ihr nächstes Ziel anpeilte, lief Mariko an Ort und Stelle hin und her und plapperte munter weiter: „Der Duft hat mir schon voll lange den Kopf verdreht. Ich habe mich sogar mal einen ganzen Nachmittag durch die Herren-Abteilung in der Drogerie gearbeitet, um herauszufinden, welches es ist.“ Duke hielt abrupt in seiner Bewegung inne und drehte sich zu ihr um. Seine Reaktion auf diese Offenbarung war wohl ganz klar auf seinem Gesicht abzulesen, denn kaum hatte Mariko den Satz beendet, schlug sie sich erschrocken beide Hände vor den Mund. Schließlich fragte sie leise und eindeutig peinlich berührt: „Das war jetzt wohl ein bisschen zu viel Offenheit, oder?“ Duke seufzte ein Mal tief, bevor er die Karte sinken ließ, sich halb auf einen abgebrochenen Baumstumpf setzte und sie geradewegs ansah. „Hör mal, Mariko, ich fühle mich echt geschmeichelt, dass du offenbar … so viel für mich empfindest, aber ich muss dir ganz klar sagen, dass … es mir nicht so geht.“ Enttäuscht blickte sie zu Boden, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und raschelte mit ihrem rechten Fuß ein wenig durch die Blätter. „Das dachte ich mir schon. Es wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. Ein Junge wie du würde doch niemals auf ein Mädchen wie mich stehen.“, antwortete sie mit einem leichten Zittern in der Stimme. Darauf schüttelte Duke nur den Kopf, erhob sich und trat auf sie zu. Kraftvoll legte er ihr beide Hände auf die Schultern und zwang sie so ihm in die Augen zu schauen: „Das ist doch Quatsch! Du bist hübsch, intelligent und äußerst … leidenschaftlich. Es gibt mit Sicherheit mehr als genug Jungs da draußen, die dich toll finden werden. Und der, der dich bekommt, kann sich glücklich schätzen.“ Und das sagte er nicht nur so dahin, er meinte es auch. Ganz ohne Zweifel war Mariko ein netter und sympathischer Mensch; für ihre starken Gefühle ihm gegenüber konnte sie ja nichts. Lieber hätte er sich noch stundenlang ihre Liebesgeständnisse angehört, als sie die restliche Zeit stumm, mutlos und traurig neben sich herlaufen zu sehen. Noch einmal sah er Mariko eindringlich an, um zu überprüfen, ob seine Worte zumindest ein wenig geholfen hatten, ihre Enttäuschung zu lindern. Sie seufzte noch einmal tief und schließlich hoben sich ihre Mundwinkel zu einem zaghaften Lächeln. Mit dem Handballen wischte sich noch einmal über die feuchten Augen und griff dann entschlossen nach dem Kompass. „Dann lass uns endlich weiterlaufen! Ich habe das Gefühl, wir könnten noch eine echt gute Zeit hinlegen!“ „Das denke ich auch.“, gab er sanft und mit einem ehrlichen Lächeln zurück und nickte in Richtung des nächsten Wegpunktes. „Also, auf geht’s!“ Tatsächlich kamen Duke und Mariko um etwa 11:30 Uhr mit einer sehr guten Zeit und allen Stempeln auf der Karte im Ziel an und vergrößerten damit leicht den Vorsprung, den die Domino High vor den Privatschülern hatte. Nach und nach trudelten weitere Teams ein, die ausgefüllten Karten wurden eingesammelt und die fehlenden Stempel ausgezählt. Es war ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen: Mal lag der Vorsprung bei ihnen, mal bei der Privatschule und das Limit an Stempeln hatte noch keine der beiden Parteien gerissen. Duke und Mariko kehrten zwischenzeitlich zu ihren jeweiligen Freunden zurück, jedoch nicht ohne sich vorher freundschaftlich (und zumindest von Marikos Seite noch immer ein wenig wehmütig) zu verabschieden: Duke nahm ihre linke Hand in seine Hände und bedankte sich noch einmal für die Ehre ihrer Zuneigung, auch wenn er sie nicht so erwidern konnte, wie sie sich das wünschte. Mit einem traurigen Lächeln sah ihn Mariko noch einmal lange an, dann bedankte auch sie sich bei ihm für sein Verständnis und seine ermutigenden Worte. Sie hielt sich wacker, befand Duke, auch wenn sie wahrscheinlich noch ein Weilchen damit beschäftigt sein würde, die Erlebnisse dieses emotional turbulenten Vormittags zu verarbeiten. Als er sah, dass auch Tea und Ryou bereits zurück waren, machte er seinen Vorsatz wahr, sich bei Tea zu entschuldigen, die es äußerst zufrieden zur Kenntnis nahm. Duke wusste, dass kaum etwas sie so glücklich machte, wie wenn einer ihrer neunmalklugen Jungs einsehen musste, dass sie die ganze Zeit über recht gehabt hatte. Wenigstens hatte sein Missgeschick so auch etwas Gutes, wenn es ihren Tag ein kleines bisschen versüßte. Nach weiteren fünfzehn Minuten kam noch ein Zweierteam der Privatschule aus dem Wald gestolpert und wurde jubelnd von seinen Mitschülern in Empfang genommen. Ein zufriedener Ausdruck legte sich auf Herrn Takedas Gesicht, was nur bedeuten konnte, dass alle seine Schüler wieder angekommen waren – was man von Frau Kobayashis Schützlingen nicht behaupten konnte. Unruhig lief die Lehrerin vor den Bänken, um die herum sich ihre Klasse gruppiert hatte, hin und her. „Hach, so ein Mist! Uns fehlen noch …“ Sie sah sich im Kreis ihrer Schüler um, schüttelte schließlich den Kopf und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Stirn. „Mr. Kaiba und Mr. Wheeler. Natürlich, wie sollte es auch anders sein!“ Der Unmut in ihrer Stimme war kaum zu überhören. Tristan sprach schließlich aus, was im Grunde wohl alle dachten: „Wir haben sowas von verloren, Leute!“ Einstimmiges Nicken und genervtes Stöhnen im Kreis der Schüler waren die Folge. Frau Kobayashis Verärgerung mischte sich mit einer diffusen Angst, war es doch noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden her, dass Mr. Kaiba schon einmal verschwunden war. Auch Yugi blickte sorgenvoll in Richtung Waldrand und seufzte: „Ich hoffe nur, dass niemandem etwas passiert ist!“ „Ach was!“, wiegelte Tristan ab, „Die haben sich bestimmt einfach nur wieder gestritten. Solange Kaiba Joey nicht irgendwo zurückgelassen, an einem Baum aufgeknüpft oder sonst irgendwie umgebracht und verscharrt hat, ist doch alles okay.“ Der Spruch brachte die meisten der Umstehenden zum Lachen und die Stimmung schien vorerst wieder merklich gelockert. Auch auf Dukes Lippen stahl sich unweigerlich ein kurzes Schmunzeln, gleichzeitig jedoch zog sich etwas in seinem Innern zusammen. Hoffentlich lag Tristan richtig und es war wirklich nur das: Ein kleinerer oder größerer Zoff, wie er zwischen Joey und Kaiba zum Alltag gehörte. Unwillkürlich musste er an gestern denken: daran, wie er Kaiba so völlig in sich versunken, ja beinahe verloren auf der Bank am See vorgefunden hatte, an den schmerzerfüllten Blick seiner blauen Augen, dazu Joeys Hunger auf jeden potentiell wunden Punkt des Brünetten und sei er auch noch so unscheinbar. Aber nein, wenn jemand sich zu wehren wusste, dann ja wohl Kaiba und mit Joey war er bisher – intellektuell überlegen, wie er war (Sorry, Joey!) – noch immer fertig geworden. Und letzterer war praktisch die lebende Verkörperung des Spruchs ‚Unkraut vergeht nicht’, weshalb man sich um ihn eigentlich noch weniger Gedanken machen musste. Ach, am Ende würden sich die beiden schon zusammenraufen und es schaffen, da war er sich sicher. Ob das allerdings noch im vorgegebenen Zeitrahmen erfolgte, das stand auf einem anderen Blatt. Die Minuten flogen dahin, ohne dass sich am Waldrand etwas rührte, und schon bald war eine halbe Stunde vergangen. Während manche noch immer gespannt, manche zunehmend genervt auf den Weg starrten, auf dem Joey und Kaiba hoffentlich jede Sekunde aus dem Wald herauskommen würden, lagen oder saßen auch die Schüler der anderen Klasse gelangweilt im Gras; ein paar hatten sich einen Fußball organisiert, den sie unmotiviert hin und her kickten. Frau Kobayashi stand noch immer nahe bei ihren Schülern und sah im Minutentakt nervös auf ihre Uhr, da trat Herr Takeda mit einigen seiner Schüler im Schlepptau auf sie zu und verschränkte dominant die Arme vor seiner schmalen Brust. „Nun, meine Liebe, es sieht wohl ganz so aus, als hätten Sie und Ihre Schüler schon wieder verloren!“ „Was Sie nicht sagen!“, gab Frau Kobayashi grimmig zurück. Ihr war nur zu deutlich anzusehen, dass sie dem Lehrer sein überhebliches Grinsen am liebsten ganz unzivilisiert aus dem Gesicht gewischt hätte. Herr Takeda schnaubte kurz amüsiert und plauderte leichthin weiter: „Aber ich kann es schon verstehen: Orientierungslauf ist eine komplexe Angelegenheit und nicht allen Jugendlichen gelingt es heutzutage mehr, sich ganz ohne Zuhilfenahme eines Mobiltelefons in der Natur zurechtzufinden – umso mehr, wenn sie es nicht durch die strikten Regularien einer erstklassigen Lehranstalt wie der unseren gewohnt sind. Aber vielleicht entsprechen ja die nächsten Disziplinen eher dem Fähigkeiten-Niveau ihrer Schüler!“ Während er sprach, ballte sich Frau Kobayashis linke Hand voll unterdrückter Aggression zu einer Faust zusammen. Als er geendet hatte, hob sie drohend den Zeigefinger und funkelte ihn wütend an. „Wagen Sie es ja nicht, zu behaupten, meine Schüler hätten geringere Fähigkeiten! Sie haben ja keine Ahnung! Warten Sie es nur ab, wir zeigen Ihnen schon noch, wo es lang geht, mein Guter!“ „Wenn Sie das sagen!“, lachte Herr Takeda nur spöttisch, löste sich aus der Gruppe und kehrte zurück zum Rest seiner Klasse. Auch Frau Kobayashi entließ ein verärgertes Schnauben und entfernte sich ein paar Meter in die entgegengesetzte Richtung, um ihre Rage ein wenig abkühlen zu lassen. Zurück blieben die Schüler, die sich gegenüber standen und sich mit abschätzigen Blicken musterten. „Na, wollt ihr nicht langsam mal einen Suchtrupp losschicken oder habt ihr Angst, dass der sich auch noch verläuft?“, ergriff der Junge mit den blondierten Haarspitzen das Wort, der vorgestern das Kommando gegeben hatte, den Gemeinschaftsraum zu besetzen. Das Schultrikot, das er trug, wies ihn, passend zu seiner Größe und Statur, als Rugby-Spieler aus. Kenta Matsuda – so lautete der Name auf dem Trikot – hatte ein breites und kantiges Gesicht mit einem stechenden Blick und einem gehässigen Grinsen auf den Lippen; die Hände hatte er locker in den Taschen seiner Jogginghose vergraben. Wie eine Mauer bauten sich Tristan, Duke und Tea sowie einige andere Mitschüler, die bereits das Gespräch der Lehrer mitverfolgt hatten, vor ihm und seinen Freunden auf. „Hast du noch mehr so smarte Hinweise, Blondi?!“, fragte Tristan schon leicht aufgebracht zurück. Zwar überragte er sein stämmiges Gegenüber um ein paar Zentimeter, war gegen ihn jedoch vergleichsweise schmächtig. „Oh, ich bitte vielmals um Entschuldigung, ich wollte euch doch nicht aufregen!“ Kentas Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. „Ganz ehrlich, ihr habt mein volles Mitgefühl! Es muss ziemlich traurig und frustrierend sein, wegen nur zwei unfähigen Leuten so haushoch zu verlieren!“ Beinahe hätte Duke gelacht. Hätte „Blondi“, wie Tristan ihn nannte, gewusst, wer noch fehlte, sein gespieltes Mitleid wäre ihm im Hals stecken geblieben. Ja, wenn man Joey Wheeler und Seto Kaiba zusammenwürfelte, mochte nicht gerade das bestmögliche Ergebnis dabei herauskommen, aber davon mal abgesehen war Kaiba wohl einer der fähigsten und versiertesten Menschen überhaupt und das in extrem vielen Bereichen. Und auch Joey besaß durchaus seine (wenngleich ganz anders gelagerten) Qualitäten. Mit etwas Glück konnten sie das in den weiteren Disziplinen noch unter Beweis stellen…und dann war es ja vielleicht sogar ganz nützlich, wenn die anderen sie unterschätzten. „Jetzt pass mal auf, du …!“, setzte Tristan schon mit geballten Fäusten zu einer Erwiderung an, aber Duke legte ihm besänftigend die Hand auf die Schulter und wandte sich seinerseits in seiner gewohnten Nonchalance an Kenta. „Tris, lass doch … ähm …“, er beugte sich ein wenig vor, um mit leicht übertrieben zusammengekniffenen Augen den gestickten Namen auf der Brust des Trikots zu lesen, „ …Kenta und seine Freunde glauben, was sie wollen! Wir haben noch drei Disziplinen vor uns, wir haben also noch genügend Zeit, unsere angebliche ‚Unfähigkeit‘ unter Beweis zu stellen.“ Seine grünen Augen blitzten selbstbewusst auf und ganz nebenbei sah er den Mädchen der Gruppe um Kenta – allesamt ausnehmend hübsch, schlank und langbeinig, davon eine blond, eine brünett, eine mit dunklem Haar – jeweils einmal kurz in die Augen. Diskret, verstand sich. Tristan blieb weiterhin sichtlich angespannt, nickte aber in geradezu offensiver Zustimmung. „Genau, in den nächsten Runden versohlen wir euch nämlich ordentlich den Hintern und dann werden wir ja mal sehen, wer hier zuletzt lacht!“ Kenta amüsierte sich darüber offensichtlich prächtig. „Oh, mir schlottern schon die Knie! Kommt Leute, so viele Versager auf einem Haufen ertrage ich nicht so lange!“ Damit gab er seinen Freunden das Zeichen ihm zu folgen und zurück zum Rest zu gehen. Gehorsam wandten sie sich um und entfernten sich, allerdings nicht ohne, dass sich die Mädchen noch einmal heimlich zu ihnen umdrehten. Mit seinem charmantesten Lächeln auf den Lippen zwinkerte Duke ihnen zu und sie lächelten leicht errötend und verzückt zurück; die Blonde winkte ihm sogar unauffällig zu. Sollte Tea sagen, was sie wollte, seine Ausstrahlung war doch immer wieder nützlich! Immerhin hatte er auf diese Weise schon einmal einen Teil – mehrheitlich den weiblichen – von Kentas Freunden ein Stück mehr auf ihre Seite gezogen. Und sicherlich würde ein solches harmloses Flirten noch nicht unter ihre Definition von echter Manipulation fallen, oder? „Arschloch! Dem werden wir es zeigen!“, grummelte Tristan, der Dukes nonverbale Interaktionen offenbar nicht wirklich bemerkt hatte. Unterdessen ging das Warten weiter und die Freunde um Yugi wurden langsam sichtlich nervös. Auch Frau Kobayashi hatte mittlerweile eine Grenze gesteckt: Wenn Kaiba und Joey in zehn Minuten nicht auftauchten, würden erste Such- und Kontaktaufnahme-Maßnahmen ergriffen werden. Fünf Minuten vor Ablauf dieser Frist war endlich zwischen den lichten Bäumen eine Bewegung auszumachen und Tea deutete aufgeregt in Richtung Waldrand. „Da drüben, da sind sie!“ Alle Blicke folgten ihr und in der Tat kamen zwei Gestalten langsam aus dem Dickicht gestiefelt. Duke erkannte schon von Weitem Kaibas blaues Laufshirt und nahezu sofort war es, als fiele ein unsichtbares Gewicht von ihm ab. Je näher die beiden kamen, desto mehr fiel auf, dass Kaiba und Joey ziemlich mitgenommen und erschöpft aussahen und ihre Sportkleidung so verdreckt war, als hätten sie sich einmal komplett über den Waldboden gewälzt. Was gar nicht so unwahrscheinlich war, dachte Duke noch kurz, bevor er ihnen gemeinsam mit Yugi, Tea, Tristan und Ryou entgegenlief. Frau Kobayashi folgte den Freunden nicht minder aufgeregt, aber aus körperlichen Gründen in gesetzterem Tempo. Auch die andere Klasse hatte die Nachzügler bemerkt, was sie von Weitem lautstark durch Pfiffe, Johlen und Ausbuhen signalisierten. „Schnauze da drüben!“, rief Tristan ihnen wütend entgegen und wieder beschwichtigte ihn Duke mit einem Kopfschütteln. „Lass die Idioten! Denen zeigen wir es nachher schon noch.“ Mit einem Augenrollen und mit einem winzigen Rest Widerstreben wandte auch Tristan sich nun seinem ramponierten besten Kumpel zu. „Hallo Leute!“, begrüßte Joey mit einem matten Lächeln seine Freunde. „Da seid ihr ja endlich, wir haben uns echt Sorgen gemacht!“, rief Tea aufgeregt und legte ihren linken Arm um ihn. „Ach was, ihr kennt mich doch, mich haut so schnell nichts aus den Socken! … Auch der da nicht!“, ergänzte er mit einem Nicken in Richtung Kaiba und wies auf den Papierfetzen in dessen Hand. „Ich nehme mal stark an, unsere halbe Karte will keiner mehr sehen? Und den Kompass haben wir leider auch nicht mehr.“ Tristan winkte ab und legte dem Blonden ebenfalls von der anderen Seite den Arm auf die Schultern. „Ach, vergiss es, die Nummer ist für uns eh gelaufen. Aber was ist denn eigentlich passiert?“ In diesem Moment stieß auch Frau Kobayashi ein wenig kurzatmig dazu und schob Yugi und Ryou brüsk beiseite. „Das wüsste ich zugegebenermaßen auch gerne!“ Joey warf einen kurzen Seitenblick zu Kaiba, der sich schließlich kurz räusperte und wie schon gestern eine sachliche, aber ausreichend unspezifische Antwort parat hatte: „Eine Aneinanderreihung unglücklicher Umstände, angefangen mit der Teamzusammenstellung.“ Bestätigendes Nicken von Joey. Es war ganz offensichtlich, dass Frau Kobayashi mit dieser Erklärung nicht zufrieden war. „Soso. Und würden Sie mir freundlicherweise auch noch erklären, wie es dazu gekommen ist?“, bohrte die Lehrerin weiter und wies mit der Hand auf die verdreckte Kleidung und die leichten Kratzer und Blessuren, die sie erkennen konnte. „Ein … Führungskonflikt?!“ Joey versicherte sich mit einem erneuten Blick in Richtung Kaiba, ob auch der mit dieser Antwort einverstanden war. Da kein Widerspruch oder eine Korrektur kam, schien das wohl der Fall zu sein. Frau Kobayashi seufzte tief und schüttelte den Kopf. Ihr war natürlich aus täglicher Erfahrung klar, was das zu bedeuten hatte. „Ach, Mr. Wheeler, es ist doch wirklich immer dasselbe mit Ihnen!“ „Hey! Der Gelds…“ Er unterbrach sich nach einem warnenden Blick von Tea. „Der hier war auch dabei!“ Mit dem Daumen zeigte er auf den Brünetten. Frau Kobayashi folgte seinem Blick und seiner Geste, ließ sich aber davon nicht ablenken. „Keine Angst, zu Mr. Kaiba komme ich auch noch!“ Dessen Augenbrauen wanderten angesichts dieser Ankündigung unwillkürlich nach oben und Duke konnte sich ausmalen, dass ihm die Aussicht gar nicht schmeckte, vor der ganzen Klasse belehrt zu werden wie ein unartiger Drittklässler. „Sind Sie nicht ein einziges Mal in der Lage, Mr. Wheeler, sich zusammenzureißen und mit Mr. Kaiba zu einigen? Manchmal würde es Ihnen wirklich gut tun, anzuerkennen, wenn jemand anderes in einer Sache besser ist als Sie – auch wenn Sie anderweitige Vorbehalte gegenüber der Person haben! Werden Sie endlich erwachsen, Mr. Wheeler!“ Joey holte schon Luft, um etwas zu erwidern, doch Yugi zupfte ihn an seinem Shirt und bedeutete ihm mit einem Kopfschütteln, jetzt besser zu schweigen. Frau Kobayashi richtete indes ihre Tirade wie angekündigt auf das nächste Ziel: „Und nun zu Ihnen, Mr. Kaiba! Von Ihnen hätte ich wirklich mehr erwartet! Von allen Schülern dieser Klasse sollten Sie doch nun wirklich am allermeisten über irgendwelchen kindischen Querelen stehen können!“ Nicht nur Duke bemerkte die unverkennbare Ironie dieser Aussage, kam sie doch ausgerechnet von der Person, deren eigene ‚kindische Querele‘ die ganze Aktion hier überhaupt erst verursacht hatte. „Sie sind gestern schon glimpflich davon gekommen, Mr. Kaiba, aber seien Sie versichert, dass ich spätestens ab jetzt auch auf Sie ein sehr strenges Auge haben werde!“ Jetzt sah sie zwischen ihren beiden sie jeweils um mindestens zwanzig Zentimeter überragenden ‚Delinquenten‘ hin und her. „Wenn Sie beide nicht gewesen wären, hätten wir gegen diese Privatschulschnösel gewonnen! Ich hoffe das ist Ihnen bewusst und Sie werden sich in den kommenden Disziplinen besonders anstrengen, um das wieder gut zu machen!“ Kaiba sah daraufhin nur mit einem Augenrollen zur Seite und schon wieder konnte Duke ein unwillkürliches Zucken seiner Mundwinkel nicht unterdrücken. Während seine Freunde sich noch enger um Joey scharten und dessen kleine Verletzungen begutachteten, hielt sich Duke etwas mehr im Hintergrund. Aus dem Augenwinkel sah er noch einmal zu dem ein wenig abseits stehenden Kaiba hinüber und versuchte herauszufinden, ob mit ihm wirklich alles in Ordnung oder doch eher „alles in Ordnung“ war. Just in diesem Moment wandte der Brünette den Kopf in seine Richtung und als ihre Blicke sich trafen, trat auf Dukes Lippen wie von allein ein sanftes Lächeln. Für einen Sekundenbruchteil schien Kaiba irritiert, dann aber, so hätte Duke schwören können, bewegten sich auch seine Mundwinkel minimal nach oben, und augenblicklich erfüllte eine fast schon überschwängliche Leichtigkeit den Schwarzhaarigen. In der Zwischenzeit war auch Herr Takeda mit seiner Klasse herangetreten und verkündete mit demonstrativer Überheblichkeit: „Sehr schön, jetzt wo endlich auch Ihre Schüler vollzählig wieder da sind, können wir ja zum Mittagessen gehen. Wir haben, denke ich, alle schon seit geraumer Zeit großen Hunger.“ Frau Kobayashi fiel es sichtlich schwer, sich einen bissigen Kommentar zu verkneifen, doch inhaltlich musste sie Herrn Takeda zweifellos zustimmen und so gab auch sie das Kommando zum Hineingehen. Die letzten Schüler, die noch auf einer der Bänke oder im Gras saßen, erhoben sich ebenfalls und alle gemeinsam machten sie sich auf den Weg in die Herberge. Ursprünglich war das Mittagessen für zwölf Uhr anberaumt gewesen, doch durch Kaibas und Joeys Verspätung hatte es sich um eine knappe Stunde nach hinten verschoben. Während alle zielstrebig in den Speisesaal strömten, beobachtete Duke aus dem Augenwinkel, wie Kaiba kurz ein paar Worte mit Frau Kobayashi wechselte und im Gegensatz zum Rest nicht mit in den Speisesaal ging, sondern die Treppen zu ihrem Zimmer erklomm. Duke schmunzelte. So weit war es also schon gekommen, dass Seto Kaiba sich bei der Lehrerin abmelden musste, um – wie er vermutete – duschen und sich umziehen gehen zu können. Aber da Frau Kobayashi wohl eine Suchexpedition losgeschickt hätte, wenn er plötzlich einfach so nicht beim Mittagessen gewesen wäre, war diese Variante wohl zu bevorzugen. Noch mehr Aufregung um seine Person wollte Kaiba heute vermutlich tunlichst vermeiden. Während sie gemeinsam am Tisch saßen und das Essen einnahmen, erzählte Joey wunschgemäß noch einmal ganz ausführlich von den Erlebnissen im Wald. „Und ob ihr’s glaubt oder nicht, der kennt Blair Witch Project nicht! Hallo?! Blair Witch Project! Das ist doch nun wirklich ein Klassiker! Und ich hätte wetten können, wenn Kaiba eine Art von Filmen mag, dann Horrorfilme!“ Duke grinste nur in sich hinein. Joeys Geschichten und Beschwerden hätten noch stundenlang so weitergehen können, solange sie Kaiba einschlossen. Wie anstrengend mussten die vergangenen Stunden für ihn gewesen sein! Vor allem in den letzten zwei Tagen hatte Duke das – vielleicht trügerische – Gefühl bekommen, Kaiba durch ihre längeren und kürzeren, aber immer irgendwie … intensiven Unterhaltungen und Interaktionen sehr viel besser kennen gelernt zu haben. Bei genauerer Betrachtung waren ihre Leben stellenweise gar nicht so unterschiedlich, hatten mehr Schnittpunkte, als er sich bisher bewusst gemacht hatte, und in manchen Dingen tickten sie wahrscheinlich sogar ganz ähnlich. Im Laufe von Joeys Bericht konnte er immer wieder nachfühlen, wie es dem Brünetten gegangen sein musste und sich dessen Reaktionen auch ohne Joeys schlechte Imitationen nur zu gut ausmalen – hatte er selbst den Blonden doch am Anfang mit der gleichen Haltung nahezu absoluter Geringschätzung betrachtet, wie Kaiba es noch immer tat. Das hatte sich dann ja glücklicherweise recht schnell geändert und mittlerweile mochte und schätzte er Joey nun schon seit vielen Jahren als absolut verlässlichen und treuen Freund, aber manchmal … ja, manchmal war Joey eben einfach nervig und anstrengend. Ganz besonders, wenn er hungrig war oder planlos … oder sich wie wild in eine entweder völlig harmlose oder beinahe aussichtslose Sache verbissen hatte. „Und wisst ihr, was wirklich seltsam ist?“ Alle schüttelten den Kopf. „Kurz bevor wir wieder angekommen sind, hab ich ihn noch ganz nebenbei gefragt, ob er Dinos mag. Ihr wisst schon, wegen diesem komischen Block und so.“ Unwillkürlich hörte Duke bei der Erwähnung des Blocks noch aufmerksamer zu. Prüfend sah er sich in ihrer Runde um und registrierte zu seiner Erleichterung allseits hochgezogene Augenbrauen, leises Seufzen und dezentes Augenrollen, doch Joey ließ sich davon nicht beirren. „Und er hat nur so sinngemäß gesagt – also stellt euch jetzt Kaiba vor –“, wieder versuchte er dessen Haltung und Ausdrucksweise nachzuahmen, „Blablabla, Hundebeleidigung, blabla. Nein, nicht besonders! Das ist doch weird! Warum hat er sich dann einen Block – und wohlgemerkt den passenden Stift dazu! – mit scheiß Dinos drauf gekauft, den er jeden Tag stundenlang anschauen muss?“ „Joey, lass es doch einfach mal gut sein mit diesem blöden Block! Vielleicht hat er sich einfach keine großen Gedanken darüber gemacht und sich das nächstbeste gegriffen, was da rumlag.“, warf Tea ein, um dem leidigen Thema endlich ein Ende zu setzen. Joey schüttelte sehr bestimmt den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht. Nie und nimmer würde Kaiba einfach das ‚nächstbeste‘ nehmen! Da ist er nicht der Typ für.“ Duke kam nicht umhin, Joey in Gedanken für diese überaus treffende Einschätzung Respekt zu zollen. Noch so eine Eigenschaft, die er und Kaiba teilten. Tatsächlich war dieser Block auch für ihn, den eigentlichen Käufer des ‚Corpus Delicti’, alles andere als das Nächstbeste gewesen; er hatte ihn im Gegenteil ganz speziell für den Moment der Übergabe und Kaibas entgeistertes Gesicht beim Auspacken ausgesucht. Immer noch stellte er sich allerdings die Frage, ob diese wenigen – zugegeben fabelhaften – Sekunden den fortdauernden Stress und die Aufregung wirklich wert gewesen waren, die er mit der Auswahl dieses so auffälligen Schreibwarenmodells losgetreten hatte. „Okay Mann, lass mich mal ganz ehrlich sein: Es interessiert hier einfach niemanden außer dich!“, konfrontierte Tristan den Blonden mit der schlichten Wahrheit. Ein leicht beleidigter Ausdruck schlich sich auf Joeys Gesicht und er verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. „Tze, wenn das so ist, dann finde ich eben alleine raus, was dahinter steckt!“ „Oder du lässt es einfach bleiben!“, schlug Tea noch einmal mit Nachdruck vor, aber für diese Art von Einwurf war Joey offenkundig taub. Ihr Gespräch wandte sich in der Folge wieder anderen Themen zu, wofür Duke mehr als dankbar war. Unbemerkt von den meisten anderen Anwesenden betrat nur zwei Minuten später Kaiba den Speisesaal; wie Duke richtig vermutet hatte, frisch geduscht und ordentlich in sein weißes Hemd und seine hellgraue Jeans gekleidet. ‚Na endlich!‘, schoss es ihm durch den Kopf, aber der Gedanke war zu schnell wieder verschwunden, als dass er sich näher mit ihm hätte befassen können. Stattdessen ergriff ihn augenblicklich eine freudige, fast hibbelige Unruhe. Sein Blick folgte unauffällig dem Brünetten, der sich an der Durchreiche einen Teller des Reisgerichts abholte, das heute auf dem Speiseplan stand, und sich gewohnheitsmäßig allein an einem der noch freien Tische niederließ. Nur zu gern hätte Duke sich zu ihm gesetzt und sich seine Sicht der Erlebnisse im Wald angehört, soweit Kaiba das überhaupt mit ihm teilen wollte, aber im Hinblick auf Joey war das im Moment wohl nicht die beste Idee. Doch vielleicht könnte er heute Abend sein Glück versuchen, wenn sie wieder allein waren und im Bett lagen… „Ich möchte wirklich wissen, woran du gerade denkst!“, riss Teas Stimme Duke aus seinen Gedanken. Beinahe hätte er sich vor Schreck verschluckt. „Ich? Warum?“, fragte er irritiert und mit aufgeregt klopfendem Herzen zurück, als habe sie ihn bei etwas Verbotenem erwischt. „Na, du warst gerade so weggetreten und hast ganz selig in dich rein gegrinst.“ Sie musterte ihn noch einmal eingehender und ein spitzbübisches Lächeln umspielte ihre Lippen. Dann schüttelte sie den Kopf. „Aber, wenn ich es mir recht überlege, ziehe ich die Frage doch zurück. Jeder Blick in einen eurer Köpfe würde mich wahrscheinlich fürs Leben traumatisieren.“ Duke atmete unmerklich auf, als sich just in diesem Moment die beiden Lehrer mit einem lauten Knarzen ihrer Stühle erhoben und damit automatisch die Aufmerksamkeit und das Interesse weg vom Inhalt seiner Gedanken lenkten. Wieder einmal ergriff Herr Takeda das Wort: „Meine Damen und Herren, jetzt, wo Sie das Essen beendet haben, fahren wir fort mit der Auslosung der nächsten beiden Disziplinen unseres schönen Wettbewerbs!“ Frau Kobayashi blickte bei dem Wort ‚schön‘ ein wenig frustriert zur Seite, ließ ihn aber fortfahren. „Da Kobayshi-san heute morgen den Anfang gemacht hat, ist es nun an mir, die“, er kicherte ein wenig altväterlich, „Glücksfee zu spielen.“ Damit nahm er das Glas mit den potentiellen Disziplinen zur Hand, durchmischte noch einmal die Zettel und zog schließlich zwei Stück heraus. Nicht nur Frau Kobayashi sah nun interessiert auf seine Hände, die das Papier entfalteten, selbst die unmotiviertesten Schüler konnten sich der Spannung nicht ganz erwehren. „Bei den nächsten beiden Disziplinen handelt es sich um … Kopfrechnen…“, die Reaktion war größtenteils genervtes Stöhnen, „und … Basketball.“ „Yes!“, riefen Tristan und Joey nahezu gleichzeitig aus, gaben sich ein High Five und sahen mit freudiger Aufregung zu Duke, der bei dieser Ankündigung ebenfalls begeistert die Hand zu Faust geballt hatte. „Dann können wir diesem blöden Kenta endlich zeigen, wo der Hammer hängt!“, ereiferte sich Tristan sogleich. Joey sah ihn fragend an. „Wem?“ „Dem da.“ Tristan zeigte dezent auf Kenta, der einige Tische entfernt saß und mit seinen Freunden lachte. „Ach, der Blödmann aus dem Gemeinschaftsraum!“ „Genau der. Als wir auf euch gewartet haben, hat der noch ein bisschen den dicken Macker markiert und sich über uns – und vor allem über euch! – lustig gemacht.“ Sofort war auch Joey Feuer und Flamme. „Tze, na, dem werden wir sein vorlautes Maul schon stopfen!“ Aus Ryou sprach wieder einmal die Stimme der Vernunft und er verpasste damit der Euphorie einen kleinen Dämpfer: „Tja, dazu wird es aber nicht mehr kommen, wenn wir vorher beim Kopfrechnen verlieren. Dann hätten die anderen drei von fünf Siegen und damit den Wettbewerb schon gewonnen.“ Augenblicklich wurden die Mienen der Jungs wieder etwas länger. „Also dazu kann ich nicht besonders viel beitragen.“, räumte Tristan missmutig ein und auch Joeys Gesicht fiel merklich in sich zusammen. „Das wird schon, Leute, macht euch mal keine Sorgen!“, lächelte Yugi und wieder einmal fragten sich fast alle am Tisch, woher er nur immer diese Sicherheit und Zuversicht nahm. Aber da er meistens recht behielt, konnten sie auch jetzt nicht anders, als ihm zu glauben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)