Sherlock Holmes von Cyrene (das unheilvolle Familienerbstück) ================================================================================ Kapitel 35: Für den einen Pflichterfüllung, für den anderen Folter ------------------------------------------------------------------ Nachdem John seine Jacke komplett ausgezogen hatte - welche nun nur noch am linken Handgelenk, wegen der Handschellen, herunter hing - versuchte er mühevoll ein Stück vom Stoff seines langärmligen Hemdes abzureißen, setzte dazu ganz oben an der Schulternaht an, zog ein- bis zweimal kräftig daran, bis schließlich dort mit einem Ruck ein Riss entstand und er den Stoff um seinen Arm herum nach unten ziehend abreißen konnte. Wenn er die Wunden unter Wasser verbinden würde, wären die Stoffstücke zwar nass, würden zur Stillung der Blutung allerdings seiner Einschätzung nach trotzdem ausreichen, zumindest vorerst, wenigstens so lange bis Lestrade sie beide endlich aus diesem Loch fischen würde. Ohne Zögern griff der Doktor, den ersten Stofffetzen in den Händen, ins Wasser, legte diesen zuerst am dem Knie seines Kollegen an. Sherlock versuchte derweilen John so gut es ging zu unterstützen, hatte er schließlich eingesehen, dass sein „Leibarzt“ diese Verarztungsaktion hier unten durchführen würde, ob sich sein Patient nun wehrte, mithalf oder die Prozedur reglos über sich ergehen ließ. Da wählte der Detektiv doch lieber die zweite Variante, indem er den rechten Arm locker ließ um seinem Handschellenpartner so viel Bewegungsfreiheit wie möglich zu geben und selbstständig das verletzte Bein so gut es ging nach oben hielt. Mit geübten Handbewegungen hatte dieser das Knie schnell fest umwickelt, zog schlussendlich noch einmal etwas stärker an den Enden des Ärmels um den Druck auf die blutende Stelle zu maximieren. Ein leises Stöhnen war zu hören, was John kurz aufschauen ließ. Der Detektiv hatte für einen kurzen Augenblick die Augen zusammengekniffen und sich wieder an der Wand festgehalten. Der Kleinere schüttelte innerlich seufzend den Kopf. Hatte der ach so stolze und gnadenlos coole Meisterdetektiv also doch Schmerzen. Eben jener setzte kurzum wieder seine übliche Maske auf, holte lauter als gewollt tief Luft und sah einfach nur stumm zur Seite, als wäre nichts gewesen. War aber auch nicht anders zu erwarten gewesen. Unverdrossen machte John noch einen kleinen Knoten, ohne dabei seinen „Patienten“ aus den Augen zu lassen. Schon wieder… schon wieder war er ihm so nah, fiel dem Veteran erst jetzt so richtig auf. Würde es hier nicht so übel riechen, hätte er mit Sicherheit längst Sherlocks eigenen angenehmen Geruch wahrnehmen können. Kaum merklich begannen seine Hände zu zittern, was dem Detektiven mit Sicherheit nicht entging. Das ihm plötzlich, gerade in so einer Situation, dieser Gedanke im Kopf herumschwirrte alleine wäre eigentlich schon Grund genug gewesen seinen Kopf gegen die Wand zu schlagen. Doch, dass er auch noch auf diese eigentlich routinemäßige und medizinisch notwendige Nähe derart reagieren musste,… es eindeutig als überaus unpassend empfand,... Sein schlechtes Gewissen hatte den Veteran endgültig wieder, lastete beinahe schwerer auf den Schultern des blonden Mannes, als am Morgen direkt nach seiner „Tat“. Und erneut kam er sich deswegen vollkommen bescheuert vor. Nach der einträchtigen Putzaktion hatte er versucht das Gespräch mit seinem Mitbewohner zu suchen, doch selbst wenn Sherlock ihn zu Wort hätte kommen lassen, er hatte nicht gewusst, wie er sein Bedürfnis hätte vortragen sollen. Sich bei Sherlock entschuldigen? John war innerlich komplett durcheinander, alle bisherigen Erfahrungen und geistigen Anpassungen in seinem Leben halfen ihm in dieser Situation kein Stück weiter. Alles, was er mit diesem Mann, den er hier unten in einem stinkigen, alten, stillgelegten Brunnen notdürftig ärztlich versorgte, bis jetzt erlebt hatte, hatte ihn letztlich an diesen Punkt gebracht, in eine für ihn, vor seinem Zusammenleben mit Sherlock Holmes, vollkommen unbekannte Richtung. Etwas Neues, Seltsames und wie er sich insgeheim eingestand, Aufregendes, was ihm vielleicht für immer verborgen geblieben wäre, hätte er diesen einen Mann niemals getroffen. Ein Schlund aus den gegensätzlichen Gefühlen Schuld und Neugier tat sich in ihm auf, fegte aber wohl eher, anfangs von ihm unbemerkt oder eher vehement unterdrückt, schon seit viel längerer Zeit durch seinen Verstand. Zuerst hatte er sich durch diese in seinem „normalen“ Alltag, seinem Leben, wie es seiner Meinung nach sein hätte sollen, behindert gefühlt, aber letztendlich, spätestens heute Morgen hatte er sich eingestanden, dass er sich gleichzeitig seinen wohl wahren und eindeutigen Erkenntnisse verschlossen hatte, statt sie zu akzeptieren, endlich mit seinem Körper und Seele zu vereinigen, in Einklang zu bringen… Warum,… verflucht… Warum war es nur so schwer? Dem angeblichen Soziopathen vor ihm schien es im Vergleich zu ihm selbst augenscheinlich ungewöhnlich leicht zu fallen, also warum traute John Watson nicht einfach auch seinen eigenen Gefühlen? Wie in Trance starrte der ehemalige Militärarzt seinen Gegenüber, ohne es wirklich mitzubekommen, stumm an. Dachte über die letzten zwei Tage nach, besonders über ihre, wie er es selbst, wenige Sekunden nach dem er Sherlocks Zustimmung regelrecht erzwungen hatte, schon selbst erkannt hatte, dämliche Vereinbarung. Ja. Sogar für IHN hatte es sich bereits in der besagten Situation verlogen und falsch angefühlt, eine unsinnige, unnötige und eingeschränkte Regel die sie... oder… viel mehr nur er selbst aufgestellt haben wollte… Johns Mund wurde allmählich trocken, musste einmal schlucken, während er, beinahe verzweifelt, versuchte mit seiner eben angefangenen Tätigkeit weiter zu machen. Ihm war natürlich aufgefallen, dass Sherlock ihm dabei entgegen kam, weshalb er diesen auch nicht mehr länger warten lassen wollte. Und endlich, keinen Atemzug später fand sich John wieder im Hier und Jetzt. Ohrfeigte sich gedanklich noch für diese wiederkommenden Grübeleien und Selbstzweifel seines sturen Egos. Wollte jetzt endlich seine Arbeit hier beenden und griff sich deshalb auch schon kurzerhand wieder nun an seinen rechten Ärmel um diesen ebenfalls abzureißen. Fatalerweise hatte er dabei jedoch nicht länger auf die Taschenlampe geachtet, die er noch immer zwischen seinen Zähnen geklemmt hielt, sodass sein Kiefer sich für einen kurzen Moment entspannte und ihre einzige Lichtquelle an diesem düsteren Ort dabei prompt mit einem lauten Platschen nach unten ins Wasser fiel. “Verdammt?!”, kam es daraufhin schon laut fluchend. Verärgert über sich selbst und die Tatsache, dass er mal wieder durch seine Gedankengänge abgelenkt gewesen war, sah Watson der kleinen Taschenlampe hastig hinterher, versuchte sie noch im Absinken zu fassen zu bekommen. Leider zu langsam. Schon war sie außerhalb seiner Reichweite. Sollte er nach ihr tauchen? Nein, er konnte da nicht runter. Dieses Wasser war einfach zu widerlich. Kurz rieb er sich nachdenklich und mit sich ringend die Stirn. Nein, entschied er nach kurzem Überlegen erneut, er würde es trotzdem nicht machen, auch wenn das bedeuten würde, ab jetzt im Dunkeln auf Rettung warten zu müssen. Was soll’s. Das laute, deutlich genervt klingende Seufzen seines Gegenübers ließ ihn diese Situation schnell wieder vergessen. Der Veteran presste die Lippen aufeinander, richtete sich wieder auf und führte seine Arbeit scheinbar ungehindert fort. Ein erneutes Ratschgeräusch von zerreißendem Stoff war zu hören, bevor John realisierte, dass bei diesem ja die Handschelle am Handgelenk beim Abstreifen im Weg war. Doch auch dafür fand er schnell eine Lösung und legte kurz darauf den zweiten Stoffstreifen zurecht, um sich dann auch schon mit diesem in den Händen ein zweites Mal Richtung Sherlocks verletztem Bein zu beugen. Zum Glück reichte das grelle Licht der Taschenlampe, auch wenn sie sich nun auf dem Grund des Brunnens befand. Die Frage war nur - Wie lange würde das Licht noch an bleiben? Hoffentlich wenigstens bis zum Abschluss der Wundversorgung. Ohne diese kostbare, nicht abschätzbare Zeit weiter zu verschwenden führte der Doktor den Stofffetzen unter der Wasseroberfläche zu Sherlocks Unterschenkel, legte diesen auf die offene Wunde und merkte augenblicklich, wie sich der Körper vor ihm leicht verkrampfte. Ohne aufzuschauen wartete es einen kurzen Moment, ehe er das Stück Stoff weiter um die schlanke Gliedmaße wickelte. Sherlock währenddessen blieb dieses Mal vollkommen still, hätte sich eher die Zunge abgebissen, als nochmals irgendeinen weinerlichen oder anderweitigen Laut von sich zu geben. So starrte der Detektiv auch weiterhin zur Seite, ohne eine Miene zu verziehen, ließ sich mehr oder weniger - auch wenn er es noch immer als nervend und unnötig empfand - von seinem Doktor verarzten. Aber so langsam….schien sich mehr und mehr ein kleines Problem zu entwickeln, was bislang, zumindest seiner Vermutung nach, nicht nur den Detektiven betraf. Dessen Gehirn jedenfalls war momentan dabei, krampfhaft herauszufinden was für ein verfluchtes Gefühl sich da schon wieder just in diesem Augenblick in die aktuelle Situation einschlich. Verwirrt runzelte der Jüngere die Stirn… Das wird doch nicht schon wieder-… Darauf konzentriert sich nichts anmerken zu lassen, krallte der Consulting Detective seine Hand noch mehr an die Wand, wenn auch ohne Halt an ihr zu finden. Sein Magen zog sich in beinahe unangenehm zusammen und er musste entnervt zugeben, dass sich alles, wirklich alle Empfindungen, gerade von seinem Unterschenkel aus nach oben durch seinen Körper flossen und das nur wegen zwei, ihm durchaus bereits bekannte, Händen, welche sich schnell und gewissenhaft daran machten seine Verletzungen, so gut es hier unten eben ging, zu versorgen. …Der reinste Horror - wie Sherlock mit einem Mal feststellen musste. Denn zu seinem Bedauern waren jene Berührungen trotz dem Schmerz… angenehm, vertrauenswürdig und zudem recht geschickt ausgeführt. Sein Freund und Kollege berührte ihn kaum, weder an seinem Bein und noch weniger an seinem Körper, nur wenn es sein musste, versuchte scheinbar, so gut es in dieser „intimen“ Situation ging, trotzdem Abstand zu halten. Doktor John Watson hatte das sicherlich bereits unzählige Male getan und wahrscheinlich auch schon an vergleichbar unwirklichen Orten, ob es auch immer so ablief, oder verhielt sich der Doktor ihm gegenüber anders als sonst, wenn er jemanden ärztlich versorgte? War es denn wirklich besser so? Wahrscheinlich.… Noch ein weiteres Mal den Stoff um Sherlocks Bein wickelnd, wurde John langsam fertig. Zog diesen fest und wollte zum Schluss noch einen Knoten machen, hielt dann aber kurzzeitig erschrocken inne. Beide Männer sahen synchron abrupt nach unten, nur um zu beobachten, wie ihre Lichtquelle plötzlich zu Flackern anfing. Gerade als John mit sich rang, sich doch noch dazu zu entschließen, nach unten zu tauchen, war es auch schon zu spät… Das Licht wurde immer schwächer, bis es schließlich vollkommen erlöschen würde, um das Ermittlerduo erneut im schwarzen Nichts zurück zu lassen. Nun standen sie also, wie zu Beginn ihres unfreiwilligen Aufenthalts hier wieder im Dunkeln. Während des Verdunklungsprozesses flüsterte John entsetzt “Nein…” und ärgerte sich gleichzeitig darüber, dass er dieses Ding einfach hatte fallen lassen. Wütend über sich selbst biss er die Zähne zusammen, sah etwas fragend nach oben. Suchte in dem immer schwächer werdenden Licht die Augen seines Kollegen. Sherlock schüttelte sachte den Kopf, wusste dass es nicht Johns Schuld war, dass sie hier, ob nun mit oder ohne Beleuchtung, weiter herumstehen und warten mussten. Sich über solch eine Lappalie aufzuregen hätte also eh nichts gebracht. “Es dauert eh nicht mehr lange bis wir hier rauskommen.” Die plötzlich so ungewohnt ruhigen Worte seines Gegenübers, ließen John die Luft anhalten. Das Leuchten der Taschenlampe wurde zum Schluss hin immer abgehakter, mit mehr und längeren Pausen dazwischen flackerte es die letzten Male auf. Schon konnten die beiden Männer nur noch mit Mühe das Gesicht des jeweils Anderen ausmachen, mit angestrengtem Blick die Augen ihres Partners erkennen. Der Größere von beiden ließ ein wenig die Augenlider sinken, was John mittlerweile schon gar nicht mehr sehen konnte. Sherlock wusste nicht genau weshalb und wie er dazu kam in solch einer unmöglichen Situation und Lage über diese wieder aufkommende Wahrnehmungen nachzudenken. Sein Hirn durchströmte eine Vielzahl an Erinnerungen, Bilder und Erfahrungen. Erinnerungen an die letzten Tagen, gemeinsamen Minuten und Stunden mit seinem Mitbewohner. Zweideutige Bilder, die ihm ohne für ihn logische Reihenfolge teils klare, teils verschwommene Szenen seines Freundes und Kollegen nochmals vor das geistige Auge führten, alle solche, welche ihm neue Seiten von dem ehemaligen Militärarzt offenbart hatten, da Sherlock all diese in seinem Gedächtnis gespeichert hatte. Und solche von Erfahrungen, die er, ohne es Anfangs gewollt zu haben, mit diesem Arzt schon durchlebt hatte. Seltsame und ungewohnt prickelnde,… viel zu heiße und… fraglich erstaunliche Empfindungen… Nie hätte der selbsternannte Consulting Detektiv auch nur im Geringsten für möglich gehalten, dass solch eine Sache - so ein instinktgesteuerter Trieb - in gewisser Weise und mit einem bestimmten Menschen so anders und… im Grunde genommen doch recht angenehm sein konnte... Sein Gehirn log. Unerbittlich. Verdrängte den Zustand vollständiger Zufriedenheit.... ja sogar ein Gefühl in ihm, welches sehr viel mehr war als ein einfaches ‘angenehm’. Noch konnte und wollte Sherlocks unbeugsamer und analytischer Verstand nicht zugeben, was für ein wahres Gefühl nur hinter all diesen Erinnerungen, Bildern und Erfahrungen stecken konnte, sich wirklich dahinter verbergen musste. Was für ein starrsinniger und verbockter Soziopath er doch war, solch eine Fähigkeit zur schonungslosen Selbstreflektion hätte er sich selbst gar nicht zugetraut und wäre er momentan dazu in der Stimmung gewesen, hätte er wahrscheinlich dieses Umstandes wegen über sich selbst gelacht… Doch bevor er noch sentimentaler werden hätte können, stopfte er gedanklich so schnell wie möglich alle unpassenden Elemente seiner Gedanken in eine Kiste, wollte diese gerade fest verschließen als… ein leichtes Zittern ihn von diesem Vorhaben ablenkte und nach unten schauen ließ. Doch dort sah er, wie eigentlich erwartet, nichts. Nun standen sie also, wie zu Beginn ihres unfreiwilligen Aufenthalts hier wieder im Dunkeln. Doch dieses Zittern… Es war fühlbar nah, ließ den Detektiv, als er dessen Ursprung erkannte, fragend die Augenbrauen hochziehen. Die Quelle dieses konnte natürlich, rein logisch betrachtet, da sie beide nach wie vor alleine hier unten gefangen waren, nur der kleinere Mann vor ihm sein und die Ursache war auch mehr als offensichtlich. Der Doktor fror durch die erneute Dunkelheit um sie herum immer mehr. Was allerdings auch kein Wunder war, da dieser sich ja zuvor selbstlos die Jacke ausgezogen und zudem beide Ärmel abgerissen hatte um mit dem Stoff seinen Kollegen notdürftig versorgen zu können. Sherlocks Schal wäre hierbei im Endeffekt sehr hilfreich gewesen, wenn er ihn denn auch umgehabt, und nicht in ihrer Wohnung extra liegen gelassen, hätte. So hätte Mann nämlich zur Not mit seinem Schal die Verletzungen umsorgen können. Derweil versuchte der Doktor sich zusammenzureißen, keinen großen Akt daraus zu machen. Ob nun frieren oder nicht, warten mussten sie so oder so. Und trotz all dem… wollte dieses leichte Zittern einfach nicht von seinem Körper weichen. “John,…”, kam es plötzlich ungeduldig von Sherlock. “…Sind Sie fertig?” Die tiefe Stimme des anderen Mannes brachte den Angesprochenen, wenn auch etwas unsanft, wieder dazu, klar zu denken. Bemerkte doch tatsächlich, dass er, von der ausgehenden Taschenlampe ganz abgelenkt, seine Verbandsaktion nach wie vor nicht zu Ende gebracht hatte. “Oh ähm,…sofort.” Schnell wollte er noch den Stofffetzen an Sherlocks Unterschenkel mit einem Knoten befestigen, damit nicht alles wieder aufging und umsonst gewesen ist. Etwas unbeholfen führte er seine Hände zurück ins Wasser zu der Verletzung. “Moment, ich will das hier nur noch schnell beenden.” „Schnell“ - das wollte Sherlock ihm aber auch geraten haben, denn inzwischen wurde der Detektiv innerlich immer nervöser. Nicht weil er fror oder gar wegen den leichten Schmerzen in seinem linken Bein, natürlich auch nicht wegen der erneuten Finsternis um sie herum. Nein, viel mehr oder einzig und allein… wegen IHM. Diesem Mann vor ihm. Er musste sich gefälligst zusammenreißen. Es konnte doch verflucht noch eins nicht schon wieder angehen, dass er sich von ein paar lächerlichen Schauern, die gerade wieder über seinen Rücken jagten und der Gänsehaut auf seinen Armen, so einfach durcheinanderbringen lassen musste. Diesen Fakt wollte er einfach nicht akzeptieren. Auch wenn die Chance…. so greifbar nah war und, praktischerweise, rein theoretisch auch nicht einfach davon laufen konnte. Hier an diesem Ort, im Dunkeln, aneinander gekettet,…ungestört. … Sherlocks Verstand spielte längst wieder verrückt, wie an diesem einen Abend in Johns Zimmer, musste er sich erneut eingestehen, dass sein deduktives Denken hier offensichtlich vollkommen nutzlos war. Dennoch kämpfte er noch, wollte gefälligst eins und eins zusammen zählen, Wahres und Unsinn voneinander trennen, sich selbst mit aller Macht unter Kontrolle halten. Er durfte einfach nicht, warum verstand sein Körper das einfach nicht, den hatte er doch all die Jahre zuvor schließlich auch sehr gut im Griff gehabt. Wieso nur jetzt auf einmal scheinbar kein bisschen mehr? Wieso nur??? Ein neuer Riss in der Mauer, die er so mühevoll um seine lästige Gefühlswelt herum errichtet hatte, entstand. Genau wie damals in Johns Zimmer mit den gleichen Gedanken, Gefühle, dem gleichen Verhalten. Alles begann also von Neuem… Leise aufknurrend und sich innerlich über alle Maße darüber aufregend, wie dämlich und lächerlich er sich gerade benahm, schloss Sherlock seine Augen, versuchte sich auf andere Dinge zu konzentrieren, nicht weiter auf die Hände des Arztes zu achten. Sie vollkommen zu ignorieren, regelrecht auszublenden. So wie das durch diese ausgelöste nervende Gefühl in seiner Magengegend. Wollte am liebsten überhaupt nichts um sich herum wahrnehmen in diesem für ihn erneut so unangenehmen Moment… Der Veteran machte, wie erwähnt, so schnell es ging noch einen kleinen Knoten, war dann endlich soweit und bedeutete dem anderen durch sanften Druck nach unten, dass dieser das Bein endlich wieder runter nehmen konnte. Dabei blieb er still, stand noch immer direkt vor dem großgewachsenen Detektiv, berührte diesen, nach der kurzen nonverbalen Aufforderung, nun an keiner Stelle mehr und war ihm, dennoch, so fühlbar nah, konnte in der Dunkelheit die leisen aber auffällig unruhigen Atemzüge vernehmen. Wenn seine Sinne sich nicht gänzlich geirrt hatte, hätte Watson gerade eben noch schwören können, genau diesen Atem an seiner Stirn gespürt zu haben. Wenn er doch nur..., einfach nach vorne greifen dürfte, das Gesicht seines kleineren Kollegen ergreifen könnte… All diese Überlegungen, das Unbehagen existierten nur allein wegen Johns Abwehr. Nur wegen dessen Reaktionen, die sich nur äußerlich als abgeneigt zeigten, konnte Sherlock einfach nicht seine Chance ergreifen, keinen weiteren Versuch wagen seine Neugierde, sein Interesse zu verdeutlichen, diesen freien Lauf zu lassen. Wurde immer und immer wieder durch die Taten des blonden Mannes daran gehindert. Der Detektiv musste, um Himmels Willen, wirklich aufpassen, seinen brillanten Verstand nicht auf eine Weise zu nutzen, welche als ausgeführte Aktionen in eine ganz falsche Richtung gehen würde. In eine, die seinem Doktor mit Sicherheit ganz und gar nicht gefallen würde. In dem Punkt meinte Sherlock seinen Freund so ziemlich genau einschätzen zu können… Er musste so unendlich vorsichtig sein… Langsam wurde es immer anstrengender sich zurückhalten zu müssen obwohl der eigene, dumme, unkontrollierbare Körper doch nach etwas ganz anderem verlangte. Sherlock musste einfach sein hoch funktionelles Gehirn im Zaum halten, sich selbst vollkommen im Griff haben, immer!… Er wollte den Kleineren schließlich nicht noch mehr in die Arme dieser Frau treiben oder, Schlimmeres, endgültig verjagen. Schärfer als gewollt zog er die Luft tief ein, bevor sie auch schon langsam und hörbar wieder aus seinen Lungen strömen ließ. Bisher war vom erwarteten Sauerstoffmangel hier unten glücklicherweise offenbar nichts spürbar, aber da konnte der Detektiv sich auch irren, da er tatsächlich noch keine Erfahrungen mit Situationen wie dieser gesammelt hatte. John hätte taub sein müssen um das nicht mitzubekommen, weshalb er nicht drum herum kam, doch lieber einmal leise nachzufragen. “Sherlock?…” Nur ein Flüstern. Warum flüsterte er? John räusperte sich kurz, sprach dann etwas lauter weiter. “…Haben Sie Schmerzen?”, wagte er einen weiteren Versuch. Wollte dabei extra nicht all zu besorgt klingen. Wenn sein Kollege schon so seltsam zu Atmen anfing, konnte das ja schließlich auch bedeuten, dass etwas nicht in Ordnung war – nahm der Doktor jedenfalls an. Der Angesprochene blieb seinerseits vorerst still, musste sich kurz sammeln um die richtigen Worte zu finden. Überlegte wirklich fieberhaft, kam aber letztlich jedoch abermals zu irgendwelchen hirnrissigen Sätzen, die ausschließlich dazu dienen würden den Anderen in ein Gespräch zu verwickeln, dessen Ausgang mehr als zweideutig sein würde… Allein für diesen Gedanken hätte sich der Consulting Detective am liebsten selbst kräftig in den Hintern getreten… Sollte er?-…. Sollte er es trotz allem wagen?… Sherlock rang mit sich selbst, forderte in diesem Augenblick seinen eigenen übermächtigen Verstand heraus. Ein Versuch… Nur ein einziger kleiner Versuch?… Er wollte. Verdammt er würde einen weiteren Versuch starten, musste es einfach noch ein letztes verzweifeltes Mal wagen. Wenn nicht jetzt, wann dann?… sammelte, konzentrierte sich auf sein Ziel, seine Stimme, auf seine Körperhaltung, auch wenn der Kleinere vor ihm diese nicht sehen konnte... und war sich dann seines Vorhabens sicher. Deshalb dauerte es nun auch nicht mehr lange, bis John seine Antwort, die ruhige baritonartige Stimme seines Kollegen zu hören bekam. “Nein. … Dem Bein geht es gut.” So langsam, dass man das Geräusch des nassen Mantels, welches diese Aktion verursachte, dabei kaum hören konnte, hob Sherlock seinen linken Arm, lenkte seine Hand gezielt nach vorne zu John, nicht all zu nah, versucht ihn dabei noch nicht zu berühren hielt kurz vor dem Gesicht des Kleineren in seiner Bewegung inne. Nahe genug um die Körperwärme des Doktors auf seiner Handfläche wahr nehmen zu können und offenbar auch an der richtigen Stelle, denn der Johns Atem streifte seine Finger. Von dem allem bekam der blonde Mann noch nichts mit. Blickte einfach nur ins Schwarze, fror mittlerweile erbärmlich, auch wenn er sich inzwischen, aus Mangel an Alternativen, zumindest wieder seine nun vollkommen nasse, stinkende Jacke angezogen hatte, konnte dieses unaufhörliche leichte Zittern einfach nicht abstellen. Das John ebenso mit sich rang, wie der Detektiv es in seinem Inneren gerade tat, konnte dieser natürlich seinerseits ebenfalls nicht erahnen. Der Doktor für seinen Teil kämpfte mehr denn je mit seinem schlechten Gewissen und als wäre die Dunkelheit ein guter Vorwand, nahm dieser mit seiner folgenden Aktion, ohne es selbst zu wissen, dem Vorhaben des Größeren plötzlich und unerwartet, nur einen leise ausgehauchten Satz aussprechend, mit einem Mal allen Wind aus den Segeln. „Sherlock, es tut mir Leid!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)