Kriegerin bei Nacht von Anna_Lotta ================================================================================ Kapitel 2: Alon --------------- An diesem Morgen wachte Kira wie gerädert auf. Kaum hatte sie sich an die Ereignisse erinnert, stand sie hastig auf und ging zum Spiegel. Sie war wieder sie selbst. Während sie sich anzog und Frühstück machte, fragte sie sich, ob sie das nicht alles geträumt hatte, doch sie hatte die Gesichter ihres 16-jährigen Ichs und des Jungen zu klar im Gedächtnis, als dass es ein Traum hätte sein können. Sie bereute ihren Gefühlsausbruch von gestern immer noch, aber tief in ihr drin steckte der Trotz, der ihr sagte, dass sie keinerlei Verantwortung für das, was auch immer in Fabula City geschah, tragen musste. Warum ausgerechnet sie? Sie hatte keine besonderen Fähigkeiten, die sie in irgendeiner Weise qualifizierten eine „Kriegerin“ zu sein. Was genau war das überhaupt? Sie hatte immer noch keine Ahnung davon. Dieser Trotz begleitete sie den ganzen Morgen über. Doch nach dem Frühstück, als sie gerade ihren Becher abwusch, traf sie die Erkenntnis. Würde sie sich jetzt regelmäßig verwandeln? Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Vielleicht hatte sie gar keine Wahl? Sie musste zugeben, dass sie den Jungen von gestern wohl noch einmal treffen musste, um diese hartnäckigen Fragen zu klären, auch wenn es sie davor sträubte. Sie ließ Nox gerade in den Garten, als sie vor der Gartentür einen Zettel entdeckte. Sie bückte sich und hob ihn auf. Ich komme heute Abend wieder, um dir mehr zu erzählen. Alon Kira brauchte einen Moment, um sich zu erinnern, wer Alon war. Dieser Name hatte für sie noch keine Verbindung zu dem Wesen, dass sie gestern gesehen hatte. Sie seufzte und schlurfte wieder ins Haus hinein. Es war ein Wochentag und Kira musste zur Arbeit. Sie arbeitete als Bibliothekarin in der Stadtbücherei von Fabula City. Bis auf gelegentliche Unruhestifter war es ein sehr ruhiger Job, perfekt also für Kira. Sie nahm ihre Jacke, Tasche und Schlüssel, streichelte Nox über den Kopf und machte sich auf den Weg. Die Straßen waren zu dieser Zeit recht belebt. Kira stieg in die Straßenbahn ein und hielt sich an den kalten Metallstangen fest, während die Bahn an kleinen Geschäften, riesigen Wolkenkratzern und vielen Autos vorbei ruckelte. Als die Bahn in der Stadtmitte angekommen war, stieg Kira aus und schaute ihrem Ziel entgegen: Die Stadtbücherei von Fabula City war ein großes, altes Gebäude, welches umringt von Wolkenkratzern etwas fehl am Platz aussah. Kira ging die Allee, die zum Gebäude führte und an dessen Seiten Bäume standen, hinauf und betrat die Bücherei. „Kira? Hi!“, sagte eine Frauenstimme. Kiras Kollegin stand mit einem Stapel Bücher auf dem Arm dort. Kira fragte sich immer, wie sie so viele Bücher auf einmal tragen konnte. „Leah? Du bist wie immer so früh da!“, meinte Kira lächelnd und legte ihre Sachen am Tresen ab, „Was gibt es es heute zu tun?“ „Gestern wurden einige Bücher abgegeben. Könntest du sie einsortieren?“, fragte Leah, während sie ihren Stapel Bücher geräuschvoll abstellte. „Alles klar“, sagte Kira und machte sich an die Arbeit. Es war mittlerweile Mittag und der Rest der Bibliothekare und sogar schon einige Besucher hatten sich eingefunden. Normalerweise waren nie alle Mitarbeiter gleichzeitig da, aber heute sollte etwas Besonderes passieren. „Kommst du?“, rief Leah Kira vom Eingang zu, „Unser Nachwuchs ist angekommen!“ „Nachwuchs?“, lachte Kira über die Bezeichnung, „Einen Roboter kann man doch wohl kaum als Nachwuchs bezeichnen.“ „Aber schau mal, wie niedlich er ist!“, freute sich Leah und zeigte auf einen silbernen Roboter, der ihnen ungefähr bis zur Hüfte ging. Er bestand aus einem zylinderförmigen Rumpf, vier kleinen Rädern, mit denen er sich fortbewegte und einem Kopf mit einem Bildschirm, auf dem ein niedliches Gesicht prangte. Ein Mann stand neben ihm und erklärte den versammelten Bibliothekaren gerade, wie der Roboter funktionierte. „Wenn sie hier über den Bildschirm wischen“, sagte er und wischte über den Bildschirm, „und dann auf die Einstellungen tippen, können sie die Bücher und die jeweiligen Standorte einspeisen . Die Kunden können dann per Sprach- oder Texteingabe nach den Büchern suchen.“ „Wie praktisch“, murmelte Leah und Kira nickte. Als der Mann mit seiner Erklärung fertig war, machten sie sich wieder an die Arbeit. „Haah, schon fast fünf“, seufzte Leah und streckte sich, „So langsam können wir unserer Sachen packen.“ „Ich will noch kurz was recherchieren“, sagte Kira und setzte sich an einen Computer. Sie wollte schauen, ob sie etwas über den Jungen, den sie gestern in der Bäckerei gesehen hatte, herausfinden konnte. Sie suchte die neuesten Nachrichten durch, bis sie auf einmal auf ein Bild stieß, das den Jungen zeigte, wie er mit einer jungen Frau ein Selfie machte. „Junges Schauspieltalent nach Fabula City gekommen...?“, las sie den Titel. Kira schaute sich die Bilder vom Artikel genauer an. „Also ist er doch berühmt.“ Sie scrollte zu den Kommentaren. ˋWarum hat er eigentlich immer diese Handschuhe an?´, hatte jemand unter dem Artikel geschrieben. ˋEr sieht damit aus wie ein Prinz( ^ω^ )´, meinte ein anderer Kommentar. Kira waren diese Handschuhe, die er immer auf Fotos zu tragen schien, auch schon aufgefallen, aber sie ging davon aus, dass es einfach zu seinem sowieso schon ausgefallenen Outfit gehörte. Sie schloss den Artikel und schaute sich um. Inzwischen hatten sich ihre Kollegen wieder um den Roboter versammelt. „Wir wollen anfangen, die Bücher einzuspeisen. Habt ihr noch Zeit?“, rief einer von ihnen Kira und Leah zu. „Ich kann noch eben bleiben!“, rief Leah zurück, „Kira, was ist mit dir?“ „Sorry, ich kann Nox nicht so lang alleine lassen.“ „Nox? Ist das dein Kind?“ „Nein, nein. Mein Hund!“, lachte Kira, „Nox wäre wohl kaum ein geeigneter Name für ein Kind.“ „Man weiß ja nie. Heutzutage sind alle möglichen Namen trendig!“, meinte Leah, „Aber ich wusste gar nicht, das du einen Hund hast. Meinst du, ich kann ihn mal sehen?“ „Klar, warum nicht? Es wäre nur schwierig, ihn mit zur Arbeit zu nehmen, aber mal schauen.“ Mit diesen Worten nahm Kira ihre Sachen und verabschiedete sich. Kira ging ins Haus hinein, zog ihre Jacke und Schuhe aus und legte ihre Tasche auf den Sofatisch, während Nox freudig um sie herum wuselte. Sie hatte sich dazu entschlossen, ihre Verwandlung heute nicht zu verschlafen. Während sie sich Abendbrot machte, fragte sie sich, wann sie sich wohl verwandeln würde. War es zu einer bestimmten Uhrzeit? Oder wenn die Sonne unterging? Wenn dem so wäre, würde es nicht mehr lange dauern, denn es dämmerte bereits. Während sie so am Tisch saß, überkam sie auf einmal die Müdigkeit. Sie schaute gerade noch zur Uhr, die 22 Uhr anzeigte, als ihr die Augen zufielen und sie nach vorne kippte. Kira schreckte auf. Sie saß noch in der gleichen Position am Tisch, in der sie eingeschlafen war. Ihre Küchenuhr stand auf 23 Uhr. Nachdem sie ihren Teller und Becher zur Spüle gebracht hatte, sah sie ihre Spiegelung in der Scheibe der Gartentür und seufzte. Natürlich hatte sie sich wieder verwandelt. Was sonst hatte sie erwartet? Sie erschrak etwas, als hinter ihrer Spiegelung plötzlich Alon auftauchte. Kira schob die Tür auf. „Hi“, sagte Alon. „Uhm, Hallo“, meinte Kira, „Äh, willst du reinkommen?“ Alon nickte und trat ein. Sie setzten sich an den Küchentisch, wo Alon anfing zu erzählen. „Also, ich wollte dir ja mehr über Krieger und ihre Aufgaben erzählen…“ Er überlegte, wo er anfangen sollte und fuhr dann fort: „Du hast mit Sicherheit in letzter Zeit eine seltsame Blume gepflückt, oder?“ „Blume?“, Kira runzelte die Stirn, „Ah, doch, die schwarze!“ Alon nickte und sagte: „Du musst gut auf sie Acht geben, weil sie dich verwandelt.“ Kira nickte stumm. So richtig glauben konnte sie das Ganze immer noch nicht. „Schwarze Blumen stehen dafür, dass man sich in der Nacht verwandelt. Es gibt auch Krieger, die sich am Tag verwandeln, aber alle sorgen dafür, dass Fabula City nicht von den sogenannten Gedankenjägern zerstört wird.“ „Auch am Tag?“, wunderte sich Kira. „Ach, ja!“, wechselte Alon auf einmal das Thema, „Wie alt bist du eigentlich?“ Kira schaute erstaunt hoch. „Wie alt? Ich bin 59.“ „Woah, echt? Schon 59?“, meinte Alon verwundert. „Schon?“ Kira musste lachen. „Na, ja, ich hatte erwartet, dass du jünger bist…“ „Was soll das denn heißen?, meinte Kira gespielt empört. „Ich mein, wenn wir so reden, wirkst du auch nicht älter als ich“, meinte Alon lachend. „Wie alt bist du denn?“ Alon verstummte kurz, bevor er antwortete: „Wie du sicher bemerkt hast, bin ich nicht gerade menschlich, also… jedenfalls, gibt es noch eine wichtige Sache, von der ich dir erzählen muss.“ Kira wunderte sich über den abrupten Themenwechsel, hakte aber nicht weiter nach. „Jeder Krieger muss sich einen Gegenstand aussuchen, der zu seiner Waffe wird“, fuhr Alon fort. „Waffe?“, meinte Kira zweifelnd, „Was für ein Gegenstand soll das sein?“ „Am besten etwas, das du weit werfen kannst. Weißt du schon, was du nehmen kannst?“ Kira schüttelte den Kopf. „Du kannst ja mal überlegen.“ Er stand auf und ging zur Tür. „Kommst du?“ „Wohin?“, fragte Kira. „Wir gehen die Gedankenjäger besichtigen.“ Kira schaute sich nervös um. Sie waren in dem Teil der Stadt, in dem viele alte und leere Häuser standen und es war schon sehr dunkel. „Meintest du nicht, dass diese Wesen gefährlich sind? Und wir schauen sie uns einfach so an?“, fragte sie an Alon gerichtet. „Wenn wir nicht so nah ran gehen, geht das schon in Ordnung.“ Alon blieb hinter einen Stapel Holz stehen und zeigte auf eine Häuserruine. „Dort hinten.“ Angestrengt versuchte Kira im schwachen Licht der Straßenlaterne etwas auszumachen, als auf einmal mehrere schwebende Lichter auftauchten. Kira erkannte fuchsartige Wesen, die wie Perlen glänzten und gespensterhaft durchsichtig waren. Sie hatten den Kopf und Körperbau von Füchsen, aber ihre Ohren und Beine sahen verschwommen und fast schon wie Fischflossen aus. Kira schaute fasziniert zu, wie diese Wesen anmutig umher schwebten. „Sie sind... wunderschön. Unter Monstern hatte ich mir was anderes vorgestellt.“ Alon beäugte sie von der Seite. „Lass dich nicht täuschen, sie sind sehr gefährlich. Kommst du zu nah ran, saugen sie dir die Gedanken aus.“ „Waaas?“, sagte Kira erschrocken „Wie das denn? Und warum?“ Alon seufzte. „Du fragst ganz schön viel.“ Er zeigte auf eine schwarze, glänzende Masse, die um die Gedankenjäger herum waberte. „Siehst du das? Das ist ihre Nahrung. Sie ziehen die Gedanken aus den Köpfen der Menschen und verwandeln sie dann in diesen Schleim.“ „Wie gruselig…“ Kira schauderte. „Wo kommen sie eigentlich her?“, fragte sie. „Aus einer anderen Dimension.“ Kira schaute ihn ungläubig an. „Das mein ich ernst. Irgendwas hat wohl den Übergang der Welten kaputt gemacht, und nun kommen sie alle nach Fabula City.“ Alon drehte sich zu ihr um. „Wenn du mal auf Gedankenjäger stößt…“ „Ja, ich hoffe nicht!“, unterbrach ihn Kira. „Na ja…du wirst sehr wahrscheinlich welchen begegnen, also solltest du wissen, was du dann tun musst. Schau mal.“ Er hob die Hände und schirmte sein Gesicht in Richtung der Füchse ab. „Wenn du das hier machst und langsam weggehst, bemerken sie dich meist nicht.“ Kira machte ihn nach. „Echt, das hilft?“ Alon nickte. „Sie reagieren auf die Gedankenströme eines Menschen, deshalb ist es am wirksamsten, seinen Kopf abzuschirmen.“ Kira betrachtete die Umgebung genauer. „Und diese Ruinen…waren das die Gedankenjäger?“ „Ich geh davon aus.“, sagte Alon, „Die Gedankenjäger sind eigentlich nicht wirklich fest, aber die schwarze Masse ist es.“ „Ah, und die zerstört dann die Häuser?“, warf Kira ein. „Ja, Häuser oder Bäume, eben alles, was im Weg ist.“ „Sag ich ja, gruselig.“ „Deshalb ist es ja auch wichtig, dass wir Leute wie dich haben, die für Fabula City kämpfen können“, sagte Alon ernst, „Also: Denk bitte noch mal darüber nach. Und überleg dir auch, welchen Gegenstand du als Waffe haben möchtest.“ Er wandte sich zum Gehen. „Hab ja anscheinend keine Wahl“, murmelte Kira, während sie ihm folgte. „Ach, ja!“, fiel ihr nach einer Weile ein, „Eine Frage plagt mich schon seit vorhin: Warum wurde ich auserwählt Kriegerin zu sein?“ Alon drehte sich zu ihr um. „Ich hab keine Ahnung“, meinte er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)