Mission: [im]possible von yamimaru ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Du übertreibst mal wieder maßlos“, stellte Zero schnaubend fest und trank aus der Flasche mit lauwarmem Bier, welche er schon seit einer gefühlten Stunde zwischen den Fingern drehte. In Wirklichkeit waren zwar erst knappe zwanzig Minuten vergangen, aber die Wohnung des Sängers glich an diesem schwülwarmen Sommerabend einem Treibhaus und ließ die Zeit nur quälend langsam verstreichen. Warum Hizumi seine defekte Klimaanlage nicht längst hatte reparieren lassen, war ihm ein Rätsel, aber insgeheim vermutete er, dass der andere nur einen Grund brauchte, um auf Twitter zu jammern. „Was heißt hier, ich übertreibe maßlos? Immerhin reden wir von deinem Lover, der sich schon seit geschlagenen drei Tagen nicht mehr gemeldet hat.“ „Gelegenheitslover.“ „Wie bitte?“ „Karyu und ich sind nicht zusammen.“ „Klar, red dir das nur ein.“ „Hey, was soll das nun wieder heißen?“ „Nichts, nichts und außerdem geht es hier um etwas ganz anderes. Wenn ich es dir doch sage, Zero, du verkennst komplett den Ernst der Lage!“ Hizumi riss theatralisch die Arme in die Höhe und Zero wusste, selbst ohne hinzusehen, dass er jeden Moment damit beginnen würde, sich die Haare zu raufen. „Hizu, beruhig dich wieder“, brummte er daher, bevor er sich später sein Rumgeheule anhören musste. Seitdem sein Kumpel wieder singen durfte und dadurch mehr im Fokus der Öffentlichkeit stand, achtete er verstärkt auf sein Äußeres. Da würden sich kahle Stellen sicher nicht so gut machen. Zeros Mundwinkel zuckten bei dieser Vorstellung leicht, bevor er sich angewidert über die Oberlippe wischte, auf der sich bereits unangenehm kribbelnde Schweißperlen gesammelt hatten. „Du weißt doch genau so gut wie ich, wie Karyu ist, wenn er mit Angelo auf Tour ist. Da vergisst er alles und jeden.“ „Ja~! Und wessen Schuld ist das deiner Meinung nach? Ich sag dir, Zero, Kirito ist mir suspekt.“ „Zwischen suspekt und der Anschuldigung, Kirito würde Karyu in einem dunklen Verlies festhalten und ihn nur für Auftritte herauslassen, ist aber ein himmelweiter Unterschied, findest du nicht auch?“ Zeros Augenbraue wanderte ein ganzes Stück höher und war unter seinen wirren und verschwitzten Ponyfransen kaum noch auszumachen. „Glaub mir, ich hab einen Riecher für so was. Da stimmt irgendwas ganz und gar nicht“, wiegelte der Sänger unbeeindruckt ab und begann damit, seine Zimmerpflanzen zu gießen. Zero hatte schon den Mund geöffnet, um seinem paranoiden Freund den gut gemeinten Ratschlag zu geben, endlich damit aufzuhören, diese Verschwörungstheoriesendungen anzugucken, da drang Tsukasas fröhliche Stimme vom Flur her an seine Ohren. „Wo stimmt etwas ganz und gar nicht?“, wollte dieser sogleich überhaupt nicht neugierig wissen, was Zero nur zu einem herzhaften Seufzen ermutigte. Während aus dem Flur zunächst nur leises Rascheln und Klappern zu hören war, rann das Kondenswasser gemächlich an seiner Bierflasche herab und formte eine kleine Pfütze auf Hizumis Glastischchen, was sinnbildlich für sein eigenes körperliches Befinden stand. Darum war es nicht verwunderlich, dass es nur seiner angeborenen Ausgeglichenheit zu verdanken war, dass ihm bei Tsukasas Anblick nicht die Kinnlade herunterfiel. Der Drummer und Teilzeit-Enka-Sänger betrat gerade allen Ernstes in einer knöchellangen, eng sitzenden Jeans und einem langärmligen Hoody steckend das Wohnzimmer, obwohl es in diesem Hochofen gefühlte fünfzig Grad und eine Luftfeuchtigkeit von hundertzehn Prozent haben musste. Lässig fuhr sich Tsukasa durch seine wie frisch gestylt aussehenden Haare, die kein bisschen verschwitzt waren, und lächelte in die Runde, als gäbe es nichts, was seiner Coolness schaden könnte. Und, als wäre das nicht schon genug des Hohns gewesen, schlang er jetzt die Arme von hinten um Hizumis Bauch und presste sich ganz nah gegen ihn, um ihm einen Kuss in den Nacken zu drücken. Ein Schweißtropfen rann Zero kitzelnd die Schläfe herunter, zitterte kurz an seinem Kiefer angekommen und fiel mit einem – in der eingetretenen Stille ohrenbetäubend lauten – Platschen auf den Wohnzimmertisch, wo er sich zu der Wasserlache gesellte, als hätte er nie woanders hingehört. Zwei Augenpaare richteten sich verwundert auf ihn, bevor sich Tsukasas Lippen teilten und nicht wirklich fragten, ob ihm etwa warm sei. Zeros rechte Braue zuckte, während er so liebevoll angelächelt wurde, als könnte der Drummer keiner Fliege etwas zuleide tun. ‚Oh Götter, gebt mir Kraft‘, betete er gedanklich, während er die Bierflasche anhob und sich wünschte, es wäre physikalisch möglich, sich in der lauwarmen Plürre zu ersäufen. Das Fehlen einer verbalen Erwiderung seinerseits schien Tsukasa gelangweilt zu haben, denn als Zero einige Momente später den Blick erneut hob, steckten die Hände des Drummers unter Hizumis Shirt. ‚Bitte, nehmt euch ein Zimmer!‘ Er hätte echt nicht mitansehen müssen, wie ausführlich Tsukasa nun Küsse auf dem gestreckten Hals ihres Sängerknabens verteilte, vielen Dank auch. „Also, Schatz, krieg ich eine Antwort?“, raunte Tsukasa mit bester Schlafzimmerstimme und Zero hätte am liebsten die Flucht ergriffen. Mit Hizumis heftiger Reaktion, die prompt auf die eher unschuldigen Worte folgte, hätte jedoch keiner von ihnen gerechnet. Der kleine Sänger riss sich förmlich los, stemmte die Hände in die Hüften und funkelte erst seinen Lover, dann Zero empört an. „Mit Karyu stimmt etwas ganz und gar nicht und das versuche ich Zero hier schon die ganze Zeit zu erkl… hmpf.“ Zeros Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, das sich nicht entscheiden konnte, ob es erleichtert oder amüsiert sein wollte, als Tsukasa dem vorprogrammierten Redeschwall seines Schatzes zuvorkam und dessen Lippen einfach frech mit den seinen verschloss. Man konnte davon halten, was man wollte, aber Drummer Boy wusste wenigstens, wie man Hizumi zum Schweigen brachte. Nur warum zum Teufel war er hier der Einzige, dem der Schweiß zwischen den Schulterblättern herabrann und der am liebsten alle Fenster aufgerissen hätte, nur um ein bisschen frische Luft abzubekommen? Er schnaufte leidend und nuckelte an seinem Bier – immerhin konnte das Stelldichein der beiden Turteltauben gefühlte zwei Zentimeter vor seiner Nase noch Stunden dauern. Er war zum Leiden geschaffen, das war sein Los im Leben, und Karyu hatte bestimmt nur wieder vergessen, dass es Menschen gab, die sich sorgten, wenn er sich über Tage nicht meldete. Das war nicht zum ersten Mal passiert und würde auch noch öfter vorkommen, da war sich Zero sicher. Kein Grund also, Kirito Dinge zu unterstellen. Wer, außer er selbst vielleicht, würde sich schon freiwillig einen Karyu in den Keller ketten? Unverhofft hoben sich seine Mundwinkel, als sein Gehirn mit diesen Gedanken schon in tiefere und nicht jugendfreie Gefilde abwandern wollte. „Für dieses Grinsen müsste man dir ein P18-Rating verpassen, weißt du das?“, unterbrach Tsukasas belustigte Stimme seine verdammt netten Gedanken. Viel netter, als diese beiden Nervensägen, die sich seine Freunde schimpften, und ihm nicht einmal eine kurze mentale Auszeit aus diesem Hochofen gönnten. Innerlich knurrte er Tsukasa und Hizumi böse an, erwiderte ihren fragenden Blick äußerlich jedoch ausdruckslos. Auch, als ihm auffiel, dass sie verdächtig verwuschelt um den Kopf aussahen und … lag die rote Boxershorts schon die ganze Zeit über auf der Armlehne des Sessels neben Hizumi? O~okay … irgendetwas schien er gerade verpasst zu haben. „Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest“, behauptete Zero absolut unschuldig und killte das fade Gesöff, das sich einmal Bier geschimpft hatte, und das nun wunderbar das vielsagende Schweigen im Walde überbrücken konnte. Wald … hach ja, dort wäre es jetzt gewiss erträglicher. Zero zupfte an seinem Tanktop herum und begann sich unauffällig auffällig Luft zuzufächeln. „Hizumi hat mir von eurem Plan erzählt“, riss Tsukasa ihn erneut aus seinen Überlegungen. „Mh?“ Als Zero seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Kollegen richtete und die nun leere Bierflasche beiseitestellte, hatte sich zur roten noch eine schwarze Boxershorts gesellt. Wie zum Geier machten die beiden das? Seine Stirn legte sich in Falten, als er den Kopf fragend zur Seite neigte. „Wie …?“, setzte er an und deutete auf die sich wundersam vermehrenden Kleidungsstücke, schüttelte aber den Kopf, als ihm aufging, was Tsukasa gerade gesagt hatte. „Unser Plan? Ich wusste nicht, dass wir uns auf einen Plan geeinigt hatten.“   ~*~ „Pscht …“, zischte Hizumi und kassierte dafür einen genervten und einen eher gelangweilten Blick von beiden Seiten. „Was, pscht?“ Tsukasa zupfte zum gefühlt hundertsten Mal den Saum seines knallroten Kimonos zu Recht und klimperte dabei wie ein ganzes Heer an Windspielen. „Zeig du mir mal, wie du dich in diesem Aufzug geräuschlos bewegen kannst, dann reden wir weiter“, murrte der Drummer, erhielt jedoch keine Antwort, denn sein Schatz war viel zu sehr damit beschäftigt, sich übertrieben angestrengt auf dem vor ihnen liegenden Parkplatz umzusehen. ‚Als würden wir jeden Moment überfallen werden‘, dachte Zero und warf seinem klimpernden Kollegen einen mitfühlenden Blick zu. Die goldenen Kämme in Tsukasas schwarzem Haar reflektierten das schummrige Licht der Straßenlaternen und waren vermutlich ähnlich auffällig wie gelb leuchtende Katzenaugen in der Dunkelheit. Zero zog mit den Augen rollend an seiner Zigarette und kratzte sich unter der schwarzen Wollmütze, auf die Hizumi bestanden hatte. Genaugenommen hatte der zu kurz geratene Sängerknabe auf ziemlich viel bestanden. Unter anderem darauf, dass er hier in langen Hosen und Shirt herumlaufen musste. Der Kerl hatte kein Temperaturempfinden, entschied Zero, als er sich den Sänger besah. Nein, definitiv nicht, sonst hätte Hizumi zu dem Outfit, das dem seinen wie ein Zwilling glich, nicht auch noch eine schwarze Lederjacke und einen gleichfarbigen Schal getragen. Herrgott, es war Sommer in Tokio, da sanken die Temperaturen selbst nachts kaum unter vierundzwanzig Grad, und sie liefen herum, wie die Schneemänner. Okay, ziemlich eigenwillige, weil schwarze Schneemänner und ein roter Pfau, aber das waren Spitzfindigkeiten. „Außerdem …“, begann der Drummer erneut zu sprechen und stakste über einen Styroporbehälter, der mitten auf dem Weg lag und aus dem Reste von Reis und Fleisch quollen. Lecker. „Du sagtest, ich soll die Wachen ablenken, aber nicht, dass ich singen soll“, moserte Tsukasa weiter und rückte seinen quietschgelben Obi zurecht. „Was wäre eine bessere Ablenkung als Enka?“ Hizumi grinste frech und Zeros Augenbraue wanderte fragend ein Stück nach oben, auch wenn er sich sein eigenes Schmunzeln nur schwer verkneifen konnte. „Von welchen Wachen redet ihr eigentlich?“, stellte er also eine berechtigte Frage und schaute erst Tsukasa, dann Hizumi ins Gesicht. „Na, von Kiritos Wachen. Oder denkst du wirklich, wir kommen einfach so in das Hotel rein?“ Die Antwort ihres Sängers war derart überzeugt und nonchalant, dass sich Zero für eine ganze Sekunde lang unglaublich dumm fühlte. Er knirschte mit den Zähnen – Kiritos Wachen, natürlich. Wie hatte er nur fragen können? War doch alles ganz logisch. Würde er noch öfter mit den Augen rollen, würde er einen Krampf bekommen. Also unterließ er dies und schlug sich stattdessen mit der flachen Hand gegen die Stirn. Hätte er Hizumis Hinterkopf erwischen können, wäre diese Aktion zwar deutlich befriedigender gewesen, aber arme, schwitzende Bassisten mussten nehmen, was sie kriegen konnten. „Na logisch, Kiritos Wachen, wie konnte ich nur fragen?“, echote er sarkastisch und unterließ es, den Sänger darüber aufzuklären, dass es in dem Hotel, in dem Angelo heute abgestiegen waren, höchstens Sicherheitspersonal geben würde. Sicherheitspersonal, das sie in ihrem Aufzug bestimmt hochkant rauswerfen würde, das jedoch sicher nicht auf Kiritos Lohnliste stand. Manchmal musste man dem Kleinen seine Illusionen lassen, damit lebte es sich leichter. Selbiges schien sich auch Tsukasa zu denken, denn statt weiter mit seinem Schatz zu diskutieren, begann er, die vielen Lagen seines Kimonos zusammenzuraffen. Das unordentliche Gewirr vor seinem Bauch hätte bestimmt jedem Kimonomeister Tränen in die Augen getrieben. Zero verkniff sich einen dementsprechenden Kommentar in der Vermutung, dass seine Meinung ohnehin nicht gefragt sein würde. Stattdessen schaute er Mister Enka nur milde interessiert hinterher, als er mit so zielsicheren Schritten, wie seine Geta es ihm erlaubten, auf den hell erleuchteten Eingang des Hotels zustakste. „Und warum noch gleich gehen wir nicht einfach auch durch den Haupteingang?“, fragte er das Offensichtliche und schnippte seine Zigarette über die Hecke, die den Parkplatz des Hotels von der Hauptstraße trennte. „Durch den Haupteingang? Ernsthaft?“ Vollkommen verdattert schaute sich Hizumi zu ihm um, schnaubte, ohne seine berechtigte Frage zu beantworten, und stapfte davon. Sehnsüchtig richteten sich Zeros Augen ein letztes Mal auf das blaue Werbelogo des Hotels, bevor er Hizumi nachging, genau in dem Moment, als ein unheilvoll fröhlicher Gesang einsetzte.   kokyou hanare  ikunen sugi ima mo ayunderu yo  ibara no tabiji e to ano hi HO-MU de ryoushin te furi  tegami hitotsu o motasarete kisha de hirakeba kin'ippuu  namida koboreta matsupoku kikoeru  chichi no koe haha no nukumori mo  kanjiteru aa  matsupoi poi poi poi  matsupoi poi poi poi yume ni yuku  aa  matsupoiyo Kaum hatte Tsukasa zu singen begonnen, zog Hizumi sein bislang eher gemächliches Tempo an, bis Zero tatsächlich Schwierigkeiten hatte, mit ihm schrittzuhalten. Also begann er langsam neben dem anderen her zu joggen, obwohl ihm sein Shirt bereits jetzt unangenehm am Rücken klebte. Aber wer wusste schon, auf welche Ideen der Sänger kam, würde er ihn aus den Augen verlieren. Nein, das wollte er lieber nicht riskieren. Das Hotelgelände und der angrenzende Parkplatz waren weitläufiger, als er ursprünglich angenommen hatte, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie den Hintereingang vor sich sahen. Bis auf Zeros gepressten Atem und das gelegentliche Schrillen einer Zikade war nichts zu hören. Könnte er darüber hinwegsehen, dass er im Begriff war, einem von Hizumis hirnrissigen Plänen zu folgen, und bereits mindestens dreimal komplett durchgeschwitzt war, wäre die Stimmung gerade recht angenehm. So lange zumindest, bis etwas oder besser gesagt jemand neben ihm penetrant zu summen begann. Zero versuchte krampfhaft, Hizumi zu ignorieren und sich stattdessen zu freuen, als ihr Dauerlauf endlich vorbei war und sie ihr Ziel erreicht hatten. Seufzend lehnte er sich gegen den Maschendrahtzaun, der den Parkplatz auch hier vom Hotelgelände abtrennte, und zog sich die viel zu warme Wollmütze vom Kopf. „Endlich“, nuschelte er und begann, mit geschlossenen Augen seine Taschen auf der Suche nach seinen Zigaretten abzuklopfen. Kaum hatte er die Schachtel gefunden, rumste es erst, dann ächzte jemand, dann klapperte es eigenartig und schlussendlich summte es erneut. Er hob die Lider, beobachtete einige lange Minuten stumm Hizumis Tun, bevor es schließlich doch aus ihm herausbrach: „Pscht, Hizumi, die hören uns noch. Ich dachte, wir wollten das unauffällig durchziehen?“ „Ich bin unauffällig.“ „Du summst die Titel Melodie von Mission impossible vor dir her und das nicht gerade leise. Das ist nicht unauffällig.“ „Hast du noch nie einen Actionfilm gesehen? Das gehört sich so.“ Hizumi rollte mit den Augen, was Zero auch nur deshalb sah, weil der kleinere Mann witzige Verrenkungen machte, während er versuchte, über den sicherlich drei Meter hohen Zaun zu klettern. Sein Feuerzeug ratschte, was vom Sänger natürlich erneut mit einem Zischen und einer Mahnung kommentiert wurde, dass er gefälligst leise zu sein hatte. Aber klar doch. Zero schnaubte und zog erst einmal an einer weiteren, wohlverdienten Zigarette. Hizumi indes wechselte zwischen angestrengtem Keuchen und anhaltendem Summen hin und her. Ob Tsukasa ihm den Kopf abreißen würde, würde er seinem Lover einen dezenten Schups geben? Vermutlich und das Risiko war ihm ein wenig zu hoch. „Was genau machst du da oben eigentlich?“, fragte er Minuten später, als Hizumi endlich den höchsten Punkt des Zauns erreicht hatte und angestrengt grunzend ein Bein darüber schwang. „Ich … ugh … infiltriere“, kam die gepresste Antwort. „Und warum kletterst du dafür über den Zaun?“, hakte er nach und schnippte gelangweilt seine aufgerauchte Zigarette davon, bevor er die kleine Durchgangstür in der Mitte der Absperrung öffnete, die auf das Hotelgelände führte. In diesem Moment gab Hizumi ein seltsames Quieken von sich, verlor den Halt und fiel wie ein Stein auf den zum Glück eher weichen Rasen. „Also, ich will ja nichts sagen, aber bei Ethan Hunt sah das eindeutig besser aus.“ Zero grinste, lehnte sich gegen den Zaun und schwelgte für einen langen Moment in den leisen Schmerzenslauten, die nach und nach in buntes Fluchen übergingen. Der Sänger hingegen lag wie ein Käfer auf dem Rücken und ruderte vergebens mit beiden Beinen und Armen in der Luft herum. Es war mehr als deutlich, dass Hizumi dank seines riesigen und schweren Rucksacks nicht von alleine wieder auf die Beine kommen würde, und vielleicht hätte sich Zero seinen nächsten Kommentar nicht zuletzt deswegen verkneifen sollen, aber er musste einfach fragen: „Kann es sein, dass du Hilfe brauchst?“   ~*~ Um ehrlich zu sein, war Zero noch immer erstaunt, dass die Hintertür des Hotels nicht nur nicht verschlossen gewesen, sondern ihnen bislang auch noch keine Menschenseele über den Weg gelaufen war. Hizumi hatte bei erstbester Gelegenheit den Weg nach unten in die Kellergeschosse eingeschlagen und seitdem durchquerten sie einen Korridor nach dem anderen, öffneten Türen, die in Abstellkammern, Lager- oder Waschräume führten, aber hatten noch immer keine Spur von Karyu gefunden. „Bist du dir wirklich ganz sicher, dass Karyu hier unten ist?“, fragte er nicht zum ersten Mal in den letzten Minuten und bekam wie auch die Male zuvor nur ein genervtes Schnauben als Antwort. Er war wirklich kurz davor, auf dem Absatz kehrtzumachen und nach Hause zu gehen. Hizumi hatte sich komplett in seine Verschwörungstheorie verrannt und er war so dumm, dabei mitzumachen. Könnte Karyu sie nun sehen, würde er sich vor lauter Lachen nicht mehr einkriegen, da war sich Zero sicher. Der große Gitarrist lag vermutlich gemütlich auf seinem Hotelbett, während in der Glotze eine seiner geliebten koreanischen Schnulzen lief, stopfte sich Süßkram in den Rachen und war sich wie immer nicht im Klaren darüber, was seine kommunikative Unfähigkeit bei seinen Mitmenschen auslöste. „Vorsicht, bleib stehen“, zischte Hizumi ihm auf einmal zu und hatte so abrupt in jeder Bewegung innegehalten, dass Zero ihm beinahe in die Hacken gelaufen wäre. „Was ist denn?“, flüsterte er zurück, obwohl er sich für diese unnötige Geheimnistuerei am liebsten selbst geohrfeigt hätte. Mehr, als dass sie von einem Mitarbeiter des Hotels entdeckt und höflich hinauskomplimentiert wurden, konnte ihnen schließlich nicht passieren. „Da vorne … Wachen.“ Einen langen Moment debattierte er mit sich, ob es jetzt nicht endgültig an der Zeit war, wahlweise das Weite zu suchen oder Hizumi den Männern in Weiß zu übergeben, die mit ihren Hab-mich-lieb-Jacken bestimmt schon auf ihn warteten. Dann aber siegte die Neugierde über seine ausgeprägte Skepsis und er lehnte sich leicht gegen den Rücken seines Freundes, um über seine Schulter um die Ecke sehen zu können. Hizumi vibrierte vor Anspannung und hätte ihn das Bild vor seinen Augen nicht so verblüfft, hätte er sich Sorgen um den Gesundheitszustand des Sängers gemacht. So jedoch konnte er gerade so verhindern, dass ihm der Mund sperrangelweit offenstand. „Das sind … Wachen“, wisperte er durch taube Lippen hindurch und hätte sich am liebsten über die Augen gerieben, weil er nicht fassen konnte, dass sein paranoider Freund tatsächlich recht behalten hatte. Hizumi suchte seinen Blick und die dunklen Augen schienen ihm so viel wie: ‚Ich hab’s dir doch gesagt!' entgegenrufen zu wollen. Zero ignorierte den offensichtlichen Vorwurf und konzentrierte sich lieber auf die beiden Männer, die sich in Tarnkleidung steckend links und rechts neben einer unscheinbaren Metalltür aufgebaut hatten. Die Kerle waren riesig und sahen aus, als würden sie jede freie Minute im Fitnessstudio verbringen. Das weißliche Licht der Halogenleuchten spiegelte sich auf ihren blanken Glatzköpfen und beide trugen einen Ausdruck im Gesicht, als würden sie erst zuschlagen und dann Fragen stellen. Ob die Typen Waffen bei sich hatten? So, wie sich die Jacke des einen ausbeulte, könnte dies durchaus der Fall sein. „Scheiße. Was denkst du, was hinter der Tür ist, dass die gleich zwei Gorillas vor ihr postieren?“ Zero zermarterte sich das Hirn, was in einem Hotel so wertvoll sein konnte, dass es derart offensichtlich bewacht werden musste. Die Tageseinnahmen? Teures Geschirr? Ersatzelektrogeräte, falls in den Zimmern etwas ausgetauscht werden musste? Aber das waren alles Dinge, die man normalerweise nicht im Keller lagerte und selbst wenn, dann hätten die Hotelbetreiber eher mit Videoüberwachung dafür gesorgt, dass nichts abhandenkam. Dafür brauchte man keine menschlichen Wachen, die aussahen, als wären sie gerade erst aus dem Gefängnis entlassen worden. „Nicht was … wer!“ Hizumis Stimme war so leise, dass er für einen Augenblick glaubte, sich seine Worte nur eingebildet zu haben. Aber ein Blick in das fahle Gesicht seines Freundes bestätigte ihm, dass er sehr wohl richtig gehört hatte. „Du machst Witze.“ Zero versuchte sich an einem abwertenden Lächeln, bemerkte jedoch, wie erstarrt sich seine Miene anfühlte. Das konnte nicht Hizumis Ernst sein? Himmel, er durfte gar nicht an die Konsequenzen denken, sollte der andere recht behalten. Abgehackt schüttelte er den Kopf und drehte mit dem festen Vorsatz auf dem Absatz um, sich keine Sekunde länger mehr von dieser absurden Verschwörungstheorie beeinflussen zu lassen. Er würde nun nach Hause gehen, sich unter die Dusche stellen, um den Schweiß der Nacht endlich von seinem Körper zu waschen, und ganz in Ruhe darauf warten, bis Karyu morgen von der Tour zurückkam. Und dann würde er ihm gehörig die Leviten lesen. Er presste die Zähne aufeinander, kam aber keine drei Schritte weit, bevor er einen festen Griff um seinen Oberarm spürte. „Zero,“, zischte Hizumi und in diesem einen kleinen Wort lag derart viel Unglaube und Empörung, dass er tatsächlich wie angewurzelt stehen blieb. „Du kannst jetzt nicht einfach gehen. Wir sind so kurz davor, Karyu zu befreien.“ „Nun hör aber auf!“ Trotz seinem Ärger, der wie heiße Lava durch seine Adern jagte und ihm die Schweißperlen auf die Stirn trieb, war sein Ausruf nicht mehr als ein unterdrücktes Zischen gewesen. Nur zu gut hatte er noch die Gesichter der Wachen vor Augen und wollte es wirklich nicht drauf ankommen lassen, hier entdeckt zu werden. „Ich hab endgültig die Nase voll von dem Mist hier!“ „Zero, bitte, wenn ich es dir doch sage.“ Hizumi rang die Hände und blickte ihm direkt in die Augen, als würde er ihn hypnotisieren wollen. „Glaub mir. Karyu ist hinter dieser Tür und wer weiß, was Kirito mit ihm anstellt.“ Wieder schüttelte Zero den Kopf und wusste mittlerweile nicht mehr, ob der Sänger ihn nur auf den Arm nahm oder ob er ernsthaft daran glaubte, dass Karyu gegen seinen Willen gefangen gehalten wurde. „Ich weiß, dass er dort ist und unsere Hilfe braucht. Bitte, wir sind so weit gekommen, wir können ihn jetzt nicht zurücklassen.“ Eines musste man Hizumi lassen, seine Beharrlichkeit und die Anspannung, die aus jeder seiner Poren zu dringen schien, waren so überzeugend, dass Zero schlussendlich nicht anders konnte, als nachzugeben. „Schön. Gut. Von mir aus. Und wie sollen wir deiner Meinung nach an den Wachen vorbeikommen?“ Zero ließ die Schultern hängen und dachte sich im Stillen, dass er mit Karyu später ein wirklich sehr, sehr großes Hühnchen zu rupfen hatte. „Lass mich nur machen.“ Ehrlich neugierig beobachtete er Hizumi dabei, wie er den Rucksack von den Schultern nahm und geschäftig darin herumzukramen begann. Keine zwei Minuten später hatte er alles gefunden und seine schwarzen Kleidungsstücke, die ihm im Schutz der Dunkelheit so gut als Tarnung gedient hatten, durch einen blauen Overall mit Namensschild und einen Werkzeuggürtel ersetzt. Gerade zog er sich die Wollmütze vom Kopf, wuschelte sich durch das hellbraune Haar und setzte sich eine ebenfalls blaue Schirmmütze auf, die seine Verkleidung vollständig machte. Je länger Hizumi vor ihm herumhantierte und seine Habseligkeiten wieder fein säuberlich verstaute, desto mehr Falten erschienen auf Zeros Stirn. Er hätte gefragt, was genau Hizumi vorhatte, doch kaum hatte er seinen Mund geöffnet, um genau dieses zu tun, durchbrach die flüsternde Stimme des anderen die eingesetzte Stille. „Zero?“ „Mh?“ „Drei Türen weiter …“, der Sänger nickte in die Richtung, aus der sie gekommen waren, „… war doch dieser eine große Waschraum? Versteck den Rucksack dort hinter der Tür, damit ich ihn später wiederfinde, und komm dann wieder hierher.“ „Und was machst du in der Zwischenzeit?“ „Ich? Tja.“ Hizumi grinste breit. „Ich werde für Ablenkung sorgen. Vertrau mir, ich hab alles im Detail geplant.“ Zeros rechte Augenbraue wanderte skeptisch ein ganzes Stück nach oben, aber für einmal ersparte er sich einen Kommentar und nahm stattdessen den extrem schweren Rucksack entgegen. „Ugh, was hast du da drin? Backsteine?“ „Ich bin nur vorbereitet. Und jetzt los, geh, bevor sie uns noch entdecken.“ Hizumi machte auf dem Absatz kehrt und schlenderte so nonchalant um die Ecke, als hätte er jedes Recht, hier zu sein. Zero hielt den Atem an, rechnete jeden Moment mit Geschrei oder einem Alarm oder mit irgendetwas, das ihm zeigte, dass die Wachen nicht auf Hizumis Scharade hereinfielen, aber nichts geschah. Vorsichtig ging er näher auf die Biegung zu, schielte um die Ecke und betrachtete mit offenstehendem Mund das Schauspiel, das sein Freund abzog. Er konnte zwar nicht verstehen, was der andere sagte, aber zu seiner grenzenlosen Verblüffung dauerte es keine zwei Minuten, bis einer der Wachen nickte, seinem Kollegen ein knappes Handzeichen gab und im Anschluss mit Hizumi im nächsten Gang verschwand. Zero wusste beim besten Willen nicht, was er davon halten und noch weniger, ob er sich um seinen Freund sorgen sollte, aber helfen konnte er ihm in diesem Moment nicht. So zog er sich, so leise es ihm möglich war, zurück. Geduckt schlich er die Flure entlang, bis er die Tür der Wäschekammer vor sich sah, von der der Sänger gesprochen hatte. Leise, unfähig das Gefühl abzuschütteln, dass er beobachtet wurde, drückte er die Klinke nach unten und atmete erleichtert aus, als er hindurchgeschlüpft war. Das Halbdunkl im Inneren und der Geruch nach Waschmittel und Weichspüler, der ihn nun umgab, beruhigten ihn so weit, dass er wieder einigermaßen logisch denken konnte. Trotzdem … er konnte sich nicht vorstellen, dass Hizumi in seiner Verkleidung als Techniker so überzeugend war, dass die Wache ihm so bereitwillig, wohin auch immer, gefolgt war. Da war doch ein Haken an der Sache. Zero wurde den Gedanken nicht los, dass Hizumi sich in seiner unvorsichtigen Art mit dieser Aktion unnötig in Gefahr gebracht hatte. Er schüttelte den Kopf, versuchte, sich wieder aus seinen Gedanken zu holen, die sich ohnehin nur im Kreis drehten. Er musste den Rucksack loswerden, zurückgehen und schlicht und einfach hoffen, dass Hizumi wusste, was er tat. Etwas, was in der Vergangenheit noch nicht oft der Fall gewesen war, wenn er das mal so anmerken durfte. Aber man sollte immer positiv denken, nicht wahr? Leise ächzend stellte er das Ungetüm von Rucksack hinter die Tür, so wie Hizumi es verlangt hatte, und schlich zurück zu ihrem Treffpunkt. Die Wache stand noch immer an Ort und Stelle, mit dem einzigen Unterschied, dass sie gerade irgendetwas für Zero nicht Verständliches in ein Funkgerät sprach. Im selben Moment, als er sich fragte, ob er jetzt nur dumm in der Gegend herumstehen und auf Hizumis Rückkehr warten sollte, gaben die Halogenleuchten über seinem Kopf ein unheilvolles Surren von sich, bevor sie mit einem Mal erloschen und das gesamte Kellergeschoss in undurchdringliche Dunkelheit tauchten. Zero hatte nicht einmal Zeit, sich zu fragen, warum es hier unten keine Notbeleuchtung im Falle eines Stromausfalls gab oder ob das Notstromaggregat, über das jedes Hotel verfügen sollte, nur nicht angesprungen war, da zuckte er aufs Heftigste zusammen. Eine tiefe und deutlich erboste Stimme bellte so laut durch die Gänge, dass nun auch er verstand, was gesagt wurde. „Yamada, Status! Yamada, verdammt, Status!“ Selbst Zero, der sich mittlerweile mit dem Rücken gegen die Wand gepresst hatte und derart flach atmete, dass ihm beinahe schwindlig wurde, konnte in der einsetzenden Stille nur das statische Rauschen hören, das durch den offenen Funkkanal drang. „Verflucht“, knurrte die Wache deutlich genervt. Zero hörte es rascheln und plötzlich durchschnitt der blendend helle Strahl einer Taschenlampe die Dunkelheit. Am liebsten wäre er in diesem Moment dem Glaubenssatz aus Kindertagen gefolgt, der besagte, dass er nicht entdeckt werden konnte, wenn er nur die Augen ganz fest geschlossen hielt. Leider war er kein Kind mehr und hatte sehr früh in seinem Leben herausfinden müssen, dass diese Überzeugung eine Wagenladung Mist war, die ihm nie geholfen hatte. Also blieb ihm nichts weiter übrig, als sich noch stärker gegen die Wand zu pressen und zu beten, dass der Gorilla nicht in seine Richtung leuchten würde. Tat er tatsächlich nicht, stattdessen folgte er dem Weg, den sein Kollege und Hizumi vor Minuten eingeschlagen hatten, und ließ Zero unentdeckt im Dunkeln zurück. Die Erleichterung jagte derart heftig durch seine Glieder, dass ihm die Knie weich wurden und er zu Boden gesunken wäre, hätte er nicht beide Hände zum Halt flach gegen die Wand gepresst. „Heilige Scheiße“, wisperte er mit zitternder Stimme und wischte sich über die schweißfeuchte Stirn. „Ich bin zu alt für so viel Aufregung.“ Und nun? Er war zwar jetzt allein, was hieß, dass ihn niemand daran hindern konnte, nachzusehen, wer oder was sich hinter dieser Tür befand, aber dummerweise konnte er nicht einmal die Hand vor Augen sehen! „Wunderbar, ehrlich. An jeden Blödsinn hat Hizumi gedacht, aber nicht daran, dass wir Taschenlampen mitbringen“, knurrte er missmutig und fragte sich, ob er im Rucksack des Sängers fündig werden würde. Allerdings würde er den Weg zur Wäschekammer ohne Licht nie finden, also fiel auch diese Möglichkeit flach. „Prima, und nun?“ Vielleicht sollte er zunächst damit beginnen, seine Klappe zu halten. Das wäre eine gute Idee, denn auch, wenn er flüsterte, wer garantierte ihm schon, dass er nicht gehört werden konnte? Selbstgespräche zu führen, war sowieso eine dumme Angewohnheit, die er sich endlich abtrainieren sollte. Genau wie prokrastinieren, denn nichts anderes tat er gerade. Zero seufzte unhörbar, fuhr sich durch seine komplett verschwitzten Haare und hielt mit einem Mal in jeder Bewegung inne, als ihm eine Idee in den Sinn kam. Er betastete die Taschen seiner Kleidung, bis er in der rechten Hosentasche fündig wurde. Einen Moment wartete er, lauschte in die Stille, aber nicht einmal aus der Ferne konnte er Stimmen oder Schritte hören. Hizumi und die Wachen mussten ziemlich weit entfernt sein, vermutete er, und zog den kleinen Gegenstand hervor. Mit einem Schnappen, das in der Stille der Kellergänge unheimlich von den Wänden widerhallte, öffnete er die Klappe seines Benzinfeuerzeugs und entzündete es mit einem nicht minder lauten Ratschen. Die Flamme war klein, erhellte kaum einen Radius von dreißig Zentimetern um seine Hand herum, aber wenigstens saß er nun nicht mehr in vollkommener Schwärze fest. Und er konnte die Tür ausmachen, die seine Neugierde wie der Gesang einer Sirene zu sich lockte. Entschlossen ging er darauf zu und stutzte erst, als er die Hand nach dem Drehknauf ausstreckte. Verflucht, wie sollte er die Tür öffnen, wenn er keinen Schlüssel hatte? Und warum musste ausgerechnet er alle Fehler in Hizumis ach so brillantem Masterplan finden? „Fuck“, knurrte er, umfasste trotz besseren Wissens den Knauf und drehte ihn herum. Zu seiner grenzenlosen Verblüffung knackte das Schloss leise, bevor die Tür ohne Widerstand nach innen aufschwang und den Blick auf eine kleine, spärlich beleuchtete Kammer freigab. Die Lichtquelle hatte Zero schnell ausgemacht – eine Kerze, die flackernd auf einem Schemel in einer Ecke stand. Aber weder die eigenwillige Beleuchtung, noch das Fehlen jeglicher Wertgegenstände, die eine Bewachung durch die glatzköpfigen Knastbrüder notwendig gemacht hätten, waren es, die ihn ungläubig starren ließen. Nein, diesen Umstand verdankte er einzig und allein Karyu, der ihm geknebelt und mit den Handgelenken an die Wand gekettet gegenüberstand. „Was zum Teufel …?“ Er drückte die Tür weiter auf, schlüpfte hindurch und schloss sie hinter sich. Mit geweiteten Augen starrte er noch immer seinen Freund an – Gelegenheitslover, erinnerte ihn sein Unterbewusstsein an seine eigenen Worte vor wenigen Stunden – während er sich gegen das kühle Türblatt lehnte. „Das ist ein schlechter Scherz, oder?“ Karyu blinzelte und murmelte irgendetwas, das Zero durch den Knebel nicht verstehen konnte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der andere geschlafen haben musste, denn es dauerte weitere Sekunden, bis plötzlich ein Ruck durch den großen Körper ging, als Karyu ihn erkannt hatte. Wie der Gitarrist in dieser unbequemen Haltung auch nur für einen Moment hatte einnicken können, war ihm zwar ein Rätsel, aber viel brennender interessierte ihn mittlerweile die Frage, was zum Geier hier gespielt wurde. „…ero!“, erkannte er zwischen Karyus unverständlichem Gebrabbel endlich so etwas wie seinen Namen, was ihn prompt aus seiner Starre riss. Er drückte sich ab und ging auf den anderen zu, die Hände ausgestreckt, um ihn von seinem Knebel zu befreien. „Und da dachte ich immer, deine Fetischgeschichten wären deine Art, dich interessanter zu machen“, versuchte Zero zu scherzen, konnte jedoch nicht anders, als seinen Freund von oben bis unten zu mustern. War Karyu in Ordnung? Ging es ihm gut? Was hatte Kirito mit ihm angestellt. Wenn der Kerl seinem Karyu auch nur ein Haar gekrümmt … warte, was? Er bildete sich ein, in seinem Kopf das charakteristische Kratzen einer Nadel über eine Schallplatte zu hören, als seine wirbelnden Gedanken gewaltsam zum Stehen kamen. Er fühlte gerade nicht allen Ernstes so etwas wie Eifersucht, oder? Haha, nein, das war vollkommen absurd. „Erde an Zero, hallo? Hörst du mir bitte mal zu?“ „Ehm, ja, klar höre ich dir zu … Was hast du noch gleich gesagt?“ „Ich sagte: Ich hätte nicht damit gerechnet, dich hier zu sehen. Wie hast du mich gefunden?“ Rollte Karyu gerade mit den Augen? „Ich kann auch wieder gehen“, murte Zero und machte Anstalten, sich wegzudrehen. „Du scheinst dich als lebendiges Wandtattoo recht wohlzufühlen.“ „Nein, Zero, bitte, ich hab’s nicht so gemeint. Mach mich los, okay? Ich muss fürchterlich dringend aufs Klo.“ „Losmachen, hu?“, murmelte er, während er schon damit begonnen hatte, die Metallschellen, in denen Karyus Handgelenke steckten, nach einem Öffnungsmechanismus abzutasten. Mehr als zwei schmale Schlitze, in die ein winziger Schlüssel passen musste, fand er jedoch nicht. „Mist, für diese Dinger braucht man einen Schlüssel, den ich natürlich nicht habe. Aber davon mal abgesehen, hätte Kirito wenigstens gepolsterte Schellen verwenden können, deine Handgelenke sind schon ganz aufgescheuert.“ „Woher weißt du, wem ich meine Lage hier zu verdanken habe?“ „Ach, komm. Nur Kirito ist so durchgeknallt und kontrollsüchtig, dass er einen seiner Kollegen im Keller ankettet.“ Plötzlich breitete sich auf Karyus Gesicht ein derart erleichtertes Lächeln aus, dass Zero unwillkürlich auf die Metallschellen starrte, weil er dachte, sie hätten sich von selbst geöffnet. Aber nein, sein Freund hing noch immer wie eine eigenwillige Dekoration an der Wand. „Himmel, bin ich froh. Du hast meine Hinweise also doch verstanden. Du hast nie drauf reagiert, dass ich schon dachte … ach, egal.“ Karyu schüttelte den Kopf und sah ihn aus so dankbaren Augen an, dass Zeros Herz ganz eigenartig zu flattern begann. „Ich hätte niemals an dir zweifeln sollen, tut mir leid.“ „Das ist schon okay, mach dir keinen Kopf. Ich musste doch mitspielen, nicht wahr?“ Zero lachte laut auf, eine dumme Angewohnheit, besonders, wenn Karyu nicht bemerken sollte, dass er absolut keine Ahnung hatte, von welchen Hinweisen er sprach. „Außerdem warst du nicht sonderlich verstohlen, muss ich schon sagen.“ ‚Himmel, halt deinen Mund, Zero, du redest dich noch um Kopf und Kragen.‘ „Ah, Gott sei Dank. Ich hatte so Panik, Kirito würde mitbekommen, dass ich euch geheime Botschaften hinterlasse, dass ich mir immer kuriosere Verstecke dafür einfallen lassen musste.“ „Euch?“ „Ja, aber Hizumi scheint meine Botschaften nicht verstanden zu haben, was?“ „Haha“, wieder entkam ihm ein viel zu schrilles Lachen und diesmal zeigten sich auf Karyus Stirn erste Grübelfalten. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ „Ja, ja. Hizumi geiert hier auch irgendwo herum, aber er war natürlich gänzlich ahnungslos, kennst ihn ja. Er sieht immer nur das Gute in den Menschen“, flunkerte Zero und verstand selbst nicht, was ihn dazu trieb. Aber allein der Gedanke daran, vor Karyu zugeben zu müssen, dass er nicht nur seine versteckten Botschaften nicht bemerkt, sondern zusätzlich Hizumis Sorge als Verschwörungstheorie abgetan hatte, bereitete ihm Bauchschmerzen. „Mhmh.“ Karyu wirkte beinahe etwas enttäuscht, als er für einen Moment den Kopf sinken ließ. „Was ist nun mit den Schellen, kriegst du sie auf?“ „Nein, leider nicht, und ich hab nichts da, womit ich versuchen könnte, die Schlösser zu knacken.“ Karyu seufzte, schien mit so einer Antwort schon gerechnet zu haben. „Aber sag mal …“, begann Zero eine Frage, die ihm mehr als alles andere unter den Nägeln brannte. „Wie lang geht das schon so? Und warum hast du nie was gesagt? Das, was Kirito mit dir macht, ist Freiheitsberaubung, das kannst du ihm nicht einfach so durchgehen lassen.“ „Doch, kann ich und muss ich sogar.“ „Was? Wie meinst du das?“ Karyu seufzte erneut, diesmal jedoch so abgrundtief, dass ihn Zero am liebsten in die Arme genommen hätte. Nun gut, wäre er der Typ Mensch, der andere Leute einfach so in die Arme nahm, verstand sich. Was er nicht war, ganz sicher nicht. Aber, verdammt, seine Finger kribbelten so stark, als hätte er in einen Ameisenhaufen gefasst und das nur, weil er den anderen trösten wollte. Er wurde wirklich weich auf seine alten Tage. „Ich hab das Kleingedruckte nicht gelesen, als ich damals den Vertrag unterschrieben habe. Kirito hat tatsächlich eine Klausel eingebaut, dass er das Recht hat, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um mich bei Angelo zu halten, sollte Hizumi jemals wieder auf die Bühne zurückkehren. Tja, seit Hizu also Anfang des Jahres mit NUL seinen ersten Auftritt hatte, dreht Kirito noch mehr am Rad als ohnehin schon.“ „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“ Zero trat einen Schritt zurück, um seinen Freund besser ansehen zu können, und riss beide Hände theatralisch in die Höhe. Dass er sich selbst dabei an Hizumi erinnerte, blendete er für den Moment geflissentlich aus. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du Dokumente anständig lesen sollst, bevor du deine Unterschrift drunter setzt?“ „Das waren damals schwere Zeiten für mich.“ „Ach, wenn es darum geht, sind es für dich immer schwere Zeiten.“ Zero rollte mit den Augen und sah sich in der kleinen Kammer um. Vielleicht lag der Schlüssel irgendwo? Karyu sagte für den Moment nichts, sah vielmehr so aus, als würde er schmollen, wobei ihm das ganz recht geschah. „Ich fasse es einfach nicht, dass du einen Vertrag unterschrieben hast, der deinem Boss erlaubt, dich anzuketten.“ Zero rieb sich über die Nasenwurzel, ging zu dem kleinen Schemel hinüber, auf dem die Kerze noch immer munter vor sich hin brannte, und betastete die Unterseite des Möbels. „Ist dir das vorher nie aufgefallen? Wir hätten schon längst Schritte dagegen einleiten können. So eine Klausel ist in höchstem Maße illegal.“ „Nein, es ist mir vorher nicht aufgefallen. Hältst du mich für so doof, dass ich nicht längst etwas unternommen hätte, hätte mich Kirito damit nicht so überfahren?“ „Kann man bei dir nie wissen“, murmelte Zero halblaut, während er dazu übergegangen war, erst unter dem Kerzenhalter nach dem Schlüssel zu suchen und dann auf der Oberseite des Türrahmens. Aber fündig wurde er auch dort nicht. „Verdammt, der Schlüssel ist nicht hier.“ „Was machen wir denn jetzt?“, jammerte Karyu und presste die Oberschenkel fest zusammen, was Zero daran erinnerte, dass der Große noch immer aufs Klo musste. „Du, sag mal …“, begann er, schüttelte dann aber den Kopf, als ihm die Frage, wie Karyu das bislang mit dem Aufs-Klo-Gehen so gehandhabt hatte, dann doch etwas zu intim erschien. „Ach, nichts, winkte er ab, als der andere fragend den Kopf schief legte und ging erneut auf ihn zu. „Du weißt nicht zufällig, wo Kirito den Schlüssel versteckt hat?“ „Ich glaube, er trägt ihn immer bei sich.“ „Natürlich. Paranoider Sklaventreiber“, nuschelte Zero und verdrehte entnervt die Augen. Beinahe glaubte er, spüren zu können, wie sich ein Krampf anbahnte. Oje, er sollte das Augenrollen wirklich lassen, sonst würde er irgendwann noch zu schielen anfangen. „Und in welchem Zimmer Kirito heute abgestiegen ist, weißt du vermutlich auch nicht, oder?“ Erneut schüttelte Karyu den Kopf und sah so niedergeschlagen aus, dass Zeros Fingerspitzen sofort wieder zu kribbeln begannen. Diesmal konnte er nicht anders, als dem Drang nachzugeben, seinem Freund wenigstens ein bisschen Trost zu spenden. Er drückte sich auf die Zehenspitzen hoch, streichelte dem Großen über die Wange und hauchte ihm einen zarten Kuss auf die Lippen. „Mach dir keine Sorgen, wir kriegen das schon hin. Ich muss dich nur kurz allein lassen, um etwas zu suchen, womit ich die Schlösser knacken kann.“ Zero lächelte aufmunternd, bevor er Anstalten machte, sich wegzudrehen, um die Kammer zu verlassen. „Ich beeil mich, du wirst gar nicht merken, dass ich weg war.“ „Warte.“ „Mh?“ „Krieg ich wenigstens noch einen richtigen Kuss?“ Zero gab dem Schmunzeln nach, das vehement seine Mundwinkel nach oben schob, und musterte sein Gegenüber mit leicht schief gelegtem Kopf. „Das ist wieder einmal so typisch für dich“, stellte er spielerisch tadelnd fest, bevor er Karyus Lippen für sich vereinnahmte. Ihr Kuss war sogleich derart wild und leidenschaftlich, als hätten sie sich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr so innig berühren können. Und genau so fühlte es sich für Zero auch an, als er in diesem Augenblick realisierte, wie sehr er seinen zu groß geratenen Dummkopf vermisst hatte. Bevor Karyu auf Tour gegangen war, hatten sie sich wieder einmal gezankt. Der Grund für ihren Streit war eine unbedeutende Kleinigkeit gewesen, an die er sich nicht einmal mehr erinnern konnte. Dennoch hatten sie sich so hineingesteigert, dass sie tagelang nicht miteinander gesprochen hatten. Vermutlich war das auch einer der Gründe dafür gewesen, dass sich Zero einfach keine Sorgen hatte machen wollen, als von seinem Freund nur sporadische und irgendwann gar keine Nachrichten mehr kahmen. Himmel, er war so dumm gewesen. „Es tut mir leid“, wisperte er gegen Karyus Mund, verzichtete aber auf die Erklärung, was genau ihm leidtat, und beschränkte sich lieber darauf, den anderen um den Verstand zu küssen. Er musste zugeben, dass es sich verdammt gut anfühlte, wenn sich Karyu so wie jetzt nicht bewegen konnte und es keine viel zu geschickten Gitarristenhände gab, die ihn aus dem Konzept brachten. Dieses Bild eines wehrlosen Karyus sollte er definitiv im Hinterkopf behalten. Aber apropos Hände, wenn er von den gedämpften Lauten ausging, die sein Freund in schöner Regelmäßigkeit von sich gab, schien es ihm zu gefallen, dass Zeros Fingerchen den Weg unter sein lockeres T-Shirt gefunden hatten. Hach ja, das erinnerte ihn an seinen Gedanken, dass er sich auch einmal einen Karyu in den Keller ketten sollte. Was der Große wohl dazu zu sagen hätte? Mh, vielleicht sollte er das bei Gelegenheit in Erfahrung bringen. „Du, Ka…“, begann er, wurde jedoch abrupt aus seinen nicht ganz jugendfreien Gedanken gerissen, als er hinter sich ein Geräusch hörte. Ertappt zog er die Hände unter Karyus Shirt hervor und sah sich argwöhnisch über die Schulter nach hinten um. ‚Der Knauf?‘, fragte er sich innerlich, bevor er sich vollends umwandte, als im selben Moment jemand von der anderen Seite langsam die Tür aufschob. Zeros Augen weiteten sich und ein erschrockenes Zittern fuhr ihm durch die Glieder. Verdammt, das war wie in einem Horrorfilm! Und schlimmer noch – er hatte keine Möglichkeit, sich zu verstecken. „Hizumi“, hörte er Karyus erleichterte Feststellung eine Sekunde bevor auch er den charakteristischen Blaumann und die Schirmmütze erkannte, die der Sänger noch immer trug. „Himmel, Hizumi, musst du mich so erschrecken?“, moserte er und rieb sich über den Brustkorb, unter dem sein Herz nur langsam wieder zu seinem normalen Rhythmus zurückfand. „Wieso? Mit wem hast du denn gerechnet? Freddy Krüger?“ Das atomare Grinsen des Sängers allein hätte ausgereicht, um das gesamte Hotel beleuchten zu können. Aber da menschliche Emotionen und Elektrizität zum Glück noch nicht kompatibel waren, blieb es stockfinster auf dem Flur und nur schummrig hell in der Kammer. „Hey, Karyu. Na, hängt es sich gut hier?“ „Ich muss schiffen wie ein Elch, aber sonst ist alles prima, danke der Nachfrage.“ „Immer gerne.“ Wegen der Unbekümmertheit, mit der sich seine beiden Freunde unterhielten, hätte Zero am liebsten laut aufgeschrien und sie gefragt, ob sie nichts Besseres zu tun hatten. Stattdessen beschränkte er sich darauf, beide nur ungläubig zu mustern. „Wenn ihr dann mal fertig seid mit euren Blödeleien? Hizu, wir brauchen irgendwas, um Karyu loszumachen. Ideen?“ „Klar hab ich die, was denkst du denn?“ Der Sänger betrat die Kammer und schloss die Tür leise hinter sich. Erst jetzt erkannte Zero, dass Hizumi den riesigen Rucksack in der Wäschekammer gefunden haben musste. Denn genau diesen schob er sich nun von den Schultern und begann, geschäftig darin herumzukramen. „Ah, da ist es ja.“ Einen übertrieben großen Koffer aus dem Rucksack ziehend öffnete er ihn mit einer dramatischen Geste und entnahm ihm drei Gegenstände. Einen von ihnen reichte er Zero, die beiden anderen setzte er erst Karyu, dann sich selbst auf die Nase und schaute im Anschluss erwartungsfroh in die Runde. „Sonnenbrillen?“, murmelte Zero und fühlte sich, als hätte er gerade irgendetwas verpasst. „Wozu genau brauchen wir Sonnenbrillen? Wir befinden uns zwei Stockwerke unter der Erde und bis auf diese halb abgebrannte Kerze gibt es hier drin kein Licht.“ „Das wird sich gleich ändern“, nuschelte Hizumi abgelenkt, während er weitere Dinge aus dem Koffer zog und miteinander verband. Die steile Falte zwischen Zeros Augenbrauen wurde sekündlich tiefer, während er zu erkennen versuchte, was zum Henker der andere dort zusammenbaute. „Außerdem sind das keine Sonnenbrillen, sondern Schutzbrillen, für die ihr mir gleich dankbar sein werdet.“ „Schutzbrillen?“, wiederholten Karyu und er gleichzeitig und nun schlich sich auch auf das bislang freudig interessierte Gesicht seines Freundes ein skeptischer Ausdruck. „Hizu, was hast du vor?“ Der Sänger antwortete nicht. Stattdessen richtete er sich auf, seine Konstruktion stolz in Händen, drehte an einem Rädchen und entzündete das entweichende Gas mit einer leisen Verpuffung. „Du hast … das ist …“, stammelte Karyu. „Ein Schneidbrenner?“, ergänzte Zero und rieb sich fassungslos über die Nasenwurzel. „Ich weiß wirklich nicht, ob mich dein Einfallsreichtum begeistern oder entsetzen soll.“ „Ich schon!“, rief Karyu aus und fing an, in seinen Ketten herumzuzappeln. „Ich bin eindeutig entsetzt! Hizu, du hast überhaupt keine Ahnung, wie man so ein Ding sicher verwendet. Ich brauch meine Hände noch!“ „Ach, du Riesenbaby, schrei nicht so herum, sonst hören sie uns noch. Entspann dich, ich weiß genau, was ich tue. In einer Minute bist du frei.“ „In einer Minute bin ich hände- und arbeitslos! Zero, tu doch was.“ „Ehm, Karyu hat recht“, begann er und legte dem übereifrigen Sänger eine Hand auf die Schulter. „Vielleicht sollten wir es erst einmal mit weniger rabiaten Mitteln versuchen? Ich bin mir sicher, du hast in deinem Zauberrucksack noch mehr Karyu-Befreiungssachen, oder?“ „Karyu-Befreiungssachen?“, echote Hizumi und drehte das Gasrädchen des Schneidbrenners mit einem zutiefst enttäuschten Seufzen zu. „Du warst auch schon eloquenter und abenteuerlustiger, wenn ich das mal erwähnen darf.“ „Darfst du, solange du meinem Freund nichts Wichtiges abbrennst.“ „Ich war nicht mal in der Nähe seiner Kronjuwelen.“ „Davon hab ich auch nicht … Ach, vergiss es. Hast du jetzt noch etwas anderes dabei, mit dem wir ihn von der Wand bekommen? Eine Haarnadel vielleicht?“ „Eine Haarnadel? Ernsthaft? Hältst du mich für einen blutigen Anfänger?“ Entrüstet packte Hizumi seine Ausbruchsutensilien zurück in den Rucksack und zog ein schmales Lederetui daraus hervor. „Wenn ich ihn schon nicht mit brachialer Gewalt befreien darf, dann doch wenigstens mit Stil. Sag Hallo zu meinem Dietrich-Set.“ „Du hast Dietriche dabei?“ Zero erwartete schon gar keine Antwort mehr, machte dem Sänger stattdessen Platz und beobachtete ihn bei seinem Tun. „Natürlich hast du Dietriche dabei“, nuschelte er halblaut, während Hizumi in dem Schloss der rechten Schelle herumstocherte und es nach nicht einmal zwanzig Sekunden geöffnet hatte. „Ich hab wirklich das Gefühl, irgendetwas verpasst zu haben. Wann bist du noch gleich zum Einbruchsspezialisten geworden?“ „Genaugenommen bin ich gerade ein Ausbruchsspezialist, aber ich will mal nicht kleinlich sein.“ Hizumi wechselte zur anderen Schelle, vollführte auch dort seine Magie und hatte Karyu keinen Moment später befreit. „Wusstest du nicht, dass es mittlerweile für alles YouTube-Tutorials gibt?“ „Ehrlich?“ Karyu rieb sich über die wunden Handgelenke und musterte ihren Sänger aus großen Augen. „Den Kanal musst du mir unbedingt zeigen.“ „Warum?“, konnte sich Zero einen Kommentar nicht verkneifen. „Damit du dich beim nächsten Mal selbst befreien kannst, wenn dich Kirito wieder an die Wand kettet?“ Betreten erwiderte der Gitarrist seinen biestigen Blick, während Hizumi in aller Seelenruhe seine Ausbruchswerkzeuge zurück in den Rucksack packte. „Jungs, zum Streiten ist auch später noch Zeit. Wir sollten zusehen, dass wir verschwinden, bevor wir Besuch bekommen, wenn ihr wisst, was ich meine.“ Hizumi schulterte seine Ausrüstung und bedeutete Zero mit einem Fingerzeig, die Kerze mitzunehmen. „Kommt jetzt.“ „Apropos Besuch“, wisperte Zero, als sie die Kammer hinter sich gelassen hatten und im schwachen Schein der Kerze die Kellerkorridore entlang schlichen. „Was ist mit den beiden Gorillas passiert, die Karyu bewacht haben?“ „Ach, die schlafen tief und fest im Kontrollraum. Von dort aus hab ich übrigens das Licht ausgeschaltet, gut, oder?“ „Mh, zwei Fragen: Wie genau meinst du das, sie schlafen und warum hast du das Licht nicht wieder eingeschaltet, wenn sie doch außer Gefecht gesetzt sind?“ Zero hob eine Augenbraue und sah zu seiner grenzenlosen Genugtuung zum ersten Mal, seit diese unsägliche Aktion begonnen hatte, so etwas wie Ratlosigkeit in Hizumis Gesicht. „Das Licht wieder … ja …“ „So sehr ich mehr über euren Fluchtplan erfahren möchte“, meldete sich Karyu zu Wort, „so dringend muss ich noch immer aufs Klo. Tut mir leid, aber ich halte es nicht mehr lange aus.“ „Klo, hu?“ Hizumi rieb sich übers Kinn, als befände sich dort noch immer sein Ziegenbärtchen, von dem er sich vor über einem Jahrzehnt verabschiedet hatte – zum Glück. „Das könnte ein Problem werden. Ich hab hier nirgendwo Toiletten gesehen, du, Zero?“ „Nein, nur den Waschraum.“ „Besser als nichts, folgt mir, an dem kommen wir sowieso gleich vorbei.“ „Gott sei Dank“, murmelte Karyu und beeilte sich, Hizumi hinterherzuschleichen. Zero für seinen Teil ließ sich Zeit und verbat sich am Waschraum angekommen jeglichen Gedanken daran, wo genau Karyu sich dort erleichtern wollte. Es gab eindeutig Dinge, die er nicht wissen musste, so neugierig konnte er gar nicht sein. Aber, wo er gerade an seine notorische Neugierde dachte – er wusste noch immer nicht, wie Hizumi es angestellt hatte, die Wachen auszuschalten. „So, jetzt mal raus mit der Sprache. Wie hast du es geschafft, die Gorillas ins Traumland zu befördern?“ „Kennst du Tsukasas Cousine, Midori?“ „Vom Hören, ja.“ „Mehr, als dass sie in einer Krankenhausapotheke arbeitet, brauchst du über sie auch nicht zu wissen.“ „Aha. Und was hat das jetzt mit den Wachen zu tun?“ „Na, ich hab Kekse mit ein paar Spezialzutaten aus Midoris gut bestückter Hausapotheke gebacken.“ „Du beklaust die Cousine deines Lovers, um Kekse mit Schlafmitteln zu backen? Woher wusstest du überhaupt, dass wir das Zeug irgendwann brauchen? Oder warte, sag nichts, es gibt bestimmt auch einen YouTube-Kanal, der dir das Hellsehen beigebracht hat, stimmt’s?“ „Unsinn.“ Hizumi schüttelte energisch den Kopf, als wäre Zeros Vermutung das Dümmste, was er jemals gehört hatte. „Ich hatte anderes mit den Keksen vor.“ „Anderes, soso. Will ich wissen, was das nun wieder zu bedeuten hat?“ „Nein, willst du nicht. Mensch, Zero, sei doch einfach froh, dass die Wachen so verfressen waren und mein Plan aufgegangen ist, statt immer alles zu hinterfragen.“ „Oh, entschuldigen Sie, der Herr, dass ich tendenziell vorsichtig reagiere, wenn mir mein Kumpel gerade offenbart, dass er mit Schlaftabletten und Nahrungsmitteln herumexperimentiert.“ „Vertraust du mir so wenig?“ „Noch weniger, glaub mir.“ Der Sänger zog einen Flunsch, aber im selben Moment öffnete Karyu leise die Tür des Waschraums und lenkte damit Hizumis Aufmerksamkeit auf sich. ‚Halleluja. Der aufziehende Trotzanfall scheint abgewendet‘, dachte Zero und lächelte Karyu erleichtert an, was diesen vollkommen zu überrumpeln schien. ‚Was denn nun schon wieder kaputt?‘ Er beschloss, die geweiteten Augen und die leichte Röte auf Karyus Wangen zu ignorieren. Sie hatten schließlich noch immer Wichtigeres zu tun. „Lasst uns endlich verschwinden“, entschied er daher und stapfte voraus. Er hatte keine Lust mehr, vorsichtig zu sein und über die Gänge zu schleichen. Das kostete nur unnötig Zeit und er wollte endlich nach Hause. Wahlweise mit dem befreiten Gitarristen an seiner Seite, aber das würde er ganz dem anderen überlassen. Er an Karyus Stelle würde nur noch in seine Wohnung wollen und Kirito nie wieder zu Gesicht bekommen. Aber sein viel zu gutmütiger Freund tickte definitiv anders als er. Zero würde es nicht wundern, hätte Karyu seinem Boss längst verziehen. Unwillkürlich verdrehte er die Augen, bevor er sich daran erinnerte, dass er sich das abgewöhnen wollte. Vor sich erkannte er bereits den Treppenaufgang, der sie zurück zum Hintereingang des Hotels und auf den Parkplatz führen würde, von wo aus ihr Abenteuer begonnen hatte. „Hizumi? Wo ist eigentlich Tsukasa?“, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, dass er ihren Drummer seit seinem Gesangsauftritt nicht mehr gesehen hatte. „Ich denke, er wartet bei unserem Fluchtfahrzeug, wie abgesprochen.“ „Du hättest auch einfach Van sagen können.“ „Hätte ich, aber das wäre langweilig gewesen.“ Hizumi holte zu ihm auf und grinste schon wieder. Zero beschloss, dem Sänger seinen Spaß zu gönnen und nichts darauf zu sagen. Stattdessen sah er sich kurz zu Karyu um und bedeutete ihm, nicht zu bummeln. Keinen Moment später übernahm Hizumi die Führung, was ihm ganz recht war, als er plötzlich eine leichte Berührung an seinem Arm spürte und kurz darauf warmen Atem, der sein rechtes Ohr kitzelte. „Hizumi war also komplett ahnungslos, hu? Sieht für mich irgendwie nicht danach aus.“ „Ich … ehm.“ Zero konnte fühlen, wie ihm verräterische Hitze in die Wangen stieg. Verdammt, jetzt war seine Scharade aufgeflogen. „Weißt du …“, begann er, um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. Für einen Sekundenbruchteil spielte er mit dem Gedanken, seine Schwindeleien aufrechtzuerhalten und Karyu wieder nur Halbwahrheiten aufzutischen, die ihn in einem besseren Licht zeigen würden. Dann jedoch schüttelte er genervt von seinen eigenen Überlegungen den Kopf und ließ die Schultern hängen. „Um ehrlich zu sein, hab ich deine Hinweise gar nicht bemerkt“, gab er zu und rieb sich verlegen über den Hinterkopf. „Als Hizumi heute damit angefangen hat, dass wir dich retten müssen, weil Kirito dich gefangen hält, hab ich ihn nicht wirklich ernst genommen.“ Er wagte es kaum, den Blick zu heben und Karyu ins Gesicht zu sehen. „Aber das konnte ich doch nicht zugeben, als du vorhin so glücklich darüber warst, dass ich deine Botschaften gefunden habe.“ Sicher war der Große jetzt enttäuscht von ihm und das zu Recht. „Hey.“ Warme Finger schoben einige der längeren Haarsträhnen hinter sein Ohr und verpassten ihm damit eine dicke Gänsehaut. „Sieh mich an, bitte.“ Zero tat, was der andere von ihm verlangte und war ehrlich überrascht, als sich auf Karyus Lippen ein liebevolles Lächeln zeigte. „Ich an deiner Stelle hätte Hizumi auch nicht für voll genommen. Wir wissen beide, dass der Gute lieber übertreibt, als mit harten Fakten um sich zu werfen.“ Sie grinsten sich an, bevor Zero stehen blieb, als ein sanfter Kuss auf seinen Lippen landete. „Außerdem habe ich vorhin schon gesagt, dass ich mich mit meinen Hinweisen ziemlich zurückhalten musste. Kein Grund also, jetzt ein schlechtes Gewissen zu haben, okay?“ „Okay, aber … leid tut es mir trotzdem“, gab Zero zu, drängte Karyu ein wenig gegen das Treppengeländer und ließ die zarte Berührung ihrer Münder inniger werden. „Vor allem, dass wir uns vor der Tour gestritten haben. Das war so unnötig.“ „Ja, das tut mir auch leid“, seufzte Karyu, während seine Hände ein Eigenleben entwickelten und über Zeros Rücken bis zum Ansatz seines Hinterteils fuhren. „Ich denke, wir haben gegenseitig etwas gutzumachen, was?“ „Unbedingt.“ Zero schmiegte sich stärker an den größeren Körper und konnte Karyus Wärme für den Moment tatsächlich genießen, obwohl er sich noch immer nicht wohl in seiner Haut fühlte. Sommer in Tokyo sollten einfach verboten werden, dann wäre das, was sein Freund gerade ganz offensichtlich mit ihm vorhatte, noch viel angenehmer. „Karyu“, hauchte er und verschluckte sich prompt an diesem kleinen Wort, als Hizumi sich räuspernd vor ihnen aufbaute. „Ihr seid wirklich zuckersüß zusammen, das hab ich schon immer gesagt.“ Der kleine Sänger grinste über beide Wangen und wäre er ein Anime-Charakter, hätte er gerade Sternchen in den Augen. „Sorry, dass ich euch stören muss, aber wir sollten jetzt wirklich zusehen, hier rauszukommen, bevor wir entdeckt werden.“ Zero murrte, doch Karyu lächelte ihn erneut so lieb an, dass sich sein Unwillen beinahe sofort in Luft auflöste. Und wenn er ehrlich war, hatte Hizumi recht. Nicht damit, dass Karyu und er süß zusammen waren, aber damit, dass sie endlich das Weite suchen sollten. „Gut, worauf warten wir dann noch?“, fragte er in die Runde und stapfte voran. Nun wieder deutlich achtsamer schlichen sie das Obergeschoss entlang, bis sie die Feuerschutztür erreichten, durch die Hizumi und er das Hotel vor gefühlten Stunden betreten hatten. Aus zweierlei Gründen erleichtert drückte Zero dagegen und wollte gerade die noch immer zu warme, zu feuchte, aber immerhin nicht abgestandene Nachtluft einatmen, als sie ihm prompt im Hals stecken blieb. Vor ihnen hatte sich Kirito aufgebaut. Karyus Boss wirkte zwar wenig beeindruckend, bedachte man seine schmale und nicht besonders hochgewachsene Statur, Zero war jedoch so überrumpelt von seinem Anblick, dass es ihm für eine Sekunde eiskalt den Rücken hinab lief. Verflucht, auf eine Konfrontation mit dem paranoiden Sklaventreiber hätte er jetzt gut und gerne verzichten können. Er wollte doch nur noch nach Hause, war das zu viel verlangt? „Ich wusste es“, zischte Kirito und funkelte sie aus halb zusammengekniffenen Augen finster an. „Ich wusste, dass der Tag irgendwann kommen wird, an dem ihr mir meinen Gitarristen klaut.“ Wütend stampfte er mit dem Fuß auf und ballte die Hände zu Fäusten. Zero konnte nicht anders, als das Grinsen zuzulassen, das bei den Worten des anderen prompt an seinen Mundwinkeln zupfte. Er hatte schon immer gewusst, dass Kirito ein eifersüchtiges Kleinkind war, aber das nun so deutlich gezeigt zu bekommen, war schlicht und einfach köstlich. „Uh, Hizumi, guck mal. Noch jemand, der den YouTube-Kanal für angehende Hellseher abonniert hat.“ Er blickte sich um und runzelte die Stirn. Versteckten sich der Sänger und Karyu gerade tatsächlich auffällig unauffällig hinter ihm? Na ja, der große Gitarrist versuchte zumindest, sich zu verstecken, mit eher mangelhaftem Erfolg. „Jetzt kommt schon, Leute. Rumpelstilzchen hier wird euch doch nicht einschüchtern?“ „Pass auf, was du sagst“, zischte Kirito. „Ach, halt die Klappe.“ Zero drehte sich wieder herum und rollte diesmal deutlich sichtbar und absichtlich mit den Augen. „Du glaubst wohl immer noch, dass wir dir bis ans Ende unserer Tage dankbar sein müssen, nur weil du damals ein Konzert für uns ausgerichtet hast? Newsflash, Kirito, das ist Jahre her und gibt dir darüber hinaus definitiv nicht das Recht, Karyu anzuketten!“ „Ich habe den Vertrag hier!“, wetterte Kirito und hielt besagtes Papier hoch. „Karyu hat mir jedes Recht eingeräumt, zu verhindern, dass er abgeworben wird, du undankbarer …“ „Na, na. Wer wird denn hier ausfallend werden?“ Blitzschnell machte Zero einen Satz nach vorn, griff nach dem Vertrag und zog ihn Kirito aus den Fingern. „Meine Tante wird sich freuen, diese Vereinbarung auf Herz und Nieren zu prüfen. Sie ist übrigens Anwältin, falls du das nicht wusstest.“ Zero lächelte süffisant, faltete den Vertrag, schob ihn in seine Hosentasche und drehte sich zu seinen Freunden um. „Kommt, lasst uns gehen.“ „Du Mistmade“, hörte er Kirito hinter sich zischen, kurz bevor er ein Gewicht spürte, das ihn zu Boden drücken wollte. War ihm der andere gerade ins Genick gesprungen? Um ehrlich zu sein, hatte er nicht mit einer körperlichen Attacke gerechnet. Das war wohl auch der Grund, weshalb er nach vorne kippte und sich unter Kiritos Gewicht begraben wiederfand. Er hörte Karyu etwas rufen, spürte Hände, die an ihm zogen, aber erst ein dumpfer Schlag setzte dem Tohuwabohu ein Ende. „Mh?“ Mit verwundert hochgezogener Augenbraue kroch er unter Kirito hervor, richtete sich auf und betrachtete Karyus benommen wirkenden Boss, der sich den Kopf hielt. Über ihm stand Tsukasa in all seiner glänzenden und klimpernden Pracht, einen Gummihammer in der Rechten und ein selbstzufriedenes Lächeln auf den Lippen. „Hast du ihm gerade eine übergezogen?“, fragte Zero, den Blick zwischen Kirito und ihrem Drummer hin und her schweifen lassend. „Ich hab nie behauptet, ein Pazifist zu sein. Außerdem …“ Tsukasas Lächeln weitete sich zu einem beinahe raubtierhaften Grinsen, „wollte ich das schon immer mal tun.“ Zero lachte, lachte so laut und lange, dass sein Bauch zu schmerzen begann. Vergessen war die Tatsache, dass er verschwitzt und übermüdet war oder dass er sich eingestehen musste, dass Hizumi mit allem rechtbehalten hatte. Kiritos bedröppelter Gesichtsausdruck und die nicht zu übersehende Beule, die seinen Hinterkopf zierte, entschädigten einfach für alles. „Gut gemacht, Tsukatchi.“ Er erwiderte das Grinsen des klimpernden Pfaus und streckte die Hand nach Karyu aus. „Lass uns jetzt endlich heimfahren, mh?“ Wieder weiteten sich Karyus Augen beinahe komisch, bevor er zögerlich Zeros Hand ergriff. „Heimfahren? Zu dir?“ „Mh, wenn du willst?“ „Klar.“ Das Lächeln, welches Karyu ihm daraufhin schenkte, hätte das gesamte Hotel und vermutlich auch noch das benachbarte Viertel erhellen können, so strahlend war es. Zeros Herz flatterte und ein warmes Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus. Vielleicht war es langsam aber sicher Zeit, Karyu vom Gelegenheitslover zu seinem festen Freund zu machen, aber das war etwas, worüber sie sprechen konnten, wenn sie erst einmal ausgeschlafen hatten. „Auf eines kannst du dich verlassen“, murmelte er, während sie gemeinsam mit Tsukasa und Hizumi in Richtung ihres Vans schlenderten. „So schnell lasse ich dich nicht mehr aus den Augen.“ „He, wartet gefälligst!“, unterbrach ihn Kirito und als Zero sich herumdrehte, wackelte der andere etwas unkoordiniert auf sie zu. „Karyu, du kannst doch nicht einfach gehen. Denk an das Tourfinale morgen.“ Er hatte schon den Mund geöffnet, um Kirito vor den Latz zu knallen, dass er sich sein Tourfinale sonst wo hinschieben konnte, da straffte Karyu neben ihm die Schultern und trat vor. „Du kannst froh sein, dass ich über ein ziemlich ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein verfüge und meine Kollegen nie im Stich lassen würde, sonst könntest du dir dein Tourfinale sonst wo hinschieben.“ Zero konnte nicht anders und kicherte schadenfroh, als sein Freund genau die Worte benutzte, die er auch verwendet hätte. Karyu brachte das jedoch nicht aus dem Konzept und je länger er den resoluten Gesichtsausdruck des Gitarristen musterte, desto stärker kribbelte es in seinem Magen. Ob sein Freund wusste, wie sexy er in diesem Augenblick auf ihn wirkte? So wie er den anderen kannte, hatte der davon keine Ahnung und wenn es nach Zero ging, würde das auch so bleiben. Nicht auszudenken, was passieren würde, würde der Gitarrist in Erfahrung bringen, wie er ihn wuschig machen konnte. Nein, nein, das ging gar nicht. Zero blinzelte, als sein Hirn wieder aus den Untiefen seines Bewusstseins auftauchte und sich erneut auf Karyu und Kirito fokussierte. „Du hast Zero gehört. Der Vertrag wird geprüft und auf jeden Fall angepasst.“ „Pfff“, zischte Kirito und funkelte Karyu aufgebracht an. „Unter diesen Umständen kannst du froh sein, wenn ich dich überhaupt zurücknehme! Gitarristen gibt es wie Sand am Meer!“ Zero erkannte das Flackern in Karyus Blick als das, was es war. Die größte Angst seines Freundes, schon seit dem unfreiwilligen Ende von D'espairs Ray, war es, plötzlich ohne eine Band, ohne eine Aufgabe dazustehen. „Weißt du was, Kirito?“ Tsukasa, den Zero schon wieder ganz vergessen hatte, trat auf sie zu, einen Arm um Hizumis Schultern gelegt und ein überlegenes Lächeln auf den Lippen. „Deine Angst, du könntest Karyu verlieren, war durchaus begründet.“ Kirito wurde mit einem Schlag käseweiß im Gesicht und öffnete den Mund, brachte jedoch kein Wort heraus. „Ich denke, jetzt wo Hizumi wieder singen darf, werden wir Despa irgendwann wieder aufleben lassen. Und in der Zwischenzeit finden wir für Karyu ein Plätzchen bei Maifo oder NUL. Da ist er auf jeden Fall besser aufgehoben als bei dir. Oder was meint ihr, Jungs?“ „Auf jeden!“ Hizumi grinste breit und auch Zero konnte ein schadenfrohes Schmunzeln nicht mehr zurückhalten. „Ich denke, das wäre jetzt also geklärt, nicht wahr? Du hörst von meiner Tante, Kirito. Freu dich schon mal drauf. Wenn sie erst einmal Blut geleckt hat, lässt sie so schnell nicht mehr locker.“ Zero wandte sich ab, ergriff Karyus Hand und ignorierte die Flut an Beschimpfungen, die Kirito ihnen hinterherrief. „An wen erinnert mich das nur“, flüsterte Karyu und grinste verschmitzt, als ihm Zero für diese Dreistigkeit den Ellenbogen angedeutet in die Seite rammte. „Aufpassen, mein Lieber.“ „Tu ich doch immer.“ Karyu lächelte ihn an und überraschte ihn im nächsten Moment damit, dass er ihre miteinander verschränkten Hände anhob, um einen Kuss auf seinen Handrücken zu hauchen. „Ich hab da noch eine Frage.“ „Schieß los.“ „Vorhin, als Hizumi mich befreien wollte, hast du mich als deinen Freund bezeichnet.“ „Stimmt, das hab ich.“ „Wie, also ich meine, wie genau meintest du das?“ Kurz blieb Zero stehen, um seinem Freund ins Gesicht sehen zu können. „Ich meine das genau so, wie du willst, dass ich es meine.“ „Oh, ich will sehr viel.“ „Damit, mein lieber Karyu, hab ich gerechnet.“ „Ach, ja?“ „Ja. Und wenn ich ehrlich bin, kann ich es kaum erwarten.“ Wieder kam Zero ein Lachen über die Lippen, das diesmal nicht schadenfroh, sondern einfach nur erleichtert war. Bester Laune schlossen sie zu Tsukasa und Hizumi auf und ließen Kirito endgültig zurück. Als sich Karyus warmer Arm um seine Schultern schlang, lehnte er sich glücklich gegen den großen Körper. Tsukasa, der neben ihm lief, legte er auf gleiche Weise einen Arm um die Schultern und dieser wiederum spiegelte die Geste bei Hizumi. So schlenderten sie zu viert über den Parkplatz und wirkten alles in allem so, als würden sie sich jeden Augenblick gemeinsam vor einer tobenden Fan-Menge verbeugen wollen. „Fühlt sich beinahe an, wie früher, oder?“ „Nee, viel besser.“ Karyu grinste und drückte ihm einen Kuss auf den Scheitel. „Früher hätte ich das nie tun können.“ „Na, pass lieber auf. Meine endorphingetränkte Gelassenheit hält nicht ewig an.“ „Mh, dann muss ich diesen Umstand wohl ganz ausführlich nutzen, solange er noch besteht?“ „Ich bitte ganz offiziell und ausdrücklich darum.“ ~The End~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)