Eine Begegnung verändert alles von Charly89 (Daryl und Matt) ================================================================================ Kapitel 9: Nicht die feine Art ------------------------------ Daryl   Der Angriff weiß, was er will. Die Verteidigung befindet sich in dem Zustand der Ungewißheit. Helmuth von Moltke Ich stehe da und sehe dem schwarzen Motorrad nach, das von meinem Grundstück fährt. Es hat mich einiges an Überzeugungskraft gekostet meinen Bruder dazu zubringen endlich zu gehen. Er hat ein gutes, und vor allem normales Leben und ich möchte, dass das so bleibt. Die Geschehnisse von heute zeigen deutlich, dass ich ihn von ihr fernhalten sollte. Mia wäre kein guter Umgang für ihn. Sie ist, trotz aller Angst und Sorge, recht routiniert mit der Situation umgegangen. Sie wusste, dass sie bei mir auf entsprechende Hilfe hoffen konnte. Und sie war bei dem Streetrace, wo sie auch nicht wirklich deplatziert wirkte. Ich will, muss, meinen Bruder schützen. Deswegen will ich ihn von ihr fernhalten. Er ist schon oft genug durch mich in Gefahr, da braucht es nicht noch jemanden, der ihn womöglich wieder in dubiose Machenschaften verwickelt. Genau das rede ich mir ein, mit mehr oder weniger erfolgreich. Ein genervtes Seufze verlässt meine Kehle. Ein letzter Blick auf den glitzernden Pool, der mich auf merkwürdige Wiese an sie erinnert und dann gehe ich nach drinnen. Gegenüber der Terrassentür steht die Couch auf der Mia sitzt. Ihre Füße sind auf der Sitzfläche und sie hat die Beine an den Körper gezogen. Ihr Kopf liegt im Nacken und ist auf der Lehne abgelegt. Sie starrt leer an die Decke und scheint tief in ihren Gedanken versunken. Ich stehe in der Terrassentür, mit verschränkten Armen an den Rahmen gelehnt, und betrachte sie. Mein Blick wandert sie ab und ich spüre eine nicht definierte Unruhe hochkommen. Da ist sie, die kleine Raubkatze, die sich in mein Leben geschlichen und so viel durcheinandergebracht hat. Und auch bei meinem Bruder. Der Gedanke lodert hoch und brennt wie Höllenfeuer. Ich muss mich zusammenreißen sie nicht anzufauchen wegen der Tatsache, dass sie mit Matt in der Kiste war. „Wir sind kein Paar. Wir sind einander nichts verpflichtet.“ Ich rede es mir ein, aber … Das Mantra verfehlt seine Wirkung. In mir kocht es immer mehr, ich habe das Gefühl jeden Moment die Beherrschung zu verlieren. „Es tut mir leid“, flüstert es plötzlich leise und kaum hörbar. Überrascht ziehe ich die Augenbraue hoch. Ihre Stimme klang aufrichtig und ehrlich betroffen. Dennoch kann ich nicht aus meiner zweiten Haut, aus dem Schutzpanzer den ich mir über die Jahre zugelegt habe. Und auch das beständige Brennen in meinem Magen beruhigt sich nicht. „Das müsstest du schon konkretisieren. Es gibt so einiges, für das du dich entschuldigen könntest“, spotte ich herablassend, weil ich einfach nicht anders kann. Mia knurrt genervt und hebt den Kopf. Ihre blauen Augen treffen mich mit voller Wucht; sie funkeln sauer und angriffslustig. Dann schließt sie sie kurz und atmet durch. Als sie die Lider wieder hebt wirkt ihr Blick trüb und … gebrochen. Mir tut mein Kommentar sofort leid, aber ich verberge meine Reue; man zeigt keine Schwäche, da wo ich herkomme, da wo ich die letzten Jahre verbracht habe. Reue und Mitgefühl haben keinen Platz in der Unterwelt. Fressen oder Gefressen werden ist der Leitkodex an dem ich mich die letzten Jahre strickt gehalten habe. „Alles“, seufzt sie müde und kraftlos. „Alles tut mir leid.“ Ihr Blick, der immer noch auf mich gerichtet ist, wird weich und zart. Ich muss an mich halten nicht zu ihr zugehen um sie in den Arm zunehmen. Ich bin ein wenig erschrocken darüber, dass sie es schafft derartige Gefühle in mir auszulösen. Ich hasse es und gleichzeitig mag ich es, weil ich mich dadurch wieder etwas menschlicher fühle.  Eine schwere Stille legt sich über uns, während wir uns abwartend betrachten. Ein wenig unsicher, ein wenig lauernd sehen wir uns an. Zwei Raubtiere auf fremden Terrain die nicht wissen wie sie miteinander umgehen sollen. Ich will mein Bruder schützen. Ich sage es mir immer wieder in meinem Kopf, in der Hoffnung mich selbst zu überzeugen. Es stimmt auch; aber es ist am Ende nur ein Bruchteil der Wahrheit. Ich sehe die kleine Raubkatze in ihr. Selbst vorhin als sie krank vor Sorge um Juri hier aufgetaucht ist habe ich sie gesehen, sie war die ganze Zeit da. Sie ist kein Püppchen, keine die davonläuft, oder das Weinen bekommt, wenn sie sich die Hände schmutzig macht. Sie ist taff, schlagfertig und zäh. Und trotzdem weiblich, sanft und liebevoll. Eine Eigenschaftenkombination, die ich so bisher bei keiner Frau angetroffen habe. Sie ist anders … Matt hat damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Ja, ich will meinen Bruder hier raushalten. Mia hat offenbar einen regulären Job als Fotografin, aber trotzdem scheint sie sich in der gesellschaftlichen und rechtlichen Grauzone ziemlich souverän zu bewegen. Schlimm genug, dass ich Matt oft genug ungewollt wieder in irgendwelchen Scheiß reinziehe. Und … nun ja … Ja, verdammt, ich will sie für mich. Ich will sie besitzen, will das sie mir, und nur mir, gehört. Trotz der Geschichte mit meinem Bruder. Und deswegen soll er weit weg bleiben. Wir sind Zwillinge. Wir sind uns sehr ähnlich, aber dennoch verschieden. Ich weiß um seine Wirkung auf das andere Geschlecht. Nicht, dass meine Erfolge unbedingt weniger sind aber … Er ist der gute Junge, der charmante Witzbold. Matt ist der stärkere von uns beiden. Er ist das Licht, ich bin die Dunkelheit. Die Entscheidungen der Damenwelt waren meist recht schnell gefallen. Wer will schon die Finsternis, außer für ein Abenteuer? Mein Blick fällt auf ihr Smartphone, das friedlich auf dem Tisch liegt. „Hat er aufgegeben oder hast du ihn direkt durch die Leitung zerfleischt?“ Nachdem Gespräch in der Küche hatte der Anrufer nicht aufgegeben. Das Smartphone hatte immer wieder vibriert und sie es immer genervter ignoriert. Mia zieht die Augenbraue hoch und legt den Kopf schief. Sie mustert mich, dann huscht ein amüsiertes Schmunzeln über ihre Lippen. „Ich habe es ausgeschaltet“, erklärt sie. „Stell dir vor, ich weiß wie das geht.“ Die Anspannung zwischen uns löst sich allmählich auf und ich gehe zu ihr. Ich setze mich neben sie auf die Couch, mit etwas Abstand. In mir kämpfen gerade so einige Dinge gegeneinander um die Vorherrschaft und ich bin mir nicht sicher wer gewinnen wird. Wieder hüllt uns Stille ein, aber sie ist weich und angenehm diesmal – fast schon friedlich. „Ich zahle dir das Geld zurück“, flüstert Mia nach einer Weile vor sich hin, ohne mich anzusehen. „Lass stecken. So nötig habe ich dein Geld nicht“, knurre ich frustriert. Glaubt sie wirklich, dass mir die Kohle wichtig ist? Ich fühle mich gekränkt. Das Thema ist heikel für mich, so ehrlich muss ich mit mir selbst sein. Ich sehe im Augenwinkel, wie sich ihr Kopf in meine Richtung dreht. „Arschloch.“ „Zicke.“ „Idiot.“ „Heulsuse.“ Mia sieht mich entsetz an. „Das nimmst du zurück“, fordert sie angefressen. Ich sehe sie ebenfalls an und Grinsen herausfordernd. „Nein“, antworte ich betont süßlich. Gleich habe ich sie soweit. Die kleine Raubkatze ballt das Gesicht zur Faust und boxt mich gegen den Oberarm. Sie hat ganz schön Kraft, das muss ich gestehen. Aber viel wichtiger ist, dass sie zurück ist. Die kleine Kratzbürste ist wieder da und das stimmt mich glücklich. Viel glücklicher, wie ich selbst gedacht hätte. „Willst du dich mit mir anlegen?“, frage ich arrogant und mustre sie offen. „Du scheinst vergessen zu haben, dass ich dich schon mal aufs Kreuz gelegt habe“, kontert sie mit einem süffisanten Grinsen. Nein, das habe ich nicht vergessen. Dieser göttliche Anblick, als sie auf mir saß und ich sie in ihrer ganzen Pracht bewundern konnte hat sich tief in meinen Verstand gebrannt. Die Erinnerung schießt mir in die Lenden … und der nächste sorgt für einen unschönen Krampf in meinem Magen. Ich kann nicht anders und pfeffre ihr ihn eisig an den Kopf: „Und meinen Bruder auch.“ Für einen Moment habe ich den Eindruck, dass sich Packeis in ihren blauen Augen bildet. „Heul doch“, faucht sie mich an und steht auf. Ohne ein weiteres Wort oder einen Blick verlässt sie den Raum. Ich hasse mich, gleichzeitig hatte ich alles Recht der Welt das zu sagen. Allerdings wäre ein anderer Rahmen wohl vernünftiger gewesen. Sie hatte Todesangst um den Russen im Nachbarzimmer und einen heftigen Streit mit jemandem am Telefon. Ein emotional überladener Abend … und ich greife sie auch noch an. Als hätte sie noch nicht genug durchgemacht. Ja, mit mir wurde auch oft nicht besser umgegangen, aber das ist nicht ihre Schuld. Genervt von mir selbst stehe ich auf und folge ihr. Ich betrete das Nachbarzimmer, das im Dunkeln liegt. Juri liegt im Bett, sein Zustand ist stabil, aber er war noch nicht wieder bei Bewusstsein. Keine Raubkatze zu sehen … Mein Blick schweift durch den Raum und fällt nach rechts. Da ist sie. Mia sitzt neben der Tür, die Arme um die abgewinkelten Beine gelegt und starrt das Bett an. Ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter und auch meinen verdammten Stolz für einen kurzen Augenblick. „Ich … hätte das vielleicht anders …“ „Schon gut“, unterbricht mich die kleine Raubkatze und sieht zu mir auf. „Ist dein gutes Recht. Ich bin schließlich selbst dran schuld.“ Schwermut und Schuld schwingen in ihrer Stimme mit. Es war trotzdem nicht die feine Art. Nun gut, jetzt ist es eh zu spät. Ihr Blick geht wieder zu dem Russen und meiner auch. Ich war ziemlich angefressen wegen dem Kerl. Matt hat es natürlich gespürt und mich an seinem Wissen teilhaben lassen. Ihr Bruder im Geiste. Ich war … beruhigt nach dieser Information; was mich wiederum beunruhigte. „Juri also?“, biete ich einen Themenwechsel an. „Ja. Wir sind zusammen aufgewachsen … irgendwie“, steigt Mia ein. Sie sieht mich dankbar an und schenkt mir ein kleines Lächeln. „Wie wächst man den irgendwie zusammen auf?“, hake ich nach. Ich gehe zu ihr und lehne mich mit dem Rücken an die Wand. Langsam lasse ich mich runter gleiten und sitze schließlich neben ihr; und an ihr. Ich habe mich bewusst dafür entschieden den Kontakt aufzubauen; so nah wie möglich an sie heran zu rutschen. Ihr Körper an meinem … das fühlt sich verdammt gut an. Und auch dieses Angebot nimmt die kleine Raubkatze an und legt ihren Kopf an meine Schulter. „Wie man im Kinderheim halt aufwächst. Irgendwie eben“, flüstert sie bedrückt. „Du warst im Heim?“ Ich finde den Gedanken grässlich. Matt und ich hatten wenigstens unsere Großmutter, die uns aufgenommen hat. Wir hatten trotz allem eine Familie nachdem Tod unserer Eltern, auch wenn wir das damals anders gesehen haben. Mia nickt. „Ja. Ich war … fünf. Meine Mutter starb bei einem Raubüberfall. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort. Ein Kollateralschaden zweier Idioten, die für 50 Mäuse über Leichen gingen.“ Mein Herz krampft. Fünf. Mein Bruder und ich waren acht als der Unfall geschah. Wir können uns schon kaum an unsere Eltern erinnern, bei ihr dürfte da gleich gar nichts sein. Stellt sich aber die Frage … „Und dein … Vater?“, hake ich behutsam nach und hoffe, dass ich nicht in ein zu großes Fettnäpfchen tappe. Sie zuckt mit den Schultern. „Hat sich aus dem Staub gemacht, bevor ich überhaupt auf der Welt war“, erklärt sie kühl. Feigling ist das erste was mir dazu einfällt. Wie kann man sein Ungeborenes im Stich lassen? Wut überkommt mich und ich brumme verärgert. „Bei Juri war es anders“, erzählt die kleine Raubkatze weiter. „Sein Dad wollte, konnte aber nicht so. Er hat gearbeitet und einfach keine Zeit gehabt. Das Jugendamt hat Juri dann einkassiert. Aber sein Vater hat sich trotzdem immer gekümmert, hat ihn alle zwei Wochen für die Wochenenden heim geholt … und später dann, manchmal auch uns alle.“ Zum Ende hin wird ihre Stimme immer weicher und glücklicher. Die Erinnerungen scheinen ihr zu gefallen. Doch mich verwundert etwas. „Uns alle?“ „Mich, Liam, Chris und Juri eben. Wir … wir waren Familie. Wir haben uns unsere eigene kleine Welt geschaffen, waren für einander da und haben uns um einander gekümmert.“ Mia spannt sich an und ihr Ton wird gedämpfter. „Auch nach der Zeit im Heim.“ Ich bin verwundert, wegen dem Umschwung in ihrer Stimme. „Das klingt doch gut“, versuche sie zu ködern. Irgendetwas ist da noch. „Wir waren uns selbst überlassen. Die Gegend in der das Heim war, war nicht gerade die beste. Die Erzieher waren überfordert und eigentlich froh, wenn so viele Kids wie möglich draußen ihre Zeit verbrachten …“ Die kleine Raubkatze legt eine Pause ein und holt tief Luft. „Vier Halbstarke, in einer schlechten Gegend, die sich selbst überlassen waren …“ Ich verstehe nur zu gut, worauf sie hinauswill. Uns ging es nicht anders. Unsere Großmutter hatte sich immer nach Kräften bemüht, aber zwei Jungs von unserem Kaliber Herr zu werden war eigentlich unmöglich. Die Geburtsstunde des Ortega-Tornado. Und dann fällt man irgendwann den falschen Leuten auf, folgt dem Ruf des schnellen Geldes und ehe man sich versieht, hängt man in der Scheiße. „Keine gute Kombination“, seufze ich schwermütig. „Nein“, pflichtet mir Mia bei und verfällt in Schweigen. Ich lege meinen Arm um sie und drück sie an meine Seite. Sie folgt dieser Aufforderung und schmiegt sich an mich. Ich weiß wie schwer es ist, solche Dinge jemanden zu erzählen und es schickt eine warme Woge durch meine Nerven, dass Mia sich mir zumindest ein wenig anvertraut hat. Da ist noch mehr, das fühle ich. Aber für heute ist erstmal gut. Auch wenn ich immer noch nicht weiß, was heute passiert ist. Mit dem armen Juri. Mit dem BMW. Und mit der kleinen Raubkatze. Doch das rückt alles in den Hintergrund. Ihr warmer weicher Körper an meinem, ihr Duft in meiner Nase und die Tatsache, dass sie sich mir gerade ein wenig geöffnet hat, lassen mein Herz ein, zwei Takte schneller schlagen. Ich fühle, wie sich einige meiner Emotionen verbünden zu scheinen um die Anderen in die Schranken zu weisen. Scheiße. Matt hatte wohl recht mit seiner Einschätzung was mich betrifft … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)