X-fach X-mas von Varlet ================================================================================ Kapitel 12: Tag 12 ------------------ Jodie fühlte sich nutzlos. Manchmal mehr. Manchmal weniger. Heute war ein Tag, wo es mehr gewesen war. Sie konnte nicht mehr sagen, wann sie anfing, sich so zu fühlen. Es kam schleichend. Schritt für Schritt. Ein Fall nach dem anderen, aber es reichte, damit sie sich unnütz fühlte. Viele ihrer Kollegen hatten sich auf bestimmte Fachgebiete spezialisiert oder besaßen anderweitige Fähigkeiten. Shu war ein guter Schütze. Und was für einer. Einen fähigeren Scharfschützen gab es nicht. Keiner kam an ihn heran. Aber er hatte auch viel trainiert und sich als Scharfschütze spezialisiert. Camel war ein guter Autofahrer, der auch in brenzligen Situationen einen kühlen Kopf bewahren konnte. Dann hatten sie Kollegen, die Sprachen gut konnten, Mathematik studierten und entsprechend mit Zahlen umgehen konnten, und jetzt wurde ihnen noch ein Phonetiker zur Seite gestellt. Jodie fand seine Arbeit faszinierend. Während sie sich alle auf Indizien stützten, recherchierten und beobachteten, kümmerte sich ein Phonetiker um die Sprache. Er hörte zu, aber anders als andere. Er erkannte an der Stimmlage, manchmal sogar an den Worten, die genutzt wurden, ob jemand log oder ob irgendwas anderes nicht stimmte. Durch die Lautwahrnehmung konnten sie manchmal viel mehr in Erfahrung bringen als durch reine Beobachtung. Jodie beneidete den Kollegen nahezu, schließlich konnte er so viel zu der Ermittlung beitragen. So wie die anderen auch. Aber was war mit ihr? Was konnte sie gut? Sie war nicht schlecht im Umgang mit der Waffe – in Videospielen sogar noch besser, im Vergleich zu den anderen Kollegen, war sie aber nur Mittelmaß. Beim Fahren sah es ähnlich aus, Deduktion und Recherche konnte sie auch nicht als exzellente Fähigkeiten auslegen. Das gehörte quasi zu den Einstellungskriterien. Mittlerweile gab es sogar Zeiten an denen sich Jodie wie das fünfte Rad am Wagen fühlte. Sie hatte nichts vorzuweisen, wurde aber dennoch zu den Einsätzen dazu geholt. Hin und wieder durfte sie auch nur Kleinigkeiten machen, wie Kollegen betreuen, Zeugen befragen oder der Gruppe Zusammenfassungen geben. Vermutlich wirkte sich ihre Empfindung auch auf die Arbeit aus. Ihr fehlte schon lange der Elan. Aber nicht nur das, sie hatte auch Probleme mit den kleinsten Rätseln oder den ironischen Kommentaren ihrer Kollegen. Es gab Tage, an denen sie glaubte, nichts zu verstehen. Sie war sauer. Sauer auf sich selbst. Frustriert suchte Jodie Möglichkeiten sich zu verbessern. Die Auswirkungen auf die Arbeit wären groß, denn sie wäre den anderen eine viel bessere Hilfe. Aber irgendwie funktionierte es nicht. Es wäre einfacher gewesen, sich in der Anfangszeit zu spezialisieren. Damals steckte so viel Potential in ihr, doch nun musste sie ihr Augenmerk auf die Sache mit der Organisation legen. Was konnte sie tun, was ihnen bei diesem Auftrag behilflich war? Die Agentin biss sich auf die Unterlippe. Sie saß in einem Café, schlürfte an ihrem Kaffee und aß Kuchen. Dabei betrachtete sie die Einträge auf ihrem Computer. Sie recherchierte und recherchierte, sie wollte ihre Möglichkeiten erforschen. Weiterbildungen, Schulungen, irgendwas, nur um den anderen kein Klotz am Bein zu sein. Sie würde sogar eine weitere Sprache lernen, wenn es sein musste. Unglücklicherweise gab es nichts, was zu passen schien. Oder aber die Starttermine waren bereits verstrichen und weitere lagen zu weit in der Zukunft. Jodie seufzte leise auf. „Oh man…“ „Was ist?“ Jodie blinzelte. Sie sah irritiert zu ihrem Kollegen. „Shu? Was machst du denn hier? Wie lange bist du schon hier?“ „Eine Weile. Du solltest aufpassen. Wenn du so in Gedanken vertieft bist, könnte dir irgendwas Wichtiges entgehen“, antwortete er. „Du hast vorhin bei der Nachbesprechung sehr bedrückt ausgesehen. Ich wusste, dass ich dich hier finde, weil du immer herkommst, wenn du frustriert bist.“ „Bin ich so durchschaubar?“, wollte Jodie wissen. „Das wollte ich damit nicht sagen“, entgegnete er. „Du hast allerdings gewisse Marotten.“ „Mhm…verstehe…“ „Geht’s dir gut?“ „Klar“, sagte Jodie. „Was sollte sein? Wir haben den Fall mit positivem Ausgang beendet. Mehr will ich nicht.“ „Und trotzdem bist du frustriert.“ Shuichi beobachtete sie. Jodie seufzte abermals auf. Er kannte sie nicht nur gut, er konnte sie auch lesen als wäre sie ein offenes Buch. „Eigentlich ist es nichts…“ „Komm, Jodie, verschweig mir nichts. Ich sehe dir an, dass dir irgendwas auf dem Herzen liegt. Du solltest das nicht in dich hineinfressen, ansonsten hat es Auswirkungen auf deine Arbeit.“ „Du kennst mich zu gut…“, murmelte Jodie. „Ach weißt du, der Phonetiker, der uns geholfen hat, hat was in mir ausgelöst. Mir ist aufgefallen, dass ihr alle irgendwas besonders gut könnt. Du bist ein toller Scharfschütze und hast Fahrkünste, von denen sich andere Agenten eine Scheibe abschneiden wollen. Camels Fähigkeiten liegen ebenfalls beim Fahren. Und dann noch die ganzen anderen Agenten, manche sind Zahlenkünstler, andere haben ein fotografisches Gedächtnis und und und… Ihr alle könnt etwas so gut. Und ich…ich bin eher nur Mittelmaß. Ich kann ein paar Sachen bisschen. Nichts, worauf ich mich spezialisiert hab oder womit ich euch besser helfen kann. Ich habe es schon früher bemerkt, aber es hat mich nicht so sehr gestört. Aber jetzt…“ Akai sah sie erstaunt an. Dann lacht er. „Shu! Das ist nicht lustig“, sagte sie. „Nicht lustig.“ „Entschuldige“, gab er von sich. „Aber das, was du gerade erzählst, ist der totale Schwachsinn. Wir können nur etwas, weil wir viel Zeit in unser Training investiert haben. Aber wir können nicht alles. Es gibt Dinge, in denen selbst ich nicht gut bin. Und du solltest nicht vergessen, dass auch du einige Dinge gut kannst. Du hast nicht nur eine Zeitlang verdeckt ermittelt, sondern dich auch sehr einfühlsam gezeigt. Du weißt, wie man mit Menschen umgeht und die Menschen mögen dich. Das darfst du nicht außer Acht lassen.“ „Du führst Dinge auf, die andere auch können. Und Empathie ist jetzt keine herausregende Fähigkeit…“ „Schießen und Fahren können auch viele Agenten“, konterte er. „Hör auf, dir zu viele Gedanken zu machen. Das bringt nichts, du kommst damit nur in einen Teufelskreis. Außerdem…“ „Außerdem?“, wollte Jodie wissen. „Außerdem bist du als Mensch einzigartig, Jodie.“ Sie errötete. „Shu…ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll…“, murmelte die Agentin leise. „Du musst gar nichts sagen, sondern aufhören, dir zu viele Gedanken zu machen.“ „Okay…ich gebe mir Mühe dabei.“ „Das wollte ich hören“, sprach er. „Ansonsten erinnre ich dich wieder daran.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)