Jacky von abgemeldet (let the game start) ================================================================================ Kapitel 8: iceblue questionmark... ---------------------------------- 8.: iceblue question mark Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie ich nach Hause gekommen war. Ich weiß nur, dass ich länger als gewöhnlich für den mir eigentlich bekannten Heimweg gebracht habe. Ich bin einfach nur gelaufen und gelaufen… ohne Ziel, ohne nachzudenken. Als ich in der alten Fabrik ankam, graute bereits der Morgen und ich sah halbwegs wache Gesichter, als ich meine Gitarre in die Ecke stellte und mich im Wohnbereich auf einem Kissen niederließ. Feron begrüßte mich mit seinem strahlendsten Lächeln, doch als er meinen erschöpften Gesichtsausdruck bemerkt, verfinstert sich auch sein kleines, rundes Gesicht. Kinder merken immer am schnellsten, wenn etwas faul ist. Ich glaube nicht, dass er es deuten kann, aber er realisiert schnell, wenn ’Tante Jacky’ Probleme hat und lieber in Ruhe gelassen werden sollte. Ich hoffe immer, dass sein Respekt für mich nicht irgendwann in Angast umschlägt. So stehe ich dem Kleinen in seinem zerknitterten Pullover gegenüber und überlege mir ob es besser wäre zu schweigen oder zu sprechen. Ich entscheide mich für Letzteres, beuge mich zu ihm herunter, küsse ihn auf die Stirn und brumme ein vorsichtiges „Hallo mein Kleiner“. Er lächelt, schaut mich mit großen Augen an und verschwindet - schwupp-di-wupp - im Treppenhaus. Baker, der die kleine Szene mit einem Lächeln auf den Lippen beobachtet hatte, kam schlendernden Ganges auf mich zu. „Was ist los? Versuchst du ihm etwas zu verheimlichen?“ Mein Schweigen schreit ihm lauter entgegen, als ich es je könnte. „Du weißt doch genau, dass ER bei Weitem der Begabteste von uns ist. Du kannst ihm nichts vor machen… auch wenn du es versuchst. ER weiß schon was los ist, wenn er dir nur in die Augen schaut.“ In seinen spöttischen Unterton mischt sich ein Hauch von Sorge. „Naja… so schwer kann das ja wirklich nicht sein, wenn sogar ich und mein kleiner Schädel mitbekommen, dass irgendwas falsch läuft…“ Er lächelt sanft. „Redest du jetzt gleich mit mir oder muss ich dich erst zwingen mir zu sagen, warum du die ganze Nacht unterwegs warst?“ Sein herausfordernder Blick brachte mich normaler Weise immer zum Schmunzeln aber nicht heute… nicht nach dieser Nacht. „Weder noch… Ich will jetzt nur noch schlafen. Außerdem bin ich mir gar nicht sicher, ob ich will, dass du mich verstehst… Es reicht schon aus, dass ein 5-Jähriger scheinbar über mein Seelenleben bescheit weiß und sich womöglich noch Sorgen macht… Mir wärs lieber, wenn du mich jetz nich ausquetschst und mir was zum Frühstück machst… Wie wäre das?“ Ich bin mir ziemlich sicher, dass er genau wusste, dass ich nicht mit ihm geredet hätte, auch wenn er sich ein Bein ausgerissen und auf dem Tisch Tango getanzt hätte, aber wenigstens hatte er es versucht. Bakers Einwurf hatte mich dennoch wieder ins Grübeln gebracht. Ich hatte versucht meine Gedanken vor Feron zu verbergen, ohne dass ich es eigentlich gemerkt hatte. Unbewusst hatte ich versucht die Emotionen vor ihm abzuschirmen und ihn so aus meinem Kopf auszuschließen. Aber warum? Keiner von uns weiß genau, über welche Fähigkeiten er verfügt. Wir wissen nur, dass er zum Kurier ausgebildet wurde und sein genetischer Code erst nach seiner Geburt ’unters Messer’ kam, was in der heutigen Zeit eigentlich nur noch sehr selten vorkam. Die Folgen seiner Verbesserung waren seine fast lautlose und schnelle Bewegungsgabe und seine eisblauen Augen, die in der Nähe und in der Ferne auch nur die kleinste Veränderung wahrnehmen können. Ob er aber ein Telepath ist, kann uns niemand beantworten, denn wir wissen weder woher er stammt, noch für welche Aufgabe er ’geschaffen’ wurde. Manchmal ist sein Verhalten sonderbar und ich weiß nicht, wie oft ich schon erschrocken zusammengezuckt bin, weil der blonde Fünfjährige plötzlich hinter mir stand. Ich glaube jeder von uns kann ein Lied davon singen. Man ist alleine im Gang oder im Raum und fühlt plötzlich etwas im Nacken, dreht sich um und starrt in Ferons himmelblaue Augen. Er sagt kein Wort. Er steht einfach nur bewegungslos da und schaut dich mit fragenden Blicken an und du weißt, dass er deinen Schreck bis in den letzten Millimeter seines zierlichen Kinderkörpers spüren kann und dass es ihm Leid tut. Er weiß, dass er die Schuld für deine Aufregung trägt und in die leuchtenden Augen mischt sich eine tiefe Traurigkeit, sodass man das Bedürfnis hat, ihn direkt in die Arme zu nehmen um ihm zu sagen, dass er nichts getan hat. Doch er versetzt dich in eine stille Betroffenheit, die es dir nicht möglich macht das zu tun. Du stehst ihm nur gegenüber und irgendwann dreht er sich auf dem Absatz um und lässt dich und deine Gefangenheit an dieser Stelle zurück, als wäre nichts gewesen. Ja, man kann ihn wirklich als sonderbar beschreiben, weil man ihn nicht mit den anderen Mitgliedern der Gruppe vergleichen kann. Trotzdem bin zumindest ich der Ansicht, dass er nichts weiter ist als ein kleiner Junge, dem das Leben schon ganz schön übel mitgespielt hat. Das erklärt meiner Meinung nach auch sein teilweise seltsames Verhalten und seine ständige Verschlossenheit, denn obwohl er schon ein halbes Jahr bei uns ist, kann ich die Gespräche, die ich mit ihm geführt habe noch an meinen beiden Händen abzählen. „Jacky kommst du???“ Bakers Stimmer holt mich wieder in die Realität zurück. „Was ist denn??“ Ich glaube spätestens jetzt haben wir auch die Anderen durch unser Gebrülle geweckt… „Ich wage mich zu erinnern, dass du was essen wolltest…!“ Ach ja… Essen… Wie dankbar ich dieser guten Seele doch gerade war. Die Tatsache, dass er mir tatsächlich etwas zu essen fabriziert hatte, ließ mich aus meiner träumenden Haltung aufstehen und mich schlaftrunken in die Küche schwanken, wo ich von duftenden Pfannkuchen begrüßt wurde. Erschöpft plumpse ich auf einen der wild durcheinander gewürfelten Küchenstühle. Baker setzt sich mir gegenüber und rutscht in Abständen von 2 Sekunden auf dem Stuhl hin und her. Rechts… Er verlagert sein Gewicht und stützt sich auf den rechten Arm…. Und links die gleiche Prozedur. Dabei wackelt er rhythmisch mit den Füßen und treibt mich damit fast zum Wahnsinn. „Baker…? Wenn du so weiter machst, ist deine Hose gleich durchgescheuert und ich gegen die nächstbeste Wand gesprungen… Also was zum Teufel ist los mit dir?“ „Ich war letzte Nacht im ’Shinning’… Die Stimmung war kurz vorm Überkochen und die Leute haben gefeiert als gebe es kein Morgen… das Einzige was gefehlt hat, war die Sängerin…“ Das er so schnell und vor allem so deutlich zum Punkt kam, brachte mich nun doch ein kleines Bisschen aus der Fassung… „Flash wusste auch nicht, wo du dich rumtreibst. Er meinte nur, dass du verschwunden bist, wie vom Blitz getroffen… Wo warst du wirklich? Hast du Probleme, von denen wir nichts wissen? Nimmst du irgendwas? Jacky… verdammt noch mal ich mach mir Sorgen um dich!!! Und außerd…“ „Das brauchst du aber nicht!!!!“ Er hatte nicht damit gerechnet, dass ich seinen Redeschwall so schnell wieder unterbrechen würde. „Niemand braucht sich Sorgen um mich machen. Gerade um mich nicht! Und da du mich anscheinend eh schon für durchgeknallt hältst, kann ich dir auch sagen, dass ich keine Drogen nehme, mich nicht prostituiere, nicht schwanger bin und dass ich keine Beziehungen habe von denen eventuell mal nicht der ganze Hausstaat wissen könnte und wenn du wirklich darauf bestehst, herauszufinden, warum ich vollkommen am Ende mit den Nerven und meinen Kräften bin, kann ich dir natürlich auch noch brühwarm erzählen, dass Kay wieder da ist, dass sie es war, die mich gestern angefahren hat, dass sie in der Bar war, dass sie mir meine Gitarre wieder gebracht hat und dass sie dann ohne ein Wort verschwunden ist… ohne ein einziges Wort… Einfach auf ein Motorrad gesprungen und aufs Neue aus unserer Welt verschwunden als wäre sie nie zurück gekommen, als sei ich so verrückt, wie du es dir gerade denkst. Als wäre sie nie hier gewesen, aber verdammt… Sie ist wieder da!! Ob es in unsere Köpfe rein will, oder eben auch nicht…“ Ich schluchze, kann meine Tränen nicht mehr halten und sitze einem vollkommen verwirrten Baker gegenüber, der mich das erste Mal in unseren Koexistenz zusammenbrechen sieht und nicht weißt, wie er mich auch nur ein Bisschen beruhigen könnte. Ich erinnere mich an kein Ereignis, wegen dem ich jemals so ausdauernd geweint hätte. Die Emotionen brechen aus mit heraus als würde eine Bombe explodieren. Unaufhaltsam. Plötzlich. Unkontrollierbar. Alles stürzt über mir zusammen und meine kleine, halbwegs kontrollierbare Existenz bricht vor meinen eigenen Augen auseinander… Genau wie damals. Es ist genauso, all wäre sie gerade wieder gegangen. Als sie das das letzte Mal getan hatte überließ sie mir eine Fabrik und 3 kleine Kinder, die jemanden brauchten, der ihnen half die Welt zu verstehen und ihre eigene schlimme Vergangenheit zu vergessen und in einem rasanten Tempo wuchs meine kleine Familie auch immer weiter an. Vor einem Jahr und 8 Monaten hatte ich selbst keine Zeit zum Trauern gehabt. Ich wurde ins kalte Wasser geschmissen und musste um mein Eigenes und dass Leben der Anderen schwimmen. Aber irgendwann verlassen auch den erfahrensten Schwimmer die Kräfte und er droht im Ozean der Emotionen unterzugehen. Genau in dieser Situation befand ich mich in diesem Moment. Als ich nach einer für mich ewigen Zeit wieder vollkommen zur Besinnung kam, hatte sich auch schon die gesamte Gemeinschaft in der Küche versammelt und stand mit besorgten Blicken in einem Halbkreis um mich herum und starrte mich verstört an. Sogar Mel, die normaler Weise nicht so leicht aus der Fassung zu bringen war, musterte mich eingehend mit mitfühlenden Blicken. Ob Minuten oder sogar Stunden vergangen waren, konnte ich nicht mehr einordnen, doch als ich die besorgten Gesichter sah, machte es in meinem Kopf klick und mein Blick schoss sofort zu Baker, der ohne ein Wort verstand, was ich von ihm wollte, als meine Lippen den lautlosen Befehl „KEIN WORT!!!“ formten. In den nun folgendes Sekundenbruchteilen suchte ich nach seinem Blick um in seinen Augen die Antwort auf die Frage zu finden, ob er sich wirklich an meine Anweisung halten würde, doch er schlug sofort die Augen nieder. Ich kann nur hoffen, dass er genügend Pflichtbewusstsein besitzt, den Anderen nichts von unserem Gespräch oder besser gesagt vom Grund meines Ausbruches zu erzählen. Ich will sie nicht auch noch mit in mein tiefes Loch ziehen, denn im Moment weiß ich nicht einmal, ob ich es aus eigener Kraft schaffen kann wieder heraus zu kriechen. Sie schauen mich nur fragend an. Ich überwinde mich zu einem leichten Lächeln. Ich kann es ihnen einfach nicht erzählen. Meine Gedanken wirbeln nur noch bruchstückhaft durch meinen Kopf. Einige von ihnen hatten Kay noch kennen gelernt, hatten mit ihr gelebt und sie vielleicht genauso vergöttert, wie ich es tat. Meiner Meinung nach braucht jeder junge Mensch einen Helden, zu dem er aufblicken kann. Gerade wenn er in einer schweren Zeit lebt, in der die Zukunft oft ungewiss und der nächste Tag einfach nur dunkel erscheint. Mein Stern in dieser Zeit hieß Kay. Als er für mich erlosch, breitete sich auch in mir ein kleiner Teil der Dunkelheit aus. „Schaut mich nicht so übertrieben betroffen an… Auch der stärkste Krieger is mal müde, hmm?“ Die Ungläubigkeit aus ihren Gesichtern will einfach nicht weichen. Hätte ich mir zuhören können, hätte ich mir bestimmt selber nicht geglaubt. „Habt ihr nichts zu tun an diesem sonnigen Tag? Verderbt ihn euch nicht durch mein Geheule. Es ist nicht weiter wichtig und ich werde auch in näherer Zukunft nicht sterben also schiebt die Totenmontaggesichter beiseite und lasst euch lieber von Baker was zu essen geben. Er ist heute unser persönlicher Koch und freut sich über jeden zufriedenen Kunden… Ich für meinen Teil genieße gerade die besten Pfannkuchen, die ich jemals gegessen habe… Lasst euch das nicht entgehen...“ Übertrieben optimistisch stecke ich mir eine volle Gabelladung Pfannkuchen in den Mund um ihre Gedanken endgültig zu zerstreuen. Ich kenne sie einfach genau… Hunger ist schlimmer als alles andere und wenn es bei uns schon einmal ein Festessen zu verschlingen gibt, zerstreuen sich die Trauernden mit dem ergatterten in alle Winde und vergessen alles um sich herum. Auch ich wandte mich wieder vollkommen appetitlos meinem Essen zu. Es schmeckte wirklich wunderbar. Süß… eigentlich eine Sünde wert… Aber im Moment würde mich auch das beste 5-Sterne-Menü nicht im Geringsten reizen. Ich schüttele den Kopf und Blicke von meinem Teller auf um dann erschrocken festzustellen, dass Feron nur eine handbreit von mir entfernt steht und mich förmlich mit seinen Eisaugen fixiert. Ich brauche einige Sekunden um meine innere Ruhe wieder zu finden. Warum bringt er mich nur immer so aus der Fassung? „Was ist denn los mein Kleiner? Hast du gar keinen Hunger?“ Einige Augenblicke herrscht ein Schweigen zwischen uns, dass die Atmosphäre im Raum fast zum zerreisen anspannt. Ich habe das Gefühl, dass er mir in die tiefste Seele blicken kann… Dann beugt er sich vor, küsst mich auf die Stirn und flüstert mir ins Ohr „Tief in deinem Inneren weißt du, dass es besser ist, wenn DU uns führst. Du weißt, dass du genau wie sie Besonders bist. Du musst es nur irgendwann rauslassen… Wehr dich nicht dagegen… das bekommt dir nicht… Das kann ich dir versprechen. Ich bin mir sicher, dass sie genauso auf dich aufpasst, wie ich es tue… Du kommst nicht dagegen an…“ Ich sitze da wie erstarrt. ER spricht nicht wie ein 5-Jähriger. ER Spricht nicht wie ein kleines Kind, dass den Schrecken der Welt noch nicht am eigenen Leib erfahren hat. Und dabei hat er sie doch nicht einmal gekannt….. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)