Vampire Kiss von Funkenherz (Vermouth x Jodie, (Curaçao x Kir)) ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Die Fahrt endete in der Garage eines riesigen Gebäudes mit moderner Fassade. Ein Filmstudio, wenn die junge Frau sich nicht ganz täuschte. Nach etwa zwanzig Minuten Fahrt hatte sie die Maske abnehmen dürfen und hatte festgestellt, dass sie sich mitten in New York befanden. Leider hatte sie keine Hinweise auf den Standort des Vampiranwesens sammeln können, dennoch war ihr eindeutig wohler gewesen, als sie die Erlaubnis erhalten hatte die Schlafmaske wieder hochzuschieben und somit nicht mehr vollkommen blind neben der Daywalkerin im Auto saß. Nun jedoch, wo ihre Begleiterin den gelben Ferrari zielsicher in einer Parktasche in der Tiefgarage geparkt hatte und den Motor abschaltete, stutzte Jodie merklich. "Wo genau sind wir hier? Ist das ein Filmstudio?", wollte sie ungläubig an Chris gewandt wissen. Diese nickte. "Genau so ist es. Ich muss arbeiten." Die Jüngere fühlte sich wie im falschen Film. Erst war sie von diesen Vampiren entführt worden und nun hatte die andere Blondine sie mit zur Arbeit genommen?! Sie glaubte sich verhört zu haben. "Bitte was?!" Irritiert blinzelte sie die Daywalkerin neben sich an. "Du musst arbeiten und hast mich mitgenommen? Ich meine... mit in die Zivilisation?" Das letzte Wort betonte sie noch einmal extra, denn sie konnte es nicht fassen. Sie war erst gestern entführt worden und jetzt das? War ihre Begleiterin wirklich so unvorsichtig? Immerhin hätte sie hier die Chance Hilfe zu finden, wenn sie sie nicht beaufsichtigte. Oder hatte dieses Biest einige Spitzel innerhalb des Filmteams, die ein Auge auf sie haben würden? Aber da Daywalker so selten waren, müsste es sich bei besagten Personen um Menschen handeln. Jodie wusste nicht, ob ihre Mutmaßungen zutreffend waren, doch Chris Entscheidung, sie mit zur Arbeit zu nehmen, irritierte sie. Unbeeindruckt blickte die Schauspielerin sie an und schmunzelte auf ihre typische, überhebliche Art. Mit einem Finger tippte sie der Jägerin gegen die Stirn, was diese mit bösem Blick zurückweichen ließ. "Hast du es denn schon wieder vergessen? Dabei haben wir das Thema vorhin in der Bar doch extra noch einmal angerissen. Wenn du etwas Dummes tust, wird dein Kollege darunter zu leiden haben. Von daher wirst du schon nichts tun, was zu deiner Flucht beiträgt, richtig?" Chris sprach mit ihr, als würde sie mit einer geistig Zurückgebliebenen reden. Ihre Stimme klang beinahe mitleidig. Jodie spürte, wie augenblicklich wieder die Wut in ihr aufstieg, doch sie zwang sich sich zu beherrschen. Währenddessen fuhr die Daywalkerin unbeirrt fort: "Aber auch wenn du davon ausgehen kannst, dass ich meine Augen und Ohren in diesem Gebäude sowieso überall habe, wenn du verstehst was ich meine, werde ich nicht unvorsichtig sein. Das Kätzchen ist immerhin ein Mitglied von Mondnebel, wenn auch nicht der hellste Stern." "Mach dich nicht über mich lustig!", fauchte Jodie verärgert und fragte sich gleichzeitig, was Chris damit meinte, dass sie in diesem Gebäude alles mitbekommen würde. Spielte sie auf ihr feines Gehör an? Oder wollte sie damit in der Tat andeuten, dass es auch hier Personen gab, die für sie arbeiteten und die sie im Auge behalten würden? Bluffte sie, oder meinte sie es ernst? Leider war die Schauspielerin absolut unberechenbar, wie Jodie sich erneut zerknirscht eingestehen musste. Währenddessen kramte die Daywalkerin in ihrer Tasche, zog kurze Zeit später eine Schatulle daraus hervor und öffnete sie. Im Inneren der Schachtel befand sich ein Halsreif, der sie stark an das Schmuckstück erinnerte, welches Chris selbst trug. Nur ein wenig schmaler und vielleicht nicht ganz so prunkvoll. "Leg das hier an, bevor wir aussteigen.", befahl die Schauspielerin ihr. Verwundert folgte die junge Frau ihrer Aufforderung. "Das ist ein ähnlicher Halsreif, wie du ihn selbst auch trägst.", stellte sie fest. "Nein, ist er nicht!" Jodie schrak reflexartig zurück, als die Vampirin sie plötzlich unverhofft anblaffte und mehr als verärgert wirkte. Die Jägerin blinzelte. Rei hatte zwar bereits erwähnt, dass Chris launisch war, doch das gerade war wirklich plötzlich. Was für eine Laus war der anderen Blondine denn bitte über die Leber gelaufen? Für einen Moment noch stand der Anderen Wut und Ärger ins Gesicht geschrieben, dann normalisierten sich ihre Züge langsam wieder. Murrend holte Chris ein Päckchen Zigaretten aus dem Handschuhfach und zündete eine davon an. Langsam wich auch das letzte Missfallen aus ihrem Blick. Dennoch hatte Jodie der Vorfall unvorbereitet getroffen und ein wenig verstört. Sie hatte doch gerade noch nicht einmal etwas gesagt, womit sie dieser Frau versehentlich auf den Schlips getreten sein könnte, warum also diese plötzliche Stimmungsschwankung? "In dem Halsreif, den ich dir gegeben habe, befindet sich ein kleiner Störsender. Kein Problem für die Kameras im Raum, allerdings wird es dir nicht möglich sein, ein Handy zu benutzen, oder zu telefonieren. Ich muss nicht extra erwähnen, dass du den Schmuck den Tag über nicht ablegen wirst." Die Schauspielerin öffnete die Fahrertür und stieg aus dem Wagen. Zögernd tat Jodie es ihr gleich. Zwar hatte sie bereits ihre Zweifel gehabt, ob sie es in diesem Gebäude wirklich wagen könnte, etwas zu tun, was zu ihrer Rettung beitrug, doch nun, mit diesem Störsender um den Hals, war auch der kleinste Gedanke an Rebellion im Keim erstickt. Frustrierend. Und doch war diese Vorsichtsmaßnahme höchst wahrscheinlich überflüssig, da sie sowieso nichts tun würde, solange sie Andres Aufenthaltsort nicht kannte. Sie durfte nicht riskieren, dass ihr Kollege wegen ihr verletzt, oder gar getötet wurde. Mit verschränkten Armen blieb Jodie vor dem Wagen stehen und blickte die Daywalkerin abwartend und skeptisch zugleich an. Sie traute diesem Biest nicht und war ganz und gar nicht glücklich darüber, aktuell allein mit ihr in dieser Tiefgarage zu sein. "Was genau hast du jetzt eigentlich vor? Ich meine, du hast mich mit zur Arbeit genommen, aber was willst du den anderen sagen, wer ich bin? Und was soll ich den Tag über tun?", hakte Jodie lieber jetzt nach, wo noch kein Mitglied der Filmcrew bei ihnen war. "Du wirst dich als meine Assistentin ausgeben. Ein Fan, dem ich netterweise ein Praktikum ermögliche.", erklärte Chris ihr und schnippte ein wenig Asche zu Boden. "Du darfst folglich den Laufburschen für mich spielen.", fuhr sie fort und ging auf die Jägerin zu. Diese starrte sie ungläubig an. "Ist das dein Ernst, Chris? Dafür hast du mich verschleppt?!" "Sssht, nicht so laut.", ermahnte die Schauspielerin sie gespielt tadelnd. "Im Übrigen habe nicht ich dich verschleppt, sondern Gin und seine Leute. Das sollte dir eigentlich klar sein. Ich habe lediglich beschlossen dich zu behalten, Süße." Dieses elende Biest! Wie konnte sie so etwas nur so ruhig sagen?! Beinahe wäre Jodie zurückgewichen, als Chris in Richtung ihres Gesichts griff und schließlich die Mundwinkel der Jüngeren mit zwei Fingern zu einem Lächeln hochschob. Nur gerade so konnte sie sich beherrschen stehen zu bleiben. Sie wollte der Daywalkerin ihr Unwohlsein so wenig wie möglich zeigen und funkelte sie daher verärgert an. "Wasch scholl dasch?!", maulte sie. "Ach Süße, muss man dir denn alles erklären? Die Hellste bist du wirklich nicht, oder? Ich frage mich, ob alle Mitglieder Mondnebels so begriffsstutzig sind wie du. Ist das Einstellungsvoraussetzung bei euch?", verhöhnte Chris sie, ließ sie aber wieder los. "Lass Mondnebel-", begann Jodie verärgert, doch die Schauspielerin unterbrach sie. "Wenn wir gleich zu den Anderen gehen, will ich, dass du selbst auch ein wenig schauspielerst. Aktuell wirkst du so, als würdest du mich am liebsten umbringen." Sie lachte leise. "Weißt du, ich kann dich ja verstehen, aber wenn du dich vor den anderen so kratzbürstig gibst, wird dir niemand glauben, dass du ein Fan bist und den Job freiwillig angetreten hast. Also wirst du gleich überzeugend gute Laune heucheln und meine eifrige, kleine Assistentin spielen, verstanden?" Nach wie vor verstimmt, blickte Jodie ihre Begleiterin an, doch diese ignorierte sie und drückte ihr stattdessen ihre Tasche in die Hand. "Trag das.", befahl sie. "Und jetzt lächeln, Sonnenschein. Bei der Autogrammstunde ist dir das doch auch gelungen.", höhnte sie weiter. "Als wenn du deine Handtasche nicht selbst tragen könntest...!", beschwerte Jodie sich, folgte Chris aber, als diese sich in Bewegung setzte. Der Weg der beiden Frauen führte sie hinaus aus der Tiefgarage, durch einen Treppenflur und schließlich geradewegs in die Lobby des Gebäudes. Durch die Glasfront wurde der Raum in helles Tageslicht getaucht. Obwohl die Temperaturen inzwischen eisig waren, schien heute die Sonne, was die Lobby hell und freundlich aussehen ließ. Nachdenklich betrachtete Jodie die Schauspielerin neben sich. Andere Vampire wären spätestens jetzt zu Asche zerfallen, doch dieses Biest natürlich nicht. Der Daywalkerin machte Sonnenlicht rein gar nichts aus. Kaum, dass sie die Lobby betreten hatten, wurden sie bereits von einigen Mitarbeitern begrüßt. Chris plauderte locker mit ihnen und stellte Jodie schließlich als ihre Assistentin vor. Zwar musste die Blondine sich beherrschen, doch sie schaffte es tatsächlich gute Miene zum bösen Spiel zu machen, zu lächeln und so zu tun, als würde sie sich über diese einmalige Chance freuen. Vermutlich gab es genügend Fans, die in der Tat vollkommen aus dem Häuschen gewesen wären, Chris bei ihrer Arbeit begleiten zu dürfen. Amerikas Nummer Zwei war immerhin eine erfolgreiche, international bekannte Schauspielerin und auf dem roten Teppich sozusagen Zuhause. Bloß das keiner ihrer Fans auch nur ansatzweise ahnte, wer diese Frau wirklich war... Nachdem der Mitarbeiter am Empfang Jodie ein Band mit einem Pass daran ausgehändigt hatte, mit dem sie sich im Gebäude bewegen durfte, führte Chris sie in Richtung der Aufzüge. Sie fuhren bis in die dritte Etage, stiegen aus und fanden sich auf einem langen Flur wieder. "Na komm, gehen wir." Mit einem kurzen Nicken deutete Chris den Flur entlang. Jodie fragte sich, welcher Raum wohl ihr Ziel sein würde. Als sie sich einem Kaffeeautomaten auf dem Gang näherten, fielen der eigentlichen Vampirjägerin zwei Personen auf, welche sich allem Anschein nach gerade ein Getränk holen wollten. Als sie die beiden Blondinen jedoch bemerkten, hielten sie inne. "Chris!", rief eine der beiden Frauen aus. Jodie kannte das Gesicht der Anderen. Auch bei ihr handelte es sich um eine Schauspielerin, die bereits einige Filmrollen ergattert hatte. Bevor die Daywalkerin noch reagieren konnte, rannte ihre Kollegin auch schon auf sie zu und fiel ihr zur Begrüßung um den Hals, wobei sie sie beinahe von den Füßen gerissen hätte. Lediglich Jodies schnellen Reflexen, als sie Chris bei den Schultern packte und festhielt, war es zu verdanken, dass niemand den Boden küsste. "Hey! Vorsicht, Naomi, du reißt mich ja noch um.", begrüßte Chris ihr Gegenüber und klang dabei mehr amüsiert als verärgert. "Ist nochmal gutgegangen.", lachte die Frau mit den zimtfarbenen Haaren und der sonnengebräunten Haut munter und umarmte die Blondine zur Begrüßung. "Du bist übrigens ziemlich spät dran.", fügte Naomi gut gelaunt hinzu. "Ich weiß, wir wurden aufgehalten.", erklärte Chris mit einem Lächeln auf den Lippen. Nachdem Naomi sie wieder losgelassen hatte, hatte auch die andere Schauspielerin die Gruppe erreicht. Yukiko Kudo, wie Jodie feststellte. Auch die Brünette, von der sie wusste, dass sie mit Chris gut befreundet war, umarmte die Blondine zur Begrüßung. "Schön dich zu sehen.", sagte sie und wandte sich schließlich an Jodie. "Nanu? Wen hast du uns denn da mitgebracht, Chris? Ich meine, ich habe ihr Gesicht schon mal irgendwo gesehen." "Jodie Starling. Sehr erfreut.", stellte die Blondine sich selbst vor. Sie fragte sich, ob die beiden Schauspielerinnen dort auch nur ansatzweise ahnten, was ihre angebliche Freundin eigentlich war. Sie wusste nicht, ob sie am Ende vielleicht sogar im selben Boot mit der Daywalkerin saßen, oder ob sie einfach nur unwissende Kolleginnen der Schauspielerin waren, denen gegenüber sie sich ganz entspannt geben konnte. "Es kann gut sein, dass du dich noch an sie erinnerst, Yukiko. Weißt du noch bei der Autogrammstunde neulich? Sie ist mir heimlich auf den Balkon gefolgt, als ich rauchen war und hat mir so lange damit in den Ohren gelegen, bis ich mich dazu bereit erklärt habe, sie in einer Art Praktikum eine Zeit lang als meine Assistentin mitzunehmen." "Hey, träume ich etwa? Was ist denn mit dir los, Chris?", scherzte Naomi und stieß die Blondine leicht mit dem Ellbogen an. "Da hat sie allerdings recht.", ergriff Yukiko überrascht das Wort, ehe sie sich mit freundlichem Gesichtsausdruck Jodie zuwandte und erklärte: "Normalerweise macht sie das nicht. Eigentlich würde eher die Hölle zufrieren, als das Chris einem Fan ein Praktikum ermöglichen würde." Die Blondine rang sich ein schiefes Schmunzeln ab. "Tja, da hatte ich wohl ziemliches Glück, was?" Wenn du wüsstest, was hier eigentlich gespielt wird... fügte sie in Gedanken hinzu. Wenig später hatte Jodie auch den Rest des Filmteams kennengelernt. Wie sich herausstellte, würden die heutigen Dreharbeiten in dem Gebäude stattfinden, in welchem sie sich bereits befanden, da es hier einige Zimmer gab, die als die Wohnzimmer der Serie hergerichtet worden waren. Weiterhin fühlte die eigentliche Jägerin sich wie im falschen Film. Sie kam sich in der Tat vor, als würde sie ein Praktikum absolvieren, welches so gar nicht zu ihrem eigentlichen Beruf passen wollte. Sie durfte dabei zusehen, wie die Schauspieler und Schauspielerinnen in der Maske für ihren Auftritt zurechtgemacht wurden und kam dabei mit einigen der Anwesenden ins Gespräch. Mit einem Mitarbeiter des Filmteams holte sie Getränke für die Schauspieler aus einer Teeküche und fühlte sich dabei erneut wie eine Praktikantin. Wie absurd. Viele Fans wären wirklich glücklich darüber, ihre Stars bei der Arbeit beobachten zu können und mit verschiedenen berühmten Schauspielern ins Gespräch zu kommen. Jodie hingegen fragte sich, wer der hier Anwesenden einfach nur ein normaler Zivilist war und wer mit der Vampirin im selben Boot saß. Auf den ersten Blick wirkten alle hier so normal. Sowohl das Filmteam, als auch die Schauspieler, kamen gut miteinander aus und waren eigentlich ein ganz lustiger Haufen. Unter anderen Umständen hätte ihr der Einblick in den Alltag dieser Leute vielleicht sogar gefallen, doch die Entführung und die im Raum stehende Drohung waren in ihren Gedanken praktisch allgegenwärtig. Sie durfte sich keinen Fehler erlauben. Auf keinen Fall durfte auffallen, was hier wirklich gespielt wurde. Sie musste die Maske der begeisterten Assistentin tragen, wenn sie verhindern wollte, dass ihr Kollege zu Schaden kam. Während des Tages am Set fragte Jodie sich mehr als einmal, was nun wohl aus Andre und ihr werden würde. Das Wissen, das einzig und allein die Vampire ihr Schicksal in der Hand hatten, war grässlich. Doch so sehr ihre Gedanken sich auch um dieses Thema drehten, sie konnte nicht leugnen, dass die Einblicke am Filmset eine absurde aber interessante Abwechslung waren. Und noch etwas ließ sich nicht leugnen. Nach all dem, was Chris ihr bereits angetan hatte und wie die Daywalkerin sich gab, hasste sie sie eigentlich. Trotzdem war es eine faszinierende Erfahrung die andere Blondine schauspielern zu sehen. Sie hatte die Ältere bereits früher in Filmen gesehen und wusste daher, dass sie gut war, doch hier live am Set verstand Jodie erst wirklich, wie gut Chris in ihrem Beruf war. Die Schauspielkünste der Anderen waren beeindruckend. Sie hatte das Gefühl, als würde die Daywalkerin in ihre Rolle schlüpfen, wie in einen gut passenden Mantel. Chris war ganz in ihrem Element. Aber nicht nur das, ihre Arroganz war für den Moment wie weggefegt. Während Chris vor der Kamera stand, wirkte sie ganz anders, ganz natürlich. Es war nicht zu übersehen, dass sie großen Spaß an der Schauspielerei hatte und mit Herz und Seele dabei war. Auch mit den anderen Schauspielern, sowie mit den Mitarbeitern des Filmteams, ging die Daywalkerin gänzlich anders um, als mit den Vampiren im Anwesen. Sie wirkte ganz entspannt und gut gelaunt, scherzte in den Drehpausen mit ihren Kolleginnen und wirkte auf Jodie, als hätte man sie heimlich ausgetauscht. Da war keine Spur mehr von dem arroganten Biest, das sie eigentlich war. Nur eine Schauspielerin mit Herzblut, die zwar durchaus etwas schwierig war und ihren eigenen Kopf hatte, aber gleichzeitig auch mit allen Anwesenden wunderbar auskam und ein geschätzter und beliebter Teil des Teams war. Hätte Jodie nicht gewusst, wie Chris eigentlich war, sie hätte sie kaum wiedererkannt. Spontan fragte sie sich, ob sie gerade nur eine Rolle spielte, oder ob die Schauspielerin, wie sie sich aktuell gab, wirklich Teil ihres Charakters war. Die Stunden zogen ins Land. Für Jodie blieb die Zeit am Set irritierend, aber dennoch war es auch eine willkommene Abwechslung zu dem Alltag als Gefangene der Vampire. Schließlich war es an der Zeit für eine Mittagspause. Eine Cateringfirma versorgte die Schauspieler tagtäglich gut mit den unterschiedlichsten Gerichten. Das Buffet, welches ihnen geboten wurde, war abwechslungsreich und wirklich gut, wie Yukiko ihr erklärte. "Du weißt ja, ich baue tagsüber auf die Shakes, die mein Ernährungsberater mir empfiehlt. Ich gehe rasch in die Tiefgarage.", wandte Chris sich an die Brünette, welche daraufhin ein schiefes Schmunzeln aufsetzte. "Als wenn du das nötig hättest. Das Essen der Cateringfirma ist wirklich gut. Du solltest es unbedingt mal probieren.", wandte Yukiko ein. "Du weißt doch, da bin ich strikt. Mit den Shakes, die man für mich zusammengestellt hat, geht es mir gut und sie machen eine schöne Haut.", winkte die Blondine nur ab. Schließlich verabschiedete sie sich kurz von ihren Kolleginnen und lief den Flur entlang in Richtung Aufzug. Jodie blieb einen Moment lang stehen und sah zwischen der Daywalkerin und den Anderen hin und her. Und jetzt? Chris hatte ihr nicht gesagt, was sie nun von ihr erwartete. Sollte sie hier bei den Anderen bleiben, oder erwartete sie, dass sie ihr folgte? Sie wusste, dass nur ein falscher Schritt ihrerseits ausreichen könnte um Andres Leben zu gefährden. "Hey, warte!", entschied sie sich schließlich für die sicherere Lösung und folgte der Schauspielerin eilig. Rasch gesellte sie sich zu ihr in den Aufzug, welcher im nächsten Moment bereits in Richtung Tiefgarage fuhr. Erst im Aufzug wurde der jungen Frau klar, was sie hier erwarten würde. Die anderen Schauspieler aßen nun in Ruhe zu Mittag. Auch die Daywalkerin dürfte Hunger haben, nur das sie sich nicht an gewöhnlichen Speisen bediente. Chris hatte ihr gestern erst noch gesagt, dass sie von nun an ihre private Blutbank zu spielen hätte. Bei dem Gedanken daran, legte sich eine Gänsehaut auf Jodies Arme. Bei der Erinnerung an die beiden schmerzhaften Bisse, von denen man heute kaum noch etwas sah, stieg das Grauen in ihr auf. Schweigend folgte sie der Älteren zu deren Auto. In ihr sträubte sich alles. Sie wollte jetzt nicht hier sein. Jeder Ort wäre gut, nur ganz gewiss nicht hier! Chris holte eine Tasche aus dem Kofferraum und nahm schließlich im Wagen Platz. Jodie blieb einen Moment lang vor dem Ferrari stehen und zögerte. Die Schauspielerin erwartete vermutlich von ihr, dass sie nun auch ins Auto stieg. Sicherlich waren hier in der Tiefgarage Überwachungskameras und es wäre ungünstig, wenn diese aufzeichneten, wie die Andere sie biss. Aber die andere Blondine hatte ihr keinen ausdrücklichen Befehl gegeben. Sie hatte ihr noch nicht einmal gesagt, dass sie ihr folgen sollte. Aber vermutlich erwartete Chris genau das. Das hier war mit Sicherheit nichts weiter, als eine Falle. Ein Test, ob Jodie ihre Aufgabe kannte. Nichts als ein grausames Spiel und wenn sie dieses verzogene Sternchen verärgerte, hätte Chris einen Grund Andre zu schaden. Heftig schüttelte die eigentliche Jägerin den Kopf. Nein, diesen Grund würde sie ihr mit Sicherheit nicht liefern. Auch wenn es ihr vor einem weiteren Biss graute, welche Wahl hatte sie bitte? Um die Daywalkerin nicht unnötig zu verärgern, gab sie sich einen Ruck und stieg schließlich auf der Beifahrerseite ein. Ihr schlug das Herz bis zum Hals. Was für eine gemeine Aktion, dass die andere Blondine erwartete, dass sie ihr ihr Blut ohne Aufforderung anbot. Diese... Sie blickte zu der Schauspielerin und stellte fest, dass diese an einem Gefäß herumschraubte und sie ignorierte. Das tat sie doch mit Absicht, um sie nur noch zusätzlich zu verhöhnen! Erneut hatte Jodie das starke Bedürfnis ihr Gegenüber anzuschreien und die Ältere zu schütteln, doch wenn sie das tat, würde sie damit Andres Grab schaufeln. Es kostete sie alles an Überwindung, sich letztlich zu Chris zu lehnen, wobei sie sich mit einer Hand auf dem linken Bein der Älteren abstützte. "Jetzt verarsch mich nicht auch noch, sondern beiß endlich zu.", murrte sie mit äußert überschaubarer Begeisterung. Das auch noch auszusprechen fühlte sich an, als würde sie sich an ihrer eigenen Zunge verschlucken. Diese Frau wusste, wie sie sich über sie lustig machte. Verdammt! Zu ihrer Überraschung blinzelte Chris sie jedoch nur fragend an und schob sie letztlich an den Schultern zurück auf den Beifahrersitz. "Würdest du mir wohl nicht halb auf den Schoß klettern?", ergriff die Schauspielerin das Wort. "Ich habe keinen Bedarf dich zu beißen." Ungläubig blickte Jodie ihre Begleiterin an und nahm ganz automatisch die Thermosflasche entgegen, die Chris ihr reichte. "Aber wenn du dich schon nützlich machen willst, versuch den Deckel aufzukriegen." Einige Augenblicke lang brauchte Jodie, um zu realisieren, was hier eigentlich gespielt wurde. Chris hatte nicht darum gebeten sie zu begleiten, weil sie von Anfang an nicht vorgehabt hatte, sie zu beißen. Sie hatte ihre Verpflegung dabei. Auch wenn es sich seltsam anfühlte, eine mit Blut gefüllte Thermosflasche in den Händen zu halten, dieses Gefühl rückte in den Hintergrund, da Jodie gerade vor allen Dingen das Bedürfnis hatte, im Erdboden zu versinken. Sie war der Schauspielerin hinterhergedackelt, hatte sie aufgefordert sie zu beißen und hatte sich damit sicherlich gänzlich zum Affen gemacht! "Also, was ist jetzt?" Abwartend blickte Chris sie an, riss Jodie aus ihren Gedanken und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Thermosflasche. Mit einem seltsamen Gefühl im Bauch, kämpfte die junge Frau mit dem Deckel der Flasche, welcher wirklich etwas fest zugedreht worden war, doch letztlich schaffte sie es, die Thermosflasche zu öffnen. "Hier, bitte, Prinzesschen. Sind die eigenen Muskeln zu schwach?", zog Jodie die Schauspielerin auf, um zu überspielen, wie unangenehm ihr das Missverständnis war. Chris nahm ihr das Gefäß wieder ab und trank einen Schluck. Der Geruch von Blut stieg der Jägerin in die Nase. "Curaçao hat es mit dem Deckel übertrieben.", murrte Chris lediglich missfallend, ehe sie Jodie einen Blick zuwarf. "Du solltest die Chance nutzen und dich gleich noch oben am Buffet bedienen. Ob nun eine Person mehr oder weniger unangemeldet mitisst, macht bei den Mengen, die die Cateringfirma uns liefert, nun auch keinen Unterschied." Erst jetzt, wo Chris sie daran erinnerte und Jodie ans Essen dachte, bemerkte sie, was für einen Hunger sie eigentlich hatte. Seit gestern Nachmittag hatte sie immerhin nichts mehr gegessen. Unglücklicherweise machte ihr Magen sich mit einem Knurren bemerkbar, als wollte er unterstreichen, wie hungrig sie war. Die junge Frau räusperte sich peinlich berührt, während die Schauspielerin amüsiert schmunzelte. "Als Vampir brauchst du keine normale Nahrung. Aber was passiert, wenn du doch etwas isst?", wollte sie von Chris wissen, um die unangenehme Situation zu überspielen. Außerdem interessierte sie die Antwort wirklich. Zeitgleich stellte Jodie fest, dass sie es war, die aktiv ein Gesprächsthema anschnitt. Ein merkwürdiges Gefühl. "Ich kann durchaus etwas essen, ohne das ein Mensch bemerkt was ich eigentlich bin.", erklärte die andere Blondine ihr. "Aber der Körper eines Vampirs kann mit normalen Lebensmitteln nichts anfangen. Sie liegen einem wie ein Stein im Magen und bleiben dort. Wenn es unvermeidbar ist, kann ich zur Tarnung etwas essen, aber ich weiß, dass ich mich später übergeben muss, um die Nahrung wieder loszuwerden." Sie zog ein Gesicht. "Und das ist etwas, was Menschen und Vampire gleichermaßen nicht schätzen." "Zumindest dieses eine Mal hast du wohl Recht.", antwortete Jodie ihr und begann ihre Brille zu putzen, während die Vampirin aus der Thermosflasche trank. Die Augen der anderen Blondine hatten dabei ganz automatisch ein helles Stahlblau angenommen. Jodie versuchte diese Tatsache bestmöglich zu ignorieren, genau so wie das Wissen, dass sich in der Flasche Menschenblut befand. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, doch sie wusste, dass ihr derzeit die Hände gebunden waren und sie nichts anderes tun konnte als die Misere, in der sie sich befand, auszusitzen. Der Tag am Set verlief ohne weitere, nennenswerte Zwischenfälle. Auf dem Rückweg musste die junge Frau nach kurzer Zeit erneut die Schlafmaske aufsetzen, um nicht mitzubekommen, wo genau in der Stadt das Vampiranwesen lag. Zurück im Anwesen, stellte Jodie fest, dass die Bar noch wie ausgestorben wirkte. Kein Wunder, immerhin wurde es erst langsam dunkel. Die Vampire, die nicht hier wohnhaft waren, würden erst zu etwas späterer Stunde hier aufschlagen. Chris brachte sie erneut in das Wohnzimmer, in welchem sie auch die letzte Nacht verbracht hatte. Die Schauspielerin selbst verschwand nach dem Arbeitstag kurz im Bad um zu duschen, dann verabschiedete sie sich vorerst von ihrer Gefangenen, die sie kurzerhand im Wohnzimmer einschloss. Die Jägerin fragte sich, was die Vampirin nun wohl den Rest des Abends tun würde, doch fast schon tippte sie darauf, dass sie sich ein Weilchen hinlegte, da sie unglaublich müde aussah. Kein Wunder. Chris hatte tagsüber einen menschlichen Alltag und ging arbeiten, während sie sich in der Nacht mit den anderen Vampiren abgab und allem Anschein nach den geregelten Ablauf in diesem Haus organisierte. Viel Zeit sich auszuruhen blieb da nicht. Fast schon hätte Jodie ein wenig Mitleid mit der Schauspielerin gehabt, doch diesen Gedanken schob sie entschieden wieder bei Seite, als sie sich ohne viel Mühe daran erinnerte, was für ein Monster diese Frau doch war. Nach etwa zweieinhalb Stunden wurde die Tür zum Wohnzimmer wieder aufgeschlossen. Jodie, die den Fernseher eingeschaltet hatte und ihren Gedanken nachgehangen war, sah auf. Sie hatte nicht erwartet, ihr Gefängnis heute noch einmal verlassen zu dürfen, oder Besuch zu bekommen, doch es sah ganz danach aus, als hätte man sie nicht vergessen. Was genau sie von dieser Tatsache halten sollte, konnte sie nicht genau sagen. Sie begleitete Chris nach unten in die Bar, da die Vampirin wollte, dass sie den Alltag in diesem Haus ein wenig genauer kennenlernte. Inzwischen war es hier deutlich belebter, auch wenn sie noch keinen Gefangenen entdecken konnte, welcher heute in den Gläsern dieser Biester landen würden. Allein bei dem Gedanken daran wurde Jodie ganz übel. Chris hatte sich zu Rei und Curaçao an die Ecke des Tresens gesetzt und unterhielt sich mit ihren beiden Bodyguards, während Jodie selbst erst etwas unsicher im Raum stehen blieb und sich schließlich zwei Barhocker entfernt des Trios hinsetzte, da sie nicht wie bestellt und nicht abgeholt herumstehen wollte. Sich zu einer Gruppe der anwesenden Vampire zu gesellen, kam für sie nicht in Frage. Es reichte ihr schon, dass Amerikas Nummer Zwei sie zu ihrem persönlichen Dienstmädchen degradiert hatte, mit den anderen hier anwesenden Monstern wollte sie da erst gar keine Kontakte knüpfen. Wenn doch nur Mondnebel endlich in Aktion treten würde um sie zu befreien. Das etwas nicht stimmte, hatten die Anderen inzwischen sicherlich mitbekommen. Shu, James und die Anderen... Jodie wünschte sich nichts mehr, als dass ihre Teamkameraden sie endlich hier rausholten, gleichzeitig stieg jedoch auch ein ungutes Gefühl in ihr auf. Was, wenn man sie tatsächlich fand und befreite? Wenn ihr Team nicht vorher auch noch Andre fand und befreite, würde die Sache für Camel ganz sicher nicht gut ausgehen. Aus ihren Gedanken gerissen wurde sie, als von einem Flur, der für die Gäste des Hauses reserviert war, plötzlich einige Gestalten die Bar betraten. Interessiert und angespannt zugleich beobachtete Jodie die Neuankömmlinge. Das waren Gin und seine Leute. Chianti, Korn und Vodka nahmen an einem der Tische Platz, während Kir sich etwas im Hintergrund hielt, schließlich Jodie an der Bar entdeckte und sich zögerlich zu ihr gesellte. Die Blondine realisierte, wie die Stimmung in der Bar sich schlagartig geändert hatte. Waren die hier anwesenden Vampire bis eben noch gänzlich entspannt gewesen, so schien plötzlich jeder die Luft anzuhalten. Eine unausgesprochene Anspannung lag in der Luft. Viele der Barbesucher warfen den Neuankömmlingen skeptische, wenig freundliche Blicke zu, als würde es sich bei den Japanern um wenig willkommene Fremdkörper handeln. Jodie blinzelte, riss sich aus ihrer Starre und wandte sich stattdessen der Brünetten zu. "Rena. Schön dich zu sehen.", begrüßte sie ihre Kameradin. Angesprochene nickte ihr höflich zu und blickte sie freundlich an. "Es ist auch schön dich zu sehen. Hast du deinen ersten Tag hier gut überstanden?" "... Ja, ich denke schon. Der Tag war ziemlich verwirrend, wenn du mich fragst." Fragend zog Rena eine Augenbraue hoch, doch das Gespräch der beiden Frauen wurde vorerst unterbrochen, da sie beide gleichzeitig ihre Aufmerksamkeit der anderen Seite der Bar zuwandten. Gin hatte sich nicht zu seinen Leuten gesetzt, sondern hatte sich der Daywalkerin genähert und nahm schließlich auf dem Barhocker neben ihr Platz. "Wann gedenkt dein Boss sich endlich zu zeigen, Vermouth? Es ist äußerst unhöflich einen anderen Clananführer nicht zu begrüßen." "Der Boss wird dich dann im Empfang nehmen, wenn er es für richtig hält. Nicht früher und nicht später. Noch hat er keine Zeit für dich und deine Leute.", antwortete die Blondine ihrem Gegenüber ohne lange um den heißen Brei herumzureden, oder nach einer Entschuldigung zu suchen. Voller Selbstsicherheit fügte sie hinzu:" Ich bin die Stellvertreterin des Bosses, die zweiteinflussreichste Person der amerikanischen Vampirgesellschaft. Vorerst bin ich deine Ansprechpartnerin." Der Silberhaarige und die Schauspielerin tauschten einen langen Blick aus, in dem wenig Freundliches lag. Viel mehr glich der Blickkontakt einem Kräftemessen und gegenseitigen Abschätzen. Schließlich legte sich auf Gins Lippen ein höhnisches Grinsen. "Die zweitmächtigste Person in diesem Land. Eine Vampirin, die kräftemäßig auf einem Niveau mit gewöhnlichen Menschen ist. Ihr Amerikaner seid ein wahrlich amüsantes Volk." Er schob den Zeigefinger seiner linken Hand unter dem Halsreif der Blondine hindurch und zog sie an dem Schmuckstück ein Stückchen in seine Richtung. Fast wie ein Halsband, kam es Jodie spontan in den Sinn. Unwillkürlich hielt sie die Luft an. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Rena, blass und angespannt, ebenfalls nicht in der Lage war den Blick abzuwenden. "Du tust besser daran, die letzten beiden Monate in dieser Position zu genießen. Wir wissen beide, dass die Zeiten sich für dich schon sehr bald ändern werden." Jodie konnte beobachten, wie Bourbons und Curaçaos Augen schlagartig einen hellen, stahlblauen Ton annahmen. Die beiden Bodyguards wirkten verärgert und angespannt zugleich. //Sie werden Japans Clanoberhaupt gleich die Kehle zerfetzen//, realisierte die Jägerin. Doch noch ehe die Situation weiter eskalieren konnte, griff Chris selbst nach Gins Handgelenk und schob seine Hand ruhig aber bestimmt wieder auf Abstand. Ohne den Griff zu lösen, blickte sie ihn auf ihre typische überhebliche Art an, wirkte dabei jedoch ruhig und beherrscht. "Du urteilst zu früh, Gin. Es ist noch gänzlich unklar, was in zwei Monaten passieren wird. Vielleicht seid auch ihr Japaner es, die mit eingezogenen Schwänzen den Rückzug antretet." Die Blondine fuhr sich mit der Zunge über die Lippen , wobei Jodie kurz einen der perlweißen Vampirfänge aufblitzen sah. Ein klein wenig erinnerte Chris sie in diesem Moment an eine lauernde Katze. "Für den Moment...", fuhr sie fort und brach kurz ab, um eine Zigarette aus der Schachtel zu kramen und sie anzuzünden, "...solltest du jedoch nicht vergessen, wen du vor dir hast. Solange der Boss keine Notwendigkeit darin sieht, dich in Empfang zu nehmen, bin ich Amerikas ranghöchstes Mitglied hier. Du solltest dich folglich nicht im Tonfall und in deinem Handeln vergreifen. Oder willst du die politische Beziehung unserer Länder wirklich so leichtfertig aufs Spiel setzen?" Chris ließ sein Handgelenk los. Erneut starrten Gin und sie sich abschätzend und beinahe spöttisch an. "Zwei Monate sind für einen Vampir nicht mehr als ein Wimpernschlag. Wie könnte ich dir diese kurze Zeit der Macht da nicht gönnen.", höhnte der japanische Vampirfürst. "Wie überaus reizend von dir.", spottete Chris wenig beeindruckt. "Also, welche Pläne haben deine Leute und du für den heutigen Abend?", hakte sie schließlich nach. An Gins Stelle antwortete diesmal Chianti, die sich von ihrem Platz am nahegelegenen Tisch in Richtung Bar gedreht hatte. "Na das ist doch klar. Wir werden ein wenig die Stadt unsicher machen, was denn auch sonst?" "Aber übertreibt es nicht wieder so maßlos. Niemand braucht nach euren nächtlichen Streifzügen B-Klasse Vampire, die New York unsicher machen.", mischte sich nun Rei ein. Jodie hatte das Gespräch so gespannt verfolgt, dass sie fast schon erschrak, als Chris sich plötzlich Rena und ihr zuwandte und die beiden missfallend anfunkelte. "Wer hat euch beiden eigentlich erlaubt, euch mit uns an der Bar aufzuhalten und zu lauschen?", hakte sie wenig freundlich nach und machte eine verscheuchende Handbewegung. "Na los, verschwindet und setzt euch an einen der freien Tische dort hinten in der Halle." Während Jodie bereits nachhaken wollte, ob es nicht auch freundlicher ging, murmelte Rena ein rasches 'Verzeihung'. Schon war die Brünette von ihrem Platz aufgestanden, griff nach Jodies Arm und zog ihre Kameradin mit sich. Wenig später saßen die beiden Frauen an einem Tisch ganz in der Ecke der Bar. Von hier aus konnten sie den Tresen zwar problemlos im Blick behalten, bekamen das Gespräch jedoch nicht mehr mit. Jodie bemerkte, wie einige der an den umliegenden Tischen sitzenden Vampire ihnen seltsame Blicke zuwerfen. "Das sind die beiden Schoßhündchen der Anführer. Denk nicht mal dran ihnen ein Haar zu krümmen.", maßregelte ein Mann, der aussah wie ein Büroangestellter, seinen Sitznachbarn gerade. Schlagartig legte sich eine Gänsehaut auf die Arme der Blondine. In dieser verfluchten Bar wimmelte es nur so vor Vampiren. Allesamt grässliche Monster, für die Rena und sie nicht viel mehr waren als leckere Snacks. Sie taten ihnen nur nichts, weil sie unter Gins und Vermouths Schutz standen, realisierte sie. Ein beängstigender Gedanke. Rena sah weniger verstört aus als sie selbst. Die Brünette lebte nun schon unfreiwillig über ein halbes Jahr in der japanischen Vampirgesellschaft. Für sie mussten Sätze und Blicke wie aktuell schon fast Alltag sein. Nicht, das es das unbedingt besser machte. Jodie schüttelte den Kopf, versuchte noch einmal etwas von dem Gespräch an der Bar aufzuschnappen, musste jedoch einsehen, dass dies keinen Sinn machte. Sie konnte lediglich sehen, dass Chris sich mit Gin unterhielt, während ihre Bodyguards, sowie Gins Leute, alles aufmerksam im Blick behielten. Die Situation war angespannt und dennoch eskalierte sie nicht. Die beiden ranghohen Vampire waren sich nicht gerade sympathisch, dennoch gaben sie sich miteinander ab. Schließlich wandte Jodie sich Rena zu. "Sag mal, weißt du, was hier eigentlich gespielt wird?", wollte sie wissen. "Dieses Gespräch eben an der Bar und die ganzen Andeutungen, das ist doch nicht normal." Zwar konnte die Blondine nicht von sich behaupten, die Vampirgesellschaft besonders gut zu kennen, dennoch war ihr klar, dass hier etwas nicht stimmte. "Normal ist an der aktuellen Situation ganz sicher nichts, da stimme ich dir zu." Rena musterte sie aus ihren taubenblauen, ruhigen Augen. "Ich weiß was hier los ist, aber ich bin mir nicht sicher, ob es dich und mich nicht in Teufelsküche bringen wird, wenn ich es dir erkläre." Man konnte ihr förmlich ansehen, dass sie Jodie einerseits gerne eingeweiht hätte, andererseits jedoch Angst vor möglichen Konsequenzen hatte. Voller Unwohlsein rutschte Sternenstaubs Vampirjägerin unbewusst auf ihrem Platz hin und her. "Vielleicht solltest du ganz einfach Vermouth um eine Erklärung bitten. So ersparen wir uns beide Ärger." Einerseits gefiel es Jodie nicht, dass Rena es aus Angst vorzog zu schweigen, obwohl sie mehr wusste, andererseits konnte sie die Jüngere verstehen. Chris war launisch, doch im Gegensatz zu Gin wirkte sie ihr wie das deutlich geringere Übel. Allein schon das noch nicht ganz verblasste Veilchen im Gesicht der Brünetten verriet, dass der japanische Vampirfürst weder besonders freundlich, noch besonders zimperlich mit ihr umging. Das Rena es da vorzog, nicht auch noch sein Missfallen zu erwecken, war durchaus verständlich. Jodie seufzte und beschloss, das Thema erst einmal gut sein zu lassen. "Na schön, ich werde Chris selbst mal darauf ansprechen.", entschied sie. "...Du sprichst sie wirklich mit Vornamen an?", hakte Rena ein wenig ungläubig nach. Die Blondine nickte. "Sie scheint sich nicht daran zu stören. Da werde ich sie sicher nicht mit diesem seltsamen, alkoholischen Codenamen ansprechen." "Das es ihr scheinbar egal ist, wundert mich wirklich.", meinte die Brünette, ehe sie das Thema wechselte. "Vermouth hat dich heute mitgenommen, oder? Wo wart ihr?", wollte sie wissen. Es war Rena deutlich anzusehen, dass sie auf ein wenig Alltag und ein unverfänglicheres Thema hoffte. Somit begann Jodie ihr also von ihrem Tag zu erzählen. Der Tag am Filmset war durchaus eine Abwechslung gewesen, auch wenn sie nicht verstand, was genau die Daywalkerin eigentlich damit bezweckt hatte, sie mitzuschleifen. Viel mehr, als ein paar Sachen von A nach B getragen, hatte Jodie immerhin nicht, um sich nützlich zu machen. Ob Chris für den Anfang vielleicht einfach nur wollte, dass sie einen Überblick über den Alltag gewann, der sie hier erwartete? Nachdem sie Rena von ihrem Tag erzählt hatte, berichtete diese ihr noch, wie ihr heutiger Tag ausgesehen hatte. Sie hatte am Morgen tatsächlich etwas Freizeit gehabt, ehe die japanischen Vampire ihr aufgetragen hatten für einige Erledigungen in die Stadt zu fahren. Die Blutsauger profitierten ganz eindeutig davon, dass die Brünette als Mensch kein Problem damit hatte, bei Tageslicht das Haus zu verlassen. Gleichzeitig realisierte Jodie auch, dass Rena wissen musste, wo genau dieses Anwesen lag. Ihre Gruppe musste Vertrauen genug in die eigentliche Jägerin haben, um sie vollkommen unbeaufsichtigt loszuschicken, um einige Aufträge zu erledigen. Ziemlich gewagt, wenn man bedachte, dass Rena eigentlich ein Mitglied Sternenstaubs war. Andererseits war da auch diese unübersehbare Angst der Jüngeren, die bereits erahnen ließ, dass sie nichts unternehmen würde, um aus ihrem Gefängnis auszubrechen, selbst wenn sie die Chance dazu hätte. Jodie fragte sich, welches Druckmittel die Vampire gegen ihre Kameradin in der Hand hielten, oder was genau sie ihr angetan hatten, um diesen Zustand zu erreichen. Sie beschloss nicht nachzuhaken. Bereits gestern hatte sie bemerkt, wie die Kleinere rasch den Blick abgewandt hatte, als sie bemerkt hatte, dass sie das Veilchen in ihrem Gesicht gemustert hatte. Nein, Rena würde ihr höchst wahrscheinlich keine Antwort geben. Doch etwas anderes gab es durchaus noch, worüber Jodie mit ihr reden wollte. Zwar kannten sie sich kaum, dennoch war die andere Jägerin ihr praktisch auf Anhieb sympathisch gewesen. Ihre ruhige, liebe Art machte es schwer Rena nicht zu mögen. Trotzdem, etwas gab es, dass Jodie einfach nicht in den Kopf wollte. Chris Andeutung vorhin hatte es nicht unbedingt besser gemacht. "Sag mal, mal etwas ganz anderes...", begann sie also und überlegte, wie sie das Thema nun am besten anschneiden sollte. Rena blickte sie fragend aber freundlich an. "Chris sagt, dass sie dich heute Morgen nicht dazu verdonnert hat die Bar zu putzen. Du hast das alibihalber gemacht, um im Anschluss etwas Zeit mit Curaçao verbringen zu können, oder? Ich meine, ein Blinder sieht, dass du sie magst." Jodie beschloss besser kein Blatt vor den Mund zu nehmen. "Aber sie ist ein Vampir. Ein Monster! Wie alle anderen dieser elenden Biester auch!" Rena sah im ersten Moment recht ertappt aus, dann huschte ihr Blick verlegen zur Seite und ihre Wangen gewannen sichtbar an Farbe. "Ich kann es nicht leugnen, was?", ergriff sie schließlich das Wort und dachte kurz darüber nach, wie sie es Jodie erklären sollte. "Natürlich, ich bin eine Jägerin wie du auch und in 98% der Fälle teile ich deine Ansichten, aber Curaçao... ist anders." Unbewusst hatte Rena eine Papierservierte aus dem Serviettenständer auf dem Tisch gegriffen und begann damit diese zu falten. "Wie kann eine Vampirin bitte anders als der Rest sein?", hakte Jodie wenig überzeugt nach. "Sie macht dir höchstens etwas vor." "Nein, so ist das nicht!", widersprach Kir ihr diesmal ungewohnt bestimmt. "Gin ist mit seiner Gruppe und mir erst vor etwa drei Wochen nach Amerika gereist. Erst da sind wir uns überhaupt begegnet." Fragend und skeptisch zugleich blickte Jodie sie an und forderte sie stumm auf weiterzusprechen. "Curaçao war von Tag 1 hier in Amerika so freundlich zu mir, wie es im ganzen letzten halben Jahr niemand mehr war. Sie nimmt ihre Aufgabe als Bodyguard zwar sehr ernst, aber sie ist nicht so ein blutrünstiges Monster, wie viele anderen hier. Im Gegenteil, sie ist ausgeglichen und fürsorglich und sie hat mir von ihrer Vision für die Zukunft dieses Landes erzählt..." Jodie traute ihren Ohren kaum. Eigentlich hielt sie ihre japanische Kameradin für vernünftig, nicht jedoch im Bezug auf die Silberhaarige. Diese Vampirin musste sie mit schönen Worten eingelullt haben, anders konnte sie es sich nicht erklären. Erst heute Morgen noch, hatte Curaçao nicht unbedingt mit Freundlichkeit geglänzt. Noch ehe sie weiter nachhaken konnte, wurde die Aufmerksamkeit der beiden Frauen auf etwas anderes gelenkt. Gin und seine Leute hatten sich von ihren Plätzen erhoben und näherten sich der Tür. Scheinbar wollten sie aufbrechen, immerhin war es inzwischen mitten in der Nacht. Auch wenn die Brünette sich unwohl fühlte, versuchte sie dies zu überspielen und möglichst locker und selbstbewusst zu klingen. "Gin!", rief Rena nach dem Silberhaarigen, welcher daraufhin inne hielt und sich in ihre Richtung wandte. "Willst du, das ich mitkomme?" Doch das japanische Vampiroberhaupt winkte nur ab. "Nein, nicht nötig. Du bleibst heute hier. Ich werde dich morgen früh losschicken." Angesprochene nickte. "Ist gut." Als Gin und seine Leute durch die Tür in die Nacht verschwanden, konnte Jodie förmlich dabei zusehen, wie Rena aufatmete und sich entspannte. Derweil liefen Chris und Rei durch die inzwischen gut besuchte Bar, wobei die Blondine mit einer Mappe und einem Stift bewaffnet war. Bei einer Gruppe blieben die beiden kurz stehen und besprachen etwas, dann schlugen sie den Weg in Richtung Keller ein. Curaçao war ebenfalls von ihrem Platz an der Bar aufgestanden, folgte den beiden Blonden jedoch nicht, sondern nahm Kurs auf den Tisch, an dem die beiden Jägerinnen saßen. Die Frau mit den verschiedenfarbigen Augen sah verärgert aus. "Gin und seine Leute sind so unhöflich. Kaum zu glauben, was er sich unserer Anführerin gegenüber erlaubt." "Wenn zwei Vampirfamilien aufeinandertreffen, sind Konflikte vorprogrammiert, nicht wahr?", begrüßte Rena sie mit deutlich ruhigerer Stimme. Einen Moment lang ruhte der Blick der Silberhaarigen auf ihr. "Das ist wohl wahr.", seufzte sie schließlich. Curaçao stellte eine Flasche Cola vor Sternenstaubs Jägerin auf dem Tisch ab. "Hier, die restliche Getränkekarte ist eher nicht nach deinem Geschmack." Sie warf ihr ein fast schon entschuldigendes Lächeln zu, wobei Jodie auffiel, dass die Silberhaarige in Renas Gegenwart in der Tat viel sanfter und freundlicher wirkte. "Das ist lieb." Rena nickte ihr zu, während Curaçao neben ihr am Tisch Platz nahm. "Aber sag mal, hast du nicht ein Glas für Jodie vergessen?" Kurzzeitig kühlte die Mimik der Vampirin ab. "Du kannst dich selbst versorgen, Mensch.", murrte sie an die Blondine gewandt. Rena stieß sie daraufhin mit dem Ellbogen an und warf Curaçao einen tadelnden Blick zu. "Sei nicht so unhöflich! Sie hat dir nichts getan. Das Jodie nicht gerade glücklich mit ihrer aktuellen Situation ist, kann man ihr wohl kaum verübeln, oder?" Die Silberhaarige blinzelte, dachte kurz über die Rüge nach und musterte Jodie schließlich aus nicht mehr ganz so kühlen Augen. "Vermutlich hast du recht, Rena. Trotzdem, mein Vertrauen genießt du nicht." Der letzte Satz galt der Blondine. "Deine Augen sagen mir, dass du eine Rebellin und ein Sturkopf bist, wie keine Andere. Ich verstehe nicht, wie Chris sich einen Störenfried wie dich freiwillig ins Haus holen konnte. Es hätte andere Lösungen gegeben." Jodie fühlte sich wie im falschen Film. Eine gefangene Jägerin, die eine Vampirin tadelte, welche sich dies klaglos gefallen ließ? Dann erst stolperte sie über die Wortwahl der Silberhaarigen. "Eine andere Lösung?" Doch Curaçao blieb ihr eine Antwort schuldig. "Ihr zwei solltet jetzt vielleicht lieber wegsehen. Sie bringen die Menschen für den heutigen Abend her." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)