How To Save A Life von Hypsilon (Haikyuu Krankenhaus AU RairPairs on the Run) ================================================================================ Kapitel 11: Five Stages of Grief -------------------------------- Wenn jemand stirbt, sprechen wir unser Beileid aus. Wir kondolieren der Familie des Patienten. Wir sagen „Mein aufrichtiges Beileid“. Es ist eine Standardphrase. Völlig inhaltsleer. Es würdigt nicht mal annähernd, was die anderen durchmachen. Wir drücken Mitgefühl aus, ohne selbst den Schmerz empfinden zu müssen. Es schützt uns davor, diesen Schmerz zu spüren. Diesen dunklen, sich niedersenkenden, unnachgiebigen Schmerz, der einen am lebendigen Leib auffrisst. Wir sagen „herzliches Beileid“. Und hoffen, dass es Trost gibt. Ein bisschen Unterstützung. Ein bisschen Frieden. Eine kleine Hilfe, abzuschließen. Etwas Positives. Ein kleines Stück Schönheit mitten in der Dunkelheit. Ein unerwartetes Geschenk. Dann, wenn man es am meisten braucht. *** Man hat Dr. Sakusa Beileid ausgesprochen Es tat leid, dass Atsumu bei der Operation gestorben ist. Für Kenma war es fraglich, ob diese Worte halfen oder in irgendeiner Weise ein Geschenk waren. Schönheit, Hoffnung… Das wirkte falsch und heuchlerisch. Aber er schirmte sich damit ab. Es war, als hätte er seine Pflicht getan und er schützte sich damit, das Leid eines anderen, eines Fremden gar, zu nahe an sich herankommen zu lassen. Es schützte ihn davor, sich nicht selbst zu viele Gedanken zu machen, über den Verlust einer geliebten Person. Auch wenn Kenma der Meinung war, dass er so einen Menschen, den er so sehr liebte, wie Dr. Sakusa Atsumu geliebt hat, gar nicht hatte. Er wusste, es würde ihm das Herz zerreißen, würde er Kuroo verlieren und ein kleiner Teil in ihm würde wohl in ewiger Dunkelheit versinken, wüsste er, Iizunas helles Lächeln würde niemals wieder strahlen. Seine Eltern eines Tages beerdigen zu müssen, war unausweichlich. Der Gedanke daran war kein schöner. Aber er vertiefte sich nicht weiter in derlei Überlegungen, immerhin würde er es nicht verhindern können. Dem würde er nur entkommen können, wenn er- „Kenma?! Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte Kuroo. Kenma hat sich nach seiner Nachtschicht und dem Besuch in der Pathologie noch etwas zu essen genommen als Kuroo mit seinem Toast schon fast auf dem Weg nach draußen war. „Natürlich… du hast dich gewundert, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Zwillinge dieselbe Autoimmunkrankheit haben können, aber diese so unterschiedlich im Ausbruch sein kann“, wiederholte Kenma und sah in Kuroos weiterhin entsetzte Augen. Der Ältere hat am vergangenen Tag bei Dr. Udai assistiert und war schockiert über den Zustand, den Osamus Leber hatte. Genauso wie Dr. Udai und die anderen Ärzte und auch Assistenten. Die zwei Wochen alten Scans waren einwandfrei und Osamu hatte keine Anzeichen einer Änderung gezeigt, wie also konnte es soweit kommen, dass die Leber akut so entzunden war, dass sie kollabierte? „Das und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Yakkun und Yamagata einen Unfall haben. Zum Glück ist ihnen nichts passiert außer ein paar Schrammen und einer Platzwunde“ Kuroo fuhr sich mit den Fingern angespannt durchs Haar. Kenma hob den Kopf. „Die Wahrscheinlichkeit ist wohl gering, aber nicht null“, sagte er trocken. Kuroo schnaubte. „Manchmal regt mich deine Gleichgültigkeit richtig auf“, sagte er harsch. Kenma blinzelte. Er neigte den Kopf leicht zur Seite aber hielt den Blickkontakt aufrecht, auch wenn er das nicht gerne mochte. „Ich bin nicht gleichgültig, Kuro. Als ich gestern Nacht meine Schicht angefangen hab, hat mir Dr. Sakusa alles erzählt und weißt du, wie niedergeschmettert er war? Ich konnte ihm nach der Schicht nicht einmal abschlagen, mit in die Leichenhalle zu gehen. Das war so unangenehm anzusehen“, sagte er und Kuroo schnaubte wiederholt. „Unangenehm anzusehen? Hast du dir mal vorgestellt, wie schrecklich es ist, jemanden zu verlieren, den man liebt? Ich mein… oder stell dir vor, mir passiert sowas, wärst du nicht traurig und am Boden zerstört?“, fragte er. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er die Antwort eigentlich gar nicht wissen wollte. „Das ist nicht vergleichbar“, konterte Kenma. „Natürlich nicht. Das hast du sehr deutlich gemacht“, sagte Kuroo lauter. Die Tür schlug mit einem lauten Knall zu und Kenma blieb alleine am Frühstückstisch zurück. Er hat es ihm deutlich gemacht. Damals. Vor Jahren schon. Aber jetzt war es nicht an der Zeit, darüber nachzudenken. Er musste ins Bett, schnell, bevor Terushima aufstand und ihn direkt auf seine Worte ansprach. Denn dafür hatte er auch gar keine Energie mehr und die brauchte er. Am Abend stand eine Doppelschicht an, die ihn bis zum Nachmittag des nächsten Tages im Krankenhaus behalten würde. - Das Erste, das er zu Beginn der Schicht sah, war nicht etwa Tsukishima, mit dem er diese teilte, sondern Dr. Suna, der unruhig und nervös vor der Intensivstation auf und ab ging. So wie Dr. Sakusa ihm erzählt hatte, hegte der Herzspezialist eine Beziehung zu dem überlebenden Zwilling. Eine komplizierte wohl. Osamu war seit der Operation noch nicht aufgewacht, aber das war unter den Umständen etwas ganz Normales. Er war einer enormen Belastung ausgesetzt. Transplantationen waren schwere Eingriffe in den Körper. Da bedurfte es nicht nur der Heilung der Nähte und der Anpassung des Gewebes. Bei einer Transplantation musste ein neues Organ vom Körper angenommen werden. Verheerend, es würde abgestoßen. Das nächste Mal, dass er Dr. Suna wieder sah, war als er nach einer ereignislosen Nacht mit Tsukishima ihren letzten Stopp wieder auf der Intensivstation machte. Danach würde er sich planmäßig bei Dr. Komori für die morgendliche Visite melden und Tsukishima würde zu Dr. Iwaizumi gehen. Tsukishima. Kenma konnte den großen Assistenzarzt mit der Brille schwer einschätzen. Zwar mochte er an ihm, dass er keinen unnötigen Smalltalk führte und gewissenhaft arbeitete, aber der verurteilende Blick, den er stets aufgesetzt hatte, mochte ihm nicht gefallen. Er fragte sich, wie jemand wie Yamaguchi so gut mit ihm befreundet sein konnte, dachte dabei aber auch an sich und Kuroo, die eigentlich nicht unterschiedlicher hätten können. Nun ja, ganz so wie Kuroo und er waren die beiden wohl nicht. Aber das war eine andere Geschichte über die Kenma schon lange nicht nachgedacht hatte und er wollte an diesem Tag nicht wieder damit anfangen. Als die beiden die Station betraten, war es still wie immer. Man hörte die metronomartigen Geräusche der Vitalmessgeräte. Die Patienten schliefen und da war es meist egal, ob es Nacht war oder Tag. Dr. Suna saß auf einem Stuhl neben Osamus Bett und war halb über ihn gebeugt. Sein langsamer Atem verriet, dass er schlief. Kenma tat der Anblick leid, auch wenn er für Dr. Suna nicht viel Mitgefühl aufbringen konnte. Aber der Anblick erinnerte ihn an seinen Mentor, der sich verkrampft an Atsumus Leichnam geklammert hatte und die Realität verdrängen wollte. Rasch wandte er sich zu Tsukishima und bat ihn, die letzten Übertragungen ohne ihn zu machen und verließ die Intensivstation. Es wühlte ihn unangenehm auf. Am Stützpunkt der Chirurgie traf er bereits Akaashi vor der großen Tafel, auf der die Operationen und Eingriffe für den Tag gelistet waren. Operationssaal | Uhrzeit | Dauer | Patient | Eingriff | Chirurg | Assistenz | Anästhesist „Dr. Sakusas Aneurysma wird ja von Dr. Nekomata gemacht“, erkannte Kenma überrascht. Akaashi neigte den Kopf mit seichter Verwunderung zu ihm um. „Dr. Sakusa hat sich auf ungewisse Zeit freistellen lassen, kein Wunder“, seufzte er und da schlug es auch bei Kenma ein. Dr. Sakusa war nicht der unmenschliche perfekte Mentor, für den er ihn gehalten hat. Er war ein Mensch wie jeder andere. Es sollte ihn nicht überraschen und dennoch war er wie vor den Kopf gestoßen. „Wie lange, denkst du, ist er weg?“, fragte er. „Schwer zu sagen, Kozume. Jeder trauert anders. Konoha und ich sind zwar noch nicht so weit, aber ich glaube, ich würde mich Wochen lang unter einer Decke verkriechen“ Die Antwort war unzufriedenstellend. Kenma schnaubte. Nicht abwertend. Er war enttäuscht von der Gesamtsituation und konnte sie selbst nicht so recht begreifen. „Ich weiß nicht, wie es ist“, sagte er. Er vermutete im Stillen, dass er mit so viel Trauer nicht zurechtkommen und sie in Arbeit ertränken würde. Ablenkung war in seinen Augen die beste Entscheidung. Naheliegend wäre auch, dass er in einem seiner Videospielen versinken würde. „Das mag nun gut oder schlecht sein. Ich weiß auch gar nicht, ob ich es dir wünschen soll. Nur eines weiß ich. Liebe kann richtig schön sein“, sagte Akaashi mit dem Hauch eines Lächelns. „Und kompliziert und schwer und traurig und einem geht es immer schlecht“, erwiderte Kenma darauf. „Das ist keine besonders schöne Einstellung“, bemerkte Akaashi, aber die beiden ließen das Thema so vor sich stehen. Akaashi würde Kenma nicht von der Liebe überzeugen wollen und Kenma wollte nicht näher darauf eingehen. Und es funktionierte. Sein Kollege verstand ihn. Kenma warf noch einmal einen Blick auf die Tafel. Es war ihm ein Dorn im Auge, dass Dr. Nekomata nun den Eingriff machte, den er mit Dr. Sakusa gemacht hätte. Aber noch mehr ärgerte ihn, dass der Chefarzt der Neurochirurgie seinen eigenen Lieblingsassistenzarzt aufgestellt hatte. Somit fiel nicht nur der Mentor für Kenma weg, sondern die gesamte Erfahrung. Verdammter Shirabu! Der war ihm schon länger ein Dorn im Auge „Irgendwie ist es hier richtig kalt, hat jemand bei der Klimaanlage herumgespielt?“, fragte Yamaguchi plötzlich hinter ihnen und machte eine Bewegung als würde ihm frösteln. Weder Kenma noch Akaashi reagierten darauf. Da kam also die kurzweilige Kälte her. „Dann… wollen wir zur Visite? Dr. Iwaizumi ist sehr pünktlich, wenn wir nicht rechtzeitig da sind, müssen wir in die Tagesklinik und die komischen Sachen machen“, wollte er den beiden Beine machen. Kenma wunderte sich für einen Moment darüber, dass sie zu einem anderen Stationsarzt mussten. Hatte er etwas versäumt? „Wusstet ihr, dass Dr. Komori und Dr. Sakusa verwandt sind? Er ist bei ihm… Schrecklich. Einfach schrecklich. Könnt ihr euch das vorstellen, wie schlimm, das sein muss?“, klärte Yamaguchi einerseits die Umstände auf und stellte andererseits eine Frage, die Kenma umgehend mit einem knappen aber bestimmten „Nein“ beantwortete. Wieder herrschte Stille und vermehrt Kälte zwischen ihnen. Ein Zustand, den Terushima umgehend geändert hätte, stünde bei ihm heute nicht der Wechsel in die Nachtschicht an. Kenma erinnerte sich, wie sich sein Mitbewohner darüber beschwer hat, weil er diese Schicht nicht mochte. Sie war langweilig und das einzig Spannende waren Aufeinandertreffen mit Dr. Tendou und die fand er sogar oft etwas gruselig. Punkt acht Uhr standen sie gemeinsam mit Shirabu und Tsukishima vor dem ersten Krankenzimmer. Yachi hatte den selben Schichtwechsel wie Terushima und würde die Runde nicht begleiten. Vermutlich saß sie mit ihren Frühstück bei Kawanishi und erzählte ihm die neuesten Erkenntnisse. Wer auch immer heute mit ihr wechselte, würde ihm wohl auch erzählen, dass Kageyama zu spät gekommen war und in die Tagesklinik verbannt wurde. „Was für ein Pech aber auch“, sagte Tsukishima mit einem selbstgefälligen Grinsen als der Kollege weggeschickt wurde. Die Runde startete bei einer Patientin, die bereits seit über zwei Monaten im Haikyuu Medical Hospital war und die von der Motorradfahrerin zur Rollstuhlfahrerin geworden ist. „Wie fühlen Sie sich heute, Kaede?“, fragte Dr. Iwaizumi. Die Patientin schnaubte. „Hervorragend“ Kenma stockte bei dem gewaltigen Sarkasmus in der Stimme der Atem. So sprach niemand mit Dr. Iwaizumi, nur Dr. Oikawa. Nun gut, er konnte das eigentlich nicht gut beurteilen, aber so wie auch Kuroo bereits von ihm erzählt hat und seine anderen Kollegen bestätigt hatten, war Dr. Iwaizumi kein Arzt, mit dem man blöde Scherze machte, man kam ihm nicht zynisch oder war sarkastisch. Man war höflich, korrekt und folgsam. Und das war, wie Kenma fand, eine wichtige Qualität für einen Lehrer. Dr. Komori fand er dabei nicht immer so ansprechend. Der war gerne einmal für einen Scherz zu haben und wirkte in manchen Belangen selbst wie ein Assistenzarzt, weil er neugierig war. Undenkbar, dass er und Dr. Sakusa verwandt sein sollten. Aber Dr. Komori war immer bei der Sache und konnte streng sein, wenn es verlangt war. „Na, na, Sie werden doch nicht frech werden?“, fragte Dr. Iwaizumi und besah die junge Frau mit einem Blick, den ihm Kenma nicht zugetraut hätte. Er war sanft, etwas herausfordernd und bediente sich eines schelmischen Lächelns. Kaede verschränkte die Arme vor der Brust. Im Ansatz zog sie eine Schnute und schnaubte fest durch die Nase, wie ein angespanntes Pferd. Auch ihre Körperhaltung zeugte von Anspannung. „Wie klappt es mit dem Rollstuhl?“, fragte Dr. Iwaizumi weiter. Kenma wies er dabei an, ihren Katheter zu kontrollieren. „Schleppend… Wann werde ich das Ding da eigentlich los? Das stört und ist unappetitlich“, antwortete Kaede und sprach sich gegen den Katheter aus. „Der kommt weg, sobald Sie mit dem Rollstuhl selbstständig umgehen können. Sie werden das alles meistern, da bin ich mir sicher“ Iwaizumi versuchte es mit ruhiger Stimme und einem Lächeln. Für einen Augenblick legte ihr die Hand auf den Oberarm. Das hat auch Kenma bereits gelernt, dass kleine Gesten des Körperkontaktes unterstützen sollten. Er mied es allerdings, wenn es nicht unbedingt notwendig war. „Ja. Schon klar“, kam es seufzend von Kaede. Sie rang sich auch zu einem Lächeln durch. „Na sehen Sie? So kenn ich Sie. Das gefällt mir gleich besser“, sagte Dr. Iwaizumi und mit dem Klang seiner Stimme drang auch Leben in Kaedes Gesicht und Lächeln. „Bis später“, verabschiedete er sich und scheuchte die fünf Assistenzärzte aus dem Zimmer. Einfacher sollte es für den nächsten Patienten sein, der auf ihrer Liste stand. Nicht aber für Kenma, denn er grämte sich, als Shirabu den Fall mit seiner unangenehmen Selbstsicherheit vorstellte. „Aoi Himekawa, 21 Jahre alt, Sakkuläres Aneurysma“, begann er und erklärte, wie er und Dr. Nekomata die Läsion, die sich an der großen Hirnarterie angesetzt hatte, entfernen würden. Es wäre eine offene Operation. An Kenmas Schläfe zuckte eine Ader, weil dieser Eingriff eigentlich der von ihm und Dr. Sakusa gewesen wäre. “Es heißt ja sogar fast wie er. Verstehst du? Sakusa und Sakkulär?“, hörte er Terushima in seinem Kopf sagen, obwohl der gar nicht da war. Irgendwie vermisste er den aufgedrehten Arzt sogar. „Wer kann mir sagen, wo die Mehrheit dieser Aneurysmen auftauchen?“, fragte Dr. Iwaizumi in die Runde. Shirabus Hand schnellte hoch. Auch Akaashi symbolisierte, dass er es wusste. Ebenso wie Yamaguchi, wenngleich dieser es schüchtern machte. Tsukishima zeigte es mit einem selbstgefälligen Blick und Kenma weigerte sich. „Dr. Kozume“, wurde er aufgrund seines Trotzes gewählt. „Im Karotis-Kreislauf. Man kann sagen 90% sakkulärer Aneurysmen befinden sind im vorderen Teil des Hirnkreislaufes“, erklärte er korrekt und erhielt ein anerkennendes Nicken. Die folgenden Patienten waren nicht weiter aufregend. Da waren verkalkte Beinarterien dabei, die ausgeputzt werden mussten, ein Stent, der am Nachmittag ausgetauscht würde und ein paar Gallensteine. Die gehörten sogar Yamaguchi, der Dr. Sawamura assistieren durfte. „Da kann ich nicht viel kaputt machen“, hat er verlegen zu Kenma gesagt und sich kurz darauf ermahnt, weil man so etwas nicht sagte. Die jungen Ärzte wurden nach der Visite auf unterschiedliche Stationen weitergeschickt. Kenma folgte Dr. Iwaizumi. „Ich möchte, dass Sie Dr. Ukai in der Notaufnahme unterstützen. Nishinoya und Tanaka sind auch dort. Versuchen Sie, nicht im Weg zu stehen und lernen Sie von den beiden. Sie mögen chaotisch wirken, aber-“, sagte er zu ihm und stockte bevor er vor Kaedes Zimmer langsamer wurde. Auch Kenma wurde langsamer, weil er das aber abwartete. Unsicher sah er den Stationsarzt an. „Aber?“, fragte er. Dr. Iwaizumi schien wie aus der Konzentration gerissen. „Aber was?“ – „Dr. Nishinoya und Dr. Tanaka sind chaotisch, aber…?“, half Kenma nach und Dr. Iwaizumi war sofort wieder dabei. „Aber sie haben ein Händchen dafür.“ „Und weißt du, wofür ich ein Händchen habe?“ Schwester Kaori kam gerade aus dem Zimmer vis-a-vis. Sie zupfte sich die Handschuhe herunter und warf sie in den dafür vorgesehenen Mülleimer. Kenma hatte sie gekonnt ignoriert, der hätte auch am liebsten die Flucht ergriffen, bei dem Blick, denn die Schwester dem Arzt zuwarf. Als er das letzte Mal auf die beiden getroffen war, ja nicht einmal direkt, da ging das Ganze nicht besonders gut für ihn aus. Oder doch? Oder nein! Er wollte sich darüber nicht zu viele Gedanken machen. „Oh… ja, das weiß ich sehr gut.“ Dr. Iwaizumi räusperte sich. Für einen Moment herrschte Stimme, dann seufzte Kaori. „Bemitleidest du sie wieder?“, fragte sie, weil ihr ganz bewusst war, vor wessen Zimmer sie standen. „Nein. Ich bewundere sie, für ihre Stärke“, sagte Dr. Iwaizumi und Kaori schnaubte. Sie nahm Dr. Iwaizumis Hand und zog ihn von dem Zimmer weg Richtung Mitteltrackt, wo die beiden wieder langsamer wurden und weitersprachen. Kenma empfand, dass es höchste Zeit wurde, sich zu verziehen, aber er wollte nun auch nicht direkt an ihnen vorbeigehen. Fast wie verloren, stand er da, vor Kaedes Zimmer. „Dr. Kozume?“, rief die Patientin plötzlich heraus. Kenma zuckte zusammen, bewegte sich aber mit einem Schritt in ihr Zimmer. Fragend sah er sie an. „Ja?“ „Bringen Sie mich heute zur Physio?“, fragte Kaede, aber Kenma schüttelte den Kopf. Das hätte ihm ja gerade noch gefehlt. „Nein, Dr. Iwaizumi hat gesagt, ich soll-“ – „Wenn Sie Dr. Iwaizumi sagen, dass Sie sich um mich gekümmert haben, drückt er sicher ein Auge zu. Sonst rede ich mal mit ihm“, sagte Kaede. „Ich möchte vor den blöden Übungen lieber noch ein nettes Gespräch führen und das kann ich mit Schwester Suzumeda nicht“, versuchte die Kenma nun auf diese Weise weich zu bekommen. „Ich führe keine netten Gespräche“, sagte Kenma, schüttelte aber darauf den Kopf. „Also ich führe lieber gar keine Gespräche, das meine ich“, besserte er sich aus. Kaede schmunzelte. „Ich glaube, wir werden uns bis dahin gut unterhalten“, sagte sie und winkte ihn zu sich. „Bitte… Sie müssen mir doch sagen, wie der Kuss mit Teru war“ Und damit hat Kaede nun fast für einen Totalausfall bei Kenma gesorgt. Sein Puls stieg an, die Nackenhaare stellten sich auf und ein unangenehmer Schauer lief ihm den Rücken hinunter. „Wo…woher“ – „Woher ich das weiß? Teru natürlich, er erzählt mir alles, was hier so passiert und ich will schon meinen, das ist echt eine Menge. Können Sie sich was Ernsteres mit ihm vorstellen? Er hat echt schon zu viele Bekanntschaften, wenn Sie verstehen, was ich meine“ Kenma stöhnte genervt auf. „Ich kann mir mit Terushima sicher gar nichts vorstellen“ – „Außer mit ihm zusammenzuwohnen, nicht wahr? Das sind doch die besten Voraussetzungen, nicht wahr?“ Kaede ließ einfach nicht locker. „Ich bin nicht für sowas“, sagte Kenma und schüttelte behände den Kopf. Kaede lächelte sanft. „Ich weiß. Teru hat von Ihnen und dem Mann mit dem schönen Lächeln erzählt. Vermutlich wäre es schöner gewesen, wenn er Ihren ersten Kuss bekommen hätte“, sagte sie und seufzte verliebt. Da wurde es Kenma zu bunt. „Das geht Sie nichts an. Was nehmen Sie sich da heraus?“, kam es harscher als geplant. Kaede zuckte zusammen. „Es tut mir leid… Ich war zu aufdringlich. Ich dachte nur, nun ja, Teru erzählt immer so nett von Ihnen, es fühlt sich fast so an, als würden wir uns auch schon gut kennen. Und der Krankenhaustratsch ist das Einzige, das mir hier ein bisschen Abwechslung bringt, aber außer den Geschichten von Teru und dem, was mir Dr. Iwaizumi erzählt, erfahre ich sonst nichts“ Kaede seufzte. Dass sie mit Dr. Iwaizumi aber über ganz andere Dinge als den Tratsch im Krankenhaus sprach, erwähnte sie dabei nicht. Musste sie auch nicht, denn Kenma hielt den Stationsarzt nicht für jemanden, der da tat. Anders wie Terushima eben. „Schon gut. Tut mir leid, dass ich laut geworden bin“, entschuldigte sich nun Kenma. In Kaedes Augen funkelte etwas auf. „Ich verzeihe Ihnen, wenn Sie mit zur Physiostation bringen“ - Und Kenma brachte sie zur Physiostation. Kaede saß im Rollstuhl und Kenma schob an. Sie sollte ihre Kräfte für Übungen schonen, da würden ihre Arme schon genug gefordert werden. „Spürt man sein Zungenpiercing eigentlich?“, fragte Kaede schon als sie auf den fast leeren Gang kamen. Von Dr. Iwaizumi und Kaori war nichts mehr zu sehen. Kenma würde die beiden aber auch nicht suchen wollen. Und natürlich. Kaede wollte ja reden… plaudern. Tratschen viel mehr. Kenma seufzte. „Ja“, antwortete er knapp. Kurz herrschte Stille und er hoffe, dass das alles war. War es natürlich nicht. „Ist es gut?“. Kenma konnte schwer antworten. Er wusste es nicht. „War der Kuss gut? Teru prahlt immer, dass er so ein guter Küsser ist. Aber ich will das selbst nicht testen und irgendwie trau ich mich die anderen Ärzte nicht fragen. Dr. Shirabu schaut immer so grimmig und Dr. Futakuchi hab ich erst einmal gesehen. Der macht auch nicht den freundlichsten Eindruck“ Das war wohl eine Sache, an der Kenma arbeiten musste, wenn er nicht noch einmal in so eine Situation geraden wollte. Grimmig schauen. Schade nur, dass er das laut Kuroo nicht konnte. „Er war… gut“, gestand er. Komisch. Irgendetwas an Kaede brachte ihn dazu, dieses Gespräch zuzulassen. „Uuuuh“, machte sie und drehte sich im Rollstuhl um. Ihre warmen grünen Augen funkelten zu Kenma hoch und der wusste sogar ohne viel Sozialkompetenz, dass sie mehr wissen wollte. Das durfte sie ihm aber gerne aus der Nase ziehen. Plante sie auch. „Warum sagen Sie das so komisch? Es ist doch nicht schlecht, einen Kuss gut zu finden oder?“, fragte sie und Kenma seufzte. „Ich sollte ihn nicht gut finden“ – „Warum? Wollen Sie mehr?“ Kaede sah hoch in Kenmas Gesicht, das sich verzog, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Warum fragte diese Frau all die Fragen, die er seit Stunden verdrängte und in seinem Kopf vehement schreiend mit “Nein!“ beantwortete oder unbeantwortet beiseiteschob, weil er das Gefühl nicht mochte? Sein Schweigen schien Antwort genug zu sein. Kaede drehte sich wieder nach vorne. „Hmm… ich glaube, Sie wollen auf jeden Fall mehr solcher Küsse, aber vermutlich ist Teru die falsche Person. Schade eigentlich. Er redet viel von Ihnen und strahlt dabei. Er hat sie richtig gerne aber-“ – „Aber Yamaguchi hat ihn gern, okay?“ Kenma krallte seine Finger um die Griffe des Rollstuhles. Seine Schritte wurden lauter, aber nicht unbedingt schneller. Ein bisschen vielleicht. Kaum merklich. „Das ist Dr. Freckles-chan, oder? Teru mag ihn auch gerne. Aber irgendwas hindert ihn, dass er das anspricht“, seufzte Kaede. Da fühlte sich Kenma gleich noch schlechter. Aber diesmal nicht wegen Yamaguchi, sondern weil er sich nun wie einer von Vielen fühlte, der seinem ersten Kuss nachtrauerte und sich dagegen wehrte, einen weiteren haben zu wollen. „Ich glaube, er hat Angst vor etwas Ernstem… Sie kennen ihn doch, er kann nicht ernst sein“, sagte Kenma und da drehte sich Kaede wieder rasch um. „Genau das denke ich mir auch, Dr. Kozume! Wir müssen die beiden verkuppeln! Bitte…“ Sie sah ihn mit plötzlich ganz großen Augen, denen man schwer einen Wunsch abschlagen konnte. Schwer. Aber nicht unbezwingbar. „Nein!“, empörte sich Kenma. „Eifersüchtig?“, fragte Kaede mit einem schelmischen Schmunzeln. „Sicher nicht, aber ich misch mich in sowas nicht ein“, antwortete er. Kaede legte ein zufriedenes Grinsen auf und drehte sich um. Sie hatte wohl schon ein richtig pikantes Liebesdreieck im Kopf, das Kenma durch und durch widersträubte. „Gut, dann muss ich das alleine machen. Zum Glück sind Sie nicht eifersüchtig, sonst hätte ich es nicht gemacht. Ich mag Sie irgendwie. Sie sind direkt und ehrlich, auch wenn Sie nicht viel reden, aber ich unterhalte mich gut mit Ihnen. Besser als mit… Schwester Suzumeda“ Und plötzlich schwang die Stimmung um. Kaede wandte sich wieder ab. Kenma war unzufrieden. Er hat natürlich von Terushima schon das ein oder andere gehört. Vieles von ihrer Stärker und dem Wunsch, bald aus dem Krankenhaus zu kommen um ihre zweite Chance zu erleben. Er hat ihre Lebensfreude selbst mitbekommen und fand, dass sie eine ganz einzigartige Persönlichkeit besaß, die ihn sogar über Dinge sprechen ließ, die er mit sich selbst nicht ausmachen hatte wollen. Kaede hatte die Rückschläge so gut weggesteckt und stand über den Dingen. Zumindest wirkte es so. Kenma wusste, dass man nicht in einen Menschen hineinschauen konnte und er ahnte, dass Kaede sich weit mehr Gedanken machte, aber sie ließ sich davon nicht beherrschen. Außer eben gerade. „Kaede? Bitte verlieren Sie wegen ihr nicht Ihre Lebensfreude“, sagte er. Kaede nickte langsam. „Tun Sie mir dann auch einen Gefallen?“, fragte sie ohne ihn anzusehen. Kenma wartete ab. „Bitte reden Sie mit Terushima und vertragen sich wieder mit ihm und… ich weiß, es geht mich nichts an, aber… rufen Sie ihn an. Sie wissen schon. Den Patienten.“ Wieder wurde die Stimmung anders. Sie war nicht unangenehm. Die Vorstellung war unangenehm. Bestimmt war es sogar einfach, mit Terushima zu sprechen. Terushima war unkompliziert. Aber Kenma dachte an die Telefonnummer, die auf dem Zettel stand, den er irgendwann aus seiner Kitteltasche genommen und in das Fach seines Spindes gelegt hat. Dort, wo nun auch der Verlobungsring von Dr. Sakusa weilte. Unangenehm. Alles äußerst unangenehm. „Wenn ich bereit bin“, sagte Kenma. Kaede sah wieder zu ihm auf. „Mehr will ich gar nicht“ und da war es wieder. Ihr herzliches Lachen. Leider begleitet von einem trüben Schleier über den Augen. Aber was sollte er nun sagen? Er war nicht gut in sowas. Kuroo wusste immer, was zu sagen war. Yamaguchi hätte bestimmt auch ein tröstendes Wort gehabt. Verunsichert sah er von ihr ab und lenkte den Rollstuhl um die letzte Ecke ehe sie auf der Physiostation ankamen. „Sie müssen nichts sagen. Danke, dass sie mich gebracht haben“, sagte Kaede, weil sie Kenma weit mehr abgelesen hat, als es diesem bewusst war. Er war ihr ebenso dankbar. „Gut, dann… wo genau müssen wir hin?“, fragte er und Kaede deutete ihm den Weg. Sie waren pünktlich und eine hochgewachsener Mann mit schwarzen Haaren kam ihnen im Trainingssaal entgegen. „Hallo Kaede, ich hoffe, Sie sind wohlauf“, sagte er freundlich. Kenma sah sich für einen Moment um. Hier gab es allerhand Geräte, ganz ähnlich wie in einem Fitnessstudio, nur mit viel Platz und auch komplizierten Konstrukten, die für spezielle Bereiche waren und auch nur ganz eigene Leiden behandeln sollte. „Hallo, Ennoshita-san. Den Umständen entsprechend“, antwortete Kaede und Kenma übergab die Patientin. „Danke, Dr?“ der Physiotherapeut musterte Kenma. „Kozume“, war die knappe Reaktion. „Danke, Dr. Kozume, dass Sie mir Kaede gebracht haben“, sagte Ennoshita. Kenma nickte nur und sah zu, dass er sich rasch verabschieden konnte. Kaede erinnerte ihn an ihre Bitte. Da, wusste er, würde er nicht drum herum kommen. „Hey! Bist du jetzt Pfleger geworden, wo Dr. Sakusa nicht mehr hier ist? Das ging ja schnell!“, wurde er beim Verlassen des Saales angesprochen. Dr. Tanaka und Dr. Nishinoya standen am Eingang und lugten hinein. Kenma war sich sicher, die beiden zuvor noch nicht gesehen zu haben. Sie mussten also gerade erst gekommen sein. Die Frage aber fand er wirklich unverschämt. „Sollten Sie nicht bei Dr. Ukai sein?“, fragte er deswegen mit einem Funken von Herausforderung. „Sollten Sie nicht bei Dr. Ukai sein? Werd hier mal nicht frech, Klugscheißer“, sagte Dr. Tanaka mit hervorgerecktem Kinn. „Machen Pause und bewundern Kiyoko“, sagte Dr. Nishinoya und zupfte an Dr. Tanakas Ärmel. Der ließ sich umgehend wieder ablenken und stierte durch die große Tür. Eine weitere Therapeutin räumte gerade Utensilien beiseite, weil ihre Stunde mit dem Patienten vor Kaede bereits vorbei war. „Hallo, Kiyooookooo~ können wir dir irgendwie helfen?“, bot Tanaka äußerst freundlich an, dass Kenma die Stirn runzelte. Was war das denn für eine Art? Shimizu reagierte nicht. „Hach, ich liebe es, wie sie mich ignoriert“, seufzte Tanaka und Nishinoya kicherte. „Bitte gehen Sie wieder an Ihre Arbeit“, sagte die sanfte Stimme der Therapeutin plötzlich ganz nah neben ihnen und die Tür wurde zugeschoben. „Wenn Kiyoko sagt, ich soll arbeiten, mach ich mein ganzes Leben nichts anderes mehr“, trällerte Tanaka und machte sich mit Nishinoya auf den Weg in die Unfallstation. Kenma seufzte und folgte ihnen. - In der Mittagspause setzten sich beide Ärzte auch zu Kenma. Als hätte er nicht schon genug Zeit mit den Chaoten verbracht. „Du hast dir echt den langweiligsten Tag ausgesucht, auf die Unfall zu kommen“, sagte Nishinoya und ließ sich mit seinen Hühnerspießen neben ihm nieder. Tanaka saß ihnen gegenüber und hing über seinem Nudelauflauf. Vor Kenma stand eine kleine Schüssel Reis mit Brokkoli und Rindfleisch. In den vergangenen Stunden hatten die drei an Dr. Ukais Seite ein paar mindere Fälle. Sie mussten einen Finger schienen, leichte Verbrennungen von Jugendlichen behandeln und für eine ausgerenkte Schulter hatten sie Saeko gerufen. Tanakas ältere Schwester, wie Kenma nach kurzer Zeit erfahren hat. Saeko zeigte ihnen, wie das richtig gemacht wurde und Kenma entschied sich im selben Moment sowohl gegen die Unfallstation als auch die Orthopädische Abteilung. Nach dem Mittagessen hat er sich mit einem angestrengten Blick in die Galerie gesetzt und beobachtete das Clipping des Sakkulären Aneurysmas. „Ich hab heute ein Baby zur Welt gebracht“, sagte Yamaguchi, als wäre es das Normalste der Welt. Kenma sah stockend zu ihm hinüber. „Ein Patient hatte Besuch von seiner hochschwangeren Frau und dann sind die Wehen plötzlich losgegangen und das Fruchtwasser ist geplatzt. Also die Wehen hatte sie schon länger, aber sie hat nichts gesagt und dann ist das auf einmal total schnell gegangen. Aihara-san war nur leider selbst im Kreissaal beschäftigt, sie ist die Geburtshilfe und Akiteru, Tsukkis Bruder, hat mir dann geholfen, er ist auch Geburtshilfe, aber Tsukki spricht nicht gerne über ihn. Er hat das trotzdem richtig toll gemacht. Und… ich will auch mal ein Baby haben“, erzählte Yamaguchi aufgeregt und seufzte schlussendlich verträumt. Kenma zog die Augenbrauen hoch. “Mit Terushima?“, ploppte die Frage direkt in seinem Kopf auf, er stellte sie aber nicht. Yamaguchi lachte dennoch so verlegen, als hätte Kenma sie ausgesprochen. Zu Kenmas ungeahnter Missgunst ging die Operation gut aus. Es war nicht so, als hätte er sich eine Niederlage gewünscht, aber wenn Shirabu einen Fehler gemacht hätte und von Dr. Nekomata aus dem Saal geworfen worden wäre, wäre er schon zufrieden gewesen, wenn die Operation dann gut ausgegangen wäre. Doch Shirabu glänzte und Kenma verließ mit einem Knurren die Galerie. Seine Doppelschicht war sowieso jeden Moment vorbei und so machte er noch einen letzten Kontrollblick auf der Intensivstation, wo alles ruhig und normal war. Anders war das zu Beginn seines Dienstes am Morgen des nächsten Tages. Schon am Gang drang eine ganz miese Stimmung an ihn heran. Es war unruhig, aufgewühlt, beklemmend. Stimmen wurden erhoben, immer lauter, bis Kenma die Tür lautlos öffnete. „Du hast dieselbe Blutgruppe!“, schallte Osamus leidige Stimme durch die Station. Dr. Suna versuchte, ihn zu beruhigen, aber Osamu schlug aus. Er zerrte an der Decke und den Schläuchen und an allem, das ihn daran hinderte, aufzuspringen und auf den Oberarzt loszugehen, der ihn zurück ins Bett drückte. “Samu, bitte! Du verletzt dich!”, knurrte Dr. Suna mit Nachdruck. Osamu holte erneut aus, doch seine Hand wurde abgefangen. “Warum… Warum hast du nich‘?” Sein Vorwurf schwang in Bedauern um. Auch Dr. Suna wurde ruhiger. Er ließ die Hand sinken. „Ich weiß doch, dass du es nicht angenommen hättest, außerdem…“ Er stoppte. Und er wurde auch nicht angehört. Osamu war zu tief in seiner Trauer. „Du hättest Tsumu retten können. Du hättest… Rin! Du hättest ihn retten können…“, schluchzte er erbarmungswürdig. Verzweiflung stieg auf. Den roten Augen zu Folge weinte er schon eine ganze Weile. Sein ganzes Gesicht war tränengetränkt. Dr. Suna versuchte es erneut. Er hob die Hand zu Osamus Gesicht. Sie wurde wieder weggeschlagen. „Hätte ich nicht… Ich bin nicht kompatibel als Spender“, sagte er. Osamus Hand hielt inne. Dr. Suna griff nach ihr. „Aber… hast du ‘nen Test gemacht?“ Beide Arme sanken. Dr. Suna schüttelte den Kopf. „Nein, das musste ich nicht. Samu, ich bin für niemanden ein kompatibler Spender“, sagte er und wieder wurde ihm die Hand entrissen. „Was soll das denn heißen, du Spinner?“, fragte Osamu perplex. Stille herrschte zwischen den beiden. Nur für einen kurzen Moment. „Ich bin positiv. Meine Leber hätte ihn erst recht umgebracht“, sagte Dr. Suna angespannt. Osamus Augen weiteten sich. Es brauchte einen Moment, dann verengten sie sich.Verzweiflung wechselte in Wut über. “Du und deine scheiß Bettgeschichten!” Osamu griff auf das Kästchen neben sich und warf alles, was er dort greifen konnte, nach dem Oberarzt. Ein Becher, ein Krug Wasser - Scherben, nass - ein Stift und eine Pappschale, die für den Abfall beim Injektionswechsel parat stand. “Du Mistkerl” Er fasst auch hinter sich und riss den Polster hervor. Auch dieser prallte an Dr. Suna ab und fiel zu Boden. Osamu sank erschöpft zurück und schnappte angestrengt nach Luft. „Dann hättest du sie mir gegeben und Tsumu hätte die Gute bekommen. Rin… Du hättest Tsumu retten können. Was soll ich denn ohne ihn machen? Ich bin unvollständig… Mein Leben is‘ wertlos! Ich hätt‘ statt ihm sterben sollen. Er war immer der Bessere… ich… ich wollte ihn retten, Rin… Du hättest ihn statt mir retten müssen!“ Osamus Stimme wurde immer brüchiger. Die Tränen liefen unaufhaltsam über seine Wangen. Sein ganzer Körper bebte unter dem Schluchzen. Ein weiterer Versuch, die Hand aufzulegen, wurde abermals verwehrt. „Ich hätte dich infizieren sollen? Weißt du eigentlich, was du da redest?!“ Dr. Suna bemühte sich gar nicht mehr, ruhig zu bleiben. Er schrie Osamu mit Unverständnis an. Aber der nahm sich auch kein bisschen zurück. „Ich weiß, dass es Tsumu gerettet hätte! Und du hast ihn sterben lassen! Weil dir dein Schwanz und deine scheiß Kinks wichtiger sind als alle anderen, du scheiß beschissenes Arschloch. Verschwinde! Ich will dich nie wieder sehen! Verschwinde!“ Und da stieg plötzlich Panik in Kenma auf. Wenn Dr. Suna Folge leisten würde, würde er ihn bemerken und dann würde er mächtig Probleme bekommen, weil das nun wirklich nichts für seine Ohren war. Beinahe wäre er rückwärts über seine eigenen Füße gestolpert, doch konnte sich gerade noch fangen. Nicht zuletzt, weil er mit Terushima zusammenstieß. „Weg, ganz schnell weg“, zischte er ihm entgegen und griff nach seiner Hand, ihn weiter zu zerren, weil Terushima nicht reagierte. „Woow… Kenma, was ist los?“ – „Shhhhh!“ Der Druck seiner Finger wurde stärker. Warum verstand Terushima den Ernst der Lage nicht sofort? Seine Beine führten sie beide in den nächsten freien Raum – den Bereitschaftsraum. Hinter ihnen wurde die Tür zugeknallt und Kenma japste erst einmal eilig nach Luft. Terushima musterte ihn und legte ihm eine Hand an die Hüfte, mit dem Daumen der anderen Strich er ihm über den Handrücken. Ein kurzer Ruck und Kenma war ihm näher denn je. „Du hättest auch was sagen können, wenn du mehr davon willst“, hauchte Terushima mit einem Klang in der Stimme, den Kenma bei ihm nicht kannte. Er stieß ihn sofort von sich weg, entriss ihm auch seine Hand und maß ihn eines bitterbösen Blickes. „Jetzt versteh ich gar nichts mehr“, sagte Terushima nun wieder mit seiner üblichen Stimme, vielleicht etwas dümmlicher als sonst aber durchaus gewohnt für Kenmas Ohren. „Wir sind geflüchtet, du Idiot! Ich will sicher nicht mehr vor dir“, blaffte er ihn an und vergewisserte sich, dass sie alleine waren. „Und vor was? Oder vor wem? War laut auf der Intensiv“, fragte Terushima nach. Kenma ließ sich auf einem der Betten nieder. „Vor Dr. Suna… ich hab ihn und Osamu bei etwas gehört, was ich nicht hören sollte“, seufzte Kenma und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. „Was ist es denn?“, fragte Terushima naiv nach, aber Kenma richtete sich umgehend wieder auf und schüttelte den Kopf. „Nein, dir sag ich das sicher nicht. Dann weiß es das ganze Krankenhaus und ich bin Schuld“, stellte er schnell klar. Da brachten es auch die lächerlichen Versuche, das abzustreiten nichts. Kenma würde es keiner Menschenseele sagen. Wenn etwas raus kam, dann weil die beiden so laut waren und es jemand anderes auch mitbekommen hätte. Aber Kenma würde sicher nicht nach außen tragen, dass Dr. Suna wohl zumindest mit dem HI-Virus infiziert war oder einer Hepatitis Variante. Nein. Nein, sicher nicht. Terushima schwieg für einen Moment. Kenma war ihm dafür auch dankbar. Aber realisierte nun auch, dass er mit ihm alleine war. Stille. „Warum weiß Kaede davon?“, fragte er nach einer Weile. Terushima machte einen peinlich berührten Ton. Ja, er wusste genau, wovon Kenma sprach, da war keine Frage. „Naja…“, begann er. „Ich brauch keine blöde Ausrede“ Kenma wollte wissen, warum Terushima dachte, es wäre richtig über so einen intimen Moment vor irgendeiner Patientin zu reden. Nun gut, soviel musste er Kaede beisteuern, sie war alles andere als irgendeine Patientin, aber das machte Terushimas loses Mundwerk nicht akzeptabler. "Okay, okay, aber eigentlich hab ich sie nur darauf angesprochen, wie ihre Stimmung immer besser wird, wenn Dr. Iwaizumi in der Nähe ist. Mit der ganzen Physio hat sie nämlich ganz schön zu nagen und naja, dann war schon irgendwie klar, dass sie bisschen verknallt ist in ihn, oder vielleicht auch so richtig, da hab ichs nur für richtig empfunden, ihr von Schwester Kaori und Iwaizumi zu erzählen und dann war sie ganz traurig und dann hab ich was Dummes gesagt und sie hat nicht gelacht und dann hab ich ihr erzählt, dass ich dich geküsst hab und dass du mich jetzt hasst und dann hat sie mir gesagt, dass ich zurecht Dr. Vollidiot bin, voll gemein" „Du bist wirklich ein Vollidiot… Aber ich hasse dich nicht“ - Wie ein Vollidiot fühlte sich Kenma selbst Wochen später. Der Herbst war in vollem Gange und er fand sich in einer Situation, die er nicht so recht erklären konnte. Er war wieder einmal zur falschen Zeit am falschen Ort und in ein Wortgefecht zwischen Kaori und Dr. Iwaizumi zu geraten. Dem Stationsarzt schien sein Kreuzen gerade recht gekommen zu sein. „Dr. Kozume! Helfen Sie Schwester Suzumeda, ihren Job zu machen“, verlangte er harsch von ihm, dass sich Kenma die Nackenhaare aufstellten und ein kalter Schauer seinen Rücken hinunter lief. Mehr noch als Kaori ablehnte. „Ich brauch keine Hilfe!“ – „Er braucht Erfahrung, auch mit sowas.“ Unangenehm. So unangenehm. Und dann stand Kenma mit Kaori bei Kaede im Zimmer. Es war eigentlich ein warmer Oktobertag, aber in diesem Zimmer herrschte der siebirische Winter. Aus der sonst so leidenschaftlichen Schwester wurde eine straffe Anstandsdame und die junge Frau, die durch ihre Lebensfreude selbst nach dem Unfall so überrascht hat, strahlte puren Trotz aus. Kenma wünschte sich wieder in den Utensilraum. Er würde sogar Terushimas Gesellschaft auf sich nehmen, nur diesmal würde er ihm beide Hände auf den Mund pressen. „Guten Morgen Miss Sato, heute begleitet uns Dr. Kozume. Ich hoffe, das ist kein Problem für Sie“, formulierte Kaori es höflich, doch ihre Stimme klang kühl. „Guten Morgen Schwester Suzumeda, Dr. Kozume“, kam es ähnlich temperiert von Kaede. „Es ist okay“ mit diesen Worten wandte sie sich an Kenma. Er fragte sich wirklich, warum Dr. Iwaizumi meinte, er brauchte Erfahrung hiermit. Immerhin war er Arzt und nicht Pfleger. Dennoch würde er sich nicht widersetzen. „Gut“, sagte Kaori knapp. Sie ging zu Kaede ans Bett, schob die Decke zur Seite und entblößte ihre Beine. Sie waren in spezielle Kompressionsstrümpfe gehüllt, die Kaori deutete abzutragen. Kenma zögerte. „Ist schon okay, ich bin‘s gewöhnt“, seufzte Kaede. Handschuhe wurden angezogen und Kenma entschuldigte sich für seine kalten Finger, doch Kaede hob hervor, dass sie das gar nicht spürte. Ein bitteres Lächeln zierte ihre Lippen. Kaori war ins Badezimmer gegangen und bereitete Waschtücher und Wasser im Becken vor. „Sie können Miss Sato dann bringen“, rief Kaori heraus. Kenma und Kaede starrten sich einen Moment lang an. Ihm war klar, dass sie nicht einfach ins Badezimmer spazieren würde, das war ja der Grund für diese ganze Situation. Er sah aber auch keinen Rollstuhl, in den sie sich hieven könnte, wenn sie das denn überhaupt schon konnte. Darüber hatte er keine Informationen. Aber nach den Wochen Physiotherapie sollte seiner Meinung bereits möglich sein. Es änderte aber nichts an der Tatsache, dass gerade kein Rollstuhl im Zimmer war. „Ich würds ja selbst tun, aber leider…“, sagte Keade und deutete schnaubend auf ihre Beine. „Sie legen mir einen Arm um den Rücken und den anderen unter die Kniekehlen. Ich halte mich an ihren Schultern fest. Keine Sorge, ich bin nicht so schwer“, erklärte Kaede und hing kurz darauf in Kenmas Armen. Eher schlecht als recht und als sie verrutschte, klammerte sie sich so fest und eng um seinen Hals, dass es an den Haaren zog. Kenma machte einen angespannten Zischlaut. „War keine Absicht“ – „Schon gut, Sie können nichts dafür“ Kaede legte ihren Kopf an Kenmas Schulter ab, dass er ihren verschämten Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Mit einem kurzen Ruck hatte er sie besser im Griff. „Vergessen Sie den nicht“, sagte Kaede und deutete auf den Katheter, er noch am Bettgestell hing. Kenma fragte sich, wie er den denn nun bekommen sollte, aber Kaede bot ihre Hilfe an. Das Ganze war so schon unangenehm genug. Der Weg ins Badezimmer war mühsam, schwankend, aber dort angekommen, setzte er Kaede am bereitgestellten Duschstuhl ab. Kaori half ihr aus dem Krankenhaushemd und Kenma wandte den Blick ab. „Bitte, Dr. Kozume, wenn Sie die Patientin nicht ansehen, wird das nichts“, mahnte sie ihn. Kenma wollte mehr flüchten denn je. Er hatte kein Problem damit, einen entblößten Körper vor sich liegen zu haben und mit dem Skalpell aufzuschneiden. Der Patient schlief dabei. Das war nichts Intimes, aber das hier, das war ein Level an Intimität, den er nicht mochte. Aber es war sein Job. Er erinnerte sich an Tanakas Worte von damals, als er Kaede zu Ennoshita gebracht hat. Seit Dr. Sakusa nicht mehr da war, lief etwas schief für Kenma. Er konnte zwar bei anderen Operationen assistieren, sogar bei Chefarzt Dr. Nekomata. Aber das war nicht dasselbe. Kenma vermisste Dr. Sakusa. Auf einer rein professionellen Ebene. „Natürlich“, riss er sich zurück in die Realität. Kaori zeigte ihm, dass sie von unten nach oben mit dem Waschen begannen. Der Duschkopf wurde abgenommen und direkt über Kaedes Beine gesetzt. Das Wasser, so wurde ihm aufgetragen zu testen, war angenehm warm, was Kaede erst weiter oben entsprechend wahrnehmen konnte. Mit den Waschtüchern und Seife arbeiteten sie sich von den Füßen über die Waden hoch. Kenma erkannte die tiefen Narben. Sie würden nie ganz verschwinden, aber sie würden in ihrem Ausmaß noch zurückgehen. Sie wären dann nicht mehr rot, sondern würden blassrosa bis weiß werden. Kaedes Haut war gut gepflegt und darauf wollte sich Kenma konzentrieren. Die Waschung ging über die Oberschenkel weiter, bis schließlich… „Und dann-“ – „Das mach ich alleine“, unterbrach Kaede bestimmt und griff nach dem Waschtuch in Kaoris Hand. „Und dann geben Sie ihr Halt, dass sie nicht aus dem Stuhl fällt“, sprach Kaori weiter und zeigte Kenma, wie er die Patientin am besten hielt und stützte. „Kanns kaum erwarten, wenn ich das alles alleine machen kann“, sagte Kaede mürrisch. „Das wird noch eine Weile dauern“, wusste Kaori. Sie nahm bei den Fakten wirklich kein Blatt vor den Mund. Und es schlug ein. Auf Kaedes Gesicht wechselte Trotz mit Enttäuschung ab. Mit nur einem Satz hatte Kaori ihr Wesen wieder vollkommen verändert. Zum Negativen. Noch mehr. Seit Kaede nach dem Unfall auf der Intensivstation aufgewacht war, hat sich viel verändert. Damals hat sie Dr. Iwaizumi mit ihrer positiven Energie etwas überrumpelt, auch Kenma war überrascht gewesen, aber Kaede war so dankbar dafür, zu leben. Jetzt wirkte es so, als wäre sie von ihrem Leben genervt, angestrengt und vielleicht sogar etwas überdrüssig. Nun gut, es war ihr nicht zu verdenken. Sie würde nie wieder laufen können, geschweige denn Motorradfahren, was – das wusste er von Terushima – eine Leidenschaft war, die Freiheit ausdrückte und nun würde sie bis an den Rest ihres Lebens an den Rollstuhl gefesselt sein. Die einfachsten Dinge waren nun Herausforderungen. Ein schreckliches Schicksal wohl. Langsam ließ Kenma Kaede wieder zurück in den Stuhl sinken und half ihr beim Rest. Er war froh, dass Kaede ihren Oberkörper selbst im Griff hatte und ihm auch gar nicht erlaubte, sie dort zu berühren. Nach Kaoris Anweisungen hielt er ihre Haare zur Seite und achtete beim Abduschen darauf, dass sie nicht nass wurden. Seine Kleidung müsste dafür später gewechselt und aufgehängt werden. So geschickt sich Kaori auch tat, so schlug bei Kenma die Unerfahrenheit durch. Nach dem Abtrocknen half er ihr wieder in das Krankenhaushemd und trug sie zurück ins Bett. Kaori machte den Katheter wieder an und musterte Kenma. „Fürs erste Mal, okay. Stützstrümpfe wieder anziehen und dann war’s das“, sagte sie und verließ das Zimmer mit den gebrauchten Waschtüchern. Kenma zog Kaede die Strümpfe an und fragte sie, ob sie noch etwas brauchte. Nur ihre Bluetooth Stecker um Musik zu hören. - „Kaede ist so anders“, eröffnete er Terushima in der Mittagspause, die er heute recht früh machte. Er hat sich mit seinem Mitbewohner und einem Sandwich in einen der Ausweichräume gesetzt. Kurz nach elf. Nach diesem Vormittag wollte er sich nicht in die volle Kantine setzen. Terushima war ihm nachgelaufen, weil er Ideen für das Abendessen hatte. Kuroo war für die Nachtschicht eingeteilt und so meinte er, könnten sie sich mal wieder Udonnudeln mit Knoblauch und Ahornsirup machen. Kenma mochte den Vorschlag, war aber anfänglich nicht so angetan davon, Gesellschaft zu haben. Irgendwann hat er sich auf das Gespräch eingelassen und schwenkte nach einer kurzen Pause selbst zu Kaede um. „Ja… sie wird immer trauriger. Manchmal hat sie wieder mehr Energie und ist auch ganz schön frech, aber das wird immer seltener. Sie hat auch geschimpft mit mir, weil ich noch… naja… mich mit Kenji und Kenjiro treffe… Ha! Hast du gecheckt, dass die beiden fast gleich heißen?“, lachte Terushima plötzlich auf. Kenma seufzte. „Ich hab vor allem gecheckt, dass sie nicht Tadashi heißen“ Kenma erinnerte sich an sein Gespräch mit Kaede und dass er ihr gesagt hat, dass er sich nicht einmischen wollte, aber es war schrecklich mitanzusehen, wie Terushima mit Yamaguchi flirtete und der dann aus allen Wolken fiel, wenn er ihn wieder mit jemand anderes sah. Das war nicht fair und das konnte Kenma nach all der Zeit, die sie alle miteinander verbrachten, nicht mehr mit ansehen. „Hey! Wir haben beschlossen, das Thema ist tabu! Ich hab auch aufgehört wegen Grinsebacke zu fragen“, empörte sich Terushima. Kenma resignierte. „Hast ja recht“, sagte er und sah hoch auf die Uhr. Sie ging fast genau eine Stunde nach, aber niemand hat sie je korrigiert. Diese Uhr war seit Ende Sommer falsch. Oder richtig? In Kenmas Augen war sie richtig, als liefe die Zeit hier auf einer anderen Linie. „Wieder 10:42“, sagte Terushima beim Klacken des Minutenzeigers. Eine Zeitlinie, in der Atsumu noch lebte und Dr. Sakusa noch Kenmas perfekter Mentor war. Diese Uhr war die ein Denkmal. „Wir sehen uns dann. Spätestens beim Bus“, sagte Kenma nach einer Schweigeminute und hievte sich von dem herrenlosen Krankenbett hoch. „Ja klar, bis später.“ Terushima aß sein Sandwich noch auf und Kenma machte sich auf den Weg zu den Operationssälen, weil er bei Dr. Nekomata assistieren durfte. Es handelte sich um ein besonders großes Akustikusneurinom, ein Tumor im Gehörtrakt, der bereits Gehörverlust verursachte. Bevor er aber dort ankam, wurde er von Schwester Kaoris aufgebrachter Stimme zum Stoppen gezwungen. Kenma blieb an der Ecke zum Hauptgang stehen und erkannte, dass Dr. Konoha bei ihr war. „Was los ist, willst du wissen? Ihr Männer seid los oder zumindest die, die ich mir aussuche!“, fauchte Kaori und stieß ihre Fäuste gegen Konohas Brust, der ließ das überraschenderweise auch noch mit sich machen. „Kaori…“, seine Stimme klang ruhig, wie immer, aber wehmütig, wie sonst nie. „Weißt du, bei dir war es ja einfach, du stehst auf Kerle, da kann ich nichts machen, aber Hajime… Er steht auf richtige Frauen! Eine wie ich es bin! Und trotzdem hat er in letzter Zeit immer nur dieses… dieses… dieses Miststück auf Rädern im Kopf“ Wut und Frust brüllte aus der Krankenschwester, dass sich Kenma gleich noch ruhiger verhielt. Er mochte es zwar nicht, wie sie über Kaede sprach, denn so viel war ihm klar, aber er würde jetzt nicht den Helden spielen, denn dann würde er Dinge kassieren, für die er gar nichts konnte. Sollte lieber der Anästhesist das ausbügeln, denn wie es schien, war er nicht unweigerlich daran beteiligt. „Dr. Iwaizumi scheint mir, seinen guten Geschmack abzugeben und ich… nun ja… du weißt selbst, dass ich mit so einer Bombenfrau, wie du es bist, einfach nicht umgehen könnte, ich würde dir nur langweilig werden“, sagte Konoha. Er hob die Hand und strich Kaori tröstend über die Wange und wischte ihr mit dem Daumen eine Träne weg. Sie lachte verhalten auf. „Du kannst sogar Ablehnungen smooth, das ist unfair. Ich kann dir doch gar nicht böse sein“, seufzte sie. „Das muss du auch nicht, lenk all deinen Zorn auf Dr. Iwaizumi, hab ich gar nichts dagegen“ Konoha legte ein liebevolles Lächeln auf, das wohl auch Akaashi gut gefallen hätte und rutschte mit der Hand an Kaoris Kinn um ihr Gesicht hoch zu neigen. „Kopf hoch, schöne Frau, vielleicht wartet der perfekte Mann für dich bereits um die Ecke“, sagte er und das war Kenmas Stichwort umgehend die Richtung zu wechseln und lieber einen Umweg zu gehen. Er war niemandes perfekter Mann. Schon gar nicht der von Kaori, die auch Konohas Zureden noch eine Entscheidung und ein Gespräch zu führen hatte. Am Ende des Umweges wartete nun endlich eine brauchbare Operation auf ihn, in der Kenma sogar weit mehr machen durfte, als er sich erwartete. Dr. Nekomata war ein sehr ruhiger und gelassener Lehrer. Er schien zu verstehen, wie viel Leidenschaft Kenma für diese Fachrichtung hatte und wollte das fördern. Aber für Kenma fühlte es sich nicht richtig an. Es fehlte etwas und er sehnte sich wieder in den Gang, in dem die Zeit gefühlt stillstand. In den Gang, in dem Atsumu noch lebte und Dr. Sakusa noch da war. Wo es keine Freistellung auf unbestimmte Zeit gab und wo Kenma den für ihn besten Lehrer hatte. - Wenige Wochen später konnte Kenma kaum glauben, wem er mit Terushima in der großen Eingangshallte über den Weg lief. Dr. Sakusa hat sich Wochen lang, ja Monate nicht im Haikyuu Medical Hospital sehen lassen. Der Winter stand bereits vor der Tür und Kenma fiel ein riesiger Stein vom Herzen. „Dr. Sa-“, begann er, doch Angesprochener ging stur an ihm vorbei und richtete seine ersten Worte an Terushima: „Du. Fünzehn Minuten. Gewaschen. Bereitschaftsraum. 3. Stock!“ Terushima sah ihm verdattert hinterher und wechselte rasch zu Kenma. „Hast du das gerade gehört?“, fragte er. Kenma nickte. „Ja… beeil dich, bevor ich das ausbaden muss“, seufzte er und Terushima zog ab. Auf irgendeine Weise musste Kenma es ausbaden, denn für ihn ging ein weiterer Tag ohne seinen Mentor los. Terushima verlor bei ihrem nächsten Aufeinandertreffen kein Wort über sein unangenehmes Stelldichein mit dem Oberarzt. Dafür fragte er ihn nach seinen Plänen am Abend. „Ich bin mit Kuro beim Grab seiner Mom. Allerheiligen, weißt schon“, antwortete er und lehnte Terushimas Angebot ab, mitzugehen, weil sie ja Mitbewohner waren. Nein, das wusste er, wollte Kuroo sicher nicht. Das war etwas, das sie gemeinsam seit Jahren alleine machten. „Du kannst was mit Fisch kochen“, schlug er vor und folgte einem Pager-Ruf in die Gefäßstation. Dabei war er Kaede über den Weg gelaufen. Sie fuhr selbstständig zur Physio. Kenma erkannte, wie kräftig ihre Arme bereits waren. Das Training machte sich bezahlt und dennoch war es nicht zu viel. Auch eines Lächelns hatte Kaede keines zu viel. Terushima hat ihm erzählt, dass sie das immer seltener trug. Die kalte Jahreszeit verlangte ihren Tribut. Sie schlug sich auf alle irgendwie aus. „Wie geht es dir?“, wagte er, sie zu fragen. „Sie müssen mich nicht bemitleiden“, sagte Kaede. Es war wie ein Vorwurf. Kenma seufzte. „Hatte ich nicht vor… Aber… Sie machen doch Fortschritte“, merkte er an. Kaede seufzte. „Aber ich kann nichts alleine, zumindest nichts, was etwas bedeutet“ Bedacht setz Kenma seine Schritte neben Kaede. „Hilfe ist nichts Schlimmes“; sagte er. Er nahm selbst auch Hilfe an. Vor allem von Kuroo, der ihn bereits sein Leben lang unterstütz hatte. Deswegen ging er auch am 1. November immer mit ihm zum Grab und war sein Ruhepol, wenn er wieder einmal zu aufgeregt war. Aber davon wollte Kaede nichts hören. „Das ist nicht das Gleiche“, sagte sie angespannt und dann wurde sie leiser. „Ich brauche immer Hilfe… für alles…“ Sie wurde in den nächsten Tagen immer leiser, sie wurde regelrecht still, bis es während Kenmas nächsten Nachtschicht plötzlich immer lauter wurde. ”Kaede!” Kenma stand auf der Brücke, wo er auch an seinem ersten Tag mit den anderen Assistenzärzten gestanden hat und wo Dr. Sakusa das erste Mal seine Sicht eingenommen hatte. Jetzt war es stockfinster draußen und die Nachtschicht gewahr ihm einen Moment Stille. Zumindest so lange, bis Terushimas Rufen sie unterbrochen hat. Sein Kollege kam aus dem Trakt der Ortho-Chirurgischen Abteilung gelaufen. Gehetzt. Kenma richtete sich auf. „Kaede!“, rief Terushima noch einmal und prallte neben ihm gegen das Geländer der Brücke. Hastig atmend. Er hatte etwas in der Hand. Einen Zettel? Ein Kuvert? Der Blick nach unten ließ die gesuchte Patientin entdecken. Sie durchquerte gerade die Haupthalle Richtung Ausgang. „Kaede warte! Kaede! Bleib stehen!“, wurde er lauter und lehnte sich über die Brüstung, aber Kaede blieb nicht stehen. Sie drehte sich auch nicht einmal zu ihm um. „Was ist los?“, fragte Kenma, aber Terushima riss sich mit einem Schlag beider Fäuste gegen das Geländer weg und lief wieder zurück. Panisch drückte er auf den Rufknopf der Aufzuganlage. Immer wieder, immer schneller. Die Füße tappten nervös. So aufgebracht hat Kenma ihn noch nie gesehen. „Fuck!“, fluchte Terushima und machte umgehend kehrt zum Treppenhaus. Die Tür wurde aufgerissen, Terushima verschwand und das Signal des eintreffenden Lifts ertönte. Kenma sah irritiert zurück nach unten, wo Kaede gerade durch die Drehtür das Krankenhaus nach draußen auf den Parkplatz verließ. Sein Herz begann unweigerlich schneller zu schlagen, obwohl er die Situation noch nicht ganz begreifen konnte. Sein Körper wusste Bescheid, aber er war starr vor Schock und konnte nur nutzlos hier stehen bleiben und das Unheil beobachten. „KAEDE!“ Unten schlug die Tür aus dem Treppenhaus Schwung brachial gegen die Wand und erschütterte die Halle. Terushima sprintete auf den Ausgang zu. Kaede wurde draußen immer schneller und fuhr zügig die Zufahrt entlang auf die große Durchfahrtsstraße zu. Terushima drückte sich durch die schwere Glastür und nahm am Asphalt noch einmal Geschwindigkeit auf. In der Ferne kam ein Licht näher. Scheinwerfer eines LKWs. Schnell. Kenmas Atem stockte, dafür raste sein Herz und dennoch fühlte sich jeder Schlag wie verlangsamt an. Die Ohren beschlugen. Alles fühlte sich langsam an. Alles war unheimlich schnell. Kaede rollte auf die Straße zu, schneller als man sie von dort hätte erkennen können. Terushima sprintete bereits in einem Tempo über den Parkplatz, das unmenschlich war und dennoch war klar: Er würde es nicht rechtzeitig schaffen. Verzweifelt rief er nach ihr. Kaede reagierte nicht. Sie ließ sich nicht abbringen. „Kaede bitte!“ Die Straße war erreicht. Kenma schlug sich die Hände auf den Mund. Das Abblendlicht des LKWs erfasste Kaede in Gänze. Ein lautes Hupen ertönte. Ihre Arme stoppten. Terushima stolperte. Er war nur wenige Meter von ihr und der Straße entfernt, aber sein Körper stieß an die Grenzen der Physik. Seiner eigenen Physik. „Kaede!“ eine weitere Stimme drang laut durch die rabenschwarze kalte Nacht und Dr. Iwaizumi ließ nicht nur die zerberstete Glastür hinter sich zurück, sondern auch Terushima, dem es verwehrt blieb, Kaede zu erreichen. Ohne zu überlegen, lief der Stationsarzt auf die Straße. Es hupte erneut. Laut anhaltend. Der LKW verriss die Spur. Die Reifen quietschten am Asphalt. Der Anhänger verriss. Kenma kniff die Augen zu. Es knallte. Es knarrte. Es schepperte. Der Rollstuhl landete im Graben. Leer. Zwei bewegungslose Körper neben ihm. Der LKW hat sich quer über die Straße gestellt und war frontal gegen den hohen roten Ahorn gefahren, der an der Ecke stand. Der Baum war in die Busstation gekippt. Nicht mehr zu retten. „Dr. Iwaizumi! Kaede!“ Kenma konnte sich nicht vom Fleck rühren. Ihm stockte der Atem. Es war so still, er hörte den Minutenzeiger der großen Uhr über ihm umschlagen. 11:42. Auf Atsumus Zeitlinie war es 10:42. Nachts. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)