Es gibt kein Entkommen von FlameHashira (Der Tod naht) ================================================================================ Kapitel 1: Teil 1 ----------------- Nur wenige Geschichten werden von Hades erzählt, dessen Name allein schon Angst und Buße erweckt und uns an das unausweichliche Schicksal erinnert, welches wir alle teilen. Eine dieser Geschichten erzählte ich euch bereits – als Prinz Zagreus der Unterwelt entkommen wollte und nun stattdessen ein harmonischeres Leben mit seiner Familie dort verbringt. Doch jetzt gibt es eine neue Geschichte zu erzählen ...     Das Königreich hatte ein angenehmes Bild angenommen. Es wirkte nicht mehr ganz so trist, kalt und ... tot wie zuvor. Zagreus war stolz darauf, dass er ein Grund dafür war. Dank all seiner Aufträge beim Bauleiter, die nur dadurch möglich waren, dass er bei seinen unzähligen Fluchtversuchen alles an Schätzen gesammelt hatte, die ihm begegnet waren. Trotz all den Hohn seines Vaters hatte er sich nicht beirren lassen und für ein wärmeres Heim gesorgt. Warum hatte er das nicht schon Jahre vorher getan? All seine Freunde, die unter seinem Vater arbeiteten, hatten etwas Schöneres um sich herum, Hypnos konnte nun auf einer Bank nicht schlafen, Kerberos hatte weiche Kissen und Spielzeug, die Küche war ausgebaut ... Und Thanatos hatte etwas mehr als den Balkon. Zagreus wusste nicht, ob das benutzt wurde, er hatte es bisher nicht sehen können. Allerdings wusste er auch, dass Than das nicht heraus posaunen würde.   Nicht einmal gegenüber von Zagreus.   Ihre Beziehung zueinander hatte sich überall die Zeit stark verändert. Vorher waren sie Freunde, so etwas wie Brüder. Sie hatten das Kämpfen gemeinsam gelernt, hatte als Kinder Fangen gespielt und manchmal hatten sie gemeinsam Hypnos geärgert. Nicht, dass es Hypnos aufgefallen wäre, – meistens hatte er die Streiche verschlafen. Sie standen sich immer sehr nahe, hatten einander vertraut und sich oft schon das Bett geteilt. Allerdings war Zagreus auch immer im Glauben aufgewachsen, sie wären Brüder. Echte Brüder. Die Wahrheit änderte nichts an ihrer gemeinsamen Kindheit, sie war großartig gewesen. Sie änderte nur am hier und jetzt etwas.   Sie sahen einander mit anderen Augen. Zumindest Zagreus tat dies und er glaubte nach ihren letzten Treffen, dass auch Than ihn anders sah.   Ihr Umgang war so locker und leicht wie vor all den Fluchtversuchen. Der Prinz war froh darüber. Während seiner Fluchtversuche hatte er deutlich zu spüren bekommen, dass sein bis dahin bester Freund sauer war. Zagreus hätte mit ihm darüber sprechen sollen, aber er hatte es als besser empfunden, nicht zu viele Personen mit rein zu ziehen. Vor allem nicht Personen, die er wirklich liebte. Nyx war schon zu viel gewesen, aber ohne ihre Hilfe wäre er nie in Kontakt mit seinen Verwandten im Olymp gekommen. Der Gott des Todes erkannte nur nicht an, dass man sich Sorgen um ihn machen sollte.   Glücklicherweise lag das alles hinter ihnen!   Zagreus hatte einen Job, den er auch mochte – im Reich seines Vaters für Unruhe und Chaos sorgen und versuchen so schnell und oft wie möglich zu entkommen – und seine Familie war vereint. Er hatte seine Mutter wieder und der Rest ihrer Familie dachte auch wieder gut über sie. Zumindest im Moment, Götter konnten schnell zornig werden. Sehr schnell. Doch derzeitig war es Zagreus komplett egal, ob seine Familie mal wieder sauer war – auf wen oder was auch immer. Seine Aufmerksamkeit lag komplett bei Thanatos und ihrer Verbindung. Normalerweise war ihr Umgang einfach gewesen, sie hatten an einer Seite gekämpft oder im Training miteinander, sie hatten zusammen gelacht und ein kurzes Gespräch geführt. Danach fing es irgendwann von vorne an. Größtenteils war es nach wie vor so, doch der Prinz merkte Veränderungen.   Sie sickerten langsam zwischen ihnen, dass es ihm erst auffiel ... als er komplett überfordert vor seinem Spiegel stand. Normalerweise stand er hier, um seine Kräfte zu stärken und zu ändern, doch nichts von dem, was Nyx ihm anbieten könnte, half bei zwischengöttlichen Beziehungen. Es war nicht einmal so, als wäre es zwischen Than und ihm seltsam, sie sprachen wie gewohnt miteinander, gingen oft so miteinander um, wie alle es von ihnen kannten. Vermutlich lag darin das Problem. Es war nicht mehr so wie früher.     Natürlich hatte der Prinz nicht vor, an seinen Gedanken zu verzweifeln. Das Haus des Hades besaß viele gute Ratgeber auf allen Gebieten. Bisher hatte der Prinz der Unterwelt nur um Rat gebeten, wenn es darum ging, seinen Kampfstil zu verfeinern. Doch jetzt könnte das Thema ernster werden. Natürlich nur, wenn der Prinz dies zuließ und nicht in der Manier seines Vaters alles um sich herum ausblendete, was Emotionen ansprechen könnte, die nicht aus Wut bestanden.     „Ich bin nicht wie mein Vater“, sprach Zagreus entschieden aus.   Man konnte gewisse Ähnlichkeiten nicht von der Hand weisen, aber diese bezogen sich hauptsächlich auf das Äußere. Vermutlich weigerte er sich auch, alle anderen Ähnlichkeiten zu akzeptieren – manchmal war es einfacher, Tatsachen zu ignorieren. Zumindest wenn diese Sachen etwas mit seinem Vater zu tun hatten, es half außerdem, sich dazu zu motivieren, nun endlich Than aufzusuchen – oder vorher ein paar andere Leute. Hoffentlich war Achilles in der Nähe. Als er sein Gemach verließ, hatten sich seine Pläne rasch verändert. Die Stimmung wirkte ... angespannt. Fast so, als würde der Olymp erneut zu Besuch kommen. Natürlich gab es einen Ort, wo es wie immer war.   Sein Vater saß auf seinem Thron und eine Reihe von Geistern standen in einer Schlange an, um ihre Anliegen zu präsentieren. Seine Mutter stand an der Seite von Hades, vermutlich um dabei zu helfen, dass nicht alles direkt abgelehnt wurde. Am Rande vor einer Vase flog Dusa, machte sauber wie eh und je und wusste sicher auch, was genau los war. Dusa war eine sehr zuverlässige Quelle, sie bekam Sachen mit wie kein anderer, – was daran lag, dass sie immer überall war. Oder daran, dass man sie selten bemerkte. Niemand suchte den Raum nach ihr ab, bevor er anfing, irgendwas zu besprechen.   „Hey Dusa“, sprach Zagreus den fliegenden Gorgonen-Kopf an. „Ist irgendwas passiert? Abgesehen von meinen Eltern wirkt es sehr ... Angespannt hier?“ Hypnos schlief nicht einmal – das war schon sehr ungewöhnlich!   „Oh, Prinz“, erschrocken sprang Dusa ein Stückchen auf. Seitdem sie sich immer besser kennengelernt und schließlich wahre Freunde geworden waren, benahm sie sich nicht mehr so nervös und verschwand auch nicht mehr so einfach wie früher. Das machte ihre Gespräche angenehmer – und vor allem einfacher, weil er nicht mehrmals nach ihr suchen musste. „Ich weiß nur, dass wir wohl Besuch erwarten. Dein Vater ... Er sprach mit Thanatos und Hypnos, seitdem benehmen sie sich etwas ungewöhnlich für ihre Verhältnisse.“   Das war noch irritierender. Normalerweise brachte nichts Hypnos aus der Ruhe. Was diese Angelegenheit mit Than machte, würde Zagreus bald herausfinden.   „Ich sehe mal nach Than, danke Dusa“, er war bereits dabei zu laufen, während er zu Dusa sprach, schenkte ihr ein letztes Winken, ehe er sich auf den Weg zu Thanatos machte. Hypnos war zwar wach, wirkte jedoch alles andere als ... wirklich da. Achilles war nicht an Ort und Stelle, doch vielleicht war er bei Patroklos. Seitdem Zagreus ihnen das möglich gemacht hatte, war es keine Seltenheit mehr – Achilles hatte das verdient. Auf den ersten Blick wirkte an Thanatos nichts verändert. Wie eh und je starrte er ins Nichts, oder auch auf Tartaros nieder, mit aufrechter Haltung, ein Stückchen über den Boden schwebend. Wie immer ignorierte er den Sitzplatz, den Zagreus für ihn eingerichtet hatte. Es war schwer, irgendeine Veränderung festzustellen, doch Zagreus war darin geübt. Etwas war an dem Mann nicht so perfekt, wie normalerweise. Die Sense hing nicht im richtigen Winkel, sein Gewand saß nicht so perfekt wie sonst, die Kapuze hing beinahe vom Kopf herab – verglichen mit sonst. „Hey Than“, Zag ging weitere Schritte auf seinen Freund zu und beäugte ihn fragend. „Than? Alles gut?“   Langsam drehte sich der aufrechte Kopf ein Stückchen, die goldenen Augen starrten zu ihm – aber sein Blick wirkte leer. Zagreus fragte sich, ob Thanatos mit diesem Blick die gestorbenen Menschen abholte.   „Zag“, sprach er schließlich, sein Blick wurde ein wenig lebendiger. Was an sich seltsam war, immerhin war Thanatos der Gott des Todes. „Wie kann ich dir helfen?“   „Das sollte ich wohl eher dich fragen“, entschied der Prinz und lehnte sich mit dem Rücken an das Geländer, über welches sein Kindheitsfreund stets still blickte. „Dusa meinte, nach einem Gespräch mit Vater wären Hypnos und du seltsam – was ist passiert?“   Zagreus würde das auf sich beziehen, aber dann hätte das nichts mit Hypnos zu tun. Seine Beziehung zu Than hatte sich verändert, doch abgesehen davon, dass er glaubte, niemand in diesem Hause wüsste davon, würde es ihn stark wundern, wenn es seinen Vater interessieren würde.   „Eine komplizierte Familiengeschichte, nichts weiter.“   „Komplizierte Familiengeschichte?“, wiederholte Zagreus im fragenden Ton. „Hör auf in Rätseln zu reden Than, was ist los?“   Wenn es um komplizierte Familien ging, dann war jawohl Zag der Experte. Immerhin genügte es, eine andere Meinung zu haben, damit jemand wütend wurde. Er ging im Kopf noch mal jeden durch, den er aus Thanatos Familie kannte, doch egal an wen er dabei dachte, – an Probleme dachte er dabei wirklich nicht. Er hatte ein paar kleine Streitigkeiten mit Nyx gehabt, aber die waren genauso schnell gelöst und sie war weiterhin eine gute Mutter für ihn.   „Dein Vater hat meine Schwestern eingeladen.“   Schwestern?   „Was für Schwestern?“     Der Prinz war mit dem Gott des Todes aufgewachsen, trotzdem hatte es die gesamte Unterwelt geschafft, bestimmte Verwandtschaften vor ihm versteckt zu halten. Doch wenn man bedachte, dass er noch nicht lange von seiner wahren Mutter wusste, wirkte das nicht sehr verwunderlich. Vielleicht war der Prinz einfach nicht so aufmerksam, was Familiengeschichten anging.     Zagreus warf einen bösen Blick nach oben, doch da er mittlerweile wusste, dass er als einziger die tiefe Stimme hörte, sprach er nichts aus – er dachte finster, dass er sehr wohl, sehr aufmerksam war. Für den Moment war Thanatos wichtig, der ihn bereits seltsam ansah, ob nun wegen der Frage oder den komischen Blick des Prinzen wegen, blieb offen.   „Meine Schwestern, die Keres“, antwortete Thanatos schließlich. „Du kennst sie nicht. Sie sind wesentlich älter als ich und haben eine ... tiefere Bindung zu Ares, oder im Allgemeinen dem Olymp.“   „Ich habe nie von ihnen gehört – wie kann das denn sein?“   „In meiner Familie sprechen wir nicht gerne über sie. Sie haben sich schnell von der Familie abgekapselt, sie brauchen nur einander. Sie erinnern ein wenig an die Meg und ihre Schwestern, nur dass sie ... eine sehr starke Verbundenheit zueinander haben. Man sieht sie selten alleine“, erzählte Than, mittlerweile zumindest einen Hauch entspannter. Er zog seine Kapuze zurecht, damit sie so perfekt wie normalerweise saß. „Sie stehen für den gewaltsamen Tod, sie mischen häufig sogar ... aktiv mit. Charon kümmert sich um die Überfahrt hier her, deshalb kommen sie auch so nie vorbei. Sie mögen ihr Leben in der Oberwelt.“   Zagreus wägte den Kopf hin und her: „Ich kann es ein wenig nachvollziehen. Das, was ich gesehen habe, wenn ich oben war, war ... wunderschön.“   „Es ist nicht überall so. Du bist kaum vor das Tor gekommen, bevor du wieder gestorben bist.“   „Was nicht meine Schuld ist, klar?“, schnaubte Zagreus, er wollte seine Mutter finden und hatte das geschafft. Manchmal hätte er aber auch gerne mehr von der Oberwelt entdeckt.   „Das habe ich nicht gemeint, Zag“, erwiderte Thanatos leichtfertig. „Ich wollte damit nur sagen, dass es nicht überall so schön ist wie im Garten oder auf dem Weg zu deiner Mutter. Darum geht es aber auch nicht.“   „Haben deine Schwestern auch Namen?“   „Kaleria und Kerasia“, zählte Thanatos auf. „Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie hier sind.“   „Und das macht dir Sorgen?“, riet Zagreus, weil er nicht wusste weshalb das sonst ein Problem sein sollte.   „Ihr Benehmen kann sehr ... rabiat sein.“   „Rabiater als mein Vater?“   Zagreus konnte erkennen wie Thanatos Mundwinkel etwas zuckten, sich fast zu einem Lächeln verzogen. „Wohl kaum“, erwiderte er schließlich. „Wahrscheinlich sorge ich mich zu viel. Ich denke nur, sie werden deine neuen Gegner sein. Dein Vater wird sie vermutlich im ... Sicherheitssystem einbringen. Um dir den Ausbruch zu erschweren.“   „Die meisten, neuen Vorkehrungen sind mehr nervig als aufhaltend, mach dir keine Sorgen Than.“   „Du machst dir zu wenige Sorgen – wie eh und je“, erwiderte Thanatos, einen Hauch entspannter, gleichwohl mit echter Skepsis im Gesicht. „Meine Schwestern können sehr brutal sein und ich denke, sie sind auf andere Weise im Kampf geübt.“   „Dann freue ich mich auf neue, spannende Kämpfe“, Zagreus zuckte mit den Schultern, er machte einen Schritt weiter auf Thanatos zu. „Und vielleicht ... werde ich dich zur Hilfe rufen?“   „Ich würde natürlich sofort bei dir sein, Zag. So wie eh und je.“   Zagreus lächelte, weil Thanatos endlich wieder entspannt war und ihre ... Treue zueinander nur noch stärker. Tatsächlich erinnerte ihn diese Situation aber auch an etwas anderes – etwas, worüber er im Zimmer erst nachgedacht hatte. Achilles konnte ihm zwar keine Tipps geben, aber er kam immer weit damit, seinem eigenen Gespür zu folgen.   „Ich habe nachgedacht Than“, es kam selten zu emotionalen Gesprächen oder dergleichen – schon gar nicht außerhalb von seinem geschützten Gemach.   Der sanfte Tod hob eine Augenbraue, als könnte er die Worte gar nicht glauben, die Zag ausgesprochen hatte. Dabei war er noch gar nicht fertig. „Du denkst selten über etwas nach.“   Jede andere Person würde dabei grinsen oder zumindest den Hauch eines Lächelns im Gesicht tragen. Doch Thanatos trug seine perfekte Maske wie eh und je. Man wusste nie, wann Thanatos Witze machte oder eben nicht. Außer man wurde so eisig behandelt wie zu Zeiten seiner ersten Fluchtversuche. Schon die Erinnerung daran ließ Zagreus zittern.   „Ich stecke die Kraft meines Kopfes eben nur in Sachen, die wichtig sind“, erklärte der Prinz der Hölle, doch bevor ein weiterer Spruch dazwischenkommen könnte – er war sich sicher, das wäre passiert, – fuhr er fort. „Das hier ist wichtig“, Zagreus machte eine lockere Handbewegung zwischen ihnen hin und her. „Ich denke, wir sollten das näher ausführen.“   Thanatos runzelte die Stirn: „Was ist mit dir passiert? So redest du sonst nie.“   Zag schnaubte, aber wohl eher, weil Than recht hatte, als aus anderen Gründen. Normalerweise war er sehr deutlich in dem was er wollte und aussprach, doch diese Sache war neu. Gefühle waren eine Sache, die es hier in der Unterwelt kaum gab, sah man von den Muttergefühlen von Nyx, dem Geschwisterdasein von Thanatos und Hypnos und tieferen Freundschaften ab.   „Das ist alles neu für mich, okay? Wie wäre es mit mehr Mitgefühl!?“   „Zag, wir sind dieselben Personen wie immer, hör auf dir über irrsinniges Zeug den Kopf zu zerbrechen“, gegen eben jenen Kopf tippte Than schließlich ein paar Mal. Natürlich war Thanatos bei solchen Sachen so schlicht und ungekünstelt wie immer. Das machte es auch immer einfach mit ihm umzugehen – außer im Streit, da war Than grausam.   „Ich denke, wir sollten unseren Eltern davon erzählen, was zwischen uns abläuft.“   „Was läuft den zwischen uns ab?“   Zagreus leckte sich über die Lippen, sein Mund war aber schneller als sein Kopf, was in diesem Fall aber nicht so schlimm war: „Eine Beziehung. Oder etwas, dass auf den Weg dorthin ist.“     Der Prinz spürte wohl zum ersten Mal, dass sein Herz schneller schlug als je zuvor. Ein Gefühl, dass vor allem den Menschen bekannt sein durfte, strömte durch seinen kompletten Körper. Aufregung, Bauchschmerzen, Gedankenkarussell. Solche körperlichen Höhenflüge kannte er nur vom Ausleben körperlicher Gelüste, sie jetzt so intensiv ohne dieser Körperlichkeiten zu empfinden, war für den Prinzen neu und intensiv.     Leider musste Zagreus dem Typen da recht geben – oder eher noch etwas hinzufügen. Alles war mit Thanatos neu und intensiv. Alles, was über ihre Freundschaft oder dem Gefühl Brüder zu sein hinausging. Than blieb ihm jedoch eine Antwort schuldig, als jemand anderes hinter ihm auftauchte.   „Achilles“, Zag brachte Thanatos dazu, sich ebenfalls umzudrehen. Achilles trug ein kleines Lächeln auf den Lippen, aber man konnte ihm eine gewisse Anspannung ansehen. „Alles in Ordnung oder bist du auch nervös wegen Thans Schwestern?“   „Du weißt also schon davon.“   „Nur dank Dusa und Than“, nickte er langsam, es war alles, was es brauchte, damit Thanatos scheinbar das Bedürfnis hatte, sich zurückzuziehen.   „Ich werde mich für den Empfang bereithalten, Mutter sollte das nicht alleine tun.“   Vielleicht sollte Zagreus nachforschen wie man jemanden zur langfristigen Entspannung brachte. Seine Mutter wusste sicherlich etwas darüber. Doch sobald Than elegant an ihnen vorbeigeschwebt war, konzentrierte sich der Prinz wieder auf seinen Freund und Trainer.   „Ist die Nervosität von allen gerechtfertigt? Immerhin sind diese ... Keres doch am Ende nicht groß anders als wir, oder?“   „Sie verursachen gerne Chaos, verteilen negative Gefühle und sind im Kampf nicht zu unterschätzen.“   „Solange sie mich nicht so vollquatschen wie Theseus ...“   „Vor oder im Kampf sind sie eher selten gesprächig. Vermutlich wirst du deinen Spaß mit ihnen auf dem Kampffeld haben.“   Zagreus grinste breit und kampflustig, seiner Meinung nach lernte man sich immer am besten auf dem Kampffeld kennen, das löste alle Spannungen sofort auf und man hatte ein lustiges Gesprächsthema, wenn man sich wieder sah. Immerhin starb bei seinen Kämpfen immer einer von ihnen. Mittlerweile starb Zagreus beinahe jedes Mal erst, wenn er die Oberwelt erreicht hatte. Vermutlich hatte sein Vater daher nun die Schwestern von Thanatos eingeladen. Ob er für sie Nektar besorgen sollte? Ob es angebracht war, jetzt, wo er mit Than richtig angebändelt hatte?   „Kannst du mir noch etwas über sie erzählen? Außer das sie scheinbar viel Spaß darin haben, Chaos zu veranstalten?“   „Sie verkörpern den gewaltsamen Tod, also sind sie das komplette Gegenteil von Thanatos. Ich selbst begegnete ihnen damals bei meinem eigenen Tod“, Achilles ging beim Sprechen in die Richtung seines bekannten Ortes. Dort, wo er immer bereitstand, um Ratschläge zu verteilen oder neuen Mut. Manchmal brauchte Zagreus beides davon, also folgte er dem Mann auf Schritt und Tritt.   „Than sprach auch davon. Er nannte mir auch ihre Namen – Kaleria und Kerasia, ich nehme an, sie sind Zwillinge wie Than und Hypnos?“   „Mit der Annahme liegst du richtig, nur das sie sich stark ähneln. Thanatos und Hypnos sind eher ... von Grund auf verschieden“, Achilles streckte ihm gegenüber der leeren Hand aus. „Gib mir den Codes, ich sollte einen Eintrag für sie errichten. Gerade, wo sie wohl die nächste Sicherheitsstufe darstellen sollen.“   „Wen werden sie ersetzen? Ich meine, Vater wird wohl kaum ein neues Gebiet erschaffen, oder?“, es würde Zagreus Arbeit schwerer machen – aber auch neue Spannung reinbringen.   „Ich vermute sie werden jeden einmal ersetzen? Vermutlich eine Überraschung für dich.“   „Klingt gut. Wieso macht sich Than solche Sorgen um sie?“   „Er sorgt sich wohl eher um dich, Zagreus“, sprach Achilles noch immer mit recht entspannter, ruhiger Stimme. „Seine Schwestern führen Menschen in einen grausamen Tod, sie mischen sogar mit und sie haben auch einen Einfluss auf göttliche Wesen. In einem Kampf könnten sie dir wirklich ... zusetzen. Langfristig.“   „Langfristig?“, harkte der Prinz nach. „Ich kenne es nach einem Kampf mit Vater, wenn ich dabei sterbe und aus dem Styx komme, tut mir immer noch alles weh und es dauerte ein paar Momente, bis ich wieder komplett fit bin, aber nach einer Pause im Salon geht es meistens schon wieder.“   „Die Keres werden dir vermutlich mehr zusetzen. Sie können außerdem sehr hinterlistig sein. Doch du solltest sie selbst kennenlernen, immerhin sind sie die Schwestern von Thanatos.“   „Du meinst sie könnten deshalb doch etwas Gutes an sich haben?“   „Ich meine, sie könnten ... neuartig reagieren, wenn sie herausfinden, wie nah ihr beiden euch seid.“ Achilles musste es nicht aussprechen, um zu verdeutlichen das er weit mehr wusste. Andererseits hatte er den Kodex verfasst und dort schon hineingeschrieben, dass Thanatos und Zagreus sich immer anziehen würden. Ob er es auf diese romantisch-sexuelle Weise meinte, wollte Zag gerade aber nicht hinterfragen. „Dein Vater plant auf jeden Fall ein kleines ... Fest.“   „Mein Vater?“   „Na gut. Wohl eher die Königin.“   Zagreus schmunzelte: „Nun, dann halte ich mich bereit. Wird ungewohnt sein, wir machen normalerweise keine Feste und dann lerne ich die Schwestern von Than kennen, von denen ich noch nie gehört habe.“   „Es war ein offenes Geheimnis. Niemand empfand es als notwendig, dir davon zu erzählen, vermutlich wollte dein Vater es auch nicht, weil die Keres normalerweise mit dem Olymp zusammenarbeiten. Aber davon liest du in meinem Kodex, wenn die Zeit dafür gekommen ist“, Achilles reichte es wieder zurück und Zagreus besah die neue Seite. „Es wird nicht lange dauern, bis es sich dir offenbart.“   „Danke Achilles. Es gab ehrlich gesagt noch einen Grund, wegen dem ich mit dir sprechen wollte“, es war vielleicht nicht der perfekte Moment, aber es könnte Achilles von der anstehenden Festlichkeit ablenken. „Es geht um Than und mich, um genau zu sein.“   „Ihr seid euch mittlerweile näher, als jemals zuvor. Ich hatte zu Anfang schon befürchtet, dass deine Fluchtversuche euer Band zu stark beschädigt haben könnte, stattdessen hat es euch dabei geholfen, Barrieren zu vernichten.“   „Ja genau“, Zagreus winkte ab, er brauchte keinem langen Vortrag, sondern eher einen Ratschlag. „Wie meinst du werden Nyx oder meine Eltern damit umgehen?“   „Ich denke nicht, dass es sie überraschen wird, Zagreus. Gerade Nyx wird es schon lange wissen, vermutlich länger als Thanatos und du selbst. Doch selbst wenn nicht, ich denke nicht das irgendjemand etwas dagegen haben würden. Nyx liebt euch beide, dein Vater und Thanatos verstehen sich gut dafür, dass sie so eng miteinander arbeiten und deine Mutter ... Ich denke, sie hat schon lange mehr in Thanatos gesehen als einen guten Freund ihres Sohnes.“   Zagreus fühlte sich nicht so überrascht darüber, wie er gedacht hatte. Kapitel 2: Teil 2 ----------------- Im Haus des Hades gab es nicht oft irgendwelche Festlichkeiten, – doch wenn es sie gab, dann waren sie prächtig und groß. Der Herrscher ließ sogar die Geister dabei sein und mit viel Frust auch all seine Mitarbeiter. Die Anspannung war von beinahe allen Seiten deutlich zu spüren, da war es natürlich nicht vorteilhaft, dass Prinz Zagreus zu spät kam ...     „Ich weiß doch, es war nicht geplant!“, beschwerte sich Zagreus über die allgegenwärtige Stimme, die über ihn schwebte. Seine glühenden Füße rannten über den Boden aus seinem Zimmer heraus. Er brauchte nicht viel Schlaf, – die Vorzüge eines Halbgottes – doch wenn er einmal schlief, war es für ihn schwierig wieder aus dem Bett zu kommen. Vor allem weil sein neues Bett, dass er durch den Baumeister bekommen hatte, so unglaublich bequem war.   Er hörte bereits Musik von Orpheus, die angenehme Stimme durch die großen Räumlichkeiten und das sanfte Leier-Spiel. Zagreus Hoffnung darauf, halbwegs unauffällig aufzutauchen, wurde zu Nichte gemacht. Hypnos schwebte direkt am Eingang und hieß ihn so willkommen, wie immer dann, wenn Zag aus dem Styx kam. Abgesehen davon, dass Hypnos nicht eingeschlafen war.   „Willkommen im Haus des Hades! Oh Zag, da bist du ja endlich!“   Zagreus warf Hypnos einen vernichtenden Blick zu: „Sei still!“   „Du bist zu spät, Junge!“, dröhnte die tiefe, laute Stimme seines Vaters durch die Räumlichkeiten.   Da half auch kein böser Blick mehr, doch glücklicherweise war er den Zorn seines Vaters gewohnt. Persephone an der Seite von Hades zu sehen, war jedoch ein wenig entspannender, auch wenn sie ein strenges Lächeln auf den Lippen trug. Das war ein wenig besorgniserregend. Bevor seine Eltern also etwas ansprechen konnten, fing Zagreus selbst an zu reden.   „Es tut mir leid, ich habe verschlafen – wirklich verschlafen“, der Prinz leckte sich über die Lippen und durchsuchte den Raum eher nach den neuen Gästen, als auf seine Eltern zu reagieren.   „Du bist unverbesserlich“, seufzte seine Mutter, als sie an seine Seite trat und ihre Arme ineinander verschränkte, sie tätschelte sanft seinen Arm. „Glücklicherweise sind unsere Ehrengäste abgelenkt. Hypnos, warum bist du nicht dort?“   „Ich bekomme Gänsehaut von meinen Schwestern, also überlasse ich es lieber Than. Er ist großartig darin, mit ihnen umzugehen!“, Hypnos wirkte so strahlend wie immer, doch Zagreus konnte deutlich erkennen, dass die Gänsehaut wohl keine Lüge darstellte. „Vielleicht braucht er aber doch Unterstützung ... hey Zag! Warum gesellst du dich nicht zu ihnen? Dein Charme wickelt doch jeden um den Finger.“   „Da bin ich mir nicht so sicher-“, fing Zagreus bereits an, als er einen Druck auf seinen Unterarm spürte und seine Augen auf seine Mutter richtete. „Ich werde wohl dennoch hingehen. Begleitest du mich, Mutter?“ Er wäre so oder so zu Thanatos gestoßen, nur eben nicht mit der Einbildung, dass sein Charme die Keres um den Finger wickeln würde.   „Natürlich Zagreus, komm mit mir. Ich bin sofort wieder bei dir“, sie redete über seinen Kopf hinweg zu Hades, bevor sie ihn mit sich zog. Der Prinz der Hölle musste sich immer noch daran gewöhnen, dass seine Mutter da war und er musste sich auch daran gewöhnen, dass es ein Fest gab. Der lange Tisch voller Speisen – und sogar Nektar! Es fühlte sich nicht so angespannt an, aber bisher sah er auch nicht die fremden Neuankömmlinge. „Nyx sollte eigentlich auch bei Thanatos sein. Sie freut sich tatsächlich ihre Töchter wieder zu sehen.“   „Ich kann es immer noch nicht fassen, nie etwas davon gewusst zu haben. Hypnos und Than sind wie Brüder für mich gewesen, aber ich weiß nichts von ihren Schwestern.“   „Mach dir nichts draus, Zagreus. Es gibt auch heute noch so viele Dinge, die ich auch nicht über unsere Familie weiß“, seufzte die Königin fast etwas melancholisch auf. „Wichtig ist das hier und jetzt, ich bin sicher, alles wird gut verlaufen. Thanatos wird sicher auch entspannter sein, wenn du an seiner Seite bist.“   Niemand musste Zagreus Unterricht in Andeutungen und geheime Botschaften einer Mutter geben, er verstand bereits wie sie es meinte. Ihre Blicke trafen sich und am Ende sah der Prinz doch etwas schmunzelnd weg. „Ich habe mir stundenlang den Kopf darüber zerbrochen, wie ich es Vater und dir sage, aber es ist wohl für umsonst gewesen, was?“   „Nichts geht über eine offizielle Bekanntmachung, aber deine Sorgen sollten ein Ende haben. Niemand in diesem Reich würde etwas dagegen haben und das solltest du wissen. Nyx hat mir erzählt, dass ihr immer eine tiefe Bindung hattet und Achilles meinte auch etwas in diese Richtung. Ich hoffe, es wird euch beiden gut ergehen und ihr genießt eure gemeinsame Zeit. Auch mit den Keres.“   Zagreus hatte keine Vorstellung davon gehabt, wie Thans Schwestern aussehen könnten, ein paar Vermutungen, mehr nicht ...     Die Keres hatten eine unübersehbare Ähnlichkeit zu ihrer Mutter Nyx. Ihr Haar hatte dieselbe Farbe, aufwendig waren sie einerseits fast wie eine Bienenwabe nach oben gedreht, während sie auf dem zweiten Kopf andererseits wellig nach unten fielen, – ein wenig in der Luft schwebend. Sie trugen eine ähnliche Montur, der lange, tiefblaue Mantel ging bis zum Boden, während ihre fast zierlichen Körper von einem ähnlich blauen, enganliegenden Gewand verdeckt wurde. Von nackter Haut war nichts zu erkennen, dafür sah man nur zu deutlich ihre Waffen an Hüften herunterhängen, im Mantel verankert und sogar im Haar verknotet. Die Keres hatten etwas Würdevolles wie von Nyx, aber auch etwas Gefährliches wie von Erebos an sich.     „Ich dachte irgendwie, sie würden ein wenig mehr wie ... Than aussehen“, murmelte der Prinz, er hatte sich nicht viele Gedanken darum gemacht, aber er hatte versucht sich Than als junge Frau vorzustellen.   „Zagreus, mein Junge“, sprach Nyx ihn als Erstes an, Persephone schien ihn regelrecht zu übergeben wie eine Geisel, aber vorerst machte er sich nichts daraus.   „Hallo Nyx“, erwiderte er stattdessen und bewegte sich leichtfertiger voran, als er von sich selbst erwartet hatte. Sein Blick blieb kurz an den Keres haften, die ihn dafür anstarrten wie eine Beute, bevor er zu Thanatos wanderte. Ungewöhnlicherweise schwebte dieser nicht in der Luft, wie er es von ihm gewohnt war. Seine nackten Füße standen auf dem Boden, seine Arme hielt er vor sich verschränkt und Zagreus baute sich als Unterstützung neben seinem Freund auf. „Than.“   „Zag“, nickte ihm der sanfte Tod zu, sein ernster Blick starrte immer noch seine Schwestern an.   „Oh, der Prinz der Unterwelt gesellt sich also schlussendlich auch zu uns? Wir sollten wohl geehrt sein!“   Die Stimme einer der Zwillinge klang zischend wie eine Schlange, eine Gänsehaut bereitete sich über seinen ganzen Körper aus und Zag konnte nicht sagen, wie unangenehm oder angenehm es war. Ob es überhaupt etwas davon war.   „Es freut mich sehr euch beide kennenzulernen, verzeiht meine Unpünktlichkeit“, Zagreus hatte im Umgang mit seiner Familie vom Olymp gelernt, dass es wichtig war eine gewisse Höflichkeit an den Tag zu legen. Auch wenn sein Vater das ihm gegenüber absprechen würde, war sich der Prinz darüber bewusst, dass er sehr wohl sehr höflich war – er musste es nur wollen. „Aber ich denke ihr wurdet gut beschäftigt?“   „Das wurden wir tatsächlich“, mischte sich die zweite Person ein, nur mit einem Hauch weniger zisch in der Stimme, vielleicht sogar etwas mehr das wie Freude klang – etwas das an Hypnos erinnerte, eine weit entfernte Erinnerung ... Aber eine Erinnerung! „Wir dachten nur der Prinz der Unterwelt würde uns willkommen heißen – bei unserer Ankunft und nicht erst verspätet.“   „Ich bin sicher ihr werdet ausreichend oft die Möglichkeit haben, mir dafür in den Arsch zu treten – wenn ich richtig verstanden habe, weshalb ihr hier seid.“   Die Schwestern sahen einander aus und es schien, als würden ihre Augen aufleuchten: „Es wird uns ein Vergnügen sein!“   Zagreus grinste breit und lachte ein wenig auf, nicht sehr eingeschüchtert. Er wandte seine Blicke ab von den Keres, die er sich ... Irgendwie anders vorgestellt hatte – furchteinflößender. Tatsächlich waren sie es nicht, vielleicht käme das aber sobald er sie auf dem Kampffeld treffen würde. Vielleicht war es reine Einbildung, doch Thanatos wirkte wieder entspannter. So entspannt ein Thanatos in aller Öffentlichkeit sein konnte, – was nie sehr entspannt aussah, wenn man Zag fragte ... „Ich hoffe, ich wurde nicht zu stark vermisst?“, natürlich starrte er dabei Than an und vielleicht bildete er es sich ein, wie dessen Entspannung, aber er war sich sicher, dass er einen leichten Rotschimmer im bleichen Gesicht des Todes erkennen konnte.   Natürlich verlor Than dennoch nicht seine Fassung: „Ich bin sicher, du wirst von allen Seiten stets vermisst, Zag.“   Ein breites Grinsen entstand auf seinem Gesicht und er streckte die Hand aus, seine wesentlich wärmeren Fingerspitzen berührten den nackten Handrücken vom sanften Tod, unauffällig oder nicht – laut seiner Mutter war alles zwischen ihnen ohnehin so populär wie Asterios und Theseus ...   „Weißt du, Prinz!“, das letzte Wort wurde halb ausgespuckt, als eine Hand seinen Arm so fest packte, dass er davon wohl blaue Flecken bekommen würde, wenn das möglich wäre. „Meine Schwester und ich würden dich sehr gerne näher kennenlernen, bevor wir dich früher oder später zerstören werden.“   Nun, das war eine direktere Aussage, als er von den meisten hier gewöhnt war.   „Ich stimme zu, wir haben natürlich auch verlangt, dass du bei uns sitzen wirst. Zwischen uns, das ist sicherlich kein Problem.“   „Nun ... Nicht direkt, nein“, antwortete Zagreus, er schaffte es nicht einmal einen Blick zurückzuwerfen, weil die Schwestern zu fest an ihm zogen, direkt zur aufgebauten Tafel.     Der Herr der Unterwelt ließ alle zu Tisch kommen, wo er eine lange, schwermütige Rede hielt, die noch lange in den Köpfen all seiner Untertanen hängen würde. Der Koch hatte sich alle Mühe mit dem Essen gegeben und sogar den Fisch genutzt, den der Prinz ihm von seiner letzten Flucht mitgebracht hatte. Die Stimmung war ausgelassen, es schien, als wäre jede Anspannung wegen der Ankunft der Keres verschwunden.     „Ich würde die Rede ja nicht lang und schwermütig nennen“, warf Zagreus ein, als er sein halbes Gesicht hinter einen großen goldenen Kelch verstecken konnte. Der Nektar schmeckte großartig, es war kein Wunder, das er sich damit so viele Freunde gemacht hatte, – und irgendwie hatte er damit auch Than umworben. Irgendwie auch jeden anderen, dem er das geschenkt hatte, glücklicherweise hatte es nicht bei jedem irgendwelche romantischen Gefühle erweckt.   „Unsere Mutter hat uns viel von dir erzählt. Du hast ihr geholfen, wieder mit Chaos in Kontakt zu treten.“   „Nun ja-“   „Außerdem scheinst du Achilles und seinen Geliebten wieder vereint zu haben.“   „Also-“   „Ein wahrer Problemlöser auf zwei Beinen.“   Zagreus blickte zwischen den Schwestern hin und her, er hatte das Gefühl nicht mitreden zu dürfen, was normalerweise das kleinste Problem war. Manchmal war es interessanter zuzuhören, statt zu sprechen. Er hatte bereits ein paar Informationen mehr über die gefürchteten Keres gesammelt. Kaleria trug ihre Haare gerne nach oben gebunden, sie nahm sich gerne Zeit für sich selbst und trug zumeist die Waage bei sich, mit welcher sie wohl häufig auf Kriegsfeldern entschied, wer gewinnen würde. Was im Grunde bedeutete, dass eine Waage bestimmte, wer sterben würde ... Kerasia, die etwas Rabiatere der Zwillinge, wann immer sie Zagreus berührte, fühlte es sich an, als würde sie ihn zerquetschen. Ihre Berührungen waren fest, man spürte die unmenschliche Stärke. All ihre Zeit steckte sie in den Kampf und in ihre Zwillingsschwester. Sie stellten ein charmantes Duo dar.   Der Prinz wusste nicht, wie sich das auf dem Kampffeld verändern würde.   „Mutter hat uns auch davon erzählt, wie nahe du hier allen stehst.“   Tatsächlich machte Kerasia eine Pause und Kaleria stieg nicht direkt ein um etwas zu erzählen, Zagreus wurde Platz für eine Erwiderung gegeben und das war vielleicht auch ein Zeichen für ... eine Falle?   „Wir sind hier wie eine große Familie. Die meisten hier kenne ich seit meiner Kindheit“, meinte Zag also entspannt. „Man kommt sich über all die Jahre wohl einfach sehr nahe.“   „Also sind unsere Brüder, für dich auch wie Brüder?“   Zagreus fiel erst jetzt auf, wie lang die nachtblauen Fingernägel von Kerasia waren, als sie damit an ihrem Kelch entlang strich. „Than und Hypnos?“, fragte er unnötigerweise nach. Denn immerhin waren das die einzigen Brüder, die er von den Keres kannte. „Hypnos ist wie ein kleiner, nerviger Bruder.“ Über den er sich aber stets freute, wenn er aus dem Styx kam. „Than ist glücklicherweise nicht so nervig. Er ist auch nicht wirklich ein Bruder. Er ist viel mehr als das. Zumindest mittlerweile.“   Für eine sehr lange Zeit, war Than für ihn auch wie ein Bruder gewesen – aber eben ein großer Bruder, ernst und gewissenhaft. Das genaue Gegenteil von Hypnos eben.   „Wir kennen unsere Brüder tatsächlich nicht so gut. Wir ... harmonieren nicht miteinander“, Kaleria seufzte so, als würde sie das schlecht finden. „Wie auch immer, wir erledigen unsere Jobs alle perfekt, darauf kommt es an.“   „Im Olymp sollt ihr viele haben, die eure Anwesenheit genießen“, erwähnte Zagreus, auch wenn ihm dabei speziell nur ein Gott in den Kopf kommt. „Ares liebt den Krieg, ihr arbeitet sicherlich viel zusammen.“   „Oh ja, das tun wir!“, Kerasia mischte sich wieder ein, zeigte ihr strahlendes Lächeln, wodurch sie ihre Zähne zeigte, die alle ein wenig spitz wirkten. „Aber nicht nur Ares, es war Zeus selbst der uns die Möglichkeit erst gab, zu sein was wir sind. Er gab uns die Waage und die Möglichkeit damit alles zu gewichten. Wir haben damit jegliches Schicksal besiegelt, mittlerweile ... wird es jedoch langweilig. Es gibt einfach keine richtigen Helden mehr, wie es früher war.“   „Also seid ihr hergekommen für etwas mehr ... Spannung?“   „Das ist zumindest der Plan“, gab Kaleria für sie beide zu.   Zagreus konnte das nachvollziehen. Er verbrachte sein ganzes Leben hier und vor seinen Fluchtversuchen war es auch immer langweiliger geworden. Zumindest für den Moment hatte er sich damit abgefunden und etwas Spaß und Freude in diesem Leben gefunden. Doch wenn er die Chance hätte hinzugehen, wo er hingehen wollte ... Dann würde er auch andere Optionen abwägen – die irdische Welt oder der Olymp.   „Ich werde mir Mühe geben, euch im Kampf etwas mehr Spannung zu zeigen – eure Waage wird bei mir zumindest nicht helfen.“   „Zumindest nicht so wie bei den Helden.“   Der Prinz runzelte die Stirn: „Was meinst du damit?“   „Wir können dir doch nicht alles erzählen, – ein paar Überraschungen müssen schon bestehen bleiben“, beide Stimmen sagten genau das Gleiche, als ob es einstudiert wäre.   „Ich denke, ihr habt Recht, – aber ihr solltet euch auch auf Überraschungen meinerseits vorbereiten.“   „Wir sind auf alles vorbereitet, Prinz.“   Es vergingen sicherlich noch zwei weitere Stunden, mit Essen und Trinken, mit vielen Gesprächen, in denen Zagreus hauptsächlich zwischen den Schwestern wie gefangen war. Als sie endlich vom Tisch aufstehen konnten, fühlte er sich wieder richtig frei und konnte tief durchatmen. Auch wenn er die Keres nicht als unangenehm empfand, war er froh darüber mit sich mit anderen unterhalten zu können. Irgendwo am Rande erkannte er Meg und ihre Schwestern, sie standen bei Achilles und Orpheus. Der Prinz wünschte, er hätte vorher von allem gewusst, dann hätte er vielleicht seinen Vater überreden können, dass auch Patroklos, Eurydike und Sisyphos eingeladen wurden. Anstatt sich zu ihnen zu gesellen, fand er aber seinen Weg an die Seite von Thanatos, der eine ruhige Unterhaltung mit Hades führte. Im Umgang mit Than war sein Vater stets ruhig, ja beinahe besonnen.   „Du konntest dich wohl endlich von meinen Schwestern losreißen?“, wandte Than sein Wort direkt an ihn, da stand Zagreus nicht einmal wirklich neben ihm.   „Ja, sie sind ... Sehr gesprächig, muss ich gestehen“, erwiderte Zagreus, seine Blicke wanderten zwischen seinem Vater und seinem Freund. „Ich bin doch nicht in ein Geschäftsgespräch reingeplatzt, oder?“   „Selbst wenn ist es das was du immer tust“, erwiderte Hades mit gewohnt strenger Stimme.   Zagreus wäre davon beleidigt, aber er war darüber unlängst hinweg. Seitdem die Königin wieder da war, fühlte es sich ohnehin stets wie eine Neckerei an und eher selten wie wirklicher Ärger.   „Du störst nicht, Zag“, merkte Than dennoch an, um vermutlich einem Streit vorzubeugen.   Zagreus konnte sich auch nicht so ganz daran gewöhnen, wie ruhig es mittlerweile stets war. Es gab kaum mehr Streit zwischen seinem Vater und ihm.   „Ich werde mich nun zur Königin begeben. Fühlt euch frei, das Fest zu genießen, es wird nicht viele davon geben!“   „Natürlich Vater“, als ob Zag ein Fest nicht genießen würde.     Tatsächlich setzte sich in diesem Moment ein Gedanke im Kopf des Prinzen fest. Wie angebracht oder unangebracht er auch wäre, so war es Orpheus' neu entflammter Gesang, der dafür sorgte, die Motivation ebenfalls weiter anzustacheln. Doch vermutlich würde das alles in kompletter Lächerlichkeit enden ...     Normalerweise würde er sich von der Stimme des alten Mannes ein wenig beeinflussen lassen, doch gerade jetzt verschaffte es nicht einmal den Hauch einer Unsicherheit in ihm. Zagreus stellte sich vor, dass seine Augen glühten, als er sich direkt vor Than stellte. Thanatos war immer noch am Boden, es war ungewohnt, ihn nicht schweben zu sehen, aber es war ... auch hilfreich. Also streckte er ihm mit einem Grinsen die Hand entgegen, der verwirrte Blick, der ihn traf alles andere als eine Verwunderung.   „Ich habe von etwas gehört, dass Menschen häufig tun bei Festen“, vielleicht auch auf dem Olymp, hier war es zumindest nie passiert. „Also Than, willst du mit mir tanzen?“   „Ist das dein Ernst, Zag?“, Thanatos hob eine Augenbraue, sein Gesicht verzog sich dadurch zu einer eisernen Miene. „Du weißt doch nicht einmal-“.   „Mutter hat mir davon erzählt und ein paar meiner anderen Verwandten auch ... Wie auch immer, lass es uns versuchen. Du hast doch sicherlich auch gesehen wie Menschen so etwas machen! Sei mein ... Meister im Tanz!“   Er sah ganz genau, dass Thans Mundwinkel zuckten: „Das klingt lächerlich.“   „Dann lass uns gemeinsam lächerlich sein. Wie früher“, er griff nach Thanatos Hand, weil dieser immerhin keine Anstalten machte, seine zu nehmen.   „Was meinst du mit wie früher? Ich habe mich niemals lächerlich gemacht.“   „Ja, du sahst immer sehr stolz aus, wenn wir uns gegenseitig durch gekitzelt haben oder halb nackt durch alle Räume gelaufen sind und uns in rote Decken gewickelt haben, um auszusehen wie mein Vater.“   „Sei still“, Thanatos verdrehte tatsächlich die Augen, er drückte seine Hand ein wenig fest, bevor er ihn an eine etwas freiere Stelle zog.   Es war ein unglaublicher Anblick, Thanatos' - fast schon verlegene - Blicke um sich herum und wie unbeholfen er nach seinen Händen griff. Zagreus stellte sich natürlich nicht besser an, er fühlte sich nur nicht ganz so peinlich berührt.   Doch genau dieser Tanz machte diese Festlichkeit so eindrucksvoll und Thanatos machte es noch charmanter. Kapitel 3: Teil 3 ----------------- Der Fluchtweg glühte in einem warmen Orange, der Strafpakt hing daran fest wie immer – darauf aus dem Flüchtling seine Flucht so schwer wie möglich zu machen. Der Prinz hatte schon verschiedene Möglichkeiten ausgetestet, vieles kombiniert und bemerkt, wie schwer etwas war – oder wie einfach. Manche Pakte gestalteten kaum einen Unterschied zum normalen Vorgang. Dem Strafpakt wurde jedoch etwas Neues hinzugefügt …     Gewaltsamer Tod – das war die neue Herausforderung, die Zagreus sich bereits vorgestellt hatte nach der Feierlichkeit. Nicht, dass der komplette Strafpakt auf irgendeine Weise zu einfach wäre. Die extremen Maßnahmen konnten schon eine wahnsinnig große Herausforderung sein, der Kampf mit seinem Vater, wenn dieser wirklich alles gab, machte ihn auf den gesamten Fluchtweg fertig. Immerhin musste er von Anfang an darüber nachdenken, wie er vorging, um einen Gewinn hervorzubringen – und eine erfolgreiche Flucht. Sein Vater hätte ihn einfach viel besser aufhalten können, er hatte ihm jedes Entkommen einfach gemacht, bevor er diesen Weg eingegangen war.   Nun würde er eine ganz andere Option in Angriff nehmen, dafür würde er alles andere beim Alten lassen. Mit einem Schmunzeln drehte er sich um, besah sich die aufgereihten Waffen darüber nachdenkend, welche davon er dieses Mal wählen würde. Die Wahl war schließlich einfach. Die stygische Klinge lag leicht in seiner Hand, das Licht wurde im roten Metall gespiegelt. Er hatte über viele Jahrzehnte hinweg mit diesem Schwert trainiert, Achilles hatte ihm viele Tricks beigebracht und davon hatten ihm einige schon bei dem ein oder anderen Kampf geholfen. Sie war ihm so vertraut wie keine andere Waffe. Leichtfüßig ging er zu all seinen Andenken, der kleine Hein von Thanatos hing immer an seiner Kleidung, zwischendurch hatte er zwar auch durchaus andere Gefährten gewählt, aber am Ende war es doch immer Hein, der langfristig bei ihm verharrte. Das kleine Plüschtier weckte Erinnerungen an ihre Kindheit, die Wärme hinterließen und dafür sorgten, dass er sich nicht schlecht fühlte, weil er den sanften Tod von der Arbeit ablenkte. Seine Gedanken drehten sich zumindest für den Moment jedoch um seine Andenken. Mittlerweile war es gar nicht mehr so einfach, das perfekte Andenken zu finden.   Seine Blicke streiften über all die Andenken, bis er schließlich die Finger nach der funkelnden Feder ausstreckte. Die Geschwindigkeit, welche er durch diese erlangte, hatte ihm schon häufig geholfen. Zagreus war allgemein für seine zügigen Bewegungen bekannt, er war flink und agil, ein Vorteil, den er vor einigen Gegnern hatte. Manchmal musste man solche Vorteile nutzen – er konnte gerade nur erahnen, wie wichtig jeder Vorteil war, Achilles hatte ihn vor der Gefahr gewappnet, dass Thanatos Schwestern eine Herausforderung sein könnten, die schmerzhaft enden konnte.   Normalerweise nutzte er gerne jede Chance, um an Skelly zu trainieren, aber er spürte bereits die Aufregung bis zu seinen Fingerkuppen kribbeln. Also ging er schnurstracks mit dem Schwert in der Hand zum Portal, das ihn rausbringen würde. Zur Arbeit!   „Was soll schon Schlimmes passieren?“, sprach er zu sich selbst, bevor er durch das Leuchten des Tors ging.   Der Aufprall war eine Gewohnheitssache, er landete auf einem Knie, stützte sich mit einer Faust ab, hörte das Knallen um sich herum und das Ping, welches eine Mitteilung vom Olymp ankündigte. Mittlerweile kannte Zagreus jede austretende Energie, konnte an der Farbe allein oder dem Geruch schon fest machen, welcher Verwandte zu ihm sprach. Er kannte den süßlichen Geruch von Nektar, den Dionysos verströmte, genauso gut kannte er Ares, der einen Geruch hinterließ, als würde direkt neben ihm etwas brennen. Jeder Gott hatte etwas Einzigartiges an sich, Geruch, Farbe, emotionale Ströme – Zagreus hatte gelernt, aus ihnen zu lesen. Nicht, dass es wirklich von Nöten war, aber er fühlte sich besser damit, all solche Dinge zu wissen.   Er brauchte dieses Mal nicht die Augen zu öffnen, ein rosiger Duft lag leicht in der Luft, genauso wie das Gefühl eines Kribbelns in den Adern. Was er sah, war rosa – Aphrodite.   „In Hades' Namen – ich nehme die Gabe an!“   „Oh kleiner Gott, zu gern wüsste ich jedes noch so kleine Detail darüber, wie es bei der Inkarnation des Todes und dir aussieht, aber auch ohne deine liebliche Stimme zu hören – ich fühle, dass es bei euch großartig läuft!“   Seine Verwandten wussten immer ein wenig zu viel, doch Zagreus war daran gewöhnt und wenn es ihm möglich wäre, ein Gespräch zu führen, so würde er Aphrodite vielleicht auch darauf antworten. Doch für den Moment war er vielmehr an der Auswahl interessierte. Rosa Lichter umgaben ihn wie einen Strudel und er griff mit einer Hand gerade aus, packte hinein und bekam seine gewünschte Gabe zu greifen. Es war immer ein kleiner Anfang, doch genau deshalb war es so wichtig, was er auswählte. Sein Spurt würde Gegner schwächen – Zagreus verwendete seinen Spurt so oft es nur ging. Der Spurt, der ihn an zahlreichen elenden Strolchen und Flegel vorbeibrachte, die er mit seiner stygischen Klinge vernichtete und in Rauch aufsteigen ließ. Er verschwendete keinen Gedanken an die Toten, die zu ihren Zeiten als Menschen allerlei an Vergehen verrichtet hatten.   Der Kodex von Achilles verriet alles darüber.   Seine schnellen Bewegungen halfen ihm dabei, den Angriffen von Flegeln zu entgehen, er wich den Bomben von den elenden Plagen aus, die wie Vasen durch die Gegend hüpften und einfach nur nervig waren.   Zagreus rannte durch die zahlreichen Scharmützel, sammelte Münzen und Nektar ein, hier und da etwas Finsternis. Er war über jede Begegnung mit einem Verwandten froh, – manchmal konnte es schwierig werden, wenn er nur wenig Hilfe bekam, gerade wenn er bei Meg ankam oder später auch bei Lernie landete. Ganz zu schweigen von Theseus und Asterios. Er war ein weiteres Mal bei Aphrodite vorbeigekommen und konnte seinen Angriff noch mal verstärken sowie ihm die Fähigkeit geben, seine Gegner zu schwächen. Ares hatte sich auch gezeigt und ihm ein paar Sachen angeboten, um vor allem durch Tartaros erst einmal leicht zu kommen, hat er sich für seinen Beistand entschieden, der auch im Kampf gegen seinen Vater immer eine große Hilfe war.   Er war vielleicht nicht großartig ausgerüstet, aber er hatte ein wenig Hilfe und im Notfall auch noch den kleinen Hein, durch den er Thanatos um Hilfe bitten konnte.   Ein Großteil seiner Aufmerksamkeit lag auf jede Art von Erneuerung. Er suchte nach Scharmützel, die anders aussahen, als ihm bisher bekannt waren, sah sich nach Gegnern um, die er nicht kannte. Doch nichts dergleichen – im Strafpakt hatte auch nichts darübergestanden, wann ihn der gewaltsame Tod einholen würde. Vielleicht in Tartaros, eventuell musste er auch ins Elysion kommen, immerhin fielen dort viele aufgrund von hoher Gewalt. Er landete bei Charon, der ihm wie eh und je zu überteuerten Preisen ein paar Sachen anbot. Zagreus überdachte ein paar der Angebote, nahm sich etwas zu Essen und versuchte wie eh und je ein Gespräch mit dem Fährmann aufzubauen.   „Hey Charon, Kumpel, – hast du etwas über den gewaltsamen Tod gehört, mir wurde angekündigt, er würde irgendwo auf mich warten, aber bislang blieb es aus.“   „Nrrrrrnnnhhhh, hhheeeeehhhhh ...“   Zagreus nickte leicht, – auch wenn er keine Ahnung davon hatte, was ihm Charon erzählen wollte ... wenn er das überhaupt wollte. Der Fährmann war für Zagreus wie ein Buch mit sieben Siegeln, aber nicht nur für ihn. Achilles schien es ähnlich zu ergehen. Aufgrund dessen, dass ihr Gespräch eher einseitig verlaufen würde, verabschiedete sich der Prinz recht schnell wieder, um den nächsten Raum zu betreten. Die Säulen und Alektos Gestalt verrieten recht schnell, worum es hier ging.   „Rotblut!“, die unangenehme Stimme von Megs Schwester dröhnte laut durch den ganzen Raum. „Da bist du ja endlich – ich habe angefangen mich zu langweilen!“ Sie trug das gleiche verrückte Grinsen wie eh und je, man erkannte deutlich die scharfen Zähne, genauso wie ihr direkter Blick aus rot-leuchtenden Augen, die glühten, wenn sie richtig in Rage verfiel.   „Alekto, ich komme doch immer wieder gerne zu dir“, seine Höflichkeit würde nichts bringen, ganz egal wie er sie anwandte.   „Dann friss jetzt das!“   Der Kampf mit Alekto wurde zwar von Mal zu Mal einfacher, aber es war stets eine Herausforderung. Zagreus musste sich schnell von A nach B bewegen, hatte damit zu tun den roten Federn auszuweichen, die wie Glassplitter auf ihn geworfen wurden. Er nutzte jede Chance, der Erinye nahezukommen, er schwang seine stygische Klinge und rammte sie in den Körper, traf Arme und Beine, den schmalen Körper. Er ließ den Boden in einer roten Flut beben, wenn er seine Klinge nach unten schlug. Das Gefühl von diesem Kampf war befriedigend, berauschend. Sein Blut kochte auch dann, wenn er von etwas getroffen wurde. Seine Füße trugen ihn flink über den Boden, wenn rote Glut von oben herabstürzte oder riesige Sägeblätter auf ihn zugedreht kamen, um ihn in zwei Teile zu zerhäckseln.   Am Ende war es Ares' Beistand, der ihm dabei half, Alekto zu besiegen, ein spitzer Strahl, der Styx durchbohrte ihren Körper, bevor er sie flach zu Boden fallen und in sich versinken ließ.   „Sie wird es mir hoffentlich nicht übelnehmen“, ächzte er auf, er betrachtete die auftauchende Finsternis und die grünen Juwelen, die beide nützlich für ihn waren. Er sammelte sie auf, fühlte die Kraft, die durch seinen Körper fuhr, weil die Finsternis seine Kräfte wieder anhob. Ein tiefes Durchatmen später war er in einem der Zwischenräume, wo er nochmal etwas von einem Brunnen trinken und seine Andenken auswechseln konnte. Nach einer Pause von wenigen Momenten zog er in den nächsten Ort.   Die Hitze war unerträglich und doch war sie überall, er erkannte die dampfende Lava und den fließenden Phlegethon, aus dem er so manche Lavaschnecke geangelt hatte. Asphodel war der größte Ort der Unterwelt, aber er war auch der, den Zagreus am meisten hasste. Zu warm, zu viele Bomben, – zu viele Köpfe einer Hydra. Mit altbekannter Geschwindigkeit raste er durch die Scharmützel, vernichtete Knochenharker, Knalltänzer und Drachen auf seinem Weg, reiste auf dem Todeskahn mit Leersteinen, die alles um sich herum schützten, und Wellenmacher, die durch den Schutz viel länger durchhielten als erlaubt sein sollte. Flüche tanzten über die Lippen des Prinzen, genauso leicht wie er Witze riss, wenn er etwas in Sekundenschnelle erledigt hatte. Wenn er eine Gorgone sah, dachte er kurz an Dusa und seiner unhöflichen Frage, ob sie jemals einen Körper besessen hätte. Schweiß rann an seinem Körper entlang, erinnerten ihn daran, vielleicht doch mal an andere Kleidung zu denken. Doch sein Gewand passte so perfekt zu ihm, wie es die stygische Klinge tat.   „Hast du mich vermisst Lernie?“, Zagreus schenkte der mehrköpfigen Knochen-Hydra ein Grinsen.   Das Wesen brüllte ihm entgegen, ihre Hörner ein leuchtendes Violett, bevor sie ihren Kopf mehrere Male zu Boden knallte, um Felsen von oben herunterfallen und den Boden erbeben lassen zu können. Zagreus geriet nicht einmal mehr ins Schwanken, schnell bewegte er sich über die bebenden Steine, warf Blitzebälle seines Onkels Zeus auf das Wesen, bevor er mit dem Schwert zuschlug. Immer wieder musste er dem gefräßigen Maul ausweichen, das nach ihm schnappte, mühte sich damit ab, den Flammenpfeilen auszuweichen, die ihn anzielten und musste immer wieder das Flammenmeer um sich herum beobachten. Weitere Knochen-Köpfe stiegen empor und schrien ihn von allen Seiten an, begannen ebenfalls damit Pfeile auf ihn zu speien. Umso mehr Köpfe es wurden, umso schwieriger wurde es auch, alles im Auge zu behalten. Ares' Beistand half ihm auch hierbei gut weiter, weil er mehrere Köpfe erledigen konnte, ohne allzu großen Schaden dafür ab zu bekommen. Schließlich explodierte die Hydra ein weiteres Mal mit einem Zischen und ließ den Raum bis auf Zagreus leer zurück. Er hielt sich nicht lange auf, seine Beine trugen ihn zum nächsten Boot, das zum Zwischenraum der Etappen der Unterwelt führte.   Elysion stand noch an, dort wo die Wahrscheinlichkeit am höchsten schien, Thans Schwestern zu begegnen, von denen er bislang weder etwas gehört noch gesehen hatte. Das würde zumindest bedeuten, dass er diesmal nicht auf Theseus treffen würde. Der Typ und sein sinnloses, abgehobenes Geschwafel – der Prinz verstand nicht, wie Asterios sich das tagein, tagaus antun konnte. Ihm taten auch all die heldenhaften Seelen leid, die unter dem Recken litten. Oder darunter, wie der König mit seinem goldenen mazedonischen Streitwagen durch die Gegend rollte und dabei lachte wie ein Irrer. Zagreus wusste manchmal nicht, ob er nicht doch eher stehen bleiben und lachen sollte, anstatt zu kämpfen. Theseus mit dieser lächerlichen, goldenen Maske von Daidalos geschaffen und Asterios in dieser goldenen Rüstung, die selbst den erhabenen Minotaurus absurd aussehen ließ. Asterios war sich zumindest dieser Absurdität bewusst, aber Theseus? Der trug das ganze Zeug voller Stolz und ließ sich von nichts verunsichern, was der Prinz darüber sagte.   Trotzdem war Zagreus der Meinung, dass Theseus nach all den Malen, die er gegen ihn verloren hatte, nicht mehr Elysions Recke sein sollte. Nicht das Zagreus es werden wollte, aber es ging ums Prinzip.   Auch dieses Mal verbrachte er nur einige Momente damit, sich zu erholen und seine Gaben anzupassen. Er machte nicht oft Pause, er brauchte diese auch so gut wie nie. Nur nach einem größeren Kampf nahm er sich gerne mal ein paar Minuten Zeit, bevor er sich ins nächste Getümmel stürzte. Das jetzige Getümmel bestand aus blauen Wesen, die ihn mit Speeren angriffen oder Schildern abwehrte und schon oft seine Geduld überstrapaziert hatten, weil eine einmalige Vernichtung oft nicht genügte. Die Seelen der ehemaligen Helden wurden zu kleinen, fliegenden Wesen, die er dann erneut töten musste, – sonst fing es wieder von vorne an. Hinzukamen noch kleine Streitwägen, die bei der kleinsten Berührung explodierten und riesigen Schmetterlingsbällen, die kleine Schmetterlinge losschickten, um ihn anzugreifen.   Natürlich war Elysion großartig, es war angenehm kühl, die Farben verströmten etwas Edles ... Und es gab keine Bomben. Zagreus glaubte, wenn er ein Mensch und Held wäre, würde er gerne hier sein. Auf seinem Weg weiter nach oben, traf er auf Achilles und Patroklos, ließ sich etwas über ihre Zeit als Menschen erzählen und verließ sie mit einem glücklichen Lächeln auf den Zügen. Er war froh darüber, dass er sich bei all seinen Freunden eingemischt hatte, dadurch waren sie so glücklich und er konnte sich für sie mitfreuen. Doch sein Weg führte ihn weiter durch die Scharmützel, durch die freie Aussicht von waberndem Nebel im Freien und im Kampf durch all die heroischen Seelen und nervigen Streitwägen in Groß und Klein. Ihm wurde fast etwas zu kalt in der ganzen Zeit, die er oben war, der Schweiß kühlte ab und wäre er ein Mensch, würde er wohl krank werden können. Und daran sterben. Wie so manch ein Schatten, dem er im Haus seines Vaters begegnet war.   Er konnte schon ein Scharmützel vorher deutlich das Jubeln der wartenden Zuschauer auf den Kampf hören. Seinem Kampf. Es war immer wie in einem Stadion, wenn er gegen Theseus und Asterios kämpfen musste, ob die Keres auch darauf standen? Vermutlich wollten sie ihren ersten Kampf gegeneinander ordentlich feiern. Vorsorglich deckte sich Zagreus mit Waren von Charon ein, nahm eine Gabe mehr mit, als er vielleicht normal tun würde, bevor er sich mutig ins Stadion wagte und ... enttäuscht wurde.   „Unser größter Feind ist zurückgekehrt, Asterios, um uns erneut um den Titel des Recken herauszufordern!“   Er war wirklich sehr enttäuscht.   „Wie oft denn noch – dein dämlicher Titel interessiert mich überhaupt nicht!“, erwiderte Zagreus in einer wiederholenden Phrase, die es hier jedes Mal zu geben schien. Sein Blick fiel auf Asterios, fast ein wenig traurig darüber, dass die goldene Rüstung fehlte. Der Anblick war immer sehr amüsant.   „Ohhhh du dämonischer Lügner wirst niemanden von uns täuschen können, also berei-!“   „Jaja, Moment mal – ich dachte, ich treffe hier auf die Keres? Von ihnen gehört? Sind sie hier irgendwo? Asterios?“, der Prinz warf fragende Blicke in die Richtung des Minotaurus.   „Wir beide wissen nicht, wovon du da sprichst, Dämon! Jetzt hebe deine Waffe und kämpfe!“   Wo waren die Keres dann? Sie würden doch nicht mit seinem Vater zusammenarbeiten – also, ganz direkt. Hades würde niemals das Schlachtfeld gegen ihn teilen, oder? Er würde seinen Gedanken nachhängen, doch der Ansturm des Minotaurus ließ ihn gegen eine der Säulen krachen, bis er auf den Knien zu Boden fiel und unter Ächzen nach Luft schnappte. Bevor er ein weiteres Mal getroffen werden konnte, spurtete er zur Seite! Der Kampf gegen die beiden war immer einer der Schwierigsten, von allen Seiten konnte etwas passieren und meistens passierte auch wirklich was. Theseus quasselte gefühlt die ganze Zeit durch, Asterios raste mit großer Geschwindigkeit auf ihn zu oder sprang mit seiner riesigen, beidseitigen Axt direkt auf ihn zu.   „Warum können sie sich nicht einfach für eine Seite entscheiden!?“, fluchte Zagreus in den Kampf hinein, als Theseus die Götter um Hilfe bat – und eine Antwort seitens Zeus erhielt. Blitze schlugen von oben herab und Zagreus hatte noch mehr damit zu tun, auszuweichen und seine Angriffe besser zu zielen. Es war ein wildes Hin und Her, er sprang von Stelle zur Stelle, schwang sein Schwert in Asterios Richtung oder gegen Theseus Schild, er wurde abgewehrt und gegen Säulen und Wände gestoßen, musste häufig versuchen, hinterrücks anzugreifen, um Treffer zu erzielen. Pure Glücksgefühle durchströmten ihn, als Asterios in einem blau-weißen Licht erlag und seine große, mächtige Gestalt verblasste. Zagreus konnte sich komplett auf Theseus konzentrieren und darauf die Nervensäge eines Königs endlich ein weiteres Mal loszuwerden.   Sein Name wurde von der Menge gebrüllt, als er den Recken von Elysium ein weiteres Mal besiegte. Vielleicht badete der Prinz für einen Moment in dem Jubeln der Schatten und Seelen, bevor er weiter ging, um sich eine erneute Pause zu gönnen. In seinen Gedanken drehte es sich nur um den Strafpakt und weitere Möglichkeiten für Kerasia und Kaleria aufzutauchen. Immerhin kam jetzt nicht mehr viel und Zagreus konnte sich nicht vorstellen, dass sie in einem der Räume zwischen dem Ungeziefer auftauchen würden. Vielleicht gab es auch ein Problem mit dem Strafpakt, vielleicht waren Thans Schwestern auch noch nicht vorbereitet genug – oder noch zu ausgelaugt von der Festlichkeit? Zagreus schüttelte die Gedanken ab, um sich auf die nächsten Räume zu konzentrieren. Er musste den Satyr-Sacke für Kerberos besorgen. Zumindest war dies sein Plan, bis er im altbekannten Gang auftauchte und jede Spur des großen, dreiköpfigen Hundes fehlte.   Na gut, es gab große, rote Haarbüschel.   „Kerberos? Wo bist du denn mein Junge?!“, rief Zagreus die Stirn gerunzelt.   Auch von Charon und dessen Laden fehlte jede Spur, er war alleine. Die kleinen Nebenräume, in denen normalerweise das Ungeziefer lauerte, waren abgetrennt von einer Wand, von der Zagreus sicher war, dass sie normalerweise nicht da war. Nun, eventuell hatte sein Vater auch mal Lust darauf gehabt umzuräumen und zu renovieren, nachdem er Zagreus dabei beobachtet hatte, wie er ... Na ja, alles in ihrem Haus renovieren ließ? Doch sobald die große Tür nach draußen sich nicht öffnen ließ, hatte er wirklich eine Ahnung, was hier vor sich ging. Er brauchte sich nur umzudrehen, um diese bestätigt zu fühlen.   „Kerasia. Kaleria“, sprach er die beiden an. „Ihr habt mich ganz schön warten lassen.“   Zagreus hatte eine kleine Vorstellung ihrer Begegnung hier gehabt, ein paar Witze, etwas Lachen, verspieltes Kichern ... Doch er bekam nichts davon. Eine finstere Aura umgab die Zwillinge – wortwörtlich – und sie wirkten nicht halb so entspannt wie zum Fest. Der Prinz bekam eine Gänsehaut.   „Verstehe, eisernes Schweigen als Taktik? Nun, mir ist alles lieber als The-“   Er hatte noch nie so einen Schmerz empfunden wie in diesem Moment, als ein langer Speer seinen Oberkörper durchbohrte, bis er auf der anderen Seite wieder hervorsah. Zagreus wurde kurz schwarz vor Augen und er fiel nach hinten gegen die große Tür, als der Speer zurückgezogen wurde. Ächzend hielt er sich die durchstochene Stelle, er fühlte das Blut, der Schmerz ebbte ab. Diesmal aufmerksamer, duckte sich der Prinz weg, als eine erneute Waffe auf ihn zukam, nur um direkt von Dolchen ebenfalls angegriffen zu werden. Es war ein Spurten und Ducken, um sich von der Tür und den Zwillingen lösen zu können. Viel Japsen und Ächzen später hatte Zagreus keinen lustigen Spruch mehr auf den Lippen und um Blut im Körper leichter, schaffte er es, wieder etwas Abstand aufzubringen. Es könnte eine Zauberei sein, eine optische Täuschung oder sonst was, doch die Türen waren komplett verschwunden, es gab nur noch den langen Gang, den Zagreus schon tausende Male überquert hatte. Nun etwas kampfbereiter, zog er sein Schwert und hielt es fester in der Hand.   „Na schön, dann ohne ein Geplänkel“, murmelte er zu sich.   Es war Finsternis, die sich ihn holte, sie war um ihn herum und aus ihr heraus stachen Dolche und Speere, Zagreus wusste nie wo etwas herkommen und ihn treffen könnte. Er wusste nicht, wohin er zielen sollte, wie ein Kind schlug er erbärmlich um sich. Manchmal fühlte er Widerstand, hatte vermutlich etwas getroffen, doch genauso schnell war es verschwunden. Manchmal ertönte doch ein leises Kichern und Flüstern, während er mehrere Male versuchte zu blinzeln, um die Finsternis loszuwerden, doch nichts davon half auch nur kurzfristig. Die zischenden Schreie um ihn herum besagten zumindest das Ares' Beistand irgendwas traf – die Finsternis besagte einfach, dass sie nicht genug trafen. Er fühlte eine Schwere in seinen Gliedern und einen Schmerz, der sich langsam ausbreitete, als würde Gift sich in ihm breitmachen, – doch welches Gift sollte so etwas bewirken können!? Es war kein klarer Gedanke, sondern vielmehr ein Instinkt, der seine freie Hand zu etwas Weichem führte. Der kleine Hein passte perfekt in seine Hand.   „Than!?“, rief er ins Nichts der Finsternis.   „Ich bin da, Zag!“   Es fehlte das Antlitz des sanften Todes, das ihn jederzeit beruhigen würde. Er hörte das Schwingen der Sense, er hörte das Zischen und die warnenden Rufe, dass Thanatos sich nicht einmischen sollte, etwas das vermutlich jeder sagte. Doch dann löste sich die Finsternis um ihn herum auf. Zagreus bemerkte erst, als sich Arme um ihn legten, dass Blut aus allen Poren floss und der Tod dabei war, ihn zu holen.   „Ich bringe dich nach Hause.“   „Than...?“   Zagreus brach zusammen, normalerweise empfand er an dieser Stelle, wie er durch den Styx trieb, doch zu diesem Zeitpunkt stellte er nichts außer einer Kühle fest und wie die Dunkelheit sich erneut um ihn breitmachte. Ganz entfernt erinnerte all das, was er fühlte, an sein erstes Mal auf der Oberfläche. Der Schnee überall, die Kälte um sich herum – der Wind. Es war ein Gedanke am Rande, den er an Demeter und der Schneepracht verschwendete, gleichzeitig wie die Frage, ob dieser jemals schmelzen würde ...     Der Prinz verbrachte mit dem Älter werden immer weniger Zeit in seinem eigenen Gemach. Schlaf war nicht mehr in großen Mengen notwendig, alle um ihn herum wuchsen mit ihm und begannen früh ihrer vorgesehenen Arbeit nachzugehen. Dennoch sah das Gemach so schön und bequem aus wie nie zuvor. Eine Tatsache, die gerade jetzt besonders hilfreich sein dürfte.     „Uuuuurgh“, Zagreus stöhnte schmerzerfüllt auf. Sein ganzer Körper fühlte sich an wie durchbohrt, als hätte er überall Löcher im Körper. Trotz der steifen Gefühle in seinen Knochen richtete er sich auf. Nur eine kühle Hand hielt ihn auf halben Weg auf. Gelb-leuchtende Augen trafen seine und Zagreus entspannte sich abrupt wieder. „Than...“   „Leg dich wieder hin, Zag. Du brauchst eine Pause.“   „Pause?“, grunzte der Prinz, unzufrieden und noch etwas verwirrt, dennoch ließ er sich zurück ins Bett drücken. In die weiche Matratze und den federnden Kissen.   „Ja eine Pause, Kerasia und Kaleria sind ... sehr hart an die Sache ran gegangen.“   Prompt kehrte die Erinnerung an den Kampf zurück. Zagreus begann zu lachen, trotz der Schmerzen in Lunge und Bauch. „Oh man – die haben mich echt drangekriegt, was? Deine Schwestern ... Oh wow!“, quasselte er drauf los, Schmerzen waren vergänglich und bekannt hinzukommend auch. „Die haben mich echt fertig gemacht. Ich fühle die Hälfte meines Körpers nicht mehr!“   „Darüber solltest du wirklich nicht lachen, Zag!“, Thanatos wirkte so eisern wie eh und je, aber vor allem auch etwas beruhigt.   „Du bist gekommen. Als ich dich gerufen habe.“   „Ich bin schon da gewesen, bevor du rufen konntest“, erwiderte der sanfte Tod. „Ich wollte deinen Kampf miterleben, ich hätte nur nicht erwartet, dass es so ... extrem enden würde.“   Zagreus hob die Achseln mit völlig unwissender Miene: „Ich weiß nicht einmal, was ... passiert ist. Mein ganzer Körper fühlt sich einfach durchbohrt an.“   „Er war es auch. Meine Schwestern haben ziemlich auf dich eingestochen. Du hast Glück, dass deine Verletzungen so schnell verheilen, aber du wirst dich noch ein paar Stunden oder vielleicht sogar einen Tag noch sehr schwach fühlen.“   „Gerade fühlt es sich so an, als würde ich mich das restliche Jahr so schwach fühlen“, gluckste Zagreus. „Ich hatte schon lange keinen Kampf mehr, bei dem ich so unterlegen war. Was haben deine Schwestern gemacht? Ich hatte einfach gar keine Orientierung mehr. Alles war wie im Reich von Chaos, nur noch extremer als dort!“   „Sie nutzen spezielle Nervengifte, die könnten dafür gesorgt haben“, verriet Thanatos. „Du wirktest wie damals als Kind, – als du mit deinem Holzschwert um dich geschwungen hast.“   „Ich wirkte also lächerlich – sehr gut, deine Schwestern haben sich sicherlich amüsiert.“   Der sanfte Tod bemühte sich um eine regungslose Maske, aber Zagreus konnte ganz genau sehen, dass er dem zustimmen würde, wenn er es tun würde.   „Wie auch immer ... Es wird ein nächstes Mal geben und dann mache ich sie fertig! Vielleicht hat Charon ja eine Gasmaske oder dergleichen“, meinte der Prinz frohen Mutes. „Aber heute mache ich lieber eine Pause. Ich lag schon lange nicht mehr in meinem Bett, um zu ruhen.“   „Vielleicht solltest du das häufiger machen.“   „Vielleicht solltest du häufiger vorbeikommen, dann würde ich sicherlich auch häufiger hier sein“, schlug Zag mit einem Grinsen vor. Thanatos stand mittlerweile neben seinem Bett und er hatte bereits im Kopf, dass der sanfte Tod wieder an die Arbeit gehen sollte. Doch er wäre ja nicht der Prinz, wenn er nicht seine derzeitige Situation ausnutzen würde. Die Finger seiner rechten Hand griffen nach dunkler Tracht, wissend, dass Thanatos so nicht einfach gehen würde. „Bleibst du bei mir, während ich mich erhole?“   „Wirklich Zagreus?“   „Ich bin sicher, ich würde mich schneller erholen, wenn du bei mir bleiben würdest“, Zagreus streckte das Kinn raus, er zupfte etwas fester an dem glatten Stoff. „Komm schon, die Menschen können mal etwas warten. Lass ihnen einen Tag mehr Zeit ... oder nur ein paar Stunden und lege dich zu mir.“ Ein schweres Seufzen, doch Thanatos stellte seine Sense vorsichtig ab – der Prinz zählte dies als einen persönlichen Sieg. Unter leisem Ächzen schob er sich etwas weg, machte Thanatos Platz und war schon ein wenig begeistert davon, dass der sanfte Tod nun bei ihm im Bett lag, für mehr als dem Austausch von Leidenschaft und Zärtlichkeiten. Ohne zu zögern schwang der Prinz einen Arm und ein Bein über den Körper seines Kindheitsfreundes, drückte sein Gesicht an Thans Wange und schloss die Augen. „Ich fühle mich schon viel besser“, behauptete Zag, schmunzelte, als er das Schnauben hörte.   „Du bist schrecklich, mein Prinz.“ Trotzdem legte Thanatos einen Arm um den Körper von Zag, diese Pause alles andere als gewohnt aber... er würde sie vielleicht hinausziehen. „Ich denke die Menschen können ein paar Stunden oder einen Tag warten. Früher oder später hole ich sie alle.“   „Ja, denn ... Der Tod naht, sagst du doch immer?“   „Es gibt kein Entkommen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)