Maybe... von Vanilla-chan ================================================================================ Kapitel 8: Memories II - Das Bannsiegel --------------------------------------- Da ist es - das nächste Kapitel. Hat etwas länger gedauert, "Dank" des fantastischen Wetters. Ich möchte mich wieder einmal bei meinen treuesten und fleißigsten Kommentar-Schreibern bedanken (Cherry 10001, DarkEye, Nex_Caedes, CMT und Saiyama! Danke!! *verbeug* Und natürlich freue ich mich ebenfalls wie wahnsinnig über jede neue Stimme! (Willkommen, Xell!)) So, jetzt geht's direkt weiter. Im Diskussionsforum habe ich interessante "Gesprächsrunden" gelesen, in denen es darum ging, warum Alucard eigentlich von Integras Vater versiegelt wurde. Nun - hier also mein persönlicher Entwurf des Szenarios, das zu Alucards Versiegelung geführt haben könnte... ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Die ersten Strahlen der Morgensonne sickerten durch die langen, weißen Vorhänge. Integra blinzelte, gähnte ausgiebig, streckte sich - und stutzte. Sie schlug die Bettdecke beiseite und sah, dass sie in ihrem (nun reichlich zerknüllten) Anzug im Bett lag. Offensichtlich war sie gestern wieder vor ihrem Laptop eingeschlafen und Walter hatte sie in ihr Schlafzimmer "geschafft". Normalerweise beschränkte er sich darauf, ihr eine Wolldecke um die Schultern zu legen. Doch seit sie aus der Haft zurück war, war er noch fürsorglicher als zuvor. Sie richtete sich auf. Ihre Schuhe standen ordentlich nebeneinander vor dem Bett (Integra selbst hätte sie beim Zubettgehen irgendwohin gepfeffert (und morgens fluchend nach ihnen gesucht...)), ihre Brille lag zusammengeklappt auf dem Nachttisch. Sie lächelte und streckte sich noch mal. Sie war zufrieden, damit, wie die Arbeit der Organisation nach ihrer Rückkehr lief. Wenig später lief sie durch das Waldstück, das zum Hellsing-Anwesen gehörte. Ihr allmorgendliches Ritual und diesmal genoss sie es ganz besonders. Wie sehr ihr das gefehlt hatte; die Bewegung, die Sonnenlichttupfen auf dem Waldboden, die kühle Morgenluft... Sie dachte noch immer über Walter nach - Walter, der immer für sie da gewesen war, solange sie denken konnte. Ob es nun darum ging, ein Lob für eine gute Zensur abzuholen oder einen ausgefallnen Milchzahn (+ zugehöriger Zahnlücke) zu präsentieren - Walter war immer ihre erste Anlaufstelle gewesen. Später hatte er sie u.a. in sämtlichen Kampfsportarten unterrichtet. Vermutlich wirkte ihre Beziehung auf Außenstehende etwas distanziert, dabei war sie das absolut nicht. Als kleines (wildes) Mädchen war sie ihm öfter mal um den Hals gefallen, doch irgendwann hatte das aufgehört. Sie runzelte die Stirn. Wenn sie so darüber nachdachte... ja, an dem Tag, als ihr Vater, Sir Hellsing, starb, hatte sie ihn das letzte Mal umarmt. Sie war damals auf ihr Zimmer gegangen und hatte sich auf ihr Bett gesetzt. Sie war wie betäubt. Dad war gerade gestorben. Sie war jetzt die Leiterin der Hellsing-Organisation. Aber sie konnte Dad nicht mehr um Rat fragen, nie mehr. Alles war leer. Und schwarz. Und tat weh. Aber der Leiter der Hellsing-Organisation weint nicht. Der Leiter der Hellsing-Organisation war stark. Und Tränen waren ein Zeichen von Schwäche. Wenig später war Walter in ihr Zimmer gekommen. Er strich ihr mit der Hand sanft über den Kopf. Sein trauriges Lächeln gab ihr den Rest. All die Trauer, der Schmerz, die Leere, die Angst, das Verlassensein fanden ihren Weg und sie weinte wie sie noch nie zuvor in ihrem 13jährigen Leben geweint hatte. Walter hatte sich neben sie auf die Bettkante gesetzt und sie hatte ihn umklammert wie eine Ertrinkende. Walter hatte sie in den Arm genommen, hatte sie sanft hin und her gewiegt wie ein ganz kleines Kind. Er hatte auch geweint. Ohne Walter als Berater an ihrer Seite hätte sie ihr Erbe niemals bewältigen können. Die ersten Sitzungen mit den Knights of the round table waren Alpträume gewesen. Die Knights hatten keinen Hehl daraus gemacht, dass sie ein 14jähriges Mädchen inkompetent und lächerlich fanden. Integra war nach jeder dieser ersten Sitzungen in ihr Arbeitszimmer gerannt und hatte Dinge an die Wand geschmissen, hatte die Bücherregale angeschrieen und getobt. Walter hatte sie toben lassen. Es kam der Punkt, an dem sie in ihr Schlafzimmer rannte und sich vor Wut heulend auf ihr Bett warf. Walter ging unterdessen ins Arbeitszimmer, fegte dort die Splitter und Scherben zusammen, dann folgte er ihr. Er rückte sich einen Stuhl neben ihr Bett, reichte ihr ein Taschentuch und sobald sie wieder einigermaßen ansprechbar war, überlegten sie sich gemeinsam Vorgehensweisen. Er übte mit ihr das freie Reden, und wie sie sich durch dumme Kommentare der Knights nicht mehr aus der Ruhe bringen ließ. Sie hätte ihn wirklich öfter mal umarmen sollen. Aber damit konnte sie doch jetzt nicht mehr anfangen... Sie nahm sich jedoch fest vor, öfter mal "Danke" zu sagen... Das Frühstück schien eine erste günstige Gelegenheit zu sein. Walter schenkte ihr Tee ein und deutete dabei verächtlich auf die Zeitungen, die auf dem Tisch lagen. "Der Name Hellsing geistert immer noch durch die Zeitungen", sagte er. "Wenn dein Vater das wüsste, würde er sich im Grab umdrehen!" "Es wird ja weniger", entgegnete sie. "Wir sind nur noch auf Seite 5, bald verlieren sie ganz das Interesse. Ach, Walter?" "Ja, bitte?" "Ähm... danke, dass du mich heute nacht in mein Zimmer gebracht hast." Walter sah sie verblüfft an. "Aber... das habe ich doch gar nicht." Integra biss fast ein Stück aus ihrer Tasse. 'Alucard...', dachte sie. Sie sah Walter an und sah, das er dasselbe dachte. Augenblicklich verfiel Integra in eine hektische Betriebsamkeit. Sie drückte Walter ein paar Berichte in die Hand, und marschierte in ihr Arbeitszimmer. Walter sah ihr mit hochgezogenen Augenbrauen nach. Alucard hatte noch nie einem weiblichen Hellsing dienen müssen. Es war klar, dass er... spezielle Machtspielchen versuchen würde. Walter fragte sich, ob Integra stark genug dafür war. Stärker als ihr Vater... Damals... Die Gestalten tauchten aus der Finsternis auf wie Figuren in einem Traum. Die drei Männer trugen lange Mäntel und bewegten sich vollkommen lautlos in der dunklen Seitenstraße. Dort war das Haus, in dem sich angeblich Ghouls eingenistet hatten. Alucard, Arthur Hellsing und Walter verständigten sich - wie immer - durch Blicke. Walter wollte gerade um die linke Seite des Hauses herum eilen, als Arthur ihn - wie immer - am Mantelgürtel zurückhielt. Eine Art Ritual. Walter lächelte. "Pass auf dich auf", flüsterte Arthur kaum hörbar und küsste Walter. Alucard beobachtete dieses Procedere jedes Mal interessiert, grinste breit und dachte sich seinen Teil. ("Menschen..." *Augen-verdreh*) Eigentlich war es meist überflüssig, dass Arthur und Walter mitkamen. Alucard wäre in 9 von 10 Fällen bestens allein zurecht gekommen. Aber Arthur Hellsing kümmerte sich gern selbst um "besondere Belange" und Walter wollte in Übung bleiben. Die drei "Midnight-Musketeers" waren versierte Ghoul-Killer. Fast 20 Jahre lang erlebten sie haarsträubende Abenteuer (die man vielleicht auch mal niederschreiben sollte...). Grandiose Jahre waren das. Walter war glücklich, Arthur war glücklich und sogar Alucard war so was ähnliches wie glücklich. Aber dann, eines Nachts... Walter hielt mit seinem MG drei Straßen entfernt vom "Zielpunkt". (Nein, MG steht hier nicht für MaschinenGewehr, sondern für eine Automarke. Ein richtig schickes Wägelchen... *schwärm*) Er eilte durch die schwarze Nacht. Alucard wartete bereits am verabredeten Treffpunkt. "Wo ist Arthur?" fragte Walter. "Arthur? Ach, der kommt später", sagte Alucard in einem völlig untypischen Plauderton. "Oder gar nicht", fügte er leiser hinzu. "Warum?" fragte Walter verwundert. "Hat 'ne Verabredung zum Essen", sagte Alucard und prüfte etwas am (völlig intakten) Magazin seines Gewehrs. "Eine Verabredung zum Essen?" wiederholte Walter fassungslos. Wegen einer Verabredung zum Essen hatte Arthur noch nie (noch NIE!) einen Auftrag vernachlässigt. Arthur pflegte sogar die Knights zu versetzen, wenn es darum ging, eigenhändig einen besonders gelagerten Ghoul-Vorfall zu klären. Das müsste schon die Queen höchstselbst sein... "Essen - mit wem?" fragte Walter. "Ist doch egal", murmelte Alucard. "Mit wem?!?" schrie Walter. Wäre Alucard nicht Alucard gewesen, sondern irgendein Mensch - Walter hätte ihn am Kragen gepackt und geschüttelt. "Eine gewisse Miss Wingates." "Ach", sagte Walter. Siedend heiße Eifersucht durchtoste ihn. Arthur gesellte sich in dieser Nacht nicht mehr zu ihnen. Und auch in den folgenden Nächten erfüllten Alucard und ein missgelaunter, wortkarger Walter diverse Aufträge allein. Manchmal kamen sie vor Arthur wieder in Hellsing Manor an. Walter stand auf einem der zahlreichen Balkone hinter einer Säule und beobachtete, wie Arthur sich von Fairbrooks (so hieß Miss Wingates mit Vornamen) verabschiedete. Wie er "Pass auf dich auf", zu ihr sagte und sie küsste. Und noch mal küsste. Und noch mal. Und wie er ihr nachsah, als sie in ihrem Cabrio davonfuhr. Manchmal glaubte Walter, vor Eifersucht durchdrehen zu müssen. Doch er blieb der perfekte, tadellose Butler, der er stets gewesen war (und bleiben würde), dessen höflich-zuvorkommendem Verhalten man nicht ansah, wie es innen aussehen mochte. Oft hatte er daran gedacht, fortzugehen. Irgendwohin, einfach nur weg. Doch er fühlte sich der Hellsing-Organisation zu verbunden. Arthur ging ihm aus dem Weg. "Ich habe zu tun", sagte er. Walter wusste, wann er unerwünscht war und darum fand er es hochgradig beleidigend, dass Arthur daraufhin auch noch die Tür zu seinem Arbeitszimmer abschloss. Und zwar dreifach. Und er wusste auch, dass Arthur nichts anderes zu tun hatte, als mit Miss Wingates zu telefonieren. Stundenlanges Gesäusel. (Das war schließlich eine von Walters leichtesten Übungen - ein Telefon abzuhören...) Walter verbrachte viele Abende damit, neben Alucard auf dessen Sargdeckel zu hocken. Alucard erzählt ihm Begebenheiten aus den letzten 400 Jahren, die ihn seinen Kummer kurzzeitig vergessen ließen. Arthur Hellsing und Miss Fairbrooks Wingates heirateten schließlich. Alucard wurde nicht müde, sich darüber zu wundern, wie Arthur es geschafft hatte, eine solche Frau zu ergattern. Zugegeben, die Dame gefiel ihm. Sie war eher zierlich, hatte lange, hellbraune Locken und ihre grünen Augen standen in einem atemberaubenden Kontrast zu ihrem dunklen Teint, der ihr etwas exotisches verlieh. Was Alucard überhaupt nicht gefiel, war Arthurs Befehl, sich von Fairbrooks fern zu halten. Er durfte sich ihr nicht mal zeigen und sollte am besten überhaupt "unsichtbar" bleiben. Arthur selbst hatte sich nach seiner Heirat aus der aktiven Ghoul-Bekämpfung zurückgezogen und widmete sich ganz der Leitung der Organisation. Seine junge Frau - Fairbrooks Wingates-Hellsing - wusste nichts von den wahren Zielen der Organisation. Sie glaubte, es handle sich um eine Geheimorganisation, die "normale" Verbrecher bekämpfe, eine Art "Privat-Armee", die... na ja, die Polizei irgendwie unterstützte. Arthur ließ sie in dem Glauben. Fairbrooks liebte Partys und Feiern über alles und so geriet sie öfter in Situationen, bei denen sie auf irgendeiner Fete gefragt wurde, welchem Beruf ihr Mann nachgehe und sie wusste nichts darauf zu antworten. Wenn sie genauer darüber nachdachte, fand sie es immer merkwürdiger, dass Arthur ihr nie erzählt hatte, um was es in dieser Organisation ging. Auf ihre Fragen gab er ausweichende, nichtssagende Antworten. Ganz sicher, er verheimlichte ihr was. Und sie würde herausfinden, was das war... Es war in einer der nächsten Nächte. Fairbrooks hatte Arthur bereits "gute Nacht" gesagt und war ins Schlafgemach gegangen. Nach einer Weile hatte sie es leise, sehr leise, wieder verlassen und wartete in einer dunklen Ecke des Flures darauf, dass Arthur sein Arbeitszimmer verließ. Um ihm zu folgen. Sie konnte ihm dort völlig unbemerkt auflauern, denn Walter schien nicht da zu sein. Walter schien überhaupt ein wichtiger "Bestandteil" der Organisation zu sein. Welche Rolle mochte er da spielen? Sie wusste nie, was sie von Arthurs Butler halten sollte. Er benahm sich ihr gegenüber äußerst reserviert. Um halb zwei in der Nacht verließ Arthur endlich das Arbeitszimmer. Fairbrooks folgte ihm mit einigem Abstand durch die dunklen hohen Flure von Hellsing Manor. Tatsächlich betrat Arthur Hellsing einen Geheimgang. Fairbrooks folgte ihm mit einigem Abstand. (Zum Glück hatte sie sehen können, welches Buch aus dem Regel gezogen werden musste, damit das ganze Regal wie eine Drehtür herumschwang.) Walter und Alucard waren gerade nach Hellsing Manor zurückgekehrt. Hinter ihnen lag die anstrengende, aber erfolgreich abgeschlossene "Klärung" eines "Falles". Die Ghouls waren zur Strecke gebracht und Zivilpersonen waren nicht behelligt worden. Arthur ließ sich von ihnen berichten, wie alles abgelaufen war. Unterdessen gönnte Alucard sich diverse Blut-Konserven und Walter machte sich daran, die "Spezialdrähte" zu säubern. Fairbrooks stand hinter einem Mauervorsprung und hörte eine Weile zu. Sie wurde nicht schlau aus dem, was da gesprochen wurde. "Ghouls" - das sagte ihr nun überhaupt nichts. Und klar - Walter gehörte zu diesem "Sondereinsatz-Kommando", aber die dritte Stimme, die sie hörte - eine dunkle Stimme, als spräche die Nacht selbst - die hatte sie noch nie gehört... Entschlossen, Arthur und Walter endlich zur Rede zu stellen, trat Fairbrooks hinter dem Mauervorsprung hervor - und erstarrte augenblicklich. Fairbrooks stand vor einem Waffen-Arsenal, wie sie es noch nie gesehen hatte. (Und nie wieder sehen wollte.) Außerdem gab es eine Regalwand mit großen Gläsern. Körperteile von Ghouls - vor dem "zu-Staub-werden" gesichert - waren darin in Formalin eingelegt. Walter saß etwas abseits an einem Tisch und säuberte hauchdünne (tödlich scharfe...) Silberdrähte. Er legte die fadendünnen Drähte in flache Becken. Die Flüssigkeit in den Becken färbte sich rot. Arthur stand neben einem Tisch und sprach mit dem dritten Mann. Dieser dritte Mann... Er saß auf einem Stuhl (die Füße in schnallenbewehrten, schweren Stiefeln auf dem Tisch) trotzdem erkannte Fairbrooks, dass er ungewöhnlich groß war. Seine Haut war auffallend blass, die nachtschwarzen Haare lang. Den linken Arm hatte er lässig auf die Rückenlehne gestützt. In der rechten Hand hielt er eine Blutkonserve. Gerade schlug er seine Zähne (lange, spitze Zähne...) in die Blutkonserve, um sich die rote Flüssigkeit genüsslich einzuverleiben. Fairbrooks keuchte entsetzt. Arthur und Walter drehten sich erschrocken um. Der dritte Mann wandte sich langsam zu ihr um. Als sich ihre Blicke trafen, lächelte er. Lange, spitze Zähne und blutrote Augen. Er stand auf. "Guten Abend, Mrs Wingates-Hellsing", sagte er mit seiner nachtdunklen Stimme. Fairbrooks schrie. Und schrie und schrie. Sie rannte davon, durch das gesamte Anwesen, zu ihrem Auto und fuhr davon, flüchtete nach London, zu ihren Eltern. Am nächsten Morgen rief sie Arthur an, noch immer völlig hysterisch. Sie verlangte Erklärungen und vor allem verlangte sie, dass das "langhaarige Monster" verschwinden müsse. Was es mit der verdammten Organisation eigentlich auf sich hätte. Sie würde alles, was sie gesehen hatte, ihrem Vater erzählen, ein ehemals einflussreicher Journalist, der in die Politik gewechselt war. Und außerdem wollte sie sich scheiden lassen. Arthur redete stundenlang auf sie ein. Es gelang ihm, sie zu einem gemeinsamen Urlaub zu überreden. Drei Wochen später kehrten sie zusammen nach Hellsing Manor zurück. Fairbooks verlangte noch immer, dass das "Monster" verschwinden solle. Arthurs Erklärungen, Alucard (so hieß das Monster) sei Hellsings wichtigste Waffe, wollte sie nicht hören. Sie wollte nicht akzeptieren, dass diese... Kreatur eine Berechtigung hatte, hier, unter einem Dach mit ihr zu sein. Arthur wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte und wollte nicht auf Alucards Dienste verzichten. Andererseits wollte er Fairbrooks um nichts in der Welt verlieren. Solange Arthur nicht wusste, was er tun sollte, erteilte er Alucard keine Aufträge mehr - was er Alucard durch Walter mitteilen ließ. Daraufhin blieb Alucard für eine Weile in seinem Sarg und war beleidigt. Die Korrespondenz zwischen Arthur und Alucard fand nur noch über Walter statt. Jeden Tag stieg Walter in den Keller hinab, klopfte höflich an den Sargdeckel und brachte Alucard ein paar Blutkonserven. Alucard erkundigte sich dumpf aus dem Inneren des Sarges heraus, ob es was neues gäbe? Einen neuen Auftrag für ihn? Und Walter musste täglich antworten, dass es leider noch keine neuen Aufträge für ihn gäbe, es täte ihm sehr leid und - unter vier Augen gesagt - er fände die derzeitige Situation ebenfalls sehr unerfreulich. Arthur war mit dem Status quo einigermaßen zufrieden. Solange Alucard in seinem Sarg schmollte, musste er keine Entscheidung treffen. Eines Nachts jedoch flog Alucards Sargdeckel krachend auf und kurz darauf glitt ein sehr wütender Alucard durch die Wand des Arbeitszimmers. Alucard stellte sich vor Arthurs Arbeitstisch auf und betrachtete wortlos seinen Herrn. Arthur schien vollkommen vertieft in seine Unterlagen und beachtete den Vampir nicht. "Seit wann diene ich deiner Familie?" fragte Alucard nach einer Weile. "Schon lange", murmelte Arthur unwillig. "ZU lange!" zischte Alucard. "Mein Dasein besteht darin, in eurem Namen Ghule und ähnliches Pack auszulöschen und was habe ich davon? Der werte Herr ignoriert mich. Tut so, als wäre ich nicht da." Arthur zog eine Augenbraue hoch. "Donnerwetter, ganz schön zickig, Lord Alucard", sagte er spöttisch. "Das ist aber nicht der Alucard, den ich kenne." "Wer, bitteschön, ist der Alucard, den du kennst?" "Bitte", sagte Arthur, "ich habe keine Zeit für diese Albernheiten. Halte dich bereit und gib Ruhe. Und jetzt verschwinde." Alucards Augen wurden zu rotglühenden Schlitzen. SO redete man nicht mit dem No Life King... Vor Wut fast rasend verschwand er. Wenn er keine Aufträge mehr zugeteilt bekam, würde er sich seine Aufträge selbst suchen. Vorhin waren die Hellsing-Wagen ausgerückt; es dauerte nicht lange, und Alucard hatte sie in London entdeckt. Die Hellsing-Armee hatte ein Gebäude mit "Ghoul-Befall" umstellt. Genau das richtige für seine Wut heute Nacht... Alucard fletschte die Zähne und ging geradewegs auf das Gebäude zu. "Verschwinden Sie!" rief ihm einer der Hellsing-Soldaten durch ein Megaphon zu. Und noch einer, der mir sagt, ich soll verschwinden, dachte Alucard und spürte, wie Wut, Hass und Blutgier in ihm pulsierten - und Verachtung. Verachtung für diese armseligen Sterblichen und auch für sich selbst - einem Diener dieser erbärmlichen Menschen. "Verdammt", zischte einer der Hellsing-Soldaten, "das ist doch der Vampir." "Welcher Vampir?" "Na... unser Vampir. Dieser Hellsing-Vampir. Was machen wir jetzt?" Sein Kollege griff wieder zum Megaphon. "Alucard", rief er, "verschwinde... verschwinden Sie von hier. "Sie... also. Sir Hellsing hat darauf hingewiesen, dass Sie nicht befugt sind. Bleiben Sie stehen, sonst müssen wir Sie erschießen." Waffen wurden entsichert. Alucard ging ungerührt. "Bleib stehen!" rief ein Soldat. "Ich erschieß dich!" "Versuch's", sagte Alucard. _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Walter hatte Arthurs Arbeitszimmer bereits vor einigen Minuten betreten. Ratlos betrachtete er seinen Herrn. Arthur saß an seinem Arbeitstisch, das Gesicht in den Händen vergraben. 'Ich hab ihn provoziert', dachte Arthur. 'Ich habe ihn unterschätzt, ich hätte nie gedacht, dass er derart durchdrehen würde.' Die Soldaten hatten in jener Nacht versucht, Alucard am Betreten des Hauses zu hindern. Sie hatten auf ihn geschossen. Alucard hatte sich mit einem regelrechten Massaker gerächt. Fairbrooks hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten, als sie davon erfuhr. Sie war noch immer in ärztlicher und nun auch psychiatrischer Behandlung. Die Angehörigen der Soldaten verlangten Aufklärung. Die gesamte, restliche Hellsing-Armee, die sehr wohl wussten, was passiert war, Fairbrooks und ihre Eltern, die Knights of the round table - sie alle verlangten Alucards Tötung. Andernfalls wollten sie mit Informationen über die Hellsing-Organisation an die Öffentlichkeit treten. Selbst wenn ich wollte, dachte Arthur und grinste hysterisch, wie soll ich einen Unsterblichen umbringen? Der Druck war unerträglich geworden. Er nahm Beruhigungsmittel; an manchen Tagen eine ganze Handvoll. "Walter", sagte Arthur tonlos. "Ich habe ihn nicht mehr unter Kontrolle. Ich muss ihn versiegeln. Walter?" Walter schwieg. Walter hatte sich noch Jahre später darüber gewundert, dass Alucard mit seinen hypersensiblen Sinnesorganen das Betäubungsmittel nicht geschmeckt hatte, welches in den nächsten Blutkonserven enthalten war. Oder hatte er sich trotz äußerlichem Kampf innerlich mit dem Gedanken abgefunden, versiegelt zu werden, einige Jahre zu ruhen? Wie viele Jahre? Nun, für Alucard spielte das "wie lange" ja eigentlich keine Rolle... Alucard hatte das Betäubungsmittel in einer Dosis verabreicht bekommen, die einen Menschen umgebracht hätte. Alucard war immerhin reichlich benommen und taumelte, als Arthur mit zwei Revolvern vor ihn trat. Er hatte beidhändig auf ihn geschossen. Alucard brach zusammen. Trotzdem schoss Arthur weiter, bis die Magazine leer waren. Alucard war durch das Betäubungsmittel immerhin so benommen, dass er nur sehr langsam von den Schusswunden regenerierte. Es gelang Arthur, ihn zu fesseln und zu verschnüren wie eine Mumie. Schweißgebadet versuchte Arthur, Alucard ins hinterste Kellerverlies zu zerren. "Walter, hilf mir!" befahl er. "Nein", sagte Walter. Fassungslos starrte Arthur seinen ehemaligen Geliebten an. Walter erwiderte den Blick kühl mit seinen quecksilberfarbenen Augen. Fluchend zerrte Arthur Alucard ins Kellerverlies und versiegelte ihn dort. Vollkommen erschöpft lehnte Arthur an der Wand des Kellerverlieses. "Ich habe doch keine andere Wahl", murmelte er. Walter, der stumm zugesehen hatte, sagte noch immer nichts. Er trat drei Schritte zurück als Arthur den Kellerraum verließ. Die beiden Männer warfen noch einen Blick auf Alucard, dann fiel die dicke Tür ins Schloß. Wortlos stiegen sie die Treppe hinauf. Walter hielt sich ein paar Meter hinter Arthur. "Du weißt, Walter", sagte Arthur, "nur ein Hellsing kann das Bannsiegel lösen. Ich empfehle dir, nicht zu oft an den Keller zu denken. Denk am besten überhaupt nicht mehr an das, was mal war." Walter hatte den Kopf gesenkt und betrachtete seine Schuhspitzen, wie sie langsam, Stufe für Stufe, weitergingen. Arthur hatte den oberen Treppenabsatz erreicht, drehte sich um und blickte zu Walter hinab. "Es ist ja nicht für immer", sagte er in einem anderen, weicheren Tonfall. "Seine Zeit wird wiederkommen und viel früher als wir uns das vorstellen, fürchte ich. Eines Tages werde ich ihn wieder erwecken. Ich oder mein Nachfolger." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)