It's melting away from under my feet von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 3: Nächtlicher Besuch ----------------------------- Richard Hornig schlief tief und traumlos. Die Kutschfahrt und der Marsch durch den Regen zum Schloss Fürstenried hatte ihn erschöpft. Doch auf einmal nahm er im Unterbewusstsein ein Geräusch war - es klang wie das Zuschlagen einer Türe. Aber er war viel zu müde, um die Augen zu öffnen und nachzusehen. Im Halbschlaf drehte er sich auf die andere Seite und zog die Decke höher. Er war gerade wieder dabei, einzuschlafen, als er etwas auf seinem Arm zu spüren glaubte. Er glaubte, geträumt zu haben, und bewegte seinen Arm ein Stück zur Seite. Doch erneut spürte er einen leichten Druck auf seiner Hand. Seufzend öffnete er die Augen - und sah jemanden neben sich auf dem Bett sitzen. Erschrocken setzte er sich auf und blinzelte seinen Gegenüber an. Seine Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen, doch dann erkannte er Prinz Otto, der neben ihm auf dem Bett kauerte und ihn lächelnd ansah. Offenbar amüsierte es ihn, wie Hornig ihn mit verschlafenem Blick und zerzausten Haaren überrascht ansah. "Prinz Otto!" murmelte Hornig ungläubig. "Was...was führt Euch denn zu mir?" Doch Otto antwortete nicht, er schien Hornigs Frage gar nicht wahrgenommen zu haben. Seinen Blick hatte er wieder von Hornig abgewandt, er schien ins Leere zu schauen und mit seinen Gedanken abzuschweifen. Langsam schlang Otto die Arme um seinen Oberkörper, er zitterte leicht. Der Prinz machte auf Hornig einen bemitleidenswerten Eindruck, wie er schauernd, nur in ein weißes längeres Hemd gekleidet, vor ihm saß. "Prinz Otto?" fragte Hornig leise und legte ihm vorsichtig die Hand auf die Schulter. Er wusste nicht, was er nun mit dem Prinzen, der offensichtlich mit seinen Gedanken nicht bei ihm war, anfangen sollte. Otto reagierte nicht sofort, doch schließlich drehte er den Kopf zu Hornig und schien ihn anzusehen. "Ludwig!" murmelte Otto unverständlich und kaum hörbar. Hornig sah ihn irritiert an. "Ludwig? Verzeiht mir bitte, aber ich...ich verstehe nicht." Otto griff nach Hornigs Hand, noch immer zitternd. "Will...ssu - zu Ludwig!..." stammelte er. "Bringn Sie...mi-mich zu...m-mei...Bruder!" Richard Hornig sah ihn irritiert an. Er sollte Otto zum König bringen? Aber das war unmöglich! "Das geht nicht, Prinz Otto! Ihr...Ihr müssen hierbleiben!" entgegnete er und hoffte inständig, Otto würde ihn verstehen und das Thema wechseln. Doch der Prinz reagierte nicht so, wie Hornig sich das gewünscht hätte. Er sah ihn wütend an, sprang auf und eilte zum Fenster. Es war im Gegensatz zu den Fenstern seiner eigenen Gemächer nicht vergittert. Dies war Otto gar nicht mehr gewöhnt - irritiert sah er hinaus und strich über die Glasscheibe. Für einen Augenblick vergaß er Ludwig und Hornig und lehnte seine Wange gegen das kalte Glas. Draußen regnete es noch immer, und er lauschte dem Prasseln der Regentropfen, die gegen das Fensterglas schlugen. Dann sagte er leise: "Verm...ve-vermisse Ludwig...er...kommt nie..." Hornig seufzte. Was sollte er denn antworten? Dass Ludwig seinen Bruder kaum besuchte, wusste er - wie sollte er Ludwig vor seinem Bruder rechtfertigen? Seufzend senkte er den Blick. "Er...er hat viel zu tun...Die Regierungsgeschäfte..." Otto schüttelte energisch den Kopf, als wüsste er genau, dass dies nur eine Ausrede war. "Aber ich kann Euch nicht zu Eurem König bringen, ich darf Euch gar nicht hier herausbringen!" meinte Hornig. Auf diese Worte hin ließ sich Otto an der Wand entlang zu Boden sinken und starrte auf den Boden. Seine Finger strichen langsam reflexartig die Wand entlang, während er zusammengekauert dasaß und immer wieder leise den Namen seines Bruders stammelte. Hornig betrachtete ihn betrübt, der Prinz tat ihm leid. Aber er konnte ihm seinen Wunsch nicht erfüllen! Plötzlich sprang Otto auf und ließ sich neben Hornig, der noch immer auf dem Bett saß, auf die Matratze fallen. "Ich...ich be-befeeehle...es...eu-euch!" Hornig senkte den Blick. "Ich...würde Euren Wunsch wirklich zu gerne erfüllen, aber...Ludwig hat euch hierher bringen lassen, ich darf mich ihm nicht widersetzen!" Hornig konnte es regelrecht spüren, wie Otto in sich zusammensank und jede Hoffnung in ihm zerbrach. Resigniert ließ er sich auf das Bett zurücksinken und starrte in die Dunkelheit hinein. Hornig betrachtete ihn mit wachsender Verzweiflung - was sollte er denn nur tun? Er war furchtbar müde und es tat ihm weh, Prinz Otto so abweisen zu müssen. Er dachte nach: Wenn er Otto nun versprach, ihn zu Ludwig zu bringen - würde sich der Prinz am nächsten Tag überhaupt noch daran erinnern können? Hornig verneinte diesen Gedanken für sich; er glaubte nicht, dass Otto morgen noch immer an seiner Idee, von hier zu fliehen, festhalten oder sich überhaupt noch daran erinnern würde. Richard Hornig sah ihn seufzend an: "Gut.... Ich nehme Euch mit und bringe Euch zu Ludwig..." sagte er leise. Es tat ihm zwar weh, Otto belügen zu müssen, aber der Prinz würde es doch sicherlich sowieso nicht verstehen. Doch die Augen des Prinzen begannen zu leuchten. Er richtete sich auf und griff nach Hornigs Händen: "Morgen..." Hornig wurde die Sache immer unangenehmer, doch er nickte. "Ich nehme an, dass meine Kutsche morgen früh wieder fahrtüchtig ist. Sollte dies der Fall sein, werde ich schon früh aufbrechen...." Er überlegte kurz. "Dürft ihr hinaus in den Park? Auch alleine?" Otto dachte nach, nickte dann aber. "Wenn....ich's beff-fehle..." "Gut! Dann kommt morgen um sieben Uhr früh hinaus in den Park....Versucht, irgendwie über die Mauer zu klettern... Ich werde mit der Kutsche in einiger Entfernung hinter dem Schloss auf Euch warten..." Otto sah Hornig eindringlich an, als versuchte er, sich alles genau zu merken. Dann stand er plötzlich auf und verließ den Raum, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen. Hornig ließ sich in die Kissen sinken: "Oh mein Gott, was habe ich getan?! Aber er wird ich nicht daran erinnern..." versuchte er sich selbst Mut zuzusprechen. "Und wenn doch....Es gibt sicherlich auch im Park Wachen, sie werden ihn zurückhalten, er wird nicht bis zur Kutsche kommen..." Er zog sich die Decke über den Kopf und verfluchte innerlich die Kutsche, dass sie ausgerechnet in Fürstenried einen Radschaden haben musste. Er versuchte, die Sache mit Otto zu verdrängen und schlief schließlich wieder ein. Als am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen durch die Fenster fielen, wurde Richard Hornig durch das Klopfen an der Türe geweckt. Verschlafen rieb er sich die Augen und rief "Ja?!" Ein Lakai trat ein und schob einen kleinen Wagen herein, auf dem ein reichhaltiges Frühstück bereit stand. Als er das Zimmer wieder verlassen hatte, genoss Hornig, der nun sehr hungrig war, die Speisen. Natürlich musste er an die Ereignisse der vergangenen Nacht denken, doch nun kamen sie ihm beinahe lachhaft vor. Natürlich würde der Prinz nicht auf ihn warten! Sicherlich lag er noch schlafend in seinem Bett und hatte seine Fluchtpläne völlig vergessen. Nachdem sich Hornig satt gegessen hatte, stand er auf, wusch sich und zog sich an. Bei einem Blick aus dem Fenster stellte er zufrieden fest, dass das Wetter umgeschlagen hatte: Der Boden war zwar noch nass, doch es hatte aufgehört zu regnen, und die Sonne kam sogar zum Vorschein. Gut gelaunt kämmte sich Hornig sein Haar zurück, als er erneut klopfte. Der Lakai von vorhin teilte ihm mit, dass die Kutsche repariert sei und im Hof bereit stünde. Allerdings sei etwas Unangenehmes mit dem Kutscher geschehen - dieser habe sich vergangene Nacht eine starke Erkältung zugezogen, so dass ihm eine Weiterfahrt momentan unmöglich sei. Aber natürlich würde man ihm einen anderen Kutscher zur Verfügung stellen. Hornig lehnte dankend ab - schließlich war er selbst Stallmeister des Königs, und die kurze Strecke nach München würde er auch alleine die Kutsche lenken können. Der Lakai nickte und fragte ihn, ob er ihn nun zur Kutsche bringen dürfe. Hornig folgte ihm - beim Hinausgehen warf er einen kurzen Blick auf seine Taschenuhr. Es war zehn Minuten vor sieben Uhr. Für einen kurzen Augenblick wurde ihm mulmig zumute - die Uhrzeit und die Tatsache, dass nun der Kutscher, der ein unangenehmer Zeuge einer möglichen 'Entführung' des Prinzen gewesen wäre, nicht mitkommen würde, beunruhigten ihn. Doch er verdrängte dieses Gefühl: "Richard, nun übertreibst du aber!" dachte er bei sich. Bei der Kutsche angekommen, bedankte sich Richard Hornig für die Gastfreundschaft, entschuldigte sich für die durch ihn entstandenen Mühen und verabschiedete sich. Er kletterte auf den Kutschbock und trieb die Pferde hinaus durch das Schlosstor. Draußen wollte er schon den Weg durch die Allee einschlagen, den er in der letzten Nacht gekommen war, doch dann zögerte er. Sollte er nicht doch.... Er kam sich zwar selbst lächerlich vor, doch er lenkte die Pferde nach rechts und fuhr die Mauer, die ihn vom Schlosspark trennte entlang. Er sah niemanden.... keine Wachen - was ihn etwas beunruhigte -, aber auch keinen Prinzen. "Ich habe es doch gewusst, alles würde gut gehen." dachte er beruhigt. Er wollte schon wieder wenden, als er plötzlich eine Gestalt wahrnahm, die sich an die Mauer drückte und verstohlen um sich blickte. Als sie die Kutsche bemerkte, eilte sie auf Hornig zu. "Oh Gott!" dachte Hornig erschrocken, als er Prinz Otto erkannte. "Das darf doch nicht wahr sein!" Otto, in einen schwarzen Mantel und einen Hut gekleidet, blieb vor der Kutsche stehen und sah ihn abwartend an. Hornig überlegte panisch - was sollte er denn jetzt tun? Er konnte doch nicht wirklich den Prinzen entführen... Ludwig würde toben! Doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen - von Otto, der in die Kutsche stieg, sich aus dem Fenster lehnte und herrschaftlich: "Fa-fahrt schon los!" sagte. Dann streckte er noch einmal den Kopf hinaus und strahlte Hornig glücklich an. Dieser seufzte resigniert. Es blieb ihm wohl keine andere Wahl, als Otto mitzunehmen. Er brachte es einfach nicht übers Herz, den Prinzen den Wachen zu übergeben. Immerhin wollte dieser doch nur seinen Bruder wiedersehen... Hornig zögerte noch einen Augenblick, dann überwand er alle Ängste, wendete die Kutsche und trieb die Pferde in Richtung München an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)