DEATH IN PARADISE - 02 von ulimann644 (Mord, Lügen und Video) ================================================================================ Kapitel 8: Emotionen -------------------- Auf der Fahrt zum Revier wollte Florence nochmal das Verhalten des Chiefs thematisieren. Doch sie wusste nicht wie sie das machen sollte, ohne Faulkner dabei zu nahezutreten oder ihn gegebenenfalls sogar zu beleidigen. Vielleicht war ja auch alles so, wie ihr Vorgesetzter es behauptet hatte. Faulkner seinerseits schien ihren Fauxpas nicht weiter thematisieren zu wollen, wofür sie ihm dankbar war. So fuhren sie schweigend zum Revier zurück. Erst, als sie gemeinsam die Stufen des Gebäudes hinaufschritten, richtete Faulkner das Wort an seine Kollegin. „Ich denke, dass Sie in diesem Fall weiterhin als Leitende Ermittlerin fungieren sollten. Ansonsten entsteht bei allen Beteiligten nur Konfusion. Ich traue Ihnen absolut zu, die Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammensetzen zu können.“ „Danke, Sir.“ Sarah Dechiles und Wellesley Karr sahen ihre Vorgesetzten erleichtert an, als sie ins Büro schritten. Bevor die beiden Beamten Fragen stellen konnten, meinte Faulkner: „Coralee Morgan hat sich selbst erschossen. Doch unsere Leitende Ermittlerin in diesem Fall ist der Ansicht, dass damit der Fall noch nicht abgeschlossen ist.“ Sarah Dechiles sah verstehend zu Céline Durand, die sich vor den Schreibtisch des Chiefs gesetzt hatte. Florence, die dem Blick ihrer Kollegin folgte, sagte zu der Freundin: „Ich übernehme die Befragung, Céline. Bitte komm zu mir an den Schreibtisch.“ Die Taxifahrerin folgte der Anweisung von Florence. Auf dem Weg zum Schreibtisch ihrer Freundin warf sie Faulkner einen finsteren Blick zu. Und Sarah raunte ihrem Vorgesetzten zu: „Die hat Sie gefressen, Sir.“ Der Blick des Inspectors hielt den Sergeant davon ab mehr zu sagen. Als er zu Florence schritt um die Befragung zu verfolgen, raunte Wellesley Karr seiner Kollegin zu: „Vielleicht solltest du dir abgewöhnen, immer den Finger draufzuhalten, Sarge. Sonst hat vielleicht er irgendwann dich gefressen.“ Inzwischen saß Florence konzentriert hinter ihrem Schreibtisch und fragte die Frau vor ihrem Schreibtisch direkt: „Was kannst du mir zu dem Verhältnis zwischen Yandel und Coralee sagen?“ Céline streifte Faulkner, der einen Schritt neben dem Schreibtisch stand mit einem kurzen Seitenblick, bevor sie antwortete: „Yandel ist mit Coralee anders umgegangen, als mit dem Rest von uns. Ich meine, er war sehr aufmerksam ihr gegenüber. Hat ihr immer die Tür aufgehalten, den Vortritt gelassen und so. Er hat sie sehr zuvorkommend behandelt.“ Florence, die an ihrem PC mitschrieb, hakte ein: „Glaubst du, er hat das gemacht, weil er eifersüchtig auf Rodriguez und dich war und dir damit eins auswischen wollte?“ Céline lachte humorlos auf: „Das Interesse an mir hat Yandel doch nur vorgetäuscht. Die anderen haben das nicht gemerkt. Ich bin mir sicher, dass er gar kein Interesse an mir hat, sondern dass da etwas mit ihm und Coralee lief. Hätte jedoch ihr Vater auch nur davon flüstern gehört, dann hätte er vermutlich Hundefutter aus Yandel gemacht. Darum der ganze Aufriss von Yandel meinetwegen. Ich habe ihn mehrmals deswegen zur Rede gestellt, doch Yandel hat stets den Ahnungslosen gespielt.“ Florence sah vielsagend zu Faulkner und der nickte ihr kurz zu. Wieder zu Céline sehend erklärte der Detective-Sergeant: „Danke, Céline. Das wäre so weit alles. Ich drucke aus, was ich mitgeschrieben habe, und wenn du die schriftliche Aussage gelesen und unterschrieben hast, war es das.“ Damit erhob sich Florence und Céline tat es ihr nach, um der Freundin zum Drucker zu folgen. Dort überflog die Taxifahrerin den Text, legte das Papier kurz auf den Schreibtisch von Officer Karr und unterschrieb die Aussage. Nachdem Céline grußlos das Revier verlassen hatte schritt der Detective-Inspector zum Board, schnappte sich einen Filzschreiber und sah auf das, was dort bereits zusammengetragen worden war. Bei den Notizen zu Yandel Langevin stutzte er kurz und sah zu Wellesley Karr, in dessen Schrift dort nun, neben allen anderen Fakten zu ihm, auf der Tafel stand: Synchronisation. Dabei meinte er zu dem Officer: „Ich wusste gar nicht, dass schlüpfrige Filme nachsychronisiert werden müssen.“ Wellesley Karr grinste breit. „Das werden sie auch nicht, Sir. Yandel Langevin hat, so wie die anderen Darsteller auch, oft verschiedene Charaktere in demselben Film dargestellt. Damit die nicht alle gleich klingen, hat er ihnen verschiedene Stimmen gegeben. Dieser Typ ist dabei ein Naturtalent. Ich glaube, der könnte sogar Frauen synchronisieren.“ „Danke, Officer Karr. Also, Florence. Dann legen wir nun unter Ihrer Leitung los. Ich würde gerne zuvor nochmal den chronologischen Ablauf hören, Team.“ Sergeant Dechiles übernahm an diesem Punkt und führte aus: „Wir wissen, dass der Mord an Anthony Rodriguez, von Sonntag auf Montag, um Mitternacht herum verübt wurde. Mit einem Gegenstand, wie einem Schraubendreher oder etwas Ähnlichem. Später wurde die Leiche in einem Toyota vom Tatort fortbewegt und in den Wagen des Ermordeten verfrachtet. Dort wurde auf ihn geschossen, um den Einstich zu tarnen, der Rodriguez getötet hat.“ Als Sarah Dechiles mit der Aufführung der Fakten abschloss, übernahm Florence, indem sie erklärte: „Silvana Da Silva war schwanger von Rodriguez. Als er sie nicht heiraten wollte, trieb sie das Kind ab. Während der Befragung machte sie den Eindruck, als wäre sie, im Nachhinein, damit zufrieden, dass sie ihn nicht geheiratet hat. Lionel Bonnet hatte Streit mit dem Opfer, weil er es ablehnte eine Schwulenszene zu spielen, was auch kein starkes Motiv ergibt. Coralee Morgan wollte mehr Geld von Rodriguez. Auch das alleine wäre kein Mordmotiv, doch nach Durchsicht ihres E-Mail-Verkehrs scheint es so, als hätte sie Rodriguez mit der Abtreibungsgeschichte ihrer Kollegin erpressen wollen. Yandel Langevin seinerseits war scheinbar eifersüchtig auf Anthony Rodriguez, weil dieser mit Céline Durand eine Beziehung führte. Im Gegensatz zu Bonnet hat er kein Alibi für die falsche Mordzeit, wohl aber für die richtige. Das Alibi von Silvana wiederum wurde inzwischen von einer Nachbarin bestätigt.“ Officer Karr fasste zusammen: „Damit haben Silvana Da Silva, Lyonel Bonnet und Céline Durand ein Alibi. Coralee Morgan hat sich erschossen. Yandel Langevin hat als einziger noch lebender Verdächtiger kein Alibi für die falsche Mordzeit, was uns nicht weiterbringt. Bleibt die Frage: Wer erschoss Mister Morgan und vor allen Dingen – warum?“ Derrick Faulkner deutete auf Karr und forderte: „Wiederholen Sie das nochmal!“ Prompt sagte der Officer: „Wer ermordete Mister Morgan und warum?“ „Das ist genau der Punkt!“, erwiderte der Inspector und sah fragend zu Florence. „Sie wissen jetzt, wie sich die Dinge zugetragen haben und auch, warum uns das fehlende Alibi für die falsche Mordzeit sehr wohl weiterbringt, Detective-Sergeant?“ Florence Cassell sah intensiv auf die Daten am Whiteboard. Zuletzt auf den Zusatz unter dem Bild von Yandel Langevin. Als sie wieder zu Faulkner blickte, leuchteten ihre Augen und sie erwiderte: „Ja, aber das klingt ziemlich fantastisch, Sir.“ „Macht nichts! Was wir unbedingt noch brauchen, ist der ungefähre Todeszeitpunkt von James-Christian Morgan. Doch ich bin mir sicher, dass er annähernd mit dem von Anthony Rodriguez übereinstimmt. Ist Ihnen übrigens aufgefallen, wie er auf den Fotos in seinem Haus, das Gewehr in seinen Händen hielt?“ Florence Cassell erinnerte sich und nickte lebhaft. Doch dann zögerte sie für einen Moment, weil es ihr fast wie ein Sakrileg erschien, bevor sie zu Sarah Dechiles sagte: „Versammeln Sie die verbliebenen Verdächtigen in der Villa von Anthony Rodriguez. Das gilt auch für Miss Durand, denn das wird sie vermutlich interessieren. Officer Karr, Sie durchsuchen das Studio, im Keller der Villa, nach einem Schraubendreher. Sarah, Rufumleitung auf Ihr Handy, damit uns die Gerichtsmedizin erreichen kann.“ Derrick Faulkner machte ein zufriedenes Gesicht. „Ich werde ebenfalls den Commissioner dorthin bitten. Ihre Ausführungen werden ihn sicherlich interessieren.“ * * * Eine Stunde später saßen die Verdächtigen auf der Dachterrasse der Villa von Anthony Rodriguez. Außer Wellesley Karr befand sich außerdem die gesamte Polizei der Insel dort. Selwyn Patterson bemerkte, dass es nicht der Chief war, der diesen Fall vorzutragen gedachte, sondern dass an seiner Stelle Florence Cassell zu den Männern und Frauen trat, die mit Rodriguez in Kontakt gestanden hatten. Er lächelte dünn und nickte Faulkner zu, wobei er leise fragte: „Ich dachte, Miss Durand wäre entlastet?“ „Ist sie auch, Sir. Doch ich finde, sie hat das Recht, die Hintergründe dieser beiden Morde zu erfahren.“ Pattersons Miene sagte nichts darüber aus, ob er dem Inspector zustimmte oder nicht. Inzwischen hatte sich Florence Cassell gesammelt und sagte: „Wir wissen nun, was sich zugetragen hat und ich möchte Ihnen allen mitteilen, wer die Täter in dieser Mordermittlung waren. Denn es handelt sich hierbei um zwei Mörder. Um jene Person, die Anthony Rodriguez tötete, und der Komplize und Mörder von Mister Morgan.“ Raunen entstand unter den anwesenden Personen, die mit Anthony Rodriguez zu tun gehabt hatten. Es war Céline Durand, die ruhig fragte: „Was hat den Coralee Morgans Vater mit dieser Angelegenheit zu tun?“ „Dazu komme ich noch“, beschied ihr Florence Cassell und fuhr fort: „Wir konnten ermitteln, dass Mister Rodriguez weder auf der Kreuzung getötet wurde, noch zum zuerst von uns vermuteten Zeitpunkt. Rodriguez wurde nicht einmal erschossen, sondern viel mehr erstochen. Später wurde die Leiche dann vom Tatort wegbewegt. Im Wagen von Miss Morgan, die sich selbst erschossen hat. Die Fasern, die wir am Toten fanden, stimmen mit jenen überein, die wir als Probe aus dem Kofferraum von Miss Morgans Toyota entnahmen. Bevor diese Ergebnisse feststanden, kam es zu einem ziemlich dreisten anonymen Anruf beim Commissioner. Jemand behauptete, er habe zu dem von uns angenommenen Zeitpunkt den Inspector am Tatort gesehen. Das ist insofern interessant da sowohl die Mörderin, als auch deren Komplize, die tatsächliche Mordzeit gekannt haben. Dieser Komplize wollte den Inspector damit diskreditieren und aus der Ermittlung halten. Dadurch, dass er jedoch die von uns vermutete Mordzeit angeben musste, hat er dem Inspector und auch Miss Durand letztlich, wenn auch ungewollt, ein Alibi verschafft. Nach der Aussage des Commissioners handelte es sich um die Stimme eines älteren Mannes.“ Die Polizistin machte eine Kunstpause und sah vom Commissioner zu Wellesley Karr, der aus dem Innern der Villa trat und einen Beweismittel-Beutel hochhielt, in dem sich ein befleckter Schraubendreher befand. Als der Officer neben seine Vorgesetzte trat, deutete Detective-Sergeant Cassell auf das eingetütete Werkzeug und sagte: „Das hier ist die tatsächliche Waffe, mit der Anthony Rodriguez getötet wurde. Wir werden den Schraubendreher im Anschluss noch untersuchen, doch ich bezweifele nicht, dass wir darauf die DNA des Ermordeten und die Fingerabdrücke von Coralee Morgan finden werden. Denn dieser erste Mord war nicht geplant. Viel mehr handelte es sich dabei um eine emotionale Reaktion. Darauf lässt auch der SMS-Verkehr zwischen Miss Morgan und Anthony Rodriguez schließen, denn in den letzten Mitteilungen von Miss Morgen droht sie Rodriguez ganz offen damit, sich wegen der Abtreibung von Silvana Da Silva an die Presse zu wenden. Daraufhin schlug ihr Anthony Rodriguez in seiner Antwort ein Treffen in seiner Villa vor. Wir vermuten, dass Mister Rodriguez nicht auf die Erpressung der jungen Frau einging, sondern vielmehr Coralee Morgan seinerseits damit erpresste, ihrem Vater von ihrem kleinen Nebenerwerb zu berichten. Vermutlich wurde er deshalb von ihr im Affekt getötet. Aus Angst davor, was James-Christian Morgan dem Geliebten seiner Tochter in diesem Fall antun würde.“ „Wenn Sie wissen, wer es war, warum sind wir dann hier?“, ereiferte sich Lyonel Bonnet. Was soll das?“ „Beruhigen Sie sich bitte“, versetzte Florence Cassell. „Wie ich bereits ausführte, gab es noch einen zweiten Mord. Keine Sorge, Mister Bonnet, denn Sie waren nicht darin verstrickt. Ebenso wenig, wie Miss Durand, die für die tatsächliche Mordzeit ein Alibi hat. Ebenso, wie Miss Da Silva. Womit nur eine Person übrig bleibt, nämlich Sie, Mister Langevin. Sie waren der Komplize von Coralee Morgan. Wir haben nicht nur herausgefunden, dass Sie offensichtlich sehr viel für Coralee Morgan empfunden haben. Wir fanden auch heraus, dass ihre Eifersucht auf Rodriguez wegen Miss Durand nur vorgetäuscht war. Denn Sie wussten was ein Rassist, wie James-Christian Morgan, mit Ihnen gemacht hätte, wäre er jemals hinter die Liaison zwischen Ihnen und Coralee gekommen.“ „Das sind doch Hirngespinste!“, tobte Yandel Langevin und wollte sich von seinem Stuhl erheben, doch Sarah Dechiles drückte ihn mit erstaunlichem Kraftaufwand zurück. „Ach wirklich?“, erkundigte sich Florence Cassell kühl. „Wissen Sie, wenn sie nicht den Fehler gemacht hätten, den Commissioner anonym anzurufen, dann wären wir Ihnen vielleicht nie auf die Schliche gekommen. Ihre Fähigkeiten beim Synchronisieren verschiedener Charaktere der Video-Produktionen hat es Ihnen sehr einfach gemacht, dem Commissioner am Telefon einen alten Mann vorzugaukeln. Nachdem Coralee Mister Rodriguez getötet hatte, weil er ihr vermutlich androhte, ihrem Vater alles zu verraten, wandte sie sich an Sie. War es nicht so?“ Yandel Langevin schwieg, doch seine Miene sprach Bände. „Sie sahen die einmalige Gelegenheit, den Vater Ihrer Geliebten loszuwerden, nachdem Coralee Sie aus dieser Villa angerufen hatte. Bevor Sie herkamen, brachen Sie bei James-Christian Morgan ein, holten sich eine seiner Waffen aus dessen Arbeitszimmer und töteten ihn. Das Ganze ließen Sie aussehen, wie einen Selbstmord. Sie dachten wohl, wir würden vermuten, dass er Rodriguez tötete und anschließend Selbstmord beging. Allerdings begingen Sie dabei gleich zwei Fehler. Zum Ersten war Mister Morgan Linkshänder, so wie seine Tochter. Zum Zweiten haben wir vor Ort sofort einen Moulage-Test gemacht. Dazu braucht man nur etwas Wachs. Wie vermutet fanden wir keinerlei Rückstände eines Schusses. Diese Rückstände lassen sich übrigens auch nach zwei Wochen noch feststellen. Sie haben doch bestimmt nichts dagegen, dass wir hier und jetzt einen solchen Test bei Ihnen machen? Es tut nicht weh, es erzeugt lediglich ein bisschen Wärme auf der Haut.“ Yandel Langevins Blick wurde unstet. „Sie sollten endlich gestehen“, empfahl ihm Florence Cassell. „Das könnte einen Unterschied machen, zwischen fünfzehn Jahren und Lebenslänglich.“ Langevin sackte förmlich in sich zusammen, als ihm klar wurde, aus dieser Angelegenheit nicht ungeschoren herauszukommen. „Es war so, wie sie gesagt haben. Ich habe Coralee geholfen und ihren Vater getötet, weil ich sie liebte.“ „Festnehmen!“, sagten Florence Cassell und Derrick Faulkner, wie aus einem Mund und der Inspector lächelte entschuldigend. „Die Macht der Gewohnheit, Detective-Sergeant. Ach, bevor ich es vergesse. Das war ganz große Klasse. Nur wäre es peinlich geworden, wenn Langevin nicht gestanden hätte, denn ich habe kein Wachs dabei.“ Die beiden Polizisten grinsten sich gleichermaßen vergnügt an. Als der Commissioner zu ihnen kam wurden sie schnell wieder ernst. „So, so, der berühmt-berüchtigte Moulage-Test“, grollte der beleibte Polizeichef. „Detective-Sergeant, Sie bluffen besser, als Hercule Poirot selbst, und Sie, Chief, haben einen fabelhaften Colonel Race gegeben. Erinnern Sie mich daran, dass ich nie mit Ihnen pokere.“ Damit ging der Commissioner, und beinahe vergnügt meinte Faulkner: „Er hat recht. Ich wusste gar nicht, dass Sie sich so gut mit Tod auf dem Nil auskennen, Florence.“ „Ich liebe diesen Film, Sir. Natürlich war es ein Risiko, denn wenn Yandel Langevin ebenfalls ein Fan gewesen wäre, so wäre der Bluff sofort aufgeflogen. Eine Frage, Chief. War dieser Bluff überhaupt zulässig?“ „Yandel Langevin hat freiwillig gestanden“, erwiderte Faulkner. „Das kann man nicht Ihnen anlasten, Florence. Besonders nicht, da es Moulagen tatsächlich gibt. Nur verwendet man sie nicht zu kriminalistischen Ermittlungen. Dafür, dass Yandel Langevin nicht weiß, was das ist, können Sie nichts.“ „Das erleichtert mich.“ Während sie zum Rover schritten sahen sie Céline Durand, die ihnen von ihrem Taxi aus einige lange Blicke zuwarf, bevor sie einstieg und davonfuhr. Die beiden Senior-Ermittler wandten sich um, als sie hinter sich schnelle Schritte vernahmen. Es war Sarah Dechiles, die ihr Handy noch in der Hand hielt und aufgeregt erklärte: „Die Gerichtsmedizin hat mir mitgeteilt, dass Mister Morgan tatsächlich etwa zu demselben Zeitpunkt starb, wie Mister Rodriguez. Den Bericht kriegen wir morgen Früh, als E-Mail zugeschickt.“ Faulkner dankte. Nachdem Langevin, im hinteren Bereich des Land-Rovers, auf der Bank saß, kamen er und Florence überein, Yandel Langevin direkt zum Gefängnis zu bringen, anstatt ihn über Nacht, in einer der Zellen des Reviers einzusperren. Auf dem Rückweg sah Florence ihren Vorgesetzten von der Seite an und meinte sanft: „Das mit Ihnen und Céline wird sich bestimmt irgendwann wieder einrenken, Sir.“ „Ja, auf einer rein platonischen Ebene wird es das vermutlich.“ „Sie denken also, es ist vorbei?“ Derrick Faulkner nickte und sah dabei auf die Straße hinaus. „Ja, das ist es. Wissen Sie, was daran verrückt ist? Ich bin fast erleichtert deswegen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch Florence. Ich bin traurig deswegen und sie wird mir fehlen, doch ein Teil von mir hat bereits seit einiger Zeit geahnt, dass das passieren wird. Wie entnervend das Warten darauf war, stelle ich gerade erst jetzt fest.“ „Kommen Sie noch mit, auf ein Bier ins LA KAZ?“ Der Inspector zögerte, bevor er meinte: „Im Grunde würde ich heute Abend etwas Abgeschiedenheit vorziehen. Was halten Sie davon, wenn wir auf der Veranda meiner Hütte ein Bier trinken und über das reden, was am Pier passierte, bevor sich Coralee Morgan erschoss. Wir sollten das nicht aufschieben, finden Sie nicht auch? Außerdem habe ich noch viel zu viel selbstgemachte Lasagne im Ofen, um sie alleine zu essen.“ „Klingt gut“, stimmte Florence zu. „Über diese Sache am Nordpier sollten wir wirklich ernsthaft reden, Chief.“ * * * Eine Stunde später schob Florence Cassell den Teller von sich und sagte: „Diese Lasagne war wirklich ausgezeichnet, Sir.“ Sie saßen an dem kleinen Tisch auf der Veranda der Hütte des Inspectors und prosteten sich mit ihrem zweiten Bier zu. Nach einem genießerischen Schluck stellte Derrick Faulkner seine Bierflasche auf den Tisch und sagte nachdenklich: „Na schön, dann werde ich den Anfang machen. Vorhin am Pier, da bin ich nicht auf Coralee zu gegangen, weil ich es darauf anlegen würde, getötet zu werden. Zu Ihrer Beruhigung Florence: Davon bin ich weit entfernt. Es war viel mehr so, dass ich mir ganz sicher war, sie würde mich nicht erschießen. Denn im Grunde hatte sie diese rote Linie innerlich nie überschritten. Rodriguez zu töten geschah ohne Vorsatz.“ Florence trank ihr Bier aus und machte eine zweifelnde Miene. „Klingt für mich nicht so ganz überzeugend, Sir. Immerhin hatte sie keine Hemmungen, die Waffe gegen sich selbst zu richten und abzudrücken.“ „Ja, in dem Wissen, keinen Dritten zu verletzen. Sie werden das vielleicht komisch finden, doch während meiner Zeit bei der NCA habe ich so etwas mehrmals erlebt.“ Florence Cassell sah für einen Moment auf das dunkle Meer hinaus, dessen Rauschen eine beruhigende Wirkung auf sie hatte. Erst nach einer Weile sah sie Faulkner wieder direkt an und ihre Augen schimmerten feucht, als sie ernsthaft sagte: „Sir, machen Sie das nie wieder, denn ich will mir nicht permanent Sorgen um Sie machen.“ Bei ihren letzten Worten schob sie das Geschirr auf dem Tisch zur Seite, beugte sich vor und ergriff mit der Rechten die Hand des Mannes, die er auf den Tisch gelegt hatte. „Bitte, versprechen Sie mir das.“ Etwas überrascht von dieser emotionalen Reaktion der sonst so ausgeglichenen Frau verschränkten sich die Finger seiner Linken mit ihren. Ohne es zu bemerken, sanft mit dem Daumen über die glatte Haut ihrer Hand streichelnd versicherte er der Frau: „Ich werde mich möglichst nie wieder in eine solche Situation begeben, Florence. Das Letzte, was ich möchte, ist Ihnen Kummer zu bereiten. Dazu… Sind Sie mir zu wichtig.“ Faulkner hatte zuerst etwas anderes sagen wollen, doch das erschien im nicht angemessen. Zumindest, solange er nicht wusste wie seine Kollegin dazu stand. Doch Florence Cassell besaß ein viel zu feines Gespür, um sein kurzes Innehalten nicht richtig einzuordnen. Entgegen ihres sonst eher zurückhaltenden Wesens erwiderte sie offen: „Das war es nicht, was Sie wirklich sagen wollten, habe ich Recht?“ Faulkner spürte, dass ihre Finger sich etwas fester um seine schlossen und nachdem er sich etwas gefasst hatte, gab er zu: „Ja, das ist richtig. Ich wollte eigentlich sagen, dass ich Sie dazu viel zu sehr mag, Florence.“ Ein fast verschmitztes Lächeln stahl sich auf die Lippen der Frau, als sie erwiderte: „Ich mag Sie auch sehr, Chief. Gehen wir ein Stück am Strand spazieren?“ „Sehr gerne.“ Sie erhoben sich und Faulkner ließ zögerlich die Hand seiner Kollegin los. Nachdem sie die Stufen der Veranda hinter sich gelassen hatten schritten sie langsam nebeneinander an dem einsamen, nächtlichen Strand entlang. Dabei schien es Faulkner so, als würde Strom durch seine rechte Hand fließen, als Florence sie erneut ergriff und in ihrer hielt. Gleichermaßen verlegen sahen sie sich an, ohne ein Wort zu sagen. Erst, als sie die Hütte hundert Meter hinter sich gelassen hatten, sagte Florence leise: „Es ist mehr, als nur mögen, Chief. Zumindest, was mich betrifft.“ „Es ist mehr, als nur mögen“, verbesserte Faulkner, darum bemüht nicht nervös zu klingen. „Das ist schon seit einiger Zeit so, doch richtig realisiert habe ich das erst, seit wir an dem Zehn-Meilen-Lauf teilgenommen haben. Vielleicht auch schon seit dem Training dafür.“ „Ja, etwa seit dieser Zeit“, stimmte Florence zu. Wieder schritten sie für eine Weile schweigend durch die lauwarme Nacht, bis Florence stehenblieb und auch die zweite Hand des Mannes in ihre nahm. Leise, fast flüsternd, fragte sie: „Was machen wir jetzt?“ Den fragenden Blick der Frau erwidernd erinnerte sich der Inspector an die Worte von Nalani Camara. Beinahe ebenso leise wiederholte er sie nun, indem er sagte: „Nun, wir sind nicht beim US-Militär, Florence. Dienstlich hätte das keine Auswirkungen.“ Die schlanke Frau lachte leise und Faulkner erklärte: „Zumindest nicht offiziell. Natürlich ist es nicht ganz einfach, in einem solchen Fall das Berufliche vom Privaten zu trennen. Doch wir gehören beide nicht zu den leichtfertigen, unprofessionellen Typen. So viel weiß ich inzwischen von dir, Florence.“ Damit zog er Florence sacht zu sich heran. Als ihre Körper sich berührten, legte die Polizistin ihre Arme in den Nacken des Mannes, der sich an dem hier zum Meer hin stärker abfallenden Strand so hingestellt hatte, dass sie etwas höher stand, als er. Während er seine Arme um sie legte, vibrierte ihr Körper und ihr Herzschlag beschleunigte sich spürbar. Für einen langen Moment sahen sie sich nur an, bevor sich ihr Kopf zu ihm hin bewegte. Einen Augenblick später lagen ihre Lippen auf seinen und sie küssten sich – sanft und beinahe übervorsichtig. Mit geschlossenen Augen versank sie in dem Kuss und zum ersten Mal, seit dem Tod von Patrice ließ sie sich wieder ganz fallen. Es schien ihr fast wie ein Rausch und sie spürte nur noch die Sanftheit des Mannes. Alles andere um sich herum blendete sie aus. Derrick Faulkner löste sich irgendwann zögernd von ihr und sie hatte dabei den Eindruck, aus einem Traum zu erwachen. Der Blick, mit dem Derrick sie ansah, sagte ihr, dass es ihm kaum anders erging. Sie selbst spürte erst die Tränen auf ihren Wangen, als er sie behutsam mit seinen Fingern wegwischte. Der Kuss musste ziemlich lange gedauert haben, denn anders, als zuvor schien der Mond über die Wipfel der Bäume hinweg und tauchte die Landschaft und sie beide in silbriges Licht. Sich eng an den Mann in ihren Armen schmiegend genoss Florence für einen nicht messbaren Zeitraum einfach den Moment. Schließlich gab sie ihn wieder frei, nahm das Gesicht des Mannes sanft in ihre Hände und sagte heiser: „Irgendwie schlich sich eben so etwas, wie ein schlechtes Gewissen ein. Nur ganz kurz.“ Der Mann schluckte und antwortete sanft: „Das ist verständlich, Florence. Mir selbst ging es ebenso, als Céline mich zum ersten Mal küsste. Da war plötzlich dieses Kribbeln am gesamten Körper. Es dauerte eine Weile, bis es nachließ und der Erkenntnis Platz machte, dass mich Freya nicht einsam und unglücklich sehen wollen würde. Dein ehemaliger Chief hat ganz Recht gehabt, als er dir erklärte, wofür der Ring steht.“ „Ja. Jack Mooney sprach da aus eigener Erfahrung. Seine Frau war nach schwerer Krankheit verstorben und gerade erst seit einem Monat tot, als er hierherkam.“ Sie machte eine kleine Pause, bevor sie mit vibrierender Stimme fortfuhr: „Es war eben zwar ungewohnt und verunsichernd, doch es war auch unglaublich schön. Zum ersten Mal, seit Patrice starb, habe ich mich wieder ganz und gar fallen lassen können. Ohne düster und traurig darüber nachzugrübeln. Das macht mich sehr glücklich. Weißt du, damit hätte ich an jenem Vormittag, nach unserem ersten Gespräch auf der Fähre, nie gerechnet, Derrick. Damals dachte ich wirklich, du wärst ein geradezu fürchterlicher Mensch.“ Faulkner lachte lautlos. „Vertrauen gegen Vertrauen, du warst in meinen Gedanken damals auch näher an dem Begriff Furie, als an dem Begriff Freundschaft.“ Sie küssten sich erneut. Diesmal jedoch deutlich weniger lange dafür aber spürbar leidenschaftlicher. Nachdem sich diesmal Florence von dem Mann getrennt hatte, sah sie auffordernd in Richtung der Hütte und flüsterte ihm zu: „Komm mit…“ ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)