Curse Of The Moonlight von irish_shamrock (Wichtelgeschichte für Hopey [WW 2o23 | Eigene Serie | Werwölfe) ================================================================================ Kapitel 2: Leben, sterben und das, was dazwischen liegt ------------------------------------------------------- Kapitel 2 Leben, sterben und das, was dazwischen liegt Ein ohrenbetäubendes Heulen schreckte mich auf. Ich spürte den harten Asphalt in meinem Rücken, lauschte meinen flachen Atem und bemerkte, dass mir die Augen brannten und es mir nur schwer gelang, die Lider zu heben. Die Welt um mich herum war verschwommen, dunkel, doch das Jaulen ebbte nicht ab. War es eine Polizeisirene? Waren Banden durch die Straßen gezogen, hatten sich den Stromausfall zunutze gemacht und die Läden geplündert? Der Hals tat mir weh, als hätte ich mir auf einem Nine Inch Nails-Konzert die Lunge herausgeschrien. Bedächtig fuhr ich mir mit der Zunge über die aufgeplatzte Oberlippe und schmeckte Blut. Langsam versicherte ich mich meiner Sinne. Mir dröhnte der Kopf, mein rechter Oberarm schmerzte. Meine Finger bebten und meine Knie zitterten noch immer von der Begegnung mit dieser Kreatur, von der nichts mehr zu sehen war. Mich aufzusetzen kostete mich alle Kraft, die ich in diesem Augenblick aufbringen konnte. Ich kroch auf die Ziegelwand zu, suchte Halt an dem Müllcontainer und lehnte mich an die harte, kalte Steinmauer. Ich wusste nicht, wie spät es war, geschweige denn, wie lang ich bereits in der schmalen Gasse gelegen hatte und ob noch jemand, der ebenso unbedarft schien wie ich, Bekanntschaft mit diesem Monster gemacht hatte. Ich suchte die Gasse ab und fand mein Telefon mit gesprungenem Display. »Fantastisch«, fluchte ich, trat nach dem Handy und verfehlte es mit niederschmetternder Grazie. Ich rieb mir die Augen, zischte schmerzhaft auf und sah an mir herab. Mein Hinterkopf traf die Ziegelmauer in meinem Rücken. Ich entschied, mich dennoch irgendwie zur Schule zu schleppen, auch wenn ich mich bis auf Blut blamierte. BH, Hemd, Bluse, Blazer, Jacke. All das klebte mir vor kaltem Schweiß am Rücken. Die erhabene, hohe Eingangstür, die mehr einem Tor – nur ohne Wachposten - ähnelte, erhob sich vor mir. Der Morgen graute, als ich mich entschied, die Gasse zu verlassen. Ich hielt, wie von meiner Mutter dank des Zettelchens befohlen, den Kopf gesenkt, sah niemanden an und hoffte, von niemandem gesehen zu werden. Die patrouillierenden Polizeibeamten übersahen mich, hielten mich wahrscheinlich für eine Obdachlose. Meine Finger umklammerten die uralte Klinke und ich drückte mich gegen Pforte. Ich schlüpfte durch den schmalen Spalt und wurde von dem alten Gemäuer verschluckt. Meine Schritte führten mich weder zur Schulkrankenschwester noch zum Sekretariat. Mein Ziel war das Klassenzimmer und als ich an die Tür klopfte und ohne auf die Bitte zum Einlass zu warten hineinmarschierte, stockte Ms. Albiston, unserer Geschichtslehrerin, bei meinem Anblick der Atem. Stimmen, erst erschrocken und flüsternd, dann wagemutig und lautstark, peitschten durch den Klassenraum, doch für mich hatte all das etwas von weißem Rauschen, wie es oft in alten Fernsehgeräten in Erscheinung tritt, wenn kein passender Sender gefunden wurde. Im Augenwinkel versuchte ich meine beste Freundin zu erspähen. Ivee sah mich an, als hätte ich sie mit Erbsensuppe bespuckt. Der Stuhl, auf dem sie saß, schabte unangenehm über den Boden, als sie sich erhob und Ms. Albiston bat, mich zu den Toiletten zu begleiten. Als müsse sie meinen Anblick erst einmal verdauen, nickte Ms. Albiston Ives Bitte ab. Sie trat auf mich zu, streckte nur einen Zeigefinger nach mir aus und stieß mich aus dem Raum. »Beweg dich«, zischte sie und trat mir beinahe in die Hacken, so, wie sie mich zur Eile antrieb. »Bist du in eine Schlägerei geraten? Deine Uniform hängt in Fetzen. Und dein Gesicht, Himmel noch eins, Kaeli! Hast du dich geprügelt? Bist du ausgeraubt worden?« Es gelang mir nicht, ihren Worten zu folgen. Erst, als wir die Waschräume erreichten, Ivee mich abermals durch eine Tür dirigierte und ich einen flüchtigen Blick in die Spiegel zu meiner Rechten erhaschte, erschrak ich genauso, wie es Ms. Albiston, Ivee und all die anderen zu vor getan hatten. Verkrustetes Blut hing in meinen Haaren, mein Gesicht war schmutzig, Dreck bedeckte den Parker. Rock und Strümpfe hingen in zerfledderten Streifen an mir herab. Schrammen und tiefviolette Flecken waren auf meinen bloßen Beinen erkennbar, ein Rinnsal geronnenen Blutes zog sich wie ein dunkler, purpurner Fluss von den Schenkeln zu meinen Füßen. »Und ich dachte, wir wären hier sicher. Nun, sag schon!«, drängte Ivee, doch ich musste die Eindrücke verarbeiten, ehe ich mich zu einer Antwort im Stande sah. Meine Finger waren eisig, als ich nach meinem Hals langte und nur ein Krächzen zu hören war. Als habe ich mich mit einer Raubkatze angelegt, zeigten sich auch dort Striemen wie von einer Peitsche geschwungen. »Warum bist du nicht zu Hause geblieben?« Echote Ivees Frage durch meinen Kopf und fast hätte ich hysterisch aufgelacht. »Ich«, krähte ich, »ich dachte, hier bin ich sicher.« Wie ich es hasste, wenn mich Schwäche überkam. Ich hasste es, emotional zu werden, doch dicke, heiße Tränen quollen mir aus den Augenwinkeln hervor und zogen eine helle Schneise durch den Schmutz, der mein Gesicht entstellte. All die Last der vergangenen Stunden brach über mir zusammen und begrub mich unter sich. Mein Körper kam dem Boden in rasender Geschwindigkeit nahe und das Einzige, was ich vernahm, waren Ives verzweifelte Rufe nach Hilfe. Das grelle Licht der Neonröhre brannte sich in meine Netzhaut. Ich starrte zur Decke hinauf und wartet, dass Schwester Hoskins wieder ins Zimmer trat. Fragend schoben sich mir die Augenbrauen zusammen, als jemand anderes, statt meiner Mutter, der Krankenschwester nachfolgte und in der Tür stehenblieb. »Hey, kleine Kay, du siehst echt beschissen aus.« »Danke«, zischte ich. Stöhnend rappelte ich mich auf und grub die Ellenbogen in die Pritsche. »Onkel Carmine? Was tust du hier? Wo ist Mom?« »Ich bin dein Notfallkontakt«, erklärte der hochgewachsene Mann. Seine Lippen bogen sich zu einem einladenden Lächeln und ließen eine Reihe blendend weißer Zähne erkennen, gepaart mit Grübchen, die sich in seine Wangen bohrten und wohl jedes Herz einer Frau mittleren Alters zum Schmelzen brachten. Schwester Hoskins schien einem Flirt mit ihm nicht abgeneigt, aber das war sicherlich nur mein Eindruck. Ich schmälerte den Blick. »Bist du nicht. Der ist Mom.« Onkel Carmine schob die Brust vor, die unter dem geschmeidigen Stoff der Lederjacke anschwoll. »Dann bin ich dein zweiter Notfallkontakt.« »Also der Notfall-Notfall-Kontakt?«, sinnierte ich und setzte mich vollends auf. »Exakt, kleine Kay.« Noch immer stand er im Türrahmen. Wie ein Adler, der seine Beute erspähte, fixierte er mich aus den dunklen Augen heraus. Dad und er sollen einander sehr ähnlich gewesen sein und vom Äußeren beinahe nicht zu unterscheiden. Doch statt des satten Brauntons der Connemara, der an das dunkle Holz eines Kirschbaums erinnerte, hatte Dad grüne Augen, so saftig wie die Wiesen Irlands. Das behauptete Mom jedenfalls, wann immer sie von meinem Vater erzählte. Doch mit den Jahren schwanden auch die Worte für ihn. Ich verbiss mir ein Zischen, sobald ich meine lädierten Beine über die Bahre schwang. »Schwester Hoskins, es geht mir wieder gut. Ich kann wieder in den Unterricht.« Als ich keine Antwort erhielt, sondern nur Gestammel vernahm, sah ich zu meinem Onkel und der Krankenschwester herüber. Ethel Hoskins schien peinlich berührt, als sie energisch den Kopf wandte und meine Bitte entschieden verneinte. »Es geht mir gut, wirklich«, beharrte ich und rutschte von der schmalen Matte der eisernen Liege. »Ms. Ashfort sagte, du hättest einen Kreislaufkollaps erlitten. Da wir keine Blutproben entnehmen dürfen, habe ich deinen Onkel gebeten, dich schleunigst in ein Krankenhaus zu bringen«, erklärte Schwester Hoskins. »Dein Blutdruck und Blutzuckerspiegel sind sehr niedrig.« Mit aufforderndem Nicken deutete sie auf den Beistelltisch, auf dem Traubenzucker und ein Glas Wasser bereitstanden. Seufzend verdrehte ich die Augen, langte nach dem Becher und der Traubenzuckertablette und würgte beides meine protestierende Kehle hinab. Mein Magen rebellierte, sobald ihn das Gemisch erreichte. Ich schüttelte mich. Onkel Carmine trat an mich heran und reichte mir ein Bündel, das aussah wie ein Kleiderpäckchen für die Heilsarmee. »Deine Freundin Ivee hat mir das für dich gegeben.« »Wann?«, fragte ich und entwirrte das Knäul auf meinem Schoß. Da meine Uniform, bis auf Blazer und Bluse nicht mehr zu gebrauchen waren, hatte sich Ivee meines Spindes in den Umkleideräumen der Turnhalle bemächtigt und mir Hose und Schuhe gebracht. Wehmut und Dankbarkeit überkamen mich. »Hör mal, Kay«, hob Carmine an, doch ich war mir sicher, dass er nur so laut sprach, weil die Schwester in der Nähe umherschwirrte, »das mit dem Krankenhaus ist gar keine üble Idee.« »Mom reißt dir schon nicht den Kopf ab«, murrte ich und versuchte, beide Beine auf den Boden zu stellen. »Kannst du dich bitte umdrehen? Ich bin schüchtern.« Carmines Lachen füllte das Krankenzimmer. »Kleines, ich habe dich schon mit wesentlich weniger am Leib gesehen.« »Mag sein«, räumte ich ein, »aber da war ich fünf und trug diesen grässlichen pinken Badeanzug.« »Ah, du meinst den mit den süßen Rüschen. Den habe ich dir gekauft, weil du ihn unbedingt wolltest.« Carmine schürzte, wie ein Schuljunge, die Lippen. »Hör auf damit!«, klagte ich leidig. »Das macht mir Angst!« »Sagst du mir, was passiert ist?«, fragte Carmine, als er sich neben mich auf die Rückbank der schwarzen 3er BWM-Limousine hievte. Altes Geld, wohin man sah. »Wie kommt es, dass du nicht fährst?«, verlangte ich zu wissen und obwohl ich es ungern zugab, war ich froh, dass mir die ganze Schule nicht dabei zusah, wie ich in Trainingshose, Turnschuhen und ramponiertem Parker vor den Toren der Schule auf den Fahrer meines Onkels wartete. »Mein Telefon ist kaputt. Ich brauche ein Neues.« »Wozu?« Carmines sah mich nicht an, sondern starrte durch die getönten Scheiben auf das geschäftige Treiben der New Yorker Upper-East-Side. Mein Zeitgefühl war mir völlig abhandengekommen. »Ich muss Mom anrufen, oder ihr zumindest per SMS Bescheid sagen, dass -« Ich biss mir auf die Lippen, als mich Carmines Blick traf. »Ich warte! Und roll nicht mit den Augen!« Auch das verkniff ich mir. Mit den letzten Begegnungen begriff ich, weshalb meine Mutter den Kontakt zur Familie meines Vaters vermied. Alle waren sie herrisch, fast schon Despoten. Scham brannte mir auf den Wangen, ehe ich fiepend hervorstieß: »Ich wurde ... angefallen.« Ich erwartet, dass mein Onkel abermals in Gelächter ausbrach, doch seine Miene war ernst, zu ernst, um meinen Worten nicht zu trauen. »Wer?« Ein Schnaufen entfuhr mir. »Wohl eher was.« »Was?«, echote Carmine, wandte sich zu mir und inspizierte jede Regung auf meinem Gesicht, als wäre er ein wandelnder Lügendetektor. »Soll ich’s wiederholen? Es war kein Mensch. Kein Räuber, kein Gangster. Es war ... so weit ich das alles begreifen kann ... ein Tier. Es war riesig, mit Klauen, Lefzen, und ... Fell. Oh, komm schon, Onkel Carmine, los! Lach mich aus! Erklär mir, dass ich aufhören soll, mein Hirn mit Fantasybüchern und Filmen zu verkorksen!« Meine Stimme überschlug sich und glich einem bunten Reigen aus Hysterie, Sarkasmus und stupider Verzweiflung. Carmine ließ nicht einmal ein verdammtes Zucken der Mundwinkel erkennen. Er tippte dem Fahrer auf die Schulter und rief ihm etwas zu, das wie »Tiomáin chuig an Institiúid sinn« klang. Irritiert lachte ich auf. »Was war das denn?« Er ließ sich wieder gegen die Rückbank sinken. »Was?« »Was hast du zu ihm gesagt? Das klang komisch, und damit meine ich nicht auf humoristische Art«, verlangte ich zu wissen, verschränkte die Arme und wartete. »Das war irisch«, erklärte Carmine, als habe er nicht soeben in einer mir fremden Sprache Anweisungen gegeben. »Ja, klar«, schnaubte ich. »Jetzt reden wir auch noch irisch, ja?« Mein Onkel kniff sich in die Nasenwurzel. »Hattest du keinen Unterricht? Oh, kleine Kay, wir haben noch viel zu tun.« »Erst will ich mit Mom reden!«, beharrte ich. Das missgestimmte Brummen neben mir ließ mich innehalten. »Ich möchte ... ich möchte erst mit Mom reden.« »Schon besser«, murrte Carmine. »Und du vielleicht auch«, murmelte ich und hoffte, dass ihm meine Worte entgingen. Ich irrte mich. Meine Finger zitterten, als wir vor unserem Wohnhaus hielten, ausstiegen und die Stufen zum Eingang erklommen. Wieder hatte Carmine etwas zu dem Fahrer gesagt, das ich nicht verstand. Die Limousine fuhr an und verschwand im mittäglichen Getümmel. »Muss ich fragen?« Ich stand bereits an der Haustür und wandte mich zu Carmine um. »Er soll um den Block fahren«, erklärte er. »Da muss er aber oft fahren, und vielleicht tanken. Mom kommt erst spät von der Arbeit«, sagte ich wahrheitsgemäß. Manchmal hasste ich es wirklich, dass mir die Welt der Erwachsenen mit ihrem unheimlichen Wissen noch verborgen blieb, denn plötzlich trug mein Onkel in Grinsen zur Schau, das meine Worte Lügen strafte. »Du hast sie angerufen?!«, stöhnte ich. »Natürlich.« Carmine zuckte die Schultern und machte eine Geste, die bedeutete, dass ich die Tür aufschließen solle. Meine Zähne gruben sich in die Unterlippe, ehe ich den Kopf schüttelte. »Verräter.« Mir entging nicht, dass ihm etwas auf der Zunge lag. Wir waren uns zu ähnlich, als dass er sich zusammenreißen könnte. Doch zu meiner Verblüffung verbiss sich Carmine einen weiteren Kommentar und ließ mich vorausgehen. Ständig hatte ich es mit Schlüsseln zu tun. Immer musste irgendwo ein Schlüssel in ein Schloss geschoben werden, um irgendeine Tür zu öffnen. Ich hatte den Wohnungsschlüssel noch in der Hand, da wurde die Tür aufgerissen und meine Mutter erschien in ihrer ganzen Größe von 1,75m. Ich wusste, dass es sie schmerzte, wenn mein Onkel unangemeldet auftauchte. Seine Besuche brachten nie etwas Gutes mit sich. Kurz flackerte etwas in ihren grauen Augen auf, das Schrecken und Sehnsucht preisgab, doch so schnell, wie es aufkam, war es wieder verschwunden. »Kaeli«, keuchte sie, langte nach mir und zog mich in ihre Arme. Im Augenwinkel bemerkte ich, dass Carmine zusammenfuhr. Offenbar bedachte ihn seine Schwägerin mit einem Blick, dem selbst der toughe Carmine Connemara nicht gewachsen war. »Wir müssen uns beeilen!« Bei den fordernden Worten wandte ich mich zu Carmine um. »Wir?«, zischte Mom. »Wenn ein Connemara vor meiner Tür auftaucht, heißt das selten, dass alles in Ordnung ist. Du nimmst sie mir nicht weg, Carmine!« Moms Griff um meine Mitte war so energisch, dass ich glaubte, sie könne mir mühelos die geprellten Rippen brechen. Dass ich mir, nach dem Überfall am Morgen, nicht nur die Rippen geprellt hatte, hatte ich mir selbst diagnostiziert. Ich verbiss mir einen Laut, doch die Schmerzen meldeten sich brennend heiß. »Ich will sie dir nicht wegnehmen, Ava«, drängte Carmine. »Lass uns darüber reden.« Widerwillig wich meine Mutter zurück und ließ uns eintreten. Mom folgte uns, die Arme vor der Brust verschränkt und Carmine taxierend, in die Küche. »Kaeli? Was ist mit deiner Uniform passiert? Wo ist -?«, hob Mom an. »Ich kaufe ihr eine Neue, sollte sie noch eine brauchen«, meldete sich Carmine und hoffte auf Moms Wohlwollen. »Den Teufel wirst du, Carmine! Natürlich wird sie das!«, zischte Mom. »Und jetzt erklärt mir, was hier überhaupt los ist! Sofort!« »Kveldulf«, gab Carmine zurück, als sei dieses Wort die Antwort auf alles. »Was?« Wieder malträtierte er meine Ohren mit fremden Zungen. Mom schmälerte den Blick. »Lass den Unsinn!« Carmine hob abwehrend die Hände. »Ich sage nur, wie es ist.« »Eigentlich hast du gar nichts gesagt«, holperte es mir über die Lippen. »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob nicht geniest hast.« »Gut, dann sage ich es noch ein Mal«, bot mein Onkel an. »Untersteh dich!«, fauchte Mom. »Du ziehst mein Kind da nicht mit hinein!« Laut seufzte ich auf, dann platzte es aus mir heraus. Wenn die Erwachsenen bei ihren Geheimnissen und Lügen bleiben wollten, hielt ich es eher mit der Wahrheit. »Mom, okay. Ich wollte zur Schule und wurde, als ich die Abkürzung durch die Gasse nahm, überfallen.« Meine Mutter öffnete die Lippen, schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trocknen. »Sie hat vergessen, zu erwähnen, dass die ganze Stadt in vollkommener Dunkelheit lag und sie mit einer Taschenlampe versucht hat, den Weg zu finden.« Mir stand der Mund offen. Ich hatte Carmine nicht erzählt, wie mein Morgen verlaufen war. »Jetzt macht mal halblang!«, forderte ich und hob die Hände, um weitere Worte der Anwesenden einzudämmen. Mein wütender Blick hätte Carmine an die nächstgelegene Wand heften müssen. »Ich habe dir nicht erzählt, wie das alles passiert ist.« Meine Mutter legte den Kopf in den Nacken und seufzte. »Ihr lasst sie beschatten?!« »Euch«, korrigierte Carmine unumwunden. Mom entfloh ein belustigtes Schnauben. »Wie lange schon?« »Ava«, schnaufte Carmine nicht weniger erheitert. »Was glaubst du wohl?« Mom schüttelte den Kopf, wagte es nicht, mich anzusehen. Sie leckte sich die trockenen, rissigen Lippen und seufzte wieder. »Ich ... fasse es nicht!« Sekunden, wenn nicht sogar Minuten verstrichen, doch die Ruhe war trügerisch. Ich durchforstete meine Erinnerungen und fand, wonach ich suchte. »Als ich sieben war, da habe ich dir erzählt, dass ich glaubte, ein Mann würde mich verfolgen.« »Ich weiß, mein Schatz«, sagte Mom mit traurigem Lächeln. Dann wandte sie sich Carmine zu und aus dem Bedauern wurde aufflammende Wut. »Und dir, und deiner Mutter hatte ich gesagt -« Mein Onkel hob die Hand, um weitere Worte einzudämmen. »Diesen Vorfall haben wir zum Anlass genommen, uns ein wenig zurückzuziehen.« »Oh, hat prima funktioniert«, schnappte ich und ergriff ungewollt Partei für meine verräterische Mutter. »Das hat es, Kaeli«, entfuhr es meinem Onkel, sodass Mom und ich einen kurzen Blick tauschten. »Wenn wir nicht ein Auge auf dich gehabt hätten, dann wäre weitaus mehr geschehen als das, was dir heute zugestoßen ist.« Ich presste die Kiefer so sehr zusammen, dass ich glaubte, mir würden die Zähne zerspringen. Moms Wut war für mich durchaus verständlich, und doch ich fühlte mich hintergangen. »Ihr habt mir immer noch nicht gesagt, was los ist. Ich warte!« Dass Ungeduld zu meinen größten Schwächen zählte, gab ich ungern zu. Carmine seufzte auf. »Wir haben gewisse ... Methoden.« »Methoden?«, echote ich fassungslos und ließ die Schultern hängen. »Kaeli, hör auf, ständig alles zu wiederholen, was ich sage!«, forderte Carmine. »Das würde ich gern, glaub mir! Aber wie soll das funktionieren, wenn ihr mir nichts sagt, nichts erklärt und mich im Dunkeln tappen lasst?!«, fauchte ich unwirsch. »Mom?« Meine Mutter blieb stumm, taxierte ihren Schwager und nickte ihm auffordernd zu. »Erkläre es ihr, aber dann trägst du die Verantwortung! Sollte ihr etwas zustoßen, dann hast du kein ruhiges Leben mehr, Carmine!« Mit diesen Worten machte Mom auf den Hacken kehrt und ließ mich mit meinem Onkel allein in der Küche zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)