Destiny von Siatha (1. Platz des Frühlingswettbewerbs 2004) ================================================================================ Act 1 - Part 1: Those who remain -------------------------------- Act One - Despair Part One - Those who remain Und wenn dich gar nichts mehr bewegt Freude nicht und Leid Wenn dein Herz nicht schneller schlägt Weil dich nichts mehr freut ... Der Himmel war klar, unbedeckt von den Wolken, die ihn die letzten Wochen verhangen hatten. Letztendlich hatten sie sich ergeben und waren verschwunden um der leuchtenden Herrin Platz zu machen und sie die Welt wärmen zu lassen. Doch die Wolken waren nicht für immer gegangen. Sie warteten nur. Warteten auf den günstigsten Augenblick um zurückzukehren und sich ein weiteres Mal zwischen die Sonne und ihr lichtbedürftiges Kind zu stellen. Natürlich, sie konnten die starken Strahlen niemals ganz verschlucken, nur manchmal, wenn der Blitz und Donner ihnen zu Hilfe kam und sie mächtiger werden ließen, schafften sie es die Erde zu verdunkeln, als sei es Nacht. Doch normalerweise brachten sie immer nur ein trübes Grau zustande. Aber es war ein Schritt. Zwar ein kleiner Schritt, aber dennoch ein Vorankommen auf dem harten Weg zum Sieg über das Licht, den sie immer entlang gehen würden, egal wie lange es dauerte, egal wer oder was sich ihnen in den Weg stellte. Und vielleicht, eines Tages, wenn die Rebellen des Weltalls wieder auf die Erde trafen und ihnen Staub und Asche als Helfer brachten, dann war es ihnen vielleicht möglich ihre ewige Feindin zu besiegen und ihre wärmebedürftigen Schützlinge auszurotten. Doch an diesem ersten Frühlingstag war jene düstere Apokalypse noch nicht einmal am Horizont zu sehen. Nur der weite blaue Himmel erstreckte sich unendlich über dem alten Schloss, das für normale Menschen nichts weiter als eine Ruine war. Doch die alten Reinblütigen und die Auserwählten wussten sehr wohl, dass es sich bei diesem Schloss um eine der berühmtesten Schulen für Zauberei und Magie handelte. Hogwarts thronte hoch oben auf seinem Felsen, mächtig und ehrwürdig, wie am ersten Tag, ungebrochen vom Lauf der Zeit. Es erschien unbeugsam, egal was ihm auch passieren würde, dieses Schloss würde immer dort oben stehen und seine Schützlinge beherbergen, egal wie finster die Zeiten auch werden würden. Hogwarts war sicher, das wusste jeder und das glaubte auch jeder - doch nicht jeder war glücklich darüber. Der Wind strich in schnellem Zug über das Land, schwächte sich am Boden ab und fuhr beinah andächtig über die sanften Grashalme, die nun, da sie befreit waren von der Last des Winters, sich freudig ihrer strahlenden Göttin entgegenreckten. In der Höhe war der Wind schneller, hatte keinen Widerstand zu erwarten. Nur der Nordturm des alten Schlosses stellte sich ihm entgegen. Er und die, mit ihm verglichene winzige, Gestalt auf seinen Zinnen. Der Wind verminderte seine Geschwindigkeit nicht, als er an den schwarzen Roben des Jungen zog und sie ihm von hinten um den mageren Körper blies. Für einen Augenblick sah es aus, als würde das Kind straucheln, doch es erschien nur so, denn er stand fest auf dem alten Stein. Fester als er es sich wünschte. Fliegen. Einfach springen und sich mit dem Wind davon tragen lassen. Ohne Besen, ohne Magie. Einfach frei sein von allem. Das war alles, was der Junge sich wünschte und gleichzeitig war es das, was er niemals bekommen würde. Freiheit war ein Begriff, den er so schnell wie möglich vergessen sollte. Dann kam der Wind zurück, zerrte diesmal von vorne an ihm, blies die schwarzen Haare und den schwarzen Umhang nach hinten. Kurz schweiften die grünen Augen über die Schulter, hinab auf den steinernen Boden, wo er in Sicherheit wäre und nicht auf einer Schwelle zwischen Leben und Tod. Doch selbst wenn er hinab steigen würde, würde ihn das sehr viel weiter weg vom Tod bringen? Stünde er nicht immer noch genauso nah an der Schwelle, wie wenn er dort auf den Zinnen stand? Was machte das Leben eigentlich zum Leben? Wann lebte man? Wenn man atmete, wenn man aß und trank? Oder waren das nur Voraussetzungen zum Leben? Machte nicht etwas ganz anderes ein Leben aus? Lebte man nicht, wenn man glücklich war, wenn man lachte, sich freute? Das bedeutete doch Leben, das meinte man doch damit am Leben zu sein. Aber er tat dies nicht. Er lachte nicht. Er freute sich nicht. Er war nicht glücklich. Also lebte er nicht. Oder doch? Hass, Wut, Trauer, Zorn. Wenn man dies empfand, dann lebte man doch auch. Solange man zu Empfindungen fähig war, solange war man noch am Leben. Die grünen Augen wandten sich nach unten. Emotionslos starrten sie auf den Boden, der sich weit unter ihnen erstreckte. Gefühle lagen keine mehr in ihnen, weder positive noch negative. Im Grunde war er schon tot, das war dem Jungen klar. Es würde keinen Unterschied machen, würde er springen. Es würde nur das Dahinvegetieren verkürzen. Dieses Sein nach dem Tod, das dem des Geisterlebens entsprach. Ein Schritt und er würde frei sein. Ein Schritt und alles wäre für immer vorbei... Dann läutete die Glocke zum Nachmittagsunterricht und Harry wandte sich um. Er hatte keine Angst vor dem letzten Schritt, aber er durfte es nicht tun. Er war dazu verdammt zu kämpfen. War dazu verdammt sein Leben für die Welt einzusetzen. Doch es war ihm egal. Er würde kämpfen und danach wäre er endlich frei. ~ ~ ~ Der erste Tag des Frühlings veranlasste viele Schüler dazu die warmen Sonnenstrahlen auf der Wiese vor dem Schloss zu genießen. In Scharen strömten sie nach draußen um sich am Ufer des Sees niederzulassen und entweder alleine zu träumen oder mit den Freunden zu reden. Lachen und Gekicher schallte über die ganze Wiese, durchdrang selbst die Gemäuer innerhalb Hogwarts und ließ die Sorgen der letzten Monate für einen kurzen Moment vergessen sein. Severus Snape ging schnellen Schrittes durch die hohen Korridore und knurrte nicht nur innerlich über die Unbesorgtheit der Schüler. Sein Umhang bäumte sich wie immer hinter ihm auf und manche Schüler behaupteten, es seien die großen Schwingen eines Vampirs - was in Severus' derzeitiger Stimmung vielleicht gar nicht mal so abwegig war. Am liebsten hätte er jeden Schüler angefallen, der so unbeholfen in den Tag hineinschlenderte, aber er beherrschte sich, so schwer es ihm auch fiel. Unterwegs kamen ihm ein paar der Gryffindorschüler der sechsten Klasse entgegen. Thomas und Finnigan machten wieder einen ihrer dummen Scherze, der anscheinend gegen den Weasleyjungen gerichtet war, da sich dessen Gesicht beleidigt verzog. Seine Schwester und Granger kicherten, beherrschten sich jedoch, als er sie ansah. Severus knurrte wieder. Wenigstens die Weasleys und Granger sollten wissen, wie die Dinge standen, doch stattdessen ergaben auch sie sich diesen lächerlichen Gefühlen, die der Frühling jedes Jahr aufs Neue ins Schloss brachte. Dann passierte er das Schlusslicht der kleinen Gruppe, den Potterjungen. Severus musterte ihn aus den Augenwinkeln. Den sechszehnjährigen Jungen, der seinem Vater äußerlich so ähnelte, doch charakterlich sehr viel mehr seiner Mutter entsprach. Der Junge, den er all die Jahre so sehr für die Taten seines Vaters gehasst hatte. Der Junge, der nun nach den wenigen Jahren seines Lebens, schon mehr auf der Seite des Todes als auf der des Lebens stand. Severus hätte geseufzt und Mitleid empfunden, wenn er beide Regungen zugelassen hätte. Stattdessen starrte er ihn nur mit seinem stechenden Blick an und beachtete ihn dann nicht weiter. Seltsam, hätte man vor einem Jahr noch gesagt. Ungewöhnlich, beinah ganz unwahrscheinlich, doch seit letztem Jahr hatte sich viel geändert. Viel mehr als ein Kind von sechzehn Jahren verkraften konnte. Mit einem kaum merklichen Kopfschütteln vertrieb Severus diese Gedanken und konzentrierte sich auf das Ziel, welches er ansteuerte: Das Büro des Direktors. ~ ~ ~ Eine graue Masse war alles, was an Harrys Gesichtsfeld vorbei zog, als er sich hinter seinen Freunden durch den Strudel an Menschen durchschob. Es schien, als sei ganz Hogwarts auf den Beinen und auf dem Weg nach draußen um etwas von den Sonnenstrahlen zu erhaschen. Einmal stach etwas Schwarzes aus dem Grau hinaus. Schwarzer Stoff, sich aufbäumend unter den ausladenden Schritten seines Trägers. Der Junge spürte einen Blick, zwar nur aus den Augenwinkeln, aber trotzdem stechend. Er wusste nicht, warum gerade sein einst so verhasster Lehrer aus dem Grau hinausstach, aber im Grunde war es ihm auch egal. Als sie draußen ankamen, setzten sich seine Freunde ans Ufer des Sees. Ginny planschte mit den Händen im See und spritze Dean nass. Ron beäugte argwöhnisch seine Schwester und deren Freund, worauf er von Hermine einen Rippenstoß empfang. Seamus begrüßte Neville, der nachgekommen war. Doch all dies registrierte Harry nicht einmal wirklich, bemerkte es beiläufig um es gleich wieder zu vergessen. Dann setzte er sich abseits von ihnen unter einen Baum und starrte auf die glatte Oberfläche des Sees. Hin und wieder stiegen ein paar Luftblasen auf, dann streckte sich die Spitze eines Tentakels über das Wasser um kurz darauf wieder unterzutauchen. Aber all dies sah Harry nicht. Er sah nur Grau vor sich. Grau, aus dem ab und zu zwei rote, glühende Augen hinausstachen. Abwesend ließ er sich nach hinten sinken, bis sein Rücken auf den Stamm des Baumes traf. Ausdrucks- und gedankenlos starrte er vor sich hin, darauf wartend, dass ein weiterer sinnloser Tag vorüber ging und der nächste anbrechen würde. Die besorgten Blicke seiner Freunde bemerkte er nicht einmal. ~ ~ ~ Es heißt, schwere Zeiten brauchen Ewigkeiten um zu vergehen, während die glücklichen dahinschwinden wie eine Feder im Wind. Doch was ist mit den Zeiten, in denen man glaubt gestorben zu sein, wenn man nur noch körperlich lebendig dahin vegetiert? Empfinden Geister so ihr Dasein, oder haben sie noch Empfindungen, die ihr Zeitempfinden beeinflussen können? Für Harry war es wie gestern, als Sirius durch den Todesvorhang fiel und doch erschien es ihm gleichzeitig eine Ewigkeit entfernt. Er sah nur noch verschwommen, wie sein Pate in dem grazilen Bogen fiel, seine grauen Augen waren nur noch verklärt zu erkennen. Doch das schrille Lachen Bellatrix Lestranges hörte er glasklar und deutlich, als stünde sie neben ihm. Harry wusste nicht mehr genau, was danach alles passiert war. Er wollte es nicht wissen. Hatte alles so kommen lassen wie es kam und sich um nichts gekümmert. Die Sommerferien waren ereignislos gewesen. Die Dursleys hatten sich nach Moodys Drohung nicht mehr getraut ihn als Haussklaven zu missbrauchen, doch er hatte trotzdem viel der Hausarbeit übernommen um sich irgendwie zu beschäftigen. Die restliche Zeit lag er in seinem Zimmer und starrte an die Decke, nichts um sich herum wahrnehmend. Seinen Geburtstag hatte er nicht einmal für sich selbst gefeiert. Die Geschenke, die ihm seine Freunde geschickt hatten, hatte er zwei Wochen später aufgemacht und sie dann gleich wieder weggelegt. Er hatte keinen von ihnen geschrieben, obwohl sie ihn mit Briefen überhäuft hatten. Am Ende der Ferien waren sie erschrocken, als sie ihn auf dem Bahnsteig gesehen hatten. Abgemagert, schwach, die grünen Augen nur noch trübe und meistens auf den Boden starrend. Er sprach kaum noch, nur wenn er etwas gefragt wurde und wenn dann meist nur einsilbig. Von Voldemorts Aktivitäten hatte er über die Ferien nichts mitbekommen, doch es war auch nichts geschehen. Keine Morde, keine Folter, nichts. Als ob er gar nicht da wäre. Doch der Schein täuschte und jedes Zaubererhaus war so gut es ging gerüstet gegen einen plötzlichen Angriff des Dunklen Lords und seiner Armee. Harry hätte dies alles nur belächelt, wenn er noch dazu in der Lage gewesen wäre. Es war so lächerlich, wie sie versuchten sich zu schützen. Aber sollten sie in ihrem Irrglauben leben. Es reichte, wenn er und der Orden wusste, dass Voldemort die Kraft hatte ganz London auszulöschen, wenn er wollte. Auch im Orden war nicht viel geschehen. Alles ging seinen gewohnten Lauf. Snape spionierte nach wie vor, noch immer unbemerkt vom Dunklen Lord. Sie hatten ein paar mehr Anhänger bekommen und konnten nun wieder freier agieren angesichts der Tatsache, dass sie sich nicht mehr vor Fudge verstecken mussten. Es war, als wäre nichts geschehen. Und jeder tat sein möglichstes um diesen Schein aufrecht zu erhalten. Harry hatte sie am Anfang noch dafür gehasst. Hatte nicht verstehen können, wie sie tun konnten, als hätte es Sirius nie gegeben. Doch mit der Zeit war sein Hass abgeklungen, wie all die anderen Gefühle auch. Sollten sie es doch, es war ihm egal. Das einzige Anzeichen dafür, dass Voldemort seine Anhänger um sich scharte war, dass Slytherin einen drastischen Rückgang an Schülern erfahren hatte. Die Anzahl der Slytherinschüler war um die Hälfte geschrumpft, als die Death Eater ihre Kinder von der Schule genommen hatten. Aus Harrys Jahrgang war keiner mehr da. Parkinson, Crabbe, Goyle, Zabini - alle waren weg und wurden nun wahrscheinlich irgendwo in den Höhlen des Dunklen Lords unterrichtet - oder waren bereits tot. Nur einer war aus ihrem Jahrgang Slytherin erhalten geblieben. Einer, von dem man es am wenigsten erwartet hatte: Draco Malfoy. Harry hatte nicht genau zugehört, als Dumbledore ihnen verkündet hatte, dass Draco nun ein Mitglied des Ordens war. Es hatte viel Geschrei und große Aufregung gegeben, das wusste Harry noch, mehr aber auch nicht. Er hatte nur dabei gesessen und es schweigend hingenommen. Was änderte es schon, wenn Malfoy nun einer von ihnen war? Nichts, denn auch er konnte Tote nicht zurückholen. Und so war die Zeit dahingezogen, ohne dass Harry viel davon mitbekommen hatte. Die Unterichtsstunden gingen vorbei, die Ferien mit ihnen. Weihnachten war freudlos an ihm vorbeigezogen und er war glücklich gewesen, dass sowohl Hermine als auch Ron über die Feiertage nach Hause gegangen waren. So hatte er wenigstens seine Ruhe gehabt. Nicht einmal Quidditch konnte ihn mit Freude erfüllen und er war bereits vor Saisonbeginn aus der Mannschaft ausgetreten. McGonagall und der Rest des Hauses hatten ihn bekniet, doch er hatte sie einfach ignoriert. Er wusste nicht, wen man als Ersatz für ihn genommen hatte. Genauso wenig, wer für Angelina und die Zwillinge gekommen war. Er hatte sich keines der Spiele angeschaut. Und nun war die Zeit gekommen, in der alle Sorgen vergessen wurden, in der das Leben erneut zu blühen begann und die Liebe in der Luft schwerer wiegte als der Sauerstoff. Doch Harry empfand nichts für all das und wartete. ~ ~ ~ Immer noch knurrend trat Severus wieder aus dem Büro des Direktors hinaus. Neben seinem Bericht über Voldemorts Aktivitäten - der nicht besonders lang gewesen war, da der Dunkle Lord seine Machtergreifung wohl nicht sonderlich eilig hatte - hatte er Dumbledore noch daraufhingewiesen, dass die Schüler die Situation zu leicht nahmen. Aber diesen Kommentar hätte er sich auch sparen können, hatte der alte Zauberer doch nur gemeint, dass es manchmal nötig war zu vergessen. Severus knurrte wieder - eine Eigenschaft, die er sich anstelle des Seufzen angewöhnt hatte. Seufzen galt in Death Eater Reihen und vor allem in den Augen des Dunklen Lords als eine schwächliche Geste. Also hatte er sie sich abgewöhnt und dafür das Knurren angenommen. Noch schlechter gelaunt als sowieso schon, trat er den Rückweg zu seinen Kerkern an, von denen er sich erhoffte wenigstens dort ein wenig der Tristheit und Traurigkeit zu finden, die er vom Rest des Schlosses erwartete. Natürlich war es niemandem zuzumuten immer nur traurig, depressiv und schlecht gelaunt zu sein, natürlich wusste er, dass man sich auch freuen sollte, dass man das Leben genießen sollte, solange es noch möglich war - doch wenn man schon so lange mehr auf der Seite des Todes stand als auf der der Lebenden, dann fiel es schwer die unbeschwerte Lebhaftigkeit anderer zu akzeptieren. Severus knurrte wieder. Das war der Grund für seine Kälte, für seine Gemeinheiten. Er war ganz einfach neidisch. Neidisch auf diese Kinder, die ihr Leben so einfach genießen konnten, während er seines Tag für Tag auf's Spiel setzte. Auf seinem Weg nach unten kam er an einem Fenster vorbei, das auf den See ausgerichtet war. Dank ihrer Haarfarbe konnte er die Weasleykinder selbst von seinem Standpunkt aus erkennen. Und auch Potter, der abseits unter einem Baum saß. Severus knurrte wieder. Seit Blacks Tod war der Junge so viel anders geworden. So ruhig, abwesend, beinah kalt. Severus knurrte stärker, als ihm bewusst wurde, dass der Junge ihm immer ähnlicher wurde. Ein Schütteln durchlief den hageren Körper. Alles, aber bloß keine Ähnlichkeit mit einem Potter! Als er in den Kerkern angekommen war, schlug er augenblicklich die Richtung zu seinem Ziel ein - was nun jedoch nicht mehr sein Büro war. ~ ~ ~ "Tritt näher!" Endlose Dunkelheit, gespickt mit grünlichen Flammen, die in ihrem flackernden Spiel unheimliche Schatten an die Wand warfen. Figuren, die alles zu verschlingen drohten und in Mitten von ihnen rote Augen, die alles andere verschluckten. "Nein!" Ein Hagel von Flüchen, von Körpern, Explosionen und Licht - und dann wieder Dunkelheit. Draco schreckte auf. Keuchend saß er in seinem Bett, bis er realisierte, wo er war. Knurrend rieb er sich über das Gesicht und schwang die Beine über die Kante. Immer diese Träume... Musste das denn wirklich sein? Sie waren so erschreckend real... Einmal tief durchatmend, fuhr er sich durch seine blonden Haare und verweilte dann eine Zeit lang mit in den Händen gestütztem Kopf. Nach dem Nachmittagsunterricht hatte er sich in seinen Schlafsaal zurückgezogen. Er wollte nicht zu all den Idioten, die sich so unbeschwert auf der Wiese räkelten. Hatte denn keiner von denen eine Ahnung was überhaupt los war? Wusste denn keiner von ihnen, welche Bedrohung von Seiten des Dunklen Lords ausging?! Draco knurrte wieder. Wahrscheinlich nicht. Es waren doch sowieso nur alles Narren, die sich über nichts den Kopf zerbrachen und es wahrscheinlich erst merken würden, dass sie in Gefahr waren, wenn die Death Eater sie bereits folterten. Weiter knurrend stand er auf, drehte sich um und- "Wahh!!" Einen Schritt zurück machend, stolperte er über ein Buch, das auf dem Boden lag, und fiel äußerst unsanft auf seinen Hintern. "Mist..." Severus zog eine Augenbraue hoch. Dann meinte er in spöttischem Ton: "Du könntest auch einfach 'Hallo' sagen." Draco funkelte ihn aus seinen grauen Augen an. Seine dummen Bemerkungen konnte er sich sparen. Er rappelte sich hoch und sagte dabei: "Du hast mich erschreckt. Ich bin es nicht mehr gewohnt, dass hier jemand reinkommt." Tatsächlich wohnte er seit Schuljahresbeginn alleine im Schlafsaal. Alle anderen hatten sich dem Dunklen Lord angeschlossen. "Hab' ich dir nicht beigebracht, dass du immer mit allem rechnen sollst?" Draco verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als Severus näher in den Raum hineintrat und sich auf eines der Betten setzte. "Warum dekorierst du nicht um? Du könntest die restlichen Betten rausschmeißen, dann hättest du mehr Platz..." "Und wofür?", murrte der Junge gelangweilt. "Zum Beispiel zum Hausaufgaben machen!?" Wieder verzog der Blonde das Gesicht zu einer Grimasse, erwiderte jedoch nichts. Er wusste, dass es sinnlos war mit dem anderen ein Gespräch zu führen. Mit einem Snape ließ man sich auf keine Diskussion ein, die fanden immer noch irgendwo ein Argument. "Ich halte nichts von Hausaufgaben machen...", sagte er dann doch. "Das merke ich." Ein vorwurfsvoller Blick aus schwarzen Augen, ein empörter aus Grauen. "In Zaubertränke mach' ich meine Hausaufgaben immer." "Aber auch nur, weil du Angst hast, dass ich dich in eine Kröte verwandle." Draco zuckte mit den Schultern und blickte zur Seite. Wie gesagt, die hatten immer das letzte Wort. Eine Weile verging in Schweigen. Der Junge starrte auf den Boden, während der andere ihn mit seinem stechenden Blick anstarrte. Irgendwann hielt es Draco nicht mehr aus und er murmelte: "Starr mich nicht so an..." "Die anderen Lehrer beschweren sich bei mir." "Was soll ich denn Hausaufgaben machen, es bringt doch sowieso nichts..." "Draco!" Durch die ungewohnte Schärfe in der Stimme des Mannes zuckte der Blonde zusammen und erwartete einen Schlag. Dann wurde ihm bewusst, dass das dort Severus und nicht sein Vater war und er entspannte sich wieder. Der Schwarzhaarige sah ihn wieder mit diesem Blick an. Diesen Blick, den Draco so hasste. Nicht wirklich böse und nicht wirklich mitleidsvoll, aber irgendwie doch eine Mischung aus beidem, die ihn irgendwie immer gefügig machen ließ. Draco nannte ihn den Imperius-Blick. "Is' ja gut... ich streng mich mehr an in nächster Zeit." Severus gab einen abschätzigen Laut von sich. Dann stand er ganz unvermittelt auf, packte den Jungen am Arm und zerrte ihn hinaus. Draco - völlig überrumpelt unfähig sich zu wehren - stolperte hinterher. "Wo gehen wir hin?" "Ich hab' einen Auftrag für dich." "Einen Auftrag?" "Ja, einen Auftrag. Hörst du schlecht?" Kurz schaute er beleidigt, bevor er schließlich doch meinte. "Ich will den Auftrag nicht machen..." "Du weißt doch noch gar nicht, was du machen sollst." "Aber du hast wieder diesen Sadistenblick. Ich mag den Sadistenblick nicht. Immer wenn du den Sadistenblick drauf hast, dann muss irgendetwas schreckliches machen." Severus drehte während dem Gehen den Kopf und sah die paar Zentimeter hinab, die der Junge nun noch kleiner war als er, und brachte ihn mit seinem Blick zum Schweigen. Draco knurrte wieder. Er mochte den Sadistenblick trotzdem nicht... ~ ~ ~ Die Tage zogen wieder dahin. Harry vermochte nicht zu sagen, wie viele vergangen waren, seitdem der Frühling angebrochen war. Es konnten ein paar gewesen sein, genauso gut Hunderte. Oder nur einer. Tatsächlich waren es zwei gewesen und noch immer erfreute sich ganz Hogwarts des unbeschwerten Frühlings. Einige der Lehrer hatten sich dazu erbarmt auf der Wiese Unterricht zu halten, andere ließen sie früher gehen - nur Snape bestand nach wie vor auf die volle Länge seines Unterrichts in der Dunkelheit seines Kerkers. Eine Konstante, die wohl selbst in den finstersten Unruhen des Krieges bestehen bleiben würde. Die Glocke beendete die letzte Stunde - Zaubertränke - und die Gryffindorschüler stürmten hinaus. Harry selbst ließ sich Zeit. Snape sprach nicht mehr sehr viel mit ihm seit dem Ereignis mit dem Denkarium. Nur das nötigste, was sich im ganzen Schuljahr auf vielleicht zwei, drei Sätze belaufen hatte. Er musste nicht befürchten, dass Snape ihn wegen Trödelei bestrafen würde. Auch Draco beeilte sich nicht, aber er hatte zu dem Tränkemeister sowieso eine andere Beziehung als die anderen Schüler. Trotzdem sah er aus, als würde er lieber schneller machen. Stattdessen packte er seine Sachen in einer solch minimalen Geschwindigkeit ein, dass es schien, als sei er mit einem Langsamkeitsfluch belegt worden. Dann war Harry fertig und trottete zur Tür hinaus. Er sah nicht, wie sowohl Snape als auch Draco ihm hinterher blickten, geschweige denn Snapes auffordernden Blick mit dem Nicken in Richtung Harry und auch nicht Dracos widerstrebendes Augenverdrehen. Seine Füße führten ihn durch die langen Gänge des Kerkers, dann die Treppe hinauf in die Eingangshalle. Die anderen Schüler strömten entweder nach draußen oder in die Bibliothek. Harry selbst ging die Marmortreppe hinauf und steuerte auf den Nordturm zu. Er ging nicht schnell, aber auch nicht langsam. Gemächlich, sich seiner Umwelt vollkommen unklar. Ab und zu nahm er ein paar Geheimgänge, damit ihm keiner folgte. Er wollte allein sein. Allein sein war gut. Selbst wenn es ihm wieder Gedanken und Erinnerungen brachte, die er nicht haben wollte. Er wollte lieber alleine sein und nicht mit diesen Menschen zusammen, die ihn nicht verstanden und ihn nicht in Ruhe ließen. Der Wind war kalt auf den Zinnen. Dort oben war er immer kalt, selbst an den heißesten Tagen des Sommers. Nur sein Rauschen war zu hören, nicht die grausame Kakophonie der lärmenden Kinder. Und manchmal erschien es ihm, dass der Wind selbst seine Gedanken mit forttragen konnte. Wenn Harry dort oben war, dann stellte er sich immer auf die Zinnen, er blieb nie auf dem normalen Steinboden, der ihm sicheren Halt versprach. Nein, nur auf den Zinnen fühlte er sich wohl. Harry wusste nicht genau warum. Er brauchte diesen Blick nach unten, diese Möglichkeit einen Schritt zu machen und frei sein zu können. Auch wenn er es nicht tat, er wollte wenigstens die Möglichkeit haben. Vielleicht hoffte er unterbewusst auch einmal einen schwachen Moment zu haben. Einen dieser Momente, wenn er sich fragte, warum er das alles machen musste, warum er in diese Rolle hineingeboren wurde. Er hatte nie darum gefragt, nie darum gebeten, er wollte kein Held sein, der alle retten sollte, er wollte kein Erlöser sein, kein Messias, der dieser Welt den Frieden brachte. Manchmal hatte er diese Momente und in diesen Momenten würde er nicht davor zurückschrecken den einen Schritt zu machen. Bisher waren sie ihm dort oben niemals widerfahren, doch an diesem Tag war etwas anders, das spürte Harry. Und er wusste auch was: an diesem Tag würde ein ebensolcher Moment kommen, wenn er dort oben auf den Zinnen stand. Er musste nur warten. ~ ~ ~ Draco schob sich mit angewidertem Gesicht durch die lärmenden Schüler. Dass die auch nicht einmal ruhig sein konnten. Was war an diesem Frühling schon so besonders? Er knurrte. Er hatte den Frühling schon immer gehasst, bereits seit frühster Kindheit. Das Leben blühte auf und Liebe lag in der Luft... Er könnte sich allein bei diesem Satz übergeben. Er hielt nichts von Liebe. Er hatte nie welche erfahren. Er war einzig und allein geboren worden um der Erbe seines Vaters zu sein - und jetzt war er nicht einmal mehr das. Ein leicht diabolisches Grinsen huschte über sein Gesicht. Wahrscheinlich betrauerte sein Vater gerade das Sperma, das er an seinen nichtsnutzigen Sohn verschwendet hatte. Oder vielleicht den Akt? Er hatte immer den Eindruck gehabt, dass sein Vater einen Hauch von einem Eunuch hatte. Auf seinem Weg nach oben suchte er immer wieder die Zipfel der schwarzen Robe. Einige Male verlor er sie aus den Augen, fand sie dann aber wieder. Doch als er schließlich um eine Biegung trat, war nichts mehr zu sehen. Der Korridor war lang, der andere konnte nicht an dessen Ende angelangt sein, also blieb nur die Möglichkeit eines Geheimganges. Draco knurrte wieder. Hier kannte er keine Geheimgänge, aber er dachte sich schon, wohin der andere unterwegs war und machte sich auf den Weg zum Nordturm. ~ ~ ~ Der Adler stieß einen schrillen Schrei aus, während er mit seinen mächtigen Flügeln durch die Luft flog. Der Wind glitt über die braunen Federn, strömte über sie und verlieh dem König der Lüfte einen Aufwind, der ihn weit aufwärts in den Himmel trieb. Er malte einen flirrenden Schatten auf den Boden unter sich, so schnell auftauchend und wieder verschwindend, dass die meisten ihn gar nicht wahrnahmen. Dann ließ der Aufwind nach, doch mit einem kräftigen Schlag seiner großen Flügel stieg er wieder auf. Der Kadaver des toten Kaninchens wog schwer und ließ seinen Flug ab und an ein wenig straucheln, doch nur das geübte Auge sah seine Probleme. Alle anderen sahen nur den gleichmäßigen Flug des Greifvogels. Sein Flug führte ihn vorbei am Nordturm, dort wo der Junge noch immer stand, doch der Adler beachtete ihn nicht. Unbeirrt setzte er seinen Weg fort, hin zur Mitte des Verbotenen Waldes, dort wo sich das Nest mit seinen hungernden Kindern befand und die er schon von weiter Ferne nach Nahrung verlangen hörte. Harry hörte das Rauschen der mächtigen Flügel, als der Adler über ihm vorbeiglitt, doch er achtete genauso wenig darauf, wie der Vogel auf ihn. Die grünen Augen waren stetig nach unten gerichtet, ausdruckslos, verklärt. Langsam bildeten sich die Gedanken in seinem Kopf, langsamer als sonst, als ob sie ihm einen Ausweg zur Flucht lassen wollten. Doch Harry würde nicht fliehen. Nicht vor dem, worauf er so lang gewartet hatte. Ein Klacken auf dem Stein hinter ihm ließ ihn herumfahren. Noch nie hatte ihn jemand auf dem Nordturm gefunden. Hier ging nie jemand hin außer ihm. Warum dann heute... ausgerechnet jetzt... Während Harrys Augen vor einem Jahr noch vor Abscheu gelodert hätten, bei dem Anblick den sie fanden, verblieben sie nun genauso ausdruckslos, wie bei allen anderen Personen auch. Nicht einmal mehr Malfoy - der Junge, den er von Beginn an gehasst hatte - konnte nun noch Gefühle in ihm wecken. Eine ganze Weile verging in Schweigen. Harry hatte den Kopf wieder gewandt und starrte erneut hinab. Malfoy sagte nichts, aber er konnte dessen Blick in seinem Rücken spüren. Dann war es ihm, als hörte er ein leises Knurren und kurz darauf trat der Blonde ein paar Schritte näher. "Schrecklich dieses ganze Frühlingsgetue, oder?" Harry antwortete nicht, hob aber den Blick und starrte nun auf den Horizont anstatt auf den Boden. Er spürte, wie der Moment verblasste. Wie die Gedanken wieder verschwanden. "Hier oben hat man wenigstens Ruhe davor... allerdings nehme ich nicht an, dass du diesen Platz hier teilen willst, oder?" Der Schwarzhaarige starrte den anderen an, erneut ausdruckslos. Draco stand nun in der Mitte zwischen Tür und Zinnen, die Augenbrauen fragend gehoben - und obwohl Harry nicht mehr viel um sich herum wahrnahm, bemerkte er trotz allem, dass zum ersten Mal seit er Malfoy getroffen hatte, nicht dieser arrogante, menschenverachtende Blick in seinen Augen lag. "Nya, kann man ja verstehen. Ich würde auch nicht teilen, aber ich bin ja sowieso eine verzogene Göre." Er zuckte kurz mit den Schultern, während er sich ein wenig umsah. "Allerdings... wenn du die ganze Zeit da oben auf den Zinnen stehst, könntest du mir ja ein Stück vom Boden abgeben..." Erwartend sahen die grauen Augen Harry an, warteten auf eine Antwort, auf irgendeine Reaktion, doch sie blieb aus. Der Schwarzhaarige starrte ihn einfach weiter an. Dann knurrte Draco wieder und mit seinem abschätzigen Ton, den Harry von ihm gewohnt war, meinte er genervt: "Mann, Potter! Kannst du nicht wenigstens irgendwas sagen?! Oder einen Laut von dir geben?! Knurr wenigstens mal, damit ich sehe, dass du mich hörst! Ich hab das Gefühl, ich spreche mit einem Stein!!" Kurz schwiegen sie wieder, bis der Blonde fortfuhr: "Aber von deinem IQ her entsprichst du ja auch einem Stein..." Mit zusammengekniffen Augen musterte er den Jungen auf den Zinnen. Doch es kam noch immer keine Reaktion. Vollends genervt schrie er auf. "Wah!! Das macht ja überhaupt keinen Spaß, wenn du nicht beleidigt wirst!!" Wutschnaubend drehte er sich um und ging Richtung Tür. Harry wandte seinen Kopf wieder und starrte erneut nach unten. Diese Strategie hatte er schon oft angewendet. Die Leute einfach nur ausdruckslos anzustarren, egal was sie sagten. Früher oder später ließen sie von einem ab. Das hatten alle bisher getan. Selbst bei Dumbledore hatte er das geschafft. Dann hörte Harry das Knallen, doch etwas stimmte nicht. Die Schritte, die im Folgenden zuhören waren, waren nicht auf der Treppe hinter der Tür, sondern immer noch auf der Plattform des Turms. "So, ich bleibe jetzt hier und beleidige dich, bis du etwas erwiderst oder springst. Glaub mir, ich gehe nicht weg!" Überrascht hob Harry den Kopf. ~ ~ ~ Wenn ein Malfoy sauer war, dann musste er entweder etwas kaputt oder Krach machen. Da es auf dem Nordturm keine Vasen, Teller oder sonstige zerbrechliche Dinge gab, blieb ihm also nur die Möglichkeit die Tür mit voller Kraft zuzuschlagen. Potter konnte er ja schlecht kaputt machen, in dem er ihn hinabstieß. Danach ging er zurück zu seiner Ausgangsposition in der Mitte der Plattform und drohte dem anderen Jungen, denn wenn ein Malfoy etwas wollte, dann bekam er es auch! Eine Weile schwieg er noch um sich ein paar Beleidigungen zu überlegen. Er beschloss klein anzufangen. "Weißt du, dass Weasley mit seiner Eifersucht auf Thomas ganz schön übertreibt?! Man könnte glatt meinen er wollte selbst was von seiner Schwester... stell dir das mal vor... Inzucht!! ... könnte ich mir bei denen aber durchaus vorstellen." Keine Reaktion. Draco knurrte. "Granger sieht mittlerweile aus, als würde sie Läuse züchten in ihren Haaren. Immer wenn ich an ihr vorbei gehe, sieht es aus, als würde da etwas rumwimmeln." Keine Reaktion. Draco knurrte. "Mich wundert's ja immer wieder, dass Thomas mit dem Weasleymädchen zusammen ist. Ich mein, das Mädel unterscheidet sich äußerlich nicht sehr viel von ihren Brüdern..." Keine Reaktion. Draco knurrte. "Aber vielleicht reizt Thomas ja gerade das, der Kerl scheint ja eher auf's gleiche Geschlecht zu stehen, so wie der sich an Finnigan ranmacht." Keine Reaktion. Draco knurrte. Gut, dann halt die nächst höhere Ebene. "Was macht eigentlich dein Werwolffreund? Wurde er schon als Gefahr für die Menschheit eingestuft?! Wenn ja, ganz schön lächerlich, der bekommt ja nicht mal einen einfachen Lumos-Zauber zustande!" Keine Reaktion. Draco knurrte. "Und was ist mit dem Riesenvieh? Sollte man den nicht auch verhaften?! Ich mein, allein wie der rumläuft: eine Fall für die Gesundheitsbehörde... Granger hat ihre Läuse bestimmt von seinem Bart." Keine Reaktion. Draco knurrte. "Und Dumbledore wird ja langsam ganz schön senil. Alter Knacker, letztens stand er vor dem Eingang zu seinem Büro und hat das Passwort vergessen. Er musste einen der Lehrer fragen, damit er wieder reinkam." Keine Reaktion. Draco knurrte. ... gut, wenn Potter es so wollte, dann würde er halt den höchsten Grad an Malfoy-Gemeinheit auspacken! "Warum hat dein Vater eigentlich deine Mutter geheiratet?! Was ich von ihr gesehen hab, war sie potthässlich. Und da kann mir keiner erzählen, dass die inneren Werte gezählt haben..." Keine Reaktion. Draco knurrte. "Aber dein Vater war ja noch dümmer als ein Stein, nicht wahr? Und blind wahrscheinlich auch, sonst hätte er den größten Fehler seines Lebens nicht begangen." Keine Reaktion. Draco gingen langsam die Personen aus. "Er hat's bestimmt sowieso bereut, genauso wie deine Mutter. Ich mein, wenn sie nicht geheiratet hätten und du nicht gekommen wärst, dann würden sie heute noch leben..." ... ein Fingerzucken?! ... Nein, Täuschung, also: Keine Reaktion. Draco knurrte. In Gedanken zählte er die Personen ab. Freunde hatte er beleidigt, Lehrer hatte er beleidigt. Verdammt, er hatte sogar seine Eltern und ihn beleidigt und es brachte trotzdem nichts!! Was war das für ein Kerl, verdammt?!! Der Blonde atmete einmal tief durch und überlegte weiter. Mit irgendjemandem musste er ihn doch aus der Reserve locken können. ~ ~ ~ Harry beobachte, wie der Wind am Horizont mit den Baumkronen des Verbotenen Waldes spielte. Er hörte Malfoys Beleidigungen laut und deutlich, aber er ließ sie nicht eindringen. Er würde nicht darauf reagieren, egal, was Malfoy sagen würde, es würde nichts bringen. Aber er hatte etwas in ihm verändert und Harry wusste weder warum noch wodurch, aber er konnte, nein, er wollte nicht mehr nach unten sehen. Er wollte nicht dort hinabblicken, wohin der eine Schritt ihn führen würde und je länger er darüber nachdachte, desto abstruser kam ihm der eine Schritt vor. Warum sollte er ihn gehen, warum sollte er das machen, wo er doch noch so jung war? Harry blinzelte überrascht. Seit wann hatte er wieder diese Gedanken? Seit wann machte er sich wieder Gedanken darüber, dass er zu jung zum Sterben war? Ja, er hatte diese Gedanken früher schon gehabt, vor einem Jahr um genau zu sein, doch dann war passiert, was passiert war und sie hatten jenen selbstmörderischen Gedanken Platz gemacht. ... selbstmörderisch... dieses Wort hatte Harry nie benutzt. Es war ihm nicht mal in den Sinn gekommen, wenn er über den einen Schritt nachgedacht hatte. Aber eigentlich war es doch nichts anderes. Der eine Schritt wäre Selbstmord. Genau das und nichts anderes. Aller beschönigenden Worte zum Trotz. Etwas in Harry regte sich. Empfindungen? Konnte das wirklich sein? War das wirklich noch möglich? Aber warum jetzt? Warum hier? Warum ausgerechnet durch... ihn? "Hast ja auch 'nen tollen Paten, Potter. Lässt sich einfach so umbringen. Kann ich aber verstehen. Ich würd auch nix anderes machen, wenn ich die Wahl zwischen Tod und einem Leben mit dir hätte!" Und dann war es wieder da: Das Funkeln in den grünen Augen, das sie wie zwei Smaragde im Sonnenschein erschienen ließ! Malfoy legte ein diabolisches Grinsen auf, als er sein Werk betrachtete. "Na bitte, geht doch!" ~ ~ ~ Er hätte auch gleich auf Black kommen können, immerhin war Black der Grund für alles. Zufrieden betrachtete er das Ergebnis seiner Worte. Potter starrte ihn an. Okay, angestarrt hatte er ihn vorher auch schon, aber da war es ausdruckslos gewesen, leer und verklärt. Jetzt waren seine Augen klar, Merlin, sie funkelten sogar wieder! Und wenn man genau hinsah, konnte man vielleicht ein wenig des alten Hasses, der sie seit Jahren miteinander verband, erkennen. Doch dann atmete Potter einmal tief durch und wandte den Kopf wieder um. Draco starrte ihn einen Augenblick ungläubig an, dann bekam er einen Schreikrampf. Nach einer Weile beruhigte er sich wieder. Das durfte doch echt nicht war sein! Der Kerl machte ihn wahnsinnig! Verdammt, wenn man seinen Paten beleidigte, dann flippte Draco aus, warum tat Potter das nicht auch?!! Ein paar Mal tief durchatmend zwang der Blonde sich zur Ruhe. Gut, er hatte es mit Smalltalk probiert, er hatte es mit Beleidigungen probiert. Was blieb da noch übrig? Draco knurrte als ihm die letzte verbliebende Möglichkeit klar wurde. ~ ~ ~ "Ich kann verstehen, dass es einen kaputt macht, wenn alles verschwindet, was man lieb gewonnen hat." Der Satz war nur leise gesprochen worden und hätte eigentlich untergehen müssen im lauten Rauschen des Windes, doch es war, als hätte letzterer jedes Wort einzeln verstärkt und direkt in Harrys Herz geblasen, so fest, dass sie sich nicht mehr lösen konnten. "Ich kann da nicht wirklich mitreden, ich habe nicht viel, was mir wirklich wichtig ist und es ist auch noch bei mir. Aber ich habe im letzten Sommer all das über Bord geschmissen, woran ich mein Leben lang geglaubt habe. Es ist fast so, als sei etwas gestorben. Nicht um mich herum, eher in mir. Aber... ich kann diesem Teil nicht nachtrauern, ich weiß nicht warum... Ich sollte es, aber ich kann es nicht... Es ist schrecklich, wenn man trauern will, es aber nicht kann." In diesem Augenblick war es, als hätte selbst der Wind sich gelegt. Harry stand fortwährend auf den Zinnen, den Blick auf den Horizont gerichtet, Draco direkt hinter ihm, ihn unverwandt anstarrend. Doch Harry sah nicht die Baumwipfel in der Ferne. Er sah ein Haus, an das er sich kaum erinnern konnte, zwei Personen, die eine mit roten, die andere mit schwarzen Haaren. Er sah das Haus, in dem er aufgewachsen war. Den Schrank, der Jahre lang sein Platz gewesen war. Hogwarts so wie es früher und heute war. Er sah das große alte Herrenhaus, er sah das Weihnachten vor anderthalb Jahren. Das erste Weihnachten, das er voll und ganz genossen hatte. Und er sah den steinernen Raum und den dunklen Vorhang vom letzten Sommer. "Weißt du, wie es ist, wenn alle immer gehen?" Seine Stimme war leise, heiser, hatte er sie die ganzen letzten Monate doch kaum genutzt. "Nein", antwortete Draco wahrheitsgetreu. Und Harry war ihm dankbar. Ja, in diesem Augenblick war er Draco wirklich dankbar. Jeder andere bekräftigte ihn immer in dem Glauben genau zu wissen, wie es sei, wenn man etwas verlor, wenn man andauernd etwas verlor. Aber niemand konnte das wissen, niemand konnte wissen, wie man sich fühlte, wenn jeder starb, der einem wichtig war und man genau wusste, dass man selbst der Grund dafür war. Jeder Tod und jedes Leid waren seine Schuld gewesen. Wäre er nie geboren worden, hätte vielleicht niemand sterben müssen. Doch das Schicksal hatte ihm diese Rolle gegeben und bürdete ihm damit nicht nur sein Leid und das seiner Opfer auf, sondern auch das vom Rest der Menschheit, der nicht so enden wollte, wie die Menschen seiner Umgebung. "Aber ich weiß, dass es bessere Lösungen gibt, als jene, die am nächsten erscheinen." Harry wusste ohne zu fragen, dass Draco Selbstmord meinte. Und Harry wusste das natürlich auch. Aber es war so verlockend im Gegensatz zu dem harten, beschwerlichen Weg, der ihm bevor stand, wenn er wieder zurück ins Leben wollte. "Ich schaffe das nicht alleine." "Niemand kann alleine alles schaffen." Schweigen für eine Weile, in dem nur der Wind sein sanftes Rauschen verlauten ließ. "Ich wollte es wirklich..." Draco antwortete nicht. Stattdessen stellte er jene Frage, die über alles entscheiden würde: "Wenn ich jetzt gehen würde... was würdest du dann tun?" Der Wind rauschte wieder um die beiden Jungen, umspielte sie mit seinem milden Atem. Wieder Stille zwischen ihnen. Harry nahm die Worte des anderen in sich auf. Dann sah er hinab, so wie er es all die Tage zuvor getan hatte - und ihm wurde schwindelig. Ein wenig schneller atmend blickte er wieder auf den Horizont. Mit einem tiefen Atemzug drehte er sich um. Er wusste, was er sehen würde: Etwas Altes und doch gänzlich Neues. Und dort stand er, der Junge seines Alters, hochgewachsen, schlank, platinblondes Haar, das ihm in Strähnen ins Gesicht geblasen wurde. Fast wie früher und doch hatte das Haar ein wenig an der Glätte verloren, stand nun etwas vom Kopf ab und lag nicht mehr dicht an. Seine Augen blickten nach wie vor sturmgrau zu ihm auf, doch waren sie anders. Nicht mehr hasserfüllt, nicht mehr niederträchtig. Sie wirkten ausdruckslos, aber Harry glaubte, einen Hauch von Traurigkeit in ihnen zu entdecken. Schließlich wandte er den Blick wieder nach vorne. Kurz sah er nach unten, darauf nach vorne. Dann schloss er die Augen und seufzte schwer. "Du gehst nicht... das hast du gesagt." Dann tat er einen Schritt - zurück, mit ausgestrecktem Arm. Draco ergriff ihn und half ihm auf die steinerne Plattform des Nordturms. Und von diesem Augenblick an waren sie verbunden. ... Dann mußt du's ändern (Peter Maffays "Tabaluga und Lily" - Eis im September) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)