Crescent von Tiaiel (Deep Red) ================================================================================ Kapitel 2: Sekunden in Moll --------------------------- Der darauffolgende Montag begann bei dem Blonden wie immer mit einem nervigen Weckerklingeln, das er am liebsten ignoriert hätte. In der Nacht war er kaum zur Ruhe gekommen. Zu viele Gedanken drängten sich ihm seit diesem Samstagabend auf. Natürlich war ihm klar, das er irgendwann auf jemanden treffen musste, der ihn kannte, und es war auch nicht abwegig, dass dieser Jemand Kaiba sein konnte. Dennoch beschäftigte es ihn doch wesentlich mehr, als er anfangs gedacht hatte. Zumal er dem Firmenchef auch am heutigen Tag wieder in der Schule begegnen würde. Doch es half nichts. Schließlich herrschte noch immer Schulpflicht, auch wenn ihm gerade eher nach einer Mütze Schlaf zumute wäre. Er quälte sich mühevoll aus dem kuschlig warmen Bett und machte sich schließlich fertig. Ein Gähnen folgte dem nächsten und seine Gedanken schweiften bereits wieder zu ganz anderen Themen als dem langweiligen Unterrichtsstoff ab. Nicht zuletzt zu einem gewissen Brünetten, für den er nun schon eine ganze Weile im Stillen schwärmte. Und jetzt hatte er ausgerechnet ihn an zwei aufeinander folgenden Wochenenden außerhalb der Schule an seinem heimlichen Arbeitsplatz angetroffen. Auch wenn ihm das aktuell mehr Angst als Freude bereitete, konnte er ein kleines Grinsen dennoch nicht unterdrücken. Jedoch vermied er aus eben genanntem Grund am heutigen Montag jedwede Interaktion mit dem Brünetten und verbrachte die Zeit in der Schule ungewohnt still, während er stets darauf bedacht war, ihm weitestgehend aus dem Weg zu gehen. Nach Unterrichtsende begab er sich dann, wie fest vorgenommen, auf die Suche nach geeigneten, farbigen Kontaktlinsen. Und tatsächlich wurde er bei einem Optiker in der Innenstadt fündig. Die Wahl der Farbe war auch nicht sonderlich schwierig. Blau sah so europäisch aus und traf nicht so ganz seinen Geschmack. Braune Augen hatte er ja bereits. Das hätte somit keinen Sinn gehabt. Blieb also nur noch Grün übrig, insofern er nicht eine ganz abgefahrene Farbe haben wollte. Nein, unnötigerweise noch mehr auffallen, war definitiv nicht sein Ziel. Dass es bei einem Optiker nicht die günstigsten Produkte zu kaufen gab, wusste er natürlich, aber bevor er Gefahr lief, am Samstagabend mit im Dunkeln leuchtenden, neongrünen Augen aufzutauchen, war diese Ausgabe wohl nötig. Sein heimlicher Nebenjob ließ dieses kleine Extra ausnahmsweise zu. Zufrieden mit seiner Ausbeute hoffte er, dass Kaiba im Falle eines erneuten Zusammentreffens den Schwindel nicht bemerkte. Dass er sein vorlautes Mundwerk dafür ein wenig zurückschrauben musste, damit er im Zweifel nicht genauso auf dessen gern auch abschätzige Aussagen reagierte wie in der Schule, musste er sich dabei mehrfach in Erinnerung rufen. Zugegeben, diese kleinen Sticheleien des anderen sowie die ständigen Wortgefechte waren gern mal die Höhepunkte seines Tages. Denn es war schier unmöglich, Seto Kaiba auf eine andere Weise nahezukommen, sofern man nicht einer seiner Geschäftspartner oder dessen geliebte Tochter war, die um den stoischen Firmenchef herum schwänzeln und ihm schöne Augen machen konnte. Genau so, wie Jonouchi es am letzten Wochenende hatte beobachten können. Für seinesgleichen war in solch einer Welt eben kein Platz. Schwärmerische Gedanken, so schwor sich der Blonde, würde er mit ins Grab nehmen, da er dahingehend keinerlei Chancen für sich sah. Also genoss er weiterhin heimlich die Aufmerksamkeit, die so nur ihm allein zuteil wurde. Doch zu seiner Verwunderung verlief die Woche relativ still. Bis zum Mittwoch geriet er nicht wirklich in Konfrontation mit dem Brünetten, dafür an besagtem Tag umso deutlicher, als Kaiba ihn frech anremeplte und ihn als Schuldigen hinstellte. Ein kurzer Schlagabtausch folgte, den der Firmenchef jedoch direkt wieder unterbrach. Seltsam. Er schien gedanklich irgendwie nicht bei der Sache zu sein. Offenbar gab es da etwas, das ihn mehr beschäftigte. Vielleicht die Kaiba Corp. oder Mokuba? Nein, bei beiden wäre er längst nicht mehr in der Schule und würde sinnlos darüber grübeln. Ärgerlicherweise interessierte es den Blonden brennend, was es wohl sonst sein könnte, und nur zu gern hätte er es in Erfahrung bringen wollen. Doch da er nicht wusste, wie genau er das anstellen sollte, verwarf er diesen Gedanken schnell wieder und beschloss, sich auf etwas Erfreulicheres zu konzentrieren, das nach Schulschluss auf ihn wartete. Heute würde ihn seine Schwester besuchen kommen, wenn auch nur über den Nachmittag hinweg. Sie hatten sich vor der Schule verabredet und Jonouchi nutzte die Zeit bis dahin, um sich mit seinem liebsten Hobby zu beschäftigen. Was er jedoch nicht wissen konnte war, dass Shizuka bereits früher am vereinbarten Treffpunkt ankam und beschloss, ihren Bruder zu überraschen. Sie wusste nur zu genau, wo sie ihn um diese Zeit finden würde. Als sie über den Schulhof lief, begegnete sie noch einem Schüler, der telefonierend Richtung Schultor ging. An der Haupteingangstür angekommen, hörte sie, wie im oberen Stockwerk eine Melodie erklang und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie öffnete die Tür, folgte den verheißungsvollen Tönen und stand wenige Sekunden später im Musikraum, in dem ihr Bruderherz am Klavier ein Lied aus alten Tagen spielte. Empfangen wurde sie mit einem warmen Lächeln und gab dieses nur allzu gern zurück. Die ruhigen und harmonischen Töne fluteten den Raum und tauchten ihn mit der langsam untergehenden Sonne in ein warmes Orange. Shizuka stellte sich neben Katsuya an das Klavier und begann wie früher mit ihrem Gesang in das Spiel einzustimmen. Beide schlossen ihre Augen und gaben sich der wunderbaren Melodie hin. Für einen flüchtigen Moment blendeten sie die ganze Welt um sich herum einfach aus und während seine Schwester völlig in das Klavierspiel eintauchte, spürte der Blonde, wie die Sehnsucht nach dem Vertrauten immer weiter wich. Die Musik verband sie beide auf eine ganz besondere Weise. All die unausgesprochenen Worte kamen zum Vorschein, ohne dass jemand ein Urteil darüber fällen konnte oder durfte. Es war das reine Gefühl, welches sich auf die Musik übertrug und tiefer ging, als je ein gesprochenes Wort es gekonnt hätte. Wie lang war es her, dass sie auf diese magische Weise zusammen gekommen waren? Eine kleine Ewigkeit wie es schien. Doch das Lied neigte sich bereits dem Ende zu und der Gesang Shizukas ebenso. Still lauschte sie wie früher den letzten harmonischen Tönen, bis diese letztendlich ebenfalls komplett verstummten. "Schön, dass du da bist, Shizuka“, freute sich der Blonde über den unverhofft frühen Besuch seiner jüngeren Schwester. "Ich wusste, dass du die Zeit nutzen würdest, in der die Musik AG keine Clubaktivitäten hat. Immerhin sagst du es mir ja oft genug, dass das die einzige Gelegenheit zum Spielen ist. Neben der Sache in der Bar versteht sich. Deswegen habe ich mich heute extra beeilt, um dir noch Gesellschaft leisten zu können“, schmunzelte sie ihn fröhlich an. Unter der Trennung der Eltern hatten beide sehr gelitten. Der eine mehr, der andere vielleicht sogar noch viel mehr als geglaubt. Inzwischen sahen sie sich wenigstens regelmäßig und diesmal bot sich diese einmalige Chance, die Shizuka nicht verstreichen lassen wollte. "Ist lang her, dass wir so zusammen gesessen haben. In der Nähe hat übrigens ein neues Café eröffnet. Was hältst du davon, gemütlich einen Kaffee trinken zu gehen?“, schlug der Blonde seiner Schwester vor. Diese nickte, hakte sich bei ihrem älteren Bruder ein und schlenderte mit ihm gemeinsam Arm in Arm aus dem Musikraum. Im Treppenhaus begegneten sie noch Kaiba, der es sehr eilig zu haben schien. So eilig, dass er Jonouchi beinahe in seiner Hast umgerissen hätte. Natürlich konnte dieser sich einen frechen Kommentar ob dieses Überfalls nicht verkneifen. Allein schon deshalb, weil er seine Schwester noch im Arm hatte. Als Antwort erhielt er selbstverständlich keine Entschuldigung, sondern ein “Mach einen Termin, wenn du dich beschweren willst”, mit dem er einfach abgespeist und stehen gelassen wurde, während der Brünette die Treppe hinauf hechtete. Eigentlich hätte er liebend gerne etwas erwidert, aber diese Ansprache wirkte tatsächlich eher halbherzig und unterstrich nur das seltsame Bild, das Kaiba die letzten Tage abgab, sodass er es auf sich ruhen ließ. "Nii-chan…? “, fragte daraufhin die leise Stimme neben ihm und sah ihn mit großen, fragenden Augen an. "Schon gut. Das ist der Typ, von dem ich dir neulich erzählt habe, der immer Streit mit mir anfängt. Ich wollte dir jetzt nur kein schlechtes Vorbild sein“, antwortete er auf die noch nicht gestellte Frage. "Ah. Ich verstehe“, gab die jüngere Schwester zurück, während sich ein Grinsen in ihr Gesicht schlich. Natürlich erzählte ihr großer Bruder auch oft von den Streitereien und wie wuschig der andere ihn damit machte. Doch Shizuka kannte ihren Bruder schon lange und manchmal vielleicht sogar besser, als es dem Blonden lieb war. Auch wenn er erzählte, wie sehr es ihn nerven würde und das er sich ja unbedingt Kaibas Respekt verdienen musste, schwang da immer so ein gewisser Unterton mit. Es war nur so ein Gefühl, das ihr sagte, dass da noch mehr dahinter steckte, als ihr Bruderherz preisgab. Vielleicht war es ihm anfangs auch noch gar nicht selbst bewusst. Aber mit der Zeit merkte er wohl, dass da etwas war, was er nicht ganz einzuordnen wusste oder schlicht nicht konnte. "Ich verstehe gar nicht, was daran so lustig ist, Schwesterherz“, gab der Ältere nur mürrisch zurück und freute sich innerlich über den unverhofften Körperkontakt mit seinem heimlichen Schwarm. To Be Continued… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)