Sonic Saga von Tikal (Sonic mal anders: Weg von platten Charakteren ohne echte Probleme, hin zu...? Lest selbst!) ================================================================================ Kapitel 1: Sonics Leben ----------------------- Sonic blinzelte. Er merkte, wie ihm die Sonne durchs Fenster aufs Gesicht schien. Er schloss die Augen wieder und drehte sich um, wollte noch ein wenig weiterschlafen. Doch dann sah er auf die Uhr - und war mit einem Schlag hellwach. "Verdammt", murmelte er. Er hätte schon vor zwanzig Minuten auf dem Sportplatz sein sollen. Er wartete nicht weiter, sondern sprang aus dem Bett in seine Schuhe. Mit Zähneputzen hielt er sich gar nicht erst auf, sondern lief die Treppe runter in den Flur. "Sonic", rief seine Mutter aus der Küche, "warst du nicht schon vor zwanzig Minuten mit deinen Freunden zum Fußballspielen verabredet?" Sonic verdrehte genervt die Augen. "Das hab ich auch gerade gemerkt", rief er zurück. "Ich wollte eigentlich gerade los." "Du solltest dich wohl besser beeilen", meinte seine Mutter. "Sound ist schon vor einer halben Stunde gegangen." "Dann hab ich wohl keine Zeit mehr", antwortete Sonic, öffnete die Tür und verschwand schnell wie ein Blitz. Sonic war schon immer schnell gewesen. Er wusste nicht, woher das kam, und es interessierte ihn auch nicht, aber er konnte sehr schnell laufen. Auf längeren Strecken erreichte er die 250 km/h spielend, und so brauchte er nur wenige Minuten, bis er am Sportplatz war. "Kommst du auch schon?", rief ihm sein Freund Sam zu. Sam war wie er ein Igel, aber er war lange nicht so schnell. Sonic mochte ihn trotzdem, genau wie den jungen Fuchs, Miles. Der kleine Fuchs hatte nie viele Freunde gehabt, sondern wurde von vielen als "komischer Sonderling" angesehen. Der Grund war eine seltsame Missbildung: Er hatte zwei Schwänze, was ihm den Spitznamen "Tails" eingebracht hatte. Außerdem war er ungewöhnlich intelligent. Sonic hatte aufgehört zu zählen, wie oft Tails ihm in der Schule geholfen hatte, sei es dadurch, dass er ihn abschreiben ließ, oder dadurch, dass er mit ihm für anstehende Arbeiten gebüffelt hatte. Denn obwohl Tails fast drei Jahre jünger war als Sonic, war er, der drei Klassen übersprungen hatte, der deutlich bessere Schüler. "Tut mir leid", lachte Sonic. "Ich hab verschlafen." "Wie üblich", meinte Sound und lachte ebenfalls. Sonic musste unwillkürlich grinsen. So etwas durfte wirklich nur sein kleiner Bruder zu ihm sagen. Jedem anderen hätte er so eine Bemerkung nicht so leicht verziehen. "Kann schon sein", antwortete er. "Aber ich muss doch für heute Abend ausgeschlafen sein, wenn bei Sam die Party steigt. Sonst schlaf ich dort noch ein, und das willst du doch nicht, oder?" Sam musste lachen. "Das würde dir jemand anders auch ganz schön übel nehmen", sagte er. Sonic seufzte. "Ist sie immer noch hinter mir her?", fragte er. "Du willst mir doch nicht erzählen, dass Amy nur wegen mir kommen wird!" "Wegen wem denn sonst?", lachte Sam. "Etwa wegen mir?" Sonic lachte laut auf. "Warum denn nicht? Du bist doch ein netter Kerl!" Aber trotzdem war Sonic sichtlich verlegen. "Wirst du etwa rot?", frotzelte Sound. "So kenn ich dich gar nicht, Sonic!" Diese Bemerkung verursachte Gelächter bei allen bis auf Sonic, der rot wurde wie eine reife Tomate. Doch unter dem Gelächter flüsterte er zu sich selbst: "Ich mich auch nicht, Sound." Es war schon Mittag, als Sonic und Sound vom Sportplatz aus zurück nach Hause gingen. Der Morgen war schnell sehr warm geworden und demzufolge waren sie beide sehr erschöpft. Aber trotzdem hatte es ihnen beiden - wie den anderen - viel Spaß gemacht. "Sag mal", begann Sound vorsichtig, "läuft da eigentlich was zwischen dir und diesem Mädchen, Amy oder so?" Sonic schüttelte den Kopf. "Nein. Sie geht zwar in meine Klasse, aber ich kenne sie nicht besonders gut." "Habe ich das richtig verstanden, dass sie auch heute Abend auf die Party von Sam gehen wird?", fragte Sound neugierig. "Ja", antwortete Sonic. "Aber ich habe damit nichts zu tun. Ehrlich gesagt, geht sie mir ziemlich auf die Nerven." Sound musste lachen. Sonic sah ihn fragend an: "Was findest du so lustig?" Sound antwortete: "Du klingst ziemlich seltsam für einen zehnjährigen, findest du nicht? Von wegen ,sie geht mir auf die Nerven' und so." "Was willst du damit sagen?", fragte Sonic. "Kennst du das Sprichwort: ,Was sich liebt, das neckt sich'?", fragte Sound. "Mein Gott, bist du heute lustig", grummelte Sonic und bemühte sich, einen verärgerten Ton anzuschlagen, aber bei seinem kleinen Bruder war ihm das nicht möglich. Er musste sich anstrengen, um nicht laut loszulachen angesichts der Späße seines kleinen Bruders. "Ich weiß", antwortete Sound voller gespieltem Ernst. Beide lachten. Sonic und Sound brauchten etwa zehn Minuten bis nach Hause. Das Haus lag in einem Neubaugebiet und war äußerlich nicht von den umliegenden Häusern zu unterscheiden. Ihre Eltern hatten das Haus vor knapp zwölf Jahren gekauft und es seitdem zu einem schönen Zuhause vorhanden. Sonic hätte sich kein besseres vorstellen können. Seine Eltern arbeiteten beide - wie auch die Eltern von Sam und Tails - für eine große Elektronikfirma, die Robotnik GmbH. Seine Mutter arbeitete als Sekretärin vom Boss, Direktor Dr. Ivo Robotnik persönlich. Sein Vater war Arbeiter in der örtlichen Fabrik, und gemeinsam hatten sie genug zusammengespart, um das Haus zu kaufen. Es war früher Abend. Der Tag war - wie die meisten Ferientage - sehr schnell vorbeigegangen, fast zu schnell. Sonic hatte den Tag in seiner Hängematte unter dem großen Baum verbracht. Sound und seine Eltern hatten ihn in Ruhe gelassen, und so war er schließlich eingeschlafen. Er war früh genug aufgewacht und wollte jetzt los zu Sams Party. "Sonic", rief seine Mutter ihm aus der Küche zu. Sonic schaute kurz rein. "Was gibt's denn?", fragte er. "Sei bitte um neun wieder da", ermahnte ihn seine Mutter. "Du weißt, dass dein Vater und ich heute Abend noch wegwollen, und du musst auf Sound aufpassen." Sonic nickte ergeben. "Ja, ich weiß. Aber trotzdem, wenn ich um neun schon wegmuss, geht der Abend doch erst richtig los!" Seine Mutter seufzte. "Darüber haben wir doch schon gesprochen, Sonic." "Ja", seufzte Sonic. "Aber ich kann mich trotzdem nicht richtig damit abfinden. Was soll denn passieren? Sound kann gut auf sich selbst aufpassen." "Sonic!", sagte seine Mutter scharf, "das magst du vielleicht glauben, aber er ist erst acht. Er würde sich wesentlich sicherer fühlen, wenn du da wärst. Tu es für ihn, bitte." "Ich hab wohl keine Wahl", murmelte Sonic. "Aber trotzdem." Seine Mutter lächelte. "Sei doch nicht so trotzig. Es ist jetzt sechs Uhr, du hast doch drei Stunden Zeit. Reicht dir das nicht?" "Wenn es mir reichen würde, würde ich mich nicht beschweren", grummelte Sonic. Dann machte er sich auf den Weg. Kapitel 2: Ein schrecklicher Abend ---------------------------------- Der große Kirchturm schlug einmal und zeigte so an, dass es halb zehn war. In der Fußgängerzone befand sich zu dieser Zeit kaum noch jemand, und die wenigen Leute, die noch da waren, bemühten sich sichtlich, nach Hause zu kommen. Niemand hatte Augen für den Igeljungen, der auf einer Bank in einer Ecke des Platzen unter Bäumen saß. Sein Gesicht war ausdruckslos, sein Blick ging ins Unendliche. Man hätte glauben können, er interessiere sich für gar nichts. Dabei war er nur nicht fähig, der Trauer in seinem Herzen Ausdruck zu verleihen. Bis vor zwanzig Minuten war sein Leben normal gewesen. Den Abend hatte er auf der Geburtstagsfeier seines Freundes Sam verbracht. Dort war er mit einem Mädchen namens Amy ins Gespräch gekommen. Den ganzen Abend hatte er sich mit ihr unterhalten, über alles, was sie voneinander wissen wollten. Er hatte angefangen, sie zu mögen. Sie war schon vorher bis über beide Ohren in ihn verliebt gewesen. Das war ihm nervig erschienen, doch nun, da er sie besser kannte, hatte er gespürt, dass da Raum für mehr gewesen war. Doch über dem Gespräch hatte er die Zeit vergessen, hatte vergessen, dass er um neun Uhr hatte zu Hause sein sollen. Als er es um kurz nach neun bemerkte, beeilte er sich, nach Hause zu kommen. Er hatte das kleine Gartentor zum Vorgarten geöffnet, war auf die Tür zugegangen, hatte sich darauf konzentriert, eine gute Ausrede parat zu haben. Im nächsten Moment hatte er mitten auf der Straße gelegen. Für einem Moment war ihm schwarz vor Augen gewesen, und er hatte nichts wahrgenommen außer einem lauten Knall. Dann hatte er klar sehen können, was geschehen war. Das Haus, in dem er aufgewachsen war, war eine Ruine. Es hatte eine Explosion gegeben. Er war vorsichtig in die Ruine hineingeschlichen, doch hinter einigen geisterhaften Resten der Fassade stand nichts mehr. Es gab dort nur noch Staub und Trümmerhaufen, wo eine Wand zusammengebrochen und die Decke heruntergekommen war. Unter einem dieser Trümmerhaufen war eine Hand sichtbar gewesen... die Hand seines Bruders Sound, den er über alles geliebt hatte. Er war unter diesem Trümmerhaufen begraben gewesen. Von seinen Eltern war keine Spur zu sehen gewesen, doch der Wagen hatte noch vor dem Haus gestanden. Sie waren also im Haus gewesen, und er hatte es einem Zufall zu verdanken, dass er nicht auch dort gewesen war, als es passierte. Der Igeljunge hob den Kopf. Der Gedanke, alles verloren zu haben, was er je gekannt hatte, auch seinen kleinen Bruder, dem er so oft versprochen hatte, ihn zu beschützen, und der jetzt tot war, war zu viel für ihn. Er war nicht einmal fähig, zu weinen. Er wusste nicht einmal, was er empfand, wenn er an den Vorfall dachte, denn hinter der Trauer spürte er etwas noch viel stärkeres, doch dieses Gefühl konnte er nicht zuordnen. Er wusste nur, dass er nun allein auf der Welt war. Die Turmuhr der Kirche, die an dem Platz stand, schlug zehnmal. Er hob den Kopf, damit rechnend, dass er einen leeren Platz vorfinden würde, bar jeglichen Anzeichen, dass es außer ihm noch andere Lebewesen gab... aber er sah einen jungen Fuchs, einige Jahre jünger als er selbst, der zwei Schwänze hatte und auf ihn zugeeilt kam. "Was machst du denn hier, Sonic?", fragte der Fuchs. Doch dann bemerkte er Sonics Gesichtsausdruck. "Ist... ist etwas passiert?", fragte er schüchtern. Sonic hob den Kopf noch etwas weiter und sah dem Fuchs in die Augen. Dieser erschrak, denn in den Augen seines Freundes, die einst fröhlich gewesen waren, war jetzt nur noch Trauer zu lesen, zusammen mit einem anderen Gefühl, das aber auch der Fuchs nicht erkannte. "Etwas... passiert?", brachte der Igel schließlich mit brüchiger Stimme hervor. "Ich habe gerade eben eine Explosion miterlebt..." Er schwieg eine Weile, und der Fuchs wartete, ob er noch mehr sagen würde. Nach einigen Minuten fuhr Sonic fort. "Diese Explosion hat ein ganzes Haus mitsamt seinen Bewohnern dem Erdboden gleichgemacht." Seine Stimme blieb immer noch bar jeder Gefühlsregung, was dem jungen Fuchs mehr Angst machte, als alles andere es hätte tun können. Endlich, nach qualvoll langen Minuten, sprach Sonic weiter. "Es war... das Haus... in dem ich lebte." Der junge Fuchs zuckte zusammen. "Wie bitte?", brachte er schließlich hervor. "Dein Haus... wurde zerstört? Was ist denn mit..." Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn er sah die Augen seines Freundes und die Trauer, die in ihnen stand, und schwieg. Der Igel führte den Satz weiter. "Was mit meiner Familie ist?", fragte er, und seine Stimme begann zu zittern. "Sie alle... sind tot. Mein Vater, meine Mutter... und... und auch... und auch Sound..." Er sah den Fuchs erneut an, und endlich glitzerten Tränen in seinen Augen. "Sie sind alle tot, Tails. Alle. Und ich... ich bin Schuld daran... wenn ich pünktlich gewesen wäre... dann wären meine Eltern noch am Leben..." Langsam setzte sich der Fuchs neben dem Igel auf die Bank. Dann schüttelte er langsam den Kopf. "Das bist du nicht, Sonic. Es war vermutlich ein Konstruktionsfehler einer Gasleitung, der zur Explosion geführt hat. Du hättest niemanden retten können." Vorsichtig legte er dem Igel die Hand auf die Schulter. "Es gab nichts, was du hättest tun können. Und es gibt nichts, was du jetzt tun kannst. Komm mit zu mir. Dann hast du wenigstens für heute Nacht ein Dach über den Kopf. Und morgen können wir weiter sehen." Sonic nickte langsam. "Wahrscheinlich hast du Recht", murmelte er nur. Langsam stand er auf und wandte den Blick zu Tails. "Wir sollten gehen", meinte er. Tails nickte, dann gingen sie zusammen weiter, zu Tails nach Hause. Tails ging voran. Sonic ging hinter ihm. Er sprach den ganzen Weg lang kein Wort. Tails begann sich wirklich Sorgen zu machen. Er konnte zwar verstehen, was in Sonic vorgehen musste, aber diese Seite an Sonic kannte er nicht. Sonic war nie so schweigsam gewesen. Sonic hatte sich nie so sehr in sich selbst zurückgezogen. Es war fast, als ob Sonic ein ganz anderer geworden wäre, und Tails weigerte sich zu glauben, dass ein einziges Ereignis jemanden so sehr verändern konnte. Wenn Sonic wenigstens geweint hätte... Tails hätte alles getan, um Sonic beizustehen, ihn zu trösten und ihm zu helfen. Aber Sonic ließ keine Gefühlsregung erkennen. Tails wusste, nein, er glaubte, er konnte es sich nicht anders vorstellen, als dass Sonic tief in seinem Inneren trauerte und sich nicht traute, es zu zeigen. Denn die Alternative, dass er wirklich nichts empfand, war für Tails undenkbar. Sie bogen in die Straße ein, in der Tails wohnte. Tails führte Sonic die Straße hinauf, bis sie vor dem Gartentor standen. Tails öffnete es und ging auf die Tür zu. Sonic wollte ihm folgen, doch plötzlich wurde ihm schwarz vor Augen. Haltsuchend griff er nach dem Gartentor, und für einen Moment glaubte er eine Stimme zu hören: "Nicht!" Sonic hörte die Stimme zwar, aber er konnte nicht zuordnen, woher sie kam. Sie schien in seinem Kopf zu stecken. Tails hatte mittlerweile bemerkt, dass Sonic stehen geblieben war, kehrte um und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Du hast es gleich geschafft, Sonic. Nur noch ein paar Schritte, dann sind wir -" Tails konnte den Satz nicht zu Ende führen. Urplötzlich fühlte er hinter sich eine unbeschreibliche Kraft, die ihn nach vorne warf, spürte für einen Moment Hitze, hörte eine Explosion direkt hinter sich. Ihm wurde schwarz vor Augen, als er gegen Sonic geschleudert wurde, der sich mit Mühe am Gartentor festhielt. Als Tails wieder klar sehen konnte, sah er Sonic über sich gebeugt. Sonics Gesicht war hart wie Stein, als er Tails vorsichtig half, sich aufzusetzen. Tails sah sich um, sah, dass er auf der Straße vor dem Haus saß, besser gesagt, vor dem, was vom Haus übrig war. Es war fast genau der Anblick, den Sonic gesehen hatte: einige geisterhafte Reste der Fassade standen noch, dahinter war nichts. Wie Sonic hatte auch er alles verloren, ohne Vorwarnung. Tails schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Er hatte gerade miterlebt, wie sein Haus von einer Explosion zerstört worden war, und verdankte es - wie Sonic - dem Zufall, dass er noch lebte. Er wusste, dass niemand überlebt hatte. Das war zu viel für Tails. Er kippte um und verlor das Bewusstsein. Sonic nahm seine Hand. "Tails", murmelte er, "warum du auch noch? Warum muss dir das gleiche passieren wie mir? Womit hast du das verdient?" Sonic begann zu schluchzen. Heute Morgen noch war der Tag so schön gewesen... und nun, am Abend, hatte er nichts mehr. Sein Bruder war tot, wie seine Familie und die Familie von Tails. Schlagartig wurde ihm klar, was er da neben der Trauer noch spürte. Es war Hass. Er hatte begonnen zu hassen. Aber wen? Wen hasste er? Wen? Er wusste nicht einmal, warum es diese Explosionen gegeben hatte. Fest stand für ihn nur, dass es keine Unfälle waren. Zwei solche Unfälle an einem Tag binnen einer Stunde... nein, das konnte er nicht glauben. Irgendjemand steckte dahinter, soviel stand für ihn fest. Er würde ihn finden und zur Rechenschaft ziehen, schwor er sich im Stillen. Er nahm den bewusstlosen Tails in die Arme. "Du bist der einzige, den ich noch habe", flüsterte er, "und ich werde dich beschützen, immer und überall." Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und legte sich Tails vorsichtig über die Schulter, um ihn mitzunehmen, wenn er jetzt eine Unterkunft suchte. Er hatte schon einmal versagt, als er jemanden beschützen wollte. Er würde nicht erneut versagen. Kapitel 3: Espio ---------------- Sonic schlenderte durch die Fußgängerzone und ließ seien Augen umherschweifen, immer auf der Suche nach jemandem, der unaufmerksam war. Er fiel im Gewühl nicht weiter auf: es war später Nachmittag in den Sommerferien, überall standen, saßen oder spazierten kleine Grüppchen von Leuten. Ein paar Igel in seinem Alter saßen im Eiscafé, ein paar Kinder, sowohl Menschen als auch verschiedene Tiere, hatten sich gerade ebendort ein Eis gekauft und spazierten nun weiter. Sonic ging weiter, und niemand beachtete ihn, als er an einer älteren Frau vorbeiging und wie beiläufig in ihre Tasche griff. Mit geübter Hand, schnell, aber dennoch vorsichtig, zog er die Geldbörse heraus, öffnete sie und entnahm ihr einige Geldsscheine, die er in der anderen Faust festhielt, als er die Börse ebenso vorsichtig zurücksteckte und weiterging. Sie hatte nichts gemerkt. Sonic ging etwa zwei Minuten weiter, bevor er sich an eine Wand in einer Seitenstraße lehnte und die Beute begutachtete. Es waren achtzig Dollar. Erleichtert atmete er auf. Das Geld würde für fast einen Monat reichen, um ihn und Tails mit dem nötigsten zu versorgen. Plötzlich hörte er Stimmen, nicht weit entfernt. Eine davon glaubte er zu kennen, obwohl er sie seit zwei Jahren nicht gehört hatte. Vorsichtig, bemüht, jedes Geräusch zu vermeiden, ging er die Straße entlang und linste um die Ecke. Er hatte sich nicht getäuscht. Keine drei Meter von der Ecke entfernt sah er eine Menschenmenge, die irgendjemanden an die Wand gedrängt hatte. Er wagte noch ein Stückchen mehr und sah das Opfer. Es war Sam. Sein Freund Sam. In Sonic kamen Erinnerungen hoch. Erinnerungen an einen Sommertag, fast zwei Jahre alt. Er spielte Fußball mit Tails, Sam und - an dieser Stelle schwangen die Erinnerungen um. Er sah eine kleine Hand unter einem Trümmerhaufen, spürte erneut die Druckwelle, die Tails an ihn geschleudert hatte. Verzweifelt schloss er die Augen und versuchte, diese Erinnerungen zu verdrängen. Er brauchte zwei Minuten, bis er die Augen wieder öffnen konnte. Er bemerkte, dass er schwitzte, und sein Atem ging schneller. Noch immer quälte ihn dieser Tag. Fast jede Nacht durchlebte er erneut den Abend jenes Tags. Fast jede Nacht wachte er auf, von Alpträumen geplagt. Sonic schüttelte den Kopf. Sam brauchte Hilfe. Aber Tails brauchte das Geld. Mitten in der Bewegung, die ihn um die Ecke hatte bringen sollen, erstarrte er, und schüttelte erneut den Kopf, versuchte ihn klar zu bekommen. Wenn er Sam half, würde er einem Freund helfen, aber sich in Gefahr bringen. Wenn er es nicht tat - dann würde er unbeschadet davonkommen. Aber was würde Sam passieren? Das ging ihn nichts an. Aber er konnte einen Freund nicht im Stich lassen. Einen Freund, der sich zwei Jahre nicht um ihn gekümmert hatte. Wie denn auch? Er war damals abgetaucht und immer darauf bedacht gewesen, keine Hinweise zu hinterlassen, dass er noch lebte. Er konnte nicht das Risiko eingehen, verletzt zu werden. Tails brauchte ihn. Sam auch. Tails war der einzige, den er noch hatte. Aber früher hätte er niemals einen Freund im Stich gelassen. Früher, als seine Familie - Er konnte keine Unterschiede zwischen zwei Freunden machen. Sam brauchte Hilfe. Worauf wartete er? Mit diesem Gedanken hatte er sich entschieden. Er ging um die Ecke und sah die Gruppe an. Es waren weniger, als er gedacht hatte. Sechs Jugendliche, er schätzte sie auf zwischen 13 und 15 Jahre alt, hatten Sam an die Wand gedrängt. Einer von ihnen, anscheinend der Anführer, hielt ein Messer in der Hand und bedrohte Sam. "Los", zischte er, "meine Geduld ist am Ende. Gib uns dein Geld, sonst setzt es was!" "Lasst ihn in Ruhe", rief Sonic. Sam bewegte die Augen, um den Rufer zu sehen - und als er Sonic erkannte, war er sehr überrascht. "Sonic!", rief er. Aber dieser brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen und wandte sich wieder der Gruppe zu. "Verschwindet", sagte er. Der Anführer lachte auf. "Wir sind sechs gegen einen. Glaubst du, du hast auch nur den Hauch einer Chance?" Mit diesen Worten gab er drei anderen Jungs einen Wink, und sie gingen auf Sonic zu. Sonics Blick wurde hart. "Ich warne euch nur einmal", sagte er kalt, "ihr solltet euch nicht mit mir anlegen. Das könnte übel für euch enden." Diese Drohung hatte keinen Effekt. Im Gegenteil, einer der Jungs war nah genug an Sonic dran, schlug zu - und traf nicht. Sonic war mit der ihm eigenen Geschwindigkeit knapp fünf Meter nach hinten ausgewichen. "Ihr wolltet es so", sagte er, immer noch eiskalt und ballte die Hände zu Fäusten. Dann raste er auf den ersten zu und schlug ihm aus vollem Lauf mit aller Kraft in den Magen. Er ging sofort zu Boden. Ehe der zweite auch nur begriffen hatte, was geschehen war, war Sonic bei ihm, und ohne anzuhalten versetzte er ihm eine Gerade direkt von vorne auf den Mund, bevor er ihm den Ellbogen in den Magen schlug. Dem dritten verpasste er im Vorbeirennen einen Kinnhaken. Dem vierten trat er in die Kniekehle, und als er in die Knie ging, sprang Sonic ihm von hinten auf den Rücken, sodass sein Gegner bäuchlings aufschlug und das Bewusstsein verlor. Den fünften sprang er aus vollem Lauf an, und seine Stacheln bohrten sich stellenweise zentimetertief in die Brust und die Bauchgegend. Dann drehte er sich zum Anführer um, der wie versteinert seine bewusstlosen oder schwerverletzten Kumpane betrachtete. Sonic betrachtete ihn voller Verachtung. "Zu sechst haltet ihr euch für stark", knurrte er, "aber alleine seid ihr nichts. Du kannst gehen und einen Krankenwagen holen. Aber wenn du zur Polizei gehst und denen meinen Namen oder gar eine Beschreibung von mir gibst, bring ich dich um. Haben wir uns verstanden?" Zitternd vor Angst, nickte der Junge. Er zitterte so stark, dass ihm das Messer aus den Händen fiel. Sonic wandte sich Sam zu. "Du solltest jetzt besser auch verschwinden", sagte er zu ihm. Aber Sam schüttelte den Kopf. "Nicht, bevor ich nicht mit dir gesprochen habe", antwortete er entschlossen. Für einen Moment überlegte Sonic, ob er das seinem alten Freund verweigern könnte. "Gut", murmelte er schließlich. "Aber nicht hier. Wo, bestimme ich." Sonic führte Sam aus der Seitenstraße zurück in die Fußgängerzone. Sie kämpften sich zusammen durch die Menschen- und Tiermengen auf die andere Seite der Fußgängerzone und gingen dort über eine Brücke in den Stadtpark. An der erstbesten freien Bank, an der sie vorbeikamen, blieb Sonic stehen. "Worüber willst du reden?", fragte er Sam. Sam setzte sich auf die Bank und senkte den Blick. "Ich...", murmelte er leise, "ich will wissen, warum ich zwei Jahre nichts von dir gehört habe." "Rate mal", antwortete Sonic knapp. "Wie sollte ich?", fragte Sam. "Vor zwei Jahren ist doch dein Haus bei einer Gasexplosion zerstört worden. Ich dachte, du wärst tot!" "War ich so erfolgreich?", fragte Sonic und lächelte. "Gut, das zu hören. Vielleicht glauben das auch noch andere." "Welche anderen?", fragte Sam verwundert. "Und was meinst du mit ,erfolgreich?" "Zum Beispiel die, die meinen Tod wollen", antwortete Sonic düster. "Ich habe in den letzten zwei Jahren versucht, Informationen zu sammeln. Ich glaube nicht an die ,Gasexplosion'." Sam musste grinsen. "Was sollte es sonst sein? Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass diese Explosion geplant war?" "Das ist nicht lustig", sagte Sonic scharf. "Und ich glaube es. Ich bin mir sogar fast sicher, weil in derselben Nacht noch ein Haus durch eine Explosion zerstört wurde." Dabei zogen vor seinem inneren Auge wieder die Erinnerungen vorbei, doch er schaffte es, sich nichts anmerken zu lassen, und konzentrierte sich auf das Gespräch mit Sam. "Warum kann es denn nicht sein, dass zwei Gasleitungen defekt waren?", fragte Sam. "Weil das Haus der Prowers keine Gasleitung hatte." Sam fuhr herum. Diese Stimme kam aus dem Gebüsch hinter ihm. Sonic schien den Fremden jedoch erwartet zu haben. "Du kommst spät", sagte er. Aus dem Gebüsch trat - ein Chamäleon. Es hatte eine violette Haut und dort, wo bei Sonic die Nase saß, hatte es ein großes, gelbes Horn. Nach dem Klang seiner Stimme vermutete Sam, dass der Unbekannte etwas älter war als Sonic, obschon dieser fast ebenso groß war. "Nicht ich bin spät dran", meinte der Neuankömmling. "Ich habe euch beobachtet und wollte nicht unnötig stören." "Tust du aber", sagte Sam scharf. "Ich habe noch eine Menge Fragen!" "Die werden warten müssen", antwortete Sonic. "Ich habe mit Espio hier" - er wies mit dem Kopf auf das Chamäleon - "etwas Wichtiges zu besprechen. Und zwar unter vier Augen." "Du solltest ihm aber schon seine Fragen beantworten", riet Espio. Aber Sonic schüttelte nur den Kopf. "Er weiß alles, was ich ihm sagen kann, ohne ihn - und mich - in Gefahr zu bringen." Sam sah Sonic verwundert an. "Du hast dich verändert", sagte er endlich, "und ich erkenne dich gar nicht wieder. Früher warst du ganz anders. Jetzt hast du Verfolgungswahn, sprichst kaum noch, schreckst vor Gewalt nicht zurück und schließt einen Freund aus. Was auch immer es ist, das dich so verändert hat - ich will es nicht wissen. Ich will mit dir überhaupt nichts mehr zu tun haben." Was wie eine harte Beleidigung wirken sollte, entlockte Sonic nur ein müdes Lächeln. "Dann geh doch", antwortete er. "Ich habe sowieso keine Zeit, um mich mit alten Freunden rumzuschlagen." Diese Worte trafen Sam tief, so tief, wie er Sonic hatte treffen wollen. "Das kannst du nicht ernst meinen", flüsterte er. "Willst du sagen, dass unsere Freundschaft von damals... nichts mehr wert ist?" "Die Zeiten haben sich geändert", sagte Sonic knapp. Dann ging er ein paar Schritte auf Sam zu und sah ihm in die Augen. "Wenn du wüsstest, was aus mir geworden ist, würdest du nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Glaub mir, es ist besser so." Sam schossen die Tränen in die Augen. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und lief den Parkweg entlang, weg von Sonic. Espio hatte schweigend dabeigestanden. "Hat er das verdient?", fragte er nun leise. "Hat er verdient, dass du ihn so behandelst?" "Du vergisst unsere Abmachung", knurrte Sonic. "Keine Fragen, verstanden?" "Dann eben nicht", antwortete Espio gleichgültig. Sonic blickte Sam noch ein paar Minuten nach und versuchte krampfhaft, das Aufkommen von Erinnerungen zu verhindern. Er wollte den Tag nicht noch einmal sehen. Er wandte sich wieder Espio zu. "Was hast du herausgefunden?" "Setzen wir uns", murmelte Espio. "Du hattest Recht", begann Espio. "Es waren keine Unfälle, oder zumindest keine Gasexplosionen. Die Prowers hatten, wie ich eben schon angedeutet habe, keine Gasleitung im Haus. Ihr hattet zwar eine Gasheizung, aber es war Sommer, und die Leitung war außer Betrieb. Es könnte natürlich sein, dass trotzdem noch Gas in der Leitung war, aber das glaube ich nicht. In den Trümmern beider Häuser wurden Schwarzpulverrückstände gefunden. Ich behaupte, es waren Anschläge." Sonic nickte. "Das habe ich mir gedacht. Aber warum hieß es damals in allen Zeitungen, es wären Gasexplosionen gewesen? Die Firma, die die Rohre herstellte, ist inzwischen pleite, weil in den Medien eine beispiellose Hetzkampagne gestartet wurde!" Espio nickte. "Ich weiß. Ich hatte einen Journalisten so weit, dass er auspacken wollte, was damals wirklich passiert ist. Doch am Abend, bevor er mir alles sagen wollte, rief er an und sagte, er hätte es sich anders überlegt. Er klang, als wenn er sich verfolgt fühlte. Zwei Tage später wurde er tot im Fluss gefunden, und vom Täter fehlt jede Spur." "Und was heißt das jetzt genau?", wollte Sonic wissen. "Das heißt, dass da etwas vertuscht wurde", antwortete Espio. "Dass Schwarzpulverreste gefunden wurden, taucht zwar noch in den Polizeiberichten auf, aber offiziell wurde die Gasexplosion genannt und die Bombentheorie unterschlagen, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Prowers gar keinen Gasanschluss hatten. Der Rohrfirma wurde die Schuld zugeschoben, die Medien haben gegen sie gehetzt, die Auftraggeber verloren das Vertrauen, der Börsenkurs brach ein - ich denke, du kennst den Rest. Aber was mir der Journalist gesagt hat, bevor er ermordet wurde, war, dass eine reiche und mächtige Person ein großes Interesse daran hatte, die Sache zu vertuschen. Es wurden immense Schmiergelder verteilt, Drohbriefe geschrieben, in einem Fall wurden sogar Familienmitglieder entführt, damit die Zeitungen das brachten, was diese Person wollte. Wer es ist - das habe ich nicht herausbekommen." "Das heißt also: jemand hat unsere Häuser in die Luft gejagt und anschließend die Polizei und die Zeitungen bestochen und bedroht, um verräterische Details unter den Tisch zu kehren", fasste Sonic zusammen und stand auf. "Ich möchte nur mal wissen, woher du das alles weißt." "Ich bin Detektiv", antwortete Espio lächelnd. "Aber in diesem Fall musste ich wirklich alle Tricks und Kontakte nutzen, die ich kenne." Sonic zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln, obwohl er diese Neuigkeiten erst mal verarbeiten musste. "Da hat Rotor mir ja ganz offensichtlich den richtigen empfohlen", sagte er, und in seiner Stimme schwang etwas Bewunderung mit. "Glaubst du, du kriegst den Namen noch raus?" Espio schüttelte den Kopf. "Unwahrscheinlich. Seit der Journalist tot ist, will niemand mehr etwas sagen, und meine Theorie, dass es jemand von den oberen Zehntausend sein müsste, hilft uns auch nicht weiter." "Bleib trotzdem dran", bat Sonic. "Du weißt nicht, wie viel mir das bedeutet." "Warum tust du's nicht selbst?", fragte Espio spöttisch. "Weil ich weder deinen Spürsinn noch deine Kontakte und schon gar nicht deine Fähigkeit zu Tarnung habe", antwortete Sonic. "Aber jetzt muss ich weg. Tails wird schon auf mich warten." "Wenn ich was Neues rauskriege, erfährst du's", sagte Espio, bevor er sich umdrehte und im Schatten verschwand. Sonic ballte die Hand zur Faust. Er hatte sich also nicht geirrt. Das musste Tails erfahren. Er rannte los, durch den Park und die Fußgängerzone, bis er kurz hinter der Zone zu einer Autowerkstatt kam und durch das offene Tor eintrat. Kapitel 4: Amy -------------- Sam lief. Er lief immer weiter, weg von Sonic. Er konnte nicht glauben, was Sonic eben zu ihm gesagt hatte. "Ich habe keine Zeit, mich mit alten Freunden herumzuschlagen", hatte er gesagt. Früher, bevor Sonic so mysteriös verschwunden war, war er ganz anders gewesen. Früher waren er und Sonic gut befreundet gewesen, doch dieser Ausdruck in Sonics Augen, als er ihm gegen die Jugendlichen geholfen hatte, und die Kälte in seiner Stimme, als er ihm gesagt hatte, es wäre besser, wenn sie nichts mehr miteinander zu tun hätten, verfolgte ihn auch jetzt noch, während er lief. Er merkte, dass ihm die Tränen über das Gesicht liefen, dass er weinte, aber er achtete nicht darauf und lief weiter, ohne darauf zu achten, wohin er lief. Was hatte Sonic so sehr verändert? Er erkannte Sonic gar nicht wieder. Diese Rücksichtslosigkeit passte nicht zu ihm. Er hätte schwören können, es wäre nicht Sonic, wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass der Igel Sonic nicht nur sehr ähnlich - nur eben etwas älter - sah, sondern sich auch noch an ihn erinnert hatte. Er blieb stehen. Er war ganz außer Atem und setzte sich auf eine Bank, die in der Nähe stand. Weinen konnte er nicht mehr, aber er fühlte sich immer noch miserabel. Er musste mit jemandem darüber sprechen. Aber mit wem? Wer außer ihm kannte Sonic noch von früher und würde ihn verstehen können, wenn er von dem Schock erzählte, den Sonics Veränderung in ihm ausgelöst hatte? Seine Eltern? Nein. Sie hatten Sonic nicht so gut gekannt wie er. Sie waren mit Sonics Eltern lose bekannt gewesen, aber Sonic selbst hatten sie kaum gesehen, geschweige denn mit ihm gesprochen. Blieben nur Sonics alte Freunde. Aber Sonic hatte außer ihm und Tails keine richtigen Freunde gehabt, und Tails war, nach dem, was er wusste, auch tot. Die einzige Person, mit er sprechen könnte, war - Amy. Sie war in Sonic verliebt gewesen, und die Nachricht von der Explosion und Sonics Tod hatte sie schwer getroffen. Wenn er mit jemandem reden konnte, dann war es Amy. Er holte sein Handy aus der Tasche und wählte mit zitternden Fingern Amys Nummer. Zehn Minuten später stand Sam vor Amys Haus. Es lag, wie die Häuser der Familien von Sonic, Tails und ihm selbst, im Neubaugebiet an der Stadtgrenze, nicht weit vom Park entfernt. Wie die meisten Häuser dort hatte es einen kleinen Vorgarten, der durch ein Gartentor von der Straße abgegrenzt wurde. Das Haus selbst stand frei in der Mitte des Grundstücks. Sam ging zur Tür und klingelte. Es dauerte nicht lange, bis Amy ihm öffnete. "Worum geht's denn?", fragte sie Sam neugierig, noch während sie auf dem Weg in ihr Zimmer waren. Sam antwortete nicht. Im Zimmer ließ er sich sofort in den Sessel fallen, der unter dem Fenster, gegenüber vom Fernseher, stand. Amy setzte sich auf das Bett, das in der Ecke schräg gegenüber der Tür stand und wartete ungeduldig auf Sams Antwort. Sam schwieg. Einige Minuten hielt er den Blick gesenkt. Er wusste nicht, wie er anfangen sollte, wusste nicht, wie er Amy würde verständlich machen können, was geschehen war. "Willst du mir jetzt sagen, was los ist?", fragte Amy schließlich ungeduldig. Sam nickte langsam. "Eben, als ich in der Stadt war... habe ich Sonic getroffen." Amy zuckte bei der Erwähnung des Namens zusammen. "Das... das kann nicht stimmen", brachte sie schließlich mühsam hervor. "Er ist tot." "Das dachte ich auch", antwortete Sam leise. "Bis ich ihn eben getroffen habe. Und ich kann dir sagen... ich wünschte fast, er wäre es." "Warum?", fragte Amy. In ihrer Stimme schwang eine seltsame Erregung mit, die Sam bemerkte. "Ich weiß, dass du in ihn verliebt warst", antwortete Sam. Er sprach immer noch sehr leise. "Und er war mein bester Freund. Ich habe ihn gesehen, als er mir einige Jugendliche vom Hals hielt. Er hat sich äußerlich kaum verändert, er ist nur etwas größer geworden. Aber... seine Art... sein Verhalten... hat sich komplett geändert." "Was meinst du damit?", unterbrach Amy. Sie sprach jetzt sehr schnell, und es klang so, als wollte sie so schnell wie möglich alles wissen. "Du hast ihn erkannt, aber er war ganz anders?" Sam nickte. "Früher hätte er die Jugendlichen abgelenkt, sodass ich hätte abhauen können. Aber eben...", Sams Stimme brach ab, und er fuhr erst nach ein paar quälend langen Sekunden fort, "hat er sich damit nicht zufrieden gegeben. Er hat sie brutal zusammengeschlagen." "Wie bitte?", fragte Amy erschüttert. "Das hätte Sonic nie getan. Du musst dich geirrt haben!" Sam schüttelte den Kopf. "Ich bin mir sicher. In diesem Kampf hat er seine Schnelligkeit als Waffe eingesetzt. Sie hatten keine Chance. Zwei haben jetzt wohl einen gebrochenen Kiefer und einem hat er seine Stacheln zentimetertief in den Bauch gerammt." Amy schüttelte den Kopf. "Nein", flüsterte sie. "Das... das kann nicht wahr sein..." Sam senkte den Blick und sah auf den Boden. "Es ist wahr", sagte er leise. "Auch wenn du es nicht glauben willst, auch wenn ich es nicht glauben will - es ist die Wahrheit." "Warum?", fragte Amy. Sie schien zutiefst erschüttert. Sonic, ihre erste große Liebe, erst für tot halten zu müssen, jetzt zu hören, dass er noch lebte, und dass er sich so sehr verändert hatte, war ein schlimmer Schock für sie. "Warum hat er sich so verändert?" "Wenn das doch alles wäre", murmelte Sam. "Aber anschließend habe ich noch mit ihm gesprochen. Er glaubt, die Unfälle vor zwei Jahren waren Anschläge, und er hat mir gesagt, dass er nichts mehr mit seinen alten Freunden zu tun haben will." Amy schluckte schwer. Ihr war schlecht. Das, was sie da hörte, konnte sie nicht glauben. Sie wollte es nicht glauben. "Willst du damit sagen", fragte sie mit belegter Stimme, "dass Sonic... dass er vielleicht glaubt, wir wären für die Unfälle verantwortlich?" "Ich weiß es nicht", murmelte Sam. "Ich weiß es wirklich nicht. Und ich kann nicht verstehen... warum er sich so verändert hat. Warum er nichts mehr mit uns zu tun haben will. Warum er überhaupt versucht hat, aller Welt weiszumachen, er sei tot. Das, was er mir da erzählt hat... ich kann einfach nicht glauben, dass er das ernst meint." Amy biss sich auf die Lippe. "Ich auch nicht", flüsterte sie. "Und ich kenne nur einen Weg, das herauszufinden. Wir müssen mit ihm reden." "Das wird er nicht zulassen", sagte Sam sofort. "Ist mir egal. Wenn es sein muss, hefte ich mich den ganzen Monat an seine Fersen, aber ich werde mit ihm reden." Sam stand auf. "Das kann ich nicht", sagte er leise, hob den Kopf und sah Amy an. "Ich kann nicht noch mal mit ihm reden... nicht, nachdem ich gesehen habe, was er den Jugendlichen angetan hat. Nicht, nachdem ich in seine Augen gesehen habe." "Seine Augen?", fragte Amy überrascht und hielt beim Schuhanziehen inne. "Sie waren kalt", sagte Sam. "Du erinnerst dich doch an ihn, an seine Augen, sein Gesicht, seine Art... er war immer fröhlich... und jetzt scheint er überhaupt keine Gefühle mehr zu haben. Ich glaube..." Sam musste schlucken, "ich glaube, ich würde ihm zutrauen, dass er ernst meint, was er mir gesagt hat." Amy band schweigend den zweiten Schnürsenkel zu und steckte ihr Handy in die Tasche. Sie war wirklich entschlossen, Sonic zu finden und ihn zur Rede zu stellen. "Wie willst du ihn finden?", fragte Sam. "Indem ich ihn suche. Und wenn es den ganzen Tag dauert." Kapitel 5: Das Gespräch mit Amy ------------------------------- Die Werkstatt war nicht groß, sie wurde von dem Auto, das in der Mitte stand, fast völlig zugestellt, sodass für die beiden Mechaniker kaum noch Platz blieb. Tails war der eine, und der andere war Rotor, ein Walross. Er hatte vor zwei Jahren zugestimmt, Tails als Azubi anzunehmen, und er bezahlte Tails zwar nicht gerade üppig, aber sie waren für jeden Cent dankbar. Rotor legte das Werkzeug weg (Sonic hatte keine Ahnung, was Rotor gerade damit getan hatte) und stand auf. "Du bist zu früh", sagte er. Er hatte eine recht tiefe Stimme, war aber ein sehr umgänglicher Zeitgenosse, und Sonic und Tails mochten ihn. "Ich weiß", antwortete Sonic. "Aber ich bin nicht hier, um dir deinen Schüler wegzunehmen. Ich muss nur kurz mit ihm reden." "Worum geht's denn?", fragte Tails, der inzwischen unter dem Auto hervorgekrochen war. "Ich habe gerade eben mit Espio gesprochen", antwortete Sonic. "Es ist, wie ich dachte." Tails senkte den Blick. "Das wird dich sicher freuen, oder?" Sonic seufzte. "Ich weiß es nicht", antwortete er. "Espio weiß noch nicht, wer es war, und solange ich das nicht weiß... bringt uns das nicht weiter. Halt die Augen offen." Tails nickte und ging zurück zum Auto. Rotor hatte völlig verdattert daneben gestanden. "Worüber habt ihr geredet?", fragte er Sonic leise. Sonic schweig. "Das geht dich nichts an", sagte er schließlich. "Komm mit", sagte Rotor leise und zog Sonic in eine Ecke. Dort baute er sich vor Sonic in seiner ganzen Größe auf, sodass er ihn um fast zwei Köpfe überragte. "Wenn du mich schon bittest, dir einen guten Detektiv zu empfehlen, und wenn dieser Detektiv dann Erfolg hat, meinst du nicht, dass ich Anspruch darauf hätte, zu erfahren, womit du ihn beauftragt hast?" Sonic wandte den Blick ab. "Du weißt nicht, worum du mich bittest", sagte er langsam. "Bitte zwing mich nicht, davon zu sprechen." Rotor schüttelte den Kopf. "Ich weiß nicht, worum ich bitte", antwortete er, "weil du mir nie davon erzählt hast. Es mag etwas Schreckliches sein, aber über solche Sachen sollte man reden. Sonst verfolgen sie dich dein ganzes Leben lang." "Nein", knurrte Sonic. Dann sah er Rotor in die Augen. "Vielleicht hast du Recht, und ich sollte mit jemandem darüber reden. Aber noch nicht. Ich...", er senkte den Blick, um die Tränen zu verbergen, die ihm beim Gedanken an den Tag von vor zwei Jahren kamen, "ich bin noch nicht bereit dazu." Rotor wandte sich ab. "Pass auf, dass du nicht an dem Erlebnis zerbrichst", sagte er noch leise, bevor er zur Reparatur des Autos zurückkehrte. Ärgerlich ballte Sonic die linke Hand noch stärker zur Faust als bisher. Rotor hatte ja keine Ahnung, was er erlebt hatte. Rotor wusste nicht, was er verloren hatte. Aber er hatte Recht. Er hatte ihm geholfen, indem er ihm Espio empfohlen hatte. Es ging ihn nichts an. Das Erlebnis ging niemanden etwas an. Auch Rotor nicht, der doch einer seiner wenigen Freunde war. Er ging zu Tails' Jacke und steckte das Geld in die Innentasche, bevor er sich zum Gehen wandte. "In einer Stunde bin ich wieder da", sagte er an Tails gewandt, bevor er durch die Einfahrt verschwand. Amy seufzte und leckte an ihrem Eishörnchen. Selbst ihre Lieblingseissorte konnte sie nicht von den Gedanken an Sonic ablenken. Seit über einer halben Stunde war sie jetzt unterwegs, und obwohl sie eigentlich nicht erwartet hatte, ihn so schnell zu finden, war sie doch enttäuscht, dass sie noch keine Anzeichen von Sonics Anwesenheit gefunden hatte. Sie war zwar immer noch entschlossen, notfalls den Rest des Tages und die restlichen Tage der Ferien mit ihrer Suche zu verbringen, aber sie hätte sich schon einen Beweis dafür gewünscht, dass ihre Suche nicht vergeblich war, sondern vielleicht in absehbarer Zeit von Erfolg gekrönt sein würde. Sonic ging ziellos durch die Fußgängerzone. Mit seinen Gedanken war er bei Tails. Er war nicht überrascht, dass Tails auf die Nachricht von Espios Teilerfolg so teilnahmslos reagiert hatte. Tails war immer noch der kleine Fuchs, der er schon vor zwei Jahren gewesen war. Immer noch war er klug und geschickt - zwei Vorzüge, die für Rotor ausschlaggebend gewesen waren - , aber er war noch schüchterner und ängstlicher geworden, als er es früher gewesen war. Sonic musste im Stillen lächeln, wenn er an die Zeit dachte, als alles noch normal gewesen war. Tails war immer gemieden worden, zum einen wegen seiner zwei Schwänze, die seine Mitschüler sich nicht hatten erklären können, und zum anderen wegen seiner außergewöhnlichen Leistungen in der Schule. Obwohl Tails drei Klassen übersprungen hatte, war er immer unter den besten Schülern der Klasse gewesen. Das hatte ihm schnell den Ruf eines langweiligen Strebers eingebracht, und außer Sonic und Sam hatte er keine Freunde gehabt. Er war immer sehr schüchtern gewesen, doch nun - und hier verdüsterte sich Sonics Stimmung - hatte Tails zu niemandem mehr Kontakt. Die einzigen, mit denen er sprach, waren Sonic und Rotor, und selbst in diesen Gesprächen sagte Tails nie viel. Tails nahm sich anscheinend das, was am Abend vor zwei Jahren passiert war, noch mehr zu Herzen als er selbst. Sonic fühlte erneut eine Welle von Hass, wie damals am Abend, für einen Unbekannten. Für den, der hinter diesen Anschlägen steckte. Wenn er ihn fand, schwor er sich im Stillen, würde er bezahlen, für das, was er ihm und Tails angetan hatte. Mit diesem Gedanken ging er weiter durch die Fußgängerzone, die nun, am frühen Abend, bei weitem nicht mehr so voll war wie am Nachmittag. Amy ging weiter und sah sich um. Immer noch suchte sie nach Sonic und hielt die Augen offen, um ihn möglichst früh zu entdecken. Aber ihre Suche war bis jetzt nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Allmählich verlor sie die Lust. Es war schon später Abend. Ihre Eltern mussten jeden Moment nach Hause kommen. Und Sonic hatte sie auch noch nicht gefunden. Aus dem Augenwinkel sah sie einen blauen Igel, der anscheinend ohne Ziel durch die Fußgängerzone schlenderte. Er blieb hin und wieder vor Schaufenstern stehen, wandte sich aber immer schnell wieder ab und ging weiter. Irgendetwas an diesem Igel zog sie an. Sie ging auf ihn zu. Der Igel stand mit dem Gesicht von ihr abgewandt zum Schaufenster hin, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Sie beschleunigte ihre Schritte, doch da wandte der Igel den Kopf und sah sie direkt an. Amy zuckte zusammen und blieb stehen. Es war wirklich Sonic. Ihr Gefühl hatte sie also nicht getäuscht. Und doch traf sie diese Erkenntnis wie ein Schlag. Sam hatte zwar behauptet, Sonic habe sich sehr verändert, aber auf diese Augen war sie nicht vorbereitet. Sie waren noch kälter und härter, als Sam ihr berichtet hatte. Nicht eine Gefühlsregung war zu erkennen. Sie nahm allen Mut zusammen und sprach ihn an. "Sonic...?" Er nickte knapp und wollte weitergehen. Aber Amy ging schnell zu ihm und hielt ihn am Arm fest. "Warte", bat sie. "Ich will mit dir reden." Wortlos befreite Sonic seinen Arm mit einem kräftigen Ruck und wandte sich erneut ab. "Lass mich in Ruhe", sagte er noch. "Nein", antwortete Amy entschlossen. "Mich wirst du nicht so leicht los wie Sam." Sonic seufzte. "Ich hätte wissen müssen, dass er sofort zu dir laufen und dir erzählen würde, dass er mich gesehen hat." Amy sah ihn an, sah direkt in seine Augen, obwohl es ihr schwer fiel. "Darum geht es jetzt nicht", sagte sie. "Warum willst du mit uns nichts mehr zu tun haben?" "Ich wüsste nicht, dass ich euch Rechenschaft schuldig wäre", antwortete Sonic kalt. "Wenn ich glauben würde, dass es euch etwas anginge, hätte ich längst mit euch geredet." "Und warum geht es uns nichts an?", bohrte Amy nach, obwohl es ihr bei dem Ton, den Sonic angeschlagen hatte, kalt über den Rücken lief. Sam hatte Recht gehabt. Sonic war nicht wiederzuerkennen. "Lasst mich einfach in Ruhe", meinte Sonic abweisend. "Das spart eure und meine Zeit." Amy holte aus und gab ihm eine Ohrfeige. Überrascht taumelte Sonic einen Schritt zurück und hielt sich die Wange. Er bemerkte, dass Amy weinte. Ihre Stimme war zwar noch ruhig, aber die Tränen liefen ihr übers Gesicht. "Warum tust du das?", fragte sie. "Du lässt zwei Jahre nichts von dir hören, sodass wir dich für tot halten, tauchst urplötzlich wieder auf, rettest Sam - und sagst uns anschließend, dass wir dich in Ruhe lassen sollen?" Amy fuhr sich mit dem Arm über die Augen. Bei ihren letzten Worten war schon hörbar gewesen, dass sie wütend war, und Amy musste schlucken, bevor sie weitersprach. "Ich hasse dich", brachte sie noch mühsam hervor, bevor sie sich umdrehte und weglief, weg von Sonic. Sie weinte. Weinte vor Wut und Trauer. Sam hatte sogar noch untertrieben. Sonic hatte es wirklich ernst gemeint. Sie verstand es zwar immer noch nicht, wusste aber jetzt, dass Sonic ihr nicht antworten würde. Und dabei liebte sie ihn... und trotzdem wollte er mit ihr nichts zu tun haben. Sie konnte es einfach nicht verstehen. Sonic stand noch dort, wo Amy ihm die Ohrfeige verpasst hatte. Immer noch hielt er sich die Wange und sah ihr nach. Amy hasste ihn. Sam hasste ihn wahrscheinlich auch. Bei Sam war ihm das egal. Aber bei Amy spürte er, dass es ihm nicht egal war. Aus irgendeinem Grund machte ihn der Gedanke an Amys letzte Worte traurig. Er bemerkte erst jetzt, dass er weinte. Alles verschwamm vor seinen Augen. Zornig wischte er sich übers Gesicht. Warum weinte er? Doch nicht wegen Amy, wegen ihrer letzten Worte... oder etwa doch? Kapitel 6: Sonic lebt --------------------- Dominik saß in der Eingangshalle des Krankenhauses und wartete auf den Arzt, der ihm sagen würde, wie es um seine Freunde stand. Dieser seltsame Igel hatte sie zusammengeschlagen, ihn aber verschont. Die ganze Zeit fragte er sich, warum. Er hatte, ohne mit der Wimper zu zucken, seine Freunde krankenhausreif geschlagen. Warum hatte er sich nicht auch noch um ihn gekümmert? "Dominik?" Die Stimme des Arztes riss ihn aus seinen Gedanken. Er hob den Kopf. "Was ist?" "Deine Freunde werden durchkommen", sagte der Arzt. "Sie werden zwar ein paar Tage oder Wochen hier bleiben müssen, aber bleibende Schäden wird keiner von ihnen davontragen." Dominik nickte nur. Dann senkte er wieder den Kopf. "Warst du schon bei der Polizei?", fragte der Arzt. Dominik schüttelte den Kopf. "Nein", murmelte er. "Und ich werde auch nicht gehen." "Warum denn nicht?", fragte der Arzt. Er klang besorgt. "Der, der ihnen das angetan hat", murmelte Dominik, "hat gesagt, wenn ich zur Polizei gehe, bringt er mich um." Der Arzt lächelte aufmunternd. "Das war eine leere Drohung." Überrascht hob Dominik den Kopf und sah ihn verwundert an. "Wenn er dich wirklich umbringen wollen würde, dann hätte er es längst getan und dich nicht einen Krankenwagen holen lassen, wo er doch damit rechnen muss, dass du Polizisten über den Weg läufst." Das klang einleuchtend. Dominik stand auf. "Sie haben Recht", sagte er leise. Er drehte den Kopf zur Tür. "Ich sollte wohl gehen." "Nicht nötig", meinte der Arzt. "Ich habe die Polizei schon angerufen. Ein Agent ist bereits unterwegs. Am besten wartest du solange hier." Dominik nickte und setzte sich wieder hin. "Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest", meinte der Arzt, "ich habe noch zu tun." Damit entfernte er sich wieder. Mission 583/234, Phase 1 (Beruhigung des Zeugen im Fall Einstiche durch Igelstacheln) abgeschlossen. Phase 2 (Übergabe an die Einheit E-53, Agent der örtlichen Polizei) eingeleitet. Übermittlung der bisherigen Kenntnisse über Frequenz 102.4 beginnt. Der Polizeiwagen hielt vor dem Krankenhaus und ein Polizist stieg aus. Übermittlung der Daten abgeschlossen. An Einheit E-43, Arzt im Krankenhaus, bestätigt. Einheit E-53 übernimmt die Mission. Weiteres Vorgehen gemäß Protokoll 312/5. Phase 3 (Sammlung genauer Daten und Protokollierung des Geschehens) eingeleitet. Der Polizist ging auf den Eingang und suchte in der Eingangshalle nach dem Jungen. Er saß auf der Bank neben den Getränkeautomaten. Er ging auf ihn zu und räusperte sich. "Du bist Dominik, nehme ich an. Ich bin Agent Bauer." Der Junge nickte schüchtern. "Und Sie sind hier, um mich zu befragen", sagte er. Der Polizist nickte. "Wir müssen wissen, was passiert ist. Ich werde uns einen ruhigen Raum geben lassen." "Tun Sie das", murmelte der Junge. "Ich warte solange hier." Sie saßen in einem leeren Krankenzimmer. Agent Bauer hatte Stift und Papier bereit, räusperte sich noch einmal und fragte: "Was ist denn genau passiert?" "Heute Nachmittag", begann Dominik, "es war etwa zehn vor fünf, waren ich und meine Freunde in der Stadt." "Warum?", unterbrach Bauer. "Es war ein warmer Tag, da bleibt man nicht zu Hause", antwortete Dominik, bevor er fortfuhr: "Wir trafen einen Igeljungen, der Streit mit dem kleinen Bruder eines meiner Freunde hat. Mein Freund fragte ihn, was genau denn los sei, aber er sagte nichts, sondern provozierte uns. Gerade als es zu einer Schlägerei zu kommen drohte, tauchte ein zweiter Igel auf." "Wie sahen die beiden Igel aus?", fragte Bauer. "Der, mit dem wir zuerst Streit hatten, heißt Sam", sagte Dominik, "genaueres, wie Adresse und Foto, müssten Sie über meine Freunde erhalten, sobald sie wieder aufgewacht sind. Der andere wurde von Sam als ,Sonic' angeredet. Seine Stacheln waren blau, seine Augen grün, ich schätze ihn auf etwa einen Meter vierzig." Bauer notierte alles. "Und ,Sonic' hat dann deine Freunde fertiggemacht?", fragte er. Dominik nickte. "Er war blitzschnell", sagte er noch. "Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so schnell war. Er war mit ihnen fertig, bevor sie überhaupt wussten, was mit ihnen passierte." Bauer runzelte die Stirn. "Bist du dir sicher? War er wirklich so schnell?" "Wenn ich's doch sage", gab der Junge zurück. "Wo ist er jetzt?", fragte der Agent. "Das weiß ich nicht", antwortete Dominik. "Er und Sam sind nach dem Kampf gegangen, wohin, weiß ich nicht." Phase 3 abgeschlossen. Übertragung der gesammelten Daten läuft. Bestätigung abwarten. Scheinbar spielerisch zog der Agent seine Waffe und den Schalldämpfer. "Und Sonic hat dich bedroht?", fragte er. "Ja", sagte Dominik. "Er sagte... wenn ich zur Polizei gehen und dort eine Beschreibung oder seinen Namen geben würde, dann würde er mich umbringen." Daten erfolgreich übertragen und bestätigt. Phase 4 (Beseitigung des Zeugen) eingeleitet. "Das wird er nicht tun", beruhigte Bauer den Jungen. "Du hast von ihm nichts zu befürchten, dafür garantiere ich." Wie beiläufig drehte er den Schalldämpfer auf die Mündung der Waffe. Dominik atmete tief durch. "Dann... kann ich jetzt gehen?", fragte er und wandte sich zur Tür. Der Agent richtete die Waffe auf Dominik und drückte ab. Phase 4 abgeschlossen. Zeuge beseitigt. Verbleibende Zeugen sowie Spurenbeseitigung fallen unter die Zuständigkeit von E-43. Vollständiger Missionsbericht zu Mission 583/234 wird übertragen. Robotnik betrat seine Villa und seufzte. Die Robotnik GmbH war eine der größten Firmen der Welt. Sie war auf Computer- und Robotertechnik spezialisiert und in diesen Gebieten weltweit führend. Es war eine harte Arbeit, die Firma zu führen. Erst heute hatte er für seine Firma einen weiteren Großauftrag an Land gezogen, aber trotzdem fühlte er sich abgearbeitet. Er brauchte Urlaub. "Hatten Sie einen schönen Tag?", fragte seine elektronische Haushaltshilfe. Robotnik musste grinsen. Die elektronische Haushaltshilfe, die er Mina nannte, war doch bis heute seine genialste Erfindung gewesen. Sie nahm ihm sämtliche Hausarbeit ab, ohne auch nur einen Cent Bezahlung zu verlangen. Außerdem überwachte sie für ihn sein Postfach und sortierte Werbemails schon aus, bevor er überhaupt dazu kam, sie zu lesen. "Es ging", antwortete er. "Vierzehn Stunden sind doch recht lang, außerdem bin ich urlaubsreif." "Vierzehn Stunden sind das normale Arbeitspensum", kommentierte Mina. "Ich weiß gar nicht, was Sie haben, ich arbeite oftmals achtzehn Stunden hier." "Du bist ja auch kein Mensch und brauchst keinen Schlaf", meinte Robotnik. "Bevor Sie schlafen gehen, sollten Sie sich das hier noch ansehen", sagte Mina. "Es kam gerade eben an." "Soll ich um zehn Uhr abends etwa noch geschäftliche Papiere durchgehen?", fragte Robotnik. "Ich glaube, es hat nichts mit Ihrer Firma zu tun", beruhigte Mina ihn. "Na schön", seufzte Robotnik. "Schick es auf den Computer im Schlafzimmer." Robotnik öffnete die Datei und begann zu lesen. "Mission 583/234, Bericht von E-53. E-43 hatte heute einen Patienten mit schweren Verletzungen durch Igelstacheln. Ein Freund des Patienten beschrieb den Täter als ,blau, grüne Augen, Igel, etwa 1,40 m groß' und nannte den Namen ,Sonic'." Sonic... Sonic... irgendwo hatte er den Namen Sonic schon einmal gehört. Er öffnete ein Suchprogramm und gab den Namen ein. Er brauchte nicht lange zu warten, bis der Computer fündig wurde. "Sonic. Name des Sohns der ehemaligen Mitarbeiter Sonia und Manic, die vor zwei Jahren im Zuge des Plans 983/351 liquidiert wurden. Kennzeichen: sehr schnell. Starb bei der Aktion." Sonic war tot... das konnte nicht stimmen, wenn er heute einen Jungen krankenhausreif geschlagen hatte. Sonic war also noch am Leben. Die Aktion damals hatte also noch einen Überlebenden gehabt... die Aktion, die er hatte geheim halten wollen. Er entschloss sich, erst den Bericht zu lesen und dann zu entscheiden, wie er dieser Bedrohung begegnen würde. "Die Vernehmung des Zeugen ergab, dass ,Sonic' heute gegen 16.50 den Zeugen und seine Gruppe tätlich angriff und alle bis auf den Zeugen so schwer verletzte, dass sie ins örtliche Krankenhaus gebracht werden mussten. Der Zeuge war sich sicher, gesehen zu haben, wie sich ,Sonic' mit immenser Geschwindigkeit beim Kampf bewegte." Gut, das war der Beweis, dass Sonic doch noch lebte. Robotnik fragte sich zwar, wie es passiert war, dass die Aktion vor zwei Jahren so sehr ins Leere hatte laufen können, dass es gleich zwei Überlebende gegeben hatte, aber darüber konnte er sich später immer noch den Kopf zerbrechen. "Der Zeuge wurde von E-53 gemäß Protokoll 312/5 vernommen und beseitigt. Die Beseitigung der Spuren und der derzeit noch verletzten Zeugen fällt in den Zuständigkeitsbereich von E-43. Überprüfung des Namens ,Sonic' in Zusammenhang mit Plan 983/351 wird dringend empfohlen." Robotnik nickte zustimmend. Es war wirklich nötig, Sonic zu beseitigen. Er konnte seinen ganzen Plan gefährden. Wie kriegte er Sonic am besten dran? Er gab in das Suchprogramm zusätzlich noch "Freund" ein. Wenn er Sonic gefangen nehmen wollte, fing er am besten bei den Wesen an, die Sonic etwas bedeuteten. Also musste er etwas über seine alten Freunde herausfinden: wer sie waren und wo sie wohnten. Das Programm zeigte drei Treffer an. "Miles Prower, genannt Tails. Engster Freund von Sonic. Drei Jahre jünger, hat drei Klassen übersprungen. Sehr intelligent, hochbegabt. Starb im Zuge des Plans 983/351. Amy Rose. War verliebt in Sonic, bevor er starb. Keine besonderen Merkmale. Sam Speed. Guter Freund von Sonic, bevor er starb. Keine besonderen Merkmale." Also musste er mit Amy und Sam anfangen. Er gab ihre Namen in ein anderes Programm ein, das sich in die Datenbank des Einwohnermeldeamtes einklinken und die Adressen finden würde. Wenn er erst wusste, wo sie wohnten, würde er sie gefangen nehmen lassen und danach ihre Häuser zerstören, wie er es mit den Häusern von Sonics und Tails' Familien getan hatte. Die übrigen Familienmitglieder würden bei diesem angeblichen Unfall natürlich sterben. Er grinste in sich hinein. Der Plan war idiotensicher. Als er aufstand, hatte er die Adressen und Bilder der Zielpersonen bereits an einige Roboter übertragen. Das erste, was er am nächsten Morgen tun sollte, dachte er, war, die Einträge, die Sonic betrafen, zu ändern. Er war nicht tot. Noch nicht. Kapitel 7: Die nächsten Schritte -------------------------------- Es war Nacht geworden über Station Square. Der Vollmond schien über der Metropole und ihren Vorstädten und beleuchtete alles mit seinem silbrigen Licht. Auch den Igeljungen, der auf der Böschung neben einer Brücke saß und geistesabwesend zu ihm hinaufblickte. Sonic konnte nicht schlafen. Er hatte es versucht, hatte sich unter der Brücke zum Schlafen hingelegt, wie er es seit zwei Jahren jede Nacht getan hatte. Aber sobald er die Augen geschlossen hatte, war vor ihm Amy wieder aufgetaucht, mit Tränen in den Augen, und hatte ihm gesagt, dass sie ihn hasste. Jedes Mal, wenn er zu schlafen versucht hatte, war die Szene vor seinem inneren Auge wieder aufgetaucht, und er hatte wieder den Schmerz gefühlt, der über die Ohrfeige von Amy weit hinausging. Deshalb hatte er schließlich aufgegeben, schlafen zu wollen, saß jetzt neben der großen Autobahnbrücke und sah zum Mond hinauf. Aber es half nichts. Immer noch dachte er an Amy, an das, was sie zu ihm gesagt hatte, fragte sich, was sie gerade tat, ob es ihr genauso ging wie ihm - aber schlafen konnte er nicht. In einer der vielen Vorstädte von Station Square stand ein junges Igelmädchen am Fenster ihres Zimmers und sah zum Mond hinauf. Amy konnte nicht schlafen. Sie hatte es versucht, sie war wirklich müde gewesen und hatte gedacht, es würde nicht lange dauern, bis sie einschlief. Aber sobald sie die Augen geschlossen hatte, war vor ihr Sonic wieder aufgetaucht, mit diesen kalten Augen, die einfach nicht zu ihm passen wollten, die sie von früher nicht kannte, die ihr immer noch Angst einjagten, und hatte ihr gesagt, dass er nichts mit ihr zu tun haben wolle. Jedes Mal, wenn sie zu schlafen versucht hatte, war die Szene vor ihrem inneren Auge wieder aufgetaucht, und sie hatte wieder die Trauer gespürt, die sie empfunden hatte, als sie von Sonic weggelaufen war. Deshalb hatte sie schließlich aufgegeben, schlafen zu wollen, stand jetzt an ihrem Fenster und sah zum Mond hinauf. Aber es half nichts. Immer noch dachte sie an Sonic, an das, was er zu ihr gesagt hatte, fragte sich, was er gerade tat, ob es ihm genau so ging wie ihr - aber schlafen konnte sie nicht. In einem anderen Haus der selben Vorstadt lag ein Igeljunge auf seinem Bett und dachte nach. Sam konnte nicht schlafen. Er hatte es versucht, aber sobald er die Augen geschlossen hatte, hatte er erneut mit ansehen müssen, wie Sonic ihn vor den Jugendlichen "gerettet" hatte. Jedes Mal, wenn er zu schlafen versucht hatte, war die Szene vor seinem inneren Auge aufgetaucht, und er hatte erneut Ekel vor Sonics Verhalten, vor seiner Rücksichtslosigkeit und Brutalität gespürt. Deswegen hatte er schließlich aufgegeben, schlafen zu wollen, und dachte nach. Warum hatte Sonic sich so sehr verändert? Er hatte ihm gesagt, dass die Explosionen, die die Häuser von ihm und Tails damals zerstört hatten, keine Unfälle gewesen waren, aber... konnte eine Vermutung, die sich erst vor kurzem als wahr herausgestellt hatte, jemanden so sehr verändern? Sam schüttelte für sich den Kopf. Nein. Das konnte er nicht glauben. Es klingelte an der Tür. Sam brauchte einen Moment, um es zu bemerken. Vorsichtshalber warf er einen Blick auf seinen Wecker. Es war halb eins . Wer klingelte nachts um halb eins bei gewöhnlichen Leuten an der Tür? Er hörte Schritte, zunächst aus dem Schlafzimmer seiner Eltern, auf der Treppe ins Erdgeschoss, dann im Flur, und schließlich hörte er, wie jemand die Haustür öffnete. Es gab ein kurzes Gespräch, von dem Sam nichts verstehen konnte, dann hörte er wieder Schritte, die die Treppe heraufkamen, und dann öffnete seine Mutter leise seine Zimmertür und schaute herein. "Sam?", flüsterte sie. "Bist du noch wach?" "Ja", sagte er ebenso leise. "Komm bitte runter", bat seine Mutter. "Hier ist jemand, der mit dir sprechen möchte." Damit schloss sie die Tür wieder und ging zurück ins Erdgeschoss. Sam stand langsam auf und überlegte. Wer konnte nachts um halb eins mit ihm sprechen wollen? Sonic wusste nicht, wie lange er schon da saß, und im Grunde war es ihm auch egal. Immer noch blickte er zum Mond hinauf und dachte an Amy. Er war so völlig in seine Gedanken versunken, dass er nicht bemerkte, wie Tails zu ihm kam und sich neben ihn setzte. Tails betrachtete Sonic einige Minuten lang. Er konnte an seinen Augen klar erkennen, dass sein Freund mit seinen Gedanken ganz woanders war. Aber das passte nicht zu ihm. Sonic konzentrierte sich immer nur auf das, was gerade vor ihm lag. Er mochte zwar manchmal über verschiedene Sachen nachdenken, aber er blieb immer bei der Sache. Doch im Moment beachtete er gar nicht, was um ihn herum vorging. "Sonic?", fragte Tails leise. Keine Reaktion. Sonic blickte immer noch zum Himmel, zum Mond, der rund und voll über der Skyline der Stadt schwebte, und ließ nicht im geringsten erkennen, dass er Tails wahrgenommen hatte. Tails rückte näher an Sonic heran und wedelte mit der Hand vor dessen Augen herum. Das brachte Sonic in die Realität zurück. Er blinzelte ein paar Mal, wie jemand, der aus einem Tagtraum erwacht, und sah Tails an, sagte aber nichts. Besorgt erwiderte der kleine Fuchs diesen Blick. "Was ist los?", fragte er seinen Freund. "Du bist doch sonst nicht so." "Was meinst du?", fragte Sonic, als könne er sich keinen Reim darauf machen, was Tails meinte. "Warum sitzt du hier herum und siehst den Mond an, und wie kommt es, dass du alles um dich herum nicht wahrnimmst?", fragte Tails. "Das passt nicht zu dir." "Wie lange sitzt du denn schon hier?", fragte Sonic verwirrt. Tails antwortete nicht, sondern rückte noch dichter an Sonic heran. Dass Sonics Stacheln sich in seinem Fell verfingen und stellenweise in seine Haut stachen, ignorierte er. Dann schließlich antwortete er. "Einige Minuten." Er drehte den Kopf, bis er Sonic in die Augen sehen konnte. "Was ist los mit dir? Woran denkst du?" Sonic wandte den Blick ab und seufzte. Mehrere Minuten lang sagte er gar nichts. "Ich habe heute in der Stadt Sam getroffen", begann er schließlich zögerlich, "und... auch Amy." Dann schwieg er wieder. Tails wartete. "Und weiter?", fragte er schließlich. Sonic seufzte erneut. "Das verstehst du noch nicht", sagte er endlich. "Du bist noch zu jung dafür." Tails nickte langsam. "Ich verstehe mehr, als du ahnst", sagte er leise. Beide schwiegen einen Moment, bevor Tails weitersprach. "Du denkst an Amy, richtig?" Überrascht drehte Sonic den Kopf und sah seinen Freund an. "Woher...?" Tails lächelte traurig. "Ich weiß, was du für sie empfindest", sagte er. "Du warst schon vor zwei Jahren in sie verliebt, nicht wahr?" Sonic schüttelte den Kopf. "Damals... habe ich sie nicht gut gekannt. Auf Sams Party habe ich das erste Mal wirklich mit ihr gesprochen. Und in den letzten zwei Jahren habe ich sie nicht gesehen. Aber..." Er senkte den Blick, und seine Augen füllten sich mit Tränen, "ich glaube, ich bin es jetzt." "Dann sehe ich nur eine Lösung", meinte Tails. "Geh zu ihr und sag ihr die Wahrheit." "Das kann ich nicht", flüsterte Sonic. "Ich weiß, und du weißt es auch, dass jemand hinter uns her ist. Ich... ich will nicht, dass sie da mit hineingezogen wird." "Warum hast du dich dann überhaupt mit ihr getroffen?", fragte Tails. "Das habe ich nicht", antwortete Sonic leise. "Sie hat mich einfach angesprochen." Tails schwieg kurz. "Sonic", sagte er dann, "wenn du sie liebst, hat es keinen Sinn, dass du hier herumsitzt und nur an sie denkst. Du musst mit ihr reden. Du musst es ihr sagen." Sonic sagte nichts. Wie hätte er Tails auch erklären sollen, dass er es gewesen war, der gesagt hatte, dass er nichts mit ihr zu tun haben wolle? Wie hätte er ihm erklären sollen, dass Amy ihn hasste, und es daher zwecklos war, auf sie zuzugehen und mit ihr zu reden? Tails seufzte. "Sonic", sagte er in einem bittenden Tonfall, "geh schon. Wenn du so sehr darunter leidest, wenn du wegen ihr nicht schlafen kannst, musst du gehen." Sonic schüttelte den Kopf. "Ich kann nicht", murmelte er. "Ich kann es nicht." "Doch, du kannst", sagte Tails ermutigend. Dann stand er auf und sah Sonic in die Augen. "Es wäre das erste Mal, dass du aufgibst. Fang nicht damit an. Hinschleifen kann ich dich nicht, also geh schon." Sonic sah Tails an. Weil der Fuchs etwas kleiner war als er selbst, war er - im Sitzen - auf Augenhöhe mit ihm. Er konnte klar sehen, dass es Tails wirklich wichtig war, dass er ging. Und er hatte Recht. Er hatte noch nie aufgegeben, und er durfte nicht damit anfangen. "Tails", sagte er leise, "willst du mitkommen?" Der Fuchs war überrascht. "Warum fragst du?" "Ich...", murmelte Sonic, "ich hätte dich gern dabei. Sonst... drehe ich noch auf halber Strecke um." Tails lächelte. Er freute sich wirklich. Es war das erste Mal, dass Sonic offen zugegeben hatte, dass er ihn brauchte. Zum ersten Mal hatte er von Sonic echte Wertschätzung erfahren. "Ich gehe mit dir", sagte er. "Wohin du willst." Sonic stand auf und umarmte den kleinen Fuchs. Tails konnte Tränen in Sonics Augen sehen. "Danke", flüsterte der Igel. Er war hörbar bewegt durch das Verhalten seines einzigen echten Freundes, und Tails erwiderte die Umarmung dankbar. Ihm fiel ein, dass Sonic Sound früher oft genauso umarmt hatte. Sam betrat das Esszimmer. Am Tisch saßen seine Mutter und - ein Polizist, der ihn erwartet zu haben schien. "Ich bin Agent Bauer", stellte er sich vor. "Du bist Sam, richtig?" Sam nickte wortlos. "Verstehe", meinte der Polizist und wandte sich Sams Mutter zu. "Bitte verzeihen Sie, aber ich brauche seine Aussage in einem Fall von gefährlicher Körperverletzung." Geschockt sah sie Sam an. "Wollen Sie damit sagen, er...?" "Nein, nein", beruhigte Bauer sie. "Er ist nur Zeuge." Sams Mutter atmete hörbar erleichtert auf. "Gut. Aber warum kommen Sie damit mitten in der Nacht?" Bauer lächelte beruhigend. "Sie wissen doch, wie das mit der Bürokratie ist. Ich habe den Befehl vor einer halben Stunde bekommen, und es steht mir nicht zu, seine Ausführung zu verschieben. Ich versichere Ihnen, dass ich ihn nach der Befragung sofort zurückbringen werde. Er wird nicht länger als ein bis zwei Stunden weg sein." "Sie wollen ihn mitnehmen?", fragte Sams Mutter verwundert. "Können sie ihn nicht hier befragen?" Bauer schüttelte den Kopf. "Vorschrift ist Vorschrift. Ich darf ihn nur auf dem Revier verhören, und laut meinem Befehl soll ich das so schnell wie möglich tun." Sam nickte wortlos. "Dann sollten wir wohl besser schnell fahren", meinte er. "Je früher wir fahren, desto früher sind wir fertig." Seine Mutter seufzte. "Es geht wohl nicht anders." Sie sah den Agenten an. "Sie tragen die Verantwortung, verstanden?" Bauer nickte. Dann ging er zur Tür hinaus in Richtung Auto, und Sam folgte ihm. Gefangennahme der Zielperson Sam Speed abgeschlossen. Gefangennahme der Zielperson Amy Rose eingeleitet. Übertragung des Signals an E-28 in fünf Minuten, Countdown läuft. Sonic hatte Tails auf den Rücken genommen, immer darauf bedacht, ihn mit seinen Stacheln nicht zu verletzen, und rannte über die ausgestorbenen Straßen in Richtung der Vorstadt, in der er früher gewohnt hatte, und in der Amy immer noch mit ihrer Familie wohnte. Tails musste sich gut festhalten. Wenn Sonic mit seiner vollen Geschwindigkeit gelaufen wäre, hätte der Laufwind Tails schon längst von seiner Schulter geblasen, doch auch so war er immer noch sehr stark. So bemerkte Tails nicht, was wirklich in Sonic vorging. Sonic war sich immer noch unsicher, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, zu Amy zu gehen. Immer noch hatte er Angst vor dem, was passieren könnte, wenn er vor Amy stehen würde, wenn er versuchen würde, ihr zu sagen, wie er sich fühlte. Wenn Tails nicht dabei gewesen wäre, wäre er schon umgekehrt, wie er es vermutet hatte. So aber zwang er sich, immer weiter zu laufen, obwohl er Angst hatte. Bauer fuhr durch die Straßen der Vorstadt. Sam saß still auf dem Rücksitz und war in Gedanken versunken. Er achtete nicht darauf, wohin sie fuhren. Der Agent erkannte, dass er mit ihm direkt zur Basis hätte fahren können, ohne dass der Gefangene - denn das war Sam, er hatte es nur noch nicht bemerkt - es mitbekommen hätte. Sam hatte nicht den geringsten Verdacht geschöpft, dass die nächtliche Spazierfahrt gar nichts mit dem Vorfall vom Nachmittag zu tun hatte. Er wusste nicht, dass er mit einem Roboter im Wagen saß, der für Robotnik, seinen Erbauer, verdeckt arbeitete und heimlich die Polizei ausspionierte. Bauer übermittelte eine kurze Nachricht an E-28 und E-19, die mit dem praktischen Teil - dem "Präparieren" der Häuser - betraut waren. Stellt die Bomben auf Fernzündung. Ich werde sie vom Auto aus zur Explosion bringen. Fast sofort empfing er die Bestätigung, und wenige Augenblicke später bog er in die Straße ein, in der die zweite Zielperson - Amy - wohnte. Er parkte vor ihrem Haus und stieg aus dem Wagen. "Warte im Wagen", sagte er zu Sam, schloss die Tür und ging durch den Vorgarten auf das Haus zu. Sonic bog in die Straße ein. Er kam aus der Richtung, aus der auch Bauer in die Straße eingebogen war, und sah, dass vor Amys Haus ein Polizeiauto, mit dem Heck in seine Richtung, stand und ein Mann in Uniform auf das Haus zuging. Sonic hielt an, setzte Tails ab und zog ihn mit sich in den Schatten an einer Häuserwand zwischen zwei Straßenlaternen, von wo aus er einen guten Blick auf das Haus hatte, sie aber fast vollständig in den Schatten verschwanden. Er sah, wie der Mann an der Tür klingelte, einige Minuten warten musste, bis ihm jemand öffnete, und ein paar Worte mit jemandem wechselte, der aus der Ferne Amys Mutter zu sein schien. Einen Moment später erschien auch Amy an der Tür und folgte dem Polizisten ins Auto, was einen Moment später losfuhr. Die Tür des Hauses wurde wieder geschlossen, und als das Motorengeräusch verschwunden war, ging Tails aus dem Schatten heraus in Richtung des Hauses. Er sagte: "Es dürfte das beste sein, ihre Rückkehr hier abzuwarten. Der Polizist wird sie bald wieder hier absetzen." Sonic schüttelte den Kopf. "Irgendwas kommt mir hier komisch vor", sagte er leise. "Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache, Tails. Am liebsten würde ich ihnen folgen." Tails griff beruhigend nach Sonics Hand. "Das bildest du dir nur ein. Was soll denn schon passieren?" Bauer fuhr mit den beiden jungen Igeln in Richtung der Autobahn. Er sah, dass beide nicht besonders aufmerksam waren, aber er wusste, das konnte sich schnell ändern. Also musste er schnell handeln. Er betätigte am Armaturenbrett einen Schalter. Mit einem leisen Klack verriegelten sich die Türen. Bei diesem Geräusch schreckte Amy hoch und sah sich um, aber sie bemerkte nicht, dass die Türen verschlossen waren, und Sam hatte wohl überhaupt nichts gemerkt. Er warf einen Blick auf die Uhr. Fünf Minuten seit Abfahrt... das war lang genug. Er betätigte einen zweiten Schalter am Armaturenbrett. Sonic seufzte. "Ich weiß es nicht. Deswegen mache ich mir ja solche Sorgen." Tails lächelte aufmunternd. "Kein Grund zur Sorge. Ich bin sicher, hier passiert -" "Nichts" hatte er sagen wollen. Doch in genau diesem Moment setzte ein dumpfes Grollen ein, was ihn sofort verstummen ließ. Es dauerte nicht einmal eine halbe Sekunde, aber er und Sonic erkannten es sofort. Die Druckwelle der Explosion fegte durch die Straße, und sie konnten sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Für einen kurzen Moment wurde die Nacht zum Tag, als eine versteckte Bombe im Haus von Amy hochging und es zerstörte. Wie erstarrt stand Sonic da. Davor also hatte ihn sein Gefühl gewarnt. Er hatte gerade zum dritten Mal erlebt, dass ein Haus grundlos durch eine Explosion zerstört wurde. Und erneut traf es jemanden, der ihm wichtig war. Der Hass, den er vor zwei Jahren schon einmal gefühlt hatte, erwachte erneut in ihm, und er war noch viel stärker. Schon wieder hatte diese mysteriöse Person - denn er konnte nicht glauben, dass die Explosion Zufall gewesen war - zugeschlagen, und erneut fragte er sich, wer so etwas tun konnte, und vor allem, warum. Er sah sich nach Tails um. Der saß neben ihm auf der Erde, total verängstigt, und zitterte am ganzen Körper. Sonic bewegte seine Hand vor dem Gesicht seines Freundes, doch Tails reagierte nicht. Er nahm gar nichts wahr. Schnell zog Sonic ihn zurück in den Schatten, aus dem sie sich glücklicherweise nicht allzu weit entfernt hatten. Er wusste, gleich würde die Polizei, die Spurensicherung und unzählige Schaulustige auftauchen. Sie hatten Glück, dass es Nacht war und die meisten Leute sich erst noch klar werden mussten, ob das Traum oder Wirklichkeit war, aber trotzdem mussten sie schnell verschwinden. Er gab Tails eine Ohrfeige. Das brachte den kleinen Fuchs in die Wirklichkeit zurück. Er blinzelte ein paar Mal und sah Sonic vorwurfsvoll an. Aber Sonic bedeutete ihm wortlos, wieder auf seinen Rücken zu klettern. Er wollte nur weg. Etwas zischte Zentimeter an seinem Kopf vorbei und bohrte sich neben ihm in die Wand. Überrascht griff er danach. Es war ein kleiner Metallpfeil, und an ihm war ein Zettel befestigt, auf dem stand: Komm ins oberste Stockwerk der Robotnik GmbH, wenn du deine Freunde lebend wiedersehen willst. Er drehte den Zettel um. Kein Absender, kein Anzeichen, wer ihn geschrieben haben könnte. Er reichte Tails den Zettel, der ihn einmal durchlas und ihn dann zurückgab und fragte: "Wirst du gehen?" Sonic zerknüllte den Zettel in der Faust. "Habe ich eine Wahl?", flüsterte er. "Ich muss gehen." "Ich will mitkommen", bat Tails. "Ich will dich jetzt nicht allein lassen." Sonic nickte knapp, nahm Tails wiede auf den Rücken und lief los. Kapitel 8: Plan 983/351 ----------------------- Amy blickte von ihrem Sitz aus zurück. Die Explosionen, die sich kurz zuvor hinter ihnen ereignet hatte, klangen ihr noch in den Ohren. Hinter ihnen. Im Wohngebiet, in dem sie wohnte. Urplötzlich hatte sie Angst. War es Zufall gewesen, dass, keine zehn Minuten vor den Explosionen, dieser Polizist vor ihrer Tür gestanden hatte? Wenn es kein Zufall gewesen war - wo hatten sich diesen Explosionen dann ereignet? Doch nicht etwa - in ihrem Haus? Amy grinste, versuchte, dieses Gefühl zu vertreiben. Das konnte doch nicht sein. Warum sollte jemand ihre Familie umbringen und ihr Haus zerstören, sie selbst aber verschonen wollen? Das ergab doch keinen Sinn - außer... "Ich will hier raus", sagte sie, gerade laut genug, dass dieser Agent Bauer es hören musste. Der jedoch ignorierte sie und fuhr einfach weiter. Sam hingegen sah sie verwundert an. "Warum willst du plötzlich hier weg?", fragte er verwundert. Amy rückte so dicht an ihn ran, wie es ihr unter den Sicherheitsgurten möglich war, und beugte sich zu ihm hinüber. "Überleg doch mal", raunte sie leise, sodass Agent Bauer es wohl kaum würde hören können. "Zehn Minuten vor diesen Explosionen steht ein Polizist bei mir auf der Matte, bei dir ein paar Minuten vorher, und will uns aufs Revier mitnehmen. Kommt dir das nicht komisch vor?" "Ein bisschen schon", antwortete Sam ebenso leise. "Aber glaubst du wirklich, dass das kein Zufall, sondern geplant war? Warum sollte jemand so etwas tun?" "Das ist nicht die Frage", murmelte Amy Sam zu. "Die Frage ist: Wie kommen wir hier raus?" Sam blickte zur Tür auf seiner Seite. "Zieh einfach den Knopf hoch", meinte er, "und wenn wir das nächste Mal anhalten, machst du die Tür auf und springst raus." Damit rückte er zurück zu seiner Tür und zog am Türknopf, um die Tür zu entriegeln. Er bewegte sich keinen Zentimeter. Sam versuchte es noch einmal, wieder ohne Erfolg. Amy versuchte, ihre Tür zu entriegeln. Auch sie schaffte es nicht. Jetzt bekam auch Sam Angst, das konnte Amy sehen. Sie sah auch, wie sich auf seinem Gesicht langsam Panik breit machte. "Lassen Sie uns hier raus", flüsterte er. Die panische Angst in seiner Stimme war nicht zu überhören. Bauer ignorierte auch ihn und tat so, als hätte Sam nichts gesagt. Sam packte die Verzweiflung. Ohne groß zu überlegen, ballte er eine Hand zur Faust, schlug mit aller Kraft nach dem Nacken des Polizisten - und schrie auf. Amy hatte es laut knacken hören, und aus Sams Verhalten war erkennbar, dass er sich verletzt hatte. Hatte er sich etwa beim Schlag einen oder sogar mehrere Finger gebrochen? Wenn ja, mit was für einem Menschen saßen sie hier im Auto? War er am Ende gar kein Mensch? "Wir sind gleich da", verkündete Bauer. Entweder hatte er Sams Schlag gar nicht bemerkt oder er ignorierte ihn. Sonic und Tails standen vor dem Gebäude und sahen hinauf. Die Firmenzentrale der Robotnik GmbH stand im Büroviertel von Station Square, inmitten vieler anderer Hochhäuser. Inmitten der Masse der Hochhäuser fiel es nicht weiter auf. Es war - wie alle anderen - ein hässlicher Betonklotz, mit dem Unterschied, dass dieser Betonklotz die anderen um einige Stockwerke überragte. Sonic sah sich um. Neben dem Haupteingang konnte er keine weiteren Eingänge feststellen, nur einen Eingang zu einer Tiefgarage für die Angestellten, der aber durch ein Gitter verriegelt wurde. Das ganze Gebäude wirkte sehr kalt und abweisend. Tails griff nach seiner Hand. "Müssen wir da wirklich rein?", fragte er. Sonic nickte düster. "Wir müssen Sam und Amy retten", sagte er leise. "Ich habe Angst", murmelte Tails. Dann blickte er zu Sonic hinauf, der ihn um gut einen Kopf überragte. "Was wird passieren, wenn wir drin sind?" Sonic hob die Hand und strich Tails langsam über den Kopf. "Ganz ruhig. Wer immer sie entführt hat, er will sich mit uns treffen. Bis zu diesem Treffen wird uns nichts geschehen." Tails sah immer noch beunruhigt aus. Sonic versuchte zu lächeln. "Hab keine Angst. Ich bin doch bei dir." Der kleine Fuchs nickte, blieb aber still. Dann gingen sie auf den Haupteingang zu. Sonic drückte vorsichtig gegen die gläserne Tür - und stellte fest, dass sie nicht verschlossen war. Sie ließ sich ganz einfach öffnen. Er atmete noch einmal tief durch, bevor er das Gebäude betrat. Die Eingangshalle des Gebäudes war verlassen. Nicht einmal ein Nachtwächter hielt die Stellung, dafür hörten sie das leise, aber in der Stille deutlich vernehmbare Sirren von Überwachungskameras. "Wir sollen nach oben", meinte Sonic und steuerte den Fahrstuhl an. Tails trat aus der Fahrstuhlkabine und ging zur gegenüberliegenden Treppe. "Gleich sind wir oben", murmelte er, aber von Sonic kam keine Antwort. Irritiert drehte er sich um und sah, dass Sonic auf halber Strecke stehen geblieben war und auf eine Tür neben der Treppe blickte. Zutritt nur für autorisiertes Personal, stand an der Tür. Tails seufzte. "Da kommst du nicht rein", sagte er zu Sonic. "Da darf nur ,autorisiertes Personal' rein." "Und wie wird das geprüft?" fragte Sonic, ging ein paar Schritte näher heran. "Wahrscheinlich ist die Tür abgeschlossen", meinte Tails, und als wäre die Sache damit erledigt, setzte er den Fuß auf die unterste Stufe. Sonic legte die Hand auf die Klinke. "Warum willst du da überhaupt rein?", fragte Tails ungeduldig. "Wir sind doch hier, um Sam und Amy zu retten. Wir haben keine Zeit, uns um verschlossene Räume zu kümmern." "Ein Gefühl", antwortete Sonic leise. "Und dieses Gefühl sagt mir, dass wir uns diesen Raum unbedingt ansehen müssen." Dann drückte er die Klinke herunter und öffnete die Tür. Sie war nicht verschlossen. Jetzt wurde Tails doch neugierig. "Ein ,Gefühl'?", fragte er verwundert und schüttelte den Kopf. "Ich hoffe nur, dass dein Gefühl Recht hat", sagte er zweifelnd, "und dass wir hier auch etwas finden." Sonic antwortete nicht, sondern drückte die Tür ganz auf und betrat den Raum. Es war ein kleiner, offensichtlich länger nicht benutzter Raum. Die Wände waren fensterlos und weiß verputzt, und im Raum standen zwei Tische. Auf dem einen, der an der linken Wand stand, befanden sich ein Computer samt Monitor. Auf dem anderen, der am anderen Ende des Raums stand, lag unter einer Glasglocke in einer Fassung ein dunkelroter Kristall. Oben hatte er eine achteckige Fläche, von deren Ecken acht gerade Kanten sich eine kurze Strecke nach unten verbreiterten und dort abknickten, sodass sie unten spitz zuliefen und ihre Knickstellen ein Achteck bildeten. Als Sonic näher hintrat, konnte er unten keine Spitze erkennen. Es war fast, als liefen die Linien des Kristalls in die Unendlichkeit. Es war nicht möglich, zu sagen, wo die Kanten des Kristalls endgültig zusammenliefen. "Was ist das für ein Kristall?", fragte Sonic leise. "Es ist kein normaler Kristall", murmelte Tails, "sonst wäre dieser Raum nicht ,nur für autorisiertes Personal', aber er kann nicht besonders nützlich sein, sonst wäre der Raum abgeschlossen gewesen." Kurz entschlossen schaltete er den Computer ein. "Wenn wir etwas über den Kristall herausfinden können, dann hier", sagte er, als er Sonics fragenden Blick bemerkte. Robotnik konnte die ganze Szene von seinem Monitor aus betrachten. Er sah, wie sich der kleine Fuchs vor den Computer setzte und etwas vor sich hin murmelte, und dass sich der Igeljunge hinter ihn stellte, um ihm zuzusehen. Sollten sie doch. Von diesem Computer mochten sie zwar Zugriff auf seine Datenbanken haben, aber Mails verschicken und somit für ihn gefährliche Dateien nach außen weiterleiten konnten sie von da aus nicht. Als der Computer hochgefahren hatte, öffnete Tails den Ordner "Zuletzt geöffnete Dokumente", wo folgendes stand: Plan 951/650: Die neue Filiale in New York Plan 964/146: Erweiterung der Fabrik in Tokio Planung des Etats für das nächste Jahr (992/875) Planung bezüglich Vergrößerung der Personalabteilung (992/535) Plan 975/869 Expansion und Erschließung von neuen Märkten durch Exporte nach China Plan 983/351: Expansion hierzulande Planung der nächsten Vorstandssitzung (996/742) Tails seufzte. "Anscheinend laufen alle Computer hier über ein gemeinsames Netzwerk", sagte er enttäuscht. "Wie es aussieht, werden wir hier nichts finden, was mit diesem Kristall zu tun hat, sondern nur firmeninterne Dokumente." Damit wollte er den Mauszeiger auf den "Herunterfahren"-Button bewegen. Sonic wurde plötzlich schwarz vor Augen, ihm wurde schwindelig, und er musste sich am Tisch festhalten. In seinem Kopf hörte er eine Stimme: Plan 983/351... die Wahrheit... Das Gefühl verschwand so schnell, wie es gekommen war. Sonic konnte wieder klar sehen, aber schwindelig war ihm trotzdem noch. Er kannte dieses Gefühl. An einem Abend vor zwei Jahren hatte er es schon einmal gehabt. Damals hatte es ihm und Tails durch eine kleine Verzögerung das Leben gerettet. "Öffne Plan 983/351", bat er Tails. Der kleine Fuchsjunge hielt in seiner Bewegung inne. "Dafür haben wir keine Zeit", erinnerte er Sonic. "Wir haben keine Zeit für sinnlose Diskussionen", antwortete Sonic. "Öffne die Datei einfach. Ich habe da so ein Gefühl, dass dieses Dokument sehr wichtig ist." Tails seufzte, nickte ergeben und fuhr mit dem Mauszeiger zum Dokument. Es öffnete sich sehr schnell, und sie begannen zu lesen. Plan 983/351 Ziel: Unterwerfung der Vereinigten Staaten von Amerika unter die Herrschaft von Dr. Ivo Robotnik Mittel: Zerschlagung des Militärs der USA mit eigenen Robotertruppen Fortschritt: Cyborgs wurden landesweit als Agenten bei der Polizei, beim FBI, bei den Geheimdiensten und bei den medizinischen Einrichtungen eingeschleust. Dieser Schritt war notwendig, um Widerstand gegen diesen Plan frühzeitig erkennen und zerschlagen zu können. Der Technologiestand des Militärs ist bekannt, die Entwicklung von Waffen, die die Technologie blockieren bzw. leicht ausschalten können, und Robotern, die diese Waffen benutzen werden, läuft und ist zu ca. 80% abgeschlossen. Die nächsten Schritte, die anstehen, sind die strategisch günstige Positionierung der Truppen, die beginnen wird, sobald die Entwicklung der Roboter abgeschlossen ist, und die simultane Vernichtung aller Zweige des Militärs der USA. Dieser letzte Schritt darf nicht länger als 72 Stunden in Anspruch nehmen. Damit wird die bedingungslose Kapitulation und die Unterwerfung unter die Herrschaft Dr. Ivo Robotniks erzwungen. Hindernisse: Es gab zwei Fälle, in denen Mitarbeiter der Firma diese Datei geöffnet haben. Beide wurden samt möglichen Mitwissern durch Bomben beseitigt und durch Agenten wurden die Fälle als Anschläge bekannt. Geschockt las Sonic den Text noch einmal. Dr. Ivo Robotnik? Hieß der Chef der Robotnik GmbH nicht so? Und der wollte die Macht über das Land haben? Und der hatte seine Eltern und die Eltern von Tails getötet, um diesen Plan geheim zu halten? Sonic ballte seine rechte Hand zur Faust. "Dafür wird er bezahlen", knurrte er. "Dafür wird Robotnik bezahlen. Und wenn es das letzte ist, was ich tue - ich werde ihn kriegen." Tails sah Sonic fassungslos an. Diese Seite an Sonic kannte er gar nicht. "Sonic", sagte er leise, "sag so was nicht. Informier die Polizei. Die wird den Rest erledigen. Aber du... wir... können das nicht. Robotnik ist viel zu mächtig. An den kommen wir gar nicht ran." Sonic nickte langsam. "Mächtig ist er", sagte er tonlos. "So mächtig, dass selbst die Polizei nicht an ihn rankommt. Er hat Agenten bei der Polizei und wird über diesen Weg die Ermittlungen so sehr behindern, dass nichts dabei rumkommen kann. Nein, wir müssen ihn selbst erledigen, auch wenn es schwer wird. Und am besten jetzt gleich, wenn wir ihn treffen." "Glaubst du, dass er hier ist?", fragte Tails überrascht. "Glaubst du nicht, dass er bei sich zu Hause ist?" "Nein", antwortete Sonic. "Er hat Sam und Amy entführt, um uns zu kriegen. Du kannst davon ausgehen, dass er uns höchstpersönlich hier erwartet... und dann werde ich ihn kriegen." "Und was wirst du tun, wenn es so weit ist?", fragte Tails. "Wir werden sehen", meinte Sonic. "Vielleicht", damit wandte er sich zur Glasglocke und zum Kristall, der darunter lag, "werde ich ihm mit diesem Ding hier einfach den Schädel einschlagen." Mit diesen Worten hob er die Glasglocke beiseite und nahm den Kristall in die Hand. Der Kristall leuchtete einmal kurz auf. Tails wollte Sonic ihren Fund abnehmen und aus der Nähe betrachten, aber als er den Stein berührte, zog er die Hand schnell zurück. "Der ist ja ganz warm", sagte er überrascht. "Und nicht nur das", meinte Sonic und drückte mit aller Kraft seine Hand um den Kristall. "Seine Kanten sind bei weitem nicht so scharf, wie sie aussehen. Aber er dürfte hart genug sein, um Robotnik ziemlich heftige Kopfschmerzen zu bereiten, meinst du nicht auch?" Tails nickte langsam. "Sei vorsichtig", sagte er mit warnender Stimme. "Wenn meine Vermutung zutrifft, ist das kein gewöhnlicher Kristall." "Vermutung?", fragte Sonic neugierig. "Nennen wir es lieber einen Verdacht", wiegelte Tails ab. "Es ist einfach zu unwahrscheinlich, dass ich Recht habe, also vergessen wir das." Dann verließ er den Raum. Sonic folgte ihm, schloss die Tür und hielt Tails kurz am Arm fest, als er die Treppe hochgehen wollte. "Bleib hier", bat er. "Es wird gefährlich da oben." "Ich weiß", antwortete Tails. "Aber ich bin nicht mitgekommen, um dich jetzt allein da hochgehen zu lassen. Ich komme mit. Ich will dir helfen." Sonic seufzte. "Dann hau bei der ersten Gelegenheit mit Sam und Amy ab. Robotnik übernehme ich." Tails nickte widerstrebend, dann folgte er Sonic die Treppe hinauf. Sonic öffnete die Tür und sah sich um. Das oberste Stockwerk des Gebäudes war eine große, komplett überdachte Dachterrasse, die an den Seiten mit großen Glasfenstern abgesichert war. An der Decke waren kleine Lampen angebracht, die den Raum gut ausleuchteten, nur in einer Ecke des Raumes schienen keine Lampen. Gegenüber der Tür, auf der anderen Seite des Raums, stand ein Mann mit langen, dünnen, Armen und Beinen, aber einem unförmigen Bauch und einem platten Kopf, sodass er wie ein Ei mit Armen und Beinen aussah, und drehte ihm den Rücken zu. Offensichtlich bewunderte er gerade die Aussicht auf das Hochhaus, dass auf dieser Seite das Robotnik-Gebäude sogar noch überragte. Das musste Robotnik sein. "Wo sind Sam und Amy?", fragte Sonic mit vor Wut zitternder Stimme. "Wenn du Feigling sie schon entführst, solltest du sie wenigstens nicht vor mir verstecken!" Der Mann drehte sich um und lächelte herablassend. "Hallo, Sonic", sagte er, "ich freue mich auch, dich zu sehen." "Lass die Spielchen", knurrte Sonic. "Ich bin hier. Wo sind Sam und Amy?" Robotnik schnippte einmal mit den Fingern. Die Lampen in der bisher dunklen Ecke gingen an, und jetzt konnten Sonic und Tails sie sehen. Sam und Amy lagen in dieser Ecke. Sie waren anscheinend bewusstlos. Neben ihnen stand der Polizist, der Amy zu Hause abgeholt hatte. Sonic nickte langsam. "So ist das also", sagte er leise. "Du hast die beiden entführt, um mich zu zwingen, hier aufzutauchen, und um Spuren zu verwischen, hast du die Familien der beiden auch noch ausgeschaltet." "Genau", meinte Robotnik. "Ich brauchte doch einen Köder, um dich hierher zu locken. Freiwillig wärst du doch nie gekommen." "Und was willst du jetzt von mir?", fragte Sonic. "Ich werde euch töten", meinte Robotnik kalt. "Ihr seid eine Gefahr für meine Pläne, und dann werde ich euch der Polizei übergeben - die ohnehin gleich hier sein wird, weil du Alarm ausgelöst hast, als du den Kristall genommen hast - und ihnen sagen, dass ihr beim Einbruch in meine Firma erwischt wurdet und euch eurer Ergreifung widersetzt habt, sodass meine Sicherheitsleute" - dabei wies er hinter Sonic, der sich umdrehte und sah, dass mittlerweile einige Sicherheitsleute hinter ihm Stellung bezogen hatten - "leider keine Wahl hatten und euch erschießen mussten." Damit gab Robotnik dem Sicherheitsmann, der hinter Sonic stand, einen Wink. Wortlos zog der seine Waffe und richtete sie auf Sonic. Sonic verstand: es waren Roboter, also war Reden zwecklos. Stattdessen lief er los, gerade rechtzeitig, sodass die erste Kugel ihn um Zentimeter verfehlte. Die nächsten Kugeln, die der Wachroboter abschoss, trafen auch nicht: entweder zielte er zu langsam, sodass Sonic schon wieder woanders war, oder Sonic änderte im richtigen Moment die Richtung, um den Kugeln gerade so auszuweichen. So verschoss der Roboter ein ganzes Magazin, ohne sein Ziel zu treffen, was Robotnik sichtlich missfiel. "Du verdammter Schrotthaufen!", schrie er. "Bist du nicht in der Lage, einen Igel zu treffen, wenn er dir vor der Nase rumläuft?" Dann wandte er sich wieder an Sonic. "Bleib stehen", sagte er drohend zu ihm. "Und was, wenn nicht?", fragte der Igel. "Ich bin doch nicht so blöd, mich hier von deinen Schrotthaufen erschießen zu lassen!" "Dann werden deine Freunde vor deinen Augen sterben", meinte Robotnik ruhig. "Das wagst du nicht", knurrte Sonic. "Dafür würde ich dich töten, und wenn ich dich um die ganze Welt jagen müsste." "Willst du einen Beweis?", fragte Robotnik gleichgültig. Ohne Sonics Antwort abzuwarten, gab er Agent Bauer einen Wink. Der zog seine Waffe, richtete sie auf Sam und drückte ab. Kapitel 9: Die dunklen Chaosenergien ------------------------------------ Sonic hörte den Knall der Waffe und zuckte zusammen. Für einen Moment hatte er das Gefühl, dass sein Herz aufgehört hätte zu schlagen. Robotnik hatte es wirklich getan. Robotnik hatte wirklich seinen Freund getötet. Sonic ballte die freie Hand zur Faust, sodass seine Fingernägel ins Fleisch schnitten. Blut floss aus den kleinen Wunden. Tränen standen in seinen Augen. Tränen des Hasses. "Robotnik", knurrte er. "Dafür wirst du sterben. Ich werde dich solange jagen, bis ich dich habe. Was auch immer du tust, ich werde dich aufhalten. Du wirst mir nicht entkommen. Ich werde dich töten!" Für einen Moment konnte Tails Unsicherheit auf Robotniks Gesicht sehen. Plötzlich spürte er die Aura, die Sonic umgab. Irgendeine seltsame Energie umgab Sonic, und das machte Tails Angst. Sonic scherzte nicht, das wurde ihm plötzlich klar. Er wich bis an die Glaswand zurück, doch selbst über diese Distanz zu Sonic, der in der Mitte des Raums stand, konnte er die Energie spüren. Sein Blick fiel auf den Kristall, den Sonic immer noch fest in der rechten Hand hielt. Er war nicht mehr durchscheinend und dunkelrot. Stattdessen gab er ein helles Licht ab, das in den Augen brannte. Dann, urplötzlich, schnitten die Kanten des Kristalls in Sonics Handfläche. Blut floss in Strömen am Kristall hinab, aber sein Halter ignorierte es. Stattdessen atmete Sonic schwer, zitterte unkontrolliert - und seine Augen richteten sich voller Hass auf Robotnik. Das Blut auf dem Kristall begann zu zischen und Blasen zu werfen. Der Kristall wurde heiß. Wodurch?, fragte Tails sich. Und Sonic stand immer noch da. Er schien gar nicht zu bemerken, dass er Blut verlor und dass der Kristall kochend heiß sein musste, sondern hielt den Stein immer noch fest umklammert. Wie hypnotisiert hob er ihn über seinen Kopf und öffnete die Hand mit der Fläche zur Decke. Der Kristall fiel nach dem Öffnen aber nicht in die Hand, die Sonic geöffnet hielt. Er blieb auf seiner unteren Spitze stehen, die nicht erkennbar war, und begann sich zu drehen. Zuerst langsam, dann immer schneller. Blut und Hautfetzen wurden aufgewirbelt, doch wie schon zuvor beachtete Sonic es gar nicht. Ein Gedanke zuckte Tails durch den Kopf. Was, wenn Sonic das wirklich nicht bemerkte? Bevor er weiter denken konnte, blitzte der Kristall auf. Sein Licht erfüllte den ganzen Raum, brannte Tails in den Augen. Er schloss sie, doch das Licht brannte sich selbst durch die Lider und verursachte Tails höllische Kopfschmerzen. Völlige Stille erfüllte den Raum, sodass Tails das Gefühl hatte, zu schweben, inmitten des infernalischen Lichts, das so sehr schmerzte. Und gleichzeitig hatte er Angst. Das war kein gewöhnlicher Kristall, das war jetzt klar. Aber was dann? Konnte es sein, dass - Den Gedanken führte er nicht zu Ende. Plötzlich verschwand das Licht, und die Kopfschmerzen ließen nach. Tails atmete tief durch, öffnete die Augen wieder - und zuckte zusammen. Ein seltsames Wesen stand in der Mitte des Raums. Von der Statur her erinnerte es an Sonic, und es war unzweifelhaft ein Igel. Damit endeten die Gemeinsamkeiten aber auch schon. Der seltsame Igel war nicht blau, sondern goldgelb. Seine Haut schimmerte, als wäre sie aus Metall. Die Luft, die ihn umgab, flimmerte. Und gleichzeitig ging von ihm ein seltsames Licht aus, das blendete und gleichzeitig zum Hinsehen zwang, das keinen Schatten warf und gleichzeitig den Schatten, den anderes Licht warf, verstärkte. Seine Augen waren nicht smaragdgrün und sie waren auch nicht hasserfüllt, besorgt, ängstlich - sie waren blutrot und leer. Sie wirkten, als ob sie einem Toten gehörten. Keinerlei Emotion war zu erkennen. Der Igel starrte mit diesen Augen nur Robotnik an. Seine rechte Hand hielt immer noch diesen seltsamen Kristall, dessen Licht erloschen war und der jetzt ganz schwarz war. Kein Blut floss mehr aus den Wunden, die kurz zuvor noch da gewesen waren. Sie schienen einfach verschwunden zu sein. Die Fingernägel waren länger als gewöhnlich, und aus der Ferne sahen sie aus, als wären sie aus Metall. Sie mussten furchtbare Waffen sein. Der Igel wandte den Kopf und sah Tails an. Er drückte sich an die Glasscheibe und zitterte unkontrolliert, wollte wegsehen und konnte es nicht. Irgendetwas zwang ihn zum Hinsehen. Dieser Igel machte ihm Angst, noch mehr als das Licht und der Kristall kurz zuvor. Für einen Moment flackerte etwas in seinen Augen, für einen kurzen Moment erkannte Tails in ihnen etwas bekanntes, bevor der Igel den Kopf wieder Robotnik zudrehte und auf ihn zuging. Tails rutschte an der Wand hinab. Tränen standen in seinen Augen. "Sonic", wimmerte er leise, "warum?" Was war hier los? Was war mit seinem Freund los? Warum hatte sich Sonic so verändert? Hatte es etwa mit dem Kristall zu tun? Tails schluckte schwer und sah Sonic an, der stehen geblieben war. Agent Bauer hatte sich ihm in den Weg gestellt, und die anderen Sicherheitsmänner kreisten ihn ein. Sonic stand allein gegen dreizehn Gegner, und Tails konnte von seinem Platz aus sehen, dass er grinste . Anscheinend freute er sich auf den Kampf. "Tötet seinen Freund", befahl Robotnik. "Das wird ihn zur Vernunft bringen." Bauer zog die Waffe und legte auf Tails an. Im Bruchteil einer Sekunde würde er schießen. Sonic stürmte vor und schlug mit der rechten Hand nach dem Handgelenk Bauers, dass die Waffe hielt, die Fingernägel voran. Bevor Bauer überhaupt Sonics Bewegung registriert hatte, fiel seine linke Hand bereits zu Boden. Tails konnte einen Kabelstrang und eine abgebrochene Stahlstange aus dem Armstumpf hervorragen sehen, bevor Sonic mit einem zweiten Hieb den Brustkorb durchschlug und den Körper des Roboters mit einer Hand zurückstieß. Er flog zurück, durch ein Fenster hindurch und fiel außen am Gebäude hinab. Sonic hatte nicht einmal zwei Sekunden gebraucht, um ihn zu erledigen. Die anderen Wachmänner hoben jetzt auch alle die Waffen und zielten auf Tails. Sie dachten wohl, Sonic könnte sie nicht alle aufhalten, und einer von ihnen musste zum Schuss kommen. Mit einer blitzschnellen Bewegung schleuderte Sonic den Kristall nach einem Wachmann. Er traf ihn mit einer solchen Wucht, dass er glatt hindurchflog und auf der anderen Seite des Kopfs wieder herauskam. Die Schüsse der anderen Wachleute konnte er jedoch nicht aufhalten. Elf Schüsse knallten. Tails schrie auf, schloss die Augen - aber nichts passierte. Er öffnete die Augen wieder und sah vor sich eine Barriere schweben, die, als er sie bemerkte, auch schon wieder verblasste. Die Kugeln lagen vor ihr auf dem Boden. Überrascht sahen die Roboter auf Sonic. Der warf einen Blick auf Robotnik, wie um sich zu vergewissern, dass er noch da war, und leckte sich die Lippen, bevor er sich auf den nächsten Gegner stürzte, seinen Brustkorb mit einem Stoß durchdrang und die Energiezelle zerstörte. Bevor sie explodierte, stieß er sein Opfer auf das nächste Ziel und schmiss es so um. Die Explosion zerfetzte beide. Die neun verbliebenen Wachleute nahmen jetzt ihn zum Ziel. Bevor sie schießen konnten, machte Sonic eine kurze Handbewegung und schleuderte einen Roboter auf den nächsten, und das so stark, dass beide sich so ineinander verwickelten, dass es für sie unmöglich war, schnell wieder aufzustehen. Die sieben Kugeln, die trotzdem noch auf ihn abgefeuert wurden, wehrte er auf die gleiche Weise ab. Fast im gleichen Moment, in dem sie abgeschossen wurden, machte er noch einmal die gleiche Handbewegung und traf drei seiner Feinde mit den so erzeugten Querschlägern in den Kopf. Sie zuckten kurz und fielen um. Offensichtlich hatten die Kugeln ihre Hauptprozessoren getroffen. Die beiden, die sich wieder aufgerappelt hatte, wurde sein nächstes Ziel. Unter einem rechten Haken des ersten duckte er sich weg und antwortete mit einem Kinnhaken, der den Kopf seines Opfers in die Decke schmetterte, wo er stecken blieb. Der linken Geraden seines nächsten Gegners begegnete er, indem er die Faust mit seiner Hand abfing und anschließend mit seiner freien Hand durch einen geraden Stoß in den Hals die zentrale Verbindung zwischen Hauptprozessor und Energiezelle unterbrach, sodass alles, was den Kopf in Position hielt, die künstliche Haut an der Seite war. Dementsprechend kippte der Kopf ziemlich weit nach vorne und unten weg. Wieder knallten vier Schüsse. Diesmal jedoch fegte Sonic sie nicht durch eine Handbewegung aus der Flugbahn. Stattdessen sprang er auf die Schultern des Opfers und stieß sich zur Decke ab, sodass die Kugeln unter ihm her flogen. Bevor er landete, trat er einem der Gegner seitlich an den Kopf. Er flog sofort aus der Verankerung und wie ein Strich auf den Kopf des nächsten Wachroboters zu. Der Aufprall zerschmetterte beide Köpfe und verteilte viele kleine Metallsplitter auf den Boden. Bevor der Körper zu Boden fiel, riss Sonic ihm die Schusswaffe aus der Hand und schoss einem der beiden verbliebenen Gegner in den Kopf. Beim zweiten jedoch beließ er es nicht dabei. Dem schoss er in beide Hände und anschließend in beide Knie, genau durch de Metallgelenke, sodass er erstarrte und faktisch bewegungsunfähig war. Mit einem irren Grinsen im Gesicht ging Sonic zu seinem letzten Gegner, fasste ihn mit der linken Hand unters Kinn - und stieß ihm die rechte Hand mitten zwischen die Augen. Funken knisterten um sie herum, als er sie wieder herauszog, aber Sonic ignorierte sie, ließ sein letztes Opfer fallen und wandte sich nun Robotnik zu. Bei seinem Anblick begann er zu kichern, und bei diesem Geräusch stellten sich Tails die Nackenhaare auf. Es hatte nichts mit irgendeinem Lachen gemein, dass Tails von Sonic kannte. Es war kein fröhliches Lachen, kein aufmunterndes, auch kein zynisches Lachen. Das einzige, was Tails heraushören konnte, war blinde Mordlust und Zerstörungswut. Es war das irre Kichern eines Wahnsinnigen. Mit schreckgeweiteten Augen wich Robotnik zurück. "Das... Das träume ich!", rief er. "Das kann nicht wahr sein! Nichts und niemand kann die Cyborgs dieser Generation einfach so zerstören!" Sonic ging auf Robotnik zu, und dieser wich zurück. Erneut kicherte er und beschleunigte seine Schritte, und Robotnik stieß ans Fenster und konnte nicht weiter zurück. Sonic blieb vor ihm stehen, keinen halben Meter von ihm entfernt. Er hörte auf zu kichern, aber dafür verbreiterte sich sein Grinsen. Dann, ohne Vorwarnung, stieß er Robotnik seine rechte Hand in den Bauch und zog sie nach oben. Tails wandte sich ab. Den Anblick, wie Sonic Robotnik auf so bestialische Weise tötete, konnte er nicht ertragen. Es gab eine erneute Explosion. Tails öffnete die Augen wieder - und sah Robotniks Kopf auf dem Boden liegen. Da, wo Robotnik gestanden hatte, lagen eine ganze Menge Metallsplitter. Ein Roboter, dachte Tails verwirrt. Dann, plötzlich, klang eine Stimme aus Lautsprechern in der Decke. "Hallo, Sonic. Du lebst ja noch." Sonic ballte die Hände wieder zu Fäusten. Um ihn herum entstand eine Hitzewand, die die Temperatur im Raum deutlich in die Höhe trieb, obwohl kalte Nachtluft durch die zerstörten Fenster hereinwehte. "Du hast doch nicht wirklich geglaubt, mich hier anzutreffen, oder?" Aus den Lautsprechern ertönte ein grässlich selbstherrliches, überlegenes Lachen. "Du bist dümmer, als ich dachte. Warum sollte ich dich selbst erwarten, wenn es doch ein Roboterdouble genauso kann? Ich habe heute nacht ein wichtiges Projekt voranzutreiben, da kann ich meine Zeit nicht mit dir verschwenden. Heute wirst du mir zwar entkommen... aber du hast hoffentlich an deinem Freund gemerkt, was passiert, wenn du ernsthaft versuchst, dich mir in den Weg zu stellen." "Du verdammter Feigling", knurrte Sonic. Seine Stimme klang stark verzerrt. Sie war tiefer als gewöhnlich und hatte gleichzeitig einen hohen, metallisch klingenden Nachhall. Mehr brachte er nicht heraus. Stattdessen begann er wieder schwer zu atmen. Tails konnte sehen, dass er wütend war. Er hatte die Fäuste geballt, und zwar so stark, dass er sich die Fingernägel in die Handfläche jagte. Die Wunden bluteten aber nicht. Die Hitzewand verschwand, und Sonic begann wieder zu leuchten, wie bei seiner Verwandlung. Tails schloss die Augen und wandte sich ab. Dann, plötzlich, erfüllte ein ohrenbetäubender Donnerschlag den Raum. Das Licht wurde stärker - und dann verblasste es. Tails öffnete die Augen wieder. Mitten im Raum, inmitten der Metallsplitter, lag Sonic. Anscheinend war er bewusstlos. Der Fuchs wollte aufstehen, aber er konnte es nicht. Erst jetzt bemerkte er, dass er zitterte. Erst jetzt wurde ihm klar, wie viel Angst er während des Kampfs, während des Gemetzels, das Sonic angerichtet hatte, gehabt hatte. Und er wusste auf einmal, dass er keine Angst vor den Robotern gehabt hatte. Er hatte Angst gehabt vor Sonic, vor dem, der er nach der Verwandlung gewesen war. Robotnik schaltete die Verbindung zu seiner Zentrale ab und korrigierte den Kurs seiner Flugkapsel. Mit seinen Gedanken war er aber woanders. Offenkundig hatte er Sonic unterschätzt. Die Macht des Kristalls, die er nur hatte entdecken, nicht aber nutzen können, hatte dem Igel geholfen, seine Roboter zu erledigen. Dieser Kampf war der Beweis für seine Theorien, und ausgerechnet ein Igeljunge, der ihn töten wollte - schon beim Gedanken an den lächerlichen Schwur des Jungen musste er schmunzeln - hatte sie bestätigt. Diesen Igel musste er nun erst recht aus dem Weg räumen Er spähte nach vorne. Im Licht des Mondes konnte er direkt vor sich den dunklen Schatten auf Wolkenhöhe entdecken, den er gesucht hatte. Er war schon sehr nahe dran. Plötzlich begann die Bedienkonsole Funken zu sprühen, und die Kapsel verlor an Höhe. Sie begann einen Sinkflug, der immer schneller und steiler wurde. Hektisch drückte Robotnik auf einigen Knöpfen herum, aber nichts vermochte den Absturz zu stoppen. Unkontrolliert und hilflos trudelte die Kapsel auf den Schatten zu. Kapitel 10: Erklärungen ----------------------- Er ging langsam auf seinen Gegner zu, der mit zerschossenen Hand- und Kniegelenken auf dem Boden hockte, sein Gesicht eine Maske fast wahnsinniger Angst. Er hörte sich kichern, als er auf Robotik zuging, der sich an die Glasscheibe drückte. Er sah, wie er seinen Gegner die blanke Faust, die nicht seine war und die er doch bewegte, durch metallene Brustkörbe stieß, als wären sie aus Papier. Und die ganze Zeit spürte er die Bewegungen, spürte, dass er kämpfte, und hatte doch keine Kontrolle über seine Bewegungen. Er fuhr erschrocken hoch und sah sich um. Er befand sich in einem abgedunkelten Zimmer, aber durch die heruntergelassenen Jalousien schien gerade genug Sonnenlicht herein, dass er etwas erkennen konnte. Das Zimmer war nicht besonders groß. Das Sofa, auf dem er lag, stand in einer Ecke des Raumes und ging über fast zwei Drittel der Wandlänge. Neben dem Sofa, etwa zwei Schritte entfernt in den Raum hinein, standen ein Schreibtisch und ein Computer, dessen Monitor auf dem Tisch stand, gleich neben dem Telefon, neben dem sich ältere und jüngere Zeitungen stapelten. Die Wände waren zugestellt mit Aktenschränken. Der ganze Raum wirkte wie ein Arbeitszimmer von jemandem, der unbedingt sparen musste. Der Stuhl hinter dem Schreibtisch hatte bereits mehrere große Löcher in der Polsterung, und das Sofa war durchgelegen und knarrte und knackte bei jeder Bewegung. Er versuchte sich aufzurichten, fiel aber sofort wieder zurück. Er fühlte sich ungewöhnlich schwach und kraftlos. Was war mit ihm passiert? Er hörte Schritte vor der Tür, sah, wie die Klinke heruntergedrückt wurde, sah sie aufschwingen - und sah Amys Kopf, der durch den Türspalt ins Zimmer hineinguckte und ihn sorgenvoll ansah, aber als sie merkte, dass er zurück starrte, öffnete sie die Tür und kam langsam näher, mit Tränen in den Augen. "Du bist wach", flüsterte sie, sprang vor, zog ihn hoch und umarmte ihn. "Ich hab mir Sorgen um dich gemacht, Sonic", flüsterte sie mit erstickter Stimme, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Zaghaft erwiderte Sonic die Umarmung. Ihm blieb ja nichts anderes übrig - er war zu schwach, um Amy wegzuschieben. Außerdem spürte er, dass es ihm gefiel. "Wo sind wir?", fragte er schwach. "Und was ist passiert?" Amy ließ ihn los, worauf er wieder aufs Sofa zurückfiel, und wischte sich die Tränen aus den Augen, bevor sie antwortete. "Wir sind bei Espio zu Hause", sagte sie. "Und was passiert ist, seit Robotnik uns entführt hat, weiß ich auch nicht. Frag Espio oder Tails, wenn sie wieder da sind." "Wo sind sie hin?", fragte Sonic und gähnte. Amy zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Sie haben mir nur gesagt, dass sie einige Bekannte von Espio besuchen wollten." Sonic nickte schwach. "Weck mich, wenn sie zurück sind", murmelte er und schließ wieder ein. Als er wieder zu sich kam, schien silbriges Mondlicht durch die Jalousienschlitze. Er fühlte sich nicht mehr ganz so schwach, aber er hatte Hunger und sah sich nach etwas Essbarem um. "Du bist also wieder wach", hörte er jemanden sagen. Die Stimme kam vom Schreibtischstuhl, und als die Gestalt die Schreibtischlampe einschaltete, erkannte der Igel, dass er sich nicht getäuscht hatte und Espio bei ihm im Raum saß. Im Licht der Schreibtischlampe, die den Raum nur schwach beleuchtete, setzte Sonic sich auf und blickte verwirrt zum Chamäleon hinüber. "Wie lange habe ich geschlafen?", fragte er. "Was ist passiert? Wo sind Tails und Amy? Und wo warst du mit Tails?" In die Stille nach den Fragen platzte ein lautes Grummeln. Espio grinste, öffnete eine Schreibtischschublade und warf Sonic eine Schachtel Kekse zu, und während der Detektiv antwortete, machte sich der Igel ans Essen. "Wenn man die fünf Minuten heute Mittag weglässt, hast du knapp vierundzwanzig Stunden durchgeschlafen." Sonic hob überrascht den Kopf, schwieg aber. "Tails und Amy sind wohlauf, Sie schlafen in der Küche auf geliehenen Matratzen - und du liegst auf meinem Bett", fügte er grinsend hinzu. "Aber mach dir deswegen keine Sorgen - ich kann auch hier auf dem Stuhl schlafen." Sonic warf ihm die leere Schachtel zurück. "Mir wäre es auch egal, wenn nicht", meinte er. "Aber zwei Antworten fehlen noch." "Keine Sorge", meinte Espio, "das weiß ich noch. Aber damit sollten wir bis zum Morgen warten, ich habe nämlich keine Lust, alles deiner Freundin noch mal zu erklären, und außerdem muss der Kleine einige Sachen vorher erklären." "Merk dir zwei Sachen", knurrte Sonic. "Der ,Kleine' heißt Tails, und Amy ist nicht meine Freundin." "Ja, ja", gab Espio zurück, legte die Beine auf den Tisch und gähnte herzhaft. "Und du solltest auch noch etwas schlafen oder es zumindest versuchen - aufstehen solltest du nicht vor morgen Mittag. Was willst du zum Frühstück?" "Was du da hast", meinte Sonic grinsend. "Am besten pünktlich um zehn." "und pünktlich zu den Erklärungen", fügte Espio hinzu. Kurze Zeit später schliefen beide, und zum ersten Mal seit den Ereignissen in Robotniks Firma träumte Sonic nicht von diesen Kampfbildern, sondern von einer seltsamen Ruine, die auf einer kleinen Lichtung in einem Dschungel stand. Es war ein verfallener, siebeneckiger Altar mit zwei Ebenen, mit Resten von sieben Säulen in den Ecken der obersten Ebene und von sieben Säulen, die einen Kreis um den Schrein herum andeuteten. Die ganze Szenerie wurde nur unregelmäßig von Blitzen eines heftigen Gewitters erhellt, die noch zwei weitere Details enthüllten. Eins davon war ein großer, grüner Kristall in der Mitte der obersten Ebene, der auf einem seltsam verzierten Sockel ruhte. Das zweite Detail war allerdings noch deutlich bemerkenswerter. Es war ein Tier, wie er selbst, Tails und Espio, aber so ein Tier hatte er noch nie zuvor gesehen. Der Unbekannte hatte die gleiche Schnauze und einen ähnlichen Körperbau wie er selbst, und auch Stacheln, die jedoch rot waren und wie lange Haare an seinem Kopf herabhingen. Und auf seinen äußeren Fingerknöcheln hatte er gut erkennbare Spitzen. Aber was Sonic am allermeisten auffiel, waren die violetten Auen des Unbekannten, die nur eins zeigten - Einsamkeit. Und waren es Tränen oder Regentropfen, die über sein Gesicht liefen? Sonic blinzelte. Er merkte, wie ihm die Sonne durchs Fenster aufs Gesicht schien. Er schloss die Augen wieder und drehte sich um, wollte noch ein wenig weiterschlafen. "Zeit zum Aufstehen", hörte er jemanden sagen. Langsam richtete er sich auf, gähnte herzhaft und sah Tails, der am Fußende des Sofas stand und ihn erleichtert anlächelte. "Gut, dass du auch mal wieder wach bist", meinte er. Sonic nickte langsam. Irgendwie hatte er sich unglaublich erschöpft gefühlt, obwohl er sich überhaupt nicht an eine Anstrengung erinnern konnte, die ihn so ermüdet haben konnte. "Was gibt's zum Frühstück?", fragte er seinen kleinen Freund und merkte, dass er bereits wieder deutlich wacher und fast wieder bei Kräften war. "Was du willst", antwortete der Fuchs. "Was ich will?", fragte Sonic und grinste. "Dann bring ruhig mal alles her, was Espio da hat - ich fühle mich, als hätte ich seit drei Tagen nichts gegessen." "Seit zwei", berichtigte Tails ihn grinsend und verschwand aus dem Raum. Sonic ließ sich wieder zurück aufs Sofa fallen und hörte seinem Magen beim Grummeln zu, während er nachdachte. Er wusste immer noch nicht, was genau passiert war, seit Robotnik Sam hatte töten lassen - der Schuss war das letzte, an das er sich erinnerte. Das nächste, was er wusste, war, dass er hier auf dem Sofa gelegen hatte. Hoffentlich würde er bald Antworten erhalten, am besten von Espio, der ja eindeutig einiges wusste. Kurz darauf öffnete sich die Tür, und Sonic musste sich ein Lachen verkneifen. Espio hatte doch tatsächlich irgendwoher einen Servierwagen ergattert und schob ihn jetzt - vermutlich mit allem drauf, was sein Kühlschrank hergab - in den Raum. "Wir können doch dem Kranken nicht zumuten, zu uns zu kommen", sagte er und grinste übers ganze Gesicht. "Du willst mich wohl verarschen", meinte Sonic, der genauso grinsen musste. Er setzte sich auf und griff zu einem Brötchen, das er sich am Stück in den Mund schob und mindestens die Hälfte abbiss, bevor er sich ein Messer nahm und eine dicke Schicht Butter auf die Reste des Brötchens schmierte. Die Verwunderung auf den Gesichtern der anderen war zwar nicht zu übersehen, aber Sonic ignorierte sie einfach und schob sich auch noch die zweite Hälfte des Brötchens in den Mund. Espio zuckte nur mit den Schultern, ging zum Schreibtischstuhl, setzte sich in altbekannter Manier darauf, legte die Füße auf den Tisch und betätigte den Einschaltknopf des Computers. "Du hast doch gesagt, du würdest die Kiste brauchen", meinte er zu Tails, der nickte, zu ihm herüberkam und wartete. Als der Computer hochgefahren war, schob er eine Diskette, die er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, ins Laufwerk und drehte den Monitor so, dass Sonic und Amy, die sich mittlerweile neben ihn gesetzt hatte, Sicht darauf hatten. Auch Espio rückte mit dem Stuhl um den Schreibtisch und stellte ihn vors Sofa, sodass auch er sehen konnte, was Tails ihnen zeigen würde. Der fuhr mit der Maus zu einer Datei, klickte aber noch nicht drauf, sondern wandte sich erst an die anderen. "Am besten fangen wir wohl da an, wo Sam und Amy vom Roboter abgeholt worden sind", begann er. "Amy hat mir gesagt, kurze Zeit später, als sie mit ihm in der Tiefgarage angekommen sind, hätte sie plötzlich das Bewusstsein verloren. Wie das passiert ist, weiß ich auch nicht, aber er muss dich" - dabei sah er Amy an - "mit Sam nach ganz oben gebracht haben, kurz bevor wir dort eintrafen. Auf dem Weg nach oben haben Sonic und ich" - an dieser Stelle öffnete er eine Aschreibtischschublade - "das hier gefunden." Er nahm den Kristall aus der Schublade heraus und hielt ihn hoch. Über Sonics Rücken lief ein eiskalter Schauer. Für einen Moment hatte er Angst vor dem Stein. Selbst auf diese Entfernung von zwei Schritten konnte er die Kraft spüren, die diesem Stein innewohnte... die Kraft, die er kannte... die gleiche Kraft, die er in seinen Albträumen in sich gespürt hatte. Die Blicke der anderen waren auf ihn gerichtet, und er merkte das. Trotzdem blickte er den Stein an, und dann über den Stein hinweg zu Tails. "Was ist das für ein Ding?", fragte er langsam. "Das ist ganz sicher kein gewöhnlicher Kristall." Tails nickte langsam. "Ganz und gar nicht", meinte er. "Dieser Kristall ist so unnormal wie nur irgend möglich. Hast du jemals von den Chaos Emeralds gehört?" Verwundert schüttelte Sonic den Kopf. "Das klingt nach irgendeinem Märchen", gab er zurück. "Und dafür habe ich mich nie interessiert." Tails lächelte. "Zumindest Amy scheint sie zu kennen", meinte er, und in der Tat sah Amy noch viel verwunderter als Sonic aus. Amy nickte langsam. "Gehört ja", meinte sie und dachte nach. "Ich weiß allerdings nicht mehr, in welchem Zusammenhang..." "Dann werd ich es euch erklären", seufzte Tails, denn Espio schien auch nicht Bescheid zu wissen. Er sah zwar ein bisschen interessiert aus, aber er saß ganz still auf seinem Stuhl und hatte die Augen halb geschlossen. "Die Chaos Emeralds sind mächtige Energiesteine. Jeder einzelne enthält nahezu unerschöpfliche Vorräte an Energie, und alle sieben zusammen sollen eine Macht ergeben, die unvorstellbar groß und unbegrenzt ist. Allerdings", hier legte er eine kurze Pause ein, "hatte ich sie bisher für eine Legende gehalten. Bisher hat es keinerlei Beweise für ihre Existenz gegeben." "Und wie ist Robotnik dann an ihn drangekommen?", fragte Sonic überrascht dazwischen. Tails zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es nicht. Und ich glaube auch nicht, dass er die Macht des Steins nutzen konnte. Vermutlich wollte er mit der Apparatur, in der der Emerald lag, seine Macht genau erfassen, um sie vielleicht nutzen zu können. Und hier kommst du ins Spiel", sagte er langsam und deutlich. "Was ist das letzte, an das du dich erinnern kannst?" "Dass Robotnik Sam hat erschießen lassen", sagte Sonic sofort. "Das nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass ich hier auf dem Sofa liege." Tails senkte betrübt den Kopf. "Das habe ich befürchtet", murmelte er leise und sah Sonic an. "Was ich dir jetzt zeigen werde, Sonic, ist sehr wichtig, damit du verstehst, was genau passiert ist", sagte er, drehte sich um und öffnete die Datei mit einem Doppelklick. Ein kleines Fenster erschien, und Tails vergrößerte es schnell auf Vollbild und trat beiseite. "Das hier ist eine vertonte Aufzeichnung aus einem der Roboter", sagte Tails. "Sieh es dir genau an, auch wenn es hart für dich wird - aber es ist wichtig." Damit klickte er auf den ,Abspielen'-Button und ging Sonic aus der Sichtlinie. Ein Schuss hallte durch den Raum. Er kam aus der Waffe von Agent Bauer und traf Sam in den Hinterkopf. Sonic ballte die freie Hand zur Faust, sodass seine Fingernägel ins Fleisch schnitten. Blut floss aus den kleinen Wunden. Tränen standen in seinen Augen. Tränen des Hasses. "Robotnik", knurrte er. "Dafür wirst du sterben. Ich werde dich solange jagen, bis ich dich habe. Was auch immer du tust, ich werde dich aufhalten. Du wirst mir nicht entkommen. Ich werde dich töten!" Plötzlich wurde das Bild der Aufzeichnung, aus unerfindlichen Gründen, verzerrt, und Tails, der am Rande des Bildes zu sehen war, zuckte zusammen. Den Kristall hielt Sonic immer noch fest in der rechten Hand. Er war nicht mehr durchscheinend und dunkelrot. Stattdessen gab er ein helles Licht ab, das in den Augen brannte. Dann, urplötzlich, schnitten die Kanten des Kristalls in Sonics Handfläche. Blut floss in Strömen am Kristall hinab, aber sein Halter ignorierte es. Stattdessen atmete Sonic schwer, zitterte unkontrolliert - und seine Augen richteten sich voller Hass auf den Roboter. Das Blut auf dem Kristall begann zu zischen und Blasen zu werfen. Der Kristall wurde heiß. Und Sonic stand immer noch da. Er schien gar nicht zu bemerken, dass er Blut verlor und dass der Kristall kochend heiß sein musste, sondern hielt den Stein immer noch fest umklammert. Wie hypnotisiert hob er ihn über seinen Kopf und öffnete die Hand mit der Fläche zur Decke. Der Kristall fiel nach dem Öffnen aber nicht in die Hand, die Sonic geöffnet hielt. Er blieb auf seiner unteren Spitze stehen, die nicht erkennbar war, und begann sich zu drehen. Zuerst langsam, dann immer schneller. Blut und Hautfetzen wurden aufgewirbelt, doch wie schon zuvor beachtete Sonic es gar nicht. Anscheinend bemerkte er es nicht einmal. Plötzlich blitzte der Kristall auf. Sein Licht erfüllte den ganzen Raum Und machte es unmöglich, etwas zu erkennen. Dann, so plötzlich, wie es erschienen war, verschwand das Licht. Jetzt stand ein seltsames Wesen in der Mitte des Raums. Von der Statur her erinnerte es an Sonic, und es war unzweifelhaft ein Igel. Damit endeten die Gemeinsamkeiten aber auch schon. Der seltsame Igel war nicht blau, sondern goldgelb. Seine Haut schimmerte, als wäre sie aus Metall. Die Luft, die ihn umgab, flimmerte. Und gleichzeitig ging von ihm ein seltsames Licht aus, das blendete und gleichzeitig zum Hinsehen zwang, das keinen Schatten warf und gleichzeitig den Schatten, den anderes Licht warf, verstärkte. Seine Augen waren nicht smaragdgrün und sie waren auch nicht hasserfüllt, besorgt, ängstlich - sie waren blutrot und leer. Sie wirkten, als ob sie einem Toten gehörten. Keinerlei Emotion war zu erkennen. Der Igel starrte mit diesen Augen nur zum Roboter herüber. Seine rechte Hand hielt immer noch diesen seltsamen Kristall, dessen Licht erloschen war und der jetzt ganz schwarz war. Kein Blut floss mehr aus den Wunden, die kurz zuvor noch da gewesen waren. Sie schienen einfach verschwunden zu sein. Die Fingernägel waren länger als gewöhnlich, und aus der Ferne sahen sie aus, als wären sie aus Metall. Sie mussten furchtbare Waffen sein. Der Igel wandte den Kopf und sah Tails an. Dieser drückte sich an die Glasscheibe und zitterte unkontrolliert, wollte wegsehen und konnte es nicht. Irgendetwas zwang ihn zum Hinsehen. Dieser Igel machte ihm deutlich erkennbar Angst, noch mehr als das Licht und der Kristall kurz zuvor. "Sonic", wimmerte er leise, "warum?" Sonic schluckte schwer, sagte aber nichts und sah weiter zu. Der Sonic auf dem Schirm war stehen geblieben. Agent Bauer hatte sich ihm in den Weg gestellt, und die anderen Sicherheitsmänner kreisten ihn ein. Sonic stand allein gegen dreizehn Gegner, und man konnte deutlich sehen, dass er grinste . Anscheinend freute er sich auf den Kampf. "Tötet seinen Freund", befahl der Roboter, aus dessen Sicht sie diese Aufzeichnung verfolgten. "Das wird ihn zur Vernunft bringen." Bauer zog die Waffe und legte auf Tails an. Im Bruchteil einer Sekunde würde er schießen. Sonic stürmte vor und schlug mit der rechten Hand nach dem Handgelenk Bauers, dass die Waffe hielt, die Fingernägel voran. Bevor Bauer überhaupt Sonics Bewegung registriert hatte, fiel seine linke Hand bereits zu Boden. Sie konnten einen Kabelstrang und eine abgebrochene Stahlstange aus dem Armstumpf hervorragen sehen, bevor Sonic mit einem zweiten Hieb den Brustkorb durchschlug und den Körper des Roboters mit einer Hand zurückstieß. Er flog zurück, durch ein Fenster hindurch und fiel außen am Gebäude hinab. Sonic hatte nicht einmal zwei Sekunden gebraucht, um ihn zu erledigen. Die anderen Wachmänner hoben jetzt auch alle die Waffen und zielten auf Tails. Sie dachten wohl, Sonic könnte sie nicht alle aufhalten, und einer von ihnen musste zum Schuss kommen. Mit einer blitzschnellen Bewegung schleuderte Sonic den Kristall nach einem Wachmann. Er traf ihn mit einer solchen Wucht, dass er glatt hindurchflog und auf der anderen Seite des Kopfs wieder herauskam. Die Schüsse der anderen Wachleute konnte er jedoch nicht aufhalten. Elf Schüsse knallten, die jedoch von einer Energiebarriere, die vor Tails schwebte, abprallten. Überrascht sahen die Roboter auf Sonic. Der warf einen Blick auf Robotnik, wie um sich zu vergewissern, dass er noch da war, und leckte sich die Lippen, bevor er sich auf den nächsten Gegner stürzte, seinen Brustkorb mit einem Stoß durchdrang und die Energiezelle zerstörte. Bevor sie explodierte, stieß er sein Opfer auf das nächste Ziel und schmiss es so um. Die Explosion zerfetzte beide. Die neun verbliebenen Wachleute nahmen jetzt ihn zum Ziel. Bevor sie schießen konnten, machte Sonic eine kurze Handbewegung und schleuderte einen Roboter auf den nächsten, und das so stark, dass beide sich so ineinander verwickelten, dass es für sie unmöglich war, schnell wieder aufzustehen. Die sieben Kugeln, die trotzdem noch auf ihn abgefeuert wurden, wehrte er auf die gleiche Weise ab. Fast im gleichen Moment, in dem sie abgeschossen wurden, machte er noch einmal die gleiche Handbewegung und traf drei seiner Feinde mit den so erzeugten Querschlägern in den Kopf. Sie zuckten kurz und fielen um. Offensichtlich hatten die Kugeln ihre Hauptprozessoren getroffen. Die beiden, die sich wieder aufgerappelt hatte, wurde sein nächstes Ziel. Unter einem rechten Haken des ersten duckte er sich weg und antwortete mit einem Kinnhaken, der den Kopf seines Opfers in die Decke schmetterte, wo er stecken blieb. Der linken Geraden seines nächsten Gegners begegnete er, indem er die Faust mit seiner Hand abfing und anschließend mit seiner freien Hand durch einen geraden Stoß in den Hals die zentrale Verbindung zwischen Hauptprozessor und Energiezelle unterbrach, sodass alles, was den Kopf in Position hielt, die künstliche Haut an der Seite war. Dementsprechend kippte der Kopf ziemlich weit nach vorne und unten weg. Wieder knallten vier Schüsse. Diesmal jedoch fegte Sonic sie nicht durch eine Handbewegung aus der Flugbahn. Stattdessen sprang er auf die Schultern des Opfers und stieß sich zur Decke ab, sodass die Kugeln unter ihm her flogen. Bevor er landete, trat er einem der Gegner seitlich an den Kopf. Er flog sofort aus der Verankerung und wie ein Strich auf den Kopf des nächsten Wachroboters zu. Der Aufprall zerschmetterte beide Köpfe und verteilte viele kleine Metallsplitter auf den Boden. Bevor der Körper zu Boden fiel, riss Sonic ihm die Schusswaffe aus der Hand und schoss einem der beiden verbliebenen Gegner in den Kopf. Beim zweiten jedoch beließ er es nicht dabei. Dem schoss er in beide Hände und anschließend in beide Knie, genau durch de Metallgelenke, sodass er erstarrte und faktisch bewegungsunfähig war. Mit einem irren Grinsen im Gesicht ging Sonic zu seinem letzten Gegner, fasste ihn mit der linken Hand unters Kinn - und stieß ihm die rechte Hand mitten zwischen die Augen. Funken knisterten um sie herum, als er sie wieder herauszog, aber Sonic ignorierte sie, ließ sein letztes Opfer fallen und wandte sich nun dem Roboter zu. Bei seinem Anblick begann er zu kichern, und bei diesem Geräusch stellten sich ihnen allen die Nackenhaare auf. Es hatte nichts mit irgendeinem Lachen gemein, dass sie von Sonic kannte. Es war kein fröhliches Lachen, kein aufmunterndes, auch kein zynisches Lachen. Das einzige, was Tails heraushören konnte, war blinde Mordlust und Zerstörungswut. Es war das irre Kichern eines Wahnsinnigen. Der Roboter wich zurück. "Das... Das träume ich!", rief er. "Das kann nicht wahr sein! Nichts und niemand kann die Cyborgs dieser Generation einfach so zerstören!" Sonic ging auf sein letztes Opfer zu, und dieses wich noch weiter zurück. Erneut kicherte er und beschleunigte seine Schritte, und der Roboter konnte anscheinend nicht weiter zurück. Sonic blieb vor ihm stehen, keinen halben Meter von ihm entfernt. Er hörte auf zu kichern, aber dafür verbreiterte sich sein Grinsen. Dann, ohne Vorwarnung, stieß er ihm seine rechte Hand in den Bauch und zog sie nach oben. Wie betäubt und geschockt blickte Sonic auf den Schirm, selbst jetzt noch, als der Roboter zerstört und der Bildschirm ganz schwarz war. Hatte er das alles wirklich getan? Hatte er wirklich ganz allein diese Roboter zerstört? War er wirklich so durchgedreht, dass er in blinder Zerstörungswut alles im Raum angegriffen hatte? Warum war das passiert? Er blickte zu Espio, der mit unlesbarem Gesichtsausdruck da saß, und zu Amy, die gar nicht hingesehen hatte, sondern sich die Augen zugehalten hatte, hinüber, und dann wandte er stumm den Kopf zu Tails und konnte einfach nicht fragen, was geschehen war und warum. Es war auch nicht nötig. Tails schloss die Datei und blickte ihn direkt an. "Ich wünschte, ich könnte dir etwas anderes sagen", meinte er leise. "Aber dieser Igel, der alle Roboter rücksichtslos zerstört hat, das warst du." Sonic wurde schlecht. "Warum... warum...?", flüsterte er. "Warum du dich so verändert hast?", vollendete Tails den Satz. "Den Grund halte ich in meiner Hand." Überrascht hob Sonic den Kopf, sah aber nur den Emerald. "Du meinst...", fing er langsam an. "Ja", meinte Tails. "Du hast die Macht des Emeralds genutzt - wenn auch nicht absichtlich, aber das ist jetzt egal - und mit dieser Hilfe die Roboter zerstört und so mich und Amy gerettet. Und das ist der Punkt", betonte er noch einmal. "Robotnik konnte mit all seinen Maschinen die Macht des Emeralds nicht nutzen. Du konntest es." Verwirrt blickte der Igel zu seinem Freund hinüber, und langsam, ganz langsam wurde ihm die Tragweite dessen klar, was er soeben erfahren hatte. Er konnte diesen Kristall, einen der mächtigsten Gegenstände der Welt, nutzen. Für seine Zwecke, für seine Ziele. Doch bevor er etwas sagen konnte, fuhr Tails fort. "Espio hat uns drei dann herausgeholt. Durch dieses helle Licht wurde er auf die Ereignisse aufmerksam, kam und hat es doch tatsächlich irgendwie geschafft, uns drei an den Polizisten vorbeizubringen." "Und was habt ihr gestern gemacht?", wollte Sonic wissen. "Einige Freunde von mir besucht", mischte sich Espio ein. "Ich hab meine Kontakte genutzt, um einmal diese Datei da aus dem Zentralcomputer der Robotnik GmbH zu ziehen und zum anderen hat mich Tails um einen Gefallen gebeten." Aufs Neue überrascht, blickte Sonic zurück zum Fuchs. Der wurde rot, als ob es ihm peinlich wäre. "Ich hab einen Freund von Espio nach einem Flugzeug gefragt", sagte er dann schließlich. "Nach der Legende werden Die Chaos Emeralds auf einer fliegenden Insel aufbewahrt, und wenn es einen gibt, warum nicht noch mehr? Ich will eigentlich jetzt nach der fliegenden Insel suchen." Sonic lächelte. "Gute Idee", meinte er. "Ich will mit. Allein kann ich dich doch nicht gehen lassen." "Das trifft sich", meinte Tails. "Das Ding ist ein Zweisitzer. Alles, was wir noch bräuchten, wäre ein Radar für die Emeralds, um die anderen sechs orten zu können." "Du schaffst das schon", wollte Sonic sagen, wurde aber von Amy lauthals übertönt. "Ihr könnt mich doch nicht einfach hier lassen!", rief sie dazwischen. "Ich will mit!" Sonic schüttelte den kopf. "Das geht nicht", sagte er. "Das Flugzeug hat nur zwei Sitze. Außerdem ist es zu gefährlich für dich." "Für Tails doch auch!", widersprach sie aufgeregt. "Er ist viel jünger als ich!" "Aber irgendjemand muss doch das Flugzeug fliegen", meinte der kleine Fuchs. "Außerdem bin ich der einzige, der mit einem solchen Radar etwas anfangen könnte. Irgendjemand muss ihn doch lesen können. Und mit mir und Sonic haben wir die zwei Personen schon voll." "Ich werd auf dich aufpassen", meinte Espio und grinste. "Lass die beiden mal allein fliegen." Amy seufzte. "Na schön", meinte sie. "Es geht wohl nicht anders." Kapitel 11: Der Wächter ----------------------- Tails warf erneut einen Blick auf die Anzeigen, als er das Flugzeug um eine Wolke herumzog und anschließend wieder ausrichtete. Der Doppeldecker war wirklich genau so einfach zu fliegen, wie Espios Freund Vector behauptet hatte. Auch wenn Vector, ein Krokodil, das Espio um zwei Köpfe und Tails gleich um das doppelte seiner eigenen Größe überragte, nicht unbedingt verlässlich, sondern im Gegenteil durch sein ewiges Kaugummigekaue schon fast zu entspannt ausgesehen hatte, verrichtete das Flugzeug einen wirklich guten Dienst. Anscheinend war auf Vector doch Verlass. Die Instrumente zeigten zwar einen vollen Tank und Höchstgeschwindigkeit an, aber der Radar, der sie zu den übrigen Chaos Emeralds führen sollte, zeigte nichts. Gar nichts. Tails warf einen Blick über die Schulter und sah, dass Sonic immer noch schlief. Der Igel war schon kurz nach dem Start eingeschlafen und bis jetzt, in mehreren Stunden Flug, noch nicht wieder aufgewacht, aber auch mit seiner Hilfe würde er kaum schneller einen Emerald finden, geschweige denn alle sechs - falls sie sich wirklich an einem Ort befanden. Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine Gewitterfront im Norden - jedenfalls ließen die schwarzen Wolken darauf schließen. Das war ja an sich nichts ungewöhnliches, aber in genau dem Moment gab der Emeraldradar über Tails' Pilotenkopfhörer einen scharfen Signalton ab. Sonic hörte ihn ebenfalls über seine Kopfhörer und fuhr aus dem Schlaf hoch. "Was ist los?", fragte er Tails verschlafen über das Mikrofon, das an seinen Kopfhörer angeschlossen war. "Der Radar hat einen Emerald entdeckt", gab Tails auf dem gleichen Weg zurück und drehte das Flugzeug scharf nach Norden, auf die Gewitterwolken zu. Der Radar piepte noch weitere fünf Male. Der junge Fuchs zog überrascht die Augenbrauen hoch. "Der Radar hat fünf weitere Emeralds geortet", erklärte er. "Die sechs Emeralds befinden sich in Richtung dieser dunklen Wolken da." Dabei wies er auf die Gewitterfront vor ihnen, die jetzt schnell näherkam und offensichtlich größer war, als sie vermutet hatten. Und sie schien noch weiter zu wachsen, als sie näher kamen. Tails zog die Stirn kraus und warf erneut einen blick auf den Radar. Kein Zweifel, die Emeralds waren in dieser Gewitterfront, aber die Wolken waren ihm nicht geheuer. Selbst als er jetzt einmal um die Wolken herumflog, schienen sie sich noch höher aufzutürmen, noch dunkler zu werden. "Und da müssen wir rein?", fragte Sonic zaghaft. Eigentlich hatte er ja vor Gewittern keine Angst, aber mit einem kleinen Doppeldecker in diese Wolken hineinzufliegen, kam ihm fast schon wie Selbstmord vor. Jeder Blitz konnte sie so leicht zerreißen wie ein Blatt Papier. "Wenn wir die Emeralds finden wollen, dann schon", gab Tails zurück, aber auch er klang nicht eben überzeugt davon. Trotzdem wandte er den kleinen Doppeldecker auf die schwarzen Wolken zu und beschleunigte. Je schneller sie da durch waren, desto besser, dachte er, als sie auch schon die kalte Schwärze der Wolken umfing. Unheilvolles Grummeln umgab sie, und Tails konnte nichts von dem sehen, was sich vor ihm befand, aber das war in dieser Höhe vermutlich egal. Es konnte sich sowieso nichts vor ihnen - Da zerteilte sich der Wolkenschleier direkt vor ihnen und offenbarte den Blick auf eine Insel, die inmitten der Wolken schwebte. Sie war nicht allzu groß. Ihr Durchmesser mochte vielleicht fünf Kilometer betragen. Aber fast ihre gesamte Fläche war von anscheinend undurchdringlichem Dschungel bewachsen. Die Bäume ragten meterhoch in den Himmel und ließen keinen Blick auf die Welt unterhalb ihrer Wipfel zu. Am Rande der Insel lief der Dschungel in einen dünnen Wiesenstreifen aus, der unvermittelt an den Klippen der Insel, dem letzten Halt vor einem Sturz aus mehreren hundert Metern Höhe, endete. In der Mitte des Dschungels gab es einen kleinen See voller kristallklarem Wasser, auch wenn unklar war, was das Wasser hier auf dieser Insel hielt. Am Rande des Sees glaubte Tails in einer Lücke im Blätterdach irgendeine Ruine zu entdecken, aber bevor er sich sicher sein konnte, war bereits das Blätterdach dazwischen. Er zog das Flugzeug einmal quer über die Insel und blickte hinab, aber außer dem dichten Blätterdach und der Ruine - falls er sich nicht geirrt hatte - konnte er nichts entdecken. "Was ist das für eine Insel?", fragte Sonic. "Wie kann eine Insel hier in der Luft schweben?" "Das muss Angel Island sein", antwortete Tails langsam, "die Insel der Emeralds. Wenn der Radar nicht lügt, dann befinden sich die anderen sechs Emeralds hier auf dieser Insel. Anscheinend halten genau diese Emeralds sie auch in der Luft." "Aber warum sieht man sie nicht von unten?", fragte Sonic zweifelnd. "So eine Insel sollte in der Luft doch eigentlich unmöglich zu übersehen sein." "Wahrscheinlich sind diese schwarzen Wolken ein Sichtschutz gegen Außenstehende", meinte Tails. "Von hier sind sie nämlich nicht zu sehen. Vermutlich noch ein Trick der Emeralds." Und tatsächlich war der Blick von hier oben, von der Insel nach draußen so klar, wie er nur sein konnte. Die Gewitterwolken waren nur von außen vorhanden, wie es schien. "Bei einer Gewitterfront würdest du doch von unten nichts außergewöhnliches vermuten", meinte er noch, bevor er das Flugzeug auf dem dünnen Grasstreifen am Rand des Dschungels landete. Sonic löste den Sicherheitsgurt, nahm das Headset vom Kopf, legte es auf den Sitz und sprang mit einem Satz auf den Boden. Es war warm auf dieser Insel, so warm, wie man es von einem Dschungel erwarten würde, aber Tails zuckte nur mit den Schultern. Auch wenn die Luft in dieser Höhe eigentlich viel kälter und dünner hätte sein müssen, war sie tropisch warm und feucht - und von dünner Luft war nicht viel zu merken. Es war im Gegenteil fast unangenehm drückend, obwohl es noch nicht einmal Mittag war. Vermutlich war das auch wieder dem Einfluss der Emeralds zuzuschreiben. Sonic sah sich um. Der Wiesenstreifen war an der Stelle, wo sie gelandet waren, zwar knapp zwanzig Meter breit, aber nicht weit entfernt schrumpfte er wieder zusammen und war höchstens noch fünf Meter breit. Das Gras wuchs etwa knöchelhoch, und nicht weit entfernt begann bereits der Dschungel, in den man keine zwei Meter weit hineinblicken konnte. Unter dem dichten Blätterdach herrschte Dunkelheit. "Ziemlich gut bewachsen für eine fliegende Insel, oder?", rief er zu Tails hinüber, der längst das Flugzeug verlassen hatte und auf ihn zukam. "Hängt vermutlich mit den Emeralds zusammen", gab der kleine Fuchs zurück. "Wir sollten uns umsehen. Wenn wir die Emeralds finden wollen, müssen wir anfangen zu suchen." "Warum nutzen wir nicht den Radar?", fragte Sonic. "In der Eile, in der ich ihn gebaut habe, habe ich ihn nicht fein genug eingestellt gekriegt", meinte Tails verlegen. "Er kann uns nicht mehr sagen, als dass die Emeralds hier auf dieser Insel sein müssen. Wenn ich mehr Zeit gehabt hätte, dann hätte ich ihn vermutlich auf Taschenuhrgröße verkleinern können, anstatt ihn im Flugzeug einbauen zu müssen, und dann hätte ich ihn vermutlich auch mit Feineinstellung gebaut, damit wir ihn auch für die Suche zu Fuß verwenden können, aber im Moment müssen wir leider auf ihn verzichten." Er hob eine Hand, in der er den Emerald hielt. "Der hier kann uns aber vielleicht weiterhelfen. Der Legende zufolge reagieren die Emeralds aufeinander. Wenn er also irgendetwas ungewöhnliches tut, wissen wir, dass mindestens ein Emerald in der Nähe ist." Damit ging er auf die Dschungelgrenze los. "Wo willst du hin?", rief Sonic hinter ihm her. "Ich habe beim Anflug eine Ruine gesehen", rief Tails über die Schulter zurück. "Ich habe die ungefähre Richtung noch im Kopf, und die würde ich mir gerne ansehen. Irgendwo müssen wir ja anfangen zu suchen, oder?" Sonic zuckte nur mit den Schultern. Etwas besseres fiel ihm auch nicht ein, also beeilte er sich, Tails einzuholen, und gemeinsam betraten sie den Dschungel. Schon nach wenigen Schritten befanden sie sich im dämmrigen Halbdunkel unter dem Blätterdach. Die Luft war dick, schwer und stickig, wie zu erwarten gewesen war, aber das machte das Atmen in dieser Luft nicht leichter. Nach allerhöchstens hundert Metern lief den beiden der Schweiß in Strömen übers Gesicht und durch den Pelz, aber trotzdem gingen sie weiter, auch wenn sie kurze Zeit später schon schwer atmeten. Schließlich konnte Tails nicht weiter und ließ sich einfach auf den Boden fallen, wo er sich an einen Baum lehnte. Sonic sah mitleidig zu ihm herüber. Tails mit seinem Fell hatte unter diesen Umständen natürlich noch mehr zu leiden als er, und noch dazu war Tails wesentlich jünger als er - und er war ja auch schon ziemlich erschöpft. Also setzte er sich neben ihn, und einige Minuten schwiegen sie beide. "Hast du eine Ahnung, wie weit es noch ist?", fragte Tails schließlich leise. "Ich kann einfach nicht mehr..." Sonic schüttelte den Kopf. "Wenn die Richtung stimmt", meinte er, dann müssten wir eigentlich bald zur Ruine kommen. So groß ist diese Insel ja nun nicht, als dass wir hier stundenlang durch den Dschungel irren müssten." Tails nickte. "Wir sind allerhöchstens eine halbe Stunde unterwegs", sagte er langsam, als fiele es ihm erst jetzt auf. "Es ist doch nicht normal, das wir schon so erschöpft sind... oder?" "Nein", sagte Sonic nachdenklich. "Glaubst du, das ist wieder ein Trick der Emeralds, um Fremde abzuhalten?" "Wer kann das wissen?", fragte Tails ebenso nachdenklich. "Möglich ist es auf jeden Fall... aber warum sollten die Emeralds versuchen, uns wegzuhalten?" "Vielleicht, weil ihr auf dieser Insel nichts verloren habt." Das war nicht Sonics Stimme! Tails fuhr zusammen und blickte an Sonic vorbei, in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war, sah aber niemanden. Die Stimme war ein bisschen rauer gewesen als Sonics Stimme, aber wer auch immer da gesprochen hatte, schien nicht viel älter zu sein als er. Auch der Igel sah sich um, aber auch er konnte niemanden entdecken. "Halt die Klappe", knurrte er. "Ich lasse mir von niemandem Vorschriften machen." Auf der anderen Seite, rechts von ihnen, knackte ein Zweig. Sonic sprang auf und blickte dorthin, und ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. "Komm raus, du Feigling, oder muss ich dich holen kommen?" "Das wird nicht nötig sein", kam die Antwort - und zwar dicht hinter und über ihm. Sonic fuhr herum und konnte nur einen schnellen Schatten sehen, bevor er vom Unbekannten einen Tritt an den Kopf erhielt, der ihn von Tails weg an einen nahen Baum schleuderte. Sonic rappelte sich wieder auf und sah dorthin, wo er eben noch gestanden hatte und wo jetzt der Kerl stand, der ihn niedergeschlagen hatte. Wie er hatte er Stacheln, die allerdings blutrot waren, bis auf ein sichelförmiges weißes Zeichen auf seiner Brust, und ihm wie zu lange Haare am Kopf herabhingen. Auf den Knöcheln seiner Zeige- und kleinen Finger hatte er klar erkennbare scharfe Spitzen, und wie stark er war, hatte Sonic selbst gerade am eigenen Leib erfahren. Aber sonst sah er ihm gar nicht so unähnlich. Sie waren beide von der Statur sehr ähnlich gebaut, von den kräftigen Armen und Beinen bis hin zur Kopfform, wo sich lediglich seine violetten Augen von den grünen Augen Sonics unterschieden. Und auch wenn die Stimme des Unbekannten etwas rauer war als die des Igels, so klang sie doch recht ähnlich. Als dieser sich den Unbekannten ansah, zogen urplötzlich Bilder aus einem Traum vor seinem inneren Auge vorbei... Bilder einer verfallenen Schreinruine, mit jemandem, der genauso ausgesehen hatte wie das Wesen, das ihn gerade unvermittelt angegriffen hatte... Konnte es sein, dass sein Gegenüber genau derjenige war, den er im Traum gesehen hatte? Möglich war es zweifellos, aber das war doch zu unwahrscheinlich... oder war es gar kein Zufall, dass er ihn im Traum gesehen hatte? Aber wenn es kein Zufall war, was dann? Aus dem Augenwinkel sah er, dass Tails sich mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen an den Baumstamm drückte. Irgendetwas musste ihn wirklich sehr erstaunen. "Wer seid ihr?", fragte der Unbekannte scharf und holte ihn so in die Wirklichkeit zurück. "Und was wollt ihr hier?" "Ich wüsste nicht, dass dich das was angeht", gab Sonic ebenso scharf zurück. "Ob du das weißt oder nicht, ist mir egal", erwiderte der andere kühl. "Ich frage dich als Wächter dieser Insel, wer ihr seid und was ihr hier wollt." Sonic musste grinsen. "Der Wächter dieser Insel, soso... Man sollte doch meinen, die Chaos Emeralds bräuchten keine zusätzliche Bewachung, aber da du ja nun hier bist, muss ich dir wohl antworten, großer Wächter." Das Gesicht des anderen färbte sich noch roter, als es ohnehin schon gewesen war, und mit vor Wut zitternder Stimme entgegnete er: "Wenn du noch einmal so unverschämt wirst, wird es dir leid tun, klar? Du weißt nichts über die Chaos Emeralds, und du weißt genauso wenig über diese Insel und über mich. Jetzt sag schon, wer du bist und was du hier willst, du Großmaul, und dann verschwindest du am besten gleich wieder." "Ich bin Sonic", gab der Igel zurück. Langsam wurde er wütend. Niemand sprach mit ihm in diesem Ton, auch kein selbst ernannter Wächter irgendeiner seltsamen fliegenden Insel. "Und ich will die anderen sechs Emeralds haben, die angeblich hier auf dieser Insel sind." "Das kannst du vergessen, Sonic", meinte der Rote. "Die Emeralds wirst du nicht bekommen." "Und wer sollte mich daran hindern?", fragte der Igel höhnisch. "Etwa du? Du hattest nur Glück, als du mich eben getroffen hast. Noch mal wird dir das nicht gelingen." "Reiz ihn nicht, Sonic", sagte da Tails laut. "Gegen ihn hast du keine Chance." Irritiert blickte Sonic zu Tails hinüber, während der Rote sich ebenso verwirrt zu dem kleinen Fuchs umdrehte. "Woher willst du das wissen?", fragte er gefährlich leise, aber seine Stimme zitterte. Warum ist er so nervös?, fragte Sonic sich. Tails musste es auch bemerkt haben, ließ es sich aber nicht anmerken, als er weitersprach. "Ich habe gesehen, wie schnell du bist und wie stark du bist, das ist alles." Ein seltsames Leuchten in seinen Augen verriet Sonic aber, dass das nicht alles war. Tails war eben ein schlechter Lügner, aber ihrem Gegenüber schien das nicht aufzufallen. Er nickte nur langsam. "Du scheinst mehr Verstand zu haben als dein Freund da drüben", meinte er. Seine Stimme zitterte nicht mehr, wie Sonic sofort bemerkte. "Dann müsste dir auch klar sein, dass ihr besser schnell von hier verschwinden solltet. Und den Emerald, den ihr mit euch herumtragt, den werdet ihr hier lassen. Diese Kristalle gehören auf diese Insel." "Aber sonst hast du keine Probleme, oder?", fragte Sonic und schüttelte den Kopf. "Dieser Emerald gehört uns, und wir werden ihn wieder mitnehmen." "Diese Kristalle gehören niemandem", erwiderte der Wächter scharf. "Selbst diejenigen, die behaupten, sie zu besitzen, können doch nicht ihre Kräfte nutzen. Der einzige, der das kann, bin ich. Mit welchem Recht behauptest du, dieser Kristall gehöre euch?" "Mit dem Recht von jemandem, der seine Kräfte benutzt hat", gab Sonic zurück. "Ohne es zu wollen", fügte sein Gegenüber hinzu. "Du hast zwar die Macht des Kristalls genutzt, aber du konntest sie nicht kontrollieren." Verwundert wich der Igel einen Schritt zurück. "Woher...?" "Das brauchst du nicht zu wissen", fuhr der Unbekannte dazwischen. "Ich weiß es einfach. Und ich weiß auch, dass du die Kräfte des Emeralds ganz sicher nicht kontrollieren kannst. Deine Behauptung, der Emerald gehöre dir, ist ganz eindeutig falsch. Also", und hier wurde seine Stimme wieder gefährlich ruhig, während er mit den Fingerknöcheln knackte, "gib ihn her." "Hol ihn dir doch", meinte Sonic verächtlich. "Ich habe keine Angst vor dir." Der Unbekannte zuckte nur mit den Schultern. "Du wolltest es so", sagte er fast entschuldigend. Dann stürmte er blitzschnell vor und holte zu einem rechten Haken aus. Sonic duckte sich schnell, und der Schlag ging ins Leere. Als er jedoch mit einer linken Geraden antworten wollte, sprang sein Gegner zur Seite, packte ihn mit beiden Händen am Arm, und ehe der Igel sich darüber klar wurde, was passierte, lag er schon auf dem Rücken und hatte die Faust seines Gegners am Hals, mit den scharfen Spitzen an der Hauptschlagader. "Also?", fragte sein Gegner, scheinbar freundlich, und drückte die Spitzen in die Haut auf der Ader, sodass Sonic spüren musste, dass er binnen weniger Sekunden tot sein konnte. "Was ist jetzt mit dem Emerald?" Sonic schluckte wütend. Am liebsten hätte er gar nicht oder mit irgendeiner Beleidigung geantwortet, aber dann wäre er vermutlich sofort tot. Er hatte wirklich keine Wahl. "Gib ihm den Emerald, Tails", sagte er laut und deutlich. Der kleine Fuchs warf den Emerald sichtlich widerstrebend zum Unbekannten hinüber, der ihn mit der freien Hand auffing und kurz aufleuchten ließ, wie um sich zu vergewissern, dass er echt war. Dann nickte er kurz und stand auf. "Ich rate euch zu verschwinden", sagte er noch. "Wenn ich euch noch einmal hier entdecke, muss ich euch nämlich eigenhändig von der Insel werfen, und es geht da ganz schön tief runter." Damit wandte er sich um und verschwand im Dschungel. Völlig verwirrt blickte Sonic ihm nach. "Ein seltsamer Typ", sagte er leise. "Wenn er wirklich nur den Emerald haben wollte, warum hat er dann so lange mit uns geredet?" "Vermutlich, weil er einsam ist", meinte Tails nachdenklich und blieb neben Sonic, der noch auf dem Boden saß, stehen. "Hast du jemals vom Volk der Echidna gehört?" Sonic legte die Stirn in Falten und dachte angestrengt nach. "Nicht, dass ich wüsste", meinte er schließlich. Zumindest nicht in der jüngeren Vergangenheit - an alles, was länger als zwei Jahre her war, wollte er sich lieber nicht erinnern. Tails seufzte. "Die Echidna waren vor einigen tausend Jahren eine Hochkultur", begann er zu erklären. "Ihr Reich war ziemlich groß, und sie müssen innerhalb der frühen Zivilisationen eine bedeutende Rolle gespielt haben - jedenfalls bis zu einer Katastrophe, die ihre Hauptstadt vollständig zerstörte. Ihr Reich hat die Hauptstadt nicht lange überlebt. Heute sind von ihren Städten nur noch zerfallene Ruinen übrig, und sie sind ausgestorben. Sie sind nur noch Gestalten von Märchen und Legenden aus eben dieser Frühzeit, aber lebende Echidna hat seit damals niemand mehr gesehen." Tails schwieg kurz, bevor er weitersprach, um das folgende zu betonen. "Allerdings ist dieser Wächter ein Echidna. Ohne jeden Zweifel." "Wie kannst du da so sicher sein?", fragte Sonic. Für ihn waren die Zweifel noch nicht aus der Welt. "Es gibt Bilder von Echidna", sagte Tails, "von ganz verschiedenen Völkern. Es gibt Beschreibungen in den Geschichten, Beschreibungen von ihrer Statur, mit besonderer Betonung für ihre Stärke und ihre Schnelligkeit. Die Bilder, die Beschreibungen, alles stimmt überein. Wir haben es hier mit einem lebenden Echidna zu tun, noch dazu mit einem ziemlich jungen, nach seiner Stimme zu urteilen." "Aber die Echidna sind doch ausgestorben", wandte Sonic ein. "Du hast es selbst gesagt. Wie können wir dann aber hier einen lebenden Echidna finden - noch dazu einen jungen Echidna?" Tails zuckte hilflos mit den Schultern. "Ich wünschte, ich wüsste eine Antwort auf diese Frage", seufzte er. "Mir ist das genauso rätselhaft wie dir. Aber wenn wir wirklich eine Antwort haben wollen, können wir unmöglich schon verschwinden." "Vielleicht können wir ja bei der Gelegenheit gleich noch einen Emerald mitnehmen", meinte Sonic. "Zumindest den einen hätte ich schon gerne wieder." Tails nickte langsam, klang aber sehr ernst und fast ein bisschen ängstlich, als er erwiderte: "Es ist aber riskant, hier zu bleiben. Ich kann mir gut vorstellen, dass er seine Drohung wahrmacht und uns wirklich von der Insel schmeißt - und an die Emeralds wird er uns schon gar nicht heranlassen." Sonic stand auf und setzte sich in Bewegung, in die Richtung, in die der Echidna verschwunden war. "Das Risiko gehe ich ein", meinte er. "Noch mal wird er mich nicht übertölpeln." Sie brauchten nicht viel weiter zu gehen. Schon nach wenigen Metern wurde das Dickicht lichter, sodass ihnen das Fortkommen deutlich erleichtert wurde, und dann zerteilte sich plötzlich das Dickicht direkt vor ihrer Nase und offenbarte den See in der Mitte der Insel, den sie beim Landeanflug gesehen hatten. Sie waren im Norden der Insel gelandet und standen entsprechend jetzt am Nordufer des Sees. Die Sonne schien direkt von vorne auf den See, der völlig still da lag. Nicht die allerkleinste Welle war zu sehen. Wie ein Spiegel lag die Wasseroberfläche da und bot ein genaues Spiegelbild von dem, was sie vor sich sahen. Der Wald reichte bis dicht an den See heran, und zwar auf allen Seiten. Ein dünner Grasstreifen umgab den See ringsherum, und hinter ihm begann auch bereits der Dschungel. Darüber schien die Sonne auf die Insel hinunter. Sonic blieb am Ufer des Sees stehen und sog die klare, reine Luft ein, die hier über dem See schwebte. Sie war ganz anders als die stickige, heiße Luft, die unter dem Blätterdach geherrscht hatte, und er fühlte, wie eine seltsame Ruhe von ihm Besitz ergriff. Die gleiche Ruhe, die über diesem idyllischen Bild schwebte, ergriff auch ihn, und er ließ den Blick einmal rund um den See schweifen, bevor er an einer vorstehenden kleinen Klippe hängen blieb. Tails blickte hingegen ganz gezielt am Ufer entlang, und zwar auf einen bestimmten Punkt. "Sieh mal da drüben", meinte er und zeigte mit dem Finger auf einen Punkt vor ihnen. Die Stelle, die Tails bezeichnete, lag auf der anderen Seite des Sees, aber nicht direkt vor ihnen, sondern etwas nach rechts verschoben. Sonic folgte seinem Blick und bemerkte, dass der Wald an dieser Stelle deutlich früher verschwand als direkt daneben, aber was sich dort befand, war trotzdem unmöglich festzustellen. Sein Blick wanderte wieder zurück zur Klippe, ohne dass er genau sagen konnte, was seinen Blick dorthin zog. Es war eine Klippe, mehr nicht. An ihr war nichts ungewöhnliches festzustellen. Und doch spürte er, dass er dorthin wollte. Irgendetwas zog ihn wie magisch an, dorthin zu gehen. Er spürte, wie Tails an seinem Arm zog, und blickte zu ihm hinüber. "Lass uns nach da hinten gehen", meinte der junge Fuchs. "Das möchte ich mir genauer ansehen." Sonic nickte geistig abwesend. Die Klippe lief ihm nicht weg. Die konnte er sich auch noch ansehen, wenn sie wieder hier waren... aber trotzdem ließ sie seine Gedanken nicht los, und er kämpfte dagegen an, Tails einfach stehen zu lassen und zur Klippe hinzulaufen. Statt dessen folgte er ihm über den Grasstreifen, immer am Ufer des Sees entlang. Es stellte sich bald heraus, dass die Insel hügeliger war, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Der Grasstreifen an sich hob und senkte sich zwar nur geringfügig, sodass sie nur hin und wieder kleine Seitenarme des Sees durchwaten mussten, aber der Dschungel zur Rechten stand klar erkennbar auf ziemlich welligem Untergrund. Sie konnten zwar immer nur einen, höchstens zwei Meter weit hineinsehen, aber das reichte meistens schon aus, um einen deutlichen Höhenanstieg zu sehen, während an anderer Stelle die Stämme der Bäume aus den Ausläufern des Sees herausragten, die an diesen Stellen noch weit in den Wald hineinflossen. "Wir scheinen mit unserem Weg hierher Glück gehabt zu haben", meinte Sonic zu Tails. "Wir hätten einen wesentlich schwereren Weg erwischen können." Tails nickte. "Das ist mir auch schon aufgefallen", erwiderte er nachdenklich. "Ich kann nur vermuten, dass da, wo wir gegangen sind, irgendwann einmal ein Weg gewesen ist und die Hügel nicht bis an ihn heranreichten. Gut möglich, wenn man bedenkt, dass der Grasstreifen an unserem Landeplatz ungewöhnlich breit war. Vielleicht hat da irgendwann einmal eine Stadt oder eine Siedlung gelegen. Irgendwann einmal, als diese Insel noch nicht durch die Luft geschwebt ist." Er schwieg kurz, bevor er langsam und nachdenklich weitersprach. "Ist dir aufgefallen, dass dieser See nahe am Mittelpunkt der Insel liegt?", fragte er. "Wenn ich die Strecke, die wir hierher gegangen sind, mit der vermutlichen Größe der Insel vergleiche, liegt der Mittelpunkt der Insel auf der anderen Seite des Sees, und zwar sehr nah an seinem Ufer." "Ehrlich?", fragte Sonic. "Meinst du, dass sich an diesem Punkt irgendetwas besonderes befinden muss? Etwas, das diese Insel in der Luft hält?" "Wenn nicht dort, wo sonst?", fragte Tails zurück und richtete den Blick wieder nach vorne. Sie hatten den See jetzt fast bis zu dem Punkt umrundet, den Tails eben bezeichnet hatte, und wollten weitergehen, als sie eine nur zu bekannte Stimme hörten und wie angewurzelt stehen blieben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)