Sherlock Holmes von Cyrene (das unheilvolle Familienerbstück) ================================================================================ Kapitel 44: der "Fall" John H. Watson Teil 2 oder wenn man seine eigene Beerdigung im Fernsehen sieht ----------------------------------------------------------------------------------------------------- Der Veteran hatte ausgezeichnet geschlafen, so gut gefühlt nicht mal, seit er mit Sherlock zusammen wohnte, wahrscheinlich noch nie in seinem bisherigen Leben, aber das war wohl doch etwas übertrieben, wie er sofort fand. Vielleicht lag es auch ein ganz kleines bisschen an dem Adrenalin, dem warmen Kribbeln in seinem Bauch, dass nach seinem mutigen Gute Nacht Kuss noch lange nach diesem in John's Körper nachgehallte. Er döste noch im Halbschlaf ein bisschen vor sich hin, als er jemanden neben sich auf dem Bett wahr nahm. Dieser jemand konnte nur Sherlock sein. Dann spürte er plötzlich federleicht weiche Lippen auf seinen, nur ganz kurz, für seinen Geschmack sogar ein bisschen zu kurz und, als er wenig später seufzend die Augen aufschlug, sich streckte, saß Sherlock schon am Küchentisch, eine Zeitung in den Händen. Der Detektiv hatte die halbe Nacht auf dem Sofa verbracht, tief in Gedanken versunken den kompletten Fall Brown/Clapton nochmal durchgehend. Als er alle neuen Erkenntnisse gedanklich einsortiert, jeden seiner eigenen Schritte nochmals ausführlich analysiert hatte, kam er zu dem Schluss, dass er bis zum jetzigen Stand der Ermittlungen alles richtig gemacht hatte, jeden "Fehler", Pardon, Sherlock machte nie Fehler, letztlich geschickt ausbügeln, letzten Endes doch zu ihrem Vorteil nutzen können und auch die letzte Entscheidung, den Brunnen Unfall so zu nutzen, wie er es getan dann auch, befand er immer noch als die logisch betrachtet beste Variante, wie dieser Umstand hätte genutzt werden können, ging noch kurz ihre nächsten Schritte durch, kam zu dem lapidaren Ergebnis, dass er und John jetzt erstmal tatsächlich nichts weiter tun konnten, als in diesem Safehouse zu warten. Morgen würde Lestrade zu Besuch kommen, ihnen den Beerdigungstermin mitteilen. Diesen mussten er und John dann über den Fernseher ganz genau verfolgen, ganz genau darauf achten, ob sich einer der Verdächtigen dort blicken lassen würde. Der Lockenkopf versuchte sich im Vorfeld nicht zu genau auszumalen, wie es dem blonden Mann dabei gehen würde, seine eigene Bestattung ansehen zu müssen. Er selbst machte sich einerseits überhaupt nichts daraus, wusste ja schließlich, dass sie beide in Wirklichkeit noch am Leben waren, alles andere interessiert ihn nicht, war andererseits aber auch nicht sooooo ein Unmensch, als das er nicht verstand, welchen generellen morbiden Beigeschmack es haben konnte, sowas sehen zu müssen, machte sich deshalb vorsichtshalber schon mal eine mentale Notiz, nicht zu hart zu seinem Doktor zu sein, wenn dessen Reaktion nicht ganz so cool ausfallen würde wie seine eigene. Nach diesem Entschluss hatte sich eine beginnende Langeweile, ein gewisser Anflug von Müdigkeit bei ihm breitgemacht, worauf hin sein Blick zum Bett gewandert war, indem sein Mitbewohner seelenruhig schlief. Einer plötzlichen Eingebung folgend war er dann aufgestanden, zum Bett hinüber gegangen, es sich behutsam, ohne den anderen dabei zu wecken, auf der leeren Seite des Doppelbettes bequem gemacht. Von da an hatte er damit begonnen John in aller Ruhe beim Schlafen zu beobachten. Das Gesicht des Doktors war komplett entspannt gewesen, ein feines Lächeln zierte seine Gesicht. Der Meisterdetektiv wünschte sich insgeheim, dass es noch von dem Gute Nacht Kuss stammte. Der Kleinere war wirklich mutig gewesen, wie dieser fand, konnte aber auch sich selbst durchaus loben, dafür, richtig reagiert zu haben. Es war nicht so, als hätte er den Älteren nicht liebend gerne an sich gezogen, den Kuss vertieft, aber er wollte John's aufkeimende Eigeninitiative dadurch keinesfalls gleich wieder zunichte machen, musste ihm Raum für diese geben, nur so konnte er dafür sorgen, dass der Veteran sich selbst immer bewusster wurde, dass er das mit dem Größeren genau so sehr wollte, wie dieser selbst. Während er den Schlafenden so beobachtet hatte, wurde auch er immer müder und schließlich schlief er, immer noch neben John auf dem Bett liegend, ein, ermahnte sich noch vorausschauenderweise, unbedingt vor John wieder wach zu sein, dann ergab auch er sich der doch sehr angenehmen entspannten Atmosphäre, dem wohlverdienten Schlaf. Von alle dem bekam der Kleinere von beiden nichts mit. Am nächsten Morgen wurde der Lockenkopf, wie geplant, vor dem Blonden wieder wach, konnte allerdings nicht widerstehen, seinem Doktor das Pendant zu dem gestrigen Kuss zu geben, beugte sich also vorsichtig zu dem, noch mit geschlossenen Augen im Halbschlaf befindlichen, Mann neben sich hinunter und, nachdem der Consulting Detektiv seine Augen ebenfalls geschlossen hatte, legte er sanft seine Lippen auf die des Schlafenden. Nur ganz kurz und federleicht war dieser Kuss, aber die Portion Nähe reichte aus, das angenehme warme Gefühl in Sherlocks Körper zurück zu bringen, dass ihm im Laufe der Nacht, zu seinem Leidwesen, leider wieder abhanden gekommen war. Schnell erhob er sich danach auch schon geräuschlos, ging an die Tür, wo schon die Morgen Zeitung lag, die der Wachmann mutmaßlichen durch den Briefschlitz geschoben hatte, schnappte sich diese, hatte sich gerade an den Tisch gesetzt und die Morgenlektüre aufgeschlagen, als John seufzte, sich streckte und die Augen aufschlug. "Guten Morgen Sherlock" kam es entspannt vom Bett und sichtlich erleichtert darüber, dass der Kuss, wenn John ihn überhaupt bewusst wahr genommen, dem Kleineren wohl willkommen gewesen war, antwortete der Detektiv beiläufig, die Augen weiter auf die Zeitung gerichtet "guten Morgen John". Der Veteran stand auf, streckte sich noch mal genüsslich, machte dann schnell das Bett, wobei ihm, er hatte inzwischen viel von Sherlock gelernt, sofort auffiel, dass die zweite Seite auch benutzt worden sein musste, einige Stunden wahrscheinlich sogar und als er dann beiläufig zu dem Detektiv sah, der scheinbar ganz ins Lesen vertieft zu sein schien, viel ihm noch etwas auf, was ihm endgültig bestätigte, dass der Guten Morgen Kuss, den er gespürt hatte, wirklich passiert sein musste. Ganz gemächlich schlenderte er deshalb nun zu Sherlock hinüber, eine absolut neutrale Miene auf dem Gesicht, bevor er sich, ohne den Lockenkopf dabei zu berühren, zu diesem herunter beugte und ihm belustigt zuraunte: "Das du hoch intelligent bist, wusste ich, aber das du neuerdings deine Zeitung kopfüber liest, wahrscheinlich um das Ganze noch ein bisschen anspruchsvoller zu gestalten, war mir neu!" konnte sich ein kurzes Kichern nicht verkneifen, als er sah, wie sich die Augen des Sitzenden auf Grund dieser Aussage ganz kurz ertappt weiten " Erwischt" dachte er triumphierend, ging an die Tür, bat den Wachmann freundlich um Frühstück. Während der ehemalige Militärarzt nun mit dem Rücken zu ihm, Tee kochend, an der kleinen Küchenzeile stand, drehte der weltweit einzige selbsternannte Consulting Detektiv schnell, möglichst unauffällig die Zeitung um, dachte eher innerlich schmunzelnd als verärgert "ist nicht mal mir aufgefallen, gut aufgepasst John, er hat schon mehr von mir gelernt als ich vermutet hätte. Und soso, für hoch intelligent hältst du mich also, naja, dieser Patzer war alles andere als intelligent, aber trotzdem danke für die Blumen" zuckte dann nur, immer noch schmunzelnd, mit den Schultern. Die entspannte Haltung seines Mitbewohners verriet ihm, dass dieser den Kuss also tatsächlich mehr oder weniger bewusst gespürt, danach eins und eins zusammen gezählt haben musste, aber offensichtlich nichts dagegen gehabt hatte. Wenig später war ein Klopfen in der kleinen Wohnung zu vernehmen, auf das hin John schon die Türe öffnete um eine Papiertüte mit seinem Frühstück dankend vom Wachmann entgegen zu nehmen, setzte sich damit an den Tisch, wo schon seine Tasse mit Tee stand, packte es hungrig aus und begann auch sogleich damit es langsam zu verzehren. Sherlock, der die Zeitung nun beiseite legte, bemerkte die Tasse dampfendem Kaffee, die auf seiner Tischseite stand. Wann hatte John den bitte Kaffee aufgesetzt? Der Größere von beiden wunderte sich schon wieder über den Kleineren, fühlte sich durch diese Geste allerdings überhaupt nicht nonverbal unter Druck gesetzt, öfter etwas zu sich zu nehmen, als er es für gewöhnlich tat, sondern, ganz im Gegenteil, es wirkte viel mehr wie ein stummes Angebot und der Detektiv war sich sicher, dass sein Doktor kein bisschen sauer sein würde wenn der Lockenkopf es ablehnen würde. Aber gerade deshalb gab sich dieser einen Ruck, griff nach der Tasse, nahm einen Schluck und musste zugeben, dass es ihm wirklich gut tat. War es unter anderem das, was sie beide vielleicht öfter für einander tun sollte, sich umeinander kümmern? Beziehungsweise die angebotene Hilfe des anderen öfter akzeptieren? Sah so ein Punkt einer funktionierenden Partnerschaft aus? Kurz dachte er über diesen Begriff nach, fand das dieser schon viel besser als Definition ihrer Beziehung funktionieren würde als die Begriffe, die sie beide früher verwenden und die er als inzwischen ungeeignet aussortiert hatte. Konnte er John als Partner sehen? Partner waren gleichberechtigt, sie unterstützen sich gegenseitig dabei die jeweils beste Version von sich selbst zu werden. So zumindest definierte Sherlock den Begriff, musste definitiv noch ein wenig mehr darüber nachdenken, aber als er sich gedanklich einmal den Satz sagen ließ: "das ist Doktor Watson, mein Partner" fühlt sich das schon echt gut an, vielleicht hatte er ja schon die richtige Definition gefunden. Der Doktor war inzwischen mit seinem Frühstück fertig. Es hatte ihn innerlich angenehm gewärmt zu sehen, dass der Detektiv den angebotenen Kaffee tatsächlich angenommen hatte, wusste aus Erfahrung, dass es eh nichts brachte, dem Jüngeren mit verbalem Nachdruck ein regelmäßigeres Aufnehmen von Nahrung nahe zu bringen, denn das hatte er anfangs versucht und war damit auf ganzer Linie gescheitert. Deshalb wollte statt dessen zukünftig öfter solche stummen Angebote unterbreiten, sich einfach jedes Mal freuen, wenn sie angenommen wurden. Das würde ihm genügen, könnte dann beruhigt behaupten, dass er es zumindest versuchte, sich um die Gesundheit des Größeren zu kümmern, war er ja schließlich dessen Leibarzt und es deshalb schließlich auch seine Aufgabe, versuchte er sich schnell eine Erklärung dafür zu geben, warum er sich um den anderen kümmern wollte, aber diese klang sogar für den ehemaligen Militärarzt selbst nur wie die halbe Wahrheit. Nachdem sie beide gegessen/getrunken und John die Küche aufgeräumt hatten, zog sich dieser um. Kurze Zeit später saßen beide einträchtig nebeneinander auf dem Sofa. Dabei bemerkte der Doktor nun plötzlich den kleinen, smaragdgrünen Stoffhund in den Händen des Detektivs, sprach seine Gedanken darauf hin einfach laut aus: "Hey, du hast den ja mit hier her genommen, ich dachte er wäre nicht wichtig für den Fall?" Der Gefragte hob nur minimal eine Augenbraue, bevor er dann mit ruhiger Stimme antwortete: "Nun, da haben wir uns wohl geirrt. Als ich mich gestern Abend vor unserer Abreise doch einmal dazu herabließ Noahs Kuscheltier genauer in Augenschein zu nehmen, fielen mir ein paar Details auf, die vielleicht doch sehr wohl interessant für unsere Fall sein könnten" Der Neugierige nickte nur, aha, so war das also. Hatte der Jüngere gerade etwa mehr oder weniger einen Fehler zugegeben? Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, erhob sich dieser plötzlich, lief zum Kleiderschrank hinüber, legte das edle Spielzeug schnell hinein, bedeutet dem Älteren mit dem Finger auf den Lippen, erstmal nicht mehr über ihren flauschigen Mitbewohner zu sprechen, kam dann auch schon wieder auf ihn zu, setzte sich direkt neben ihn, legte schlussendlich ihm sanft eine Hand auf die Schulter. Der Veteran war von der sanften Berührung, allgemein von der Nähe zu dem Meisterdetektiv erst kurz überrascht, so wie von dem Kuss heute morgen, fühlte sich das alles überhaupt nicht kameradschaftlich an, war aber ebenso wenig nur Zeichen des unkontrollierten Verlangens, welches der Größere von beiden seit letzten Sonntag auf den Kleineren entwickelt zu haben schien. Versuchte der Lockenkopf etwa tatsächlich sowas wie eine Balance zu finden oder würde er seine Berührungen, die Nähe jetzt nur noch darauf beschränken. Zweiteres hätte der Doktor ehrlich gesagt auch wieder schade gefunden, war er zwar selbst nicht, wie konnte man das sagen, "dauergeil", und, wie es nun aussah, der Detektiv wohl offensichtlich auch nicht, aber früher oder später hätte er solche Erlebnisse, jetzt wo er endlich ehrlich zu sich selbst war, sein konnte, wie gestern Nachmittag schon gerne mit dem Jüngeren wiederholt. Über diese Gedanken wollte er sich gerade noch weiter den Kopf zerbrechen, dabei hatte sein innerer Monolog bisher in Wirklichkeit nur wenige Sekunden in Anspruch genommen, als das Objekt dieser, ihn aus diesen heraus holte, indem er das Wort an ihn richtete. "Lestrade wird jeden Moment hier sein. Er will uns darüber informieren, dass unsere Beerdigung schon heute Nachmittag um 3 Uhr stattfinden wird und er wird uns bitten sie uns anzusehen. Bevor du fragst, wann die Beerdigung ist weiß ich aus der Morgenzeitung. Tu mir den Gefallen und bewahre Haltung, ich habe dich jetzt vorgewarnt, wie wir das später zusammen verarbeiten ist dann unsere Sache, aber Lestrade muss nicht mitbekommen, wie es dir damit geht, OK? " Der Kleinere schluckte hörbar. Die Beerdigung. Seine eigene Beerdigung. Schon heute Nachmittag. So viel Feingefühl hätte er dem selbsternannten" Soziopaten", auch wenn er inzwischen schon wusste, dass Sherlock, zumindest bei ihm, keineswegs so gefühlskalt war, nicht zugetraut. Er schien aber genau zu spüren, dass des Doktors Vorfreude auf diese Aufgabe im Negativbereich angesiedelt war. Der Detektiv hatte ihn diese Mal rechtzeitig eingeweiht in das was dieser selbst längst wusste und es schien ihm obendrein wichtig zu sein, dass der Veteran vor dem DI gefasst auftreten konnte, sein Gesicht nicht verlor. Das war wirklich... aufmerksam... von Sherlock. Deshalb nickte John im nur stumm dankend zu, drückte ihm anschließend einen sanften Kuss auf die linke Wange um seine Dankbarkeit für die Vorwarnung zu unterstreichen, straffte dann die Schultern, als er kurz darauf auch schon ein weiteres Klopfen an der Tür vernehmen konnte, den Vorboten des DIs. Sein Nebensitzer nahm die Hand von seiner Schulter, griff sich, kurz leicht verdutzt, damit an die Wange, die gerade spontan von seinem Mitbewohner geküsst worden war, rief sich dann aber ebenfalls innerlich selbst zur vollen Konzentration, rief dann mit der üblichen monotonen Stimme, die er immer nutze, wenn er einen von den Behörden empfing, laut und deutlich genug "Herein"... Lestrades Besuch war kurz aber aufschlussreich gewesen, der Plan, grob zusammengefasst der, darauf zu hoffen, dass sich Noah, George oder sogar beide auf der Beerdigung blicken lassen würden. Zweitgenannter, um sich selbst davon zu überzeugen, dass die einzigen Ermittler, die tatsächlich sein Gesicht kannten und ihn dadurch tatsächlich überführten hätten können, wirklich tot waren. Der Thompson Enkel hingegen würde vor allem deshalb eventuell dort auftauchen, so hoffte zumindest Sherlock, um zu überprüfen, ob er Clapton dort antreffen würde, den einzige der vier Mörder seiner Familie, den er bis jetzt nicht erwischen hatte können. Man verblieb so, dass das Ermittlerduo genaustens die Beerdigung verfolgen und umgehend, sollten sie tatsächlich einen der Verdächtigen entdeckten, dem Wachmann draußen Bescheid geben sollten, damit der die Einsatz Kräfte vor Ort informieren könnte, die dann dazu in der Lage wären, eine oder am besten gleich zwei Verhaftungen durchzuführen. Das war natürlich das Bestcase Szenario und würde dazu führen, dass das Ermittler-Duo schon morgen wieder Zuhause sein könnten, um den Trauergästen die Schrade zu erklären. Wenn allerdings der Erfolg heute ausbleiben würde gäbe es noch einen Plan B, der etwas mehr Zeit im Safehouse für die beiden bedeuten würde. Man hoffte also auf das Beste und verabschiedete den Detektive Inspector dann auch schon auf bald wieder. Dieser musste sich beeilen, weil er die Show vor Ort selbst überwachen wollte. John war bei Lestrades Besuch, Dank Sherlocks Vorwarnung, äußerlich komplett gefasst gewesen, hatte die Nachricht, dass die Beerdigung heute Nachmittag stattfinden würde - Sherlock hatte es sich natürlich mal wieder nicht nehmen lassen, dem DI voll auf die Nase zu binden, dass er etwas, was der Detektiv Inspektor den beiden "Amateuren" als Neuigkeit überbringen wollte, längst wusste, hatte dann aber gleich darauf die Arbeit der Behörden in den höchsten Tönen gelobt, um Lestrade wieder versöhnlich zu stimmen - augenscheinlich so cool aufgenommen wie sein jüngerer Sitznachbar. Als Lestrade dann aber wieder weg war, zeigte sich in Johns Gesicht ganz deutlich, dass er alles andere als gefasst und cool war. Ganz im Gegenteil, je näher die Zeiger seiner Armband Uhr der "Dead"line für die Beerdigung kam, desto nervöser wurde der Kleinere von beiden. Eine viertel Stunde vor der Zeit saßen John und Sherlock schon vor dem Fernseher, zählten gedanklich den Countdown herunter und was der Veteran dann, viel zu kurze Zeit später, im Fernsehen zu sehen bekam, wirkte so surreal auf ihn, dass er es im ersten Moment sogar, wenn auch unbewusst, schaffte, es sich als vollkommen Unbeteiligter an zu sehen. Das Bild zeigte einen Londoner Friedhof, auf dem, so ziemlich in der Mitte, zwei geschlossenen Särgen, auf dem einen eine britische Flagge, ein Brauch, der z. B. Militär Angehörigen als besondere letzte Ehre Zuteil wurde, zu sehen waren. Im Hintergrund stand die Trauergemeinde, nicht übermäßig viele Trauergästen, aber man entdeckte unter den ganz in schwarz gekleideten Personen doch einige bekannte Gesichter. Da war Mrs. Hudson, die von Sarah gestützt wurde. Dann Mycroft, einige ehemalige Klienten und eine kleine Gruppe jüngerer Leute, wahrscheinlich Fans des Blogs. Vor allem die Gesichter von Mrs. Hudson und Sarah ließen John dann tatsächlich langsam bewusst werden, dass er sich gerade wirklich seine eigene Beerdigung ansah, der Sarg mit der Flagge seiner war. Aber was dem ehemaligen Militär Arzt letzten Endes tatsächlich emotional den Rest gab, war eine junge Frau, die er schließlich neben Mycroft entdeckte. "Harry" wurde der Doktor plötzlich weiß im Gesicht wie ein Bettlaken, griff reflexartig, nach Halt suchend neben sich, wo zufällig Sherlocks Hand lag. Diese umklammerte er sogleich ohne überhaupt darüber nach zu denken, brauchte gerade einfach dringend etwas woran er sich festhalten konnte. Der Detektiv derweilen bemerkte es zwar sehr wohl, ließ es aber wortlos zu. Erstens weil es ihn überhaupt nicht störte und Zweitens weil er im Moment voll und ganz darauf konzentriert war, die Trauergästen zu scannen. John während dessen schluckte erneut hart, schloss kurz die Augen, rief sich innerlich sehr laut zur Besinnung, öffnete sie dann wieder und begann nun ebenfalls, die Särge so gut wie möglich gedanklich ausblendend, die Trauergästen einen nach dem anderen genau unter die Lupe zu nehmen. Mrs. Hudson und Sarah wollte und konnte er allerdings keinesfalls sehr lange beobachten, denn es versetzte ihm einfach einen viel zu schmerzhaften Stich ins Herz, ihre verweinten, niedergeschlagenen und verzweifelten Gesichter und Harry dort zu sehen, war fast zu viel. Die Beerdigung dauerte nur eine halbe Stunde, doch dem Doktor kam es wie eine halbe Ewigkeit vor, war dem Detektiv insgeheim unglaublich dankbar, dass dieser den Ton ausgeschaltet hatte, so musste er die Trauerrede nicht hören, auch wenn dieser das eigentlich nur getan hatte, um vom Ton des Fernsehers bei seinen Beobachtungen nicht abgelenkt zu werden. Sherlock Holmes gehörte zu den Menschen, die für ihre Beobachtungen rigoros alle störenden Faktoren um sich herum eliminierten. Dass er John's kalte Hand, die seine fest umklammert hielt, nicht als einen solchen empfand, hätte ihn vielleicht zu Nachdenken gebracht, wenn seine gesamte Konzentration nicht gerade von dem Geschehen auf dem Bildschirm eingenommen worden wäre. Als das Schauspiel vorbei war stöhnte der eine erleichtert, der andere genervt auf. Der Meisterdetektiv hatte so genau wie möglich hingesehen, um im Notfall auch die geschickteste Verkleidung durchschauen zu können, aber da war nichts zum Durchschauen gewesen, rein gar nichts. Offensichtlich hatten sich weder Noah noch Georg sicher genug gefühlt, das Risiko einzugehen, bei der Beerdigung selbst aufzutauchen. Wahrscheinlich hatten sie beide anstatt dessen Handlanger von sich hingeschickt, denen weder Sherlock noch John zuvor jemals begegnet waren, sie dadurch auch nicht hätten erkennen können, waren deshalb auch durch diese Aktion kein Stück weiter gekommen und das ärgerte den selbsternannten Consulting Detektiv über alle Maße. Was für eine Zeitverschwendung, wenn er das geahnt hätte, hätte er John die Tortur, die Show ansehen zu müssen, von vorne herein ersparen können. Eben genannter hatte Sherlocks Hand mechanisch los gelassen, war langsam ins Bad gelaufen, spritzte sich dort nun mit zitternden Händen kaltes Wasser ins Gesicht, ohrfeigte sich gedanklich dabei mehrmals selbst. Warum war er nur so ein Weichei, er hatte Krieg und Tod gesehen, Herr Gott nochmal. Warum zum Teufel hatte ihn seine eigene fingierte Beerdigung so mitgenommen? Schnell kam er aus dem Bad zurück in den Wohnbereich, blieb dort aber dann auch so plötzlich unschlüssig wieder vor der Küchenzeile stehen, rang mit unglaublichen Schuldgefühlen vor allem gegenüber Mrs. Hudson, Sarah und Harry, das war, wie er schnell seine Gefühlswelt analysiert, auf jeden Fall ein Punkt. Da war aber noch ein zweiter Punkt, der, auf den zweiten Blick, sofort echt kindisch wirkte. Er hatte sich gerade vorgestellt, ob es wirklich so wäre, wenn er tatsächlich tot in diesem Sarg läge, würde er das Ganze auch von der Seite unbeteiligt betrachten, oder würde er es in diesem Moment überhaupt nicht mehr mitbekommen, weil er überhaupt gar nicht mehr da wäre? Und was wäre, wenn alles nach diesem vermaledeiten Brunnen Unfall nur ein postmortaler Traum wäre und er gerade die Realität auf der "Erde" über den Fernseher gesehen hätte? Mit einem Mal kam ihm die Safehouse Wohnung viel kleiner vor, hatte plötzlich das Gefühl sogar die Wände immer näher kommen zu sehen, sein medizinischer Sachverstand diagnostizierte mechanisch eine Panik Attacke, riet sich da auf keinen Fall so rein zu steigern, während er gleichzeitig mit sich selbst schimpfte, es sich damit für sich selbst nur noch schlimmer machte. Den Größeren, der ihn mit schon fast besorgtem Blick beobachtete, nahm er gar nicht wahr. Kurz entschlossen stand jener vom Sofa auf, von dem aus er den Kleineren zuerst eine Weile in seinem Tun beobachtet hatte, ging mit schnellen Schritten auf diesen zu, der mittlerweile einfach nur noch, wie zur Salzsäure erstarrt, neben dem Küchentisch stand und ins Leere blickte, legte dem Doktor vorsichtig die Hände auf die Schultern, sprach ihn sanft an. "John"...... "John! "..... "JOHN!" Nur langsam sickerte Sherlocks sanfte Stimme zu dem Veteranen durch. Er hob endlich den Kopf in die Richtung der Stimme. Da war Sherlock, er war so sanft, war er das weil es nicht mehr real war? Waren sie beide vielleicht doch Seite an Seite in diesem Brunnen gestorben? Langsam kamen die Tränen. Sherlock sah die Tränen und das mit Worten der Kleinere momentan Partus nicht zu erreichen war. So tat er also kurz entschlossen das einzig Sinnvolle was ihm gerade einfiel, zog den Älteren in eine feste Umarmung und hielt ihn, in dem Versuch in im Hier und Jetzt zu erden. John wehrte sich nicht, kam aber erst langsam zu sich, als er spürte wie er von starken Armen fest umschlungen, gehalten und an einen warmen, schon längst vertrauten Körper gedrückt wurde. Als er dann auch noch spürte wie weiche Lippen einen beruhigenden Kuss auf sein Haar hauchten, da schaffte er es endlich sich wieder aus seiner Starre zu lösen. Sherlock schlussfolgerte daraus, dass John begann die Umarmung zu erwidern, dass die Aktion wohl erfolgreich gewesen war. "Es tut mir Leid, dass ich so über reagiert habe" kam es jetzt genuschelt von dem Kleineren, der allerdings nicht die geringsten Anstalten machte, Sherlock so bald wieder los zu lassen. Das störte den Größeren, zu seinem eigenen Erstaunen, tatsächlich überhaupt nicht, die Wärme, die der Doktor gerade ausstrahlte und die, so blöd es klang, Geborgenheit tat dem Meisterdetektiv zugegebenermaßen auch ganz gut im Moment. "Schon gut. Wir beide wissen das wir am Leben sind. Das sollte momentan das Einzige sein was wirklich zählt. Alles weitere wird sich schon finden." Das der Jüngere wirklich immer so zuversichtlich sein konnte, auch wenn um ihn gerade mal wieder die ganze Welt einzustürzen schien, blieb dieser optimistisch, den Optimismus war für ihn immer die logischste Reaktion auf alles, was ihm auch passieren mochte. Das war so typisch Sherlock und wirkte zusammen mit der festen Umarmung, die normalerweise nicht zu diesem gepasst hätte, tausend mal besser als wenn jemand John einen ganzen Eimer Eiswasser über dem Kopf ausgeleert hätte. Es musste einfach real sein. Aber das bedeutet natürlich auch, dass alles, was nach dem Brunnen Unfall zwischen den beiden passiert war, doch real war, was den Veteran komischerweise am meisten beruhigte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)