Side by Side von abgemeldet
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Kapitel 1:
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SIDE BY SIDE: EVEN DEMONS CAN FALL IN LOVE
PART ONE
Kasumi Takashi, so lautet mein Name. Ich bin achtzehn Jahre alt und gehe auf die
Jyuban Schule. Ich bin am 27. Oktober geboren und somit ist mein Sternzeichen
Skorpion. Ich bin manchmal etwas vorlaut und meine impulsiven Aktionen haben
mich schon oft vor den Schreibtisch des Schuldirektors befördert.
Eine Freundin zu haben, bedeutet, ihr alle Geheimnisse anzuvertrauen und sie in
ihren gemeinsamen Zielen zu unterstützen.
Ich sage mir den Satz immer und immer wieder im Kopf auf. Dieser stammt von
meiner Schulkameradin und besten Freundin Sakura Sakurai, die im Gegensatz zu
mir wesentlich hübscher aussieht: Sie ist größer als ich und hat eine gute
Figur. Mit ihren schönen blonden Haaren und ihren glitzernden braunen Augen
könnte sie ein Model sein. Ich hingegen finde mich nicht so toll, obwohl mir
Sakura immer sagt, ich sähe blendend aus mit meinen klaren, blau-grauen Augen
und meinen langen, braunen und sehr gepflegten Haaren. Neulich hat Sakura mir
erklärt, dass sie eine ganze Horde von Freunden kenne, die auf meine Haare
neidisch sind. Trotzdem bin ich, Kasumi, einen Kopf kürzer als sie, obwohl wir
beide ungefähr das gleiche Alter haben, doch jede meiner besten Freundinnen
erzählt mir, dass kleine Leute irgendwie viel süsser sind. Ich kann das
eigentlich nicht so recht glauben.
"Eine Freundin zu haben, bedeutet, ihr alle Geheimnisse anzuvertrauen und sie in
ihren gemeinsamen Zielen zu unterstützen" hallt es in meinem Kopf wider.
Sakura sagte diesen Satz zu mir, als sie herausfand, dass ich ganz und gar nicht
wie alle anderen Menschen bin. Als ob das so schlimm wäre; vielleicht ist es
sogar besser so. Jedenfalls wollte sie schon fast unsere Freundschaft beenden,
weil wir uns geschworen haben, dass wir uns gegenseitig nie unsere Geheimnisse
verschweigen sollten, weder in der Gegenwart noch in der Zukunft.
Es stimmt, ich hätte ihr sagen sollen, dass ich ein Dämon in Menschengestalt
bin.
Aber wie hätte ich ihr das erklären sollen? Sollte ich schnurstracks zu ihr
gehen und ihr sagen: "Hey, Sakura, ich bin ein Dämon. Wollen wir aber auch
weiterhin Freunde bleiben?" Verdammt, ich hatte Angst, sie würde mir den
Laufpass geben. Und sie scheint heute nicht mehr so sehr interessiert an mir zu
sein. Das, macht mich ehrlich gesagt, sehr traurig, auch wenn ich es mir selbst
zuzuschreiben habe. Aber ich habe leider keine andere Wahl. Ich will sie nicht
gefährden...
Heute will ich mal wieder aus dem Haus gehen. Gott sei Dank sind meine Eltern,
Ayumi und Shin Takashi, nicht da. Beide können es nicht ausstehen, wenn ich
draußen herumhänge anstatt zu lernen. Dabei gehen sie jeden zweiten Abend in
die Diskothek, ins Restaurant oder sonst wohin. Und als ob ich viel aus dem Haus
gehe...
Immer im Zimmer zu hocken und warten, bis es dunkel wird...darauf hab ich heute
echt keinen Bock, zieh mir schon meine wasserundurchlässige Jacke an und gehe
aus dem Haus. Ich lebe in Tokyo in Minato-ku und wohne so ziemlich vor meiner
Schule, also hab ich morgens keinen Stress. Da entdecke ich plötzlich meine
Freundin Sakura, die an der Ampel wartet. Ich will sie schon herbeirufen, als es
grün wird und sie die Straße überquert. Zu spät sieht sie den Landrover, der
ihr entgegen kommt und ich höre nur noch einen markerschütternden
Schrei...doch ich, mit meinen dämonischen Kräften, bin schneller. Es dauert
nur ein paar Sekunden und ich schnelle schon über die Straße mit meiner
Supergeschwindigkeit und rette sie im allerletzten Moment. Das war knapp! Das
Auto fährt jedoch unbeirrt weiter, als ob nichts gewesen wäre.
Sakura keucht wie verrückt: "Spinnst du? Du hättest selbst dabei draufgehen
können, wenn du kein Dämon wärst. Und Gott sei Dank hat uns niemand gesehen,
sonst säßen wir wirklich tief in der Tinte!" Ich muss mich währenddessen
damit abmühen, einen Ton von mir zu geben, da fahre ich sie auch schon an: "Ja
und? Nichts ist mir wichtiger als das Leben meiner Freunde! Selbst wenn ich dir
vor zwei Jahren nichts von meiner Abstammung verraten habe, selbst wenn ich dir
nicht alles sage...du bist meine Freundin und ich lasse nicht zu, dass dir was
passiert!" "Und wieso sagst du mir nicht alles?", schreit Sakura mich an. Ich
schweige für ein paar Sekunden ehe ich flüstere: "Weil du dadurch in Gefahr
geraten könntest! Denk doch mal an meine Gefühle, falls dir etwas geschehen
könnte! Ich würde mir nie verzeihen." Daraufhin schweigen wir beide und gehen
hastig, aber nicht schnell, in Richtung Schule.
In unserer Klasse ist natürlich wieder die Hölle los. Shinichi Fumita, unser
Klassennarr Nummer Eins benimmt sich mal wieder wie der letzte Idiot.
Klassensprecher Musami Ryokosu heizt ihm dabei mächtig ein. Jede zweite Sekunde
hört man ihn von neuem schreien. Und da kommt mir schon Sora Tsubasa
entgegengelaufen, meine zweite beste Freundin und erzählt mir aufgeregt und
guter Laune: "Shinichi hat heute unsere Lehrerin, Frau Okuda, zum Weinen
gebracht, indem er ihr den Rock angehoben hat. Sie stand noch wie angewurzelt da
ehe alles anfing zu grölen und sich über sie lustig machte. Ich wette, die
ganze Schule hat gelacht!" "Ist nicht wahr!", rufe ich verdattert aus. Auch Sora
sieht extrem hübsch aus: Ihre kurzen, braunen Haare, die ihr bis zu den
Schultern gehen, ihre sehr attraktiven, braunen Augen, ihr zauberhaftes
Lächeln...an ihr ist einfach alles prima. Ausserdem hat sie ein gutes Herz. Sie
fährt fort: "Und da ist Musami ausgerastet und hat ihn zum Schandfleck der
Schule erklärt. Shinichi hielt das für ein Kompliment. Zum Doofwerden!"
Schön zu hören, dass nach einem Wochenende noch alles beim Alten
ist...Vielleicht wird ja doch wieder alles ins Lot kommen.
Gerade in dem Moment brechen alle Fenster zusammen. Shinichi schreit:
"Attentat!", und fügt dann leise hinzu: "Cool!" "Von wegen cool!", schreit ihn
jeder an. Auch unsere Mathelehrerin, Frau Shinami, die gerade hereinkommt, geht
in Deckung. Ich weiß nur zu gut, dass das kein Attentat ist und renne nach
draussen. Jede Wette, dass das Dämonen sind. Ohne, dass jemand mich sieht,
verwandle ich mich in Sekundenschnelle in meine wahre Gestalt: "Meine Eckzähne
werden länger, meine Fingernägel werden zu Krallen und meine Haare wachsen bis
zum Boden hin. Ich kann sogar meine Kleider zu einem Cat Suit umwandeln, bei der
sogar die Farben meiner vorherigen Klamotten dynamisch verlaufen. Ich bin zwar
jetzt ein Dämon, dafür aber ein verdammt hübscher. Wie viele haben denn das
Glück? Viele Männer werfen sich vor mich hin und machen mir Heiratsanträge,
aber bis jetzt hab ich noch jeden, wiederhole jeden, abgewiesen.
Männer sind doch ehrlich gesagt zum Kotzen!
Ich schaue nach, wer da sein könnte. Als Dämon bin ich nicht gerade stark,
aber lieber begebe ich mich in Gefahr, als dass meine Klasse leiden muss unter
den ständigen Attacken der Dämonen. Vorsichtig trete ich um eine Ecke, da
blickt mir auch schon eine Dämonenfratze hinterlistig ins Gesicht und grinst:
"Schau mir in die Augen, Kleines!", und greift mich an. Schnell weiche ich
seinen Krallen aus, die ein Loch in den Boden schlagen, dorthin, wo ich noch vor
ein paar Sekunden gestanden habe.
Jetzt kommt mein grosser Auftritt! Wie Michael Jordan springe ich elegant in die
Luft und trete meinem Gegner ins Gesicht; dabei hinterlässt mein Schuh eine
Spur, die ihn wesentlich besser aussehen lässt. Ich lach mich halbtot, da
greift der Dämon zu härteren Methoden: Er feuert Wasserstrahlen ab, die sogar
Steine zertrümmern können. Ich weiche ihnen aus, doch ich passe für einen
Moment nicht auf und ein Strahl erwischt mich am Bein, was mich fest nach hinten
an die Wand schleudert.
Mir geht plötzlich ein Licht auf. Wieso ich nicht früher drauf gekommen bin,
wird mir für immer ein Rätsel bleiben, aber gibt es nicht hinter der Schule
einen Brunnen? Wasserdämonen sind Herr über das Wasser und haben immer eine
Energiequelle, woher sie ihre Kraft nehmen.
Ich versuche mittels geistiger Kraft, diese Quelle auszumachen, doch der Dämon
will mich daran hindern, versucht, mir das Leben schwer zu machen und feuert
ununterbrochen Wasserstrahlen ab, was mich sehr ablenkt. Deshalb errichte ich
einen resistenten Schutzschild um mich und gewinne dadurch etwas mehr Zeit. Eine
strahlende Lichtkuppel bildet sich um mich, die es mir ermöglicht, nur mit
meinen Gedanken das Gelände abzusuchen. Ich stelle mir den Brunnen vor und
entdecke einen sanften Wasserschleier um ihn herum. Die Quelle geht also doch
vom Schulbrunnen aus. Der Schutzschild löst sich auf und ich laufe so schnell
ich kann, also so um die dreihundertundfünfzig Stundenkilometer, dorthin.
"Bleib hier!", schreit der Dämon und folgt mir. "Wir haben noch eine Rechnung
offen! Du wirst für den Tod meiner Mutter bezahlen!"
"Was erzählst du da für einen Quatsch?", rufe ich zurück. "Keine Ahnung wovon
du redest!" Der Dämon scheint zur Höchstform aufzulaufen und ist mir dicht auf
den Fersen.
Verdammt, er wird mich doch jetzt nicht etwa mit meiner Schwester Hitomi
verwechselt haben?!
So weit ich weiß ist sie ziemlich blutrünstig; im Gegensatz zu ihr verabscheue
ich Gewalt, außer wenn es drauf ankommt. Ich stelle mich meinem Widersacher
entgegen und schreie: "Lass mich in Ruhe! Ich habe deine Mutter bestimmt nicht
auf dem Gewissen!" Doch er lässt nicht nach und greift weiter mit seinen
Wasserstrahlen an.
Mir platzt gleich der Kragen, schließlich schreie ich noch mal, diesmal um das
hundertfache lauter: "Du verwechselst mich! Das war bestimmt meine
Zwillingsschwester Hitomi, du Blödmann!"
Der Wasserdämon bleibt nun endlich stehen und starrt mich für ein paar, aber
sehr lange Sekunden an. Keiner von uns spricht. Ich sehe, dass er rot wird. "Was
ist?", frage ich ihn harsch. Dann öffnet er den Mund und fängt an hysterisch
zu lachen. Wie? Was ist denn jetzt los?! Ich öffne ebenfalls meinen Mund und
frage ihn leise: "Äh, hab ich was verpasst?" "Tut mir sehr Leid, aber ich hab
dich echt verwechselt! Kommt nie wieder vor. Sorry!" Dann lächelt mich dieser
Idiot auch noch an und kratzt sich daraufhin verlegen am Kopf. Der hat Nerven!
Und unglaubliches Pech, dass ich nachtragend bin. "Sorry?", rufe ich verärgert
aus. "Du reisst mich hier fast in Stücke und alles, was du zu sagen hast ist
?" Ich laufe rasend zum Brunnen und zerstöre binnen eines kleinen
Moments seine Energiequelle und somit verliert der Dämon seine Kraft. Der muss
bestimmt von hier bis nach Amerika gebrüllt haben vor Schmerz. Langsam, aber
sicher zerfällt der Dämon zu Staub. Ich seufze einmal laut: "Schade! Hätte
nicht so überreagieren sollen! Der hätte bei mir vielleicht eine Chance
gehabt... Ach, was soll's?"
Zurück in meiner Klasse sehe ich sie alle auf dem Boden liegend. Später
erzählen mir Sakura und Sora, dass sie alle eine panische Angst gehabt und sich
nur verkrochen haben.
"Das ist auch gut so.", flüstere ich später Sakura ins Ohr. "Verflucht! Alles
meine Schuld! Manchmal wünsche ich mir, wirklich normal zu sein. Dann würden
uns wenigstens keine Dämonen mehr auf die Pelle rücken. Ich bin eben eine
Plage. Gehen wir was essen?" "Kasumi Takashi, komm mir bloβ nicht auf die
Tour!" Sakura schaut mich wütend an. "Kaum ist es Mittagspause, schon musst du
wieder in Selbstmitleid versinken." Sie wendet den Blick nicht von mir ab und
fährt nach ein oder zwei Minuten fort: "Für einen Dämon bist du so was von
verweichlicht! Du hast einen guten Charakter, du denkst immer nur an andere, du
siehst zudem noch klasse aus, sogar in deiner Dämonengestalt bist du echt sexy,
das wird dir jeder bestätigen." "Na ja, von den Reißzähnen und den Krallen
mal abgesehen...!", antworte ich sarkastisch. "Ich bringe euch doch eh nur
Unglück."
"Ich hab's satt!", schreit Sakura mich an, dreht sich um und stapft davon.
Allein stehe ich jetzt da und nehme nichts mehr um mich herum wahr. Ich stehe
mitten im Schulhof und es fängt an zu regnen. Die Regentropfen prasseln nur so
auf mich herab, laufen langsam an meiner Wange herunter und vermischen sich mit
meinen Tränen. Ich fühle mich elend, dabei sage ich ihr doch nur die Wahrheit,
aber andererseits wollte ich sie jetzt damit nicht verletzen. Trotzdem, so was
habe ich nicht erwartet. Oder doch? Ich gehe ihr damit schon lange auf die
Nerven, deswegen finde ich, dass sie das Recht hat, so zu reagieren.
Uns wäre der Ärger erspart geblieben, wäre ich nicht aus der Dämonenwelt
geflohen.
Währenddessen im Dämonenreich: Im Dunkel hört man nur das leise Tröpfeln
eines kleinen düsteren Baches, der sich durch die Dunkelheit windet. Wer auch
immer es wagen sollte, von dem Bach zu trinken, würde auf ewig verschlungen
werden. Es ist so düster, dass man sich leicht verlaufen könnte und so
düster, dass man niemanden wahrnehmen, geschweige denn sehen könnte. Überall
hört man das Murmeln leiser Stimmen. Auf einmal hört man jemanden sich
beschweren: "Ich kann es nicht mehr ertragen, jede Woche stirbt einer und ich
könnte der Nächste sein. Ich habe keine Lust, jeden Tag um mein Leben zu
bangen. He, Kureno, so langsam hab ich das Gefühl, dass du uns alle in eine
Falle locken willst." Niemand antwortet. Der Dämon fährt fort: "Hat es dir die
Sprache verschlagen? Du willst uns doch nicht etwa sagen, dass das wahr ist?!...
Na los, antworte, mach endlich das Maul auf, he!" Da ertönt plötzlich von
irgendwo her: "Dass du dich da mal nicht irrst! Wenn du der Nächste sein
willst, der stirbt, dann tu ich dir jetzt den Gefallen. Auf dass du für immer
die Klappe hältst!" Die Stimme steigert sich beim Sprechen zur blinden Raserei.
Plötzlich fällt der Dämon, der sich neulich beklagt hat, tot um und es bildet
sich eine große Blutlache um seinen nun schlaffen Körper.
Die unbekannte und unheimliche Stimme ertönt wieder: "Wenn ihr nicht so enden
wollt, dann macht euch endlich auf die Suche nach diesem Mädchen und bringt sie
mir lebend!"
Bis auf weiteres sprechen Sakura und ich während des ganzen Unterrichts nicht
miteinander. Sie sieht mich noch nicht einmal direkt an. Sora, die neben mir
sitzt, fragt mich besorgt: "Was ist denn mit euch beiden. Habt ihr euch
gestritten?" Ich antworte daraufhin leise: "Lass mal gut sein! Das...das hab ich
verdient." Sora will noch was sagen, aber der Lehrer, Herr Komatsu, unterbricht
uns streng und seine laute Stimme lässt die Stille in der Klasse zerplatzen wie
eine Seifenblase. "Sora Tsubasa und Kasumi Takashi! Vor die Tür, ihr
Plappermäuler! Und zwar dalli!"
Vor der Tür fragt Sora mich noch mal: "Also, was ist denn nun passiert?"
"Ach, ich bin mal wieder selbstmitleidig geworden."
"Ja und?"
"Was, ? Das wollte sie nicht hören, ich hätte eben die Klappe halten
sollen."
Für lange Zeit starren wir uns an. Sora spricht als Erste: "Na, dann solltest
du zu ihr hingehen und ihr sagen, dass es dir Leid tut. Ich wette, das würde
die Spannung zwischen euch um einiges verringern."
"Wenn du meinst.", antworte ich ihr. Stimmt, es wäre das Beste. Nur wie könnte
ich das am besten zu Sakura sagen? Okay, einen auf "mitleiderregend" machen kann
ich schon mal nicht. Mit Tränen in den Augen? Das würde nur die Tatsache
bestätigen, dass ich als Dämon verweichlicht bin; ich habe immerhin auch
meinen Stolz. Oder soll ich vielleicht ganz fröhlich zu ihr hingehen und sagen:
Hey Sakura, ich...aaaaaaaaaaaahh! "Kasumi Takashi, wieder reinkommen, sofort,
oder du wirst heute nachsitzen!", brüllt Herr Komatsu lautstark. Erschrocken
blicke ich ihm in die Augen. Merkwürdig! Sein linkes Auge zuckt wie wild. Dann
will ich lieber mal brav wieder auf meinen Platz zurückkehren!
Als ich mich wieder im Klassensaal befinde, flüstere ich zu Sora, die schon
längst wieder auf ihrem Platz sitzt, ins Ohr: "Wieso hast du mich nicht
gewarnt?"
"Hab ich doch! Fünfmal! Aber du wolltest nicht aus deiner Trance aufwachen."
Daraufhin kichere ich verlegen. Es kommt regelmässig vor, dass ich unseren
Lehrer, Herr Komatsu, bis zur Weißglut reize. Wir haben ihn viermal die Woche
und ich lande mindestens dreimal pro Woche in seinem Unterricht vor der Tür.
Aber ich mag Geografie einfach nicht, vielmehr stehe ich auf Sprachen. Na,
egal!
Auf dem Nachhauseweg sehe ich Sakura an mir vorbeiflitzen. Ich hatte nicht mal
genügend Zeit vor der Klassentür, zu einem guten Schluss zu kommen, wie ich
mich am besten bei ihr entschuldigen könnte. Dieser verdammte Komatsu! Also
heisst es: Improvisieren! Ich will gerade den Mund aufmachen, da stösst Sakura
einen Schrei aus. Vor ihr tauchen bestimmt um die Dutzend Dämonen auf und
nehmen sie gefangen. Ich verwandle mich blitzschnell und schlitze fünf Dämonen
die Kehle auf. Ein paar versuchen mich zu packen, aber ich halte sie locker auf
Distanz. Es sind eben nur schwache Unterdämonen, aber nach einiger Zeit werden
es immer mehr. Schlussendlich bin ich eingekesselt und von Sakura fehlt jede
Spur. Trotzdem höre ich nicht auf zu kämpfen und versetze so manchem Dämon
ein paar Schläge in die Magengrube oder in die Nieren, doch das reicht bei
weitem nicht aus, um sie alle zu besiegen. Schließlich versetzt mir ein Dämon
von hinten einen Schlag auf den Kopf und ich falle bewusstlos um.
Als ich aufwache, gehen mir viele Fragen durch den Kopf. Wer bin ich? Wo bin
ich? Was ist mit mir geschehen? ...
Aber natürlich: Kasumi...Sakura...Dämonen...Und was dann? Jemand muss mich von
hinten so fest gehauen haben, dass ich umfiel. Wo ich bin, weiß ich allerdings
immer noch nicht. Ich scheine mich in einer tiefen und unheimlichen Grotte zu
befinden. Dieser Ort kommt mir irgendwie bekannt vor. Ich bin mir sicher, dass
ich hier schon mal war...
Im Dunkel sehe ich auf einmal eine Gestalt, die langsam auf mich zukommt. Nicht
noch ein Dämon, von den Viechern hab ich genug. Scheiße, ich bin ja auch eins!
Wie auch immer! Aber wer ist denn nun diese mysteriöse Gestalt?
Plötzlich werde ich herumgerissen. Dämonen packen mich unter den Armen und
wollen mich wegschleifen. Daraus wird ein Riesenaufstand. Ich kratze und beiße
und schreie: "Fasst mich nicht an, ihr Armleuchter!" Endlich lassen sie mich
entnervt los. Plötzlich stehe ich der unheimlichen Person direkt gegenüber,
und sie tritt ins fahle Licht, das aus einem kleinen Spalt an der Decke herunter
scheint. Ich erleide fast einen Schlag...Wow! Was...sieht der gut aus! Einfach
alles an ihm ist perfekt: Seine kurzen, blonden Haare, die noch im schwachen
Licht wie Gold schimmern, seine wahnsinnig hübschen türkisblauen Augen, die
mich arrogant anstarren, seine ziemlich breiten Schultern...Er ist zudem auch
noch ziemlich groß und sehr schlank. Und was sind das für lange Beine! Ich
falle fast in Ohnmacht. Ich habe ihn gefunden, meinen Traumtyp!
Das einzige, was mir Sorgen macht, ist sein grausamer und unerbittlicher Blick,
der das Böse schlechthin ausstrahlt.
Er grinst schadenfroh: "Endlich haben wir dich. Ich dachte schon, dass niemand
dazu fähig ist, dich einzufangen." Er tritt näher: "Ich heiße Kureno. Und du
bist wohl Kasumi. Bin ich da richtig?" Doch anstatt höflich zu bejahen, schreie
ich, halb aus Angst, halb aus Wut: "Wo bin ich? Und wo ist Sakura? Wieso habt
ihr mich hierher gebracht?" Doch er lächelt nur weiter. "Wie unhöflich! Hat
man dir keine Manieren beigebracht?" Er packt meinen Arm und kommt meinem
Gesicht mit seinem sehr nah. "Ich hab gedacht, du seist dir bewusst, wo du dich
aufhältst. Du bist in der Dämonenwelt und... wenn du jetzt nicht gleich den
Mund hältst, wird deine Freundin dafür leiden müssen." Sakura. "Das tust du
nicht!", brülle ich, so laut ich kann. Kureno schaut mich immer noch
gleichgültig an und sagt sehr leise: "Sei still!" Sein bösartiges Lächeln
verschwindet nach und nach.
"Ich möchte Sakura sehen, sofort!", fahre ich fort. "Es ist mir egal, wer du
bist und wo ich bin, aber ich möchte meine Freundin sehen."
"Halt's Maul!", schreit Kureno plötzlich.
Ich zucke zusammen vor Schreck. Meine Angst kehrt zurück, denn ich hätte nie
gedacht, dass Kureno so reagieren würde. Sein Blick war eine Mischung aus purem
Hass und unsäglichem Leid. Nach ein paar Minuten beruhigt er sich wieder: "Also
gut! Du kannst deine Freundin sehen, aber nur sehr kurz. Und nur unter der
Bedingung, dass du ruhig bist." Er dreht mir den Rücken zu, dreht sich aber
gleich wieder um und fügt hinzu: "Ehe ich's vergesse: Hier kommst du nicht
wieder raus." Zu seinen Gefolgsleuten sagt er: "Nehmt sie mit zu ihrer Freundin
und sperrt sie danach sofort ein." Kurz lächelt er mir noch zu, bevor er im
unendlichen Dunkel verschwindet.
Wie betäubt stehe ich da und lasse mich problemlos wegführen. Ich habe keine
Ahnung, was ich über Kureno denken soll. Er scheint irgendwie in Ordnung zu
sein, obwohl er Sakura und mich hier in der Dunkelheit gefangen hält.
Dieses seltsame Gefühl ist...es ist einfach unbeschreiblich...
Kurze Zeit später: "Hey, wann gibt es was zu futtern?"
In dieser engen Zelle, in die mich diese verfluchten Bestien eingesperrt haben,
werde ich noch wahnsinnig, zumal ich in engen Plätzen immer klaustrophobische
Reaktionen zeige. Und Hunger habe ich auch! Mir ist es egal, was ich esse,
Hauptsache ich bekomme irgendetwas in den Magen. Der Wächter antwortet laut:
"Kannst du nicht mal für ein paar Minuten aufhören, hier herumzuschreien? Das
geht mir gewaltig auf den Geist." "Aber...!", widerspreche ich schmollend. Ich
bemerke, wie die Ader auf der Stirn des Wächters wie wild pulsiert. Also halt
ich lieber mal meinen Mund, sonst komme ich hier nie wieder aus der Zelle raus.
Ich bereue immer noch, dass ich keine Zeit gehabt hatte, mich bei Sakura für
mein Benehmen zu entschuldigen. Vorhin auf dem Weg zu Sakura habe ich schon
befürchtet, dass ihr etwas angetan wurde. Aber sie schien glücklich darüber
zu sein, dass ich aufgekreuzt bin. Trotzdem fürchte ich, dass das letzte Wort
noch nicht gesprochen ist.
Es steht weit mehr auf dem Spiel, als es den Anschein hat!
Ich bin gerade scharf am Überlegen, wie ich hier ausbrechen könnte, da
rüttelt es an den Gitterstäben meiner Zelle. "Wer ist da?", frage ich
ängstlich und trete näher, bis ich das Gesicht eines jungen Mannes erkenne. Es
ist Kureno, der mich, mal wieder, verschmitzt anlächelt. Es ist kein böses
Lächeln, wie letztes Mal, wo wir uns das erste Mal getroffen haben. Er streckt
seine Hand durch das Gitter, berührt sanft mein Gesicht und flüstert mir zu:
"Es tut mir Leid." Sein Gesicht nimmt einen sehr leidenden Ausdruck an, dann
geht er wieder. Verdutzt bleibe ich zurück. Was sollte denn das eben? Sollte er
etwa doch ein gutes Herz haben? Ich bezweifle das nicht, aber irgendeine Stimme
in meinem Kopf will mich warnen, sagt mir, ich solle mich am besten von ihm fern
halten, sonst wird etwas geschehen. Etwas Fürchterliches! Immerhin hat er
Sakura und mich hier eingesperrt...
Aber wieso wollen sie mich so dringend? Dient Sakura ihnen nur als Geisel oder
haben sie etwas mit ihr vor? Und was ist mit Kureno los? Mag er mich? Oder
gaukelt er mir nur was vor, um mich unsicher zu machen? Womöglich weiß er
sogar, dass ich ein Auge auf ihn geworfen habe und will mich nur täuschen, um
mich für seine Zwecke zu missbrauchen...Tausende Fragen bilden sich in meinem
Kopf, aber keine kann ich mit Gewissheit beantworten. Diesen Ausdruck auf
Kurenos Gesicht werde ich jedenfalls nicht mehr so leicht vergessen können...
Ach, was mach ich nur? Ich glaube, ich habe mich verliebt...
Am nächsten Morgen, so fern man das überhaupt in dieser tiefen Dunkelheit
erkennen kann, ist der große Besuchstag. Zeit, sich mal mit Sakura
auszusprechen!
Inzwischen weint Sora zu Hause bittere Tränen. Dabei hat sie keinen Grund, sagt
sie sich immer und immer wieder, um sich zu beschwichtigen. Sie ist sich sicher,
dass es ihren Freundinnen gut geht. Die Eltern von Sakura und Kasumi haben sich
neulich bei der Polizei gemeldet und gesagt, ihre Töchter seien verschwunden.
Jemand muss sie wohl entführt haben.
Soras Freundinnen sind weg, und sie weiß nicht einmal, wohin. Sie glaubt
felsenfest, es sei etwas oberfaul an der Sache. Auf einmal überkommt sie ein
komisches Gefühl. Etwas sagt ihr, sie solle so schnell wie möglich aus ihrem
Haus verschwinden. Hastig will sie aus ihrem Zimmer stürmen, doch eine
unbekannte Stimme in ihrem Kopf befiehlt ihr sich umzudrehen. Langsam, wie in
Zeitlupe, tut sie es und wirft noch einen Blick in ihr Zimmer.
Welch schrecklicher Anblick bietet ihr sich da! Ihr ganzes Zimmer ist randvoll
mit Dämonen, und nicht nur hier, sondern auch draußen vor ihrem Haus stehen
welche. Sora bereitet sich darauf vor zu schreien, doch sie kommt nicht mehr
dazu.
Was soll ich nur tun? Ich habe keine Chance auszubrechen; in meiner Zelle wurde
ein Bann gegen Dämonen ausgelegt, die mir meine Kräfte rauben. Dazu kommt noch
erschwerend hinzu, dass ich rund um die Uhr bewacht werde. Meine Klaustrophobie
ist übrigens noch viel schlimmer geworden. Die ganze Zeit über leide ich unter
Stress und Platzangst. Ich vermisse auch meine Eltern...und meine Freunde. Was
Sora wohl gerade anstellt? Alle werden sich jetzt schon bestimmt Sorgen machen.
Wenn ich hier rauskomme, werde ich meine Krallen zuerst an den Wächtern wetzen,
die zwar auf mich Acht geben, mich aber verrotten lassen. Hier zu verweilen,
macht mich krank. Und Kureno lässt sich immer noch nicht blicken...Ich möchte
ihn doch so gern wieder sehen. Ach, was soll das? Es ist besser, ihm nicht zu
vertrauen!
Ich zappele ein bisschen herum. Daraufhin ruft mir der Wächter zu: "Hör damit
auf! Das stört! Mein Meister und Kureno kommen in fünf Minuten, also geduldige
dich noch ein bisschen! Ist das klar?" "Jaaaa, Herr!", antworte ich
schwerfällig und lege mich still auf den Boden. Nach kurzer Zeit höre ich ein
Murmeln und Schritte. Das müssen sie sein. Langsam stehe ich wieder auf und
lausche aufgeregt. Aus dem Dunkel taucht Kureno vor meiner Zelle auf, jemand
anderen im Schlepptau, jemanden, den ich von irgendwoher kenne, aber ich
erinnere mich nicht. Der Wächter verzieht sich daraufhin. Kureno sieht sehr
ernst aus und sagt zu mir mit harter Stimme: "Wir haben dir einen Vorschlag zu
machen."
"Welchen?", frage ich unsicher. Er schweigt für ein paar Sekunden ehe er
antwortet: "Sakura werden wir wieder befreien, wenn du ihm hier...", er zeigt
auf die Person neben sich, "...deine Kraft gibst und zu einem Menschen wirst."
"Bitte? Wie soll das gehen und wer ist er überhaupt?", erwidere ich heftig.
Die Person meldet sich zu Wort: "Der Dämonenkönig höchstpersönlich! Ich bin
Ryu." Er verbeugt sich kurz. "Erinnerst du dich nicht mehr an mich?"
"Äh, nicht, dass ich wüsste."
Der Typ ist bestimmt der hässlichste Dämon, den ich je gesehen habe. Er sieht
so aus wie einer von diesen Orks aus dem Film "Der Herr der Ringe", also
urhässlich. Er bewegt sich so graziös wie ein Elefant in einem Porzellanladen.
Ausserdem sieht er extrem übergewichtig aus.
Ich soll also ein Mensch werden? Das Angebot klingt verlockend, denn wenn ich
ein Mensch werde, kann ich mich endlich als "normal" bezeichnen. Andererseits
könnte ich nicht mehr die beschützen, die ich liebe. Ich habe keine Ahnung,
was ich machen soll. Dafür benötigt man Zeit...
"Und? Was sagst du dazu?", fragt Kureno, der den Blick nicht von mir abwendet.
"Ich...denke...ja, aber nur, wenn du sie freilässt." Dabei senke ich den Blick
demütig.
"Also schön!", grunzt der König zufrieden. "Komm her! Ich werde dir schon
nichts tun."
Zögernd trete ich nach vorn, ohne zu wissen, was er vorhat. Urplötzlich fängt
er an, mich zu begrabschen. Selbst Kureno sieht erstaunt aus. Fassungslos weiten
sich meine Augen und ich schreie einmal laut auf. Dabei versuche ich, ihn
wegzudrücken. "Du verlogener Bastard!", heule ich. "Gehört das zum
Menschwerden? Dann vergiss es! Lieber nicht!"
"Was willst du denn dagegen tun?", äußert er sich gehässig, und seine Augen
verengen sich zu Schlitzen. "Das war nicht ausgemacht, du gottverdammter
Hurenbock!", kreischt Kureno und sieht so aus, als würde er Ryu am liebsten in
der Luft zerreißen. Der König hört jedoch nicht zu und versucht gerade, mich
zu Boden zu ringen. Ich wehre mich heftigst und trete ihn viermal fest in den
Wanst, doch es ist zwecklos. Ich brülle ihn an: "Lass mich los, du Mistkerl!
Perverser!"
Dieser Fettsack wiegt zudem auch noch ungefähr eine Tonne. Sein Gewicht drückt
mich stark nach unten. Ich versuche mich aufzurichten, doch schon bald habe ich
keine Kraft mehr. Jetzt werde ich von jemandem meinesgleichen vergewaltigt. Na
toll!
Schmutzig, so schmutzig, denke ich, als er plötzlich von mir gerissen wird.
Es kracht einmal ohrenbetäubend. Sind es meine Knochen? Nein! Kureno hat den
Dämonenkönig weggezerrt und gegen die Wand geworfen. Lautlos formt er mit
seinen Lippen den Satz: "Unser Pakt ist beendet!" Er tritt ihn noch mal mit
aller Kraft zwischen die Rippen und läuft zu mir herüber: "Kasumi! Ist alles
in Ordnung?" "Wieso tust du das?" "Wolltest du, dass er dich..." "Nein!",
unterbreche ich ihn laut. "Ich wusste das nicht. Es tut mir so Leid." Kureno
schaut bestürzt zu Boden. Er fährt fort: "Ich hoffe, du kannst mir verzeihen."
Schon wieder sieht er so traurig aus.
"Ja! Danke, dass du mich beschützt hast. Ich hatte schon gedacht, das wäre
mein Ende.", gebe ich heiser wider. "Aber erklär mir mal, warum du mich
beschützt hast." Ich blicke ihm ins Gesicht. "Du bist immer so nett zu mir, und
ich will endlich wissen, warum." Kureno schließt sanft seine Augen und
schweigt. Nach einiger Zeit: "Darum!"
"Das ist für mich keine Antwort. Was verschweigst du mir? Und was willst du von
mir?"
Kureno scheint auf einmal nervös zu werden. "I-Ich kann's dir n-nicht sagen!",
stottert er und öffnet wieder die Augen.
"Kann ich dir vertrauen?"
Wieder ein langes Schweigen. Kureno will den Mund aufmachen, da ertönt ein
lautes Geräusch. Ryu, den Kureno vorhin bewusstlos geschlagen hat, regt sich
wieder.
"Ich glaube, wir sollten gehen, bevor uns diese hinterhältigen Biester
entdecken." Ich nicke kurz. "Wo ist der Ausgang?" "Wenn ich mich nicht irre,
dann befindet er sich dort." Er zeigt in eine bestimmte Richtung. "Komm, sputen
wir uns!" Kureno nimmt meine Hand und schaut mich besorgt an. "Ist wirklich
alles in Ordnung?", fragt er mich erneut. Rasch erwidere ich: "Ja, ja! Es ist
nur...vielleicht ist es nicht der richtige Zeitpunkt, aber...ich hätte gerne
eine Antwort auf meine Frage vorhin. Wieso hilfst du mir? Magst du mich oder
machst du mir nur was vor?" Das alles kommt mit einem Wahnsinnstempo aus meinem
Mund gesprudelt. "Ich kann es dir jetzt noch nicht sagen.", antwortet er.
Plötzlich höre ich Fußgetrappel.
"Na gut! Zuerst müssen wir aber Sakura retten."
"Einverstanden!"
Wir wollen endlich loslegen, doch da packt mich jemand am Fuß und hält mich
zurück.
"Verdammtes Weib!" Des Dämonenkönigs Hand klammert sich fest um meinen rechten
Fuß.
"Also bist du schon wieder wach!", schreie ich und versuche mich loszureißen,
indem ich ihn kratze. Er verzieht nicht mal seine Fresse! Bin ich schon so
schwach geworden?
Verzweifelt versuche ich, loszukommen. Kureno steht nicht lange da und zieht
etwas aus dem Nichts, was aussieht wie ein Schwert. Die Klinge fällt. Ein
lauter Aufschrei. Die Hand des Monsters liegt reglos neben meinem Fuß,
abgehackt. Das fließende Blut und das Jammern des Königs sind die einzigen
Geräusche, die für eine kurze Zeitspanne zu hören sind. Um uns hallen lauter
Stimmen wider. "Los, komm!", ruft mir Kureno zu, der das Blut von seinem Schwert
abwischt. "Wir müssen noch deine Freundin holen, und zwar, bevor uns jemand
findet."
Schnell laufen wir zu Sakuras Zelle. Dort finden wir nur einen Brief auf der
dreckigen Matte, aber keine Sakura. "Sa..." will ich schon herausschreien, doch
Kureno hält mir seine Hand vor den Mund. "Wenn ich du wäre, würde ich jetzt
nicht laut reden, geschweige denn brüllen. Du würdest nur die Dämonen hierher
locken." Er nimmt seine Hand wieder weg.
Er greift nach dem Brief und liest ihn hastig durch. Seine Augen werden dabei
immer größer, bis er dann den Brief in seiner Hand zerknüllt und dieser Feuer
fängt. Ich schlucke einmal laut und kräftig ehe ich leise frage: "Was ist denn
los?" Kureno scheint seine Wut nicht mehr unter Kontrolle zu haben und liest
vor: "Wenn ihr Sakura wieder sehen wollt, dann bringt uns Kasumi, damit ich ihre
Kraft aufsaugen kann, dann wird niemand verletzt. Ausserdem haben wir Kasumis
andere Freundin als Geisel, also handelt schnell. Unterzeichnet: Ryu!" Es tritt
ein langes Schweigen ein, dann sagt er: "Weißt du, es sollte endlich gesagt
werden. Also...der Pakt, den Ryu und ich geschlossen hatten, war, dass du zum
Menschen wirst, er deine Kraft bekommt und ich dich auslöschen kann. Damit
hätte ich endlich meine Freiheit erlangt."
"Wie denn? Wieso ?"
"Ich bin hier gefangen, genau wie du und deine Freundinnen. Ich will hier auch
raus, verstehst du?"
Verdutzt schaue ich aus der Wäsche. Was meint er damit? Er fährt fort: "Aber
ich glaube, jetzt, nachdem ich dich schon ein bisschen kenne, möchte ich nicht
mehr von dir loslassen." Fieberhaft schaue ich ihm in die Augen und sehe Leid
und Trauer, aber auch zum ersten Mal Hoffnung auf ein Morgen und sogar...Liebe?
"Ich wollte es dir schon lange sagen, aber ich habe mich nicht getraut. Und ich
wusste nicht, ob es auch das gewesen ist, was ich gefühlt habe, als ich dich
das erste Mal sah. Ich weiß nicht genau, wieso, aber... ich liebe dich!" Als er
das sagt, blickt Kureno mir ins Gesicht.
Es trifft mich wie ein Schlag in den Magen und auf einmal habe ich das dringende
Bedürfnis, ihn zu umarmen, aber dazu bin ich viel zu erstaunt. Er hat es
wirklich gesagt und es scheint mir auch wahrhaft aufrichtig. Dabei dachte ich
immer, dass Männer sowieso alle gleich und unehrliche, angeberische Volltrottel
sind...aber Kureno...Kureno ist was Besonderes. Vom ersten Augenblick an wusste
ich das.
Mein Gefühl, das die ganze Zeit über in meinem Herzen eingeschlossen war,
bestätigt sich.
Nun kann ich nicht mehr weglaufen und schon erzähle ich ihm die Wahrheit:
"Ich...liebe dich auch! Von ganzem Herzen!"
Dann steht alles still. Niemand von uns spricht mehr für eine ganze Weile. Wir
sehen nichts, wir hören nichts, wir fühlen nur noch. Die Zeit, könnte man
meinen, ist wie eingefroren. Wir scheinen uns in einer anderen Welt zu befinden.
Was Kureno wohl gerade empfindet, in diesem Moment...
Ein lautes und gruseliges Murmeln lässt uns aufwachen. Wir sind immer noch in
der Dämonenwelt und ein Panikgefühl breitet sich aus. "Es wäre besser, wenn
wir von hier abhauen würden.", sagt Kureno und nimmt mich fest bei meiner Hand.
"Warte, wir müssen Sakura und Sora retten!"
"Dazu müssen wir aber zuerst einen Plan entwerfen; ich will nicht, dass du noch
mal in die Hände dieses miesen Arschlochs gerätst."
Ich schweige. Dann rufe ich aus: "Mir persönlich wäre es egal, wenn ich mein
Leben aufs Spiel setzen würde, ich möchte, dass meine Freunde heil nach Hause
kommen." "Du bist verrückt!", antwortet Kureno gleichmütig. "Wenn du stirbst,
könnte ich mir nie verzeihen." Eine Spur von Wut wischt über sein Gesicht,
aber nur für eine Zehntelsekunde. Für eine Minute stehen wir beide wie
angewurzelt einfach da, dabei verstreicht die Zeit und zwischen uns herrscht
wieder Stille. "Wir sollten uns wirklich zuerst was ausdenken. Keine Sorge, ich
bin sicher, wir können sie retten, aber dazu musst du momentan kooperieren.
Bitte, Kasumi!" Kureno verzieht sein Gesicht zu einem flehenden Ausdruck. Ich
kann nicht lange widerstehen und seufze schlussendlich. "Na gut!"
Kureno lässt noch einmal dieses wahnsinnig hübsche Lächeln aufblitzen. Sofort
werde ich schwach. "Gehen wir?", fragt er liebevoll.
Ich grinse, dann nicke ich. Alle Sorgen sind vergessen. Und für einen
flüchtigen, aber wundervollen Augenblick glaube ich, das glücklichste Mädchen
auf der ganzen Welt zu sein, bis zu dem kurzen Moment, wo alles schief läuft.
Es geschieht alles ganz schnell. Etwas fliegt durch die Luft; das Geräusch, was
es macht, klingt unangenehm und schrill. Plötzlich fällt Kureno um wie ein
Stein. Was ist passiert? Die Zeit verlangsamt sich wieder, und ich habe noch
genug Zeit, um den Speer zu sehen, der sich durch Kurenos Brust gebohrt hat, als
ich noch rechtzeitig bemerke, dass das selbe auch auf mich zufliegt.
Allerdings schaffe ich es noch, auszuweichen. Für ein paar Minuten regt sich
nichts. Ich will zu dem schwerverwundeten Kureno herüberlaufen, als mehrere
Speere aus dem Nichts erscheinen. Ich mache, dass ich wegkomme und gehe in
Deckung.
Mist, sie haben uns entdeckt! Und was nun? Wir befinden uns gerade im Visier der
Dämonen; dabei sind wir noch sehr weit vom Ausgang entfernt. Es liegt alles
ganz ruhig da, aber ich weiß, sobald ich mich rühre, schießen sie wieder auf
mich. Zehn Meter von mir entfernt liegt Kureno, der nicht aufstehen kann. Wenn
ich ihn doch nur erreichen könnte...Ich könnte die Blutung stoppen.
Oh Gott, das Blut quillt nur so aus ihm heraus...
Wenn ich ganz flink bin, schaffe ich es vielleicht, zu ihm herüberzurennen. Als
ob er meine Gedanken lesen könnte, antwortet Kureno hastig: "Komm... bloß
nicht... her!" Das Sprechen fällt ihm sehr schwer weil er in unregelmäßigen
Abständen atmet. Doch ich höre nicht auf ihn und will zu ihm herüberflitzen,
aber jemand packt mich von hinten am Nacken. Ich kann kaum meinen Kopf bewegen,
aber ich sehe, dass es ein für mich unbekanntes Mädchen ist. Sie schmunzelt
mir zu und sagt ruhig, als hätte sie alle Zeit der Welt: "Es wäre jetzt
besser, du gingest schlafen." Dann schlägt sie mir mit ihrer Handkante so stark
in den Nacken, dass ich ohnmächtig werde. Als meine Augen zufallen, fügt sie
noch hinzu: "Schlaf schön!"
Sora ist inzwischen in ihre eigene Zelle gebracht worden. "Wo bin ich?", schreit
sie den Wächter laut an. "Wer oder was seid ihr überhaupt? Und wieso bin ich
hier? Ich müsste zu Hause sitzen, ein Buch in der rechten Hand und die
Fernbedienung in der linken. Also lasst mich sofort wieder hier raus, oder...!"
Die Stimme versagt ihr. Sie sackt zusammen und fängt an, vor Angst zu weinen.
Der Wächter dreht sich kaltherzig um und schweigt. So heult sie noch lange
weiter, bis plötzlich jemand vor der Zelle steht. Jemand, den sie kennt!
"Sakura? Bist du das?"
Der erste Gedanke, als ich aufwache, ist: Wo bin ich hier? Ich bin plötzlich
weggetreten und dann?
Diese Person...Wer war das? Was hab ich ihr angetan, damit sie mich so
niederschlägt? So was macht mich rasend. Ich schaue mich um und merke, dass ich
wieder in meiner Zelle bin. "Na, endlich aufgewacht, Schneewittchen?", fragt
eine unbekannte, weibliche Stimme. Es ist wieder dieses Mädchen von vorhin.
"Mein Name ist Katano Nerashi. Schön, dass du dich erholt hast! Ich habe
nämlich noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen." Langsam tritt sie näher. Sie
sieht nicht schlecht aus: Eine zarte Pfirsichhaut, hübsche braune Augen,
glänzendes violettes Haar bis zu den Schultern, tolle Figur...aber einen
ziemlich bösen Blick. Ich habe keine Ahnung, wieso sie so aussieht, als hätte
sie in eine Zitrone gebissen. Jedenfalls muss ich irgendetwas falsch gemacht
haben, denn sie fährt mich wütend an: "Du Miststück!"
"Was ist denn jetzt los?", erwidere ich erschrocken. "Hast du sie noch alle?"
"Sie weiß nicht mal, was los ist.", sagt sie zu sich selbst, rollt einmal mit
ihren Augen und kehrt mir den Rücken. Solche Leute hasse ich! "Es ist deine
verdammte Schuld, dass Ryu mich fallengelassen hat." "Ryu? Der Dämonenkönig?
Dieser Perversling? Sag bloß nicht, dass das dein Freund ist."
Augenblicklich dreht sie sich zu mir um. "Das ist mein Verlobter, du Schlampe!",
brüllt sie mich an. Der Wahnsinn steht ihr im Gesicht geschrieben. Ich sollte
lieber aufhören, zu reden, doch ich denke, sie hat da was gründlich
missverstanden, wenn sie glaubt, ich hätte ihn verführt.
"Hör mir mal zu! Ryu wollte mich flachlegen, und das nicht, weil ich ihn
irgendwie dazu aufgefordert habe, klar? Ich habe mich gegen ihn gewehrt, doch er
ließ nicht locker. Wenn du mir nicht glauben willst, dann ist das dein Problem
und nicht meins."
"Es könnte aber deins werden. Erinnere dich, dass deine beiden Freundinnen noch
hier im Dämonenreich gefangen gehalten werden und ich sie jederzeit töten
kann. Also reiß hier nicht das Maul auf, sonst kannst du deinen Freunden "Gute
Nacht!" sagen." Lachend zieht Katano von dannen. Katano...ein irgendwie
männlicher Name. Verstimmt sehe ich ihr zu, wie sie sich in Rauch auflöst.
Für wen hält sie sich? Für die Königin von Saba? Und was hat sie mit "beiden
Freundinnen" gemeint? Ist Sora ihnen ebenfalls in die Hände geraten?
Verflucht!!
Allein bleibe ich in dieser leeren und modrigen Zelle zurück und denke an
sie... an Sakura... und an Kureno. Wie es ihm wohl geht? Hoffentlich lebt er
noch. Wenn er tot ist, dann will ich auch nicht mehr sein...Mir kommen die
Tränen. Es ist unfair, einfach unfair, denke ich traurig, nehme einen Stein in
die Hand und zerbrösel ihn. Diejenigen, die ich liebe, sind im Moment so fern
von mir. Und zudem habe ich eine neue Sorge: Katano. Dieses Biest beschuldigt
mich für rein gar nichts und wenn sie es will, kann sie Sakura und Sora nach
Belieben quälen, obwohl die beiden nichts mit der ganzen Sache zu tun haben. Es
bleibt nur noch zu hoffen, dass ich dieses "Abenteuer" lebend überstehe. Wenn
ich nur daran denke, was Katano ihnen antun könnte...das macht mich unglaublich
wütend und wünsche mir nichts sehnlicher, als aus dieser Zelle raus zu kommen,
Katano eine zu schmieren und mit meinen Freunden und Kureno abzuhauen. Die Wut
macht mich stark! Meine Augen blitzen einmal rot auf, und ich verbiege die
Gitterstäbe wie Gummi und trete heraus. Ich werde mir nun die Zeit nehmen,
Katano so richtig fertigzumachen, koste es, was es wolle...Nachdenken, Kasumi!
Wo könnte sich Katano jetzt wohl aufhalten? Es bringt mir nichts, wenn ich
gehirnlos jede Richtung einschlage, die mir gerade passt; ich würde mich nur
verlaufen. Plötzlich fällt mir etwas siedendheiß ein. Ich weiß vielleicht
nicht, was es sein könnte, aber ich glaube zu wissen, in welche Richtung ich
gehen muss und lege schlussendlich los. Kein Wächter weit und breit!
Trotzdem...irgendwas stinkt hier gewaltig zum Himmel, und es ist nicht dieser
modrige Geruch, der von den feuchten Höhlenwänden ausgeht, sondern vielmehr
diese eigenartige böse Aura um mich herum...
Ein leises Geräusch lässt mich zusammenzucken. Es waren doch nur ein paar
kleine Steine, die diesen kleinen Berghang vor mir heruntergerutscht sind. Wie
bitte? Ein Berghang? So was gibt's hier? Na ja, vielleicht finde ich ja dort
oben eine Spur von Katano. Jedenfalls hat mich mein Instinkt bestimmt nicht aus
Zufall hierher geführt. Um den Hang zu bezwingen, muss ich schon fast klettern,
als jemand kichernd ruft: "An deiner Stelle würde ich aus dem Weg gehen!" Keine
Zeit, herauszufinden, wer das gesagt hat, denn ein gewaltiges Rumpeln ertönt
und ein riesiger Felsbrocken kullert den Hang hinunter. Ich versuche,
hochzukommen, doch irgendwie bin ich wie gelähmt und bleibe liegen. Der Brocken
kommt immer näher...wird das mein frühzeitiges Ende sein? So weit darf es gar
nicht erst kommen. Meine Freunde sind noch gefangen, Kureno hab ich noch nicht
wieder gefunden und Katano hab ich auch noch keine ausgewischt. Es ist höchste
Zeit, dass Katano und Konsorten eine Lektion erteilt bekommen. Mit einem Tempo,
wie ich es noch nie für möglich gehalten habe, springe ich aus der Bahn des
Felsens, eine Sekunde bevor er mich zerquetscht hätte. Dieser zerschellt mit
einem lauten Krachen an der Wand gegenüber. Glück gehabt! Mit einem
bedauernden Gesichtsausdruck schaue ich auf meine kleine Wunde, wo mich ein
scharfer Fels ins Fleisch geschnitten hat.
Ich wette, das war Katanos Werk. Denkt sie, so leicht könnte sie mich aus dem
Weg räumen? Da hat sie sich aber gewaltig geschnitten, wenn sie glaubt, damit
durchzukommen. Ich kann sie einfach nicht tun und lassen, was sie will. Also
schreite ich entschlossen weiter. Den Berghang kann ich nicht mehr benutzen; ich
muss mir etwas anderes einfallen lassen.
Nach einigen Minuten intensiven Nachdenkens geht mir ein Licht auf: Ich kann ja
fliegen! Ich habe mich schon zu lange im Dämonenreich aufgehalten; es vernebelt
einem ja die Sinne...Aber ob ich noch fliegen KANN, das ist die Frage.
Angestrengt konzentriere ich mich, aber nichts, aber auch rein gar nichts
passiert. Ich brauche eben länger, um in die Gänge zu kommen und versuche es
gleich noch einmal. Immer noch nichts! Ich darf an nichts anderes denken als ans
Fliegen und probiere es noch mal. In meinem Kopf verschaffe ich mir absolute
Ruhe. Und siehe da! Dieses Mal klappt es und ich erhebe mich schwerelos in die
Lüfte. Auf einmal geht alles ganz leicht und ich schwebe gemächlich den
Berghang hinauf ohne weiteren Zwischenfall. Als ich oben angelangt bin, schaue
ich mich um. Vor mir erstreckt sich ein dunkler Korridor, der sich bis in die
Unendlichkeit zieht.
Vorsichtig gehe ich ihn entlang und schaue regelmäßig nach rechts, links und
nach oben, als erwarte mich eine unangenehme Überraschung. Rechts und links
befinden sich wundervoll verzierte Säulen. Ich weiß nicht, wo sie aufhören,
denn die Decke sieht man nicht, sie ist im Dunkeln verborgen. Der Boden ist aus
geschliffenem Marmor, der nicht einen Kratzer aufweist. Mir wird ganz
schwindlig. Davon konnte ich zu Hause nur träumen. Ich trotte unaufhaltsam
weiter; die Dunkelheit verschluckt mich mehr und mehr. Obwohl ich am liebsten
wegrennen würde, weiß ich, dass ich eine Aufgabe zu tun habe, und diese
Aufgabe lautet momentan, dass ich meine Freunde retten und Katano besiegen muss.
Allein die Gedanken an die Rache an Katano und an die Rettung meiner Freunde
halten mich davon ab, wegzulaufen. Ich werde Sakura beweisen, dass ich kein
verweichlichter Dämon bin, und schon gar nicht jemand, der seine Freunde im
Stich lässt.
Ich gehe den Gang bestimmt eine Ewigkeit ohne Aussicht auf ein Ende des
furchtbar langen Korridors entlang. Nach ungefähr einer Stunde, so scheint es
mir jedenfalls, taucht eine steinerne Tür in der Dunkelheit auf. Ob sich Katano
hinter der Tür verbirgt und schon auf mich lauert? Ich darf kein Risiko
eingehen, sonst bin ich tot. Katano hat es unfairerweise auf mich abgesehen und
dürstet nach meinem Blut. Deswegen sollte ich das Ganze auch so schnell wie
möglich durchziehen und meine Freunde aus den Klauen dieser Untiere befreien,
dann habe ich wenigstens keine Zeit zum Sterben. Langsam trete ich ein Stück
näher, aus Angst, die Tür öffne sich plötzlich und Katano spränge heraus.
"Willst du einfach so hinein gehen? Das wäre ziemlich unklug." Wer hat das
gesagt? Ich schaue erschrocken hinter mich, doch da ist niemand. "Hier oben bin
ich!" Schnell blicke ich nach oben, doch ich sehe nichts. "Komm gefälligst
heraus, anstatt deine Spielchen mit mir zu treiben.", antworte ich heftig, aber
im Flüsterton. Wer weiß, wer oder was hier im Dunkel herumlungern könnte...
"Ist ja gut!", sagt die Stimme. Hoch über meinem Kopf bilden sich
Rauchschwaden, die noch ein Weilchen in der Luft hängen bleiben, aber kurz
darauf wieder verschwinden. Dann schwebt eine für mich bekannte Person über
mir. "Hitomi? Schwesterherz?" Sie lächelt, winkt mir kurz zu und schwebt
langsam gen Boden. Sie sagt leise: "Dich hab ich schon lange nicht mehr gesehen.
Ein Glück, dass ich dich treffe! Ich habe dir nämlich noch etwas mitzuteilen,
etwas Wichtiges! Zum Beispiel warum Ryu eigentlich deine Kräfte haben will. Und
angesichts deiner Probleme, die du momentan hast, könnte ich dir behilflich
sein." Ich falle jedoch meiner Zwillingsschwester ohne zu überlegen in die Arme
und lasse sie für einige Minuten nicht mehr los. Äusserlich hat sie sich kaum
verändert: Dieselben langen, rot-braunen Haare wie die meinen, dieselben
blau-grauen Augen, dieselbe Figur...und sie riecht immer noch so gut nach
Lavendel; nur, als ich sie das letzte Mal gesehen habe, befand sich auf ihrer
linken Wange noch keine Narbe. Entsetzt springe ich zurück.
"Wer hat denn dein Gesicht so zugerichtet?", rufe ich laut aus.
"Ach, meinst du das?", fragt sie ein wenig dümmlich und fährt sanft über ihre
Narbe, die darauf prompt aufplatzt und anfängt, zu bluten.
"Dummerchen!", fahre ich sie schockiert an.
"Es ist ja nicht schlimm.", sagt sie mit sanfter Stimme, um mich zu beruhigen.
"Ist alles in Ordnung!"
"Gar nichts ist in Ordnung!", schreie ich Hitomi an, lege meine Hand auf die
schwer blutende Wunde und starte den Heilungsprozess. "Du kannst von Glück
reden, dass ich Heilkräfte besitze. Wer hat dich denn nun so entstellt?"
Hitomis Augen blicken zu Boden und sie murmelt unverständliche Worte vor sich
hin.
"Was hast du gesagt?", frage ich streng.
"Ich sagte, es war Ryu. Er hatte Wind davon bekommen, dass ich in die Haupthalle
eingebrochen bin und versucht habe, deine Freundinnen zu befreien."
Ryu...der kann was erleben! Wenn ich eins nicht ausstehen kann, dann ist es,
wenn jemand meiner eigenen Schwester wehtut. Alles, was einen Anfang hat, hat
auch ein Ende...in Ryus Fall ein Ende.
Ich ziehe meine Hand wieder zurück. Die linke Wange von Hitomi ist wieder
vollständig geheilt. Wütend stehe ich auf. "Wo befindet sich die Haupthalle?"
"Du stehst vor ihr.", antwortet Hitomi kleinlaut. "Aber Katano und Ryu halten
sich gerade dort auf."
"Um so besser!", äußere ich mich heftig. Mittlerweile bebe ich vor Wut, und
ich empfinde auch ein seltsames Gefühl...als ob ein wildes Tier aus mir
herausbräche.
"An deiner Stelle würde ich trotzdem nicht hineingehen. Schließlich hänge ich
an meinem Leben, und an dem deinen. Du weißt...hinter der Tür lauern nur so um
die hundert Dämonen, die nur darauf warten, dass du durch dieses Tor trittst,
damit sie dich anschließend töten können. Glaub mir, es ist besser, wenn du
noch nicht...Kasumi! Hör mir gefälligst zu!" Ich höre nicht auf sie und
schmettere mich ununterbrochen gegen die Tür, die allerdings nicht nachgeben
will, da ruft Hitomi mir hinterher: "Sie wollen deine Kraft, weil etwas tief in
dir verborgen liegt...etwas sehr Starkes. Nur deshalb sind sie hinter dir her.
Außerdem wollen sie deine Freundinnen und Kureno dazu benutzen, dich in eine
Falle zu locken. Wenn du jetzt da hineingehst, könnte das verheerende Folgen
haben." Hitomi ist den Tränen sehr nah, sinkt auf die Knie und fährt
verzweifelt fort: "Ich bitte dich, gehe nicht!" Beschämt schaut sie zu Boden.
"Bitte!" Eine einzelne Träne läuft ihr über die geheilte Wange. Zuerst
zögere ich, dann fällt mir aber wieder ein, was ich zu tun habe. Ich habe den
weiten Weg hierher doch nicht umsonst gemacht. Und ganz gewiss werde ich nicht
aufgeben...nicht jetzt.
"Wovor hast du Angst?", frage ich sie halbherzig. "Dass ich sterben könnte?
Ich, für meinen Teil, bin dazu bereit! Meine Freunde sind da drin, und wer
weiß, was Ryu ihnen antun könnte, vielleicht dasselbe, was er mir antun
wollte. Ich spreche aus Erfahrung!" Der Gedanke daran, dass mich dieser Mistkerl
beinahe vergewaltigt hätte jagt mir Schauer über den Rücken. Daran will ich
gar nicht erst denken. "Versteh mich doch! Was soll ich denn sonst machen? Etwa
warten, bis Katano sie abschlachtet? Nein, danke! Ich gehe jetzt da rein und
zeige ihr, wo der Hammer hängt." Ich drehe Hitomi den Rücken zu und trete zur
Tür. "Versuch nicht, mich aufzuhalten! Ich habe im Moment sehr schlechte
Laune."
"Kasumi!", ruft sie mir weinend zu. "Sie tun Kureno weh!" Das bringt mich zur
Besinnung. Ich mache eine Halbdrehung und blicke ihr ins tränenüberströmte
Gesicht. "Was?" Mit tränenerstickter Stimme fährt sie fort: "Du darfst das
nicht sehen. Sie foltern ihn, versuchen, ihn auf ihre Seite zu bringen und ihn
für ihre Zwecke auszunutzen. Dazu ist ihnen jedes Mittel recht. Er leidet!
Wirklich, Kasumi, du solltest nicht...!"
"Noch ein Grund, da rein zu gehen!", donnere ich laut. Mit aller Kraft stoße
ich das Tor auf. Plötzlich stehe ich in einem kreisrunden Raum ohne Fenster und
ohne weitere Tür. "Hier ist ja gar nichts!", flüstere ich verwundert. "Hitomi,
was hat das zu bedeuten? Hitomi?"
Ich drehe mich um, und schaue Hitomi ins Gesicht. Zu meinem Entsetzen sehe ich,
dass sie gehässig grinst. Bevor ich handeln kann, werde ich von einer
unsichtbaren Macht in den Raum gestoβen und eingesperrt. Von innen drücke ich
so fest wie möglich gegen die Tür, doch diese gibt nicht nach. Ich sitze in
der Falle. Verdammt! "Es gibt kein Entkommen, Kasumi!", höre ich jemanden von
weitem zurufen. Dann ertönt Katanos schadenfrohes Lachen.
Für ungefähr eine halbe Stunde schreie ich wie am Spieβ, hämmere auf die
Tür ein und versuche, sie aufzubrechen. Ohne Erfolg! Ich sinke erschöpft zu
Boden. Es bleibt nur noch zu hoffen, dass ich dieses "Abenteuer" lebend
überstehe. Ich hätte mir doch gleich denken können, dass mit meiner Schwester
etwas nicht stimmt. Sie liebt es doch so, mit meinen Gefühlen zu spielen. Aber
dass sie so weit gehen würde, konnte ich nicht wissen. Jetzt bin ich in einem
Raum eingesperrt, während meine Freunde immer noch gefangen sind. Und was ist
mit Kureno? War alles, was meine Schwester mir neulich erzählt hat, eine Lüge?
Ich kann ihr nun nicht mehr vertrauen, also kann ich auch davon ausgehen, dass
sie mich angelogen hat. Jedenfalls hoffe ich das...
Aber wieso tut sie so etwas? War ich etwa nie für sie da? Habe ich ihr nie
geholfen, wenn sie Probleme hatte? Habe ich sie etwa nie getröstet, wenn sie
traurig war? Wieso fällt sie mir so in den Rücken? Aber vielmehr ist die
Frage, wieso ich keine böse Aura um Hitomi herum wahrgenommen habe. Doch das,
was ich empfinde, ist nicht Trauer oder Verzweiflung, sondern purer Hass. Da
hilft man seiner Blutsverwandten, und was bekommt man im Gegenzug? Warte nur,
Schwesterherz! Ich bin auch nicht gerade ohne und ich werde es euch allen schon
noch zeigen, was es heißt, sich mit Kasumi Takashi anzulegen...Mit einem
gewaltigen Energieschub breche ich die Tür mit meinem Fußtritt so fest auf,
dass sie noch zehn Meter weiter fliegt, bis sie mit einem lauten Knall auf dem
Boden auftrifft. Für einen Augenblick bin sogar ich sprachlos, reiße mich aber
schnell wieder zusammen und schaue mich um. Plötzlich fliegt etwas an meinem
Kopf vorbei. Ich denke zuerst, dass es wieder ein Speer ist wie letztens, als
Kureno und ich angegriffen wurden, doch mit Erleichterung stelle ich fest, dass
es nur eine Fledermaus ist. Und da flattert ja noch eine! Logisch, denn jede
Grotte beinhaltet irgendwelche Fledermäuse! Noch eine kommt angeflogen, dann
noch eine. Langsam spüre ich mich unwohl in meiner Haut und denke, dass es das
Beste ist, wenn ich mich endlich auf die Socken mache. Noch drei Fledermäuse
fliegen an mir vorbei. Etwas ist hier oberfaul, denke ich unsicher...Ein leises
Summen ertönt und hallt in der Ferne wider. Was es sein könnte, weiß ich
nicht; das brauche ich auch nicht zu wissen, denn jetzt bin ich mir ganz sicher,
dass etwas nicht stimmt und fange an zu laufen. Das Summen wird immer lauter und
plötzlich bricht ein riesiger Fledermausschwarm aus einer der Nebenhöhlen in
meiner nächsten Nähe heraus. Sie fliegen mit unglaublicher Geschwindigkeit auf
mich zu und ich muss mich rasch ducken, um ihnen auszuweichen. Einige gleiten
gefährlich nah an mich heran und versuchen, mich zu beißen. Ich schreie ihnen
zu: "Ich bin nicht euer Futter, klar?" Doch wie ich schon geahnt habe, verstehen
sie mich nicht und greifen mich weiter an.
So langsam wird's eng! Vor mir sehe ich einen kleinen Spalt in der rechten Wand,
durch den ich möglicherweise hineinpasse. Einen Versuch ist es allemal wert und
ich laufe zur Wandspalte. Zuerst bleibe ich ein wenig stecken, doch im
allerletzten Moment zwänge ich mich hinein, fliege nach vorn und lande unsanft
auf meiner Nase. Die Fledermäuse jedoch bemerken mich nicht und fliegen weiter.
Keuchend stehe ich auf und lehne mich an der Wand an. So ausgelaugt habe ich
mich schon lange nicht mehr gefühlt, aber das darf mich jetzt nicht
abschrecken, denn ich habe den größten Kampf noch vor mir. Erschöpft stehe
ich auf und müde und abgerissen verfolge ich weiterhin verbissen mein Ziel:
Katano finden und auslöschen. Meine Abneigung gegen diese miese Schnepfe ist
mit der Zeit noch stärker geworden. Hoffentlich ist meinen Freunden und Kureno
nichts zugestoßen, denke ich immer wieder.
Auf einmal fühle ich mich sehr allein und verlassen, aber ich habe auch etwas
erkannt: den wahren Sinn meines Handelns. Was habe ich davon, Katano
umzubringen? Es geht doch einzig und allein um meine Freunde, die ich
schnellstens befreien muss. Katano ist nicht von Bedeutung. Wann hat sich dieser
Killerinstinkt in mir derart entwickelt? Aber im Moment bleibt mir keine Zeit
zum Nachdenken! Vorsichtig schaue ich hinter dem Spalt hervor. Niemand da und
die Fledermäuse sind auch weg! Dann kann's ja weitergehen! Ich drehe mich noch
mal schnell um, um festzustellen, ob mir auch ja niemand folgt und denke im
Stillen: Bitte, lieber Gott, lass Sakura, Sora und Kureno wohlauf sein...
In der Zwischenzeit im dunkelsten Verließ des Dämonenreichs: "Lasst uns
raaaaaaaauuuuuus!", schreien Sakura und Sora, die mittlerweile verschleppt
worden sind, in die Finsternis hinein. "Aaaaach!", seufzt Sakura. "Ich stehe
kurz vor einem Nervenzusammenbruch."
"Und ich erst!", entgegnet Sora heftig. Dabei wischt sie sich einmal kurz den
Schweiß von ihrer Stirn.
"Und was jetzt?", fragt sie ratlos.
"Ich habe keine Ahnung." Sakura denkt für einen kurzen intensiven Augenblick
nach. Schliesslich kommt sie zu einem Schluss. "Ich hab's. Ich würde sagen,
hier kommen wir nie wieder raus."
"Neeeeee, hast du das jetzt ganz alleine herausgefunden?"
"Ach, halt doch die Klappe!", mault Sakura mürrisch zurück.
"Sag mir lieber, wie wir hier wieder rauskommen."
"Hast du nicht vor kurzem noch gesagt, dass wir das nicht können? Sakura,
manchmal bist du einfach...pfff!"
"Ja, raus mit der Sprache! Was bin ich manchmal?"
"Vergiss es einfach, ja?" Sora hat keine Lust zum Streiten und lässt sich auf
dem Boden niedersinken. "Sollen wir...singen?"
"Wie??", schreit Sakura hysterisch, "bist du jetzt total übergeschnappt?"
"Ich meine ja schlieβlich nur...wenn Kasumi uns schon retten kommt,
beschäftigen wir uns in der Zeit und singen ein Lied."
"Du spinnst wohl! Das ist nicht der richtige Augenblick fürs Singen!", poltert
Sakura entrüstet.
"Es ist genau der richtige Moment dafür. Wir müssen uns irgendwie von unseren
negativen Gefühlen befreien...und Singen hat uns schon immer Mut gegeben.
Also...singen wir nun oder nicht?"
Sakura seufzt laut auf und stimmt schlussendlich zu.
"Was sollen wir denn singen?"
Sora lächelt sie nur an und zwinkert. Sakura hat schon verstanden und zusammen
legen sie los:
"Oshiete Moonlight
Kyou no tsuzuki
Ashita donna watashi ni naru
Sei no bishi temo mada yoake no
Sora wa mienai wa
Demo shinjiteru no
Doki meki kokoro o hako n deku
Fly me to the moon!!
Tobi dasuno yo
Tsuki tokei tyodoo
Hajimari no toki
Fly me to the dream!!
Tobun de yuku wa
Hoshizora no Arch kienai uchi ni..."
"Haltet endlich die Klappe!!!", schreit ein Wächter, sichtlich genervt.
Ups! Die beiden hatten ja völlig vergessen, dass sie bewacht wurden. Aber das
hat Spaβ gemacht...Und beide fühlen sich schon einigermassen entspannter. Nun
können sie in Ruhe nachdenken, über das, was sie jetzt tun sollen.
Plötzlich hören sie Schritte, die sich gemächlich auf sie zu bewegen.
"Leise...hörst du das auch?", wispert Sora entsetzt.
"Ja! Scheint, als kämen diese Kreaturen, um uns abzuholen."
"Das sieht nicht gut für uns aus! War schön, dich getroffen zu haben,
Sakura!", flüstert Sora leise und verkriecht sich in einer Ecke!
"Nur nicht die Hoffnung aufgeben!", presst Sakura zwischen ihren Zähnen
hervor.
Eine dunkle weibliche Gestalt baut sich vor ihnen auf. "Es tut mir Leid, aber
ihr werdet mir noch nützlich sein...als Geiseln!"
In der Zwischenzeit hat es lange gedauert, bis ich ein Portal erreicht habe.
Dieses Portal ist wunderschön verziert, doch ich sollte mich nicht von
Äusserem täuschen lassen. (Wie Hitomi) Wer weiss, was mich erwartet, sobald
ich es öffne.
Plötzlich empfinde ich Angst...solche Angst um meine Freunde...und Kureno...ich
fühle mich wie gelähmt. Doch da muss ich jetzt durch...
Mit einem lauten Knall schlage ich das gewaltige Portal auf, nicht wissend, dass
mir das Schlimmste noch bevorsteht. Kaum ist sie offen, schlägt mir der
ekelhafte Geruch einer modernden tiefgehenden Grotte entgegen. Das bedeutet
also, dass ich mich noch nicht im untersten Bereich der Dämonenwelt befinde.
Doch mutig klettere ich hinunter. Haben die etwa tatsächlich gedacht, damit
könnten sie mich aufhalten? Dummköpfe!
Man merkt, dass der Weg lang und steinig bis in die tiefsten Ebenen des
Dämonenreichs führt, es würde also lange dauern, bis ich wieder Licht bzw.
Halbdunkel sähe. Hoffentlich greifen mich keine weiteren Blut saugenden
Fledermäuse an, sonst kann ich frühzeitig mein Testament machen. Der Staub,
der während meines Herabsteigens aufgewirbelt wird, schmerzt in meinen Augen.
Auf einmal eine Vorahnung, wie ich sie schon mal hatte...Ich kenne diesen
Ort...
Unheimliche Stimmen in meinem Kopf flüstern mir leise zu, dass dies der Weg zu
den Katakomben sei. Es solle zwei Abzweigungen tief unter der Erde geben. Die
eine führe zu den Katakomben selbst, die andere zum Dämonenfriedhof (was nicht
weniger beunruhigend ist).
Ich weiβ nicht, ob ich diesen Stimmen trauen kann, ob ich irgendjemandem noch
trauen kann, doch eines weiβ ich: Dies wird vielleicht mein letzter Kampf
sein...
Eine Unmenge von Dreck wird in die Luft geworfen, während ich mich bemühe, den
Hang möglichst vorsichtig hinab zu steigen. Einmal bröckelt die Erde unter
meinen Füβen hinweg und ich kann mich noch gerade fangen! Von nun an werde ich
mir keinen Fehler mehr erlauben, oder besser gesagt, ich DARF mir keinen Fehler
mehr erlauben, sonst wird es mehr als nur schlimme Folgen haben. Mittlerweile
ist der Gestank der humiden Atmosphäre kaum noch auszuhalten. Es benebelt mein
Hirn auf unangenehme Art und Weise und mein Kopf schwankt müde hin und her.
Meine Augen tränen sehr stark wegen der Staubwolken.
Jetzt heiβt es Kasumi gegen Mutter Natur. Die stickige Luft will mich dazu
zwingen umzukehren. Dabei gibt es doch schon längst kein Zurück mehr und ich
kämpfe erbittert weiter. Je tiefer ich hinunterklettere, desto wärmer wird es.
Ehrlich gesagt muss ich mich arg zusammenreiβen, um nicht umzufallen. Ein
leises, abfallendes Geräusch lässt mich zusammenzucken. Und unerwartet
berühren meine Füβe wieder festen Boden. Katanos Lachen ertönt wieder. Das
kann nur Gefahr bedeuten!
In der Tat: Riesige Wassermassen stürzen auf mich herab. Blitzartig nehme ich
meine Beine in die Hand und laufe so schnell ich kann weg. Doch weil meine Beine
vom Hinabsteigen der Gruft so verkrampft sind, bereitet es mir enorme
Schwierigkeiten, richtig zu laufen. Da bleibt mir nur noch eine Möglichkeit.
Ich stelle mich hin und konzentriere mich, bereite mich auf einen Zauberspruch
vor. Als das Wasser gefährlich nah an mich rangekommen ist, lege ich meine
beiden Zeigefinger zusammen. Während sich Energie in meinen Fingerspitzen
sammelt, kreische ich mit ganzer Kraft:
"So einfach lass ich niemanden an mich ran / darum befehle ich ihr, Wasser, halt
endlich an!!", und lasse die angestaute Energie frei.
Nach Beenden des Spruchs hält das Wasser ruckartig an. Es sieht ziemlich
komisch aus. Für Menschen wahrscheinlich nicht das Alltäglichste...
Doch da die Welle schon mal stillstand, wieso sie nicht verdunsten lassen?
Katano wird sich noch wundern...
"Gewässer, ihr Wellen, nun lass ich mein Gerede / so verdunstet nun auf dem
schnellsten Wege!!" Und wieder setze ich die für mich wohlbekannte Kraft frei.
Nach und nach verdunstet das Wasser vor meinen Augen, wird langsam zu Schaum und
sprudelt noch mal kurz auf bevor es sich komplett auflöst.
Schlagartig meldet sich Katano zu Wort: "Ist das Ganze nur ein Spiel für
dich?"
Übereilt und unüberlegt gebe ich zurück: "Und was, wenn es so wäre?"
"Dann werden deine Menschenfreundinnen deswegen wohl oder übel darunter leiden
müssen. Tja, dir scheint komischerweise immer noch nicht klar zu sein, in welch
misslichen Lage du dich befindest! Hiermit fordere ich dich heraus zu einem
Kampf auf Leben und Tod! Aber natürlich nur, wenn du den Mut dazu hast, sie
anzunehmen! Ansonsten töte ich dich...hier und jetzt!!" Wieder Katanos Lachen.
Schnell werde ich übermütig und antworte ihr frech ins Gesicht: "Jetzt weiβ
ich, wieso Ryu dich fallen gelassen hat wie eine heiβe Kartoffel: Du redest zu
viel!"
"Nicht mehr lange!", gibt Katano gehässig und mit einem breiten Grinsen
zurück. "Zuallererst möchte ich, dass es hier ein wenig heller wird! Ich will
dich sehen, wie du leidest und unter meiner Hand stirbst." Katano schnippt
einmal kurz mit den Fingern, und schon erstrahlt der ganze Untergrund in vollem
Licht. Um mich herum werden Grabsteine sichtbar; dies muss also der
Dämonenfriedhof sein.
Und bei meiner vorigen Lauferei bin ich auch noch zu meinem Entsetzen zufällig
vor mein eigenes Grab gelaufen.
"Was soll das? Wieso...??"
Katano kichert flüchtig. "Nun ja, ich wollte dir die Mühe ersparen, so
barmherzig wie ich doch bin, denn du hättest dir dein eigenes Grab sowieso
selber geschaufelt. Das Zweite, was ich dir zeigen will...". Eine knappe
Handbewegung von Katano und schon schwirrt eine enorme Glaskugel herbei. In ihr
befinden sich zwei Gestalten. Als sie nahe genug herangeschwebt ist, erkenne ich
dort bestürzt meine beiden Kameradinnen.
"Sakura! Sora!", schreie ich laut auf. "Gib sie mir sofort zurück, du
elende...!"
"Aber, aber!", frohlockt Katano triumphierend. "Das Schärfste kommt erst
noch!"
Noch eine bündige Handbewegung von ihr, und eine schwer erkennbare Gestalt
kommt hinter einem besonders groβen Grabstein hervor. Ich kann sie nicht
identifizieren, doch ein sehr seltsames Gefühl empfinde ich allemal dabei. Das
wird doch nicht...etwa...
Die mir bekannte Person zeigt ihr Gesicht, indem sie vortritt. Am liebsten wäre
ich in dem Augenblick gestorben...
"Du...das ist doch...!" Vor lauter Sprachlosigkeit fällt mir das Atmen sehr
schwer. Meine Augen füllen sich schnell mit Tränen, Tränen der
Wiedersehensfreude. Er ist es...Kureno...Was habe ich ihn vermisst! Und ich
dachte schon, er wäre vielleicht schon gestorben. Hastig laufe ich hin, um ihn
zu umarmen...und werde unsanft zu Boden gestoβen. "Aber...!", äussere ich mich
erschrocken. "Wieso tust du das? Was ist los?"
Sogleich fällt mir auf, dass er irgendwie anders ist.
"Was ist los mit dir, Kureno?", wiederhole ich abermals. Doch er verzieht nicht
einmal die Miene. Seine Augen starren nur blank und glanzlos in die Leere.
Wiederum schreitet er ein bisschen vor. Durch das helle Licht kann ich erkennen,
dass seine Wunde als er vom Speer getroffen wurde, spurlos verschwunden ist.
Sein Gesichtsausdruck ist genau derselbe als der, wo wir uns das erste Mal
gesehen haben, doch leicht anders. Das erste Mal, finde ich, sah er mit diesem
bösen Blick unverschämt attraktiv aus, doch jetzt ähnelt er dessen einer
leblosen Marionette.
"Was zum Teufel hast du mit ihm gemacht?", schreie ich Katano gequält an.
"Wie denn? Hat deine Schwester dir das etwa nicht gesagt?"
Moment mal, das ist nicht richtig. Woher weiβ sie, dass Hitomi mir das erzählt
hat?
"Wie auch immer. Kennst du denn deinen so genannten Freund nicht mehr?" Ohne
Hast streckt sie ihre Handfläche nach Kureno aus; wie in Trance hebt er seinen
Kopf und ich sehe ihm direkt in seine dunklen Augen, die in die Ferne schauen.
Kurz darauf versetzt Katano ihm einen harten Schlag mitten ins hübsche Gesicht.
Er reagiert nicht darauf. Schockiert und rasend brülle ich meine geschworene
Feindin an: "Was soll der Scheiβ? Tickst du noch ganz richtig?"
"Wieso sollte ich das nicht dürfen? Schlieβlich bin ich nicht so feige wie du.
Du, der du ihn nicht beschützen konntest, bist schwach!", brüllt sie ebenso
angewidert wie ich zurück. In Zeitlupe hebt sie erneut die Hand. "Jetzt erzähl
ich dir mal etwas, etwas, das deinen Freund betrifft. Als du von mir ohnmächtig
geschlagen wurdest, und ich zu ihm hinging, hat er jämmerlich um sein Leben
gefleht, gesagt, ich sollte ihn verschonen, und dich an seiner Stelle töten.
Das, genau DAS, ist dein Freund: Ein erbärmlicher Wicht, der es nicht wert ist
zu leben. Der Kerl hat dich von Anfang an von vorne bis hinten beschissen...
weil er wusste, was du für ihn empfindest. Soll er nicht jetzt dafür bezahlen?
Willst du ihn einfach so davonkommen lassen?"
Noch einmal knallt Katano mit der Hand auf Kurenos Wange. "Jetzt weht hier ein
anderer Wind. Zuhören wird er dir wahrscheinlich nicht mehr. Jetzt, wo er nur
noch mir gehorcht!"
"Kureno, lass dir das ja nicht gefallen! Hörst du??"
"Zwecklos! Ich habe dir doch eben noch gesagt: Er erfüllt nur noch meine
Befehle, kapiert?" Dann schallert Katano ihm noch eine. "Der Wurm wehrt sich ja
noch nicht mal mehr gegen mich!"
Das, was Katano sagt, kann nicht stimmen...Kann einfach nicht sein...Ich habe es
gespürt...vor dem Angriff waren wir uns so nah. War das etwa eine einzige
Lüge?
Liebe ist keine Lüge! Sie ist die Wahrheit selbst!
Als Katano ihn zum wiederholten Male schlägt, ist es aus mit meiner Vernunft.
Wutschnaubend renne ich auf sie zu, um sie zu erledigen, leider werde ich aber
vorher von etwas Scharfem an der Wange gestreift, was mich völlig überrascht.
Blut flieβt augenblicklich aus der Wunde. Nanu? Ein Schwert? Aber wo kommt es
her?
Langsam drehe ich mich um und erfasse zwei weitere Gestalten, die sich im Dunkel
verstecken. Die eine hält ein Schwert in der linken Hand, die andere besitzt so
etwas wie Krallen an den Händen. Beide tauchen hinter Katano auf. Die kenne ich
doch!?
In der Tat: Bei der Person mit der Hiebwaffe handelt es sich um Ryu. Ich seufze
laut auf. Nicht der schon wieder! Dabei kann ich ihn auch so nicht vergessen,
immerhin hätte er mich fast vergewaltigt. Uärks! Nicht dran denken, Kasumi,
sonst kotzt du dir noch eines Tages die Seele aus dem Leib!
Die begleitende Person tritt ebenfalls ins Licht.
"Aber...das...!"
"Ja, genau!", schneidet Katano mir das Wort ab. "Ihr kennt euch doch so gut, da
dachte ich, du seist nicht im Geringsten überrascht!"
"Hitomi!", fahre ich sie aus Enttäuschung laut an.
Hitomi setzt ein hinterhältiges Grinsen auf. "Ich dachte, du hättest es
verstanden, als ich dich in den Raum geschubst und eingesperrt habe. Aber nie im
Leben hätte ich mir denken können, du seist derart naiv! Schwesterherz!"
Fassungslos schüttele ich den Kopf. "Ich habe keine Schwester mehr!"
Katano beobachtet freudestrahlend das Szenario, das immer abstrusere Formen
annimmt. Hitomi fährt unbeirrt fort. "Aber vorhin habe ich nicht gelogen. Das
musst du mir doch zugestehen, nicht wahr?"
Ich schweige in der Zwischenzeit. Ihr kann ich nie wieder vertrauen.
"Ach komm schon! Nimm's mir nicht übel, aber ich mag keine Schwächlinge!"
Schwerfällig stehe ich auf und starre ihre Augen mit den meinen an. "Du weiβt
nicht, was schwach sein bedeutet. Aber ich verrat dir was...Schwächling ist ein
Synonym für "Hitomi"! Was du tust, ist gleichzeitig hinterhältig, gemein und
SO was von schwach.
Sag mir, wieso! Wieso tust du etwas Derartiges?"
Hitomis Grinsen verblasst. "Willst du das wirklich wissen?"
Ich nicke kurz. Hitomis Augen verengen sich. "Nun, Kureno ist mein Freund!"
"WAS?"
"Du hast richtig gehört. Eigentlich war das Ganze für mich nicht mehr als nur
ein dummes Spiel...bis du dich an ihn rangemacht hast."
"Aber wie konnte ich das denn wissen?! Ausserdem hab ich mich gar nicht an ihn
rangemacht, es ist genau umgekehrt herum gewesen!"
Hitomi zuckt mit den Achseln. Dabei blickt sie mich intensiv an. "Du hast ihn
mir abspenstig gemacht! Das ist alles deine Schuld!"
Es reicht mir jetzt! Alle sind sie gegen mich...Ich habe es endgültig satt,
dass jeder nur mich beschuldigt. Für alles, was dir angetan wurde, gib Kasumi
die Schuld! Geh zu Kasumi, denn sie ist schuld daran, dass du dich so miserabel
fühlst! Dreh Kasumi den Hals um, war es doch ihre Schandtat! Die ganze Sache
stinkt zum Himmel! Zuerst Katano, jetzt auch noch meine eigene Blutsverwandte!
Denkt irgendjemand hier überhaupt einmal nach?
"Kureno wurde verletzt, weil er dich beschützen musste!", fährt Hitomi
aufgebracht fort.
"So, so!", antworte ich ihr gleichmütig. "Wieso unterstehst du dann eigentlich
einer Person, die ihm wehgetan hat? Sag mir...Was für 'ne falsche Freundin bist
du eigentlich? Frech von dir, zu behaupten, er wäre dein Freund! Oh Gott, so
warst du noch immer, Hitomi! Man weiβ nie, was du denkst." Wieder schieβen mir
Tränen in die Augen. Die Situation erscheint mir so hoffnungslos...wenn nicht
mal Kureno an meiner Seite steht, meine Freundinnen gefangen sind, und Hitomi
sich mit Katano zusammen gegen mich stellt; ausserdem bleibt noch mein
Beinahe-Vergewaltiger Ryu, der Dämonenkönig. Das ist ein Albtraum, ein
schrecklicher Albtraum!, denke ich mir sehr leise. Mein Körper bebt regelrecht
vor Wut und Trauer.
"Was ist denn mit dir?", fragt mich Katano mit heuchlerischer Stimme. "Du weinst
ja!? Schön, so alte Bekanntschaften, hm?" Ein plötzliches Strecken ihrer Arme
(sie will mich hauen, denke ich verzweifelt) und ich versenke meine spitzen
Zähne in Katanos Handgelenk. Dir zeig ich's noch, Katano Nerashi!
"Lass sofort los, Ungeziefer!", schreit Katano tobend und boxt mir in die
Magengrube. Ich krümme mich vor Schmerzen, lasse mich auf dem dreckigen Boden
nieder und halte mir meinen Bauch. Katano bekommt wieder mal einen ihrer
Lachanfälle. Hämisch wendet sie sich mir zu, währen sie die Stelle reibt, wo
ich sie gebissen habe: "Wie du siehst, halte ich alle Trümpfe in der Hand!
Also...Gib auf oder stirb!"
Zähneknirschend beobachte ich sie, wie sie um mich herum scharwenzelt. Noch
einmal will ich sie attackieren, doch Kureno packt mich am Arm und schleudert
mich grob nach hinten. Unsanft schlage ich auf dem harten Steinflur auf. Diesmal
weine ich richtig. Noch nie war ich so verzweifelt. Zitternd stehe ich auf. Ryu
lächelt mich von weitem her an: "Dem Kerl zu vertrauen war das Dümmste, was du
machen konntest. Der wickelt doch gerne unschuldige Leute um den Finger. Mann,
er ist ein so gewiefter Lügner!"
"Und ein fantastischer Schauspieler!", fügt Hitomi hinzu.
Sofort werfe ich meiner ehemaligen Schwester einen vernichtenden Blick zu.
"Jedenfalls...", sagt Katano mit ruhiger Stimme, "...wirst du nun sterben.
Kureno?"
Dieser stellt sich mir daraufhin bereitwillig entgegen, entschlossen, mich zu
töten!
Immer noch weine ich bittere Tränen. Ich kann nicht kämpfen und ich will auch
nicht kämpfen. Ich will nichts von alldem. Ich wünsche mir nur nichts
sehnlicher, alles sei wieder wie früher. Ach, wäre ich doch nur nicht so feige
gewesen und zu ihm gerannt, als er blutverströmt am Boden lag...Durch mich ist
er...ist er...
Warum hätte er mich wohl anlügen sollen? Wieso hat er mich dann in Schutz
genommen? Um mein Vertrauen zu gewinnen? Wäre möglich...doch warum braucht er
dann Katanos Gehirnwäsche? Wenn er doch von Anfang an nur darauf aus war, mich
reinzulegen?... So viele Fragen, und keine kann ich beantworten. Meine Gedanken
sind derart in Aufruhr.
Werde ich mich wohl jemals davon erholen?
Aus lauter Kummer bemerke ich nicht, dass Kureno mich eben umgebracht hat!
Sein Schwert, das er benutzt hat, um Ryu die Hand abzuschlagen, hat meinen
Körper durchbohrt.
Ich wusste nicht, dass ein Schwert, das aus einem herausragt, sich so angenehm
anfühlt, wenn man unter Schock steht...Die ersten Bluttropfen fallen, dann
entsteht ein Rinnsal, das gen Erde flieβt...
Langsam zieht Kureno das Schwert wieder heraus. Er macht dies gemächlich, ohne
zu hetzen und groβe Anstalten zu machen, es möglichst schnell zu beenden. Mir
versagt die Atmung. Ich falle leblos zu Boden, leblos, ohne mich zu bewegen,
geschweige denn aufzustehen.
,Das ist ein Albtraum!' ist mein letzter Gedanke...
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