"Benedictio Diaboli" - Blutrosen von Archimedes ================================================================================ Kapitel 0: Der Lamijah ---------------------- "Hey...." sagte eine Stimme aus großer Entfernung. "Hey, Raffael, wach auf!" Jemand rüttelte an Raffaels Schulter. "Zeit zum Aufstehen, du musst noch für die Vorstellung heute Abend üben!" raunzte eine rauhe Frauenstimme. "Jaaa.... ich steh ja gleich auf, noch zwei Minuten!" maulte er. "Nein, sofort!" Als Raffael eines seiner Augen aufschlug und das Sonnenlicht ihn veranlasste, es schnellstmöglich wieder zu schließen, hörte er ein leises Plätschern, das neben seinem Ohr stetig lauter wurde... "...oh... nein, nein, neinneinein!" Raffael setzte sich mit einem schnellen Ruck auf, aber es war zu spät. Über ihn ergoss sich eine riesige Wassermenge mit einem lauten "Platsch!", "Raaaaaaaaaahhhhhhhhhhhh!!!! Bist du verrückt altes Weib?" Raffael blickte wütend auf und starrte in ein breit grinsendes Gesicht. Die Frau, die mit dem Eimer in der Hand vor ihm stand, war an die fünfzig Jahre alt, mit braunem und gräulichen Schlieren durchzogenem Haar, braunen, listigen, aber gütigen Augen und einem vollen Gesicht mit einigen Falten. Sie war nicht mehr ganz jung, aber sie muss einmal schön gewesen sein, bevor das Alter und die harte Arbeit einer Schaustellerin ihr Gesicht gezeichnet hatten. Von der Statur her ähnelte sie allerdings eher einer Müllersfrau mit breiten Schultern, als einer wohlgeformten Seiltänzerin. Rings um sie begann lautes Gelächter. Es war bereits Vormittag und die Aufbauarbeiten des Zirkus "Die Wüstensöhne" hatten bereits begonnen. Das Lager war in einem kleinen Tal am Rande der Stadt Zorgan aufgeschlagen worden. Für den Wasservorrat sorgte der Barun Ulah, der direkt neben dem Lager vorbeifloss. Hier in dem kleinen Tal war von dem reisenden Fluss, der schon viele Flöße und selbst das ein oder andere Schiff in Efferds Reich gerissen hatte, nicht mehr viel zu spüren. Er floss an diesem sonnigen Frühlingsmorgen ruhig und gleichmäßig seinen Weg bis Zorgan, und mündete hinter der Stadt in den Golf von Perricum. "Ich dachte, es wäre Zeit für ein Bad, Junge. Steh endlich auf, du hast verschlafen. Die anderen sind schon dabei die Zelte aufzustellen. Heute Abend haben wir eine Vorstellung!" , mahnte die stämmige Frau. Raffael erhob sich aus seinem feucht gewordenen Nachlager und raffte sich erst einmal die langen schwarzen Haare zusammen, die ihn momentan eher wie einen Mop aussehen ließen, als wie einen schönen, jungen Mann Anfang zwanzig. "Schon gut, Oruha, ich steh ja auf, aber das nächste Mal schöne Frau, weck mich doch mit einem Kuss!" Raffael zwinkerte der Frau lachend zu und begann seine nassen Kleider durch trockene zu ersetzen. Die warmen Sonnenstrahlen prickelten auf seiner hellbraunen Haut und es tat gut, dass Firun sein Angesicht von Dere genommen hatte. Raffael hasste den Winter, kam er doch aus einer Gegend Aventuriens, wo die Sonne immer schien. Aranien, das Land, in dem seine Familie und der Zirkus gastierte, war zwar nicht annähernd so kalt, wie das Bornland und schon gar nicht wie Thorwal, aber mit der Tropenhitze Maraskans konnte es nur bedingt konkurrieren. Andererseits war das Land reich an Früchten und Blumen, die Raffael bisher noch nie gesehen hatte. Einige schmeckten süß und unglaublich lecker, obwohl er sich zuerst nicht denken konnte, dass runzeliges Obst, das aussah wie übergroße Rosinen einen solchen Geschmack entwickeln konnte. Die Aranier nannten es Feigen. Anders verhielt es sich mit dieser sonnengelben Frucht und ihrer hügeligen Schale. Sie war so sauer, dass Raffael keinen Vergleich finden konnte, der auch nur annähernd beschrieb, wie sie schmeckte. Die Leute im letzten Dorf, in dem der Zirkus den Winter über verbracht hatte, schworen darauf den sauren Saft in den Tee zu tun, um das Aroma der Teeblätter zu verstärken und dem Getränk eine ganz eigenen Note zu geben. Raffael weigerte sich entschieden, es auch nur zu probieren! Die Pflanzenwelt hatte es ihm angetan, hatte er doch nie zuvor so zahlreiche Ölbaumhaine und Eibenwälder gesehen und auch Akazien waren ihm fremd, bevor er dieses schöne Land betreten hatte. Raffael glaubte, dass selbst die Luft anders röche, als daheim.... "Hier fang!" Raffaels Gedanken über dieses seltsame Land wurden je unterbrochen. Ein Besen flog genau in seine Richtung. "Fang an zu kehren Junge und träum nicht vor dich hin! Wir haben nicht mehr viel Zeit und üben musst du auch noch!" wies ihn Oruha, das Oberhaupt der Schaustellertruppe ungeduldig zurecht. "Jawohl!!" sagte Raffael mit einer spöttischen Verbeugung und begann zu kehren. Es waren mittlerweile das große Zirkuszelt für den Abend aufgebaut und Übungsplattformen für die Artisten. Mit dem Hochseil wollte es allerdings nicht so recht klappen. Die großen Stützpfeiler waren schwer und nicht nur einmal wurde einer der Männer schon von solch einem umkippenden Pfahl erschlagen, oder für immer ans Krankenlager gefesselt. Aber bis zu Vorstellungsbeginn würde auch das geschafft sein. Genug Leute gab es ja. "Die Wüstensöhne", wie die Schausteller sich selbst nannten bestanden aus fast dreißig Mitgliedern, für aventurische Verhältnisse schon ein eigenes kleines Dorf. Da gab es das Oberhaupt, Oruha al-Jamila. Mit ihren fünfzig Jahren war sie das erfahrenste Mitglied der Gruppe. Raffael lernte die warmherzige Frau mit den tiefen Falten im Gesicht, schon als Kind kennen, als ihr Mann Azil noch lebte und zusammen mit ihr durch Aventurien zog, immer darauf aus Phex dem Gott der Händler (nebenbei bemerkt auch Diebe!) zu dienen. Lange war es her, dass Oruha ihn auf dem Sklavenmarkt von Al Anfa freikaufte, weil ihr "seine Augen so gut gefielen". Seit dem Tag vor mehr als fünfzehn Jahren, war sie zu seiner Mutter geworden, die ihn behütete und liebte, als sei er ihr eigenes Kind, auch wenn die robuste Dame durchaus ungemütlich werden konnte. Oruha kümmerte sich um die Organisation im Zirkus und verhandelte stets höchstpersönlich mit den jeweiligen Landesherren, damit sich keiner ungewollt übervorteilen ließ. Bisher machte sie ihre Sache gut, der Zirkus war einer der größten und bekanntesten Aventuriens. Oruhas Tochter Fadime würde einmal ihre Verantwortung, aber auch ihre Barschaft erben. Fadime war etwa in Raffaels Alter und ebenfalls magisch begabt. Sie übernahm zusammen mit ihm die Lichtmagie während der Aufführungen. Sie war sehr hübsch und Raffael gab es ungern zu, aber das Mädchen mit dem er sich das ein oder andere Wortgefecht (und auch Schlägereien) in der Vergangenheit geliefert hatte, gefiel ihm von Tag zu Tag besser. Wenn er in ihre großen, mandelförmigen Augen sah, wollte er am liebsten in ihnen versinken. Ihre Haare hatten ein tiefes braun, wie die getrocknete Rinde der Zypresse und den Duft von Lavendel. Sie war nicht zu klein und nicht zu groß und war an den richtigen Stellen wohlgeformt. So mancher Zuschauer verlor bei ihrem Anblick schon den Verstand. Neben den vielen anderen Schaustellern, wie Seiltänzern, Akrobaten und Tierbändigern gab es im Zirkus "der Wüstensöhne" auch zwei Kuriositäten: einen Schelm und eine Katzenhexe. Dem Schelm Truxes ging man besser aus dem Weg, wenn man seine Kleider nicht verlieren wollte, oder man sich noch von der Stelle zu bewegen wünschte. Seine Lieblingsbeschäftigung war es , - wie es Kinder von Kobolden nun mal so an sich haben -, mit den umstehenden Leuten seinen Schabernack zu treiben. Truxes meinte es nie böse und am liebsten hatte man ihn, wie eine lästige Stechmücke: weit, weit weg! Die zweite ungewöhnliche Person war die Hexe Pawla. Niemand vermochte ihr Alter zu schätzen, doch ihre Haare mussten schon vor Äonen ergraut sein. Sie trat der Gruppe bei, um Raffael in der Hexenkunst zu unterrichten, als Oruha sein Talent erkannte. Woher die beiden Frauen sich kannten, wusste keiner. Bekannt war nur, dass sie von einer norbadischen Sippe stammte, von der sie die letzte Überlebende sei. Sie war eine unerbittliche Lehrerin, aber mit großem Wissen und Macht und ihr buckeliger Körper und das zerfurchte Gesicht gaben nicht wieder, welche Kraft in der kleinen Frau noch steckten. Ihr Vertrautentier war eine schneeweiße Leopardin, die sie nie aus den Augen ließ und sich nie weiter als fünf Schritt von ihr entfernte. Raffael fegte den letzten Staub vor dem Vorstellungszelt beiseite und begab sich zu Pawla, die schon auf ihn und Fadime wartete. Als er ihr Zelt betrat, war Fadime schon anwesend. "Na Schlafmütze, du bist spät dran. Ich hoffe du hast wenigstens von mir geträumt!" lächelte Fadime ihn an. "Natürlich, du hast dich in eine geifernde Chimäre verwandelt und mich über den Lagerplatz gescheucht und hast ständig gerufen: "Lass mich an dir knabbern!" Aber wenn ich dich so anschaue.... eigentlich sahst du genauso aus, wie jetzt! Hast du vergessen deine Schönheitsmaske aufzusetzen? Du wirst nachlässig!" entgegnete Raffael gehässig. "Oh! Wie kannst du es wagen, mich so zu beleidigen!" Fadime griff nach dem erst besten Gegenstand und schleuderte es in Raffaels Richtung. Er konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen, bevor das Gefäß ihn am Kopfe traf, jedoch entleerte sich ein feines, rotes Pulver über ihm. Es brannte fürchterlich in seinen Augen. "Du dumme Pute. Sieh was du angerichtet hast!" schrie Raffael vor Schmerz. "Das bekommst du zurück!" "Genug jetzt" mischte sich Pawla ein. Sie zog genüsslich an ihrer Wasserpfeife, ließ den feinen Rauch angereichert mit Rauschkräutern ihre Kehle herunter laufen und stieß ihn dann durch die Nase wieder aus. Ihre trüben Augen, die schon seit Jahren nicht mehr sahen blickten gelassen auf die beiden Hitzköpfe."Wir haben für solchen Unsinn keine Zeit. Nach der Winterpause seid auch ihr eingerostet und heute Abend ist die erste Vorstellung dieser Saison. Ihr Kinder solltet besseres zu tun haben, als euch gegenseitig zu piesacken." Sie fuhr mit ihrer knochigen Hand über Raffaels Gesicht und plötzlich war der feine Staub aus seinen Augen verschwunden und auch seine Kleidung war wieder sauber. "Irgendwann musst du mir beibringen, wie du das machst, alte Frau!" sagte Raffael erstaunt. "Vielleicht, wenn du gelernt hast deinen Verstand zu benutzen." spöttelte die Hexe. "Wie auch immer, beginnen wir. Fadime, lass eine Lichtkugel entstehen, welche die Farbe wechselt und sich frei bewegen kann." "In Ordnung." Fadime begann sich auf die Kraftlinien ihres Zaubers zu konzentrieren, sammelte Kraft in ihrem Geiste und erschuf eine etwa drei Spann große, blaue Kugel über ihrem Kopf. Sie schloss die Augen und versuchte sie im Raum zu bewegen. Langsam und mit Mühe setzte die Kugel sich in Bewegung. Sie variierte ihre Farbe von blau nach violett, von violett nach rot und von rot in ein dunkles orange bis hin zu einem strahlenden gelb. "Gut, wie ich sehe hast du nichts vergessen in der Winterpause. Jetzt du Raffael." Auch Raffael versuchte sich an der Lichtkugel, doch die Farbtöne wollten ihm einfach nicht gelingen. "Verdammt! Irgendwie will sie heute nicht so richtig." fauchte er. "Du hast nicht daran gearbeitet, oder Junge?" fragte Pawla mit kritischem Blick. "Du hast keine Fortschritte gemacht." "Mir fällt es schwerer, ich bin ein Hexer und kein Scharlatan!" maulte er. "Eben weil du einen anderen Zugang zur Magie hast, als Fadime musst du mehr tun." Pawla seufzte tief. "Fadime, du wirst heute alleine für die Illusionen und das Licht verantwortlich sein. Geh jetzt." Die Lehrstunde war überraschend schnell vorbei. Fadime und Raffael standen auf und wollten das Zelt verlassen. "Warte Raffael! Ich habe dir etwas zu sagen." Raffael machte mitten in der Bewegung kehrt, konnte aber noch sehen, wie sein Schwesterherz ihm die Zunge herausstreckte. "Was willst du noch?" fragte er geknickt. "Es wäre besser für dich, heute bei der Vorstellung nicht dabei zu sein. Ich habe ein ungutes Gefühl. Heute Nacht hatte ich einen Traum. Ihn zu deuten war nicht schwer. Ich bringe nur ungern schlechte Kunde, aber wenn du heute Abend auftrittst, wird ein furchtbares Ereignis über dich hereinbrechen, dessen Ausgang ich nicht vorhersehen kann. Halte dich also fern!" "Was soll denn heute anders sein, als die Jahre zuvor? Ich bin sooft aufgetreten und meine Arbeit ist nun wirklich nicht gefährlich." meinte Raffael verwirrt. "Ich kann dir nur die Richtung weisen, eine Gestalt wird in dein Leben treten, eine Gestalt, der du nicht gewachsen sein wirst." sagte die Hexe ernst. "Eine Gestalt? Hast du wieder zuviel an deinen Rauschkräutern gezogen, alte Frau? Ich habe schon so viel erlebt und gesehen, glaubst du, deine Prophezeiung schreckt mich?" Raffael verschränkte die Arme vor seinem Oberkörper. "Es ist nur ein Rat, was du damit anfangen willst ist deine Wahl." Pawla schien noch ein Stück kleiner zu werden. Sie sorgte sich um ihm. Raffael blickte auf die alte Frau hinab. Sie meinte es gut, das wusste er. Raffael beugte sich über die alte Frau, die mehr als nur eine Lehrerin für ihn war, nahm ihre Hände in die seinen und küsste sanft ihre Stirn. "Sorg dich nicht um mich. Mir wird nichts passieren. Wenn es dein Wunsch ist, dann halte ich mich heute fern.... auch wenn ich nicht an die Vorsehung glaube." lächelte er ihr zwinkernd zu. Damit verließ er das Zelt. "Oh Kind, du bist noch so jung und dumm." sagte die Hexe bitter. Es war bereits früher Abend geworden und der Einlass in das fast fünfzehn Schritt hohe Zirkuszelt hatte begonnen. Das Zelt war prächtig geschmückt mit bunten Bändern und Schleifen. Truxes hatte einige seiner heiß geliebten Glöckchen aus seiner Sammlung geopfert, um das Zelt noch ansehnlicher zu gestalten. Viele Menschen kamen von weit her, doch die meisten stammten aus Zorgan und der Umgebung. Selbst die Aristokratie wollte es sich nicht nehmen lassen dem tristen Leben am Hofe, durch ein wenig Abwechslung unter dem Fußvolk, eine besondere Würze zu verleihen. Raffael saß in seinem Zelt, starrte vor sich hin und dachte über die Worte der Hexe nach. Wer sollte ihm hier denn begegnen? Seit einer halben Ewigkeit trat er nun schon auf, hatte die ein oder andere Reiberei mit einem der Zuschauer hinter sich gebracht, aber wirklich gefährlich ist ihm nie jemand geworden. Warum sollte sich das heute ändern? Raffael stand auf und begann sich umzuziehen, ein weißes Leinenhemd mit grünen Stickereien an den Ärmelenden und im Brustbereich, eine braune Wildlederhose und schließlich seine geliebten Stiefel. >>Auch wenn die alte Pawla gesagt hat, ich solle nicht auftreten, dass ich nicht zusehen soll, das sagte sie nicht.<< Raffael schnallte sich noch den schwarzen Gürtel mit der liebevoll geschmiedeten Schnalle seines Stiefvaters Azil um, nahm seinen Stab und verließ das bunte Zelt, das ihm viele Jahre ein Heim gewesen war. Draußen pfiff ihm der Wind um die Ohren, der vom Barun Ulah herüber wehte. Es war merklich kälter geworden, als es noch am Mittag war. Es war in Aranien eben auch erst Frühling. Der junge Hexer begab sich zum großen Festzelt, vor dessen Eingang immer noch Dutzende auf den Einlass warteten. Er nahm einen kleinen Seitenweg hinter das Zelt, bahnte sich seinen Weg durch den kleinen Vorraum, indem sich allerlei Kleidungsstücke, Schminkutensilien und Requisiten für die Vorstellung übereinander stapelten. Die Seiltänzerin Meschuha übte ebenerdig noch einmal ihre akrobatischen Kunststücke, winkte Raffael lachend zu und versank dann wieder in ihre Konzentration. Einige Männer bereiteten die Raubkatzen auf ihren Auftritt vor. Raffael erinnerte sich an einen Zwischenfall vor sechs Jahren, als Alrik von Rabbit dem stolzen Löwenmännchen fast zu Tode gebissen worden war. Mehrere Tage lag der Tierbändiger im Wundfieber mit Krämpfen auf dem Krankenlager. Nach seiner Genesung verbot er allen, dem Tier auch nur ein Haare zu krümmen >>"Wenn ein Raubtier einen Menschen anfällt, dann nur, weil dieser die Gesetze der Natur nicht achtet. Ich wollte dem König befehlen und hatte vergessen, dass ich nur ein Vasall bin, der seine Gunst genießt!"<< Raffael konnte in Alriks Worten keinen Sinn erkennen. Die Narben die der Mann davon getragen hatte, würden ihn für den Rest seines Lebens begleiten, aber seit diesem Tag fiel nie wieder einer die Tierbändiger einem Angriff zum Opfer. Raffael trat an den Eingang des Hauptzeltes heran und lugte durch die roten Vorhänge hindurch. >>Heute sind viele gekommen,<< dachte er bei sich >>und es werden ständig mehr.<< Ein amüsiertes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er die bunt gekleidete, scheppernde Gestalt mit den vielen Glöckchen in der Mitte des Zeltes sah. Der etwa dreißigjährige Mann hatte angefangen seine derben Späße mit dem Publikum zu treiben, bis die eigentlliche Aufführung begann. Truxes verstand sein Handwerk vortrefflich, niemand schaffte es in Gegenwart des Schelmes nicht zu lachen. Im Moment steckte er sich seinen Daumen in den Mund und blies kräftig "hinein". Im selben Augenblick blähte sich eine der Zuschauerinnen in seiner Nähe auf, wurde prall wie eine Apfelsine und begann langsam vom Boden abzuheben. Die junge Frau versuchte vergeblich mit den Armen zu rudern und ihr erstickter Schrei ging in der lachenden Menge unter. Das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Das Publikum tobte ab dem lächerlichen Anblick, den sie ihnen bot. Truxes gab ihr einen ordentlichen Schupps und die aufgeblähte Dame kugelte durch die Luft. Die Menschenmenge tat es ihm unter Lachen gleich und gaben dem ungewöhnlichen Ball mit den langen rötlichen Haaren ihrerseits ebenfalls einen kräftigen Stoß. Nach gut zwei Minuten Gejohle und Amusement fing die Frau an ihre normale Gestalt zurück zu erlangen. Die dicken Wangen und Gliedmaße wurden wieder zu dem schönen jugendlichen Gesicht und dem schlanken Körper. Schließlich landetet sie wieder sanft und unversehrt auf ihrem Platz. Truxes schlug ein Rad und kniete daraufhin vor der Frau, in der Hand einen Blumenstrauß, den er aus dem Ärmel gezaubert hatte. Die Frau verbarg vor Schamesröte ihr Gesicht in den Händen. Der Schelm nahm mit um Entschuldigung bettelndem Blick eine ihrer Hände in die seinen und hauchte einen Handkuss auf sie. Dann bewegte er sich gekonnt akrobatisch wieder in das Zentrum des Zirkuszeltes, um mit seiner Show fortzufahren. Das Publikum applaudierte und einige Zuschauer standen sogar auf. Ja, mit Truxes wurde es nie langweilig. Raffael blickte durch die Reihen. Einige sehr schöne Frauen waren gekommen. In ihren tulamidyschen Trachten mit den reich geschmückten Westen und Pluderhosen wirkten sie fremd und gleichzeitig anziehend. Die braune Haut und das bei fast allen Frauen rotbraune bis schwarze Haar unterstrich den exotischen Hauch der Aranierinnen. Ungewöhnlich waren ebenfalls, die äußerst weiblichen Rundungen, welche die Frauen aufwiesen. Rahjas Schönheitsbild unterschied sich hier offensichtlich vom Rest Aventuriens. Die Männer trugen neben ähnlicher Kleidung, Turbane und Feze in allen Farben. Die Adeligen waren mit reichem Goldschmuck behangen, die übrige Gesellschaft mit Silber oder Bronze. Alles in allem machte dieses Land einen reichen Eindruck, ein Land, das scheinbar keine Armut kannte. Raffael hatte diese Erkenntnis schon beim ersten Überschreiten der Grenze zwischen dem Mittelreich und dem Mhaharanyat gewonnen. Die Zirkustruppe wurde in jedem Dorf freundlich empfangen und selbst die Dörfler, die nicht genug für sich selbst hatten, teilten bereitwillig und mit einem Lächeln ihr weniges Hab und Gut, ganz ohne jede Beschwerde. Als Raffael weiter durch die Reihen ging, blieb sein Blick an einem seltsamen Mann hängen. Er saß zwischen anderen Gästen auf einem der Logenplätze für die bessere Gesellschaft.Der fast zwei Schritt große Elf hatte die Beine übereinander geschlagen, den Kopf auf seinen linken Arm gestützt und in der rechten Hand hielt er einen edlen Becher aus Kristall, soweit Raffael es aus dieser Entfernung erkennen konnte. Der junge Mann von schätzungsweise fünfundzwanzig Jahren war vollständig in Rot gekleidet, der geschlossene Mantel wirkte wie eine der aranischen Gardeuniformen. Verziert war er mit zwei Reihen schwarzer Knöpfe, der Mantelsaum mit Bordüren. Selbst die bestickten Handschuhe waren aus rotem Leder. Der Elf verfolgte die Vorstellung mit seinen grünen, durchdringenden Augen eher gelangweilt. Seine langen silberweißen Haare, die er offen trug reflektierten in eigentümlicher Weise die Irrlichter, die Fadime für die einzelnen Darbietungen erzeugte. Die Aufmerksamkeit der Leute in seiner Umgebung schien ihm zu gelten, als Truxes´ Spielereien. Raffael hatte schon Mitglieder dieses schönen Volkes gesehen und sich auch in die ein oder andere Elfenfrau verguckt, aber nie war ihm jemand aus dem Elfenvolk begegnet, der gleichzeitig so kalt, wie faszinierend wirkte. Er war sich nicht einmal sicher, ob er jemals einem schöneren Wesen begegnet war, oder je begegnen würde. Er starrte gebannt auf diesen Mann, der nicht von dieser Welt zu sein schien. Plötzlich rüttelte jemand an seiner Schulter. Raffael wandte den Blick ab, schüttelte den Kopf und drehte sich um. Oruha stand ärgerlich vor ihm. Er war sicher, sie wolle ihn gleich ins Gesicht schlagen. "Was machst du hier? Die Hexe befahl dir, das Zelt heute nicht zu betreten. Warum hörst du nicht auf sie?" Die stämmige Frau packte Raffael am Arm. "Sie hat gesagt, ich soll nicht auftreten, von nicht Zuschauen war nie die Rede." erklärte Raffael patzig und versuchte sich loszumachen. "Klugscheißer, ich sage dir eins, Pawla hat sich noch nie bei einer ihren Vorhersagen geirrt. Ein Unglück wird über dich hereinbrechen, wenn du nicht auf sie hörst." "Ja, ja, ich weiss, irgendeine Person wird heut in mein Leben treten und es zu den Niederhöllen machen. Aber schau selber hin, es ist niemand gekommen, der Ärger macht. Es ist wie die hundert Male zuvor. Nichts Außergewöhnliches." Raffael kehrte Oruha den Rücken zu. "Die Ausnahme ist dieser seltsame El...?" Raffael suchte die Loge nach dem Mann mit der Vorliebe für Rot ab, doch er war nicht mehr da. "Eigenartig, gerade eben war er noch da. Na ja, siehst du, selbst dem weißhaarigen Kerl ist es hier zu langweilig, dass er frühzeitig geht. Also, was soll schon passieren?" "Dann bete zu den Göttern, dass du dich nicht irrst." Mit diesen Worten wandte sich Oruha um und stapfte zornig davon. Dabei rempelte sie Meshuha an, die auf dem Weg zu ihrem Auftritt war. Schimpfend trat sie an Raffael vorbei, doch sobald sie die Bühne betreten hatte, zeigte sie ihr strahlendstes Lächeln und präsentierte sich kokett der jubelnden Menge. Es lief alles wie geplant. Die Seiltänzerin spulte ihr Programm souverän herunter, was mit vielen "Oh´s" und "Ah´s" honoriert wurde. Selbstverständlich wurde auf ein Sicherheitsnetz verzichtet. "Die Wüstensöhne" waren eine der wenigen Schausteller, die dieses Wagnis zur Steigerung des Umsatzes in Kauf nahmen. Zudem war Meshua so routiniert, dass sie bisher nie gestürzt war. Das in zehn Schritt Höhe gespannte Hochseil war wie die ebene Erde für sie. Es fehlte also nur noch der krönende Abschluss ihrer Darbietung, der Rückwertssalto mit einer Landung im Spagat auf dem Seil. Doch irgend etwas stimmte nicht. Raffael bekam ein ungutes Gefühl. Etwas in seinem Magen zog sich zusammen. Er wippte nervös von einem Fuß zum anderen. Raffael sah in das Publikum, aber alles schien normal zu sein. Sein Blick wanderte durch die Reihen und da war er der Mann mit den weißen Haare, weiß wie Schnee und den smaragdgrünen Augen. Er saß auf dem selben Platz wie zuvor, in der gleichen Haltung, mit überschlagenen Beinen, den Kopf auf den Arm gestützt und mit einem edlen Kristallbecher in der rechten Hand. Der Elf saß da, als hätte er seinen Platz nie verlassen. Doch etwas war anders. Er lächelte, ein boshaftes, erbarmungsloses Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Plötzlich hörte Raffael einen lauten Knall, gefolgt von einem Peitschen in der Luft, das ihn aus seiner Erstarrung löste. Raffael sah mit erschrockenen Augen zu dem gerissenen Hochseil, das auf den Boden schleuderte. Meshuha klammerte sich schreiend an eine der Stützpfeiler. Sie musste mit einem gewaltigen Sprung hinüber gehechtet sein, um dem Absturz zu entgehen. Doch lange würde sie sich da nicht halten können. Entsetzte Stimmen wurden laut. "Helft ihr doch, helft ihr doch!!!" kreischte eine Frau. Truxes und einer der Tierbändiger, die hinzu geeilt waren, begannen den Pfeiler hinaufzuklettern. Dies gestaltete sich schwieriger als erwartet. Der Pfeiler war nicht so gebaut worden, dass zwei Personen gleichzeitig hinaufklettern konnten. Raffael verfluchte Oruha für ihre Gefahrenbereitschaft. Meshuha krallte sich an den Pfeiler und versuchte ihre Füße auf die Einkerbungen zu stellen, die ihr als Steigleiter für den Stützbalken dienten, doch sie rutschte ab. Ein lauter Schrei der jungen Frau hallte in den Ohren aller wieder. Binnen Augenblicken nahm Raffael Anlauf, sprang auf seinen Stab und flog auf die stürzende Meschuha zu. Er würde ihren Sturz nicht verhindern können, aber zumindest abbremsen. Raffael packte ihr Handgelenk, doch die plötzliche Zunahme des Gewichtes um fast das doppelte war zu viel. Der Stab wurde mit enormer Wucht nach unten gerissen. Drei Schritt über dem Boden lies Raffael Meschuha los, mit dem Ergebnis, dass Raffael ins Straucheln kam. Er bereitete sich auf den Schmerz vor. Als Raffael aufschlug, flog ihm sein Stab in hohem Boden aus der Hand, klapperte über den Boden und blieb regungslos liegen. In Raffael explodierten irre Schmerzen. Er konnte das laute Knacken seiner Rippen hören. Es mussten mindestens vier gebrochen sein. Der Schmerz breitete sich in seinem ganzen Körper aus, kein noch so geheimer Winkel blieb verschont. Rote Schleier legten sich über seine Augen. Raffael stöhnte laut. Er konnte das anhaltende entsetzte Geschrei der Leute hören. Raffael versuchte sich zu bewegen, um zu zeigen, dass es nicht so schlimm sei, wie es wohl ausgesehen haben musste. Als er seine Hand hob, lief Blut an ihr herunter.Mehrere Augenpaare rannten in seine Richtung und sahen besorgt auf ihn herab.Meshuha stand fast unverletzt vor ihm. Sie hatte den größten Teil der Wucht durch eine Rolle auf dem Boden abfangen können. "Helft mir auf." verlangte er. Zwei starke Hände griffen unter seine Arme und setzten Raffael auf. Als er in das Tränen nasse Gesicht Meshuhas sah, hob er vorsichtig eine Hand zu ihren Wangen und wischte sie weg, wodurch er eine frische Blutspur hinterließ. "Bin halt kein Akrobaten, was? Keine Angst, ich bin hart im Nehmen. Oruha schlägt, wenn sie sauer ist, härter zu!" Raffael lächelte gequält. "Ich muss ja richtig furchtbar aussehen mit dem ganzen Blut. Hoffentlich krieg ich das wieder aus den Kleidern raus." Raffael sah an sich herab. Seine Hose war zerrissen und mit dem Staub des Bodens bedeckt. Hindurch schimmerte an vielen Stellen frisches Blut. "So ein Mist, jetzt muss ich Oruha um Geld anbetteln." Ein erleichtertes Seufzen ging durch die Familienmitglieder. Selbst Fadime schien froh, dass ihr nerviger Bruder mit leichten Knochenbrüchen und zugegebenermaßen vielen Schürfwunden davon gekommen war. Die starken Arme, die Raffael hielten, zogen ihn mit einiger Kraft in die Höhe, damit er stehen konnte. "Nicht so grob Oruha! Willst du beenden, was die Höhe nicht geschafft hat?" "Ich dachte du seist hart im Nehmen? Dann jammer nicht wie ein Waschweib!" Sie legte einen Arm um seine Hüfte. Mit der anderen legte Oruha Raffaels Arm um ihre Schulter, damit er sich auf sie stützen konnte. Unter dröhnendem Applaus der Zuschauer wurde Raffel aus dem Zelt geführt. Die Vorstellung wurde für diesen Abend angesagt. Oruha brachte den frisch gebackenen Helden in ihr Zelt und schickte nach der Hexe Pawla. Sie war auch auf dem Gebiet der Heilung kompetent. Raffael legte sich unter Gejammer auf die bunten Kissen aus Baumwolle, einem neuen Gewächs, das Oruha in Aranien entdeckt hatte. Diese flauschigen Wattebäusche eigneten sich hervorragend zum Spinnen und waren ein wahres Wunderwerk Peraines. Sie blühten fast ganzjährig ,waren ausgesprochen genügsam und preiswert dazu. Die Anführerin der Truppe hatte gleich für die gesamte Familie mehrere dieser Kissen in Auftrag gegeben. "Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist, Junge." begann Oruha unvermittelt das Gespräch. Sie bereitete abgewandt Tee zu, auch damit Raffael nicht sehen konnte, wie die ansonsten ehrfürchtige, ja manchmal sogar rabiate Frau, zu weinen begann. "Na ja, nichts würde ich nicht sagen, au. Aber ich bin auch froh. Ich will ja noch eine Weile am Leben bleiben." , sagte Raffael grinsend. " Ist aber schon komisch. Das ist das erste Mal, dass eines unserer Seile gerissen ist." "Ja" bestätigte Oruha knapp. Raffael schob sich ein blaues Kissen unter den Kopf. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Meschuha geschlampt hat. Sie ist immer sehr gründlich, was ihre Seile angeht. " "Ich glaube nicht, dass es ein Unfall war" meinte Oruha bitter. Raffel schreckte auf. "Das ist völlig ausgeschlossen. Keiner aus der Familie würde das Seil sabotieren." "Das ist richtig" drang es von draußen in das Zelt, "aus der Familie niemand, aber ein Außenstehender sehr wohl." Eine gebeugte, grauhaarige Gestalt trat in das Zelt. "Du hast ihn gesehen nicht wahr?" fragte Pawla an Raffael gewandt. "Wen meinst du alte Frau?" mischte sich Oruha ein? "Oh, ich glaube der Junge weiss, wen ich meine. Den Elfen. Der weißhaarige Mann mit den stechend, grünen Augen. Er war heute hier." gab die Alte zu verstehen. "Es war heute tatsächlich ein Elf in der Vorstellung, aber er hat das Seil nicht mal berührt. Und welches Interesse hätte er daran, dass eine unbekannte Akrobatin ihr Leben lässt?" Pawla setzte sich umständlich auf die Kissen, legte ihren Gehstock neben sich und griff nach einem Becher Tee. "Du hast keine Ahnung, wer das gewesen ist, nicht wahr?" Raffael zuckte mit den Schultern. "Dieser Mann war Farviriol Krähenschwinge." Die Hexe nahm einen großen Schluck aus dem Holzbecher. "Sollte mir dieser Name etwas sagen? Aber, was mich eher interessiert: woher du von ihm weißt. Du kannst ihn nicht gesehen haben, du bist blind." Pawla entblößte ihre lückenhaften Zahnruinen und erklärte geheimnisvoll. "Dummer Junge, ich muss nicht sehen, um Magie zu spüren. Sonst könnte ich euch ja auch nicht unterrichten! Ich habe ihn gefühlt, seine Macht und das Böse, das von ihm ausgeht. Dieser Mann ist nicht normal..." "Ja, er ist ein Elf!" unterbrach Raffael altklug. "Ja, er ist ein Elf und ein ganz besonderer dazu. Obwohl das Elfenvolk nicht an unsere Götter glaubt, hat Farviriol seine Seele an das Gegenstück Rahjas verkauft. Er ist ein Diener der Shaz-Man-Yat, eine der sechsgehörnten Alliierten Belkelels. " Raffael streckte sich auf den Kissen aus, strich mit seiner Hand über seine gebrochenen Rippen und dachte über Pawlas Worte nach. Er wollte es ungern zugeben, aber ihre Worte ängstigten ihn. Einem Diener einer Erzdämonin war er -götterlob- noch nicht begegnet. Er hatte sie sich immer als hässliche, sabbernde Unwesenheiten vorgestellt. Der Elf entsprach nicht diesem Bild und genau das entsetzte ihn. Pawla hatte zuvor seine Wunden versorgt. Die Blutungen waren alle versiegt, nur seine Rippen sollten noch eine Weile schmerzen. >>Ich hätte sie doch küssen sollen.<< Raffael atmete müde ein. Er reflektierte noch einmal das Gespräch mit der Hexe. >>"Farviriol liebt die Qual. Er fügt seinen Sklaven unerträgliche Schmerzen zu und ergötzt sich an ihrem Leid. Er kennt kein Erbarmen. Je mehr ein Opfer leidet, desto größer ist seine Lust. Er selbst sieht sich als begnadeten Künstler. Seine "Kunst" besteht darin, seine Objekte zu foltern. Er malt Bilder mit dem Blut seiner Opfer. Bei der Tortur schnell zu sterben ist eine Gnade Borons. "<< Pawla verfügte über erstaunlich viele Informationen über diesen Elfen. >>"Er ist einer der hohen Persönlichkeiten Orons und untersteht einzig und allein der Moghuli Dimiona. Dimiona verfügt über fast unbegrenzte Macht. In ihren Händen befindet sich ein Teil der Dämonenkrone. Farviriol ist einer ihrer Höflinge und führt die gefürchteten Rotmäntel, eine der gefährlichsten Elitegarden ganz Aventuriens an. Das erklärt neben seinem Blutdurst seine Vorliebe für die Farbe rot. Zu seinen Aufgaben gehört unter anderem die Beschaffung von neuen Sklaven. Das ist vermutlich auch die Ursache für seine Anwesenheit in Aranien. Dass ihn niemand bemerkt hat verwundert mich allerdings. Er macht keinen Hehl daraus, wer er ist. Wen sollte er auch fürchten?"<< Pawla hatte eine Paste aus verschiedenen Kräutern zusammen gemischt, um Wundfieber vorzubeugen. Die grün-braune, undefinierbare Mischung roch unerträglich, musste also helfen. Sie hatte jede einzelne Schürfwunde dick eingestrichen. >>"Deine inneren Verletzungen kann ich nur mit Magie heilen."<< Sie blickte Raffael mit ihren trüben Augen an und setzte ein gemeines Grinsen auf. >>"Also Junge, spitz die Lippen. Es ist eine Weile her, dass ich das letzte Mal einen Mann geküsst habe."<< Mit diesen Worten schnappte ihre greise Knochenhand nach seinem Oberarm, mit einer Präzision, die er bei einer Blinden nicht für möglich gehalten hätte. >>"Oh nein, du wirst mir nicht deinen Hexenspeichel in den Mund pressen! Ich küsse doch keine Frau, die aus dem Grab auferstanden sein könnte."<< Raffaels Einwände wurden nicht zur Kenntnis genommen. Mit unbeschreiblicher Kraft zog die alte Frau Raffael zu ihr hinunter. Oruha, die der Szene bei wohnte, sah amüsiert zu. Das Entsetzen, das man Raffael eindeutig ansah erfreute sie. Es wurde Zeit, dass dem jungen Klugscheißer mal jemand zeigte, was Respekt bedeutet. >>"nein, nein, ich will nicht, lass mich los!"<< Raffael begann mit den Armen zu rudern, aber das Gesicht der alten Frau kam näher und näher. Pawla befeuchtete ihre faltigen Lippen und öffnete sie leicht. >>"Ich schlage auch eine Frau, wenn du nicht loslässt!"<< spie er drohend aus. Kurz bevor Pawla seine Lippen berührte ließ sie ihn unvermittelt los und begann wie irr zu lachen, bis ihr Tränen die Wangen herunter liefen. Oruha stimmte in das herzliche Gelächter mit ein. Raffael hingegen versuchte einen möglichst großen Abstand zwischen sich und die Hexe zu bringen. >>"Glaubst du wirklich, ich zwinge dich zu deinem Glück? Ich bin eine Hexe, kein Unmensch! Du wirst dir allerdings noch wünschen, du hättest es zugelassen."<< Pawla versuchte sich in eine bequemere Lage zu bringen. Dann reichte sie Raffael einen Becher mit einer Flüssigkeit, die süßlich und ermüdend duftete. >>"Trink!"<< befahl sie >>"du wirst heute Nacht ansonsten nicht schlafen können vor Schmerz."<< Raffael griff nach dem Becher, roch und nippte zuerst vorsichtig daran, nahm dann einen großen Schluck und gab ihn ihr zurück. Das Getränk schmeckte sehr süß, fast wie Saft, der aus zu reifen Früchten gepresst wurde. In den Geschmack mischte sich aber auch etwas bitteres. Raffael wurde warm. Was immer es war, es hatte angefangen zu wirken. >>"Schlaf jetzt, Junge."<< Die Hexe erhob sich mühsam mit Oruhas Hilfe und lies sich zum Ausgang geleiten. >>"Woher weißt du so viel über diesen Elfen?"<< fragte Raffael. Ohne sich umzudrehen warnte Pawla: >>"Du hast Farviriol heute um sein Vergnügen gebracht. Er hat dem Herrn der Rache keinen Treueid geschworen, aber auch Diener der Shaz-Man-Yat erliegen gelegentlich diesem Zwang. Er hat dich gesehen, wie Du dich ihm widersetzt. Nimm dich vor ihm in Acht."<< Zusammen mit Raffaels Ziehmutter verließ die alte Frau das Zelt. Die Antwort , woher Pawla all das wusste, war sie ihm schuldig geblieben. Raffael gähnte breit, drehte sich auf die Seite, schloss die Augen und versank in totenähnlichen Schlaf. >>>Raffael stand in den Straßen der brennenden Stadt. Panik war ausgebrochen. Die Menschen konnten laufen oder kämpfen, der Ausgang würde doch der selbe bleiben. Die Unwesenheiten, die aus der fliegenden Festung zu hunderten auf die Stadt einstürmten, griffen sich jedes lebende Wesen, stiegen mit ihnen in die Höhe und ließen es wieder fallen. Auf den Pflastern lagen schon dutzende zerschmetterte Körper. Die Ausgeburten der Niederhöllen machten keinen Unterschied zwischen Männern, Frauen oder Kindern. Die kräftigsten von ihnen trugen sie zur Festung hinauf. Sie würden das Schicksal von vielen anderen teilen und zu Sklaven werden. Untote marschierten zu Tausenden auf die Stadt zu, die unter der Raulskrone über Jahrhunderte der Mittelpunkt Aventuriens gewesen war. Jedem Angriff hatte diese Stadt bisher stand gehalten, aber heute war alles anders. Zwei Heptarchen marschierten gemeinsam gegen die goldene Stadt, im Auftrag des Herrn der Rache, des Schänders der Elemente und der Meisterin der Yak-Hai. Die Götter hatten schon längst ihr Gesicht von Dere abgewandt. Geheimnisvoller Nebel stieg um Raffael auf, das grausame Bild, das sich ihm bot wurde undeutlich, bis es gänzlich verschwand. An sein Ohr drang eine leise, wispernde Stimme, deren Sprache er nicht verstand. Die Stimme war sanft und freundlich, aber kalt. Raffael spürte wie eine Hand durch sein rabenschwarzes Haar strich.<<< Jemand beugte sich über ihn. Raffael schlug die Augen auf und blickte in smaragdgrüne Augen, eingerahmt in Damast farbene Haut. Eine fein geschnittene Nase und ein voller, roter Mund vollendeten das überirdisch schöne Gesicht, in das einzelne lange, silberweiße Haarsträhnen fielen. Unter den fast hüftlangen Haaren lugten spitze Ohren hervor. Die Augen des Elfen hielten die seinen gefangen. Mit seinem Handrücken fuhr er Raffaels Haar entlang, trennte mit seinen langen Fingern eine einzelne Strähne ab und führte sie zu seinem Mund. Er hauchte einen fast liebevollen Kuss darauf. "Guten Morgen." Aus seiner Erstarrung gelöst, setzte Raffael sich ruckartig auf und versuchte an seinem Gegenüber vorbei zu kommen. Zu spät bemerkte er, dass Farviriol sein linkes Handgelenk mit seiner rechten Hand umklammerte. "Ah, ah, ah.... wo wollen wir denn hin?" Mit spielender Leichtigkeit zog er Raffael zurück auf die Kissen. Sein Handgelenk begann zu schmerzen. Raffael fixierte den Elfen mit grimmigem Blick. Dieser drückte mit zufriedenem Lächeln noch stärker zu. Raffael vernahm ein leises Knirschen. Er biss sich auf die Lippen, um nicht aufzustöhnen. Sein Blick wurde düster, wandte ihn aber nicht ab. "Ich sehe, wir verstehen uns." Farviriol schob sich näher an Raffael heran und klemmte ihn so zwischen sich und der Zeltwand ein. Eine Flucht nach vorn war ausgeschlossen. "Ich ziehe es vor, nachts von schönen, jungen Damen überrascht zu werden, als von Euch. Was wünscht ihr also von mir?" Raffael rückte nach hinten, bis er den Stoff des Zeltes im Rücken spürte. Farviriol starrte verträumt auf die Haarsträhne in seiner Hand. "Du hast mich heute Abend verstimmt, junger Held." Er blickte Raffael vorwurfsvoll an. Seine rechte Hand gab sein Handgelenk frei, fuhr langsam seinen Arm entlang, bis zu seinem Hals. Die Berührung verschaffte Raffael einen leichten Schauer auf der Haut. Die Finger des Elfen wanderten zu Raffaels Verband und zogen die Linien der Muskeln seines Oberkörpers nach. "Hmpf, Ihr wart es also doch, der sich am Seil zu schaffen gemacht hat. Warum wolltet Ihr, dass das Mädchen stürzt?" Raffael schob Farviriols Hand angwidert beiseite. "Weil es mir Vergnügen bereitet hätte. Das hast du verhindert. Ah, ich sehe du hast von mir gehört?!" Das Lächeln des Elfen wurde breiter. "Ich werde mir eine Entschädigung holen." Farviriol beugte sich tiefer über Raffael. Silberweiße Strähnen fielen leicht wie Schnee auf seine Brust. Das götterschöne Gesicht des Elfen konnte nun fast das des Hexers berühren. Farvirol legte seine Hände auf Raffaels Schultern und hielten ihn mit gnadenloser Kraft fest. Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen. Das Atmen fiel ihm schwer. Raffaels Verstand suchte rasend einen Ausweg aus dieser Situation. "Lasst mich los!" forderte er atemlos. "Ich sagte dir doch, ich hole mir eine Entschädigung." Raffaels Augen weiteten sich vor Angst. "Sag mir deinen Namen" befahl der Weißhaarige mit kaltem Lächeln. "Es ist angenehmer, wenn man den Namen des Geliebten kennt." Raffael hatte genug. Er versuchte sich aufzubäumen, um den Elfen von sich runter zu stoßen. Farviriol unterband seine vergeblichen Versuche spielend. Er fing leise an zu kichern. Seiner erzdämonischen Kraft hatte Raffael nichts entgegen zu setzen. "Komm, sag mir deinen Namen." bat er mit schmeichelnder Stimme. "Ich könnte dich auch zwingen. Das liegt durchaus in meiner Macht..." gab der Elf zu verstehen "aber so gefällt es mir besser." Farviriol begann seine Wange zu streicheln. Raffael packte Farviriols Hand und drückte sie auf den Rücken des Elfen. Er setzte all seine Kraft in diesen Angriff. Farviriol ließ es ohne Widerstand geschehen. Raffael konnte das Bersten seines Armes hören. Hoffnung keimte in ihm. Vielleicht hatte er eine Chance. Er blickte in das Gesicht des Mannes. Dieser lächelte immer noch ungerührt, als wäre sein Arm gerade nicht gebrochen worden. Er zeigte nicht die kleinste Regung. "Oho, die Beute versucht sich zu wehren. Es ist doch immer wieder erstaunlich, was ein in die Enge getriebenes Tier für Kräfte entwickelt." Raffael ließ geschockt Farviriols Hand los und starrte auf den gebrochenen Arm. "Das ... das ist... unmöglich. Ich habe Euch den Arm gebrochen!" Raffael konnte seinen Blick nicht abwenden. Der Arm des Elfen, der eben noch gebrochen war, war völlig unversehrt. Raffael konnte förmlich "sehen",wie die Knochen sich unter dem roten Hemd wieder zusammenfügten. Das Lächeln auf Farviriols Gesicht erstarb. "Dann wäre ich jetzt wohl dran!" Der Weißhaarige versetzte Raffael mit roher Gewalt einen Stoß gegen die Rippen. Der Hexer verlor das Gleichgewicht und knallte mit dem Kopf auf die Kissen. Sein Körper krümmte sich unter dem Schmerz. Farviriol setzte sich auf Raffaels Unterkörper krallte sich in seine Haare und zog sein Gesicht wieder ein Stück nach oben. "Langsam verliere ich die Geduld. Ich bitte dich zum letzten Mal um deinen Namen." Das ewig kalte Lächeln hatte seinen Weg zurück in das Gesicht des Elfen gefunden. Seine Augen verrieten aber, dass er des Spielens müde war. "Raffael" sagte Raffael gepresst. Er atmete aufgeregt, Schweiß erschien auf seiner Stirn. "Du hast Angst vor mir. Ich kann sie riechen." sagte Farviriol amüsiert, >>Natürlich habe ich Angst<<, dachte Raffael. >>Die Bekanntschaft eines Paktierers zu machen, wäre nicht unbedingt meine erste Wahl.<< "Aber du wärst ein Narr, hättest du keine" Farviriol zog Raffael an seinen Haaren unerbittlich zu sich heran, bis sich ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander trennten. Der Hexer konnte den warmen Atem des Elfen an seinem Mund spüren. Er machte sich darauf gefasst den ersten Kuss von einem Mann zu erhalten. Farviriols Mund kam näher. Raffael schloss die Augen. Seine Lippen begannen zu zittern. Alles in ihm sträubte sich. "Bring es schon hinter dich." sagte Raffael erstickt. Farviriol kicherte leise. Sein Mund wanderte an Raffaels Lippen vorbei, ohne sie zu berühren, verweilten an seinem Ohr. Raffael konnte den Duft von Rosen wahrnehmen, der von Farviriols ausging. "Nicht heute, junger Hexer. Wir werden noch viel Spaß aneinander haben. Aber für heute wünsche ich dir eine geruhsame Nacht. Träum von mir." Raffael wurde abrupt losgelassen. Raffael öffnete die Augen und sah wie der Elf mit grazilen Bewegungen seinen Mantel vom Boden aufhob und zum Zelteingang ging. Er hatte nicht einmal gehört, wie der Elf aufgestanden war. Dort drehte er sich noch einmal halb zu Raffael um. "Ich werde dich holen kommen. Begleite mich freiwillig, oder nimm in Kauf, dass deine Familie darunter leidet. Wobei mir die zweite Variante gefallen könnte." Mit einem sadistischen Grinsen verließ er das Zelt. Raffael sprang vom Lager und eilte hinaus. Der kalte Nachtwind wehte ihm entgegen. Bis auf ein paar Grillen, die ihre Liebeslieder zirpten, lag die Gegend still vor ihm. Bishdariel hatte seine schwarzen Schwingen über dem Lager ausgebreitet. Raffael rieb sich sein geschundenes Handgelenk, auf dem sich Druckstellen abzeichneten und auch seine erneut lädierten Rippen bereiteten ihm kein Vergnügen. Der junge Hexer starrte ausdruckslos in die Nacht hinaus. Von Farviriol fehlte jede Spur. 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