Ein Regen aus Sternen von Charly89 ================================================================================ Kapitel 1: Fern der Heimat -------------------------- Brrr. Vanessa friert und versucht sich tiefer in den Schlafsack zu kuscheln. Und eine bequemere Haltung zu finden. Natürlich hat sie vorher schon gewusst, dass es nachts in der Wüste kalt werden wird, sehr kalt, aber heute ist es besonders eisig. Als angehende Archäologin, angehende Abenteurerin, hat sie sich im Vorfeld entsprechend informiert. Bücher, Berichte und das Internet durchstöbert und alles aufgesaugt. Und Professor Jones hat ihr von seinen vorhergehenden Expeditionen berichtet. Abends auf der Couch, vor dem knisternden Kamin, hat sie in seinen Armen gelegen und seinen Erzählungen gelauscht. Seine goldenen Augen haben gefunkelt, während er ihr von seinen Abenteuern erzählt hat. Ihr wird es schwer und gleichzeitig warm ums Herz bei dem Gedanken. Sie und er haben schon einiges zusammen durch. Er, der angesehene Professor und sie, die kleine Studentin. Es war verboten, hätte sie beide Kopf und Kragen gekostet sobald jemand von ihrer Annäherung erfahren hätte. Doch das zwischen ihnen war nie nur so gewesen. Keine Schwärmerei, keine flüchtige Hormon-Fata-Morgana. Nein. Es war echt und pur; und nur Gott allein wusste warum. Schließlich, vor drei Monaten, haben sie ihre Entscheidung getroffen. Sebastian hat seine Professur niedergelegt und sie hat ihr Studium erstmal eingefroren. Schnell war jedem an der Uni klar geworden warum und Vanessa hatte sich des Öfteren mit Anfeindungen konfrontiert gesehen. Aber es war ihr egal gewesen, zumindest hat sie so getan. Innerlich hat es sie dennoch geschmerzt. Schmerzt es auch jetzt noch manchmal, wenn sie daran denkt. Aber sie hat ihre Entscheidung nicht bereut, und das ist was zählt. Vanessa dreht sich um und blinzelt. Ihr ist bewusst gewesen warum es heute besonders kalt hier im Jeep ist, aber es zu sehen lässt sie traurig werden. Der Platz neben ihr ist leer und wird es bis zum Morgengrauen auch bleiben. Sebastian ist nicht hier, er ist draußen. Als er ihr sein Geheimnis offenbart hat, war sie nicht schockiert gewesen. Immerhin ist sie eine Hexe und mit der magischen Welt vertraut. Sie ist zuvor zwar noch nie einem Gestaltwandler begegnet, aber sie wusste um deren Existenz. Er hingegen hat große Augen gemacht, als sie ihm erklärte, dass sie eine Hexe sei. Es fröstelt die junge Frau. Die letzten Tage hat Sebastian neben ihr gelegen, im Zelt an der Ausgrabungsstätte, und ihr in der Nacht Wärme gespendet. Eine Eigenheit die alle Gestaltwandler teilen; ihre Körper sind überdurchschnittlich warm. Und nachts, mitten in der Wüste, gibt es nichts Schöneres, wie einen wohligen, gutgebauten Männerkörper der an einen geschmiegt ist um die Kälte fernzuhalten. Tja, heute hat sie diesen Luxus nicht. Nicht mal ein Zelt. Heute ist sie allein. Im Jeep statt im Zelt. Denn heute Nacht ist Vollmond. Bevor die Sonne untergegangen ist, hat sie ihn gefragt, ob er nicht trotzdem bei ihr bleiben könnte. Verschämt hat er den Blick gesenkt und sich geräuspert. Er könne nicht, hat er ihr erklärt. Trotz menschlichem Verstand haben seine tierischen Instinkte in gewissen Punkten immer die Oberhand. Und als Wolf liegt es einfach nicht in seiner Natur, still die Zeit an einem Fleck zu verbringen. Vor allem, weil er in seiner zweiten Gestalt nicht schlafen könne. Schelmische hat er sie angelächelt und hinzugefügt, dass er sie zwar gern beim Schlafen beobachtet, aber eine ganze Nacht wäre dann doch etwas lang. Die junge Frau hat das alles gewusst und ihre Frage war eher der Versuch, sich selbst zu beruhigen. Sie hat Angst und macht sich Sorgen um ihn. Zu Hause kennt er jeden Winkel des Waldes; er ist sein natürliches Umfeld, wenn man so will. Aber hier, auf einem fremden Kontinent, in einem fremden Land … Die afrikanische Wüste ist kein Ort für einen Wolf. Ja, er war als Mensch bereits unzählige Male hier gewesen, aber er hat stets darauf geachtet die Vollmondnächte nicht hier im Nirgendwo zu verbringen. Ein medizinischer Notfall und ein Sandsturm haben ihnen aber einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die übrigen Mitglieder der Expedition sind bereits in der nächsten Ortschaft, nur sie und Sebastian sind noch hier. Der erste Trupp ist mit einem Verletzten los, der zweite als die Meldung über den Sturm kam. Professor Jones wollte noch einige Dinge in der Ausgrabungsstätte sichern und sie ist natürlich bei ihm geblieben und hat geholfen. Der Sandsturm war dann allerdings schneller da als gedacht, hat sie auf dem Weg zurück erwischt und gefühlte Stunden eingehüllt. Ohne Sicht war es zu gefährlich weiterzufahren, dementsprechend haben sie einfach ausgeharrt bis es vorbei war. Als sich der Sturm endlich gelegt hat, hat sich eine regelrechte Düne auf der Front des Autos aufgetürmt. Das restliche Tageslicht haben sie genutzt um den Jeep freizuschaufeln und den anderen mitzuteilen, dass sie in Ordnung sind und morgen nachkommen werden. Natürlich ist Professor Jones erleichtert gewesen, dass sie wenigstens nur zu zweit zurückgeblieben sind. So musste er sich wenigstens keine Sorgen machen, dass jemand der anderen von seinem Geheimnis erfährt. Aber Vanessa hat gemerkt, dass ihm die Situation auch nicht geheuer ist. Auch wenn er die Ortschaften immer verließ nach seiner Verwandlung, blieb er meist in der Nähe, weil es ihm sicherer erschien. Die junge Frau seufzt und setzt sich auf. Müde und frierend zieht sie ihren Rucksack zu sich. Schnell kramt sie einen Pullover heraus und zieht ihn über ihr Longshirt. Sie bindet sich ihre langen, dunklen Haare lose zu seinem Dutt und steigt aus dem Wagen, nachdem sie die Schuhe angezogen und gewohnheitsgemäß ihr Smartphone eingesteckt hat. Außerhalb des Jeeps ist gleich noch kälter. Vanessa verschränkt die Arme vor der Brust und betrachtet die Ausgrabungsstätte die sich in einiger Entfernung befindet. Sehr weit sind sie nicht gekommen und wollten eigentlich zurück, aber es war bereits zu spät. Das Ausgraben des Autos hat einfach zu lange gedauert und Sebastians Verwandlung stand kurz bevor. Sie selbst hat sich nicht zugetraut den Jeep sicher die Düne, auf der sie sich befinden, hinunter zu manövrieren. In der Wüste ein Fahrzeug sicher zu bewegen bedarf es einiges an Übung, die sie leider noch nicht hat. Der Mond erleuchtet beinahe mystisch die Ruinen. In den letzten Wochen hat das Team hier hart gearbeitet. Vermutlich eine Art Tempel, aber ganz sicher sind sie sich noch nicht. Die Fundamente von Säulen ragen in die Höhe und das, was vermutlich einmal die Rückwand des Hauptraums gewesen ist, zeichnet sich gegen die Schatten dahinter ab. Ihre Augen richten sich in den Himmel. Irritiert runzelt sie die Stirn. Der sonst so klare und beeindruckende Sternenhimmel wirkte heute irgendwie fleckig ... Sind das tatsächlich Wolken? Wie ungewöhnlich … Ein begeistertes Heulen erschreckt Vanessa und sie zuckt zusammen. Sie sieht sich um und erblickt den Ursprung. Auf einer anderen Düne, etwa hundert Meter entfernt, steht Sebastian. Prächtig glänzt sein schwarzer Pelz im silbernen Mondschein. Seine goldenen Augen sind auf die junge Frau gerichtet und seine Ohren aufmerksam aufgestellt. Als er sicher scheint, dass sie ihn beobachtet, legt er den Kopf in den Nacken und heult. Laut, kraftvoll und stolz. Als würde er die Wüste mit allem darin für sich beanspruchen wollen. Die junge Frau muss lächeln. Sie freut sich, dass es ihm offensichtlich gut geht. Gleichzeitig wirkt der Anblick unfassbar grotesk. Ein riesiger, schwarzer Wolf auf einer Düne in der Sahara der den Mond anheult. Verrückt. Einfach verrückt. Sie geht einige Schritte in seine Richtung und bleibt dann abrupt stehen. Etwas Kaltes hat ihre Wange berührt. Nur kurz und im nächsten Moment ist es weg, aber irgendetwas ist da definitiv … Schon wieder! Diesmal auf ihrer Nase. Wie ein flüchtiger Regentropfen, der sich in Luft auflöst, kaum, dass er ihre Haut berührt hat. Sie blinzelt und fasst mit dem Finger vorsichtig auf ihre Wange. Da ist definitiv Feuchtigkeit an der Stelle. Völlig verwirrt zieht sie den Finger zurück und schaut ungläubig ihre Kuppe an. Leichter Sprühregen vielleicht? Das wäre durchaus möglich … Ein kleiner funkelnder Punkt segelt langsam vor der jungen Frau herunter. Er glitzert im Mondlicht, landet auf ihrer Handfläche und verschwindet. Eine regelrechte Schockstarre lähmt Vanessa. Unmöglich, läuft in ihrem Kopf in Dauerschleife. Sie weiß was sie gesehen hat, sie weiß was das war, aber das ist doch nicht möglich! Sebastian wimmert aufgeregt und reißt sie aus ihren Gedanken. Ungläubig sieht sie zu ihm und ihre Augen weiten sich. Ihr Mund formt ein stummes O, während sie darum kämpft nicht loszulachen. Das schwarze Fell des Wolfs ist mit kleinen, glitzernden Sternchen versetzt. Die Nase des Tiers ist Richtung Himmel gerichtet und ein merkwürdiges Jaulen ist zu hören, dass seine Euphorie deutlich zum Ausdruck bringt. Die junge Frau sieht ebenfalls auf und kann es immer noch nicht fassen. Überall regnet es kleine Sterne vom Himmel. Sie glitzern und funkeln im Mondlicht um die Wette, während sie geräuschlos Richtung Boden segeln. „Schnee“, haucht sie ungläubig und mit einer gewissen Ehrfurcht in der Stimme. Es sind keine großen, flauschigen Flocken wie sie sie von zu Hause kennt, eher winzige Körnchen, aber es ist definitiv Schnee. Mit einem freudigen Jaulen rennt Sebastian explosionsartig los. Er rast die Düne hinab und mit vollem Tempo Richtung Vanessa. Immer noch jaulend umrundet er sie, dreht sich einmal um die eigene Achse und bleibt vor ihr stehen. Seine Augen leuchten vor Begeisterung. Er hechelt hektisch und scheint es selber kaum Glauben zu können. Energisch stubst er die junge Frau, dreht sich wieder um sich selbst um dann wie erstarrt stehen zu bleiben und in den Himmel zu sehen. Immer mehr Flöckchen schweben in der Luft. Jede von ihnen sieht aus wie ein kleiner glitzernder Punkt der gemächlich auf dem Weg zu ihnen ist. Es wirkt, als würden sich Sterne vom Firmament lösen und auf die Erde regnen. Ein Regen aus Sternen mitten in der Wüste quasi. „Es ist wunderschön.“ Mehr bekommt die jungen Frau gerade nicht raus. Das, was sie hier erleben ist magisch, mystisch, traumhaft und surreal zu gleich. Der Wolf bewegt sich plötzlich wieder, rennt über den Sand und springt in die Luft. Er schnappt nach den Flocken und hat sichtlich Spaß daran. Vanessa muss lachen, während sie Sebastian beobachtet wie er mit kindlicher Begeisterung über den Boden flitzt, hochspringt und versucht die kleinen Sterne zu fangen. Selbst einen erfahrenen Abenteurer wie ihm kann Mutter Natur offenbar noch in solche Euphorie versetzen. Schnell kramt sie ihr Smartphone aus ihrer Hosentasche. Ein Wolf, der in der Sahara Schneeflocken fängt, dass muss sie festhalten, auch wenn außer ihr und Sebastian nie einer die Bilder zu Gesicht bekommen wird. Das Spektakel ist inzwischen zu Ende, aber das Resultat ist noch allgegenwärtig. Vanessa sitzt in eine Decke gehüllt auf der Haube des Jeeps und lässt ihren Blick über die Landschaft streichen. Der Anblick ist atemberaubend und lässt sie immer noch stauen. Eine hauchzarte weiße Schicht liegt auf dem Sand und glitzert. Die gesamte Gegend ist mit Sternenstaub überzogen, so sieht es zumindest aus. Das Firmament ist inzwischen wieder wolkenlos und erstrahlt in seiner ganzen Pracht. Himmel und Erde scheinen um die Wette zu funkeln. Plötzlich rumpelt es hinter ihr und das Auto schwankt. Im nächsten Moment drückt sich eine große feuchte Nase in ihren Nacken. Lachend beschwert sich die junge Frau und drückt den großen Kopf beiseite. Sebastian brummt amüsiert. Vorsichtig legt er sich um Vanessa herum und scheint sich ebenfalls in der Bewunderung der Umgebung zu verlieren, dann richtet er seine goldenen Augen auf sie. Ein warmes Lächeln umspielt die Mundwinkel der jungen Frau. Alle Zuneigung und Liebe zeigen sich deutlich in seinem so menschlichen Blick. „Ich bin glücklich, dass mit dir erlebt zu haben“, flüstert sie und streichelt ihm über den Kopf. „Alleine wäre es nur halb so magisch gewesen.“ Als Antwort stubst er ganz vorsichtig mit seiner Nase gegen ihre. Er legt seinen wuchtigen Kopf auf ihren Schoß, schließt die Augen und genießt sichtlich ihre Streicheleinheiten, während langsam die Dämmerung hereinbricht und alle Spuren dieser magischen Nacht verschwinden lässt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)