Angelic Tears von Streety-Haru ================================================================================ Cr-ICE in the D'ARC ------------------- Kapitel 2: Cr-ICE in the D'ARC Der heiße Schmerz umhüllte sie plötzlich wie eine Wolldecke. Vici blickte in die Hand des Wesens, das die Fee sanft an seine Brust gedrückt hielt. Das Wesen war ein Dämon. Ein Dämon in Eden! Doch gleichzeitig mit dieser Erkenntnis überkam Vici eine weitere und aus schwarz wurde weiß. Die aschfahle Haut des Dämons war plötzlich nicht mehr als vornehme Blässe. Der Dämon war eine Dämonin und sie wärmte die verletzte Liberia-Fee an ihrer Brust. Die Wunde der Fee war bereits verkrustet und das grüne Blut in der Dämonenhand, das noch flüssig war, verriet Vici, dass die Dämonin die Fee wohl gerade erst geheilt haben musste. Die Liberia-Fee hatte einen zufriedenen Gesichtsausdruck und strahlend verkündete sie Vici: "Sie ist, was du denkst, aber nicht, wie du denkst." Ein Satz, den Vici irgendwie erst verdauen musste. Das Äußere ihres Gegenübers wurde schlagartig von jeglichen Vorurteilen frei. Wie sie vorhin so komisch am Boden gehockt hatte, hatte sie wirklich verkrüppelt ausgesehen, aber nun... Diese sanften rehbraunen Augen, das kindliche Gesicht, der zierliche und kleine Körper - die Haut in einem Braunton, der an kuschelige Haustiere erinnerte - wie konnte sie diese haut nur für aschfahl und dann blass halten?! Stimmte denn keine von Vicis Vorstellungen, wie Dämonen aussahen? War sie so von Vorurteilen geblendet? Oder war ihr Gegenüber etwas völlig anderes? Nie dagewesenes? Ein Chamälion? "Ich habe Urlaub und kriege den Schreck meines Lebens," dachte Vici und diesmal mischten sich ihre Stimmbänder nicht ein. Es hatte ihr ohnehin die Sprache verschlagen. Ihr fiel nur noch eins ein: Denken kann man, was man will, denn das denken ist ja still. Ohne Überraschung über Vicis abweisende Reaktion, über ihren geschockten Blick, ihre abgeschreckte Haltung, wandte sich die Dämonin mit einem warmherzigen Lächeln von Vici ab. Vicis Kehle schnürte sich zu. "Nein, nein!", dachte sie. "Ich will das nicht sagen. Nein!" Doch ihre Lippen öffneten sich schon, schimmerndes Rosa stieß sich von schimmerndem Rosa ab, ihre Zunge stieß gegen ihren Gaumen, in ihrem Kehlkopf bebten die Stimmbänder. "Geh nicht." Täuschte sich Vici, oder klang ihre eigene Stimme gerade wie ein Wehklagen? "Geh nicht" hallte es in ihrem Kopf nach. Die Dämonin blieb stehen, drehte sich aber nicht um. Sie schnalzte mit der Zunge. Es klang verächtlich. "Geflügelte," begann sie und es klang noch verächtlicher, "dich interessiert doch nur eines." Hatte Vici sich in den warmen Augen getäuscht? "Dich interessiert nur, wie es möglich ist, dass wir beide hier sind. Da ich es selbst nicht weiß, kann ich dir auch nicht weiterhelfen." Sie begann einen Fuß vor den anderen zu setzen und bewegte sich schon fast wieder von Vici weg, doch... "Warte," hörte Vici sich selbst sagen. Argh! Es war wie ein Fluch, immer wenn die Dämonin Anstalten machte zu gehen, hatte Vici das Verlangen sie aufzuhalten. "Ich habe Tausende von Fragen an dich, aber im Moment würde es mir reichen, nur noch einmal in deine Augen zu blicken." Ach, du Schreck! Hatte sie das wirklich gerade gesagt? "Das geht nicht," hörte Vici. Und sie wusste nicht, ob ihre Augen plötzlich feucht wurden, weil der Klang dieser Stimme einfach herzerweichend war, oder weil die Feen-Retterin endgültig hinfort ging, oder weil ihr bewusst wurde, dass ihre genehmigte Aufenthaltszeit in diesem Moment ablief und sie schon begann kristallklar zu werden, um sich aufzulösen und vor den schwer bewachten Toren Edens wieder zu materialisieren. Bollzahn war ein stolzer und groß gewachsener Dämon. Trotz seines Namens war er dem Äußeren nach einfach nur fleischgewordene Schönheit und Zier. Seinen Namen hatte er dennoch nicht zu Unrecht, denn ihn brachte so schnell nichts aus der Fassung. Seine Aufgabe war ihm ja schließlich auch nicht ohne Grund zu Teil geworden. Er war einer der einzigen zwei Dämonen, die einen Fuß auf Engelsland setzen durften. Gewisse geographische Verhältnisse und ein Friedensbeweis von Gott an Luzifer und umgekehrt (die Sanktus-Vereinbarung aus dem 57. Jahr nach dem fall Lufzifers) ermöglichten dies. Im Inneren der Erde befand sich eine völlig andere Dimension. Eine mitten im Planeten schwebende Platte, die in zwei halbkreisförmige Länder geteilt war. Himmel und Hölle waren Nachbarn und dazwischen lag Eden. Ein Trennstreifen, eine Grenze, neutrales Gebiet. So hatten Luzifer und Gott es gewollt und da Dämonen und Engel natürliche Scheu voreinander empfanden, hatten die beiden sich zur Friedenssicherung überlegt, den Eingang Edens auf Seiten des Himmelreichs von zwei Dämonen bewachen zu lassen und den gegenüberliegenden Eingang - den Zugang vom Höllenreich nach Eden - von zwei Engeln. Vier Wächter. Sorgfältig ausgewählt. Und Bollzahn war einer von ihnen. Und in eben diesem Moment musste er feststellen, dass seine Zartheit sich nicht ausschließlich auf sein Äußeres beschränkte. Der Anblick der Engelsdame, die sich gerade vor ihm materialisiert hatte, berührte ihn zutiefst. Als sie vor einigen Stunden an seinem Posten mit einem Passierchip vorbeigegangen war, schien sie zu schweben und jetzt? Ihre blasse Haut strahlte nicht mehr sanft - sie war aschfahl. Ihr fast weißblondes Haar hing silbergrau um ihr Gesicht. Ihre blasstürkisen Augen wahren trübgrau. Bollzahn hörte auf ihre Aura anzublicken und sah sie wieder wie durch menschliche Augen - völlig unverändert. Doch als er seinen Seelenblick abgewandt hatte, hatten ihm die gewohnenen Eindrücke trotzdem noch einen Druck auf der Brust und in der Brust verpasst wie noch nie zuvor. "Meine Güte...," entfuhr es ihm entsetzt, "Vici, was ist passiert?" Vici, die Bollzahn gut kannte (sie erhaschte jede Gelegenheit ihren geliebten Rosenpavillon in Eden aufzusuchen), bemerkte ihn gar nicht mehr. Sonst war sie immer zu Scherzen aufgelegt. Jetzt nicht mehr. In ihr tobte ein absolutes Gefühlschaos. Wie in Trance durchschritt ihr Astralkörper die Schichten bis zur Erdoberfläche. Sie brauchte Ablenkung. Arbeit. Sie musste BlueWing ohnehin ablösen. *plock* Eine vor ihrem Gesicht hin und her gewedelte Hand schälte sie langsam aus ihren Gedanken. "Hallo? BlueWing an Urlauberin. Hast du deinen Körper oder irgendwas anderes unwichtiges im Hotel liegen gelassen?" "Sehr witzig," murmelte Vici ihrem Kollegen lediglich entgegen. "Wenn das so ist geh ich mal in den nächsten Supermarkt und kaufe eine Packung Lachgummis." Vici reagierte nicht darauf. BlueWing fuhr sich fast schon frustriert durch seine blauen Stachelhaare, denen er einen Teil seines Namens verdankte. Er wollte gerade vorsichtig seine Stimme zu einem "Hör mal, was hältst du davon, wenn ich noch ne Schicht zusammen mit dir abhocke, du siehst nicht gut aus" anheben, aber er entschloss sich dazu Vici lieber heimlich zu beobachten. Was war nur los mit ihr? So kam doch niemand aus dem Urlaub zurück! Wenn Gott das herausfand, in welcher Verfassung Vici ihren Posten eingenommen hatte, würden Nagellackfläschchen an Wänden zerschellen und Stilettos in hohem Bogen durch Säle geschleudert. Kein Wunder, dass manche Menschen Gott für eine Energie hielten - Gott besaß defenitiv genug Energie um selbst Energie zu sein! Vici kämpfte mit ihren Gedanken. Sie versuchte ihre Befürchtung hinweg zu spülen, aber es ging nicht. Allein ihr Versuch dagegen anzukämpfen bewies, dass es keine Befürchtung mehr war, sondern Wahrheit. Die erste Dämonin, der sie in ihrem Dasein Auge in Auge gegenübergestanden hatte, hatte ihr gesamtes Weltbild und sie selbst vollkommen auf den Kopf gestellt. Zum ersten Mal wollte Vici schreien! Einfach nur schreien... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)