Wie eine Zuckerstange von KiraNear ================================================================================ Kapitel 1: Wie eine Zuckerstange -------------------------------- Dreißig Sekunden lang. Es dauerte nur dreißig Sekunden, bis Nemila ihren beiden Gästen die Tür geöffnet hatte. „Da seid ihr zwei ja! Hach, ich freue mich so, euch zu sehen!“ Nemila quietschte vergnügt und ballte freudig ihre Hände vor der Brust zusammen. „Gerne doch und vielen Dank für die Einladung“, sagte Pepper dezent lächelnd, während er einen ersten Blick in das Innere des Hauses warf. Erst nach wenigen Sekunden bemerkte Nemila ihren Fehler und schob sich zur Seite. „Natürlich, ich sollte euch auch hineinlassen, wir können ja schlecht draußen feiern. Dazu wäre es viel zu kalt“, sagte sie, während sie ihre Freunde mit einer einladenden Geste ins Hausinnere hineinbat. Eine Bitte, der Juliana und Pepper nur allzu gerne nachgingen. Kaum waren sie mehrere Schritte hineingetreten, verschloss Nemila hinter ihnen die Haustür und führte sie zur Garderobe. Sofort nutzten ihre Gäste die Gelegenheit, sich ihrer warmen Winterkleidung zu entledigen. „Dein Zuhause ist… wirklich sehr groß. Ich habe mich ehrlich gesagt schon immer gefragt, wer in diesem riesigen Haus wohnt. Auf deine Familie wäre ich nie gekommen, das hätte ich eher dem Direktor Clavel zugetraut, oder Señora Sagaria.“ Beeindruckt ließ Pepper seinen Blick durch den Raum schweifen, der sich nur wenige Schritte entfernt erstreckte, und auch Juliana war nicht weniger überrascht. Als Nemila das bemerkte, wurde sie ein wenig rot im Gesicht, ein seltener Anblick für ihre beiden Gäste. „Nun ja, was soll ich sagen, meine Eltern wollten unbedingt in so einem großen Haus leben, und ich kenne es nun mal nicht anders“, sagte sie und fixierte den Boden mit ihrem Blick. Pepper dagegen verstaute die Handschuhe in seiner Jackentasche und klopfte Nemila sanft auf die Schulter. „Ach, mach dir da keine Gedanken, deshalb musst du dich doch nicht schlecht fühlen. Dann verdient deine Familie halt gut, na und? Dass man dich nicht besonders behandeln oder gar mit Samthandschuhen anfassen muss, das wissen wir doch schon längst.“ Kurz streckte er seinen Daumen mit einem viel zu breiten Grinsen in Nemilas Richtung. „Noch eine Sache, die ich damals in der Zone Null gelernt habe.“ Juliana, die sich bisher an dem ganzen Gespräch nicht beteiligt hatte, nickte nur zustimmend ihre Freunde an. Sie reichte Pepper ihre Jacke, da er näher am Kleiderständer stand als sie selbst. „Siehst du, Juliana hier ist auch der gleichen Meinung. Aber mal zu einem anderen Thema, hätten deine Eltern was dagegen, wenn ich Mastifioso und die anderen Pokémon herauslasse? Wenn ich schon Weihnachten feiere, dann möchte ich das nicht ohne sie tun.“ Ohne eine Antwort auszusprechen, packte Nemila Pepper am Handgelenk und zog ihn ein Stück weiter ins Haus hinein. Doch Worte waren ohnehin unnötig, angesichts der vielen Pokémon, die sich im Wohnbereich aufhielten. Petter konnte drei Pachirisu zählen, die auf den Tischen und Sofas herumturnten, wie auch ein Chaneira, welches ihnen freundlich zuwinkte. „Dort drüben haben wir auch noch welche. Das sind alles unsere Heim-Pokémon“, sagte Nemila und deutete in einen Gang hinein. Dort konnten ihre Gäste ein kleines Viscora sehen, wie auch ein Kaumalat, welche gerade von einem Angestellten mit Futter versorgt wurden. „Ich habe noch nie so viele Pokémon in einem Haus gesehen. Gehören sie deinen Eltern?“, wollte Juliana nun wissen, die den beiden ins Wohnzimmer gefolgt war. Nachdenklich sah Nemila sie an. „Das kann ich dir tatsächlich nicht sagen. Ich kenne all diese Pokémon schon seit ich ein kleines Kind bin. Meine Eltern lieben Pokémon, aber ob und wem sie gehören, darüber habe ich noch nie nachgedacht…“ Für einen Herzschlag dachte sie über diese Frage nach, beschloss jedoch, dass es keinen Sinn hatte über etwas nachzudenken, wofür sie nicht auf der Stelle eine Antwort erhalten würde. So schnappte Nemila sich ihre Freunde und zog sie zu den Sitzgelegenheiten, auf welche sie auch sofort deutete. „Hier, setzt euch hin, wohin ihr möchtet. Ob nun auf die große Couch oder eine der beiden Sofas… keine Angst, die Pachirisu teilen gerne“, sagte sie und die drei Elektronager gaben freudige Töne von sich. Als hätten sie Nemilas Worte verstanden und wollten dieser beipflichten. Pepper und Juliana sahen sich an, es war für sie beide vollkommen klar, dass sie sich für die Couch entscheiden würden. „Was ich jedenfalls damit vorhin andeuten wollte“, nahm Nemila das vorherige Gesprächsthema wieder auf, „hier laufen eine Menge Pokémon herum. Ich denke nicht, dass meine Eltern etwas dagegen haben sollten, wenn ihr die euren ebenfalls herumlaufen lasst.“ Pepper gab einen Seufzer der Erleichterung von sich, bevor er sechs Pokébälle hervorholte und diese nacheinander öffnete. Sofort erschien sein Team vor ihm, welches ihn gebannt ansah. Mastifioso ging auf ihn zu und zeigte ihm sofort seine Zuneigung, indem er seinen Kopf auf Peppers Knie legte. „Das wird das erste Mal sein, dass wir Weihnachten nicht mehr nur zu zweit feiern, mein alter Freund“, sagte Pepper und begann Mastifiosos Kopf zu streicheln. „Oder dass wir überhaupt sowas wie Weihnachten feiern…“ Mastifioso ließ ein lautes Bellen von sich, dabei schaute er seinem Trainer tief in die Augen. Wofür ihn Pepper noch intensiver am Kopf streichelte. „Du hast ja recht, wir sind hier, um eine schöne Zeit zu haben. Da sollte ich solche trübseligen Gedanken bleiben lassen“, sagte er, und sah sofort in Nemilas Richtung. „Mir hilft oft das Kochen, um auf andere Gedanken zu kommen. Wir sind hier zum Essen eingeladen… soll ich dir beim Kochen helfen? Das wäre kein Problem für mich“, sagte Pepper und begann bereits, die Ärmel nach oben zu schieben. Zu seiner Überraschung schüttelte Nemila nur mit dem Kopf. Welcher nun noch roter war als wenige Minuten zuvor. „Das ist nicht nötig, meine Eltern sind zwar heute nicht da, aber sie haben mehrere Angestellte hiergelassen, die sich um alles kümmern werden. Nicht nur um unser Essen, sondern auch um das all unserer Pokémon. Wenn ihr  etwas benötigt, müssen wir sie es nur wissen lassen und sie werden sich darum kümmern.“ Juliana, welche ebenfalls gerade dabei war ihr Team aus den Bällen herauszuholen, sah zu ihr hinüber. Nemila schien das Thema unangenehm zu sein, das konnte sie ihr an der Nasenspitze mehr als deutlich ablesen. Um es ihrer Freundin ein wenig zu erleichtern, wartete sie ab, dass das letzte ihrer Pokémon neben ihr erschienen war und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Nemila. „Wir können es doch auch so machen, wir versorgen unsere Pokémon selbst und die Angestellten nur uns. Dann musst du nicht so ein arg schlechtes Gewissen haben, kannst aber auch das Angebot deiner Eltern nutzen.“ Nemila schien über den Vorschlag nachzudenken, jedoch dauerte es nicht allzu lange, bis sie von der Idee begeistert war. Wieder faltete sie ihre Hände vor der Brust zusammen. „Dann machen wir das! Kommt mit, die Näpfe und das Futter stehen in der Küche, wir müssen sie nur noch abholen. Bei der Gelegenheit könnt ihr Marcos und Valentina eure Getränkewünsche nennen“, sagte Nemila, bevor sie sich vom Sessel erhob und ihren Gästen den Weg in die Küche zeigte.   ~   „Ich muss sagen, die Menüauswahl klingt sehr lecker. Etwas ungewöhnlich, aber lecker“, sagte Pepper, kaum waren ihnen die Getränke vorbeigebracht worden. Juliana dagegen sah zu, wie ihr Team sich gemeinsam das Futter teilte. Peppers Team ging es nicht anders, nur Mastifioso bevorzugte es, sein Mahl neben seinem Trainer selbst einzunehmen. Dass er dabei von Pepper am Rücken gekrault wurde, schien ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Nahrungsaufnahme zu sein. „Wie es wohl Penny so geht? Sie und ihre Freunde sind doch zu Besuch bei Verwandten, nicht wahr?“, fragte Nemila und nippte an ihrer Tasse. Zu warten, bis der Tee nicht mehr zu heiß zum Trinken war, passte der energiegeladenen Trainerin überhaupt nicht. „Das hat sie mir auch erzählt, dass sie die Weihnachtsfeiertage in Galar verbringen werden. In ihrer Heimatstadt Keelton, um genau zu sein“, sagte Juliana, während sie immer wieder vorsichtig ihren Tasseninhalt anpustete. Wofür sie einen neugierigen Blick von Pepper erntete. „Stammen du und deine Mutter nicht auch aus Galar? Meine mich zu erinnern, dass ihr damals aus der Region hierhergezogen seid“, sagte er, während er einen der Löffel von Tisch nahm und damit in seiner Tasse rührte. Juliana nickte ihn zustimmend an, bevor ihr die Tasse zu heiß zum Halten wurde und sie diese wieder auf dem Tisch vor sich abstellte. „Oh, dann kennst du Cosima sicher von früher!“, schlussfolgerte Nemila aus heiterem Himmel. Während Pepper sie erst mit einem ungläubigen, dann einem nachdenklichen Gesichtsausdruck ansah, schüttelte Juliana deutlich mit dem Kopf. „Nein, ich habe sie erst hier in Paldea kennengelernt, zumal Galar auch nicht gerade klein ist. Wir beide stammen zwar aus Galar, aber nicht aus der gleichen Stadt. Meine Mutter und ich haben zuvor in Turffield gewohnt.“ Sie holte ihr Smartrotom hervor, suchte eine Karte von Galar heraus und zeigte sie ihren Freunden. „Allerdings, so weit voneinander waren wir nicht. Seht ihr, Turffield und Keelton sind durch die Route Fünf verbunden.“ Gebannt blickten die beiden auf Julianas Smartrotom, bis diese es wieder in den Standby schickte und zurück in die Hosentasche verschwinden ließ. „Schon verrückt, meinst du nicht? Da stammt ihr beide aus der gleichen Region und lernt euch erst in einer anderen kennen. Das muss man auch erstmal erlebt haben“, sagte Nemila, während sie sich wieder auf ihrem Sessel zurücksinken ließ. „Das ist wirklich ein interessanter Zufall. Auf der anderen Seite, hier habt ihr euch doch auch nur durch diese ganze Team-Star-Angelegenheit kennengelernt, wer weiß, wie es in Galar gewesen wäre. Vielleicht habt ihr euch doch schon mal gesehen und nur ignoriert, weil ihr kein gemeinsames Ziel hattet?“ Juliana begann über Peppers Worte nachzudenken, doch je mehr sie seine Worte abwog, desto mehr Sinn ergaben sie in seinen Augen. Ohne Team Star hätten sie keinerlei Berührungspunkte gehabt, der für den Beginn einer Freundschaft gesorgt hätte. Zumal sie in Galar kein einziges Pokémon hatte, während Cosima bereits ihr vollständiges Veevee-Team besessen haben musste.   Doch sie kam nicht dazu, ihre Gedanken auszusprechen, als sich ihnen zwei Bedienstete von der Seite näherten. „Wenn es Ihnen genehm ist, würden wir der werten Dame und ihren Gästen gerne den ersten Gang servieren. Möchten Sie hier im Wohnzimmer dinieren oder bevorzugen Sie es, das Esszimmer zu nutzen?“ Nemila sah ihre Freunde abwechselnd an, mit einem nervösen Lächeln auf den Lippen. „Wenn es euch nichts ausmacht, würde ich gerne rüber in das Esszimmer gehen. Nicht, dass ich nicht essen kann, aber als ersten Gang gibt es Suppe und wenn ich wieder etwas davon auf dem Teppich verschütte, wird Mama fürchterlich mit mir schimpfen…“ Dabei kratzte sie sich verlegen am Hinterkopf und wurde ein weiteres Mal an diesem Abend rot im Gesicht. „Bei der Tischunterlage wäre es nicht so schlimm, die kann man waschen.“ Für ihre beiden Freunde stand die Entscheidung dementsprechend sofort fest. „Das Esszimmer ist in Ordnung, ich denke, wir können unsere Pokémon für einen Moment allein lassen. Zumal sie sowieso größtenteils mit sich selbst beschäftigt sind.“ Pepper sah zu Mastifioso herunter, dieser ließ seinen Kopf seitlich hängen und erwiderte den Blickkontakt. Dann gab er ein kurzes, aber lautes Bellen von sich. „Ich könnte Ihrem Pokémon auch eine kleine Schüssel Wasser oder Suppe zur Verfügung stellen, die es dann neben Ihnen im Speisezimmer zu sich nehmen kann, Señor Pepper“, sagte einer der Angestellten, was Pepper für einen kurzen Augenblick zurückschrecken ließ. „Ja, ich denke, eine kleine Schüssel Suppe könnte ihm nicht schaden, mein Mastifioso hat immer einen größeren Appetit als die anderen. Er verausgabt sich aber auch mehr… um was für eine Suppe handelt es sich denn?“ Dabei versuchte er sich hinter seiner Locke so gut es ging zu verstecken. Der Bedienstete ging nicht näher darauf ein, sondern stand dem jungen Trainer lieber Rede und Antwort. „Nun, wir servieren heute auf Wunsch von Señora Macula eine selbstgemachte Makronensuppe, fein püriert, sodass Ihr geehrtes Mastifioso keine Probleme beim Essen dieser haben sollte“, sagte der Angestellte und deutete mit einer Verbeugung die Richtung an, in welche er seine Gäste führen möchte. Zerknirscht wie auch peinlich berührt sah Nemila ihre Freunde an, bevor sie das Wort an sich riss. „Gut, dann sollten wir mit dem Essen nicht so lange warten, nicht wahr? Ich bringe euch auch rüber, wir nehmen auch unsere Getränke mit. Danke dir, Javier“, sagte Nemila in der Hoffnung, die Situation so schnell wie möglich hinter sich zu bekommen. Eine unausgesprochene Bitte, der ihre beiden Freunde schnell nachgingen, indem sie ihre Tassen schnappten und zu dritt Nemilas eiligen Schritten folgten.   ~   „Ich muss zugeben, das war das erste Mal, dass ich eine derartig leckere Makronensuppe gegessen habe. Oder überhaupt Makronen“, sagte Pepper, als sie nach einer Weile wieder zurück ins Wohnzimmer gegangen waren. Juliana strich sich zufrieden über den Bauch und nickte stumm. Nemila dagegen beobachtete ihre Freunde zufrieden, bevor sie sich wieder auf den Sessel setzte. „Deinen Koch muss ich unbedingt nach dem Rezept fragen. So wie mein Mastifioso die Suppe heruntergeschlungen hat, fand er sie wohl außerordentlich lecker. Ich könnte mir vorstellen, sie öfters auf seine Speisekarte zu nehmen“, sagte Pepper und holte mit eifrigen Gesten sein Smartrotom hervor. Doch bevor er sich auf den Weg machen konnte, hielt ihn Nemila zurück. „Das kannst du gerne machen, aber bitte nicht jetzt. Er ist gerade dabei das Hauptgericht zuzubereiten und mag es gar nicht, wenn man ihn bei der Arbeit stört. Glaub mir, ich habe das schnell genug herausgefunden, inklusive der Konsequenzen.“ Ihr peinlich berührter Blick sprach Bände und Pepper verstand sofort, was seine Freundin meinte. „Aber ich kann ihn morgen gerne fragen, ob er mir eine Kopie des Rezepts macht, und ich bringe sie dann zu dir. Du bist doch noch in der Schule, oder?“ Pepper nahm einen großen Schluck aus seiner Tasse und stellte sie auf dem Tisch ab. „Auf jeden Fall, entweder bin ich morgen wieder in der Kantine oder in der Bibliothek, um mich nach neuen Rezepten und Mythen umzusehen. Zur Not ruf mich an und ich komm dann zu dir.“ „Abgemacht!“ Zufrieden lehnte sich Nemila zurück, dicht an die Lehne ihres Sessels und tippte kurz auf dem Bildschirm ihres Smartrotoms herum. Nur wenige Minuten später kam eine der Angestellten und füllte die Tassen der drei Schüler mit neuem, warmen Tee auf. „Vielen Dank, der Tee schmeckt heute wieder sehr gut“, lobte Nemila die junge Dame, bevor diese wieder in Richtung Küche verschwand. Dann sah sie unsicher von Juliana zu Pepper und wieder zurück, die Worte lagen ihr auf der Zunge. Doch sie auszusprechen, dafür schien ihr der Mut zu fehlen. Selbst, wenn sie irgendwann den Mut gefunden hätte, die Gelegenheit dazu war längst verstrichen.   Gerade, als sie dabei war, ihre Gedanken zu sortieren und in Worte zu fassen, klopfte es laut und kräftig an der Haustür. Verwirrt blickten die drei Freunde erst zur Tür, dann sich gegenseitig an. „Wer könnte das sein?“, wollte Pepper wissen, doch Nemila zuckte mit den Schultern. „Meine Eltern und meine Schwester können es schon mal nicht sein, die hätten mir schon längst Bescheid gegeben, wenn sie gekommen wären. Die sind alle drei nicht sonderlich spontan und planen ihr ganzes Leben vor. Zumindest fühlt es sich so an…“ Nemila sah nun Juliana nachdenklich an. „Könnte es vielleicht deine Mutter sein?“ Doch Juliana schüttelte mit dem Kopf. „Nein, meine Mutter kann es auch nicht sein, sie ist wie Cosima nach Galar geflogen, um mit unseren Verwandten zu feiern.“ Ihrer beide Blicke wanderte nun zu Pepper, welcher abwehrend die Hände hob. „Seht mich nicht so an, meine Mutter kann es auf keinen Fall sein, dass wisst ihr genau. Und ich bin alt genug, um nicht an irgendwelche Weihnachtswunder zu glauben.“ Er verschränkte die Arme vor seiner Brust, die Strähne vor seinem Gesicht wippte energisch umher. „Nein, ich bin mir sicher, dass es eine ganz simple Erklärung gibt. Nur, wenn keiner von uns die Tür aufmacht, dann werden wir es auch nicht herausfinden.“ Das schien alle drei zu überzeugen, und so erhob sich Nemila aus ihrer gemütlichen Sitzposition. „Bliebt ruhig sitzen, ihr seid meine Gäste. Passt lieber auf, dass die Pachirisu meinen Tee nicht stehlen“, sagte sie und ging den Flur hindurch zur Haustür, um diese mit einer schwungvollen Geste zu öffnen. Ein paar Sekunden lang herrschte Stille. Neugierig versuchte Pepper einen Blick auf den dritten Gast zu erhaschen, doch er von seiner Sitzposition aus kaum in den Flur hineinsehen. Erst, als Nemila mit der Person zu ihnen ins Wohnzimmer zurückkehrte, begannen sich seine Augen zu weiten. „Was ist denn los, du siehst aus, als hättest du ein merkwürdiges Pokémon gesehen…“, stellte Juliana verwundert fest. Sie drehte sich auf der Couch um, legte ihre Arme auf die Rückenlehne und konnte ihren Augen kaum trauen. Der Anblick, der sich ihr bot, konnte auch nur als grotesk beschrieben werden. Vor ihr stand ein leicht älterer Mann, mit einem roten Weihnachtsmantel und einer viel zu langen roten Bommelmütze. Sein halbes Gesicht wurde von einem weißen Rauschebart bedeckt. Zumindest wäre dies der Fall, hätte der Mann den Bart enger um seinen Kopf gebunden. Auf diese Art hing er zu tief und bedeckte größtenteils nur das Kinn, spärlich den Rest darüber. Über seine Schulter hatte er einen großen, braunen Sack geworfen, welcher keinen allzu schweren Eindruck machte. Diesen stellte er auf dem Boden ab. Es war mehr als offensichtlich, wer sich das Kostüm übergestreift hatte. Allein schon die ganze Ausstrahlung schrie nach Señor Clavel. „Ho Ho Ho, meine lieben Kinder!“, begrüßte sie der „Weihnachtsmann“ und winkte jedem einzelnen von ihnen zu. Juliana und Nemila winkten unsicher lächelnd zurück. Pepper dagegen schaffte es weniger, seine Meinung hinter dem Berg zu halten. „So hatte ich mir den Weihnachtsmann aber nicht vorgestellt.“ Selbst Mastifioso wusste nicht, was er von der ganzen Situation halten sollte. Er bellte mehrere Male, um seiner Verwirrung Ausdruck zu verleihen und beruhigte sich erst, als Pepper ihm aufmunternd den Kopf tätschelte. „Mach dir keine Sorgen, das ist… nur der Weihnachtsmann. Der tut uns nichts, auch, wenn er ein wenig magerer als üblich aussieht“, sagte Pepper, um seinen besten Freund zu beruhigen. Dieser schleckte ihm mehrfach die Hand ab. „Schön, dass du dich besser fühlst.“ Dann begann Pepper, seine Hand mit einem Taschentuch abzutrocknen und holte aus der gleichen Hosentasche eine kleine Tube mit Desinfektionsmittel heraus, welche er gleich nutzte. Mit einem Räuspern zog der Weihnachtsmann sämtliche Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Nun denn, wie ich sehen kann, sind auch alle anwesend. Bis auf die kleine Cosima, doch das ist kein Problem. Schließlich kann der Weihnachtsmann jederzeit und überall auftauchen, das weiß doch jedes Kind in Paldea, nicht wahr? Regionsgrenzen sind keine Herausforderungen für mich, Ho Ho Ho!“. Dabei stimmte er in sein eigenes Lachen ein, was bei den dreien nur ein müdes Lächeln hervorbrachte. „Allzu lange möchte ich euch auch nicht auf die Folter spannen, ihr seid doch sicherlich gespannt, was ich euch vorbeigebracht habe… vorausgesetzt, dass ihr ganz artige Kinder wart!“ Sofort holte er aus einer seiner Manteltaschen eine lange Liste hervor, entrollte sie und begann darauf etwas zu suchen. „Achja, da stehen eure Namen ja, Pepper, Juliana und Nemila, schön, dann bekommt ihr alle drei wunderschöne Geschenke von mir.“ Kaum war das lange Stück Papier wieder zusammengerollt und im Mantel verstaut, nahm er mit der anderen Hand den Sack wieder an sich und begann darin zu suchen. „Bitte schön, hier sind eure Geschenke. Ich hoffe doch sehr, dass sie euch eine große Freude machen werden! Ho Ho Ho!“ Allen dreien hatte er ein kleines, in Geschenkpapier eingewickeltes Päckchen gegeben, welches sie neugierig ansahen. Gleichzeitig begannen sie vor Vorfreude zu lächeln und sahen dem Weihnachtsmann direkt in die Augen. „Vielen Dank, Papá Noel“, sagten sie in fast perfektem Einklang, worüber sich der Weihnachtsmann sichtlich erfreute. „Ich werde mich dann auch wieder empfehlen, andere Kinder warten darauf, von mir mit einem Geschenk belohnt zu werden. Also dann, fröhliche Weihnachten und immer schön artig bleiben, nicht wahr?“ Mit einem schnellen Griff schnappte sich der Weihnachtsmann seinen braunen Sack, rückte seine Brille zurecht und verließ das Haus so eilig, wie er es wenige Minuten zuvor betreten hatte.   Ein wenig verdutzt blickten die drei Freunde die geschlossene Haustür an, bevor sie sich ungläubig in die Augen blickten. „Sagt mal, das war doch Señor Clavel, oder täusche ich mich etwa?“, fragte Nemila, doch ihre Tonlage verriet, dass sie nach wie vor verwirrt war. „Ja, ich schätze das war er.“ „Das war er definitiv.“ Julianas Blick festigte sich und sie sah ihre Freunde entschlossen an. „Glaubt mir, man könnte sagen, ich bin eine Expertin, was seine Verkleidungen angeht.“ Pepper und Nemila sahen ihre Freundin beeindruckt an, dann entschiedenen sie sich ohne groß Worte zu verlieren, wieder ins Wohnzimmer zurückzugehen. „Was glaubt ihr, was er uns wohl zu Weihnachten geschenkt hat?“ Kaum saß Nemila wieder auf ihrem Platz, schüttelte sie leicht ihr Geschenk und begann daran zu lauschen. „Nicht, sonst machst du es noch kaputt!“ „Ach was, das bisschen Schütteln wird es schon aushalten.“ Pepper seufzte vor sich hin. „Gut, aber beschwere dich nicht, wenn dein Geschenk am Ende doch kaputtgegangen ist.“ „Dann wäre es aber kein gutes Geschenk“ „…“ Pepper sah Nemila mit gemischten Gefühlen an, schien sich aber sämtliche Worte zu sparen und schüttelte lieber stumm mit dem Kopf. Nemila dagegen bekam davon nichts mit, sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihr eigenes Geschenk auszupacken. Lautes Papierrascheln erfüllte den Raum, als sich Pepper und Juliana dem Vorhaben ihrer Freundin anschlossen. Es dauerte nicht lange, bis Nemila mit ihrem Geschenk fertig war. „Seht doch mal, seht doch mal! Der Weihnachtsmann hat mir eine neue Brusttasche mitgebracht, nachdem mir die alte neulich in der Zone Null kaputt ging!“, sagte Nemila voller Begeisterung und hob ihr Geschenk hoch, damit ihre Freunde es ebenfalls betrachten konnten. „Wow, die sieht wirklich klasse aus. Und mit den dunkelgrünen Details passt sie auch perfekt zu deiner Frisur“, sprudelte es aus Juliana nur so heraus. „Ja, nicht wahr? Wie, als wäre sie für mich gemacht… dann hatte Señor Clavel am Ende doch mehr gesehen, als ich dachte. Ich habe ihn nach der Trainingseinheit im Schulflur getroffen, dachte aber, er wäre viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.“ Nemila legte ihre Stirn in nachdenkliche Falten. „Offenbar war er doch aufmerksamer als ich dachte.“ „Ganz ehrlich, das Gefühl habe ich langsam auch“, sagte Pepper, der nun ebenfalls mit dem Auspacken fertig war und ein Buch hochhob. „Ist das ein Kochbuch? Wie passend!“, sagte Nemila und grinste Pepper an. Dieser ignorierte es und blickte stattdessen selbst das Buch an. „Vermutlich ist dem Direktor aufgefallen, dass ich mir das Buch hier in letzter Zeit öfters angesehen habe, es ist eins der besten, die die Schulbibliothek zu bieten hat. Leider ist es eins aus der Galar-Region, was bedeutet, dass es bei uns nur schwer zu bekommen ist.“ Mit einem prüfenden Blick sah sich Pepper jede Ecke und Kante des Buches an, blätterte vorsichtig darin und roch an den noch frischen Buchseiten. „Das hier ist ein nagelneues Exemplar, das sich bisher noch nicht in vielen Händen befunden hat. Es kann gar nicht anders sein. Das ist doch verrückt, vollkommen verrückt.“ Pepper schnaubte abfällig, dann drehte er seinen Kopf weg. Juliana konnte noch für einen kurzen Moment seinen hochroten Kopf sehen, bevor die Sicht von seinen langen Haaren verdeckt wurde. „Während Pepper kocht wie ein Dampfbad, zeig mir doch mal, was du vom Weihnachtsmann bekommen hast“, sagte Nemila neugierig und rückte auf dem Sessel ein Stück in Julianas Richtung. Diese riss das letzte Stück Geschenkpapier ab und betrachtete staunend ihr Geschenk. Nemilas Augen fingen zu glitzern an. „Ach du meine Güte, weißt du was das ist? Das ist eine sehr hochwertige Pinnwand, mit Samt und Glas und allem Drum und Dran. Darin kannst du deine Orden aufbewahren und sie dann in deinem Akademiezimmer aufbewahren, ganz genau wie ich!“ Neugierig stand Nemila auf, umrundeten den Tisch und sah sich Julianas Geschenk aus der Nähe an. „Aber deine Pinnwand scheint größer zu sein. Ergibt auch Sinn, immerhin hast du viel mehr Orden gesammelt als ich. Nicht nur die Orden der Arenen, sondern auch die der Bandenanführer.“ „Und auch die Orden, die ich ihr geschenkt habe, als Dankeschön für die Hilfe mit den Geheimgewürzen.“ Pepper, dessen Gesicht nur noch ein Hauch von Rosa zierte, hatte sich wieder zu ihnen zurückgedreht und sah sich Julianas Geschenk nun ebenfalls an. „Wie bitte, so viele Orden hast du? Na, hoffentlich passen die da auch alle rein…“ „Ich bin mir sicher, der Direktor… ähm, der Weihnachtsmann wird sich schon was dabei gedacht haben.“ „Ja, das denke ich ebenfalls. Es ist eine schöne und durchdachte Geste, bei allen von uns. Was er wohl Cosima geschenkt hätte, wenn sie hier gewesen wäre?“ Sie mussten nicht lange überlegen, bis sie auf eine Lösung kamen. „Ein Evoli-Plüschtier!“ „Nein, ein Kissen von einer der Weiterentwicklungen, die sie nicht besitzt.“ „Wie wäre es mit einem Poster, auf welchem Evoli mit allen Entwicklungen zu sehen ist?“ Bei Julianas Einwurf begannen sie alle zu lachen, hielten sich die Bäuche und wischten sich einzelne Lachtränen aus dem Gesicht. „Ihr seid echt herrlich, hat euch das schon jemand mal gesagt?“, fragte Nemila in den Raum, kaum, dass sie wieder zu einer normalen Atmung zurückgefunden hatte. Juliana wollte etwas darauf erwidern, als ein lautes Magenknurren sie dabei unterbrach. Auf der Suche nach der Ursache des Geräuschs blickten sie durch den Raum, bis sie an Nemila hängen blieben. Dieses Mal war sie es, die ein puterrotes Gesicht bekommen hatte. „Wenn ich die werten Damen und Herren für einen Augenblick in ihrem Gespräch unterbrechen dürfte, der Hauptgang wäre nun bereit und könnte nun serviert werden.“ „Was für ein passendes Timing. Ja dann, dann sollten wir uns das auf keinen Fall entgehen lassen, nicht wahr, Fräulein Nimmersatt?“, neckte Pepper seine Freundin ein klein wenig. „Nimmersatt? Ich doch nicht… lass uns lieber rübergehen, ja?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, legte sie Julianas Geschenk auf dem Tisch ab. Anschließend nahm sie die beiden an ihren Händen und führte sie in den Nebenraum. Dass auch diese ein Lächeln auf den Lippen trugen, entging Nemila dabei nicht. „Frohe Weihnachten, wünsche ich euch beiden“, sagte sie, schaffte es aber nicht mehr, ihnen in die Augen zu sehen. „Ebenfalls frohe Weihnachten, Nemila“, antworteten ihre beide Freunde gleichzeitig, bevor sie sich von ihr in den Nebenraum führen ließen. Hosted by Animexx e.V. 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