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Mondkönig

von

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Prolog

Prolog
 

Eilige Schritte hallten durch die langen und belebten Gänge der Residenz in München. Ein junger blonder Mann, groß und schlank von Wuchs, rannte fast, um an sein Ziel zu kommen. Sein Name war Alexander von Dürckheim, eigentlich hatte er einen viel längeren Namen, doch er hasste ihn und war froh, dass er nicht oft benutzt wurde. Er war der Adjutant des werdenden Königs und seine eiligen Schritte führten ihn geradewegs zu seinem Herrn. Als er bei der mit Gold verzierten Tür ankam, klopfte er vorsichtig an das weiß gestrichene Holz der Tür und wartete, bis er hereingebeten wurde.

Ein Klopfen schreckte den jungen Kronprinzen auf – kurz sah er sich um in dem großen Raum mit hoher Decke, goldverzierten Wänden und edlen Möbeln aus teurem Holz, Marmor und zum Teil mit rotem Samt überzogenen Stühlen. Noch war er der Kronprinz von Bayern, doch gleich würde er den Thron besteigen und König des Landes werden.

Eben hatte er noch krampfhaft überlegt, was er all den Wartenden in seiner Thronrede erzählen sollte, während einige Diener noch am dichten dunkelbraunen Haar des groß gewachsenen Mannes herumhantiert hatten. Andere mühten sich gerade noch ab, die rote Schärpe richtig an der blauen Uniform Ludwigs anzubringen und auch sonst die restlichen Details perfekt zu gestalten. Schon jetzt gab er ein königliches Bild ab, genau so sollte ein König aussehen, doch schien es noch nicht ganz perfekt. Ein Diener polierte die glänzend schwarzen Stiefel seines Herrn, die ihm bis übers Knie reichten, während ein anderer ihm die letzten Orden ansteckte und den Gürtel mit dem Schwert um die Hüfte des Kronprinzen legte.

Der werdende König ließ alles über sich ergehen, erhob für ein „Herein …“ kurz die Stimme und griff im nächsten Moment zu einem Glas Champagner, welches aus geschliffenem, reichlich verziertem Kristall war und das ein Diener auf einem goldenen Tablett trug. Er nahm einen kräftigen Schluck daraus, ehe sein Blick zur Tür fiel, erwartend, wer eben geklopft hatte und wer nun eintreten würde.

Alexander, der das Herein vernommen hatte, trat sofort danach ein und verbeugte sich vor seinem zukünftigen König.

„Eure Majestät …“, sagte er und schenkte ihm ein sanftes Lächeln, denn sie waren – trotz dass er nun sein Diener und Adjutant war – Freunde seit Kindertagen geblieben. „Was führt dich zu mir …?“, fragte der junge Kronprinz, auch mit einem Lächeln auf den Lippen. Ebenso lächelte der junge Adjutant wieder und begann dann sein Kommen zu erklären: „Eure liebe Mutter schickt mich. Ihr solltet Euch beeilen, lässt sie Euch mitteilen, denn das Volk und der gesamte Hofstaat warten bereits auf Euch…“, erklärte er.

Als der Adjutant des zukünftigen Bayernkönigs etwas von seiner ‚lieben Mutter’ sagte, zog dieser nur eine Augenbraue hoch – ein Blick, der zeigte, was er von seiner Mutter hielt. Und obwohl er nicht unbedingt die größten Stücke auf seine Mutter hielt, hatte sie wohl in diesem Punkt Recht und es wurde wirklich Zeit, sich auf den Weg zu machen. Mit einem Wink holte Ludwig einen Diener her, der ihm das Champagnerglas abnahm, während ein anderer ihm weiße Handschuhe anzog. Andere Diener nahmen den Hermelinfellmantel für die Krönung, den sie ihrem Herrn erst kurz vor dem großen Saal um die Schultern legen würden.

Der werdende König schritt unterdessen an die Seite seines Adjutanten und Freundes und seufzte kurz.

“Nun ist es wirklich soweit … nun werde ich König unseres Bayernlandes …“, stellte Ludwig fest, als wäre dies vorher vollkommen unklar gewesen.

„Lass uns gehen …“, fügte er dann an und schaute zu der Tür, die sie auf den Gang hinausführen würde, hin zum großen Saal, wo alle Gäste ihn erwarten würden, ihn … ihren neuen König.

Alexander hatte zustimmend genickt und folgte dann einige Schritte hinter ihm. Erst gestern war Maximilian II, Ludwigs Vater, gestorben, doch man wollte wieder einen König auf dem Thron und darum wartete man nicht mit der Thronbesteigung bis zum Begräbnis des alten Königs. Der Adjutant fand, dass sein Herr leider noch viel zu jung für diese schwere Bürde war. Achtzehn Jahre alt war sein Freund erst und das war ein sehr junges Alter für einen König. Dennoch erhielt Ludwig von vielen wichtigen Personen Unterstützung. Darunter auch die von Alexander, der ihm treu ergeben war und, wenn es sein musste, ihm sogar in den Tod folgen würde. Sie kamen endlich an ihr Ziel, zum großen Saal. Der große Saal war eines der prunkvollsten Räume der Münchner Residenz. An der Decke hingen riesige Kronleuchter, deren kunstvolle Verzierung durch geschliffene Kristalle veredelt wurde. Die Wände waren voller Verzierungen, die aus purem Gold waren und es gab auch viele Abbildungen, die

ehemalige Könige und Heilige zeigten. Der Hermelinfellmantel, der dem zukünftigen König umgelegt wurde, passte in diese Kulisse und diese Handlung läutete auch die Zeremonie, die Krönung seines Herrn zum König, ein.

Als Ludwig durch die große weiße Tür trat, die man ihm öffnete, verneigten sich die Männer in Uniformen oder Anzügen im Saal tief, während die Frauen in wallenden und ausladenden Kleidern allesamt einen tiefen Knicks ausführten, als Ludwig an ihnen vorbei schritt, den Blick nach vorne gewandt, bis er bei seinem Onkel Luitpold angelangt war. Dieser stand mit zwei Dienern an der Seite dort: der eine trug ein großes samtenes Kissen, auf dem sich die Krone der bayrischen Könige befand, während der andere Diener das Kissen mit Zepter und Reichsapfel trug.

Eben jene beiden Gegenstände, den Reichsapfel und auch das Zepter, welche aus purem Gold und mit Edelsteinen verziert waren, übergab Luitpold feierlich seinem Neffen, der nun wie die Könige früherer Zeiten das Zepter in der einen und den Reichsapfel in der anderen Hand hielt. Im nächsten Moment verneigten sich alle tief vor Ludwig, wie sie es zuvor auch schon getan hatten, wie der junge Mann feststellte, als er einen Blick über die Menge aus Adel, Militär und Klerus warf.

Obwohl er recht souverän aussah, war der neue König furchtbar nervös, seine Hände zitterten ein wenig und er war froh, dass er erst einmal schweigen konnte und durfte.

Alexander hatte gesehen, dass sein Herr nervös war und er konnte es durchaus verstehen, denn er war noch nicht wirklich geübt in diesen feierlichen Anlässen, wo jeder seiner Schritte aufs Genauste beäugt wurde. Als seinem Herrn der Reichsapfel und das Zepter gegeben worden war und er auch die Krone berührt hatte, schritt Alexander aus der Menge und rief: „Seine Majestät, König Ludwig II. von Bayern!“

Nach diesen Worten verneigten sich die Männer und knicksten die Frauen wieder vor ihrem neuen König und draußen erschallten Kanonenschüsse und von weit her hörte man auch den Jubel des Volkes, das draußen auf seinen neuen König wartete. Alexander ging zu seinem Freund, nachdem dieser die goldenen Insignien der Macht wieder auf das Kissen gelegt hatte, und berührte ihn sanft am Arm: „Es ist Zeit, Majestät … Euer Volk wartet … es will Euch sehen …“, sagte er und schenkte ihm ein sanftes Lächeln und mit einer Handbewegung deutete er auf den Balkon der Residenz, wo sein Herr die Thronrede halten sollte.

Die erste Anspannung schien von dem gerade inthronisierten König gefallen zu sein, als er das kostbare Zepter und den Reichsapfel fortgelegt hatte und doch ging es nun weiter und dieser Teil war es im Grunde, der Ludwig noch viel nervöser machte, als der vorangegangene. Nun sollte er vor den versammelten Münchnern sprechen, während er die übrigen Gäste praktisch im Nacken hatte. Eigentlich hasste der junge König es, allzu viele Menschen um sich zu haben, und doch ging es ja schlecht anders in diesem Moment und so nickte der Bayernkönig seinem Adjutanten zu und schritt kurz darauf auf den Balkon der Residenz, der den Blick auf den riesigen Platz freigab, gesäumt von wunderschönen Bäumen, die schon kleine grüne Knospen trugen. Dort wurde er sofort von gewaltigen Jubelschreien empfangen. Gestern noch hatten sie getrauert um den alten König und heute schon jubelten sie voller Euphorie ihrem neuen jungen König zu.

Einen Moment wartete Ludwig ab, denn so kam er ohnehin nicht gegen die Menge an, als der junge Mann jedoch eine Hand hob, verstummte die Menge mit ihren Jubelschreien und schaute gespannt zum Balkon und zu ihrem jungen König, der einmal kurz die Augen schloss und tief Luft holte, ehe er zu sprechen begann.

“Der allmächtige Gott hat meinen Vater, unseren teuren König von dieser Erde abberufen. Ich kann nicht aussprechen, welche Gefühle meine Brust durchdringen. Groß und schwer die mir gewordene Aufgabe …“, begann Ludwig seine Rede und tatsächlich hörte die Menge ihm weiter zu, gespannt und erwartend schauten sie zu dem Balkon, auf dem ihr König stand.

„Gott hat uns nicht gemacht, um Krieg zu führen. Unsere Arme sollen umarmen, nicht erwürgen, unsere Beine tanzen, nicht marschieren und unsere Münder singen, nicht schreien. Ich will Bayern zu einem Tempel des Friedens und der schönen Künste machen. Und es sollen die Musik und die Architektur sein, die das Herz meines Volkes höher schlagen lassen und den Fremden zum Wiederkommen bewegen. Ich will den heiligen Gral suchen. Verschollen in der Geschichte der Völker, will ich ihn wieder finden in der Majestät der Berge, im Gesang der Wälder, im Rauschen des Windes und der Wellen, überall dort, wo Gott Natur ist und Einsamkeit Gespräch. Ich bin jung und habe viel zu lernen. Ich bitte Sie: Unterstützen Sie mich, schenken Sie mir Ihr Vertrauen, meine Jugend wird Sie nicht enttäuschen!“ Mit diesen Worten endete der König die Rede, die er sowohl an sein Volk, als auch an seine Gäste gerichtet hatte und obwohl dies sicher nicht das war, was einige sich als Thronrede gewünscht hätten, war der junge König von Bayern mehr als zufrieden damit. Und diese Rede hatte auch das Volk, die anwesenden Menschen überzeugt, denn kaum hatte Ludwig geendet, da brach die Menge auch schon in tobenden Beifall aus. Die Leute klatschten und riefen ihrem neuen Herrscher ihre Begeisterung zu, verbunden mit der Hoffnung, dass er es war, der sie in eine bessere Zeit führen würde.
 

Genau in dieser Menge stand auch ein junger blonder Mann mit blauen Augen, aber nicht irgendein gewöhnliches Blau zierte seine Augen. Nein, es war die blaue Farbe, die auch in Bayerns Flagge zu finden war. Er trug den feinen Sonntagsanzug, weil heute ja ein besonderer Tag war, die Krönung ihres neuen Königs. Auch er war einer dieser tausend Menschen, die klatschten und jubelten. Doch etwas war besonders an ihm, was die umstehenden Leute natürlich nicht wussten. Der junge Mann, der den Namen Richard Hornig trug, hatte sich für die Stellung des Stallmeisters beim Hof seiner Majestät beworben. Er war gelernter Zureiter und hatte eine mehrjährige Ausbildung hinter sich, die er zum Teil auch durch seinen Vater erhalten hatte, der selbst am königlichen Hofe Stallmeister gewesen war, bis ihn dann der Tod ereilt hatte. Nun erwartete man von Richard dasselbe und er hoffte, dass er diese Stellung auch bekommen würde, doch leider war die Hoffnung nicht sehr groß, denn sicher gab es andere Männer, die um diese Stellung buhlten und die auch alles dafür tun würden, um sie zu bekommen. Langsam zerstreute sich die Menge, denn der König drehte sich gerade um und wollte gehen, doch Richard blieb stehen, wie gebannt blickte er zu dem jungen König hoch. Er war wirklich wunderschön und die Menschen hatten Recht, wenn sie sagten, nun habe der schönste König Europas den Thron bestiegen. Der König hatte dunkelbraunes gewelltes Haar, das von weitem eher nach Schwarz aussah. Er war sehr groß gewachsen und von schlanker Statur. Das Besondere waren aber seine fast tief dunkelblauen Augen, die Richard gesehen hatte, als er ihm bei seiner Vorstellung in der Residenz auf dem Hof kurz begegnet war. Gerade wollte der junge Mann sich umdrehen und gehen, als er sah, wie der Blick des jungen Monarchen auf ihn fiel, nur kurz und doch schien es Richard wie ein Zeichen, eine Art Schicksalsbotschaft in diesem Moment.

Aber noch während er überlegte, war der König wieder ins innere der Residenz verschwunden und Richard blinzelte einen Moment verwirrt. Hatte er das nur geträumt? Er schüttelte einen Moment den Kopf und wandte sich dann um, ging die lange von erblühenden Bäumen gesäumte Straße zurück zu seiner Wohnung, die er in München hatte. Morgen, so hatte man ihm gesagt, morgen würde man ihm mitteilen, ob man sich für ihn entschieden hatte oder ob sie doch einen der unzähligen anderen Bewerber für die Stellung ausgesucht hatten. Richard seufzte leise, als er die Straße eilig entlang ging, denn der Himmel hatte sich verdüstert. Es würde bald zu regnen beginnen und er wollte vorher zu Hause sein. Immer wieder kam die Erinnerung hoch, dass seine Majestät ihn doch gerade angesehen hatte, doch dann verwarf er den Gedanken wieder. Er redete sich ein, es sich eingebildet zu haben und so machte er sich auch keine Hoffnungen mehr, dass er die Stellung bekam. Es gab einfach zu viele Bewerber für diese begehrte Stellung am Hofe des Königs. Leider hatte der junge Mann in diesem Moment den Lehrsatz seines Vaters vergessen, der stets zu sagen pflegte: „Die Hoffnung mein Sohn … Die Hoffnung stirbt zuletzt …“

Liebesgeflüster

Kapitel 1
 

Liebesgeflüster
 

Ein kalter Windhauch wisperte über das Land und doch hatte die Sonne an diesem Tag schon etwas wärmer als einige Tage zuvor geschienen. Doch nun war das Himmelsgestirn untergegangen und der Mond war aufgegangen, tauchte das Land in einen milchig weißen Schimmer. Der ganze Palast war hell beleuchtet von unzähligen Kerzen und sprichwörtlich auch in hellster Aufregung. Überall rannten Diener durcheinander, mit Platten voller Speisen oder mit riesigen Blumengestecken. Vor einer Woche war die Thronbesteigung ihres neuen Königs gewesen und nun, nach dem Begräbnis des Vaters, gab die Königinmutter einen Ball, so wie es Tradition war.

Auch ein blonder junger Mann war unter den hektischen Dienern zu finden. Richard Hornig hatte einen Tag nach der Thronbesteigung seines Herrn die Mitteilung erhalten, dass er es war, für den sie sich entschieden hatten. Er war Stallmeister am Hofe Seiner Majestät geworden.

Nun war er daran gewesen, die Pferde der unzähligen Kutschen zu versorgen, die gekommen waren. Es waren viele Gäste eingeladen worden und sie alle feierten nun zusammen mit dem König.

Richard ging nach getaner Arbeit den Gang entlang, der ihn zu den Zimmern der Diener führte und der viel weniger prunkvoll war als die Gänge, welche die Adligen nutzten. Die restliche Arbeit konnten die Stallburschen alleine verrichten, hatte man ihm gesagt und ihm für den Rest des Abends frei gegeben. Der junge Mann hatte seinen Herrn, den König schon ein paar Mal getroffen, vor allem wenn es darum ging, ihm sein Lieblingspferd zu satteln und zu bringen. Immer wieder hatte er das Gefühl gehabt, dass der König ihm einen Moment wie gebannt in die Augen geblickt hatte, doch immer wieder tat Richard es als Illusion ab.

Angekommen in seinem Zimmer zog er sich um und wechselte seine Uniform, welche aus einem weißen Hemd, einer roten Weste, einer goldverzierten schwarzen Jacke, einer weißen Hose und schwarzen Reiterstiefeln bestand, gegen eine leichte schwarze Hose und ein leichtes weißes Hemd, welche er aus dem Kleiderschrank holte. Gegessen hatte er schon zuvor in der Küche der Diener. Danach ging er zum Fenster und kurz ließ er seinen Blick über sein Zimmer schweifen. Rechts neben dem Fenster stand das Bett. Sein Zimmer roch nach frischer Wäsche, denn anscheinend waren seine Laken und Decken von einem Dienstmädchen gewechselt worden, das mussten die höheren Bediensteten nicht selbst tun. Ein anderer Duft wehte ihm vom Tisch entgegen, der eine Schublade hatte, und vor dem ein Holzstuhl mit Polster stand. Auf ihm befand sich eine unscheinbare Vase mit ein paar Narzissen darin, es waren nur einige, aber sie rochen so stark, als wäre es ein großer Strauß. Links von der Tür stand eine Kommode mit einer Waschschüssel darauf. Richard bemerkte, dass das Wasser im Krug neben der Waschschüssel auch gewechselt worden war. Geheizt wurde das Zimmer mit einem Ofen, der sich hinter der Tür befand. Nach einem weiteren Blick, den er über das ganze Zimmer schweifen ließ, öffnete er das Fenster. Es war frisch, aber nicht zu kalt, um am offenen Fenster zu sitzen, was er dann auch tat. Er hob sich etwas hoch und setzte sich auf die Fensterbank, stellte ein Bein angewinkelt auf und ließ das andere über die Fensterbank nach innen baumeln. Sein Haar, das zum leichten Zopf gebunden war, fiel ihm in leichten Wellen über die Schulter und schimmerte im Mondlicht, denn Richard hatte sehr langes, fast goldenes Haar. Der junge Stallmeister sah zum Mond hinauf und fragte sich wirklich, wie das alles gekommen war, dass er nun überhaupt hier war, doch er bekam auch vom bleichen Erdtrabanten, der nun schon hoch am Himmel strahlte, keine Antwort.
 

Auch ein Anderer genoss das fahle Licht des Mondes in diesem Augenblick. Jemand von dem man nicht erwartete, dass er in diesem Moment draußen durch den Garten lief. Der junge König war dem Ball mit den ganzen Menschen, der prosaischen Blasmusik und all dem Drumherum entflohen. Hier draußen war es ihm weitaus lieber, nicht umgeben von zahllosen Menschen, die alle auf einmal erwarteten, dass Ludwig sich mit ihnen unterhielt, oder adligen jungen Damen, die alle natürlich mit dem König tanzen wollten.

Hier war er allein, hier war wenigstens ansatzweise Stille und einzig der Mond schien auf den jungen Monarchen hinab und beobachtete ihn in diesem Moment, das zumindest glaubte er.

Eine Weile strich der Bayernkönig durch den Garten, kniete sich dann und wann hin und strich über die Blütenblätter von einigen Narzissen, welche im Garten blühten.

Dann erhob sich Ludwig wieder und schritt weiter durch den Garten näher an die Residenz heran, obwohl er nicht vorhatte, wieder hineinzugehen. Er war auch, wie er nach einigem Umschauen gewahrte, nicht mehr dort, wo ein König normalerweise den Eingang benutzte. Scheinbar war Ludwig so in Gedanken gewesen, dass er immer mehr in Richtung des Westflügels spaziert war, der Flügel, der die Unterkünfte der Diener enthielt. Ein lauer Wind umwehte den König und obwohl der Abend nicht warm war, war es dennoch nicht so kalt, dass man es nicht ein wenig länger an der frischen Luft aushalten konnte. Außerdem hielt die Uniform, die der König trug, ihn auch warm, sodass er zumindest in diesem Moment noch nicht fror.

Plötzlich, recht unvermittelt blieb Ludwig dann stehen und sein Blick fiel erneut hinauf in den Himmel und hin zum Mond. Er liebte dieses silberne Licht, das die ganze Welt in seinen Augen wunderschön erscheinen ließ. Nach einem längeren Augenblick ließ der König von Bayern seinen Blick wieder sinken und erblickte an einem Fenster einen jungen Mann, der ihm schon öfter ins Auge gefallen war. Besonders die Augen des blonden jungen Mannes, der im Stall arbeitete, faszinierten den Souverän.

Und nun? Ludwig stand einfach still da und schaute zu dem Fenster mit dem jungen Mann hinauf, welcher ihn irgendwie in seinen Bann zog.

Richard hatte bis dahin immer zum Mond hinaufgesehen und war tief in Gedanken versunken, sodass er den jungen König erst gar nicht bemerkt hatte. Doch als er nach einem leisen Seufzer wieder hinabsah, wo Narzissen blühten, von denen er einige auch in seinem Zimmer stehen hatte, weiteten sich seine Augen. Da stand sein Herr in Uniform, so wie er ihn auch vor ein paar Stunden schon einmal gesehen hatte, bevor er zum Ballsaal geführt worden war. Was tat er dort unten und warum sah er zu ihm hinauf? In diesem Moment wurde Richard etwas rot und auch sein Herz klopfte etwas und er wusste nicht warum. Es entstand so ein Moment, so wie er im Stall immer entstanden war, wenn der König ihm länger als nötig wie gebannt in die Augen geblickt hatte. Er war ja auch nicht weit weg und Richards Zimmer befand sich im ersten Stock, sodass es unübersehbar war, dass der König ihn anblickte und nicht irgendwo anders hinsah. Der junge Stallmeister nahm nun seinen Mut zusammen, denn er konnte doch nicht einfach dasitzen und nichts sagen, oder? Schließlich hatte er Seiner Majestät nun auch in die Augen geblickt und es war sicher unhöflich, ihn nicht zu grüßen. Ein kurzer Windstoß umwehte ihn, sodass einige Strähnen seines goldenen Haares in sein Gesicht gerieten, die er sanft wieder weg strich und dann seinem Herrn einen Gruß zu rief: „Guten Abend, Majestät!“

Der König hatte irgendwie nicht ganz damit gerechnet, dass er angesprochen werden würde und so brauchte er einen klitzekleinen Moment, um sich zu fassen und um Antwort zu geben.

“Guten Abend …“ erwiderte der König und erneut zögerte er ein wenig, ehe er sich doch dazu durchrang und näher zum Fenster ging, in dem der Diener saß. Wie gut er es doch hatte, er konnte jetzt einfach hier am Fenster sitzen und musste sich nicht heimlich herausschleichen, um den Mond anschauen zu können.

Nun war Ludwig so nah an der Wand der Residenz, dass er nur noch zwei Schritte tun müsste, um eben jene Wand zu berühren, aber so reichte der Abstand durchaus, um sich auch noch etwas angenehmer unterhalten zu können.

“Du arbeitest im Stall, oder? Wir sind uns schon ein paar Mal begegnet, habe ich Recht? Wie ist dein Name?“, fragte er den jungen Mann am Fenster, den Blick weiter zu ihm gerichtet, vor allem zu diesen blauen Augen, die perfekt zu dem blonden Jüngling passten.

Auch Richard war überrascht, denn er hätte es sich niemals träumen lassen, dass der König ihn grüsste oder sogar weiter als nach einem Gruß mit ihm sprach. Doch genau das Gegenteil war der Fall und der junge Stallmeister schenkte ihm ein sanftes Lächeln.

„Mein Name ist Hornig … Richard Hornig und Ihr habt Recht … Ich arbeite seit ungefähr einer Woche als Stallmeister an Eurem Hof, Majestät …“, erwiderte er. Gerade wollte der junge Mann wieder ansetzen, um zu fragen, was denn den jungen König dazu bewogen hatte, den Ball zu verlassen, der doch extra für ihn gegeben wurde, als plötzlich etwas Unvorhersehbares geschah. Richard hatte sich zu weit vornüber gebeugt, um seinem Herrn in die Augen zu blicken, wenn er mit ihm sprach, doch irgendwie verlor er gerade das Gleichgewicht und fiel aus dem Fenster. Erschrocken schloss er die Augen, denn zwar war es nur aus dem ersten Stock, aber dennoch war es hoch genug, um sich zu verletzen und mit zusammengekniffenen Augen wartete er auf den schmerzhaften Aufprall.

Doch genau dieser Aufprall blieb aus, denn mit Schrecken hatte Ludwig gesehen, wie der Stallmeister plötzlich das Gleichgewicht verlor, und hatte geistesgegenwärtig die Arme ausgestreckt – tatsächlich gelang es ihm, Richard aufzufangen.

Fast hielt Ludwig den jungen Stallmeister nun wie eine Braut in seinen Armen und schaute etwas erschrocken über das eben Geschehene zu ihm hinab.

Der junge Mann in seinen Armen zitterte wie Espenlaub und klammerte sich regelrecht an des Königs Uniform. Man konnte es ihm wohl kaum verdenken, dass er noch erschrockener war als der König selbst und dass er nun so reagierte: schließlich hatte Richard ganz sicher nicht damit gerechnet, aufgefangen zu werden, sondern eher auf dem Kiesboden aufzuschlagen.

„Hast … du dir wehgetan?“, fragte der Bayernkönig nach einigen Augenblicken, in denen sie beide geschwiegen hatten, den jungen Mann in seinen Armen.

Richard konnte im ersten Moment gar nicht wirklich antworten, sondern musste sich erst selbst irgendwie sammeln. Er hatte wirklich mit einem Aufprall auf dem Kiesboden gerechnet und mit Schmerzen dazu. Innerlich verfluchte er sich für seine Dummheit. Was würde sein Herr nun von ihm denken? Wahrscheinlich hielt er ihn nun für tollpatschig und unfähig.

Nach einigen Momenten gab der junge Stallmeister endlich Antwort auf die Frage, die der König ihm gestellt hatte. Sanft schüttelte er den Kopf und sagte: „Nein, ich habe mir nicht wehgetan …“. Erst jetzt merkte er, dass auch seine Stimme zitterte.

„Danke … dass Ihr mich aufgefangen habt … Es tut mir wirklich leid … das wollte ich nicht und es war ungeschickt von mir … Es wird nie wieder vorkommen…“, versprach er noch und sah weiter zu seinem Herrn hoch, der ihn dann auch wieder auf die Füße stellte, ihn aber immer noch fest hielt, als habe er Angst, dass er fallen oder zusammenbrechen könnte.

Eine der Tatsachen, die zu dieser Annahme des Königs führte, war wohl auch, dass Richard ein fast feminines Aussehen hatte und vom Körperbau eher zierlich war.

Und genau dies war es vielleicht auch, was den jungen König so sehr in seinen Bann zog. Dass er sich selbst nichts aus Frauen machte, das wusste Ludwig. Stattdessen hatte er eher Augen für hübsche junge Männer und doch war er zuvor von keinem so sehr verzaubert gewesen, wie von dem jungen Stallmeister, welcher nun vor ihm stand.

Einen kurzen Moment lang betrachtete der Monarch den jungen Mann nur, ehe er den Kopf schüttelte.

“Schon gut … du konntest nichts dafür, du hast das Gleichgewicht verloren“, erklärte Ludwig und gab so auch zu verstehen, dass er Richard nicht böse war oder in irgendeiner Weise verstimmt.

Stattdessen hatte das Zusammentreffen mit Richard seine Stimmung sogar ein wenig gehoben, denn der Stallmeister war ganz sicher nicht wie einer dieser äußerst nervtötenden Ballgäste.

“Hättest du Lust, mir ein wenig Gesellschaft zu leisten bei meinem Spaziergang?“, kam es dann plötzlich erneut ein wenig unverhofft vom jungen König, der nun erwartend in die blauen Augen seines Gegenübers schaute.

Genau diese Augen weiteten sich, denn Richard hatte niemals erwartet, dass der junge Monarch ihn das fragen würde. Hatte er ihn richtig verstanden? Er sollte ihn bei einem Spaziergang begleiten? Natürlich wusste der junge Stallmeister, dass es sich eigentlich nicht gehörte, aber es war der Wunsch des Königs, also warum sollte er seinen Wunsch ausschlagen, das gehörte sich schon gar nicht. Also nickte Richard schnell und lächelte sanft.

„Gerne Majestät …“, sagte er. Auf ein Nicken des Königs gingen sie also nebeneinander her und Richard freute sich, dass der König ihm ein Lächeln geschenkt hatte. Es verwirrte ihn sehr, besonders auch weil sein Herz so seltsam schnell klopfte. Als sie an ein paar Narzissen vorbei kamen, sah der junge Mann zu seinem Herrn: „Macht es Euch etwas aus, wenn ich mir ein paar pflücke?“, fragte er sanft. Ludwig, welcher diesmal eher weniger auf die Blumen als auf den jungen Mann an seiner Seite geachtet hatte, sah diesen nun direkt an, als er diese Frage stellte. Lächelnd schüttelte er den Kopf. “Nein … es macht mir nichts aus, es ist in Ordnung. Nimm ruhig.“, antwortete er dem Stallmeister, was auch wieder einmal aufs Neue die Gebefreudigkeit des jungen Mannes zeigte. Richard strahlte den jungen König an. „Danke, Majestät!“, sagte er und bückte sich dann, um ein paar der schönen gelben Frühlingsblumen zu pflücken.

„Ich muss gestehen, ich hab schon ein paar in meinem Zimmer stehen … als niemand es sah und als ich frei hatte, hab ich mir ein paar geholt … Ungewöhnlich für einen Mann, oder?“, sagte Richard, redete einfach darauf los, vor allem auch, weil er dieses Schweigen nicht mochte, das ihm die Röte ins Gesicht steigen ließ.

„Ich mag Blumen … nicht alle, aber viele … Narzissen zum Beispiel … aber am meisten mag ich Lilien … weiße Lilien. Leider kann man die so selten beim Blumenverkäufer kaufen … und wenn, dann sind sie so teuer …“, erklärte er lachend und erhob sich wieder, weil er nun einen kleinen Strauss Narzissen gepflückt hatte. Als er sich jedoch zu seinem Herrn umdrehte, weiteten sich schon wieder seine so seltsam blauen Augen. Er hatte gerade noch etwas sagen wollen, doch die Worte blieben ihm im Halse stecken. Der junge Monarch streckte ihm eine einzelne Narzisse entgegen. Mit zitternder Hand nahm er sie entgegen und strahlte ihn an. „Vielen Dank ...“, sagte er und errötete nun tatsächlich. Was musste der König nur von ihm denken?

Der junge König hatte sehr genau beobachtet, wie Richard auf dieses kleine Geschenk reagierte. Trotz des fahlen Mondlichtes, das sie beide beschien, konnte Ludwig sehen, dass der Stallmeister scheinbar ein wenig errötete.

Lächelnd kam er noch ein Stückchen näher zu dem jungen Mann, dem er eben die Narzisse geschenkt hatte, und schaute schweigend zu ihm herab. Auch das Herz des Regenten klopfte in diesem Moment ein wenig heftiger als normalerweise und in diesem Moment wurde Ludwig klar, dass er die Liebe dieses Mannes sein Eigen nennen wollte.

Was dann geschah, verlangte auch von dem König ein wenig Mut, denn die Chancen, dass Richard es verstehen würde und sich danach nicht distanzieren würde, standen in Ludwigs Augen eher niedrig.

Und doch tat er es, beugte sich ein wenig vor und hauchte einen zärtlichen Kuss auf die Stirn des Stallmeisters, nur kurz und fast scheu, dann ging der Bayernkönig einen Schritt zurück, schenkte dem Angebeteten noch ein kurzes, durchaus unsicheres Lächeln und ehe er wirklich eine Reaktion von Richard erkennen konnte, machte Ludwig auf dem Absatz kehrt, wisperte noch ein kurzes „Gute Nacht …“ und ging dann zügigen Schrittes in Richtung der Residenz zurück.

Richard starrte seinem Herrn nach und sein Herz schien zu zerspringen, so schnell schlug es in seiner Brust. Er stand einfach da, bekam kein Wort heraus und seine Knie zitterten. Der König hatte gerade seine Stirn geküsst. Was hatte das alles zu bedeuten? Nun gaben die Beine des jungen Stallmeisters doch nach und er drückte die Narzissen sanft an sich, zitterte am ganzen Leib, aber nicht weil es kalt war, sondern weil ihn ein seltsames Gefühl durchströmte.

Das würde ganz bestimmt eine schlaflose Nacht geben …
 

Drei Tage später ging Richard wieder den Gang entlang zu seinem Zimmer. Er war ziemlich müde, denn den ganzen Tag hatte er hart arbeiten müssen, waren viele Gäste auch noch länger geblieben nach dem Ball und erst an diesem Tag abgereist. Der junge Mann war froh, dass er nun endlich auf sein Zimmer kam und sich ausruhen konnte, nachdem er unten in der Küche gegessen hatte. Als er jedoch die Tür zu seinem Zimmer öffnete und eintreten wollte, hielt er mitten in der Bewegung inne.

Da auf dem Tisch stand eine Vase mit einem riesigen Strauss weißer Lilien drin. Richards Herz begann wieder einmal zu klopfen, so wie in den letzten Tagen auch, als er seinem Herrn begegnet war und sich ihre Blicke getroffen hatten. Er erwachte aus seiner Starre und trat dann vollends ein, schloss leise die Tür hinter sich. Danach ging er zum Tisch und roch an den Blumen und seufzte leise. Sie dufteten einfach himmlisch!

Plötzlich sah er auf dem Tisch neben der Vase einen Brief und Richard zögerte nicht, nahm ihn an sich, öffnete ihn und begann ihn zu lesen:

„Ich und du

Wir träumten von einander

Und sind davon erwacht,

Wir leben, um uns zu lieben,

Und sinken zurück in die Nacht.

Du tratst aus meinem Traume,

Aus deinem trat ich hervor,

Wir sterben, wenn sich eines

Im andern ganz verlor.

Auf einer Lilie zittern

Zwei Tropfen, rein und rund,

Zerfließen in eins und rollen

Hinab in des Kelches Grund.

(Friedrich Hebbel)

Ich hoffe, du hast Freude an der kleinen Aufmerksamkeit und auch an dem Gedicht, welches ich mit großem Bedacht ausgesucht und für dich niedergeschrieben habe.

Während ich diese Zeilen schreibe, sehe ich deutlich deine blauen Augen vor mir, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen, ebenso wie du mir nicht mehr aus dem Kopf gehst …“

Als Richard den Brief zu Ende gelesen hatte, war er so rot wie niemals zuvor. Dieses Geschenk und dieser Brief konnten nur vom König selbst sein.

Er hatte seine Handschrift schon ein paar Mal gesehen und er war sich ganz sicher. Mit zitternden Händen legte er den Brief beiseite und in diesem Moment kam dem jungen Mann eine Idee. Schnell suchte er sich die schönste Lilie aus, dann kramte er eine Feder und ein kleines Stück Papier aus seinem Schrank und schrieb darauf:

„Habt Dank Mondkönig …Der Lilienduft wird mich ins Reich der Träume entführen und dann werde ich bestimmt von Euch träumen …Möge Euch der Duft dieser Lilie auch ins Reich der Träume entführen …“
 

Wenn er nicht schon so rot gewesen wäre, dann wäre er ob seinen eigenen Worten noch röter geworden, doch wie der König unterschrieb er nicht, sondern band die kleine Botschaft an die Lilie, bevor er dann noch einen zweiten kleinen Zettel schrieb. Anschließend schlich er durch die Gänge, sah sich immer wieder um, damit ihn auch niemand sah, doch die Gänge waren leer, denn es war schon recht spät. Richard schlich sich bis zum Gemach des Königs vor und atmete erleichtert auf, als er sah, dass bei Seiner Majestät noch Licht brannte, das hieß, dass er noch wach war und sein Plan aufgehen würde. Leise schlich er sich an die große weiße und mit Gold verzierte Tür und schob den einen kleinen Zettel durch den Türschlitz hindurch auf dem stand:
 

„Seht zu Boden, wenn Ihr die Tür öffnet …“
 

Danach legte er die Lilie mit der Botschaft direkt vor die Tür Seiner Majestät. Er musste wirklich verrückt sein, was er tat. Was, wenn ihn jemand sah? In diesem Moment war es ihm aber egal, er tat einfach das, was ihm sein Herz sagte, das was er als richtig befand. Richard nahm seinen ganzen Mut zusammen und klopfte leise an die Tür, leise und doch hörbar und dann schlich er eilig in eine geschützte Ecke, wo er die Tür des Gemaches sehen konnte, aber im Schutz der Dunkelheit verborgen blieb. Einen Moment lang glaubte Richard, dass der junge Monarch das Klopfen nicht vernommen hatte, bis er Schritte hörte und auch einen Schatten vor der Tür gewahrte. Das Herz des jungen Stallmeisters begann noch schneller zu klopfen. Gleich würde er das kleine Geschenk finden!

Der Bayernkönig war aufgrund des Klopfens zur Tür gegangen und sein Blick war auf einen kleinen Zettel gefallen, der am Boden lag. Als er ihn aufhob und las, was darauf stand, machte es ihn schon neugierig, was genau ihn dort erwarten würde, und so öffnete der junge König langsam die Tür und schaute wie gebeten auf den Boden. Und was erblickte er dort?

Eine weiße Lilie, wie er sie hatte Richard bringen lassen, lag auf dem Boden.

Kurz ging Ludwig in die Knie, um die Blume aufzuheben und als er sie in der Hand hielt, fiel ihm ein kleiner Zettel am Stiel der Pflanze auf.

Während er sich wieder erhob, entfaltete er den Zettel und schon als er die erste Zeile las, wusste er, dass sowohl die Lilie als auch die Botschaft von Richard kamen.

Ein glückliches Lächeln schlich sich auf die Lippen des schönen Königs und zufrieden seufzend drückte er die Lilie und den Brief etwas an sich und schloss kurz die dunkelblauen Augen.

„Denkst du wirklich so an mich, wie ich an dich denke, Richard? Verstehst du das, was ich für dich empfinde? Verstehst du, dass ich mein Herz an dich verloren habe?“ fragte der Regent in die sonstige Stille der Nacht und des Ganges heraus.

Dass genau der, von dem er eben gesprochen hatte, auf dem Gang war, das konnte der König ja nicht ahnen und so hatte er auch nicht berechnet, dass der junge Stallmeister jedes seiner Worte vernommen hatte.

Die Augen des jungen Mannes, der verborgen in der Dunkelheit stand, hatten sich geweitet. Er konnte fast nicht glauben was er da hörte. Dann war es also wahr, was die Gerüchte angingen, die im Umlauf waren. Man erzählte sich, dass Seine Majestät sich nichts aus Frauen machte. Und Richard? Der junge Mann fühlte doch genau gleich, auch er konnte mit Frauen nichts anfangen und nun hatte er sich ausgerechnet in den König verliebt. Doch wie es aussah, hatte er eine Chance. Seine Majestät verschwand mit der Lilie und dem kleinen Brief wieder in seinem Gemach und Richard wartete eine Weile, weil er sicher sein wollte, dass sein Herr nicht vielleicht doch wieder raus kam. Danach löste er sich aus dem Schatten und blieb einige Schritte vor der Tür stehen, sah dass das Licht noch an war. Sein Herz klopfte ganz schnell und am liebsten hätte er wahrscheinlich vor der Türe geschlafen, wenn er nicht plötzlich Schritte gehört hätte. Der junge Stallmeister rannte fast zu seinem Zimmer zurück und hielt erst an, als er atemlos in seinem Zimmer an die geschlossene Tür lehnte. Er brauchte einen Moment, bis er sich beruhigen konnte, wenigstens so weit, dass er aufhörte zu zittern.

Richard ging zu den Lilien, die in der Vase standen und roch wieder daran. Der Duft erschien ihm nun noch betörender als zuvor und er nahm sich wieder eine Lilie und ging damit zu Bett, angezogen wie er war. Er starrte die Decke seines Zimmers an und roch versonnen an der Lilie. War alles ein Traum? Oder war das die Wirklichkeit? Mit diesen Fragen und dem Geruch der Lilie in der Nase schlief der junge Stallmeister schließlich ein.
 

Seit dem Abend, an dem Ludwig die Lilie mit der Botschaft vor seiner Tür gefunden hatte, war eine Woche vergangen.

Diese Woche hatte nur so vor Aufgaben und Arbeit gestrotzt und sehr zu Ludwigs Bedauern war keine Zeit für Ausritte geblieben.

Doch genau das würde sich in der kommenden Woche ändern, hatte sich der König doch selbst ein wenig Ruhe und Entspannung verordnet und einen Aufenthalt in Schloss Berg am Starnberger See geplant.

Weder irgendwelche Minister noch sein Adjutant Graf Dürckheim würden den Regenten davon abhalten können, denn wenn es um seine ‚Freiheit’ ging, hatte der junge König durchaus seinen eigenen Kopf.

Jetzt saß Ludwig in seinem Arbeitszimmer und erwartete das Erscheinen seines Freundes und Adjutanten, dem er noch einige organisatorische Dinge mitteilen wollte.

Während der Mondkönig wartete, unterschrieb er noch einige Dokumente und Aufträge, doch mit seinen Gedanken war er anderswo. Außer nach Schloss Berg schweiften die Gedanken des Königs immer wieder zu dem blonden Stallmeister, welchen er nun schon eine Woche nicht mehr gesehen hatte.
 

Wieder einmal hallten eilige Schritte durch die Gänge. Graf Dürckheim war zum Arbeitszimmer Seiner Majestät unterwegs, denn man hatte ihn dorthin zitiert.

Er lief mit eiligen Schritten, denn man hatte ihm auch gesagt, dass es sehr dringend sei. Als er schließlich beim Arbeitszimmer ankam, klopfte er vorsichtig an und trat ein, als er hereingebeten wurde.

Sofort nachdem er eingetreten war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, verbeugte er sich und schenkte seinem Herrn und Freund ein Lächeln.

„Ihr habt mich gerufen, Majestät?“, fragte er sanft und sah Ludwig nach dieser Frage erwartend an.

Der eben Angesprochene schenkte ihm ebenfalls ein wohlwollendes Lächeln, hatte er doch ihre Freundschaft keinesfalls vergessen.

„Ah Alexander, schön dass du so schnell kommen konntest …“, begann der junge König und legte seine schneeweiße Schreibfeder beiseite.

„Ich möchte dich darum bitten, die Dienerschar zusammenzustellen, die mich nach Schloss Berg begleitet …“, erklärte der junge Herrscher nun sein Anliegen und fügte dann noch an: “Mir ist es eigentlich gleich, welche Diener mitkommen, ich möchte dich einzig und allein darum bitten, dass du den Stallmeister Richard Hornig mit einteilst. Er kümmert sich hervorragend um die Pferde und er soll ein sehr guter Reiter sein.“

Natürlich waren die genannten Gründe, weshalb Richard mitkommen sollte, im Prinzip nur die halbe Wahrheit, doch der Monarch hatte, trotz aller Freundschaft nicht vor, sein Geheimnis nun zu offenbaren.

Doch Alexander ahnte es, wie viele andere auch, die mehr mit dem König zu tun hatten. Dies war dem jungen Adjutanten schon auf dem Ball aufgefallen, der zu Ehren seines besten Freundes gegeben worden war. Ludwig hatte keinen Blick an all die schönen und heiratsfähigen jungen Damen verschwendet, nicht mit einer hatte er getanzt, ganz zum Missfallen der Königinmutter. Alexander wusste, was sie von ihrem Sohn erwartete, genau wie das ganze Volk. Sie erwarteten von ihrem König, dass er sich nun verlobte und eine junge adlige Dame zur Frau nahm und schließlich Nachkommen für das Adelshaus der Wittelsbacher zeugte. Doch es sah fast so aus, als habe Ludwig dies nicht vor. Der junge Mann bemerkte, dass sein Herr ihn etwas verwirrt und auch besorgt musterte, war er doch einen Moment still und in Gedanken gewesen. Sanft schenkte er ihm ein Lächeln und nickte sofort, zum Zeichen, dass er verstanden hatte. „Sehr wohl, Majestät ... Ich werde mich gleich persönlich darum kümmern“, sagte der Graf und nickte noch einmal.

„Wann wollt ihr Euch denn auf den Weg machen nach Berg? Heute schon?“, fragte er noch: „Ich muss es ja den Dienern und Herrn Hornig mitteilen, wann sie in Berg sein müssen oder Euch in Herrn Hornigs Fall begleiten soll ...“, sagte er weiter und ein kleines verschmitztes Lächeln stahl sich auf Alexanders Lippen.

Der junge König versuchte dieses Lächeln auf Alexanders Lippen zu deuten und doch gab er es nach einem kleinen Moment schon wieder auf, glaubte er doch keinesfalls, dass irgendjemand auch nur ansatzweise ahnen könnte, dass er reges Interesse an Richard hatte. Interesse eben, welches über das übliche Interesse eines Königs an seinem Stallmeister hinausging.

„Ich werde heute Abend abreisen. Mir sind Reisen in der Nacht lieber, dann hat man nicht immerzu alle neugierigen Blicke auf sich gerichtet. Und so weit ist es ja nicht bis Schloss Berg, da lässt sich eine Fahrt gegen Abend wohl verantworten, denke ich ...“, erklärte Ludwig, während er sich von seinem gepolsterten Stuhl erhob. Dann schritt er um den Schreibtisch herum in Richtung des großen Fensters, welches ihm einen Blick hinaus über die Hauptstadt München gewährte. Kurz betrachtete der junge Monarch diesen Ausblick, ehe er zu seinem Adjutanten schaute.

“Noch etwas ... ich möchte darüber informiert werden, wie es um die Suche nach Richard Wagner steht. Sollte er nach München kommen, werde ich den Aufenthalt in Berg unterbrechen und nach München zurückreisen ...“, sagte der König. Er kam jetzt auf den Komponisten, da seine erste Amtshandlung gewesen war, Wagner suchen und nach München einladen zu lassen. Er liebte die Opern des Sachsen Wagners, war doch dessen Interpretation des Lohengrin vor zwei Jahren die erste Oper gewesen, die er hatte anschauen dürfen. Sofort hatte den damaligen Kronprinzen die Musik und die Inszenierung der bekannten Sage des Schwanenritters in ihren Bann gezogen.

Der Adjutant nickte bei den Worten seines Herrn, waren dies doch durchaus Befehle, die sich befolgen ließen. „Sehr wohl, Majestät, ich werde alles in die Wege leiten und sollte Wagner nach München kommen, werde ich ein Telegramm nach Berg schicken“, versprach der junge Graf und verbeugte sich vor seinem König. Kurz wartete er, ob der Bayernkönig noch einen Wunsch hatte. Als dieser ihm aber ein Zeichen gab, dass er gehen durfte, verabschiedete sich Alexander von Dürckheim. Anschließend verließ er das Arbeitszimmer und ließ so den jungen König am Fenster stehend zurück.
 

Ein blonder junger Mann eilte im gedämpften Licht der Laternen durch die Stallungen Seiner Majestät. Gleich musste er die Kutsche bereit haben, die den König zu Schloss Berg bringen würde, und er, Richard Hornig, sollte ihn begleiten. Bei diesem Gedanken hielt er einen Moment in seiner Arbeit inne und seine Wangen röteten sich wie bei einem Mädchen. Seit einer Woche hatte er seinen Herrn nicht mehr gesehen und wenn der junge Stallmeister ehrlich mit sich selbst war, dann hatte er sich immer wieder gefragt, wann er den König wieder sehen würde. Doch leider war ein König nicht so frei wie es aussah. Sein Herr hatte Pflichten, genau wie ein normaler Bürger Bayerns. Er war ein Paradiesvogel, wunderschön und doch in einem goldenen Käfig gefangen, aus dem er sich nicht befreien konnte.

Richard schüttelte etwas den Kopf, um aus seinen Gedanken zu erwachen und eilig wieder seiner Arbeit nachzugehen, denn sein Herr hasste es, wenn jemand unpünktlich war.

Seine Sachen hatte er bereits gepackt und einem Diener gegeben, denn sein Gepäck wie das Gepäck Seiner Majestät waren schon unterwegs nach Schloss Berg. Ebenso wie eine kleine Gruppe von Dienern, die die Ankunft des Königs vorbereiten sollte. Der junge Mann ging zur letzten Box in der Stallung, in dem ein Schimmel stand und seine Nüstern leicht blähte, als er Richard kommen sah.

„Na, Amadeus? Wartest du schon ungeduldig, mhm?“, sagte er und öffnete die Boxtür. Der Schimmel schien den jungen Mann zu verstehen, denn er wieherte leise und stupste Richard auch kurz an. Dieser lachte amüsiert und nahm das edle Tier an den Zügeln, die er schon zuvor festgemacht hatte: „Komm, deine Freunde warten schon und Seine Majestät sicher auch...“, sagte er und der Schimmel setzte sich widerstandslos in Bewegung. Er führte ihn aus der Stallung hinaus und zur Kutsche, streichelte immer wieder die Nüstern des jungen Hengstes und wäre deswegen fast mit jemandem zusammengestoßen. Als Richard erschrocken hochsah, gewahrte er, dass er fast mit dem König zusammen gestoßen war, weil er so beschäftigt gewesen war, den Hengst zu streicheln. Wie gebannt sahen sich die beiden einen Moment lang an, dann blinzelte Richard noch einmal erschrocken: „Majestät!“, rief er aus und verbeugte sich sofort.

„Es tut mir wirklich leid ... Ich war in Gedanken ... Die Kutsche ist gleich reisefertig ...“, versuchte der junge Stallmeister zu erklären, denn er konnte den Gesichtsausdruck des jungen Monarchen nicht deuten. War er vielleicht wütend, weil die Kutsche nicht ganz bereit stand?

Wäre es nicht Richard gewesen, mit dem der König zusammenstieß, dann wäre der junge Monarch nun vielleicht wütend gewesen; aber da es Richard war, blieb der König ruhig und nickte bei dem, was der junge Stallmeister sagte.

„In Ordnung, ich werde mich wohl noch zwei Minuten gedulden können ...“, meinte Ludwig und schenkte dem jungen Diener ein liebevolles Lächeln.

Auch er trat nun näher an die edlen Schimmel heran und tätschelte einem der Pferde den muskulösen Hals.

Seine schwarzen ledernen Handschuhe hatte der junge Adlige dabei nicht ausgezogen, denn es wurde zunehmend kühler, je später es wurde. Auch sonst war Ludwig reisetauglich angezogen mit seinem langen Mantel über dem für den König eher alltäglichen Anzug, der trotz allem sehr edel aussah.

Während er sich mit dem Pferd beschäftigte, wanderte sein Blick immer wieder zu dem jungen Richard. Auch dieser trug einen Mantel über seiner Uniform und Handschuhe lagen für ihn auf dem Kutschbock bereit, sodass auch er nachher nicht frieren musste.

Wortlos beobachtete er jeden einzelnen Handgriff Richards, welche allesamt sehr geübt und auch geschickt wirkten und zeigten, wie ernst der junge Mann seine Arbeit nahm.

„Du machst das wirklich gut ...“, kam es dann ganz plötzlich lobend aus des Königs Mund, der Richard immer noch lächelnd beobachtete und langsam in Richtung der Kutschentür schlenderte.

Der Angesprochene hatte seine Arbeit schnell und doch präzise verrichtet, sodass er ein wenig aufschrak, als der König zu ihm sprach und ihn lobte, war er doch in sein Tun so vertieft gewesen. Der junge Mann richtete sich auf und schenkte seinem Herrn auch ein wohlwollendes Lächeln: „Vielen Dank, Majestät … Die Arbeit gefällt mir auch sehr“, sagte er und beeilte sich dann, mit großen Schritten zuerst an der Kutschentür zu sein, um diese für seinen Herrn zu öffnen. Dann streckte er ihm eine Hand entgegen als Hilfe beim Einsteigen. Der König nahm diese Hilfe in Anspruch und legte seine Hand in die von Richard und wieder wurde der junge Stallmeister rot. Es war schließlich eine Woche her, seitdem er ihn gesehen hatte, und diese unerwartete Nähe ließ sein Herz schon wieder etwas höher schlagen. Anscheinend fühlte sein Herr genauso, denn auch dieser sah ihn einige Momente wie gebannt an, als sich ihre Blicke trafen.

Kurz versank der junge Monarch in den blauen Augen seines Gegenübers, doch hielt dieser Augenblick bedauerlicherweise nicht lang an, denn nach einem kurzen Moment bemerkte Ludwig, wie einige Bedienstete über den Hof kamen und dabei grob die Richtung der Kutsche einschlugen.

Kaum merklich seufzte der König von Bayern und stieg vollends in die Kutsche, ließ dabei aber erst recht spät seine eigene Hand aus der von Richard gleiten. Danach ließ er sich in das bequeme Polster der Kutsche nieder und lehnte sich zurück. Prüfend griff er zu der Decke, welche sich neben ihm befand und die er, falls es zu kalt werden würde, über die Beine legen könnte.

Statt wie sonst eher alles andere zu betrachten, blieb der Blick des Monarchen diesmal wie von alleine auf dem jungen Stallmeister haften.

Es war doch zum verrückt-Werden, denn trotz der Botschaft an der Lilie vor einer Woche wusste Ludwig immer noch nicht so ganz, ob Richard wirklich dasselbe wie er selbst empfinden könnte, oder ob er vielleicht einfach seinen König nicht hatte beleidigen wollen.

Für einen kleinen Moment schloss der adlige junge Mann die Augen und versank weiter in seiner Gedankenwelt, als er dann auch irgendwann das Klappen der Kutschentür hörte.

Sofort öffnete er die dunkelblauen Augen wieder und bemerkte, dass Richard ihn scheinbar auch betrachtet hatte und nun eine kurze Verbeugung ausführte und per Handzeichen nachfragte, ob er abfahren könnte, was der König mit einem Nicken bejahte.

Noch bevor die Kutsche sich in Bewegung setzte, ließ sich der König von Bayern tiefer in die bequemen Polster der Kutsche sinken und schloss erneut die Augen. Vielleicht würden seine Gedanken ein wenig klarer werden, wenn er die Fahrt über schlafen oder zumindest ein wenig dösen würde.
 

Die Fahrt dauerte nicht lange. Von München aus nach Schloss Berg war es vielleicht eine Stunde mit der Kutsche, doch die Fahrt verlief nicht ganz wie geplant. Die Wege, noch feucht vom letzten Regen, waren rutschig und nicht ganz gefahrlos. Ein Pferd hatte sich kurz vor dem Schloss die Fessel verletzt. Es war ausgerutscht und fast gestürzt, hatte sich dann aber fangen können, weil eine Felswand es daran gehindert hatte, ganz zu fallen. Nur mit Not schaffte es Richard, die Kutsche doch noch an ihr Ziel zu bringen, doch gleich als er hielt, sprang er vom Kutschbock herunter, wies einen Diener an, dem König die Tür zu öffnen und einen anderen, den Stallburschen zu rufen, der ihm den Koffer bringen sollte mit dem Verbandszeug und den Heilmitteln für die Pferde. Der junge Mann selbst machte sich sofort daran, das verletzte Pferd aus dem Gespann zu nehmen und es von den anderen Pferden etwas wegzuführen, aber auch um Seiner Majestät diesen Anblick zu ersparen, wusste er doch, wie sehr er seine Tiere liebte.

Das Pferd hatte sich nicht nur an der Fessel verletzt, wie Richard dann feststellen musste, sondern hatte sich anscheinend auch noch an der Flanke entlang an der Felswand aufgescheuert, denn es blutete aus einer ziemlich großen Wunde. Endlich kam auch der Stallbursche mit dem Koffer angerannt und Richard nahm ihm diesen sofort ab: „Da bist du endlich … Schnell, schneid große Verbandsstücke, damit ich die Wunde verbinden kann …“, wies er den Jungen an und nahm selbst ein Tonikum aus dem Koffer, das desinfizierte und zur Wundheilung beitrug.

In der Zwischenzeit hatte der angewiesene Diener dem König die Tür geöffnet und hatte sich verbeugt. Seine Majestät schien sichtlich verwirrt, denn er runzelte die Stirn und sah sich dann suchend um. Als er aus der Kutsche gestiegen war, wollte er um die Kutsche herumgehen, doch der Diener, der ihm auch die Tür geöffnet hatte, stellte sich vor seinen Herrn und verbeugte sich sofort wieder. Er hatte gesehen, dass das Pferd sehr stark blutete und wollte seinem König diesen Anblick ersparen, nur deswegen hatte er sich erlaubt, sich vor ihn zu stellen und ihn aufzuhalten. „Bitte, geht nicht dahin, Majestät … Das ist kein schöner Anblick!“

Der König jedoch hasste es, so im Ungewissen zu sein und außerdem fragte er sich, wo denn wohl Richard abgeblieben war und warum er nicht gekommen war, um ihm die Türe der Kutsche zu öffnen.

Und was meinte dieser Diener damit? Das sei kein schöner Anblick?! War etwas mit Richard? War er verletzt? Vom Kutschbock gefallen?

„Lass mich durch, ich befehle es!“, gebot der junge König und ließ sich auch nicht davon beirren, dass der Diener weiter versuchte, beschwörend auf ihn einzureden und ihn daran zu hindern, um die Kutsche herumzugehen.

Nach dem fünften oder sechsten „Majestät …“ seitens des Dieners wurde es Ludwig dann auch endgültig zu bunt und nicht fest, aber durchaus bestimmt packte er den jungen Mann an den Schultern und schob ihn zur Seite.

Bevor sich dieser dreiste Diener wieder zwischen ihn und den freien Weg drängen konnte, eilte Ludwig regelrecht, um zu sehen, was geschehen war.

„Richard …“, rief Ludwig besorgt aus, als er um die mit Gold verzierte Kutsche geeilt war und die Kutschpferde nun neben sich hatte.

Kurz sah er sich suchend um, ehe er den Stallmeister bei einem der Kutschpferde sah, das an der Flanke verletzt war.

Obwohl sich Richard schon daran gemacht hatte, das Tier zu verbinden, war es wahrlich kein schöner Anblick und doch beruhigte es den jungen Monarchen, dass ‚lediglich’ mit dem Pferd etwas war und nicht mit Richard.

Aus diesem Grund atmete Ludwig erstmal tief durch und trat dann näher heran.

Ohne groß zu überlegen nahm der Regent dann auch die Zügel aus der Hand des Stalljungen und streichelte mit der anderen Hand beruhigend über die Stirn und die Nüstern von Amadeus. “Was ist geschehen, dass er sich so verletzt hat?“, fragte Ludwig ruhig und doch schwang ein wenig Besorgnis in seiner Stimme mit.

Richard sah einen Moment erschrocken hoch, weil er nicht erwartet hatte, dass der König herkam, denn eigentlich hätte sein Herr noch nichts von dem Geschehenen mitbekommen sollen. Er selbst hätte es ihm später mitteilen wollen. Seufzend legte der junge Stallmeister dann aber das Tonikum beiseite und überließ es dem Stalljungen, Amadeus weiterzuverbinden. Er selbst richtete sich nun auf und sah seiner Majestät tief in die Augen, denn er fühlte sich schuldig, für das was passiert war.

„Majestät…“, begann Richard ein bisschen unsicher, nahm sich dann aber zusammen und atmete tief durch: „Kurz vor dem Schloss ist Amadeus auf der nassen und schlammigen Strasse ausgerutscht, aber zum Glück nicht gestürzt, da ihn eine Felswand daran gehindert hat. Dennoch hat er sich deswegen Kratzer zugezogen und auch seine Fessel scheint ein bisschen gestaucht zu sein“, erklärte der junge Mann.

Er ging näher an das Tier heran und tätschelte beruhigend seinen Hals, sah dann wieder zu seinem Herrn und schenkte diesem ein sanftes Lächeln: „Es wird ihm bald wieder besser gehen. Alle Wunden wurden versorgt und ich werde mich persönlich darum kümmern, dass er Ruhe bekommt und seine Fessel auch wieder heilt“, sagte Richard und in seiner Stimme schwang ein Ton mit, der klar machte, dass er sich schuldig fühlte.

Ludwig beobachtete den jungen Stallmeister während er sprach sehr genau und hörte auch heraus, dass sich Richard scheinbar schuldig fühlte.

“Es ist nicht deine Schuld, dass Amadeus fast gestürzt wäre und so schlimm kann es ja nicht gewesen sein, wenn ich es nicht mal bemerkt habe“, erklärte der junge König ruhig und mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Am besten du versorgst die Pferde und gehst dann zu Bett, die Reise war dann wohl doch ein wenig anstrengender als erwartet.“, fügte er an.

„Außerdem …“ Kurz unterbrach sich der junge Monarch selbst und warf einen Blick in den Himmel.

„Außerdem beginnt es zu regnen, erkälte dich nicht …“

Während er dies ausgesprochen hatte, war Ludwig schon einige Schritte gegangen, wobei er ungefähr auf der Höhe von Richard flüchtig seinen Blick zu ihm wand. Kurz hob Ludwig auch eine Hand und streckte sie ein klein wenig in die Richtung des Stallmeisters, als wolle er ihm im nächsten Moment durchs Haar streichen.

Als er jedoch merkte, was er da tat, zog Ludwig die Hand wieder zurück, warf dem jungen Mann stattdessen einen kurzen sehnsüchtigen Blick zu.

“Ruh dich aus und … .Gute Nacht.“ Mit diesen Worten verschwand der großgewachsene Mann in Richtung des kleinen weißen Schlosses an dem Ufer des Starnberger Sees.

Richard sah seinem Herrn mit großen Augen nach, denn er hatte genau gesehen, was er im Begriff gewesen war zu tun. Sein Herz begann schneller zu klopfen und es brauchte eine Weile, bis er aufhörte, an den Punkt zu starren, wo der König verschwunden war. Er erwachte aus dieser Starre, als ihn der Stalljunge am Ärmel zupfte und seinen Namen rief. Der junge Mann schüttelte etwas den Kopf, wie um einen Bann loszuwerden und wandte sich dann dem Jungen zu.

„Ah, Martin! Du bist mit dem Verbinden fertig …“, sagte er und ein etwas scheues und dennoch glückliches Lächeln stahl sich auf Richards Lippen. „Das hast du sehr gut gemacht!“, lobte er den Jungen und nickte ihm auch noch bestätigend zu. Danach nahm er die Zügel des verletzten Pferdes und mithilfe von Martin schaffte er es auch, Amadeus in den Stall zu bringen. Dort schickte er Martin zum Essen und versorgte seinen Schützling alleine weiter, hatte Seine Majestät doch befohlen, dass er sich um die Pferde kümmern solle. Die anderen Pferde standen aber alle schon in ihren Boxen, sodass seine volle Aufmerksamkeit Amadeus galt. Trotz der Worte seines Herrn fühlte er sich schuldig. Vielleicht hatte er die Pferde zu schnell angetrieben und Amadeus war deswegen abgerutscht? Genau aus diesem Grund, dem schlechten Gewissen, blieb der junge Stallmeister, anders als von Seiner Majestät angeordnet, im Stall, immer ein waches Auge auf das verletzte Pferd habend. Irgendwann kam dann auch Lise, die Köchin. Da Richard beim Essen gefehlt hatte, brachte sie ihm etwas zu essen. Der junge Mann aß nur wenig, denn immer wieder besah er sich Amadeus Zustand und ob er doch noch mehr Verletzungen hatte, als er angenommen hatte. Doch irgendwann, er lag im Heu neben dem stehenden Amadeus, der eine größere Box bekommen hatte als die anderen Pferde, übermannte Richard die Müdigkeit. Der Duft des frischen Heus und die Wärme des Strohs auf dem er lag taten ihre Wirkung und nach einiger Zeit war der junge Mann noch in seiner Reisekleidung eingeschlafen. Amadeus, der seinen Zureiter kannte, schnupperte an seinem Haar und dann ganz plötzlich schnappte sich das Pferd etwas Stroh und ließ es auf den jungen Mann fallen, fast so als wolle er ihn zudecken und dafür sorgen, dass dem Stallmeister nicht kalt wurde.

Jemand ganz Bestimmtes beobachtete dieses Verhalten des Pferdes und staunte nicht schlecht über das, was er da sah.

Der König hatte vorhin ein wenig Zeit im Schloss verbracht, allerdings war es ihm schnell zuwider geworden, einfach innerhalb der Schlossmauern zu sitzen, während draußen der Himmel aufklarte und der silberne Mond zum Vorschein kam.

Eigentlich war Ludwig nur für einen Spaziergang draußen gewesen, als er dann aber im Stall noch Licht brennen sah.

Da eigentlich des Nachts auch das Licht im Stall gelöscht wurde, hatte der Adlige nicht lange überlegt und sich auf den Weg zum Stall gemacht. Dort angekommen bekam er dann eben dies zu sehen: Den schlafenden Stallmeister und Amadeus, der ihn scheinbar geradewegs mit Stroh ein wenig zugedeckt hatte.

Leise lachend und kopfschüttelnd schritt Ludwig vorsichtig in die Box, streichelte dem Pferd kurz durch die Mähne.

Diese Streicheleinheiten nahm der Hengst gelassen schnaubend entgegen und wandte sich nun wieder seiner Futterbox zu, beachtete den König und auch den Stallmeister erstmal nicht weiter.

Auch der König achtete nicht weiter auf den Hengst. Sein Blick war viel mehr auf den schlafenden jungen Mann im Stroh fixiert.

Schon wieder fiel Ludwig auf, wie schön Richard war. Das hübsche Gesicht, die blonden Haare und die schlanke Figur zogen ihn unwillkürlich in seinen Bann.

Und es war nicht allein dieser Bann, es war dieses Gefühl, das stärker wurde, immer wenn er in Richards Nähe kam. Herzklopfen, Schmetterlinge im Bauch und ein heilloses Durcheinander im Kopf des jungen Königs.

Aber was sollte er tun? Konnte er einfach seinem Verlangen und seiner Sehnsucht folgen? Selbst wenn Kirche und Gesellschaft dies aufs schärfste verurteilen würden?

Aber es war ja auch wiederum die Frage, ob er sich ewig selbst belügen wollte.

Nach kurzem Hin-und-Her-Überlegen siegte dann aber die Neugierde auf die ‚verbotene Frucht’ und deren Geschmack über die Vernunft des jungen Mannes und so kam er ganz vorsichtig, beinahe schleichend auf den im Stroh liegenden Richard zu.

Langsam und erneut sehr vorsichtig, um den jungen Mann nicht zu wecken, kniete sich Ludwig auf den mit Stroh bedeckten Boden und betrachtete den Schlafenden erneut.

Dann hob er bedächtig eine Hand und tat genau das, was er vorhin schon beinahe getan hätte. Die schlanken und langen Finger des Monarchen strichen ganz leicht und kaum merkbar über das weiche blonde Haar des jungen Stallmeisters.

Allein jetzt glaubte Ludwig schon, sein Herz würde so laut klopfen, dass Richard davon aufwachen musste und doch schlief dieser seelenruhig weiter, schien gar nicht zu bemerken, was sein König geradewegs mit ihm anstellte. Nicht einmal als des Königs Finger tiefer wanderten und kurz über seine rosigen Lippen strichen, erwachte Richard aus seinem Schlaf, was den König wiederum ermutigte etwas zu tun, was er sich sicher nicht getraut hätte, wäre Richard wach gewesen.

Langsam und mit rasendem Herzen beugte der dunkelhaarige König sich zu dem blonden Stallmeister hinab und nach kurzem Zögern tat er es wirklich.

Vorsichtig legte er die eigenen warmen Lippen auf die des schlafenden Jünglings, an den er sein Herz verloren hatte. Ein wohliger Schauer durchfuhr seinen Körper, obwohl dieser Kuss ja nicht einmal erwidert wurde, weil der Geküsste ja schlief.

Schlief? Der junge Stallmeister schlief nicht mehr, denn er war aufgewacht, nachdem er plötzlich gespürt hatte, wie ihn jemand küsste. Als er einen Moment lang die Augen öffnete, um zu sehen, wer sich überhaupt die Freiheit herausnahm, ihn während des Schlafens zu küssen, begann sein Herz wie wild zu klopfen. Über ihm schwebte das Gesicht seines Herrn. Er war es, der ihn gerade küsste. War das wirklich real oder träumte Richard gerade und wenn er aufwachen würde, dann würde alles vorbei sein? Der junge Mann wusste nicht, wie ihm geschah und anstatt lange zu überlegen, entschied er sich, dass er träumte und dass es wohl in Ordnung war, seinen Herrn wenigstens im Traum zu küssen. So schloss er seine Augen und begann den Kuss seiner Majestät zu erwidern und legte seine Arme um seinen Nacken, schmiegte sich so auch an ihn. Auch seinen Körper durchfuhr ein leichter wohliger Schauer, während er seinen Herrn weiter küsste.

Ein wenig erschrak Ludwig, als er merkte, was gerade geschah, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass Richard aufwachen würde und doch war dies scheinbar geschehen.

Was der Stallmeister tat, nämlich genau genommen den Kuss zu erwidern, überstieg all das, was Ludwig sich überhaupt als möglich ausgemalt hatte.

Doch gerade das war es, was noch viel mehr Herzklopfen verursachte und auch eine wohlige Wärme in dem jungen König aufsteigen ließ.

So ein unglaubliches Gefühl hatte er bisher nur einmal erlebt, wenn auch vielleicht nicht ganz so stark. Vor zwei Jahren, als er das erste Mal die Oper Lohengrin sehen durfte, hatte den damaligen Kronprinzen ein ähnliches Gefühl erfüllt.

Und obwohl Ludwig nun, da Richard wach war, noch nervöser war und auch ein wenig ängstlich, dass der Stallmeister ihn doch noch von sich stoßen könnte oder ihn als ‚abartig’ ansehen könnte, erkundete er weiter die weichen und süßen Lippen des jungen Mannes.

Seine eigenen Lippen und auch seine Hände zitterten. Das konnte doch nur ein Traum sein, dass Richard tatsächlich so empfand.

Es musste einfach so sein, es passte alles zusammen, die Nachricht mit der Lilie und nun, dass er auch noch diesen Kuss erwiderte.

Und doch konnte es ja nicht ewig so weitergehen, irgendwie musste er es erklären, das war dem jungen König klar.

So löste er nach einigen Momenten den zärtlichen und beiderseits wohl etwas scheuen Kuss und hob dann auch langsam sowohl Kopf als auch Oberkörper ein wenig an und schaute hinab in Richards Gesicht.

Seine Wangen waren gerötet, die Lippen noch einen Spaltbreit geöffnet und die wunderschönen blauen Augen fragend und doch mit leicht verklärtem Blick auf ihn gerichtet.

Das Ganze nun zu erklären, war wohl schwerer als der Kuss es eben gewesen war, so strich sich Ludwig erst einmal kurz durchs Haar, um sich selbst ein wenig zu sammeln.

“Richard …“, begann er im nächsten Moment unsicher und seufzte kurz. Was sollte er sagen? Alles, was er sich in seinem Kopf zurechtlegte, schien so unendlich dumm zu klingen.

“Würdest du dich deinem König mit Leib und Seele verschreiben und als Gegenleistung ein Geschenk erhalten, das niemand sonst bekommt?“, fragte der Bayernkönig und umging so die direkte Frage zunächst.

Richard sah seinen Herrn einen Moment verwirrt an. Konnte das wahr sein? Verstand er es so, wie sein Herz es wünschte? Der junge Mann nickte sofort und musste erst einmal schlucken, denn sein Mund war so trocken. Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und atmete dann tief durch.

„Ja, das würde ich … Ich hab mich Euch bereits verschrieben …“, wisperte der junge Stallmeister und während er sprach, zitterten seine Lippen etwas.

Ludwig hörte genau zu, was der junge Stallmeister ihm als Antwort gab und sein Herz begann bei dieser Antwort noch wilder zu klopfen. Dennoch wollte der König auch die vollkommene Bestätigung und fügte so noch eine zweite, diesmal direktere Frage an.

„Und … würdest du mir deine Liebe auch schenken und die meine annehmen, wenn ich nicht dein König wäre?“

Nun war es heraus, nun war es ausgesprochen und Ludwig bangte, ob der blonde junge Mann ihm gegenüber auch auf diese Frage hin mit ‚Ja’ antworten würde. Richards Augen weiteten sich. Sein Herr hatte genau das ausgesprochen, was er geahnt hatte, was er sich erhofft hatte. Sein Herz schlug wie wild und fast glaubte er, es müsse gleich zerspringen, so schnell schlug es vor Glück und Freude. Keinen Moment zögerte er mehr, als er seinem Geliebten antwortete: „Ja … Ja, das tue ich doch bereits … das tue ich bereits …“, sprach er seufzend und eine Freudenträne bahnte sich ihren Weg über Richards Wange hinab.

Die beiden jungen Männer sanken wieder ins Stroh und wieder fanden sich ihre Lippen zu einem zärtlichen Kuss, der dieses Mal nicht mehr so scheu war, wie beim ersten Mal. Langsam erlosch auch die Kerze in der Laterne, die zuvor noch gebrannt hatte, sodass nur noch das silberne Licht des Mondes durch die kleinen Fenster schien und auf das Liebespaar fiel, wie um sie zu liebkosen. Die Liebe lag wie ein süßes schweres Parfum in der Luft und nichts hätte das Glück und die pure Liebe dieser beiden Männer zerstören können.

Würde diese Liebe aber trotz aller Widerstände bestehen können?

Goldene Fesseln

Kapitel 2

Goldene Fesseln
 

Langsam wandte der König von Bayern seinen Blick vom Fenster ab, an dem er längere Zeit verweilt hatte, um den Schneeflocken beim Fallen zuzusehen.

Ohne Eile trat der junge Mann dann an seinen Schreibtisch in der Münchner Residenz und ließ sich auf dem bequemen Arbeitssessel nieder, öffnete eine der Schubladen des hölzernen Schreibtisches und holte ein großes, königsblaues Buch heraus, dass er vor sich auf den Tisch legte.

Das Buch trug vorne das Siegel des Königs, zwei in sich verschlungene goldene L.

Nachdem Ludwig das Buch aufgeschlagen hatte, griff er zu seiner Schreibfeder, tunkte diese in das kleine Tintenfässchen und begann nachdenklich einige Zeilen in seinem Tagebuch zu verfassen.
 

15. Januar 1867
 

Während ich draußen den Schneeflocken bei ihrem langsamen Fall zugeschaut habe, fragte ich mich, warum mein Leben eher wie ein Schneesturm verlaufen muss.

Die letzten zwei Jahre waren so voller Unruhe.

Erst muss ich mich all den Kunstbanausen in meiner Regierung beugen und den von mir so geschätzten Richard Wagner bitten, Bayern wieder zu verlassen.

Dann 1866 dieser unsägliche Krieg.

Warum muss man mich drängen Kriege zu führen? Warum verlangt man von mir, mich zu entscheiden, auf welcher Seite mein Volk kämpfen soll, wo es mir lieber wäre, sie müssten gar nicht kämpfen?!

Nur wegen meiner hochgeschätzten Cousine Sisi habe ich mich damals auf die Seite Österreichs und somit gegen Preußen gestellt.

Und was hat dieser Krieg für Bayern gebracht?

Nur Schlechtes. Die Truppen stehen nun unter preußischem Oberbefehl und 30 Millionen Gulden Kriegsentschädigung musste mein armes Land zahlen.

Was wohl dieses Jahr für Wirren für mich bereithalten wird?
 

Mit dieser Frage schloss der Monarch seinen Tagebucheintrag ab und schaute einen Moment auf die langsam trocknende Tinte.

Die einzige wirkliche Beständigkeit war in diesen zwei Jahren die Liebe zu jenem Stallmeister gewesen, die mit einem Kuss im Stall von Schloss Berg ihren Anfang genommen hatte.

Natürlich war es nicht einfach, diese Beziehung geheim zu halten, und doch klappte es, solange sie sich beide in der Öffentlichkeit am Riemen rissen und dort nichts weiter waren als König und Diener.

Erst hinter verschlossenen Türen konnten der Bayernkönig und der mittlerweile auch zum Leibdiener aufgestiegene Richard ein Liebespaar sein.

Die Gedanken des Königs wurden durch ein Klopfen gestört und es dauerte einen Moment, bis er mit einem ‚Herein’ den ungebetenen Gast hinein bat, denn eigentlich erwartete er niemanden.

Herein kam die Mutter des Königs, mit roten Wangen und wehendem Rock. Sie sah aufgeregt und ziemlich in Eile aus. Ludwigs Gesicht verdüsterte sich beim Anblick seiner Mutter, denn er mochte sie heute noch genauso wenig wie vor drei Jahren schon. Der König kam aber gar nicht dazu, irgendwie etwas zu sagen oder sie zu begrüßen, denn seine Mutter war schon immer eine Frau der Taten gewesen und so begann sie auch gleich ihr Anliegen vorzutragen, ohne dass Ludwig darum gebeten hatte.

„Mein Sohn, da bist du ja!“, rief sie aus und der junge Monarch verzog das Gesicht, als er ihre Stimme hörte, die er noch weniger mochte.

„Ich habe dich im ganzen Schloss gesucht! Auf, auf! Es eilt! Zieh deine Uniform an, es geht auf einen Ball!“, meinte die Königinmutter im Befehlston, was dem König auch wieder missfiel.

„Was für einen Ball?“, fragte Ludwig und sprach das Wort ‚Ball’ fast wie ein Schimpfwort aus, denn er hasste Bälle.

„Ich gebe einen Ball heute Abend!“, sprach seine Mutter. „Es wird endlich Zeit, dass du dir eine Frau nimmst! Darum habe ich viele adlige Frauen eingeladen, die im heiratsfähigen Alter sind. Eine wird dir bestimmt zusagen! Es ist deine Pflicht als König, Ludwig!“, sagte seine Mutter barsch, als sie sah, wie ihr Sohn die Augen verdrehte.

„Also zieh dir deine Uniform an! In einer Stunde beginnt der Ball!“

„In einer Stunde? Was soll das Mutter? Hast du mich gefragt, ob ich einen Ball will? Oder ob ich mich verloben will?“, fragte Ludwig mittlerweile aufgebracht, denn er hatte nicht die geringste Lust, in einer Stunde auf diesem Ball zu stehen und sich von unzähligen Frauen umkreisen und umschwärmen zu lassen.

Er hatte sich eher vorgestellt, den Abend heute mit Richard zu verbringen, ganz in Ruhe einfach ein wenig die Zweisamkeit zu genießen, aber genau das konnte er seiner Mutter ja schlecht auf die Nase binden.

Und seine Mutter ließ auch nicht locker, sie hatte dies geplant und würde sich nicht davon abbringen lassen. „Nein, ich habe dich nicht gefragt, weil du mir ohnehin als Antwort gesagt hättest, dass du dies alles nicht willst. Also … keine Widerworte, in einer Stunde. Sei pünktlich!“

Nachdem sie dies ausgesprochen hatte, verließ die Königinmutter das Arbeitszimmer ihres Sohnes.
 

Dieser blieb empört über ihr Verhalten zurück und wusste in diesem Moment gar nicht wirklich, was er tun sollte.

Er hatte ja eben schon deutlich gesagt, was er über diese schwachsinnige Idee dachte, doch was blieb ihm denn für eine Wahl? Seine Mutter würde keine Ruhe geben und ihn sicher überall suchen lassen, wenn er nicht gehen würde.

Doch was würde es bringen, wenn er gehen würde? Eine Frau würde er ohnehin nicht finden, egal ob hübsch oder heiratsfähig.

Es gab nur einen, mit dem er über dieses Thema sprechen konnte, nämlich Richard. Außerdem betraf dieses Thema seinen Geliebten und Leibdiener auch, das machte es in Ludwigs Augen umso wichtiger, auch ihn dazu anzuhören.

Ohne weiter zu zögern, zog Ludwig an einer goldenen Kordel, die nicht unweit von seinem Schreibtisch hing und an der die Dienerglocke befestigt war.

Und tatsächlich dauerte es nicht lange und ein kurzes Klopfen ertönte. Nach des Königs „Herein!“ trat der blonde Leibdiener ein, verbeugte sich, wie er es eigentlich immer tat.

„Das sollst du nicht tun, das weißt du …“, kommentierte Ludwig diese Verbeugung, nachdem Richard die Tür geschlossen hatte.

Richard schenkte seinem Liebsten und Herrn ein strahlendes Lächeln. „Ich weiß, aber du kennst mich ja. Du musst mich mindestens noch einmal daran erinnern“, sprach der junge Mann und kam dann einige Schritte näher.

„Was kann ich für dich tun, Liebster?“, fragte Richard nun, denn sein Herr hatte ihn ja sicher aus einem bestimmten Grund gerufen.

Ludwig seufzte leise und erhob sich von seinem Stuhl und schritt durch den Raum auf Richard zu, nahm diesen dann an die Hand und zog ihn zu dem an einer Wand befindlichen Sofa und ließ sich darauf nieder. Das Sofa war schön weich, bequem und mit edlem Stoff überzogen.

Als sie saßen, zog der König seinen Geliebten in seine Arme und drückte ihn eine Weile erstmal nur schweigend an sich, bevor er dann doch die Stimme erhob.

„Meine Mutter war eben hier. Sie will, dass ich in einer Stunde auf einem Ball erscheine.“

Er brauchte Richard gar nicht erzählen, dass er solche Anlässe hasste, sein Liebster wusste dies längst.
 

“Aber viel schlimmer ist die Tatsache, dass dieser Ball einzig und allein dazu da ist, damit ich mir eine Verlobte suche. Richard … was soll ich tun? Ich kann das nicht und ich will das nicht … ich will niemanden außer dich lieben … niemanden sonst.“, erklärte Ludwig und machte so klar, was in ihm vorging.

Während er gesprochen hatte, hatte der König langsam sein Gesicht in der Halsbeuge des Liebsten vergraben, seufzend auf Richards Antwort wartend.

Der junge Stallmeister saß einen Moment wie gelähmt da. Sein Liebster sollte sich verloben? Aber das ging doch nicht! Er war doch schon mit ihm zusammen! Dann kam ganz langsam wieder die Wirklichkeit in ihm auf. Niemals durfte ihre Beziehung bekannt werden, das würde das Ende von Ludwigs Regentschaft und auch sein Ende bedeuten. Sein Geliebter musste seine Pflicht erfüllen, die jeder König zu erfüllen hatte. Er sollte heiraten und Nachkommen zeugen, wie es Brauch und Sitte war. Einen Moment stiegen Tränen der Verzweiflung in ihm auf, denn er fragte sich innerlich, ob er seinen Geliebten teilen konnte. Konnte er damit leben, mit dem Wissen, dass des Königs Liebe nur ihm gehörte? Aber dass er den Körper dieses Mannes mit einer Frau teilen musste? Richard musste sich beherrschen, um nicht gleich in Tränen auszubrechen, so sehr schmerzten ihn diese Gedanken. Er wusste, wenn sie ihre Beziehung weiterführen wollten, musste sie geheim bleiben. Eine Heirat würde jeden Verdacht auf eine Beziehung mit ihm außer Frage stellen. Tapfer nahm sich der junge Mann zusammen und biss sich auf die Lippen, um die Tränen zurückzuhalten, atmete tief ein, bevor er dann zu sprechen begann.

„Liebster …“, sprach er, getraute er sich doch Ludwig nur dann so zu nennen, wenn sie absolut alleine waren. „Glaub mir, dass mir dieses Thema auch nicht leicht fällt … der Gedanke, dich teilen zu müssen, widerstrebt mir, aber …“, sagte Richard weiter und es brach ihm fast das Herz beim Anblick seines Liebsten. „Aber wir müssen daran denken, dass unsere Beziehung niemals an die Öffentlichkeit gelangen darf. So schön sie auch sein mag, wir dürfen diese Beziehung nicht wie Mann und Frau ausleben. Vielleicht wäre es besser, wenn du dir eine Verlobte nimmst, um unsere Beziehung zu sichern, verstehst du?“ Nach diesen Worten nahm Richard Ludwigs Gesicht in beide Hände und eine salzige Träne kullerte über Richards Wange, die er nun doch nicht mehr zurückhalten konnte: „Oh Ludwig, glaub mir, es fällt mir auch nicht leicht, das zu sagen … Aber wenn du nicht das tust, was man von dir erwartet, dann wird man über dich reden … Dann wird man unsere Beziehung vielleicht entdecken … Dann holen sie dich von mir fort! Willst du das?“, sprach Richard mit zitternder Stimme, während noch eine Träne über seine Wange rollte. Sanft drückte er seinen Liebsten an sich: „Es bringt mich fast um, wenn ich daran denke, dass ich dich mit einer Frau teilen muss. Doch werde ich versuchen stark zu sein, für dich … für uns, weil der Gedanke, dich verlassen zu müssen, mich mehr schmerzt, als dich zu teilen …“, wisperte der junge Stallmeister nun mit tränenerstickter Stimme.

Der Angesprochene seufzte daraufhin schwermütig. Hatte Richard etwa Recht mit dem, was er sagte?

Was würde werden, wenn er sich eine Frau nehmen würde?

Allein der Gedanke daran, mit einer Frau zusammenzusein, widerstrebte dem jungen König, sogar fast genauso wie der Gedanke an Krieg und so gab es auch nur wenige Frauen, denen Ludwig vollste Verehrung entgegenbrachte, doch nie mehr als das.

Zärtlich und ohne ein weiteres Wort strich der Mondkönig, wie Richard ihn oftmals nannte, die Tränen des blonden Leibdieners fort.

„Shhh, weine nicht. Deine Tränen sind zu kostbar … und … noch ist nichts entschieden. Ich muss nachdenken, vor allem auch darüber, was du eben sagtest“, sprach der König von Bayern mit ruhiger Stimme, obwohl ihm bei der momentanen Situation auch eher nach Weinen zumute war. Vorsichtig beugte er sich nun ein Stück vor, küsste erst sanft die Wangen des Stallmeisters, konnte dabei auch den salzigen Geschmack von Richards Tränen schmecken. Es brach dem Monarchen das Herz, wenn sein Richard weinte, ging es dem Leibdiener doch ebenso, wenn Ludwig weinte.

Erneut seufzte der König, suchte aber im nächsten Moment die warmen Lippen des Geliebten und entführte diesen in einen liebevollen Kuss.

„Heute werde ich keine Entscheidung treffen … hab keine Angst. Und egal, was auch sonst geschehen wird, ich werde an unserer Liebe festhalten, denn ich liebe dich von ganzem Herzen“, flüsterte Ludwig seinem Liebsten zu, ließ so auch seinen warmen Atem über die Lippen des jungen Mannes streichen.

„Hilf mir bitte in die lästige Uniform zu kommen …“, bat der König, verdrehte dabei die Augen und lächelte ein wenig gequält, auch um Richard zumindest wieder ein kurzes Lächeln zu entlocken.

Er sollte nicht enttäuscht werden, denn der junge blonde Mann musste wirklich etwas bei den Äußerungen seines Liebsten lachen. Sanft schüttelte Richard den Kopf und seufzte ein wenig. Sein Geliebter und Herr verstand es immer wieder ihn, wenn es ihm schlecht ging, aufzumuntern und ihn zum Lächeln zu bringen. Bedächtig erhob er sich, gab dem jungen Monarchen noch einen liebevollen und zärtlichen Kuss, bevor er sich dann zum Gehen wandte: „Komm, ich hole die Uniform schon einmal heraus“, sprach er, bevor er im anliegendem Schlafzimmer verschwand.

Richard ging zielstrebig vom Schlafzimmer gleich weiter ins Ankleidezimmer, wo sich alle Kleider seines Herrn befanden. Schnell hatte er die verhasste Uniform gefunden und brachte sie ins Schlafzimmer, wo Ludwig bereits wartete. Schweigend half er seinem Herrn in die Uniform, befestigte das Schwert um dessen Hüfte und steckte auch alle Orden und Auszeichnungen an ihren Platz. Als der junge Leibdiener und Stallmeister endlich fertig war, betrachtete er seine Arbeit und nickte zufrieden.

„Du siehst wunderbar aus …“, sagte er bewundernd und seufzte dann wieder etwas traurig. Genau das würden auch alle Frauen denken, die an diesem Abend an dem Ball teilnehmen würden.

Richard ballte seine Hände zu Fäusten, denn dieser Gedanke machte ihn unglaublich eifersüchtig. Ludwig sollte niemandem gehören außer ihm selbst. Die bösen Gedanken waren ihm ins Gesicht geschrieben, denn sein Blick war etwas abwesend und seine Stirn ärgerlich gerunzelt.

Der König schüttelte bei diesem Blick seines Leibdieners und Geliebten den Kopf.

“Mach nicht so ein Gesicht, das steht dir nicht.“

Sanft strich der Monarch mit der nun weiß behandschuhten Hand über die Wange des jungen Stallmeisters.

„Denk einfach an meine Worte. Heute Abend wird nichts entschieden. Genieße du also wenigstens den Abend“, bat Ludwig, während er noch mal kurz einen Blick in den Spiegel warf.

Die Uniform, die ähnlich wie die war, die er zu seiner Krönung getragen hatte, schmückte den schönen König tatsächlich und so bereitete sich Ludwig schon mal darauf vor, dass sicher etliche Damen um ihn herumschwänzeln würden.

„Richard …“ Der Gong der großen Standuhr unterbrach den Adligen und deutete so auch an, dass es langsam Zeit wurde, sich auf den Weg zum Ball zu machen.

„Ich liebe dich …“ fügte Ludwig an, als die Uhr aufgehört hatte, zu schlagen.

Nach einem kurzen liebevollen Kuss und einem erneut etwas gequält anmutendem Lächeln verließ der Bayernkönig seine Gemächer und machte sich auf den Weg durch die langen und mit riesigen Gemälden ausgestatteten Gänge der Residenz. Langsam und ohne Eile führten ihn seine Schritte hin zum großen Fürstensaal, hinein in das Gedränge aus adligen jungen Frauen und Eltern, die alles dafür geben würden, ihre Tochter mit dem König von Bayern verheiratet zu wissen.
 

Richard blieb zurück und seine Knie zitterten. Er glaubte gleich in sich zusammensinken zu müssen, wenn er noch länger stehen blieb, aber anstatt sich zu setzen, verließ er eilig das Gemach seines Herrn. Seine schnellen Schritte führten ihn zu seinem eigenen Zimmer, in das er eintrat und anschließend die Tür schloss und den Schlüssel umdrehte.

Einen Moment blieb er so stehen und er fühlte wieder diese Eifersucht in ihm aufsteigen. Konnte er damit leben? Würde er damit leben können, dass Ludwig sich vielleicht eine Frau nehmen musste? Seufzend schüttelte er den Kopf und kam in Gedanken zu dem Schluss, dass er es nicht wusste.

Müde und auch aufgewühlt schälte er sich aus seiner Arbeitskleidung und kleidete sich wieder in eine leichte schwarze Hose und ein genau so leichtes weißes Hemd, fast die gleiche Kleidung, wie er sie damals in dieser Nacht getragen hatte, als Ludwig und er im Garten spazieren gewesen waren.

Wieder seufzte der junge Stallmeister und legte sich, nachdem er die Decke zurückgeschlagen hatte, ins Bett und kuschelte sich ins Kissen. Er war sehr aufgewühlt und es plagte ihn die Ungewissheit, doch die Müdigkeit siegte, so dass er nach einiger Zeit tief und fest schlief.

Doch dieser Schlaf währte nicht lange, so schien es Richard jedenfalls. Ein hektisches Klopfen weckte ihn auf.

Verschlafen blinzelte er zur Tür, wo Richard das Klopfen ausmachte. Wer konnte das um diese Zeit sein? Denn als er auf die Standuhr sah, gewahrte der junge Mann, dass es schon fast Mitternacht war. Genau diese Tatsache machte ihn misstrauisch. Langsam schwang er seine Beine aus dem Bett und sah wieder zur Tür: „Wer ist da?!“, rief Richard.

Draußen vor der Tür verstummte das Klopfen, als die Stimme aus dem Zimmer hinter der Tür erklang.

Ein großgewachsener Mann in Uniform stand vor der Tür des Dieners und hatte eben wie wild dagegen geklopft.

„Ich bin es Richard, mach bitte die Tür auf …“, sprach niemand anders als der König persönlich durch die geschlossene Holztür hindurch. Nicht allzu laut, denn es musste ja nicht jeder erfahren, dass er hier war. Im Grunde sollte dies wohl auch am besten niemand erfahren, denn was machte schon ein König mitten in der Nacht beim Zimmer seines Leibdieners?

Und tatsächlich öffnete Richard die Tür, denn er hatte die Stimme seines Liebsten erkannt, selbst wenn dieser seinen Namen nicht genannt hatte.

„Was machst du hier?“, fragte der Stallmeister seinen Herrn und Geliebten erstaunt, der eben durch den Türspalt hereingeschlüpft war und die Tür wieder hinter sich geschlossen und auch den Schlüssel im Schloss umgedreht hatte.

Ludwig schüttelte sich etwas, wie um eine Erinnerung abzuschütteln.

„Was ich hier mache? Geflüchtet bin ich … ich war schon zu lang auf diesem Fest“, stellte er genervt fest, warf die eben ausgezogenen Handschuhe auf den Holztisch in Richards Zimmer.

Auch den Gürtel mit dem Schwert nahm er von seiner Hüfte und legte diesen auf den im Raum befindlichen Stuhl.

„Hier wird mich zumindest niemand suchen, überall anders wäre ich mir da nicht so sicher gewesen“, bemerkte Ludwig seufzend.

„Ich hätte schon viel früher gehen sollen, es war nämlich einfach nur grauenhaft. Keine Minute hatte man einfach Zeit für sich. Immerzu war jemand um einen herum. Und immerzu hat meine werte Mutter darauf gedrängt, mit diesem oder jenem Mädchen zu tanzen oder mich zu unterhalten. Da blieb ja fast nur die Flucht … zumal mir dieser ganze Abend Kopfschmerzen bereitet hat …“

Mit diesen Worten ließ sich der junge Monarch auf das Bett seines Liebsten niedersinken und streckte eine Hand in Richtung des blonden jungen Mannes aus, als Zeichen, dass er zu ihm kommen sollte.

Richard schüttelte seufzend den Kopf, als er den Schilderungen seines Liebsten lauschte. Wenn er sich das bildlich vorstellte, schauderte es selbst ihn. Es würde ihn umbringen, ständig von irgendwelchen jungen Frauen umschwärmt zu werden, besonders so eine Frau, die wie ein Wasserfall reden konnte.

„Warte …“, sprach Richard und ging an seine Kommode, öffnete die zweite Schublade von oben und holte ein kleines Beutelchen hervor. Er goss frisches kaltes Wasser in einen Becher und streute eine Art Pulver aus dem Beutelchen hinein. Anschließend brachte er seinem Liebsten das Gefäß: „Trink das, das ist von meiner geliebten Mutter …“, sagte er und in seiner Stimme schwang der Stolz und die Bewunderung mit, die er seiner Mutter entgegenbrachte.

„Man könnte sie eine Hexe nennen, aber sie kennt sich mit Kräutern gut aus, diese Kräutermischung, getrocknet und dann zu Pulver verarbeitet, hilft gegen Schmerzen, auch gegen Kopfschmerzen“, erklärte der junge Mann.

Lächelnd beobachtete Richard, wie sein Liebster die angebotene Medizin trank, während er sich neben ihn auf das Bett niederließ. Sie schmeckte nicht besonders gut, das wusste der junge Stallmeister, hatte er es selbst doch schon so oft getrunken, wenn er Kopfschmerzen oder dergleichen gehabt hatte.

„Ich hoffe, es hilft dir“, fügte er hinzu und schenkte seinem Herrn ein sanftes Lächeln.

Dieser setzte grad in diesem Moment den Becher ab und blickte Richard mit einem Gesicht an, das verriet, dass die Medizin wirklich furchtbar geschmeckt hatte.

„Das hoffe ich auch, dass sie hilft. Schmeckt ja scheußlich …“

Erneut schüttelte sich der König, diesmal aber aufgrund des bitteren Geschmacks der Medizin.

Kurz darauf erhob er sich und ging zu der Kommode und stellte dort seinen Becher ab. Danach ließ er seinen Blick wieder zu seinem Liebsten schweifen und schaute diesen scheinbar ein wenig verlegen an.

„Kann … ich heute Nacht hier bei dir bleiben und schlafen?“, fragte Ludwig, nachdem er vorher durchaus gezögert und überlegt hatte, ob er diese Frage stellen sollte.

Der junge blonde Mann sah einen Moment erstaunt drein, denn er hätte mit so einer Bitte nicht gerechnet. Ludwig war zwar in manchen Dingen wie ein normaler Bürger Bayerns, aber es gab gewisse andere Dinge, die ihn zum König machten. Sein Geliebter liebte prächtige Zimmer und seines war bestimmt nicht prächtig, wenn er an das Schlafzimmer seines Herrn dachte. Dennoch lächelte er sanft und nickte: „Wie du wünschst … Vielleicht bist du hier sicher vor diesen hyänengleichen Frauen“, sagte er amüsiert und schmiegte sich nach seinen Worten in seine Arme.

Das erste Mal heute Abend kam ein ehrliches Lachen über die Lippen des jungen Königs als er hörte, was sein Geliebter da sagte.

„Wie recht du hast Richard …“, erwiderte er und schnappte sich im nächsten Moment den blonden Stallmeister, hob ihn von den Füßen und trug ihn hin zum Bett. Lächelnd legte er Richard vorsichtig darauf und deutete ihm an, dass er liegen bleiben sollte.

Er selber entledigte sich im nächsten Moment der Uniformjacke und der langen Stiefel, knöpfte das Hemd ein wenig auf und krabbelte dann zu Richard unter die Decke.

„Sehr viel besser so, lange nicht so unbequem …“, erklärte der junge König, der nun seinen Liebsten wieder in seine Arme gezogen hatte und diesem zufrieden seufzend über den Rücken streichelte.

„Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein …“

Ludwig liebte es, mit Zitaten aus literarischen Werken zu spielen und gerade hatte er es, der Situation angepasst, erneut getan.

“Goethe …“, ergänzte er seine Ausführung und erklärte, wen er zitiert hatte.

Während er gesprochen hatte, hatte der junge Monarch die Augen geschlossen und nun war auch ein Gähnen von Seiten Ludwigs zu hören.

Richard hörte gespannt zu, denn er selbst las doch so gerne, kam aber fast nie dazu, weil er so viel zu tun hatte.

Seine Augen wurden ganz groß, wie die eines Kindes.

„Goethe?“, fragte der junge Mann: „Ich lese so gerne, aber ich habe kaum Zeit. Außerdem habe ich auch nicht die Zeit, überhaupt in eine Bibliothek zu gehen, um mir ein Buch auszuleihen“, sagte er und ein trauriges Lächeln schlich sich auf seine Lippen.

Von diesem Lächeln sah der junge König allerdings nicht viel, denn er hatte es sich mittlerweile in dem Bett wirklich bequem gemacht, hatte die Decke noch ein Stück höher gezogen und war vor lauter Müdigkeit schon halb eingedöst.

Dennoch hatte er vernommen, was sein Liebster gesagt hatte.

Halb schlafend ging er noch auf das Gesagte ein.

“Du kannst gerne einmal mitkommen, wenn ich in meine Bibliothek gehe, was, denke ich, in spätestens zwei Tagen der Fall sein wird. Ich habe nur noch Wilhelm Tell und Iphigenie auf Tauris zu lesen in meinem Gemach.“ Erneut gähnte der junge Adlige und drückte seinen Liebsten ein wenig fester an sich.

“Dann kannst du dir ausleihen, was du gerne lesen möchtest …“, fügte er an, küsste dann noch einmal die Stirn des Leibdieners.

Von der Freude Richards darüber bekam der König nichts mehr mit. Die Müdigkeit und der Stress des ganzen Tages forderten ihren Tribut und ließen den Bayernkönig ins Land der Träume versinken.

Richard bemerkte zuerst gar nichts davon, dass sein Liebster bereits eingeschlafen war.

„Oh danke! Das ist einfach wunderbar! Ich wollte schon lange wieder lesen!“, sprach er voller Freude, doch als er keine Antwort bekam und hoch sah, gewahrte er, dass Ludwig bereits eingeschlafen war. Sanft lächelnd schmiegte er sich an seinen Liebsten und schlief dann alsbald friedlich in seinen Armen ein.
 


 

19. Januar 1867
 

Heute führte mich mein Weg nach Schloss Possenhofen, wo ich eigentlich meiner verehrten Cousine Sisi einen Besuch abstatten wollte.

Wie sich herausstellte war sie, entgegen meinen Informationen, nicht mehr dort.

Stattdessen habe ich mich ein wenig mit meinem Cousin Gackel unterhalten.

Wir redeten ein wenig über Sisi, kamen dann aber auf meine Cousine Sophie Charlotte zu sprechen.

Mein Cousin fragte mich, ob ich sie nicht einmal in die Oper ausführen wolle und erzählte mir, dass sie für mich schwärmen würde.

Dies scheinen einige Frauen zu tun, doch eigentlich weiss ich, dass ich keiner je mein Herz schenken könnte.

Dennoch werde ich Sophie morgen Abend ausführen, auch damit meine Mutter endlich ein wenig Ruhe gibt mit ihrem Gerede von Treffen mit jungen Damen, Verlobung und Hochzeit.

Wer weiss, was der Abend bringt!?
 

Ludwig
 

Nachdenklich hatte der Bayernkönig diesen Eintrag seines Tagebuchs gelesen. Die nächsten Seiten überflog er nur, um schließlich auf der nächsten leeren Seite anzugelangen.

Langsam und diesmal eher widerwillig nahm er seine Schreibfeder und tunkte diese in das goldene Tintenfässchen zu seiner Rechten.

Das, was er nun seinem Tagebuch anvertraute, würde er nachher auch noch Richard mitteilen müssen, und schon jetzt fragte sich der junge Adlige, wie er nur hatte so dumm sein können.
 

23. Januar 1867
 

Jeder sucht sich den Weg zum Abgrund selber. Und ich habe ihn mir wohl gestern Abend gesucht.

Wie konnte ich es nur soweit kommen lassen? Wie habe ich mich so drängen lassen können, von meiner Mutter, von der Öffentlichkeit?

Gestern Abend habe ich mich mit Sophie verlobt.

Dabei liebe ich sie doch nicht einmal.

Das einzige, was wir teilen, ist die Liebe zur Musik, zu den Opern von Wagner und zur Natur.

Warum wird von mir erwartet eine Frau zu heiraten, die ich nicht liebe, und mit ihr Kinder zu zeugen?

Doch nun ist es zu spät, ich hätte es niemals aussprechen dürfen.

Wie soll es nur werden? Nach dem 25. August, wenn ich verheiratet sein werde?

Ich muss hinaus, ich muss es IHM beichten …
 

Schwermütig seufzend legte Ludwig die Schreibfeder fort und klappte sein Tagebuch zu, nachdem die Tinte getrocknet war. Danach verstaute er das Buch in einer Schublade, welche er verschließen konnte.

„Was Richard wohl sagen wird? Wahrscheinlich, was für ein Riesendummkopf ich bin …“, murmelte der junge Mann und erhob sich von seinem Stuhl.

Ihm war fast schlecht bei dem Gedanken, Richard nun sagen zu müssen, dass er sich verlobt hatte.

War es nicht wie Verrat an ihm? Wie ein Verrat ihrer Liebe?

All diese Gedanken schossen Ludwig durch den Kopf, als er sich aus seinem Gemach einen Mantel, seine Reitstiefel, Reithandschuhe und seinen Hut holte und auch alles anzog.

Ohne weiter auf irgendjemanden zu achten, führte der Weg des Königs in den Stall, wo er Richard wie vermutet vorfand.

Dieser verbeugte sich sofort, als er seinen König und Geliebten sah, wie es sich eben in Gegenwart anderer Personen gehörte.

„Majestät … wollt Ihr ausreiten?“, fragte der junge Stallmeister, woraufhin er lediglich ein ernstes Nicken seines Herrn bekam. Irgendetwas stimmte nicht mit seinem Geliebten, das fühlte der blonde Diener und doch fragte er nicht nach, sondern begann einmal das Pferd des Königs und eines für sich selbst zu satteln.

Da dies alles geübte Handgriffe waren, brauchte Richard nicht allzu lang dafür und so ritten sie kurze Zeit später schon schweigend nebeneinander her.

Da nun niemand um sie herum war, wagte Richard nun Ludwig anzusprechen.

„Liebster, was ist los? Du wirkst so … nachdenklich oder bedrückt“, bemerkte er.

Ludwig seufzte erneut, deutete Richard mit einer Handbewegung an, dass er ihm auf die Wiese dort folgen sollte. Er selber lenkte seinen Rappen ebenfalls in diese Richtung.

Es war eine nicht allzu lange Strecke, dennoch trieb Ludwig sein Pferd noch einmal zum Galopp an, auch um selber den Kopf ein wenig frei zu bekommen, was allerdings nur sehr schwer möglich war.

Immer noch wortlos stieg der junge König, auf der Wiese angekommen, von seinem Ross ab, nahm die Zügel in die Hand und führte das edle Tier zu einem Baum, wo er die Zügel befestigte.

Die ganze Zeit über konnte er deutlich Richards Blick in seinem Nacken spüren, ein fragender und auch besorgter Blick.

Und prompt kam auch noch mal die Bestätigung dieses Gefühls in Worten.

„Ludwig, was ist los?“, fragte der Stallmeister, dem dieses Schweigen und die Ungewissheit langsam auf eine gewisse Art unangenehm wurden.

Der Bayernkönig war unterdessen zu einem kleinen Teich gegangen, der inmitten der Wiese war und hatte begonnen, einige Steine auf das gefrorene Wasser des Teichs zu werfen.

Als Richard ihn ansprach, drehte er sich wieder zu ihm um, zog den Pelzkragen seines Mantels ein wenig zurecht, und holte dann tief Luft.

„Richard … du weißt doch, dass ich gestern Abend noch einmal mit Sophie in der Oper war!?“

Nach einem bestätigenden Nicken seines Liebsten versuchte der König weiterzuerklären.

„Du hast vor einer Woche etwa zu mir gesagt, dass ich mir vielleicht besser eine Verlobte nehmen solle, damit unsere Beziehung gesichert ist. Das … habe ich getan. Ich … habe mich gestern Abend mit Sophie verlobt …“, flüsterte der Monarch fast nur noch, geknickt und nicht glücklich, wie man beim Überbringen so einer Nachricht eigentlich sein sollte.

Der junge blonde Stallmeister trat erschrocken einen Schritt zurück. Er selbst hatte es seinem Geliebten vor einer Woche geraten, doch nun, da Ludwig das getan hatte, was Richard an jenem Tag als Tarnung ihrer Beziehung vorgeschlagen hatte, war es ihm, als bräche sein Herz im selben Moment entzwei. Pure Eifersucht stieg in ihm auf, genauso wie der bereits angelegte Hass auf Sophie, Ludwigs Cousine.

Er biss sich einen Moment auf die Lippen und ballte die Hände zu Fäusten. In ihm stiegen Tränen auf, die er krampfhaft versuchte runterzuschlucken, doch es gelang ihm nicht. Warme Tränen bahnten sich ihren Weg über seine Wangen und als sein Liebster einen Schritt auf ihn zu machte, wohl um ihn in seine Arme zu nehmen, schüttelte er energisch den Kopf. Der junge Stallmeister zitterte am ganzen Leib. Es schien ihm, als wäre es noch kälter geworden, als es bereits war und nur flüchtig bemerkte er, dass es begonnen hatte, dicke Flocken zu schneien.

„Nein …“, wisperte Richard leise, mit tränenerstickter Stimme.

„Das kannst du nicht tun …“, fuhr er fort und schüttelte dabei wieder den Kopf.

„Ich kann das nicht …Ich kann dich nicht teilen. Ich kann nicht!“

Richard schrie am Schluss fast, so wütend machte ihn der Gedanke, Ludwig teilen zu müssen. Ohne zu überlegen wich er seinem Liebsten weiter aus und ging mit großen eiligen Schritten zu seinem Pferd, stieg auf und sah noch einmal zu Ludwig, der ihn mit bittendem Gesichtsausdruck ansah.

„Ich kann nicht … Es tut mir leid …“, sprach Richard und mit diesen Worten ritt er davon.

Zurück blieb ein König, der in diesem Moment so gar nicht mehr königlich wirkte.

Dass Richard weinte und so dachte, machte die ganze Sache nicht unbedingt erträglich.

Und auch, dass er einfach fortgeritten war, ohne sich auch nur irgendeine Art von ‚Antwort’ anzuhören, deprimierte Ludwig.

Wie hatte er sich denn auch nur ausmalen können, dass alles beim Alten bleiben würde?

Er könnte es doch selbst ebenso wenig: ruhig bleiben und darüber hinwegsehen, wenn Richard sich nun verloben würde.

Richard war schon lange nicht mehr zu sehen, seine Gestalt war im heftiger werdenden Schneegestöber verschwunden, in dem Ludwig stand.

Mantel und Hut waren schon mit einzelnen Schneeflocken bedeckt, während sein warmer Atem kleine Wölkchen bildete angesichts der herrschenden Kälte.

Das Einzige, was dem König im Moment warm vorkam, waren die salzigen Tränen, die sich langsam ihren Weg hinab über seine Wangen suchten.

Wie sollte es weitergehen? Hatte er Richard verloren? Wegen einer Frau, die er nicht einmal liebte, sondern nur ehelichen wollte, weil es von ihm als König seines Landes verlangt wurde?

Langsam schwankte der Monarch zu dem Baum, an dem sein Pferd angebunden war und lehnte sich mit einem Arm gegen den Stamm der alten Eiche. Seine Stirn stützte er gegen seinen Arm.

Ein leises und verzweifeltes Schluchzen kam über Ludwigs Lippen, der sich einsamer fühlte als jemals zuvor in seinem Leben.

„Was habe ich nur getan? Wie konnte ich nur so töricht sein?“

Richard war in der Zwischenzeit einfach weitergeritten, ohne je einen Blick zurückzuwerfen. Immer weiter trieb er sein Pferd in den Schneesturm hinein. Obwohl er selbst bald nichts mehr sehen konnte und das Tier sicherlich auch nicht, machte er nicht Halt, um umzukehren.

Wie hatte das geschehen können? Warum war sein Geliebter nun verlobt?

Verzweifelt schüttelte er den Kopf, während Wind und dicke Schneeflocken in sein Gesicht peitschten. Er selbst war schuld, er hatte es ihm vorgeschlagen und nun? Nun hatte er keinen Platz mehr in Ludwigs Leben. Vielleicht würde es besser sein, wenn er seine Anstellung kündigte; denn er würde es nicht ertragen, wenn er zusehen müsste, wie Ludwig mit seiner Verlobten spazieren oder in die Oper gehen würde.

Der junge Stallmeister war so vertieft in seine Gedanken, dass er nicht einmal merkte, wie kalt es geworden war und wie heftig der Schneesturm tobte. Erst als das Pferd plötzlich ängstlich wieherte, riss ihn das aus seinen Überlegungen und seinem Schmerz, auf den gleich danach ein anderer folgte.

Das Pferd rutschte nämlich auf dem glatten Boden aus und durch die hohe Geschwindigkeit, mit der es lief, stürzte es zu Boden. Richard hatte es nicht mehr geschafft, das Pferd zum Stehen zu bringen, sodass er mit dem Tier zu Boden ging und ihn eisige Schwärze umfing, als er das Bewusstsein verlor.
 

Er hörte Stimmen und auch wie Geschirr klapperte, aber der junge Stallmeister schaffte es nicht, die Augen zu öffnen, um zu sehen, woher die Geräusche kamen und wer sie verursachte.

Richard tappte in der Dunkelheit und er fror erbärmlich. Er konnte sich auch nicht bewegen, weder seine Hände oder Finger, noch seine Beine, Füße oder Zehen, doch weiter darüber nachzudenken gelang ihm nicht; denn wieder umfing ihn diese nun warme Schwärze.
 

Als Richard zum zweiten Mal erwachte, kribbelte es in allen Gliedmassen und er hatte das Gefühl, als würden ihn tausend Nadeln überall stechen. Dieses Mal schaffte er es aber, die Augen langsam zu öffnen, um zu sehen, wo er überhaupt war, denn als letztes konnte er sich nur noch daran erinnern, wie er gestürzt war.

Langsam klärte sich die Schwärze und nahm Konturen an. Als Erstes erblickte er eine hölzerne Decke, mit ebenso aus Holz gefertigten Balken, die wiederum mit Schnitzereien verziert waren. Nur mühsam und durch seinen starken Willen gelang es ihm, den Kopf etwas zu drehen, um sich weiter umzusehen.

Das meiste, was er sah, war aus Holz, kunstvoll mit Schnitzereien verziert, aber dennoch einfach eingerichtet, sodass er zu dem Schluss kam, irgendwo bei einem einfachen Bürger untergekommen zu sein. Er sah einen Stuhl in der Ecke und eine kleine Kommode, auf dem zwei oder sogar drei Schüsseln standen. Von daher kamen also die Geräusche, die er zuvor vernommen hatte.

Als er sich aufrichten wollte, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz im Rücken und auch einer im Bein, sodass ihm ein Schmerzenslaut entfuhr. Plötzlich spürte er, wie warme Hände ihn umfingen und ihn sanft wieder ins Bett drückten, sodass die Schmerzen auch langsam wieder nachließen.

Die Hände, die Richard eben gespürt hatte, waren die einer Magd, die den jungen Mann wieder ins Bett drückte.

„Bleibn Sie liagn, Sie san verletzt“, bat die junge Frau, die im nächsten Moment auch die Decken wieder ein wenig höher zog, die Richard bedeckten. Gerade als diese zu Ende gesprochen hatte, öffnete sich die Tür und eine Frau trat ein.

An ihrer Kleidung konnte Richard erkennen, dass sie bestimmt höher gestellt war, als die Magd, denn sie trug feinere Stoffe und eine leichte Goldkette um ihren Hals. Gleich hinter dieser Frau trat ein Mann ein, der ebenfalls eher höher gestellt war, was man wiederum an seiner Kleidung erkannte. Die Frau, die eingetreten war, eilte sogleich an sein Bett, als sie sah, dass der junge Mann seine Augen geöffnet hatte.

„Lisl mach Platz! Hol liaba frisches Wossa und neis Verbandszeigs ois hia dumm rum zustehn!“, herrschte die Frau ihre Magd an, die sogleich mit eiligen Schritten verschwand.

Als die Magd an ihr vorbei war, trat die Bäuerin an das Bett heran und blickte zu Richard hinab.

„Mia hattn uns schon Soagn gemacht, Sie würdn gar ned wieda aufwachn, nachdem mein Mann Sie gstern gefundn hod!“, erklärte die Frau, die mit einem starken bayrischen Dialekt sprach. Ihr Mann nickte mit ernster Miene.

“ Sie lagn im Schnee. Ihr Pferd hod nebn ihna gstandn.“, erläuterte der Bauer, wie er den blonden jungen Mann vorgefunden hatte.

„Sie komma aus dem königlichn Palost, gell?“, fragte die Bäuerin ganz unverblümt, sie hatte schließlich die edle und unverkennbare Uniform gesehen.

„Anna, loss den Herrn doch erst oamoi richtig wach werdn!“, herrschte der Bauer seine Frau an, die ein wenig beleidigt den Mund verzog.

„Wia is ibahaupt Ihr Name?“, fügte Anna an, als wolle sie ihren Mann nun ein wenig ärgern.

Richard brauchte tatsächlich ein wenig, um alles aufzunehmen, was um ihn herum war. Er war also gestürzt und dieser Mann hatte ihn gefunden und ihn mit sich nach Hause genommen.

Bevor er eine Antwort auf die Frage der Bäuerin namens Anna gab, blinzelte er nochmals kurz.

„Mein Name ist Richard Hornig. Ich bin der königliche Stallmeister … und der Leibdiener Seiner Majestät.“, antwortete er, wobei allein beim Gedanken an Ludwig ein Schmerz seine Brust durchfuhr, der nicht körperlicher Natur war. Der junge Mann hatte keinesfalls vergessen, warum er gestern davon geritten war, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her.

Während Richard kurz in Gedanken war, machten die beiden Bauersleute große Augen.

„Der königliche Stallmeista? Dann soitn mia wohl oan Knecht zum Palost schickn und a Nachricht bringn, dass Herr Hornig hia is, oda Johann?“, fragte Anna leise in Richtung ihres Mannes, welcher darüber nachzudenken schien und nach kurzer Zeit bedächtig den Kopf zu schütteln begann.

„I werde selba gehn und Bescheid gebn. Es schneit aa ned mehr so stark, da konn i oa Pferd nehma.“,meinte dieser.

Richard lächelte dankbar, hatte er doch ihr Gespräch mit verfolgt: „Vielen Dank, das ist sehr freundlich. Die Leute im Palast machen sich bestimmt schon Sorgen um mich …“, meinte er und lächelte etwas traurig.

Schon wieder glitten seine Gedanken zu Ludwig, doch der Schmerz seiner zugezogenen Wunden schmerzten in dem Moment fast noch mehr, als die Wunden seines Herzens.

„Ich bin Ihnen etwas schuldig“, fügte der junge Stallmeister mit einem nun etwas heiterem Lächeln hinzu, obwohl man ihm am Gesichtsausdruck ansehen konnte, dass er Schmerzen hatte.

Anna nickte, mit einem gutmütigen Lächeln auf den Lippen.

„Ja, san Sie. Nämli, dass Sie gsund werdn!“

Mit diesen Worten trat sie etwas vom Bett zurück, denn die Magd Lisl trat gerade mit neuem Verbandszeug und frischem Wasser ein.

„Lisl wird si um Sie kümmern. Und i werde ihna glei aa etwos zua essn bringn.“

Mit einem Nicken in Richards Richtung und einem mahnenden Blick in Richtung Lisl, das sie sich auch ja gut um ihn kümmern sollte, verabschiedeten sich die Bauersleute erst einmal.
 

Wieder einmal hallten schnelle Schritte durch die Gänge der Münchner Residenz. Des Königs Adjutant war gerade mit eiligen Schritten auf dem Weg zum Arbeitszimmer seines Herrn. Als er dort angekommen war, klopfte er außer Atem an und wartete, bis er hereingebeten wurde. Erst danach trat er ein und verbeugte sich vor seinem Herrn und Freund.

Der König hatte schon ungeduldig auf eine Nachricht gewartet, war doch sein Stallmeister und Leibdiener vor zwei Tagen verschwunden. Nun ruhte sein Blick traurig aber dennoch hoffend auf seinem Freund: „Alexander, was gibt es? Irgendwelche Neuigkeiten?“, fragte er. Alexander musste zuerst einmal zu Atem kommen, denn er war zum Arbeitszimmer von Ludwig gerannt. Nachdem er einige Male tief ein- und ausgeatmet hatte, begann er zu sprechen.

„Draußen ist ein Bauer. Er ist extra selbst hergekommen, weil es so wichtig ist. Herr Hornig ist bei ihm. Er hat ihn am Boden im Schnee gefunden, nicht unweit seines Hauses“, erklärte er.

Ludwigs Augen weiteten sich erschrocken und er erhob sich sofort von seinem Stuhl: „Bring den Bauer bitte zu mir, ich möchte selbst mit ihm reden“, bat er. Alexander nickte und verschwand einen Moment. In dieser Zeit sah Ludwig betroffen aus dem Fenster. Wieder tanzten einige Schneeflocken im Wind zu Boden und es war kälter geworden. Warum war er Richard nicht nachgeritten?

Nach einiger Zeit klopfte es erneut und wieder bat der Bayernkönig herein. Diesmal trat wieder sein Freund Alexander von Dürckheim ein, aber auch ein Mann, dem man ansah, dass er nicht vom Hofe, aber dennoch nicht einer von jenen ‚armen’ Bauern war.

Dieser verbeugte sich sofort sehr tief vor seinem König, hatte er doch nicht erwartet, dass er Seine Majestät persönlich zu Gesicht bekommen würde.

Ludwig trat an seinem Schreibtisch vorbei und deutete mit einem kurzen Wink seiner Hand an, dass der Bauer bequem stehen sollte.

„Mein Adjutant berichtete mir, dass du meinen Leibdiener gefunden hast. Was ist mit ihm?“, fragte der König und versuchte dabei, nicht allzu aufgeregt und besorgt zu klingen.

„Ja, i hob Eurn Leibdiena gefundn Majestät. A log im Schnee, war von seiem Pferd gstürzt und verletzt.

Es hod lange gedauert, bis a ibahaupt wach war und uns sagn konnte, wer a is.

Meine Frau kümmert si in meinem Heim um ihn“, erklärte der Bauer und verbeugte sich ehrfürchtig noch mal ganz leicht vor seinem König, war er sich doch selber auch nicht sicher, ob er nicht schon zuviel geredet hatte.

Ludwig schluckte währenddessen schwer wegen dieser Nachricht. Es hätte zwar schlimmer kommen können und Richard wäre nicht gefunden worden, dennoch machte der Bayernkönig sich Vorwürfe, dass er ihm nicht nachgeritten war.

Ohne lange zu überlegen, hatte er deshalb auch einen Entschluss gefasst.

“Dürckheim? Ich möchte dich bitten, eine Kutsche bereitmachen zu lassen, die Richard abholt und hierher bringt. Außerdem soll ein Arzt gerufen werden!“

Dies waren die Befehle an seinen Adjutanten und nun wandte sich Ludwig dem Bauern zu.

„Wie ist dein Name?“, fragte er ihn.

„Johann Florschütz, Majestät …“, stellte sich der Bauer vor und nickte erneut demütig.

Der Monarch nickte ebenfalls und blickte dann wieder in Richtung seines langjährigen Freundes.

„Ich möchte, dass Herr Florschütz für seine Dienste belohnt wird. Ich werde mir über die Summe der Entlöhnung noch Gedanken machen. Und nun geh bitte und lass alles bereit machen“

Mit diesen Worten entließ der Bayernkönig seinen Adjutanten und auch den Bauern Florschütz, der sich eifrig dafür bedankte, entlohnt zu werden.
 

Der Adjutant hatte sofort alles in die Wege geleitet, was sein Herr ihm aufgetragen hatte. So verging auch nicht viel Zeit bis er mit dem Bauer in der Kutsche saß und sich zu seinem Haus fahren ließ. Dort angekommen erspähte Alexander ein großes Haus, bäuerlich und doch unglaublich schön. Es war eine Mischung aus Holz und Stein, mit Malereien über jeder Tür und jedem Fenster.

„Komma Sie Graf Dürckheim, hia entlang“, bat der Bauer und führte den Grafen hinein. Drinnen war es behaglich warm und es bot sich ihm das gleiche Bild wie draußen schon. Das meiste, was Alexander sah, war aus Holz und wundervoll verziert, also hatte er mit der Annahme nicht falsch gelegen, dass es keine arme Bauernfamilie war.

Der freundliche Bauer führte ihn eine hölzerne Treppe hinauf in den ersten Stock. Dort öffnete er eine ebenfalls hölzerne Tür und betrat mit dem Adjutanten ein einfaches und doch gemütliches Zimmer.

In einem Schaukelstuhl saß die Bäuerin Anna und strickte, während sie sich scheinbar gerade mit dem immer noch im Bett befindlichen Richard unterhalten hatte.

Als jedoch die beiden Herren eingetreten waren, war das Gespräch verstummt und Anna hatte sich von ihrem Schaukelstuhl erhoben und verbeugte sich leicht vor Graf Dürckheim.

„Sie komma sicha um Herrn Hornig obzuholn, gell? A soite aa dringend nochmoi von am Arzt ogesehen werdn. A klogt iba Schmerzn“, erklärte die Bäuerin und blickte dabei von Graf Dürckheim zu Richard und wieder zurück.

Der junge Stallmeister sah zu dem Adjutanten und ein trauriges Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Es war klar, dass Ludwig ihn geschickt hatte und eigentlich sollte er sich freuen, doch wieder spürte er einen leichten Schmerz in seiner Brust.

„Graf Dürckheim …“, sprach er mit etwas zitternden Lippen, denn er war schon wieder so unglaublich müde. „Ihr kommt bestimmt, um mich abzuholen, oder?“

Der Graf nickte und lächelte sanft: „Ja, Seine Majestät hat mich persönlich geschickt, um Euch zurück in den Palast zu holen … Können Sie überhaupt gehen?“, fragte er besorgt.

Richard richtete sich etwas auf und sofort entfuhr ihm ein Schmerzenslaut. Graf Dürckheim schüttelte den Kopf: „Herr Florschütz? Bitte helfen Sie mir, Herrn Hornig zur Kutsche zu bringen ja?“, bat der junge braunhaarige Mann.

„Aba selbstverständli, Graf Dürckheim!“

Der Bauer ging zusammen mit dem Graf auf das Bett zu und langsam zogen sie den jungen Stallmeister auf die Füße. Je einer legte sich einen Arm des jungen Mannes über seine Schulter. So gingen sie ganz langsam aus dem Zimmer, die Treppe hinab, wo Richard fast vor Schmerzen weinte, und schließlich aus dem Haus hinaus zur Kutsche. Bevor er aber einstieg, drehte er sich zur Bauernfamilie um: „Ich wollte mich noch einmal bedanken, ich stehe bei Ihnen tief in der Schuld für alles, was Sie für mich getan haben.“

„Des war selbsterverständli, dass mia Ihna geholfa hobn, Herr Hornig. Mia san froh wenn Sie bald wieda gsund werdn“, sagte Anna und nickte ihm noch zu.

„Ich werde mich bei Ihnen wieder melden“, versprach Richard, bevor er dann mit Hilfe von Graf Dürckheim und dem Bauer in die Kutsche stieg.

Als die Kutsche losfuhr, winkte er den Bauersleuten noch zu, die zurückwinkten.

„Wenn wir im Palast sind, wird man sich um Sie kümmern. Seine Majestät hat bereits einen Arzt gerufen“, sagte Alexander zu Richard.

- Also hat er das alles bereits veranlasst … Er macht sich Sorgen, dachte der junge Stallmeister im Stillen, nickte, da er verstanden hatte, und seufzte leise. Während der Fahrt wechselten sie kein weiteres Wort, denn keiner von beiden wusste so recht, was er sagen sollte. Der Freund des Königs, der gleichsam sein Adjutant war, spürte, dass etwas nicht stimmte, aber er wusste auch, dass er sich nicht einmischen durfte.

Als sie beim Palast ankamen, wurde sofort die Tür geöffnet. Der Arzt stand bereits da und auch einige Diener. Richard war etwas erstaunt.

Ludwig hatte wirklich alles bereits vorbereitet.

„Herr Hornig ist verletzt, helft ihm beim Gehen und seid vorsichtig!“, befahl Dürckheim.

Man half dem jungen Stallmeister aus der Kutsche und nun hielten ihn fast vier Mann fest und halfen ihm beim Laufen, sodass er nun eine bessere Stütze hatte. Sie waren fast beim Eingang zum Palast, als Richard aufsah und in die Augen seines Herrn und Liebsten blickte. Alle blieben stehen: der Arzt, die Diener, Graf Dürckheim und auch Richard blieb für einen Moment stehen und blickte Ludwig wie gebannt in die Augen.

Der König hatte schon eine geraume Zeit hier vorne im Eingangsbereich der Residenz gewartet und nun, im entscheidenden Moment, wusste er nicht wirklich, was er sagen wollte.

Natürlich war er überaus erleichtert und froh, dass Richard wieder da war. Am liebsten wäre er nun zu ihm geeilt, hätte ihn in die Arme geschlossen und ihn geküsst; doch genau dies konnte er im Beisein dieser ganzen Personen nicht tun.

Allein sein Blick schien auszudrücken, was in seinem Inneren vorging und wie sich der junge Bayernkönig fühlte.

Sie standen sicher eine Minute so da, die Diener, Graf Dürckheim und der Arzt, wartend, ehe Ludwig sich kurz räusperte.

“Bringt ihn in sein Gemach …“
 

Dies war das Einzige, was Ludwig sagte, dann gab er einen kurzen Wink und wartete, bis man mit Richard an ihm vorbei war, ehe er sich diesem Zug anschloss.

Richard hatte Ludwigs Blick sehr wohl gesehen und einen Moment hatte sein Herz schneller geschlagen, doch es war im gleichen Moment wieder von Schmerz erfüllt.

- Nichts hat er gesagt … Nicht einmal, wie schön es ist, dass ich wieder da bin …-, dachte Richard traurig.

Er wurde in sein Zimmer gebracht und zuerst einmal gewaschen, untersucht und schließlich neu eingekleidet.

Richard musste die Untersuchung über sich ergehen lassen, obwohl sie ihm sehr Schmerzen bereitete, denn der Arzt war nicht unbedingt sanft.

Als schließlich die Untersuchungen vorbei waren und er im Bett lag, seufzte er zufrieden und sah zu Ludwig, der erst gerade eben eingetreten war und nun mit dem Arzt sprach.

„Wie geht es ihm?“, fragte der König mit einem Blick auf Richard. Er hatte sich eben kein Stück von der Tür wegbewegt, auch nicht als sein Freund Alexander von Dürckheim ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, dass er heute Abend noch ein Diner mit Sophie hatte.

Er hatte Dürckheim lediglich mit auf den Weg gegeben, dass er es absagen solle, er solle sich irgendeine plausibel klingende Ausrede ausdenken.

Der Arzt verbeugte sich nun leicht, als der König ihn auf den Zustand seines Stallmeisters und Leibdieners ansprach.

„Majestät …“, begann er: „Herr Hornig hat einige schlimme Prellungen erlitten und wie mir scheint, ist etwas mit dem Rücken, was ich zu diesem Zeitpunkt nicht genau sagen kann. Des Weiteren hat er Fieber und sich eine Erkältung geholt. Kein Wunder, wenn er so lange im Schnee gelegen hat.“

Der Bayernkönig seufzte aufgrund dieser Diagnose, denn er fühlte sich schuldig, dass Richard so etwas zugestoßen war.

„Verstehe … Sie haben ihm etwas gegen die Schmerzen gegeben? Und gegen die Erkältung?“, fragte Ludwig kritisch, woraufhin der Arzt nickte.

„Ja Majestät, ich habe ihm alles verabreicht und ihm auch gesagt, was und wie viel er nehmen darf, wenn er Schmerzen hat“, erklärte der Arzt, der nun auch seine Brille wieder ein wenig weiter auf die Nase schob.

Mit dieser Antwort war Ludwig zufrieden und befand, dass er den Arzt nun entlassen konnte.

„Danke, falls irgendetwas ist, wird man Sie rufen lassen. Sie können nun gehen.“

„Sehr wohl, Majestät …“
 

Mit diesen Worten und einem kurzen Blick zu Richard verschwand der Mediziner aus dem Gemach und ließ den König und seinen Leibdiener allein.

Endlich waren sie allein und endlich konnte der Bayernkönig das loswerden, was ihm vorhin schon im Kopf herumschwebte.

Langsam und dann doch ein wenig zögernd ging Ludwig auf das Bett zu und ließ sich davor auf die Knie sinken. Dann bettete er seinen Kopf auf einem seiner Arme, die er auf das Bett gelegt hatte.

Vorsichtig und prüfend wanderte sein Blick zu Richard, der ihn stumm beobachtete.

„Richard …“, begann der Monarch leise, wobei es ihm sichtlich schwer fiel, die richtigen Worte zu finden.

„Ich bin froh, dass du wieder hier bist. Ich … hab mir Sorgen um dich gemacht. Ich weiss auch nicht, was in mich gefahren ist, dir nicht nachzureiten, aber ich war durcheinander und … dass du gesagt hast, du könntest das nicht, mich teilen ...“

Ein leises Schluchzen kam über die Lippen des Königs, der seine Finger in das Laken der Matratze krallte.

„Ich hätte mich nie verloben sollen, es hat nur Unglück gebracht … es tut mir so Leid, aber ich kann nichts mehr dagegen tun.“

Man konnte nun auch deutlich sehen, dass Ludwigs Schultern vom Weinen bebten.

„Ich ertrage das alles ohne dich nicht, ich kann nicht ohne dich leben. Bitte…verlass mich nicht…lass mich nicht allein …“

Das Letzte, was Ludwig eben gesagt hatte, ging in einem erneuten verzweifelten Schluchzen unter.

Richard lag nur da und war erschrocken. Erschrocken darüber, dass sein Liebster so weinte und auch seine Worte berührten sein Herz. Einen Moment lang wusste der junge Mann nicht, was er sagen sollte. Auch fiel es ihm schwer, wach zu bleiben.

Sanft legte er seine Hand auf eine seines Liebsten und lächelte schwach, obwohl ihn das alleine schon viel Kraft kostete: „Shhh … Ich weiss, du kannst es nicht mehr rückgängig machen und glaub mir, ich will es versuchen. Ich kann selbst auch nicht mehr ohne dich sein, also werde ich es in Kauf nehmen, dass du bald eine Frau haben wirst. Ich will es wirklich versuchen … “, versprach Richard.

Kaum hatte er aber zu Ende gesprochen, fielen ihm erneut die Augen zu und nun umfing ihn sanfte Schwärze, die ihm auch die Schmerzen nahm.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  moe_rikyou
2008-07-02T12:02:29+00:00 02.07.2008 14:02
Super Kapitel!!

Ich fand das besonders gut, dass Ludwig Richard eben NICHT nachgeritten ist. Das hätte man eher erwartet und das ist so klischéehaft, aber so wurde die Versöhnung und auch die Verwirrung der beiden besser dargestellt, finde ich^^

Ich freue mich auf's nächste Kapitel! XD
Von:  moe_rikyou
2008-04-06T16:35:47+00:00 06.04.2008 18:35
Oh das ist soooo süß!!!!*.*
Besonders die Sache mit den Lilien fand ich toll!

Aber eigentlich ist alles wirklich ganz toll ge- und beschrieben!*schwärmt*
Bitte ganz schnell die nächsten Kapitel hochladen!

LG moe


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