Der Weiße Falke von Erzsebet ================================================================================ Kapitel 6: Wie der Goldene Thron -------------------------------- "Der König wünscht euch zu sprechen, Herrin", kündigte eine Dienerin mit einer tiefen Verbeugung an. Gleich darauf betrat ein in einfache weiße Seidengewänder gekleideter junger Mann die Terrasse. Sein einziger Schmuck war ein schlichter breiter Goldring mit einem makellosen rundgeschliffenen Sternsaphir am Mittelfinger seiner Linken, außerdem hing ein kurzes Schwert mit einer silberbeschlagenen roten Lederscheide an seiner Seite. "Seid mir gegrüßt, Hermil Tashrany, Eroberer von Hannai", sagte die Frau und erhob sich mit raschelnden Seidengewändern von dem Sitzpolster im Schatten. Ihr feiner dunkelgrauer Schleier wehte leicht in der kühlen Brise, die vom Meer herwehte, nur sein Saum war sparsam mit silbernen Mustern bestickt. "Seid gegrüßt, Patrais von Letran", sagte der König und verneigte sich vor der Frau seines Vorgängers. "Ja, ich habe Hannai erobert, mit eurer Hilfe. Wenn ihr wünscht, erzähle ich euch, auf welch wunderbare Weise es mir gelang, den Goldenen Thron wieder für die Tashrany zu gewinnen." Patrais von Letran lud ihren hohen Gast ein, sich zu ihr auf eines der Kissen im Schatten zu setzen, doch der König verweilte einige Momente am Rande der Terrasse und ließ seinen Blick über den Garten schweifen, die Springbrunnen und die weißen Pfauen, die in der Morgensonne über den Rasen stolzierten und von denen einer voll Inbrunst um ein Weibchen warb. "Es hat sich nichts geändert... ein prachtvoller Anblick", sagte er leise. "In der Tat", pflichtete Patrais dem König von Hannai bei. Sie winkte der Dienerin, für den König Tee und Früchte bereitzustellen. Der König setzte sich und dachte mit halb geschlossenen Augen zurück an jenen Tag, an dem er, wenige Meter von hier, Patrais von Letran das erste Mal gesehen und von ihr so viel über seine Vergangenheit erfahren hatte. "Hört", begann er: * "DIE GESCHICHTE DER EROBERUNG HANNAIS. Nachdem ihr mich durch die geheimen Gänge aus dem Palast geführt hattet, suchte ich zuerst nach meinem Pferd, das ich dort an der Palastmauer zurückgelassen hatte, wo mich die Dienerin meiner Geliebten heimlich einzulassen pflegte. Dann machte ich mich sofort auf den Weg zu den Zelten meines Stammes, denn mit dem Edelstein aus dem Zepter des Königs durfte man mich in Hannai nicht finden. Kurz bevor die Tore der Stadt geschlossen wurden, erreichte ich das Südtor und eilte hinaus in die Wüste, deren Sand im Mondlicht wie Silber schimmerte. Ich ritt schnell, um noch vor Tagesanbruch eine Oase zu erreichte, da war mir plötzlich, als ob eine Stimme meinen Namen riefe. Ich achtete zunächst gar nicht darauf, doch die Stimme rief erneut und drängender und so zügelte ich mein Pferd. Da flog ein weiß leuchtender Falke heran und als ich den Vogel sah wußte ich, daß es derselbe war, der schon einmal zu mir gesprochen hatte. "Was willst du von mir?" fragte ich ihn daher. Ohne Scheu ließ sich der Falke auf meinem Sattelknauf nieder, plusterte sein Gefieder und sagte dann: "So hast du also dein Schicksal gefunden. Der Stein, den die Götter einst dem Manne brachten, der den gleichen Namen trug wie du, nützt dir jedoch nichts ohne die heiligen Worte, mit denen du die Götter zur Hilfe rufen kannst. Und ohne die Hilfe der Götter wirst du selbst mit dem größten Heer, das die Oshey aufbieten können, Hannai nicht einnehmen können. Ja, es wird dir nicht einmal möglich sein, von den Oshey Gefolgschaft zu erlangen." "Aber woher soll ich die heiligen Worte erfahren?" fragte ich den Falken. "Meine Mutter war die letzte, der sie bekannt waren, doch nun sind sie verloren." Aber der Falke lachte und sprach: "Wie könnte es dein Schicksal sein, nach drei unrechtmäßigen Königen als erster Tashrany wieder auf dem Goldenen Thron zu sitzen, wenn die Worte verloren wären? Sieh dir deinen Ring an." Ich tat, wie der Vogel mir befohlen hatte, doch ich sah nichts Ungewöhnliches an dem Ring. "Was ist mit meinem Ring?" fragte ich darum. Und der Falke sagte: "Ein Stück des Steines fehlt und jetzt ist es an der Zeit, die beiden Teile des Saphirs wieder zusammenzufügen." Also zog ich das Lederbeutelchen, daß ihr mir gegeben hattet, aus meinem Gürtel und legte die Hälfte des Steins zurück in die Fassung. Kaum hatte ich das getan, da verwandelte sich der weiße Falke in einem grellen Blitz, der in den Ring fuhr und als ich nicht mehr durch die plötzliche Helligkeit geblendet war, da sah der Stein in meinem Ring aus, als wäre er niemals gespalten gewesen. Der Falke jedoch saß wieder auf meinem Sattelknauf und raschelte mit seinen leuchtenden Federn. "Jetzt höre, was der Ring zu dir spricht und merke dir die Worte gut, denn eines Tages wirst du sie an den ersten Sohn weitergeben, den Sira von Berresh dir gebären wird." Und tatsächlich erklangen aus dem Stein seltsame Worte und ich behielt sie gut im Gedächtnis. Kaum jedoch hatte der Ring seine Botschaft verkündet, da flog der leuchtende Falke empor und verschwand in der Nacht, ein Stern unter Sternen. "Kommst du noch einmal zu mir?!" rief ich ihm nach, doch ich erhielt keine Antwort. Einige Tage später erreichte ich die Zelte meines Stammes und ich ging zum Fürst der Tashrany, den ich meinen Vater nenne. Als er mich sah, umarmte er mich voller Freude, denn meine Jagdbegleiter, die zusammen mit mir die Prinzessin Sira nach Hannai geleitet hatten, hatten die Kunde von meiner Einkerkerung schon unter den Tashrany verbreitet. "Wie bist du entkommen?" fragte der Fürst der Tashrany und ich setzte mich zu ihm und erzählte ihm von meiner Liebe zur Prinzessin Sira und von dem Zorn ihres Vaters, als ein Oshey vor ihn getreten war, um seine Tochter zur Frau zu erbitten. Und ich erzählte von meiner heimlichen Befreiung durch die Prinzessin und von den wenigen Stunden, die ich täglich heimlich bei meiner Geliebten in den Frauengemächern des Palastes verbracht hatte. Und dann erzählte ich ihm von euch und dem, was ihr mir erzähltet, und ich sagte: "Ich bin Hermil Tashrany, Sohn der Patrais Tashrany, die die Tochter von Nefut Tashrany war, der der Sohn von Kermul Tashrany war, der als letzter Nachkomme von Hermil Tashrany auf dem Goldenen Thron saß und Hannai weise und gerecht regierte." Ich zeigte dem Fürsten der Tashrany als Beweis den Ring, dessen Stein nun unversehrt war und den er selbst nur zerbrochen kannte. Und ich zeigte ihm den großen, rot funkelnden Edelstein aus dem Zepter des Königs von Hannai, das Herz Hannais. "Und höre", fuhr ich fort, "was ein Bote der Götter, ein weißer Falke zu mir sagte: ES IST DEIN SCHICKSAL, NACH DREI UNRECHTMÄSSIGEN KÖNIGEN ALS ERSTER TASHRANY WIEDER AUF DEM GOLDENEN THRON ZU SITZEN." "Und du bist entschlossen, dein Schicksal zu erfüllen?" fragte da einer der Ältesten, die meiner Erzählung im Zelt meines Vaters zugehört hatten. Da wandte ich mich an ihn und sagte: "Wenn die Götter beschlossen haben, daß dies mein Schicksal sei, so werde ich es auch erfüllen. Und dazu werde ich Sira von Berresh zu meiner Königin machen und ihr erster Sohn wird mein Erbe sein, sowohl ein Tashrany als auch ein Nachkomme der von Berresh und niemand wird es wagen, an seinen Ansprüchen auf den Goldenen Thron zu zweifeln." Da erhob ein anderer Ältester die Stimme und sagte: "Du willst also die Großenkelin des Mannes zu deiner Königin machen, der Kermul Tashrany ermorden ließ. Die Götter werden das niemals zulassen!" Doch ich erwiderte: "Aber der Falke verhieß mir, daß ich den ersten Sohn, den Sira von Berresh mir gebären wird, die geheimen Worte lehren werde, die es einem Tashrany ermöglichen, mit diesem Edelstein", und ich hob ihn hoch, um ihn allen zu zeigen, "die Götter um Hilfe anzurufen. Ich kenne die heiligen Worte und so wird sie einst mein Sohn kennen, den Sira von Berresh mir als meine Königin in die Arme legen wird." Da sagte der Älteste: "Der weiße Falke mag in der Tat ein Bote der Götter gewesen sein, doch denke daran, daß Chelem, den der Ungenannte aus den Reihen der Götter verstieß, seine Dämonen in jeder Gestalt auf der Welt überall hin schicken kann. Von deinem Ring erfuhrst du die Worte, sagst du, doch weißt du auch, daß es gerade kostbare Edelsteine sind, mit denen die Dämonen ihre Opfer fangen, solche Steine wie dieser makellose Sternsaphir, der von so erlesener Größe ist." Und der erste Älteste wiederum sagte: "Du bist zu jung, um ein wahrhaft weiser König zu sein. Deinem Vater, unserem Fürst, stände dieses Amt besser an. Überall bei den Stämmen ist er für seine Weisheit und seinen Mut geachtet und schon fünf mal bestimmte der Rat der Oshey ihn zum Fürst der Fürsten." Und wieder ein anderer sagte: "Wenigstens sollte eine Frau der Tashrany deine Königin werden, denn zumindest der Sohn des Königs sollte genügend Tashrany-Blut in sich haben, um sich wahrhaft Oshey nennen zu können. Wenn man dem Bericht der Patrais von Letran glauben kann, bist du nur der Bastard eines hannaischen Diebes!" "Doch meine Mutter war eine wahrhafte Tashrany und von unirdischer Herkunft", warf ich ein. "Und ich werde euch beweisen, daß ich würdig bin, König von Hannai zu werden, denn die Hilfe der Götter ist mir gewiß. Seht!" Und leise sprach ich die heiligen Worte, und das Herz Hannais entflammte in meiner Hand wie eine Fackel, doch ich verbrannte mich nicht. "Seht ihr nun, daß die Worte meines Ringes tatsächlich die heiligen Worte waren und nicht die Einflüsterungen eines Dämons? Seht ihr nun, daß ich würdig in den Augen der Götter bin? Und wer seid ihr, daß ihr die Weisheit der Götter in Frage stellen könnt?" Und da zog der Fürst der Tashrany, der Mann, der mich als seinen Sohn erzogen hatte, sein Schwert und legte es mir zu Füßen. "Hört die Worte des Fürsten der Tashrany: ich werde Hermil Tashrany folgen und ihm zu seinem Recht verhelfen. Und noch zu dieser Stunde werde ich in alle Himmelsrichtungen Boten entsenden, zu den anderen Stämmen der Oshey, mit der Nachricht, daß ein Nachkomme Kermul Tashranys wieder Anspruch auf den Goldenen Thron erhebt." Und seine Gefolgsleute und sein Rat bezeugte seine Worte und nun schworen mir alle die Treue für den bevorstehenden Kampf. Am nächsten Tag erhoben sich überall am Horizont große Staubsäulen, denn die Krieger der anderen Oshey-Stämme eilten herbei und mit ihnen der Fürst der Fürsten, der Fürst der Darashy. Und wie der Fürst der Tashrany verbeugten sich die Fürsten der Stämme vor mir und dem brennenden Edelstein und gelobten Treue für den bevorstehenden Kampf. Unter dem Banner der Tashrany, dem auffliegenden Falken, und unter dem Banner Hannais, dem weithin leuchtenden Edelstein, den die Götter einst meinem längst verstorbenen Vorfahren und Namensvetter zum Geschenk machten, um Hannai zurück auf den Wahren Weg zu führen, machte ich mich auf nach Hannai und mit mir zogen über tausend Krieger der Oshey. Nach einigen Tagen erreichten wir am frühen Morgen die Stadt und ich sah, wie die Sonne sich über die weißen, von goldenen Dächern gekrönten Türme und Kuppeln erhob. Da nahm ich den brennenden Edelstein und ritt, wie einst jener Hermil Tashrany vor mir, zum Zypressentor, das sich mächtig vor mir erhob. "Wächter der Goldenen Stadt, hörst du mich?" rief ich laut und zwischen den Zinnen der Mauer wurde ein im ersten Sonnenlicht blinkender Helm sichtbar. "Wächter der Goldenen Stadt, siehst du, was ich in der Hand halte?" Und ich hob die Hand, in der ich den Edelstein hielt. "Eine Fackel", antwortete da der Wächter von der Mauer herab. "Nein, Wächter der Goldenen Stadt. In meiner Hand halte ich das Herz Hannais, das ich, wie einst mein Ahn, von den Göttern erhielt. Wie dieser Ahn heiße ich Hermil Tashrany und mit mir kam eine Armee von über tausend Kriegern aus der Wüste." Ich sah, wie der Wächter sich über die Brüstung beugte, um mich und die vermeindliche Fackel genauer in Augenschein zu nehmen. "Was willst du, Hermil Tashrany?" fragte er dann. "Ich fordere den Goldenen Thron für die Tashrany zurück, den Resan von Berresh einst meinem Urgroßvater gestohlen hat!" rief ich zu ihm hinauf. Der Wächter zog sich daraufhin zurück und wenig später öffnete sich langsam das Stadttor. * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)