Pandoras Wunsch von Sternenelfchen ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Chapter 3 Mehrmals hatte Julie schon versucht zu schlafen, alle Male jedoch vergeblich. Sie fand einfach keine Ruhe. Wenn sie schlief, plagten sie beängstigende Alpträume, wenn sie nur wach da lag, sah sie dauern Nelly unter Schmerzen vor sich. Draußen regnete es bereits, seit sie zurückgekommen war, trotz ziemlich kalter Temperatur. Als es bereits kurz nach zwei Uhr nachts war, saß sie mit angewinkelten Beinen auf dem Fensterbrett, das Fenster weit geöffnet, und starrte hinunter auf die Lichter der nächtlichen Stadt. Im Arm hielt sie den Stoffengel, den Nelly ihr geschenkt hatte. Ihre Augen funkelten glasig im Licht einer flackernden Laterne, dessen Licht sie auch noch im sechsten Stockwerk erreichte. Der kalte Frostwind wehte an ihr entlang und in ihr Zimmer, doch ihr war sehr warm und sie spürte auch keinerlei Kälte in ihm. Traurig dachte sie nochmals an das, was an diesem Tag passiert war, fand jedoch auf all ihre Fragen, die sie noch hatte, nie eine Antwort, egal wie oft sie suchte. Als sie am frühen Nachmittag zusammen mit Nelly im Zug gesessen hatte, war sie wirklich riesig glücklich gewesen, hatte überhaupt nicht daran gedacht, dass sie schon zwei Stunden später ihre beste Freundin verlieren sollte. ’Dabei wollten wir um diese Zeit doch in Berlin sein und shoppen!’, dachte sie. „Um so besser lassen wir dann unsere Ferien ausklingen!“, wiederholte sie Nellys Worte mit ironischem Unterton. „Was ist das für ein Ausklang?“, schrie sie wütend, als ob Nelly ihr gegenüber sitzen würde. Doch sie saß nicht da, und wird es auch nie tun, denn Julie wird sie nie wieder sehen. „Sie ist nicht mehr da...“, murmelte sie und versuchte, ihre Tränen, die bereits wässrige Linien an ihrem Gesicht herab gezogen hatten, zu unterdrücken. „Sie ist einfach weg... weg, aus keinem Grund!“ Sie wusste zwar, dass Nelly nicht daran schuld war– das keiner daran schuld war – doch verstehen wollte und konnte sie es nicht. Als sie gerade abermals ihr Gedächtnis durchforsten wollte, überkam sie eine ungeheure Müdigkeit, wie sie sie noch nie erlebt hatte. Trotz aller Bemühungen fielen ihre Lider, schwer wie Blei, herunter und ihr Bewusstsein begann, zu schwinden. Ohne, dass sie es richtig wahrnahm, glitt sie an dem Fensterrahmen nach rechts und fiel aus dem offenen Fenster. Rasend schnell stürzte sie dem Boden entgegen. In der Vermutung, bald aufzukommen, kniff sie die Augen fest zusammen, doch plötzlich verschwand das schwerelose Gefühl und sie schien nicht mehr zu fallen. ’War’s das schon?’, dachte sie verwundert. ’Bin ich schon... tot?’ Verwundert öffnete sie wieder ihre Augen und sah sie sich um. Sie lag irgendwo auf dem Boden. Um sie herum war es dunkel. Es gab keine lichtspendenden Straßenlaternen mehr und der Boden fühlte sich nicht wie Beton an, sondern ehr wie: „Gras?“ Verwundert rupft sie ein kleines Büschel heraus und hielt es so nah wie möglich an ihr Gesicht, obwohl sie wusste, dass sie auf Grund des Lichtmangels nicht sehen konnte. Verwirrt stand sie auf, ging vorsichtig etwas nach vorne, rannte dann ein paar Schritte zurück und blieb, noch verwirrter als vorher, stehen. Wo, verdammt noch mal, war sie? Ratlos setzte sie sich wieder hin und dachte nach, was sie jetzt am besten tun sollte. Als sie gerade darüber spekulierte, ob sie vielleicht wirklich tot war und sich am besten einfach nur hinlegen und schlafen sollte, drangen sanfte Klänge eines Liedes, das sie nicht kannte, an ihr Ohr und ließ sie aufhorchen. Irgendwo in ihrer Nähe spielte irgendjemand auf irgendeinem Zupfinstrument wie zum Beispiel eine Gitarre oder etwas ähnliches. Vor sich her stolpernd ging sie in die Richtung, aus der sie kamen. Bereits nach wenigen Minuten sah sie etwa hundert Meter von sich entfernt ein Lagerfeuer umgeben von lichtbeschienenen Nadelbäumen. Verwundert sah sich Julie um. Bisher hatte sie keine Bäume feststellen können, als sie sich jedoch umdrehte, sah sie mehrere Kiefern und Lärchen um sich herum und direkt hinter ihr, wo sie gerade noch lang gelaufen war, stand nun eine ganz besonders breite Fichte. Verwundert darüber, dass sie diese gar nicht gesehen hatte, zumal sie ja eigentlich durch sie hindurch gelaufen sein musste, schlich sie sich leise und vorsichtig heran und versteckte sich hinter einer der riesig wirkenden Kiefer. Eine Frau mit langem, blondem Haar, Julie schätzte sie auf etwa zwanzig Jahre, saß auf einem Baumstamm und spielte auf einer Laute eine fremdartige Melodie. Dazu sang sie mit leiser, aber wunderschöner Stimme in einer fremdartigen Sprache. Julie schloss die Augen und hörte entspannt zu. Sie fühlte sich in diesem Moment unbeschwert. Auch, wenn es absolut keinen Grund dafür gab, waren plötzlich aller Ärger und alle Sorgen wie verflogen. Selbst der Tod ihrer Freundin war für sie eine kurze Zeit wie verblasst. Als die Frau ihr Spiel beendet hatte, lächelte sie und sprach: „Hat es dir gefallen?“ Verdutzt sah sich Julie um, ob noch jemand bei ihr saß, den sie übersehen hatte, doch da war niemand. Zu ihrem Erstaunen blickte die Sängerin in ihre Richtung. „Du kannst ruhig hervor kommen. Ich habe dich schon bemerkt, als du gekommen bist. Auch, wenn Julie noch immer unsicher war, ob sie gemeint war, trat sie hinter der Kiefer hervor und fing gleich nervös an, sich zu entschuldigen: „Es tut mir wirklich leid, dass ich sie belauscht habe, aber da war es so dunkel und dann war da ihre Musik und dann auf einmal überall Bäume und–“ „Ich weiß.“ Verdutzt sah Julie die Frau an. Eigentlich hatte sie etwas ganz anderes erwartet als einfach nur die zwei Worte ’ich weiß’. Und überhaupt würde sie jeder normale Mensch bei dem, was sie gerade zusammen gestottert hatte, für verrückt erklären. „Äh, ja und dann bin ich hier bei ihnen gelandet und habe zugehört...“ Die Frau lächelte amüsiert, während sie Julies verwirrtes Gesicht musterte. „Ich weiß.“, antwortete sie abermals. „Willst du dich nicht erst mal setzten? Dann kannst du mir ja auch gleich meine Frage beantworten.“ „Welche Frage?“, fragte Julie verwirrt. „Na ob es dir gefallen hat.“ „Was? Oh, äh, ja! Natürlich hat mir ihre Musik gefallen! Es war wunderschön und sie können wunderbar singen und spielen und das klang ganz fabelhaft!“, antwortete Julie hastig und fügte auch gleich hinzu, „Äh, können sie mir sagen, wo ich, äh, ich meine wir hier sind? Welcher Wald ist das hier? Immer noch einer in Brandenburg oder schon außerhalb? Und wie bin ich hier her hergekommen?“ Eigentlich hatte sie noch viel mehr Fragen, doch als sie Luft zum Weiterreden holen musste, bemerkte sie, dass die Frau keine Anstalten machte, ihr zu antworten. Sie saß einfach nur da und starrte sie mit ihren grünen im Feuerschein glänzenden Augen an. „Willst du dich nicht erst mal setzten?“, fragte die Frau nochmals und nickte dabei auffordernd zu einem großen Findling an dem Feuer. „Oh, äh, klar!“ Etwas unsicher stolperte Julie zu dem Stein herüber und nahm Platz. Währenddessen hatte die Frau ein neues Lied angestimmt und fing wieder an in der fremden Sprache zu singen. Julie, die sich nicht traute, irgendetwas dagegen einzuwenden, auch, wenn es sie noch so sehr ärgerte, dass sie keine Antwort bekam, blieb einfach dort sitzen, lauschte der Melodie und betrachtete dabei die gegenübersitzende Sängerin. Als erstes fielen ihr wieder ihr langes, fast schon silbrig glänzendes Haar und diese leuchtenden, mandelförmigen und leicht schräg liegenden Augen auf. Das allein ließ sie schon sehr fremdländisch aussehen, doch ihrer Kleidung nach zu urteilen musste sie entweder aus einer Kultur stammen, die Julie nicht kannte oder gar aus dem Mittelalter. Vielleicht fand hier in der Nähe eine Art Fest statt. Vielleicht ein Mittelaltermarkt oder ein Kostümball, denn heutzutage trug man so was nicht mehr. Ihre reichlich verzierte Kleidung erinnerte sie etwas an die der Zigeuner, wie sie sie aus Filmen kannte, jedoch wirkte sie etwas abgenutzt. Zur Abhaltung der Kälte hatte sie auch noch einen Umhang, der mit einer Brosche befestigt war, locker über die Schultern hängend. Alles in Allem ein ziemlich seltsames Aussehen. Doch plötzlich viel ihr noch eine seltsame Sache auf: ihre Ohren! Sie waren nicht, wie bei ’normalen’ Menschen, sondern lang und spitz. Auch, wenn sie wirklich auffällig sind, hatte Julie sie nicht sofort sehen können, da sie von ihren Haaren verdeckt waren. Sie schien eine Elfe zu sein. Eine richtige Elfe! Endlich konnte Julie sich sicher sein, dass Elfen keine kleinen Mädchen und Jungen mit Schmetterlingsflügeln und einem Blumenkelch als Hütchen sind, sondern so aussahen, als seien sie direkt Julies Vorstellung entsprungen. Währenddessen hatte die merkwürdige Frau wieder aufgehört zu spielen und sah sie mit forschendem Blick an. Julies Augen klebten immer noch verwundert und voller Interesse an den Ohren der Elfe, doch als sie endlich mitbekam, dass sie ebenfalls beobachtet wurde, war es ihr unangenehm und sie wandte ihren Blick hastig ab. Leicht verlegen fragte Julie noch einmal, wo sie sich befand. Diesmal bekam sie sofort eine Antwort. „Ich könnte jetzt sagen, dass du im Himmel bist.“, antwortete die Frau nachdenklich, „Aber ich könnte auch sagen, dass dieser Ort hier der Olymp ist. Aber egal, was ich sage, es ist der Sitz der Götter. Die ’ Welt ’ der Götter. Aller Götter, denke ich.“ Sie zuckte mit den Schultern. „So genau weiß ich das auch nicht. Nenn es, wie du willst. Jedenfalls wohnt hier alles Übernatürliche. So wie ich.“ Als sie bemerkte, dass Julie sie einfach nur anstarrte, anscheinend sehr erstaunt, nahm sie es ihr ab zu fragen und sagte einfach: „Du hast ja bereits mitbekommen, dass ich nicht menschlich bin, nicht war? Ja, hast du. Du hast die ganze Zeit auf meine Ohren gestarrt, und da du ziemlich viel ließt, wie ich weiß, dürftest du wissen, dass man Wesen wie mich ’Elfen’ nennt, nicht wahr?“ All diese Worte sprach sie mit ruhiger, freundlicher Stimme. Als Julie immer noch nicht reagierte, hob sie eine Augenbraue und fragte sie mit zweifelndem Blick: „Sag mal, Mädchen, geht es dir gut? Du siehst ganz schön blass aus. Ich kann ja verstehen, dass das alles jetzt etwas, na ja, seltsam klingt, aber du kannst mir ruhig glauben.“ Wie erstarrt saß Julie da und starrte die Elfe an. Gerade eben hatte sie von einem eigentlich nicht existierenden Fabelwesen, das genau wusste, was sie las, erfahren, dass sie im Himmel ist. Nach einigen Minuten des schweigenden Nachdenkens legte sie fest, dass es an ihrem schweren Sturz liegen musste. Sie musste schwer auf den Kopf gefallen sein. Genau, das war es! Aber wenn sie nun doch tot war? Wenn sie bei dem Sturz tatsächlich umgekommen war? Wenn man es so betrachtete, hätte es durchaus möglich sein können, dass dies hier der sogenannte Himmel, also das Totenreich, war. Lange Zeit grübelte sie noch darüber, blieb jedoch immer wieder bei dieser Möglichkeit hängen, bis sie es dabei beließ. Plötzlich schreckte sie aus ihren Gedanken, denn die Elfe stand plötzlich, ohne, dass sie es mitbekommen hatte, direkt neben ihr und sah sie forschend an. „Na? Endlich wieder wach? Während du geträumt und einfach Löcher ins Feuer gestarrt hast, haben wir Besuch bekommen.“, erklärte sie ihr lächelnd und deutete auf einen jungen Mann, der nun am Feuer saß und sich wärmte. ’Gut!’, dachte sie. ‚Dann spiel ich halt einfach mit. Kann ja vielleicht noch ganz interessant werden.’ Also deutete sie zu dem Mann herüber und fragte die Elfe, wer das sei. „Oh, das kannst du ihn ja selber fragen. Er möchte dich sowieso sprechen. Aber ich bitte dich: Sei höflich!“, antwortete sie mit teils wichtigtuerischer, teils ehrfürchtiger Stimme. „Von mir aus.“, erwiderte sie mit lässiger Stimme und trat vor den Mann und untersuchte ihn flüchtig. Er sah tatsächlich wie jemand Wichtiges aus, denn seine Kleidung war anscheinend aus wertvoller, echter Seide und dazu übersäht mit goldenen Mustern und Schmuck, wie Bänder und ähnlichem. Trotz allem schätzte sie ihn nicht älter als 25 Jahre. „Guten Tag!“, sprach sie mit fester, selbstbewusster Stimme. Der Mann sah auf und blickte sie mit unverhohlener Neugier an. Dann sprang er auf, fasste sie bei ihren Handgelenken, zog sie an sich heran und küsste sie. Das ging so schnell, dass Julie erst gar nicht reagieren konnte, doch als der Schock dieser ’Begrüßung’ endlich wieder verflogen war, versuchte sie, sich nach Leibeskräften wieder aus dem groben Griff zu lösen. Wild versuchte sie, ihre Handgelenkte frei zu bekommen und stieß immer wieder unterdrückte Schreie aus, doch leider war sie nicht stark genug, um gegen ihn anzukommen. Endlich, es kam Julie schon wie eine Ewigkeit vor, ließ er sie los und sie wich stolpernd nach hinten. Als sie wieder zu Atem gekommen war, stampfte sie auf ihn zu und holte aus zu einer Ohrfeige, doch jemand hinter ihr kam ihr zuvor. Klatsch! Eine Hand mit langen, schmalen Fingern hinterließ einen roten Abdruck auf der Wange des verdutzten Mannes, der wie angewurzelt und anscheinend völlig überrascht über diese Reaktion, dastand. Verdutzt sah Julie nach rechts, um den Besitzer der Hand ausfindig zu machen und blickte in das wütende Gesicht der Elfe. „Wie kannst du es wagen“, schrie sie mit spitzer Stimme, „ihr das anzutun?“ „Cherub, erkläre du mir erst mal, welches Recht du hast, mich zu schlagen?“, erwiderte der Mann mit plötzlich ebenso empörtem Gesicht. Cherub, schlussfolgerte Julie, war anscheinend der Name der Elfe. Doch bevor sie noch weiter nachdenken konnte, entgegnete ihm die Elfe, nun mit etwas ruhigerer Stimme und leisem, stolzen Unterton, „Ich habe die Aufgabe, auf sie Acht zu geben. Das hatte ich dir übrigens extra erklärt gehabt!“ „Richtig! Du bist ein kleiner Schutzengel und ich der Gott! Vergiss bitte nicht, wo dein Platz ist!“ Eine Minute lang starrten sich die beiden wütend und herausfordernd an, als ob sich ihre Blicke duellierten. Dann gab Cherub es auf, schloss die Augen und drehte sich weg. Mit einem Seufzer sprach sie leise: „Ich weiß sehr wohl, wo mein Platz ist, Morpheus. Aber ich weiß auch was meine und deine Pflichten sind. Und deine sind es, ihr ein Angebot zu machen und dabei auf die Kultur ihrer Epoche zu achten. Es ist bei ihr nicht Sitte, dass ein Mann jede Frau haben kann, die er sich wünscht!“ Sie drehte sich wieder um und sah ihn gleichgültig an. „So erfülle du deine Pflichten und ich werde meine erfüllen.“ Damit endete sie und sah ihn mit einem erwartungsvollen Blick an. Morpheus, so war anscheinend sein Name, sah sie ebenfalls an, aber mit einem Blick, der wie verzaubert wirkte. Er ging einen Schritt auf, fasste sie um die Taille und zog sie an sich. „Es tut mir leid. Verzeih mir.“ Verdutzt beobachtete Julie das Geschehen. Jetzt verstand sie gar nichts mehr. Gerade eben hatten sie sich noch angegiftet und jetzt? Schweigend beobachtete sie, wie er Cherub einen leichten Kuss auf die Lippen hauchte und sie es genoss. Anscheinend waren sie sich doch näher als Julie es bisher geglaubt hatte. Als er von der Elfe ablies und sich ihr zuwandte, wich sie automatisch vorsichtig einige Schritte zurück und sah ihn aufmerksam an, um im Notfall reagieren zu können. Morpheus bemerkte ihre Bewegung und erklärte ihr sofort: „Keine Angst, ich werde dich nicht noch einmal belästigen.“ Obwohl seine Stimme freundlich klang, betonte er das Wort ’belästigen’ besonders. Er wollte Julie wohl trotz aller Höflichkeit erkennen lassen, dass er ihre Reaktion vorhin als sehr hysterisch und absolut beleidigend empfand. „Mir sind die Sitten deiner Zeit nicht so geläufig wie Cherub, trotz allem habe ich ein Angebot zu machen.“ „Ich höre!“, antwortete Julie mit selbstsicherer Stimme. „Nun,“, fuhr er fort, „du erinnerst dich doch sicher noch an deine Freundin Nelly, oder?“ „Was ist mit Nelly? Woher kennen sie sie?“, fragte Julie aufgeregt. „Das ist vorerst unwichtig. Cherub dürfte dir bereits erzählt haben, wo du dich hier befindest.“ „Ja, sie sagte, dies hier ist die Welt der Götter und...“ „Richtig, und Nelly ist hier.“ Mit riesigen Augen und verdutztem Gesicht stand Julie da und starrte Morpheus sprachlos an. „W-was? Nelly ist hier? Wo? Wo? Zeigt sie mir! Ich will Nelly sehen!“ Ein siegessicheres Lächeln glitt über die Lippen des Mannes. Jetzt war er sich sicher, dass sie seinem Angebot zustimmen würde. Er hatte sie! „Nun...“, fuhr er mit unterdrückter Freude fort, „Sie befindet sich hier in dieser Welt, und zwar als Göttin“ „Als Göttin? Welche?“ „Die Göttin des Glücks und des Wohlstands: Tyche.“ Tyche, wusste Julie, ist eine griechische Schicksals- und Glücksgöttin, also so ähnlich, wie die römische Glücksgöttin Fortuna. Sie hatte darüber bereits ein Buch gelesen. „Sie ist jetzt also eine Göttin. Und dann auch noch die des Glücks! Ich denke, sie hat es sich verdient, nach so einem grausamen Tod.“ Während Julie sprach, sah sie traurig zu Boden, doch innerlich fühlte sie sich erleichtert und froh zu wissen, dass es ihrer Freundin gut ging. „Du kannst sie wieder sehen.“ Julie riss die Augen auf. Was sollte das heißen, sie könne Nelly wieder sehen. Meinte er das ernst? Als ob er ihre Gedanken lesen konnte, sprach er: „Ich lüge nicht. Du kannst sie wieder sehen. Du musst dafür nur mein Angebot annehmen.“ Für Julie war sofort klar, dass sie alles tun würde, was in ihrer Macht stand, um ihre Freundin wieder sehen zu können. „Ich mach es! Ich tu alles! Erklären sie schon, was ihr Angebot ist!“, sprach Julie aufgeregt und trat dabei immer von einem Fuß auf den anderen. „Nun, es ist eine ganz einfache Sache. Du musst ebenfalls das Amt einer Göttin annehmen.“ „Was? Mehr nicht? Aber warum ausgerechnet ich?“ „Nein, mehr nicht.“, antwortete er und erklärte gleich weiter, „Und der Grund, warum ausgerechnet du das Amt übernehmen sollst, wurde ausgewählt. Jeder Gott muss über bestimmte Charaktereigenschaften und Stärken verfügen. Wenn eine Seele diese Charakterzüge besitzt, ist sie auserwählt, in ihrem Leben eine Gottheit zu werden. Das gleiche galt auch für die Seele deiner Freundin.“ „Meine Seele wurde ausgewählt? Also werden Seelen doch wiedergeboren, oder?“ „Nein. Seelen leben einmalig und verleihen einem Wesen, ob nun Mensch, Tier oder Pflanze, Leben und seine Art zu leben. Hast du sonst noch Fragen? Ich beantworte sie dir.“ Julie dachte kurz nach und fragte dann: „Wie bin ich hier her gekommen? Bin ich tot? Und Nelly? Wie kam sie hierher?“ Diese Frage schien ihn irgendwie in Schwierigkeiten zu bringen, denn er setzte mehrmals zu einer Antwort an, schloss dann jedoch immer wieder den Mund und dachte weiter nach. Schließlich entschied er sich dann doch dafür, so zu antworten: „Nun, Julie, du stürztest aus dem Fenster und bist, na ja, nicht wirklich tot, nur so was, wie... bewusstlos. Ja, bewusstlos!“, stammelte er los. „Und Nelly... sie starb bei dem Zugunglück, bei dem du unglücklicher Weise entkommen bist.“ „Unglücklicher Weise? Was soll das denn heißen?“, schrie Julie aufgebracht los. „Hätten sie mich lieber tot gesehen?“ „Nun ja, das hätte mir auf jeden Fall viel Ärger und Arbeit erspart, aber ich erkläre es dir. Um ein göttliches Amt annehmen zu können, muss die Seele von ihrem Körper gelöst sein, denn der Körper des Gottes wird ihm verliehen und somit all seine Kräfte und Mächte. Und diese Trennung kann nur geschehen durch den Tod.“ Julie war fassungslos. War er also der Mörder ihr Freundin...und ihrer selbst? Diese Vermutung schrie sie ihm auch direkt ins Gesicht, doch er blieb ruhig und erklärte ihr, dass es Nellys Schicksal war, dort zu sterben. Und eigentlich war es auch Julies gewesen, doch anscheinend hatte Nelly sie beschützt und sie so aus dem Zug geschleudert, ohne es zu wissen. Das war ihre Willensstärke und ihre Macht als die Schicksalsgöttin gewesen, die ihr eigentlich erst in Form von verliehener Magie zu solchen Taten verhelfen konnte. Fest stand nur, dass Julie nicht gestorben war und nun irgendwie ins Götterreich geholt werden musste. „Anscheinend erinnerst du dich noch daran, dass du heruntergefallen bist, weil du eingeschlafen warst, sehe ich das richtig?“, fragte er und ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort. „Diese Müdigkeit wurde von Hypnos, dem Gott des Schlafes und zugleich meinem Vater, erzeugt. Da ich die Macht über alle Träume habe, konnte ich dich im Prinzip das alles hier träumen lassen, sodass du hier bist. Ich weiß, das klingt verwirrend, aber es musste sein.“ So richtig konnte Julie es noch immer nicht verstehen. Jemand hatte sie und ihre beste Freundin absichtlich umgebracht. Dafür wollte und konnte sie kein Verständnis aufbringen. Statt ihn aber noch einmal anzuschreien fragte sie mit gezwungen ruhiger Stimme: „Und welches Amt ist mir bestimmt? Wie heißt diese Göttin?“ „Pandora.“ „Pandora?“ Über diese Göttin hatte sie ebenfalls schon etwas gelesen. Sie wurde im Auftrag des Zeus von Hephaistos erschaffen, um die Menschen für all ihre bösen Taten zu bestrafen. So wird sie auch das ’Übel der Menschen’ genannt. Sie besitzt ein Tongefäß, die sogenannte ’Büchse der Pandora’. In ihr steckt alles Böse und wenn die Menschen böse Taten vollbrachten, war es ihre Aufgabe, jene zu strafen. „Diese Göttin steht für das Schlechte der Menschen! Was hat das mit meinem Charakter zu tun? Ich bin vollkommen gegen Krieg und das Leid der Menschen. Warum muss ich dann das ’Übel der Menschen’ werden?“, fragte Julie bestürzt. „Du musst das anders sehen.“, versuchte Morpheus ihr zu erklären. „Du hasst Krieg und jene, die ihn leiten und das ist auch der Grund, warum du Pandora werden sollst. Du hast den Gerechtigkeitssinn und die Stärke dafür. Es ist nun einmal so, wie es ist.“ Nach einer kurzen Schweigepause fragte er vorsichtig nach: „Also? Wirst du annehmen?“ Nachdenklich sah Julie zu Boden. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass sie die Passende dafür war. Es war ein großartiges Angebot für einen mindestens ebenso hohen Preis. Einerseits würde sie zwar ihre beste Freundin wieder haben, andererseits würde sie wahrscheinlich nie wieder nach Hause können. Sie würde nie wieder ihre Familie sehen und Bücher würde sie wohl auch keine mehr lesen. Aber für Nelly...? „Und ich werde sie wirklich wieder sehen?“, fragte sie vorsichtshalber nochmals nach. „Ja, du wirst sie wieder sehen. Du hast mein Wort!“ Auch, wenn sie das in ihrer Überzeugung keinen Schritt weiter gebracht hatte, war ihr Wunsch zu groß, als dass sie hätte ablehnen können. „A-also gut! Ich mach’s! Sagt mir einfach nur, was ich machen soll! Wie kann ich dem Vertrag zustimmen?“ Wieder zuckte ein Lächeln über seine Lippen, doch sofort bemühte er sich ein ernsthaftes und gleichgültiges Gesicht zu machen. Als er gerade zu sprechen anfangen wollte, mischte sich die Elfe Cherub in das Gespräch ein. „Als erstes musst du wissen, dass du, da du ein sogenanntes Amt antrittst, so etwas wie ein Willkommensgeschenk erhältst. Sobald du den Vertrag geschlossen hast, hast du einen Wunsch frei. Du kannst dir von diesem einen Wunsch alles wünschen mit Ausnahme der ’Tabus’.“ Julie öffnete den Mund, um zu fragen, aus was diese ’Tabus’ bestanden, doch Cherub fuhr ohne Pause fort. „Die ’Tabus’ bestehen aus vier verbotenen Wünschen: Erstens können Seele und Körper bereits verstorbener Wesen nicht mehr vereint werden. Zweitens können ebenso Seele und Körper noch lebender Wesen nicht getrennt werden. Außerdem kann das Schicksal und die Vergangenheit eines jeden Wesens nicht verändert werden und als letztes...“, sie machte eine beschwörende Pause um Luft zu holen, „kann der Charakter und der klare Menschenverstand eines Wesens nicht verändert oder gar verletzt werden.“ Mit diesen Worten endete sie und sah Julie erwartungsvoll an. „Und?“, fragte die Elfe nach einer Weile. „Wie lautet dein Wunsch?“ Julie zuckte nachdenklich mit den Schultern. „Ich kann mir weder wünschen, dass Julie wieder lebt, noch, dass der Unfall nie passiert wäre.“ Nachdenklich starrte sie wieder zu Boden. „Den Wunsch können sie sich schenken. Es gibt absolut nichts, was ich mir wünschen könnte.“ Traurig drehte sie sich von der Elfe und dem Mann weg und versuchte krampfhaft, die aufkommenden Tränen über ihre Enttäuschung zu unterdrücken. Das Leben war einfach ungerecht! Morpheus und Cherub sahen sich an. Der Frau tat Julie leid, doch Morpheus blickte sie ungerührt an. „Das ist ihr Problem, nicht meins!“, antwortete er auf die bettelnde Blicke Cherobs. „Ich kann die Gesetze nicht ändern, das ist mir nicht gestattet.“ Er sah weg um ihrem Blick zu entgehen und sie erkannte, dass sein Wille sich nicht ändern ließ. „Nun...“, setzte sie an, „Ich denke, du wirst noch früh genug erkennen, wofür du ihn...“ Sie stutzte, dann stotterte sie nervös weiter. „Äh, du wirst noch einen Wunsch finden, denke ich...“ Verwundert blickte Julie die Elfe an, dann schwang ihr Blick herüber zu Morpheus. Dieser bedachte Cherub mit leicht verärgertem Blick, welchen sie anscheinend bemerkt hatte, denn sie sah leicht eingeschüchtert und verängstigt zu Boden. ‚Was zwischen den beiden läuft, verstehe, wer will!’, dachte Julie, während sie sie zweifelnd beäugte. Als sie noch ein wenig umher spekulierte, was Cherub gemeint haben könnte, wurde sie von Morpheus’ Stimme in ihren Gedankengängen unterbrochen. „Nachdem jetzt alle Formalitäten geklärt sein dürften, können wir ja anfangen.“, murrte er mit ziemlich genervter Stimme. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)