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Ta Sho

erste Schritte
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi!

Nach ewigen Zeiten kommt auch wieder etwas von mir... Ich spiel wieder mal mit einer Idee, hoffentlich gefällt sie euch, ich würde mich über Feedback freuen Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Himmel, es dauert mittlerweile wirklich eine kleine Ewigkeit, bis ich was gebacken kriege. ^^ Langsam findet auch diese FF ihr wohlverdientes Ende

Der Abschluss fällt beinahe noch schwerer als Späte Erkenntnis *-*

Wie auch immer - viel Spaß beim Lesen Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
So, was soll ich sagen? Es ist das letzte Kapitel dieser FF, nach sieben Jahren wird es Zeit, abzuschließen und loszulassen... ich hoffe es gefällt und es erinnert sich überhaupt noch jemand daran ;) Komplett anzeigen

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Startschwierigkeiten

Nachdem es sich um eine Fortsetzung handelt, wäre es ein echter Vorteil, wenn man "Ta sho - Wiedergeboren" gelesen hat ^^... Ich schicke gleich vorweg, diese FF wird noch Fireball-lastiger und zu allem Überfluss gibt es neue Charaktere. Schnuppert einfach mal rein *g*
 

Zumindest der Schlüssel passte noch, das war immerhin etwas. Schon wieder stand er im Flur dieser Wohnung, nur dieses Mal ohne seine Freunde. Fireball hatte sich kurzerhand entschlossen, seinen aufgezwungenen Urlaub zuhause zu verbringen. Der Grund war dieses Mal denkbar einfach und hatte nichts mit irgendwelchen Geburtstagen oder anderen Festen seiner Familie zu tun. Er hätte es schlicht und ergreifend nicht ertragen können, Ramrod ohne ihn abheben zu sehen. Ziemlich ruhig war es in der Wohnung seiner Mutter, seltsam eigentlich, denn es war später Nachmittag, als er sich am Eingang die Schuhe auszog und seine Reisetasche gleich im Flur stehen ließ. Normalerweise hätte sie zuhause sein müssen. Aber was war bei den Hikaris schon normal?

Fireball durchforstete die Wohnung. Hm, niemand hier, das konnte doch wirklich schlecht wahr sein. Bevor sich der Wildfang allerdings in seinem Zimmer einquartierte, vergewisserte er sich auch noch auf dem Balkon, ob seine Mutter wirklich nicht da war. Er trat barfuß auf die warmen Steinplatten hinaus und sah sich um. Da war sie ja! Ai saß im Liegestuhl und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen eines Frühsommertages. Schmunzelnd grüßte er: „Hi, Ai!“

Die Angesprochene sprang augenblicklich mit einem erschrockenen kleinen Aufschrei von ihrer Sitzgelegenheit auf, nur um kurz darauf wieder hinein zu sacken. Ai nahm ihre Sonnenbrille ab und sah mit großen Augen auf denjenigen, der sie derart erschreckt hatte. Anstatt sich zu freuen, erteilte sie ihm zuerst eine Lektion in gutem Benehmen. Sie empörte sich: „Bist du wahnsinnig geworden, Shinji?! Was machst du hier?“

„Urlaub“, war die ehrliche und ziemlich knappe Antwort. Dabei lächelte der junge Pilot unschuldig. Oha, Ai hatte wohl gedöst, als er sie angesprochen hatte. Er hatte ihr einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Zumindest das konnte er noch, wie Fireball fast schon kichernd feststellte. Aber sie wusste noch, wer er war und dass er sich hier für gewöhnlich nicht aufhielt. Das hieß, Ai hatte noch nicht lange in der Sonne gelegen und geschlafen.

Bei ihrem letzten Telefonat hatten sie sich ziemlich in die Wolle bekommen, weil Fireball in der ganzen Hektik und dem Stress, den ihre Rückkehr durchaus verursacht hatte, vergessen hatte, seine Mutter anzurufen und ihr mitzuteilen, dass es ihm gut ging. Charles hatte das vorsorglich für ihn erledigt und hatte dem Hitzkopf, als er mit den Berichten seiner Mannschaft im Büro gelandet war, einfach noch mal den Hörer in die Hand gedrückt. Das war ausnahmsweise keine gute Idee gewesen. Weder Ai noch er waren darauf wirklich vorbereitet gewesen und so war das Telefonat einmal mehr so ausgegangen, wie ihre Gespräche sonst auch. Ai hatte sich furchtbar darüber aufgeregt, dass er sich in der ganzen Zeit nicht einmal gemeldet hatte und Fireball hatte sie angefahren, weil er auch noch andere Dinge zu tun hatte, als bei ihr anzurufen.

Kopfschüttelnd klemmte Ai die Sonnenbrille in den Haaren fest und stand wieder auf. Prüfend sah sie auf ihren Sohn und wies ihn an: „Zieh dir die Schuhe aus und setz dich ins Wohnzimmer. Auf die Überraschung brauch ich erst mal einen Tee“, sie ging schon an ihm vorbei in die Wohnung zurück: „Du auch einen?“

Wohl erzogen folgte der Spross seiner Mutter. Er kam allerdings nicht umhin, sie darauf hinzuweisen: „Schuhe sind schon seit dem Eingang aus. So, wie es sich daheim gehört.“

So ganz schien sie sich über seinen Besuch nicht zu freuen, hoffentlich änderte sich das in der nächsten viertel Stunde noch, sonst würde er die Woche wohl eher in seinem Zimmer verbringen. Er hätte vielleicht doch besser angerufen, bevor er einfach aufgebrochen war. Obwohl er mit seiner Mutter immer wieder im Disput lag und ständig einen Kampf mit ihr austrug, war dieser Ort doch immer eine Zuflucht für ihn gewesen. Er war als Kind gerne nachhause gekommen, sogar noch als Jugendlicher, obwohl da schon die Geschichte mit seinem Vater in regelmäßigen Abständen für Zoff gesorgt hatte. Durch ihren Abstecher in der Vergangenheit und dem äußerst schmerzhaften Erlebnis bei der ersten Schlacht war Fireball allerdings zu der Erkenntnis gelangt, dass seine Mutter mit jedem Wort Recht hatte. Eine bittere Erkenntnis zwar, weil ein sturer Hikari so etwas nicht gerne zugab, aber die Geschichten über Wiedergeburt und Seelenwanderung hatten doch wirklich alle der Wahrheit entsprochen. An dem Glauben war was dran.

Ai verbannte ihren Sohn kurzerhand wieder aus der Küche, als dieser ihr zur Hand gehen wollte. Sie schob ihn aus der Tür: „Du kannst immer noch nicht hören! Ich sagte doch, du sollst dich ins Wohnzimmer setzen.“

Sie zwinkerte dabei zwar, aber insgeheim wartete sie schon auf Widerworte. Es war nie anders zwischen ihr und Shinji gewesen. Seit das Ebenbild seines Vaters sprechen konnte, gab er Widerworte. Noch schlimmer war es geworden, als er angefangen hatte, einen eigenen Willen zu haben. Da waren aus einfachen „Nein“ plötzlich handfeste Diskussionen geworden und auch Streits. Den Dickkopf hatte Fireball von seinem Vater. Mit jedem Jahr, das ins Land gezogen war, war es schlimmer geworden. Er war seinem Vater immer ähnlicher geworden. Mittlerweile unterschied ihn nichts mehr von Ais Mann. Das hatte sie beim letzten Urlaub schmerzlich lernen müssen.

„Nein“, Fireball stemmte sich halbherzig gegen Ais schiebende Hände und lächelte leicht. Nach all den Jahren, die er sein Zuhause gemieden hatte, war es nun zum ersten Mal eine Wohltat, wieder im elterlichen Nest zu sitzen. Das lenkte zumindest von dem ab, was in Yuma gerade los war. Der Abschied von seinen Freunden war ihm schwer gefallen. Fireball hatte sich gewünscht, auch da „Nein“ sagen zu können, aber diese Option hatte er im Grunde nicht gehabt. Da hatte es als Antwort nur „Ja“ oder „Ja“ gegeben, alles andere hätte früher oder später eine Kündigung bedeutet. Das hatten auch seine Freunde nach einem langen Gespräch eingesehen.

Schlussendlich gab der Spross der Familie Hikari ohne weitere Diskussionen nach und verließ die Küche. Er trug seine Tasche ins Zimmer und setzte sich dann ins Wohnzimmer. Mittlerweile schien sich auch die erste Überraschung bei Ai gelegt zu haben. Seine Mama kam kurz darauf mit zwei dampfenden Tassen Tee zu ihm ins Wohnzimmer.

Die zierliche Frau setzte Fireball eine Tasse vor die Nase und nahm ihm gegenüber Platz. Schweigend musterte sie ihren Sohn. So ganz dahinter kam sie nicht, weshalb er da war. Das letzte Mal hatten sie sich gesehen, als Ai ihren fünfzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Die Woche war, vom familiären Standpunkt aus gesehen, eine Katastrophe von Anfang bis Ende gewesen. Shinji und sie hatten kaum ein vernünftiges Wort miteinander gesprochen. Als er ihr gegenüber gestanden war, wäre sie beinahe tot umgefallen. Ai hatte ihren Junior zuvor mehrere Jahre weder gesehen noch gesprochen. Sie hatte nicht gut geheißen, dass er ins Oberkommando eingetreten war, und dann hatte er sich ausgerechnet für eine Ausbildung zum Piloten entschieden. Trotz oder gerade wegen ihrer Bedenken hatte dieser verbohrte Sturkopf auch ohne ihre Zustimmung die Ausbildung angefangen. Damals war der Kontakt völlig abgebrochen. Nun kam er innerhalb eines halben Jahres zum zweiten Mal auf Besuch und das auch noch ohne einen bestimmten Anlass. Das war ihr etwas unheimlich.

Ai stützte seufzend den Kopf auf die rechte Hand und sank etwas zusammen. Sie kam zu keiner brauchbaren Antwort und der werte Herr begann auch nicht von alleine. Also musste sie doch ein Verhör starten: „Weshalb bist du hier, Shinji?“

Fireballs Augen wanderten durch den Raum. Der Tonfall hatte nichts Gutes zu bedeuten. Ergeben, aber einsilbig wie immer, wenn er mit der Sprache nicht rausrücken wollte, gab er ihr eine Antwort: „Urlaub. Ich muss Überstunden abbauen.“

Skeptisch blickte Ai auf die Wiedergeburt ihres Mannes. Sie wusste von Charles, der sie seit der Akademie über ihren Sohn auf dem Laufenden hielt, dass Fireball bereits nach ihrer Rückkehr von den Totgeglaubten eine Woche Urlaub genossen hatte. Nun, nach einer Woche Arbeitsalltag sollte er schon wieder frei haben? Das kam ihr doch spanisch vor.

„Wirklich? Und was ist mit deinen Freunden? Weshalb hast du sie nicht mitgebracht?“

Ai hatte die Truppe in ihr Herz geschlossen. Die Tochter von Commander Eagle hatte sie damals zum ersten Mal wieder gesehen. Der kleine Engel der Eagles war groß geworden. Eine richtige Frau und Ai hatte schnell bemerkt, wie es um das Herz der jungen Blondine bestellt war. Nicht umsonst hatte sie April vor ihrem Sohn gewarnt. Aber auch Colt und Saber hatte sie schnell lieb gewonnen und eigentlich hatte Ai angenommen, dass Shinji sie wieder mitbringen würde, wenn er dann mal heim kam. Aber von seinen Freunden war nichts zu sehen.

Fireball senkte unter Ais Skepsis den Blick. Seine Mutter hatte schnell bemerkt, dass die drei nicht nur seine Kollegen, sondern seine Freunde waren. Betreten murmelte er, während er den dampfenden Inhalt der Tasse begutachtete: „Die drei müssen arbeiten, Ai.“

Mit der nächsten Frage würde sie ihre Antworten bekommen. Auch bei ihrem Mann hatte sie nie mehr als drei Fragen gebraucht. Ihrem Sohn sah sie bereits an der Nasenspitze an, dass er gleich zur Beichte ansetzte. Viel Feingefühl brauchten ihre nächsten Worte nicht, das spürte sie. Deshalb setzte Ai ihr mütterliches Verhör fort: „Das ist etwas seltsam. Wo das bei eurem Team doch normalerweise nicht geht. Also, Shinji. Was ist los? Bist du suspendiert worden?“

„Versetzt“, Fireball lehnte sich zurück und fuhr sich durch die Haare. Ais Fragetechnik hatte ihr Ziel auch dieses Mal nicht verfehlt. Betreten richtete er den Blick auf die Tischplatte und begann zu erzählen: „Ich bin versetzt worden. Zu einer anderen Einheit. Aber meinen Dienst kann ich erst nächste Woche antreten. Ich bin da, weil Ramrod ganz normal im Dienst ist. Der neue Pilot ist schon an Bord.“

Daher wehte der Wind also. Ai nickte verstehend. Ihre Neugier war dadurch aber noch keineswegs befriedigt. Fireball klang wenig begeistert von seinem neuen Aufgabengebiet. Ob das einen bestimmten Grund hatte? Ai lehnte sich mit dem Oberkörper leicht über den Tisch und sah ihrem Sohn ins Gesicht: „Wo kommst du denn hin? Du scheinst keine rechte Freude damit zu haben.“

Schuldbewusst blinzelte sie daraufhin ein Paar dunkler Augen an. Es bedeutete wieder eine Parallele mehr zwischen seinem und dem Leben seines Vaters. Nun war es nicht mehr nur die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn, jetzt übten sie auch noch den selben Beruf aus. Wirklich genau den selben. Spätestens, wenn Fireball Ai jetzt die Wahrheit sagte, würde sie gedanklich ein weiteres Mal für immer Abschied von Shinji nehmen. Er traute sich kaum, ihr dabei in die Augen zu sehen. Fireball gestand: „Ich werde Captain der“, er schluckte und wandte sich halb von Ai ab. Fireball stand auf und begann im Raum umherzuwandern, während er weiter beichtete: „Air Strike Base 1. Mandarin hat den Job gekündigt und sich mich als ihren Nachfolger gewünscht. Commander Eagle hat dem schon zugestimmt, bevor ich auch nur gefragt wurde. Ich konnte nicht ablehnen. Die Air Strike Base ist eine sehr prestigeträchtige Einheit. Alle Captains reißen sich darum, die Eliteeinheit des Oberkommandos irgendwann mal befehligen zu dürfen. Es sollte…“, sein Redefluss erstarb. Fireball hatte sich bei Ai bereits mehr von der Seele geredet, als bei Colt, Saber und April zusammen. Den dreien hatte er ja selbst Mut machen müssen, seiner Mutter hingegen brauchte er keinen neuen Piloten schmackhaft zu machen. Die kannte das Getue rund um die Air Strike Base 1 wahrscheinlich noch von ihrem Mann zur Genüge.

„Es sollte dir eine Ehre sein“, beendete Ai seinen angefangenen Satz. Nun war sie zwar informiert, dafür aber hatte sich die ohnehin zaghafte Freude auch wieder verzogen. Fireball war also zur Einheit seines Vaters versetzt worden. Als Captain obendrein. Charles hatte ihr das gar nicht gesagt. Ausgerechnet das hatte ihr ihr alter Freund verschwiegen.

Wieder nickte der junge Hikari. Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und fing doch wieder an, seiner Mutter seine Bedenken näher zu bringen: „Das sind alles alte Hasen in der Einheit. Ich werde Captain einer Mannschaft, die im Schnitt gute fünf bis sechs Jahre älter ist, als ich. Das ist“, Shinji schüttelte unwillig den Kopf. Der jüngste im Bunde war er auch auf Ramrod gewesen, er konnte sich gegen ältere behaupten. Probleme hatte er eher mit etwas anderem: „Der Commander hat mir vorgestern erst mitgeteilt, dass mein Dienst dort nächste Woche anfängt. Es war alles so kurzfristig, ich…“

Mehr Worte brauchte es gar nicht mehr, um seine Ohnmacht über die Situation nicht zu sehen. Ai hatte erkannt, dass ihren Sohn das Was gar nicht so sehr störte. Es war eine neue Herausforderung, also genau das Richtige für den impulsiven Hitzkopf. Aber das Wie. Daran stieß er sich. Fireball hatte wahrscheinlich keine Zeit gehabt, sich die Entscheidung, die er nicht getroffen hatte, durch den Kopf gehen zu lassen. Genauso wenig hatte er demnach auch die Zeit gehabt, es seinen Freunden auf Ramrod zu erklären und sich von ihnen zu verabschieden. Alles, was er brauchte, war etwas Zuspruch. Deswegen stand Ai auch auf und nahm ihren Jungen in den Arm: „Das wird schon, Shinji.“

Von der Umarmung doch überfahren, verharrte Fireball kurz in seiner Position, ehe er seiner Mutter eine Hand auf die Schulter legte und ihr versicherte: „Klar doch. Das wär doch gelacht, wenn ein Hikari die Air Strike Base nicht bändigen könnte.“

Zu dumm nur, dass Fireball das gerade alles zu sehr an seinen Vater erinnerte. Er klang bei weitem nicht so zuversichtlich, wie er wollte. Aber eigentlich war er es. Ihm war es wirklich nur zu schnell gegangen, er hatte sich schneller von seinen Freunden trennen müssen, als ihm lieb gewesen war. Er hatte sich von April trennen müssen. Aber vielleicht war gerade die räumliche Trennung von der Blondine das Richtige. Beide hatten die letzten Tage über nicht gewusst, wie sie sich verhalten sollten. Sie hatten sich getrennt und dennoch sehnten sie sich nach dem anderen. Das war an Bord eine echte Zerreißprobe für ihre Nerven gewesen.
 

Ramrod hob etwas ruppiger als sonst vom Rollfeld in Yuma ab. Niemandem fiel es auf, für die Angestellten des Oberkommandos war es ein Start wie jeder andere auch, sie kannten keinen Unterschied. Aber die Insassen bemerkten da einen gehörigen Unterschied.

Colt zum Beispiel hielt sich an seiner Satteleinheit fest und sah entsetzt in die mittlere hinüber. Er biss sich auf die Lippen, wollte sich alles verkneifen, aber er konnte nicht. Colt polterte ohne Vorwarnung los: „Ey, Mann! Das ist ein Senkrechtstarter und kein verdammter Linienflug, den man nur mit Anlauf in die Luft kriegt. Siehst du hier in den Satteleinheiten irgendwo Kotztüten?! Nein! Also sieh endlich zu, dass du etwas Schub von den Maschinen nimmst, bevor ich eine brauche.“

Unbemerkt hatten sich auch Saber und April beim Abheben festgehalten. Doch im Gegensatz zu Colt, hatten sie keine so harschen Worte für Alessandro. Aufmunternd nickte Saber ihm zu: „Das war schon ganz gut, Alex.“

„Ja. Beim nächsten Start wird man schon keinen Unterschied mehr merken“, versuchte auch April ihren neuen Kollegen zu ermutigen. Klar, es war nicht Fireball, der ihr Riesenbaby steuerte, das merkte man einfach, aber immerhin hatte es der neue Pilot ohne große Mühe geschafft, Ramrod abheben zu lassen. Colt war nur aus einem Grund so giftig. Ein gewisser Captain war einfach versetzt worden und niemand von ihnen hatte dabei ein Wörtchen mitzureden gehabt.

Der Cowboy sah auf das immer kleiner werdende Startfeld hinunter und ballte die Hände zu Fäusten. Es war in der letzten Zeit alles so schwer und mühsam für sie alle gewesen. Colt hatte in der letzten Woche, nachdem er eigentlich gedacht hatte, alles ging wieder seiner Wege, wieder vermehrt angefangen, sich Sorgen zu machen. Auch und vor allem um Fireball und April. Die beiden hatten sich beide irgendwie seltsam verhalten und plötzlich kam Fireball von einer Routinebesprechung mit Commander Eagle mit solch ungeheuerlichen Nachrichten zurück. Sie waren alle verblüfft gewesen. Sogar Saber hatte keine Worte dafür gehabt. Colt hatte gleich losgeschimpft und die höheren Herren für nicht ganz koscher erklärt. Da kannte er nichts. War doch lächerlich. April, und da verwettete der Kuhhirte alles drauf, hatte in der ersten Nacht mal still und heimlich in ihr Kopfkissen geweint. Es war kein Geheimnis, dass die beiden als Freunde aneinander hingen. Und jetzt war ihr Captain einfach von heute auf morgen versetzt worden. Colt warf einen Blick zu Saber. Der war nun Captain. Noch ein genervter Blick auf die mittlere Satteleinheit auf den neuen Piloten. Der konnte sich auf den Kopf stellen, Colt mochte ihn nicht. Er würde ihn nie mögen. Nie, nie, nie!

Saber hatte Commander Eagle dazu überreden können, Ramrod für die nächsten zwei Wochen zumindest noch vom aktiven Dienst an der Front frei zu stellen. Alex brauchte Übung, Ramrod war kein kleiner Jet und auch, wenn er ein guter Pilot in seiner Staffel gewesen war, den Friedenswächter konnte man nicht innerhalb weniger Minuten wie aus dem FF fliegen. Es war für alle besser, Alex nicht ins kalte Wasser springen zu lassen. Obwohl, wenn Saber da auf ihren hauseigenen Sturkopf einen Blick warf, viel wärmer war das Wasser, beziehungsweise der Empfang, jetzt auch nicht. Aber zumindest konnten sie die Zeit nützen, den italienischen Piloten einzuschulen und ihn besser kennen zu lernen.

Alessandro, ein sportlicher, junger Italiener, mit schwarzen Haaren, aber ungewöhnlich hellen blauen Augen, nahm auf Colts unfreundliches Anraten hin Kraft von den Maschinen. Der Mittzwanziger war ins kalte Wasser geworfen worden, auch er hatte die guten Neuigkeiten erst zwei Tage vor seinem Dienstantritt hier erfahren. Angst hatte er bis zum ersten Treffen mit den Star Sheriffs keine gehabt. Auch hatte er im Traum nicht daran gedacht, dass er hier nicht willkommen sein könnte. Aber den Irrglauben hatte ihm Colt gleich ausgetrieben. Ein Eisbär wär bei seiner Jagd zärtlicher gewesen, als der Cowboy in seiner Wortwahl. Drei Paar prüfender und skeptischer Augen hatten ihn an der Rampe unten schon von oben bis unten gemustert. Der erste Fehler war schon seine Körpergröße gewesen. Alex überragte den Cowboy zwar nur um einige Zentimeter, aber das hatte dem mürrischen Lockenkopf schon gereicht, um ihn als schlaksigen Riesen abzustempeln. Zumindest April und Saber hatten ihm einen warmen Empfang bereitet, obwohl auch der Blondine die Bedenken auf die Stirn gemeißelt standen. Saber war von Anfang an sachlich geblieben, hatte ihm sein Quartier gezeigt, hatte ihm die wichtigsten Gebräuche und Sitten auf Ramrod erklärt. Er war es auch gewesen, der das eisige Schweigen zwischendurch immer wieder gebrochen hatte und Alex nach diversen Vorlieben und anderen persönlichen Dingen gefragt hatte.

April hatte schließlich vorgeschlagen, einen Probeflug nach Laramy zu unternehmen, um Alex mit seinem Arbeitsgerät bekannt zu machen. Bevor sie gestartet waren, hatte der Italiener von Saber noch den Tipp bekommen, sich hier nichts gefallen zu lassen und den Cowboy nicht all zu ernst zu nehmen. Aber das war nicht ganz so einfach. Er war der Neue hier. Alex setzte trotzdem mal zu einem kleinen Konter an: „Ich sehe schon, Colt, du bist zart besaitet.“

„Nichts bin ich!“, widersprach der gleich gereizt und lehnte sich in seiner Sitzgelegenheit nach vor. Er blaffte Alex an: „Derjenige, für den du grad den Stuhl warm hältst, konnte fliegen! Du kriegst von mir gleich beigebracht, wie man richtig fliegt, wenn du weiterhin so ruckartig Schub gibst. Das hier ist ein Friedenswächter und kein Schaukelstuhl!“

April bedachte ihren Cowboy mit einem mahnenden Blick. War doch wirklich kaum zu fassen, wie der seinen Unmut manchmal herausließ. Frust hin oder her, sie hatten den alle gleichermaßen, aber zumindest sie und Saber konnten sich angemessen benehmen. Das sollte der erfahrene Fährtenleser dann doch auch können.

Währenddessen behielt Saber ihren Neuzugang aufmerksam im Auge. Gut, er hatte Ramrod noch nicht so im Griff, wie Fireball, aber er flog sicher und ohne dass man das Gefühl haben musste, nicht mehr heil zuhause anzukommen. Nebenbei fand der vorwitzige Europäer auch noch die Zeit, Colt mal Konter zu geben. Saber gab die Hoffnung nicht auf. Sie würden sich schon zusammen raufen. Ihre letzte Reise war schließlich nach all den Desastern und ungewöhnlichen Ereignissen auch gut ausgegangen und das hatte Saber in manchen Momenten zu einem sehr gläubigen Menschen gemacht. Das alles hatte schon einen Sinn. Sie wussten lediglich noch nicht, welchen. Saber musterte Alex noch einmal von der Seite. Was war in seiner Akte gestanden? Er versuchte sich an einige Details zu erinnern. Alex war in seinem Alter und ein erfahrener Pilot. Er kam aus der Einheit, in die Fireball versetzt worden war. Dort war er einer der Besten gewesen und das sollte etwas heißen. In die Air Strike Base 1 schafften es nur die Besten der Besten. Alex war einer davon gewesen. Vermutlich lernte er schnell und gut, sonst hätte man ihm nicht zugetraut, Ramrod fliegen zu können.

„Ich will dich auch nicht in den Schlaf schaukeln, Hutträger“, gab Alex ein weiteres Mal Konter. Ramrods Ausmaße waren für einen Jetpiloten überdimensional. Er kam sich vor, als wäre er von einem Motorrad einfach in einen riesigen und überbreiten Sondertransport umgestiegen, da durften doch mal fünf Minuten drin sein, um sich an die Eigenschaften seines neuen Gefährtes zu gewöhnen.

Nun stand Colt auch noch auf. Ramrod hatte das schwerelose All endlich erreicht, und nun traute sich der Kuhhirte endlich auch wieder aus seiner sicheren Satteleinheit heraus. Er trat auf die mittlere zu und polterte einfach wieder los. Egal, was Alex gesagt hätte. Ach, sogar, wenn er nichts gesagt hätte, es hätte Colt genervt. Ganz einfach aus dem Grund, weil er gerade stinksauer auf die ganze Welt war. Sie waren für zwei Wochen noch vom Dienst freigestellt und er konnte nicht bei seiner schwangeren Freundin sein. Dann auch noch so ein neues kleines Fliegerass, das glaubte, die Arbeit auf Ramrod wär ein Kinderspiel. Fireball war nicht mehr da und heimlich machte sich der Cowboy auch Sorgen um dessen Schicksal. Der Krümel war doch schon einmal in der Air Strike Base 1 Pilot gewesen und das war ein totales nervliches Fiasko gewesen. Dabei war er einen Monat lang nicht einmal existent gewesen und jetzt sollte er dort wieder hin. Colt schlug mit der flachen Hand auf die Kanzel der mittleren Satteleinheit und knurrte: „Das ist doch alles Schwachsinn!“

Alex fuhr unter dem Laut erschrocken zusammen. Der Sturm war zwar nach keiner Ruhe gekommen, aber dennoch überraschend laut für den Italiener. Dabei hatte er die Hände von den Schubreglern genommen und sie über den Kopf gehalten. Das hatte sich ja angehört, als würde Colt gleich durch die Decke hauen.

Auch April war zusammengezuckt. Sie richtete sich erschrocken auf und sah Colt mit großen Augen an. Was war denn plötzlich in den lebensfrohen Cowboy gefahren? Klar, seine Laune war schon seit vorgestern im Keller, aber seit der neue Pilot an Bord war, schimpfte Colt wie ein Rohrspatz. Das auch noch in einer Tour und scheinbar ohne Luft zu holen. Das war doch wohl ein schlechter Scherz von ihm. Begrüßungsritual war das jedenfalls keines für einen neuen Kollegen.

Saber war sofort aus seiner Satteleinheit gesprungen, das war ihm nun zu weit gegangen. Bisher hatte er Colts verbale Tiefschläge hingenommen, aber nun war es an der Zeit, den Boss doch raus zu kehren. Colt konnte nicht auf Dauer so mit Alessandro umspringen. Er befürchtete sogar, wenn der Cowboy so weiter machte, dass ihr Pilotenverschleiß rasant nach oben hin anschwellen würde. Er packte Colts Hände und zog sie von der Satteleinheit runter. Die Augen duldeten ebenso wenig Widerspruch, wie seine Worte, als er Colt befahl: „Geh doch schon mal in die Küche vor, Colt. Ich komme gleich nach, ja?“

Es hatte höflich geklungen, dennoch war allen Beteiligten sofort klar, was das zu bedeuten hatte. Nur war Colt von den neuen Tönen wenig beeindruckt. Saber mochte der Boss hier sein, aber zu melden hatte der Schwertschwinger ebenso wenig wie er. Colt stieß mit dem Fuß noch gegen die mittlere Satteleinheit und trollte sich. Aber nicht, ohne zu motzen: „Komm bloß nicht auf die Idee, dich in meinem Namen bei dem Patrone zu entschuldigen. Ich hab’s nämlich so gemeint, wie ich es gesagt und gemacht habe.“

Als sich hinter Colt die Tür schloss, beugte sich Saber zu Alessandro hinunter und entschuldigte sich: „Und er hat’s nicht so gemeint. Weil er es niemals so meint, wie er etwas sagt. Seine Art ist nur leider ein bisschen gewöhnungsbedürftig.“

Der Italiener schluckte und sah Colt nach. Na hoffentlich blieb der nicht für immer so. Der Gedanke gefiel Alex überhaupt nicht. Sofort hatte er begriffen, dass das hier etwas anders war als in der Air Strike Base. Er konnte nach Feierabend nirgendwohin abhauen, wenn er ein Gesicht nicht mehr sehen konnte. Diesbezüglich schien er wohl wirklich die Arschkarte gezogen zu haben. Hauptgewinn war der Posten in der ruhmreichsten Einheit des Oberkommandos jedenfalls ganz sicher keiner. Da hätte die Gehaltserhöhung wohl doch etwas besser ausfallen müssen, wie sich Alex verzagt auf die Lippen biss. Das konnte ja nur heiter bis wolkig werden. Alex sah zu Saber auf und lächelte schließlich: „Ich wollt schon immer mal wissen, wie sich das anfühlt, wenn das Donnerwetter direkt von oben kommt.“

Saber klopfte Alex aufmunternd auf die Schulter und erhob sich wieder. Er ging an April vorbei und warf ihr einen bedeutungsschweren Blick zu. Sie sollte hier bleiben und Alex im Auge behalten, er würde in der Zwischenzeit einem gewissen Scharfschützen den schmerzenden Zahn ziehen. Er war gespannt, welche Ausrede Colt für sein Verhalten finden würde.
 

Die Blondine sah ihrem Freund noch seufzend hinterher. Es hatte keinen Tag gedauert, bis der Neue Colts Temperament zu spüren bekommen hatte. April schüttelte frustriert den Kopf und kam auf die Satteleinheit des Piloten zu. Sie blieb genau daneben stehen und richtete ihre Augen auf das Weltall hinaus. Das letzte Mal hatte sie das getan, als sie endlich zuhause gelandet waren. Hatte es ihr damals aber nicht schnell genug gehen können, wünschte sie sich nun, ihre Zeit entscheidend verändern zu können.

Sie schwieg Alex lange an, bevor sie auf ihn hinabblickte und erklärte: „Es ist das erste Mal, dass sich in unserem Team etwas ändert. Colt ist das ein bisschen zu schnell von Statten gegangen. Wir…“, sie schloss kurz die Augen und biss sich auf die Lippen, bevor sie fortfuhr: „hatten keine Möglichkeit uns von Fireball zu verabschieden.“

Endlich hatte er den Knopf für den Autopiloten gefunden. War ja fast ein Ding der Unmöglichkeit bei all den Kontrollen und blinkenden Knöpfen des Friedenswächters. Alex kontrollierte kurz die Flugrichtung, dann stand er auf und bezog auf der anderen Seite seiner Satteleinheit Position. Er ließ die Blondine wissen: „Dann hattet ihr genauso viel Zeit, wie ich. Nämlich noch gerade so viel, meine Sachen zu packen und den Befehl zu befolgen.“

Mehr war es für den Italiener nicht gewesen. Er war zwar mit seinen Kollegen aus der Einheit am Abend noch auf einen Drink gegangen, sozusagen ihr kleines Farewell für ihren Freund, aber mehr schon nicht. Alessandro hatte in der Hektik keine Zeit gefunden, sich darüber Gedanken zu machen, was ihn erwarten könnte. Im Nachhinein war er froh darüber. Denn so eine Begrüßung, wie die von Colt, wäre in seinem Kopf bestimmt auch früher oder später aufgetaucht und die hätte sich sicherlich festgebissen. So hatte er keine Zeit für Muffensausen gehabt und stand nun hier, mit der berühmtesten Blondine des Oberkommandos. Es gab nicht viele Frauen, die so bekannt waren, wie April Eagle. Die andere war Mandarin Yamato, allerdings war sein Sterncaptain der Air Strike Base 1 bald Geschichte. Sie hatte ohne ersichtlichen Grund gekündigt. Das war ein herber Verlust für die Staffel, aber ihre Entscheidung war zu respektieren. Und noch ahnten seine Kumpels von der Air Strike Base nicht einmal, dass Mandy sie verlassen könnte. Alex hatte es nur aus dem einen Grund erfahren, weil er als Ersatz für Mandarins Nachfolger auserkoren worden war.

Er wusste nicht, ob es ihm auf Ramrod gefallen sollte. Dafür war es noch viel zu früh. Aprils Erklärungsversuch war zwar lieb gemeint gewesen, aber was sollte er sagen? Ihm war es nicht anders gegangen. Nur, dass er diesen Unmut, den er durchaus auch verspürte, nicht an seinen neuen Kollegen ausließ.

„Colt kann sich schwer umstellen“, versuchte April ihrerseits, Verständnis für Colt zu erwecken. Der Cowboy war nun mal vom Scheitel bis zur Sohle ein Gewohnheitstier. Mensch, der hatte sogar Fireballs Autorität unentwegt untergraben, bis endlich klar gewesen war, dass sich ihre Zeit wirklich verändert hatte. Doch das konnte sie Alessandro wohl eher schlecht genau so erklären, zumal sie sich kaum noch daran erinnerte, wie es vor ihrer Reise wirklich gewesen war. Sie entschuldigte sich nun ihrerseits für den Kuhhirten, wie es Saber kurz zuvor auch getan hatte: „Es tut ihm bestimmt leid, dass er dich so an gemault hat, Alex. Er meint niemals etwas wortwörtlich so, wie er es raus lässt.“

Alessandro schüttelte nur den Kopf. Er wusste wirklich nicht recht, was er von der Vorzeigetruppe des Oberkommandos halten sollte. Eingebildet, sogar ein bisschen arrogant kam Colt ihm vor. April und Saber hingegen waren zumindest höflich. Aber das mochte vielleicht nur der erste Eindruck sein. Alex war sich ziemlich sicher, dass er lange genug an Bord bleiben würde, um das herauszufinden. Eagle war nicht der Typ, der frei von der Leber weg jemanden in eine andere Einheit versetzte und kurz darauf wieder von dort abzog. Der Mann verstand seinen Job und ganz sicher hatte er sich auch etwas dabei gedacht. Irgendwie würde er schon in die Truppe hineinwachsen und denen zumindest irgendwie ähnlich sein, sonst wäre er nicht hier.

Alex beschloss, für den Anfang nicht zu hart mit den dreien ins Gericht zu gehen, er konnte schon auch austeilen. Das würde er nachholen, sobald er festen Stand in dieser ungewöhnlichen Einheit hatte. Er lehnte sich auf seine Satteleinheit und blickte April geradewegs ins Gesicht. Er war nicht nachtragend, ganz bestimmt nicht, deswegen lächelte er sie versöhnlich an: „Dann kann er sich doch auch selbst entschuldigen, oder?“

Nun war es an der Blondine, herzlich aufzulachen. Sie kicherte und hielt sich die Hand vor. Alex musste jetzt denken, sie würde ihn auslachen. Ihre Augen blitzten amüsiert auf, während sie, immer wieder von ihrem Kichern unterbrochen, erklärte: „Das kannst du vergessen. Ein ‚Entschuldigung‘ wirst du nie von Colt hören. …Zumindest nie direkt. Aber das merkst du schon noch, Alex.“
 

Der Cowboy verschaffte in der Küche seinem Unmut Erleichterung. Er hatte sich Kaffee gemacht und die Kühlschranktür aufgerissen. Colt brauchte etwas zwischen die Beißerchen bevor er Alex durch den Häcksler jagte. Mal sehen, was hatten sie denn in der Reiseküche? Proviant war gerade nicht viel an Bord, vor allem fehlte es an frischen Lebensmitteln, wie Obst, das man nicht einfach einfrieren konnte. Aber dem Kuhtreiber war sowieso nicht nach Obst. Er brauchte was Gutes, und keine halbschwindelige Rohkost. Irgendwo hatte er doch noch ein Hüftsteak gesehen, wo war das Ding denn nur abgeblieben? Er konnte sich nicht erinnern, dass irgendjemand in den letzten Tagen gekocht hatte. Sie waren doch auf dem Stützpunkt gewesen und entweder Essen gegangen oder zu ihren Lieben nachhause gegangen. Colt hob ein Paket Käse an, doch darunter verbarg sich das Fleisch auch nicht.

Saber stand in der Tür und beobachtete Colt eine Weile. Nachdenklich lehnte er mit verschränkten Armen im Türrahmen und besah sich dieses Schauspiel. Colt war also ein Frustfresser, wie manche dieses Phänomen nannten. War zwar eine interessante Feststellung, aber gerade nicht zielführend. Es war mit Colt nicht immer einfach, in letzter Zeit überhaupt nicht. Saber steckte noch in den Knochen, was bei ihrer letzten Mission los gewesen war und nun bockte der Kuhhirte wieder. Gut, es war nicht so, dass Saber ihn nicht verstehen konnte, aber das Verhalten führte nicht zum Ziel. Sie mussten sich fügen und so schlecht war Alex nun wirklich nicht. Selbst er brachte Ramrod nie ohne gröbere Rucke in die Luft und Saber war schon zwei Jahre auf dem Friedenswächter stationiert. Im Notfall konnte jeder von ihnen dieses Schiff steuern, nur halt keiner so gut, wie der quirlige Japaner. Aber daran mussten sie sich gewöhnen und sie mussten auch Alex die Chance und die Zeit lassen, sich hier einzugewöhnen. Colt machte ihm seinen Arbeitsplatz leider nicht gerade schmackhaft. Saber musste jetzt eingreifen, wenn er nicht wollte, dass bald die Fetzen flogen.

Als Saber mit an sah, wie besagter hauseigener Sturkopf eine Stange Wurst in den Kühlschrank pfefferte, stieß er sich von der Tür ab und schloss Colt vor der Nase den Kühlschrank: „Es gibt gerade Wichtigeres als Essen, Colt.“

„Ich will wenigstens nicht hungrig sterben müssen!“, war die patzige Antwort von Colt. Er riss die Kühlschranktür einfach wieder auf und steckte den Kopf wieder hinein. Der Schotte würde wohl kaum auf die Idee kommen, ihm dann die Tür wieder zuzuschlagen, wenn er den Kopf noch in der Öffnung hatte. Er wollte nicht reden. Colt musste seine Gedanken gerade damit ablenken, indem er nach Fleisch suchte.

Der Schotte verdrehte die Augen. Das war doch einfach unglaublich! Er umrundete die offenstehende Tür und entschied sich spontan dafür, Colt mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen. Saber wusste, dass Colt die Art und Weise nicht gefallen hatte, wie Fireball versetzt worden war. Aber daran konnte hier niemand etwas ändern und wahrscheinlich wollte das auch sonst niemand ändern, der dazu in der Lage gewesen war. Der Highlander drängte sich also frech neben Colt, steckte ebenfalls den Kopf in die Öffnung und ließ sich vernehmen: „Also, ich wäre ja dafür, dass du in den Hungerstreik trittst.“

Colt fuhr nach hinten, als er Saber gehört hatte. Pech für die beiden war in dem Augenblick allerdings, dass sich Saber immer noch hinter Colt befunden hatte. Die beiden knallten mit den Köpfen zusammen. Der Schotte wich sofort aus und hielt sich die getroffene Stelle. Verdammt, gerade an der Nasenwurzel tat es immer höllisch weh, wenn man getroffen wurde, und Colt wäre kein Scharfschütze gewesen, wenn er nicht auch immer mit den ungewöhnlichsten Waffen genau das Ziel treffen würde. Das Zielwasser hätte Saber auch manchmal gerne, das Colt hatte. Vorsichtig tastete er seinen Nasenrücken und die Seiten ab. Gebrochen war nichts. Aber das war einfach wieder mal eine Aktion gewesen, die typisch für den alten Viehtreiber war.

Der Schlag hatte gesessen. Sabers Schädel war verdammt hart, wie sich Colt eingestehen musste. Er griff sich sofort an den Hinterkopf und verzog das Gesicht. Autsch. Grummelnd zog nun Colt die Kühlschranktür zu und lehnte sich mit dem Becken gegen die Anrichte. Oh man, das tat tierisch weh. Aber wenigstens hielt sich auch sein Boss mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck die Nase. Das erheiterte Colts Gemüt dann doch wieder. Er zwinkerte: „Wolltest wohl so ein zierlich Stupsnäschen haben wie Jacko, oder warum kriechst du hinter mir in den Kühlschrank?“

Trocken konterte Saber: „Nein. War nur eine ungewöhnliche Art, dir einen Schlag auf den Hinterkopf zu verpassen. Der soll ja schließlich das Denkvermögen erhöhen“, Saber ließ endlich seine arme Nase los und begutachtete Colt. Dabei setzte er sich auf den Küchentisch und nickte ihm schließlich zu: „Und? Hat’s geholfen?“

„Nö, ich bin auch so klug genug“, was fiel Saber denn ein? Colt schüttelte den Kopf, er schmunzelte immer noch. Sie waren schon so eine Chaostruppe. Wie sie es immer wieder schafften, sich gegenseitig abzulenken, war Colt ein absolutes Rätsel. Aber es funktionierte in seinem Fall immer wieder wunderbar.

Saber kannte noch einen Konter: „Bauernschlau, ja.“

Wenn es eines gab, worin Saber neben Fechten sozusagen immer bestach, war das sein trockener Humor. Er konnte Sprüche raus klopfen, ohne mit der Wimper zu zucken. So auch wieder in diesem Fall. Wer ihn nicht kannte, der konnte glauben, Saber meinte das ernst. Aber seine Augen verrieten ihn. Aus Sabers Augen blitzte jedes Mal der Schalk, wenn er jemanden auf den Arm nahm.

Genau jener Schalk war jetzt nicht mehr in den blauen Augen des Schwertschwingers zu finden. Er wollte Colt ins Gewissen reden. Er machte es zwar humorvoll, aber doch auch ernst genug, damit Colt auf keinen falschen Gedanken dabei kam. Saber zitierte seinen Scharfschützen zu sich an den Tisch. Eindringlich legte er ihm nahe, Alex doch erst einmal kennen zu lernen, bevor er ihn in irgendeine Schublade steckte. Sie hatten sich alle gemeinsam die Personalakte ihres neuen Kollegen angesehen, Colt konnte sich also nicht darauf hinausreden, dass er nicht gewusst hatte, wer ihnen vorgesetzt wurde. Saber kam immer wieder auch darauf zu sprechen, dass Alex aus einer Eliteflugstaffel zu ihnen gekommen war. Er hatte mehrjährige Flug- als auch Kampferfahrung, sie hatten keinen Frischling bekommen. Alex hatte unter anderem die Air Strike Base mit einem Kollegen zusammen bei Kunstflugbewerben vertreten. Das durfte nur die Creme de la Creme, das musste Colt dann zwangsläufig auch einsehen.

Auf so gut wie jedes Argument, das der Cowboy bezüglich seiner berechtigten Zweifel vorbrachte, hatte der Schotte zumindest ein Gegenargument. Der elende Highlander konnte einfach alles begründen, das war Colt schon fast unheimlich. Der Cowboy merkte manchmal gar nicht, wie Saber ihm den neuen Piloten wirklich schmackhaft machen versuchte. Der Schotte kam sich schon vor wie beim Teleshopping. Nur konnte er leider nicht einfach wegschalten, er war der Verkäufer. Es blieb ihm nur zu hoffen, dass er den Kampfjetpiloten gut genug angepriesen hatte, als er mit Colt nach einem kleinen Imbiss wieder in den Kontrollraum ging.
 

Mal in aller Ruhe durchs Oberkommando zu gehen, war ein echtes Highlight. Die beiden Piloten, die sich diesen Luxus gerade leisten konnten, genossen das auch in vollen Zügen. Der Dienst ging erst in einigen Minuten los, zumindest für einen von ihnen, und solange unterhielten sie sich. Mandarin versuchte ihrem Nachfolger auf diese Art noch ein paar wertvolle Tipps mit auf den Weg zu geben. Aber sie unterhielten sich auch privat ziemlich gut. Es hatte sich viel getan, seit sie das letzte Mal wirklich viel Zeit füreinander hatten. Jeder hatte ein paar Geschichten auf Lager, sie traten lachend in den Hangar der Air Strike Base 1. Noch war hier nicht allzu viel los, in dieser Woche hatte eine andere Staffel die Frühschicht übernommen. Mandarin zeigte ihrem Kumpel alles nötige, gerade, als sie Fireball ins Büro hochlotsen wollte, waren einige Piloten auf die beiden aufmerksam geworden.

Sie kamen auf die beiden zu, grüßten Mandarin gut gelaunt. Für den jungen Spund an ihrer Seite hatten sie auch einen Spruch auf Lager. Nachdem in einer knappen halben Stunde ein Trainingsflug anstand, hatte Fireball seinen Kampfanzug angezogen, auf dem nichts auf seinen Rang hindeutete.

Ein hochgewachsener, aschblonder Pilot trat aus der Gruppe hervor und salutierte vor Mandarin: „Morgen, Captain!“, dabei zwinkerte er und lachte gut gelaunt. Er nickte auf ihr Mitbringsel und wollte wissen: „Zeigst du dem Frischling mal die Base?“

Noch einer trat aus der Schar hervor, die sich innerhalb kürzester Zeit um sie versammelt hatte, und setzte noch eins drauf: „Vorausgesetzt, der Kleine wird mal groß.“

Die Piloten waren an diesem Tag unheimlich gut gelaunt, es schien als könnte kein Wässerchen ihre Lacher verstummen lassen. Während der blonde mit der halben Schrankwand abklatschte, ging auch ein kicherndes Raunen durch die Menge.

Mandarin schmunzelte mit. Ja, das waren ihre Jungs. Stan, der große Blondschopf, und Oliver, der Hüne. Die zwei waren beinahe berühmt berüchtigt für ihren derben Humor, den sie prinzipiell auf dem Rücken anderer auslebten. Ihr neuestes Opfer hieß da nun Fireball und der war noch nicht mal in ihrer Einheit. Naja, zumindest noch nicht offiziell. Mandarin wurde klamm ums Herz. Sie würde die Jungs vermissen. Alle, auch ihre Sorgenkinder. Aber die Gefühle waren stärker als ihr Pflichtgefühl und ein bisschen war ihr die Entscheidung auch abgenommen worden. Sie konnte es nicht mehr ewig verbergen und dem Druck wollte sie auch nicht mehr länger standhalten müssen. Es war ihr in den letzten Jahren schwer gefallen. Jetzt wollte sie das nicht mehr. Auch wenn es bedeutete, ihren Job zu kündigen, die Liebe war schließlich stärker gewesen und sie würde mit ihrem John zusammen bleiben.

Die kesse Rothaarige pfiff kurz, damit ihre Pappnasen mal eine Sekunde den Schnabel hielten und ihre Aufmerksamkeit ihr und ihrem Begleiter galt. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie im Begriff war, von ihrer Einheit Abschied zu nehmen. Wie würden sie nur darauf reagieren? Sie blickte kurz in die Runde. Na, es waren alles liebe Kerle, jeder für sich, sie würden es schon verstehen. Mit ihrem süßesten und unschuldigsten Lächeln erklärte sie: „Euer neuer Captain wird nicht mehr größer. Captain Shinji Hikari“, sie öffnete die Arme und wies auf Fireball, danach lächelte sie auf ihre Truppe: „Süßer, das ist deine neue Einheit.“

Mandarin konnte beobachten, wie ihren Jungs vorher die Augen übergingen. Dann verschwand aber ihr Lächeln und der Blick der Piloten wurde misstrauisch. Das hatte sie falsch angepackt, wie Mandarin bemerkte. Sie seufzte unterdrückt, aber auch traurig. Das machte sie nun traurig. Sie sah die Enttäuschung in deren Augen. Vielleicht hätte sie ihnen früher reinen Wein einschenken müssen. Nun war es zu spät, aber Mandarin konnte es nicht mehr ändern. Sie gestand: „Ich habe gekündigt, Jungs. Captain Hikari übernimmt ab heute das Kommando bei euch.“

„Heute?!“, den Piloten fiel der Kiefer zu Boden. Das war nicht Mandarins Ernst.

Die junge Frau zog es nun schleunigst vor, den Hangar zu verlassen. Es fiel ihr schwerer, als gedacht. Tränen hatten sich in ihren Augen gesammelt und Mandarin konnte sie nicht vor den Piloten weinen. Wie sah das denn aus? Sie stürmte an Fireball und ihrer ehemaligen Einheit vorbei nach draußen. Sie wollte nur noch zu John und sich in den Arm nehmen lassen. Zu kündigen war eine Sache gewesen, aber bei der Staffel zu stehen und ihnen mitzuteilen, dass sie ab nun nicht mehr bei ihnen sein würde, das zerriss der kleinen Pilotin das Herz. Bisher hatte sie nicht daran gedacht, wie es einmal sein würde, wenn sie ihre Einheit verließ, sie hatte es seit ihrer Kündigung immer weggeschoben. Zum einen, weil sie zum Nachdenken sowieso keine Zeit gehabt hatte, zum anderen aber ganz sicher, weil sie sich auf das, was danach kam, sehr freute. Nur der Moment des Abschieds war grausam für sie gewesen.

So ruhig war es im Hangar der Air Strike Base 1 sicher selten gewesen. Alle Augen waren zuerst auf Mandarin gerichtet gewesen und hatten ihr nachgesehen, als sie raus gerannt war. Dann allerdings galt die ganze Aufmerksamkeit der Piloten wieder Fireball. Diese Situation war dem neuen Captain sehr unangenehm. Er hatte gerade gemerkt, dass es die Piloten nicht gewusst hatten. Den Unmut, der dann doch allmählich leise durch die Reihen ging, konnte er sogar verstehen. Spontan war ja manchmal schön und gut, aber einfach vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden, konnte auch ins Auge gehen. Letztere Befürchtung hatte Fireball, wenn er die Gesichter der Einheit musterte.

Wieder waren es Stan und Oliver, die das Ruder in die Hand nahmen, in diesem Fall bedeutete es, sie hielten die restliche Mannschaft auf Trab. Stan bedachte Mandarin mit einem finsteren Blick, er war sichtlich enttäuscht darüber, wie sie sich verabschiedet hatte, sah anschließend stechend auf den Neuen in der Runde hinab und drehte sich um. Er zuckte mit den Schultern und wies die anderen an: „Es stand ein Trainingsflug auf dem Plan. Also, auf mit euren faulen Hintern.“

Murmelnd folgte die restliche Staffel und auch Fireball schloss sich an. Es war eine gute Gelegenheit, die Bande in der Luft kennen zu lernen. Mandarin hatte ihm immer wieder vorgeschwärmt, wie toll ihre Mannschaft doch war und wie gut sie flogen. War nur die Frage, wie gut und schnell ein Neuer in ihrer Runde aufgenommen wurde. Der kleine Wirbelwind schloss zügig zu Stan und Oliver auf, die vorausgingen. Als Oliver bemerkte, wie Fireball mit ihnen zu den Jets ging, stellte er sich ihm kurzerhand in den Weg. Sie würden es ihm nicht einfach machen. Er gehörte für sie nicht zu dieser Staffel, er gehörte nicht zu ihnen und das würden sie ihm auch zeigen. Damit begannen sie unverzüglich. Wenn es nach den Piloten ging, sollte sich Fireball schon heute wieder verziehen. Oliver versperrte Fireball also den Weg und zwang ihn zum Anhalten: „Du hast hier nichts verloren, Fliegengewicht.“

Verdattert blieb Fireball stehen. Er sah dem großen genau auf die Brust! Oh Mann, eine Schrankwand schien überwindbarer als dieser Hüne vor ihm. Da Oliver bis auf wenige Zentimeter genau vor ihm stand, wich Fireball einen Schritt vor ihm zurück und sah dann zu ihm auf. Das würde die nächste Zeit Muskelkater im Nacken geben, wenn er das öfters machen musste, stellte er verdrießlich fest. Fireball wollte keine Schwäche zeigen, er hatte bereits bei der Begrüßung geahnt, dass er sich hier erst noch behaupten musste. Die Prüfung hatte gerade begonnen. Mit festem Blick sah er zu Oliver auf und konterte ungerührt: „Ob ich hier was verloren habe, oder nicht, sehen wir, wenn ich dich gleich aus den Wolken hole.“

Herablassend verschränkte der brünette Mann die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch. Die nicht ausgesprochene Herausforderung ‚dazu musst du erst mal an mir vorbei kommen‘ war dabei unmissverständlich.

Stan hatte nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet. Nun mischte er mit. Den Spaß ließ er sich doch nicht entgehen. Er sah nicht ein, warum er das hinnehmen sollte. Vor einer Woche erst war ihr Kumpel Alessandro wegversetzt worden, jetzt hatte auch noch ihr Captain gekündigt, und alles, was sie dafür bekamen, war ein halbes Kind?! Bei aller Loyalität dem Oberkommando gegenüber, aber das ging überhaupt nicht! Als Fireball Anstalten machte, an Oliver vorbeizumarschieren, stellte sich auch Stan ihm in den Weg. Er stieß ihm die flache Hand vor die Brust. Nicht gerade zärtlich, aber nicht mit der Absicht, dem kleinen Jungen ernsthaft etwas zu tun. Es sollte nur eine Warnung für ihn sein. Die Gangart in der Air Strike Base war eine andere als bei Ramrod oder in der Akademie. Alle hier kannten den Nachnamen Hikari. Und jedermann wusste, dass ihr neuer Captain der Sohn des Mannes war, der vor zwanzig Jahren ein sagenhaftes Manöver geflogen war. Aber das war noch lange kein Grund, das Söhnchen hier auch zu verwöhnen. Im Gegenteil, Stan wollte ihm zeigen, wie das wahre Leben war. Er provozierte den jungen Hikari: „Wie alt bist du überhaupt, Bürschchen? Mit fünfzehn darf man doch noch gar keinen Jet fliegen, also geh wieder heim zu Mama. Komm wieder, wenn ein Mann aus dir geworden ist!“

Bei manchen Sprüchen war es egal, wer gerade vor ihm stand, er reagierte einfach allergisch darauf. Sprüche über sein Alter waren auf dieser Liste ganz oben. Fireball hasste es, sowas brachte ihn auf die Palme. Er wusste, dass er jung war und verdammt, dazu auch noch jünger aussah, als er wirklich war, aber das war noch lange kein Grund, gleich zu behaupten, er könne nicht fliegen! Die Beschreibung Giftzwerg traf in diesem Augenblick sehr gut auf Fireball zu. Er ballte die linke Hand zur Faust, der rechte Arm schloss sich fester um den Helm, den er unter dem Arm trug und seine Augen funkelten zu Stan hinüber. Zu allem Überfluss wurde er dann auch noch laut: „Hör zu, Kumpel! Auf das Alter kommt’s nicht an, sonst müssten einige von euch ja schon in den Vorruhestand!“

Den blonden Piloten ließ das ziemlich kalt. Er stieß ihm noch mal die flache Hand vor die Brust und stellte dieses Mal sehr deutlich klar: „Kleine Kinder haben in der Luft nichts verloren, Baby.“

Damit nickte er Oliver zu und ließ Fireball stehen. Die beiden gingen einige Schritte voraus zu ihren Jets. Der nächste in der Runde war Martin. Still lachten sie sich dabei ins Fäustchen, den kleinen Captain auszubremsen machte höllischen Spaß, wobei es in erster Linie natürlich nur ein Ventil war, um den Frust über den Verlust zweier guter Piloten raus zu lassen. Wenn es nach ihnen ging, würde der Liebling des Commanders hier bestimmt nicht alt.
 

Die freie Bahn hielt nicht lange an. Kaum waren Oliver und Stan verschwunden, stellte sich ihm jemand anderes in den Weg. Zu diesem Piloten gehörten ein Paar brauner Augen, dunkler Teint und dunkelbraune Haare. Er ging um Fireball herum, musterte ihn eingehend. Das war er also. In ihn und die anderen drei von Ramrod hatte das Neue Grenzland also all seine Hoffnungen gesteckt. Es war die Frage, ob sie nicht besser das Schicksal der Menschen in erfahrenere Hände gelegt hätten. Der Zwerg war impulsiv, ließ sich schnell reizen und wie Stan es auf den Punkt gebracht hatte, war er auch noch jung. Beim ersten Angriff der Outrider war ihr neuer Captain noch nicht einmal auf der Welt gewesen. Wie sollte der Bengel eine dreißig Mann starke Belegschaft unter Kontrolle halten, wenn er sich selbst schon nicht beherrschen konnte? Er war skeptisch, aber im Augenblick war das wohl jeder. Martin, der einzige Brasilianer der Belegschaft, wusste mit nur einem Blick in das Gesicht dieses Grünschnabels, dass beide Seiten überrumpelt waren.

„Du siehst nicht nur aus wie eins, du schreist auch wie ein Baby, Boy.“

Was dachten die alle, was er war? Fireball fühlte sich auch vom dritten, der sich bequemt hatte, mit ihm zu reden, persönlich angegriffen. Er funkelte den etwas größeren an: „Wer hat dich gefragt?!“

„Tja“, Martin legte die Stirn kurz in Falten, bevor er ungerührt fortfuhr. Auch er würde sich nichts von Fireball sagen oder befehlen lassen, da konnte der Krümel schon Gift drauf nehmen: „keiner, wenn man‘s genau nimmt. Aber ich habe trotzdem das Recht, eine Feststellung zu äußern. Ob‘s dir nun passt oder nicht.“

Ob es ihm nun passte, oder nicht. Fireball zog die Augenbrauen zusammen. Das galt für die dreißig Piloten hier aber genauso! Sie waren offensichtlich alle nicht gefragt worden und auslöffeln durfte die ganze Suppe jetzt er alleine. In einer ruhigen Minute musste er mit Charles noch einmal wegen der Informationspolitik im Oberkommando ein Wörtchen reden. Nun aber saß Fireball hier fest. Ein Trainingsflug stand an und er sollte nicht mitfliegen, weil er zu jung war. Er musste sich in den ersten fünf Minuten in seiner neuen Einheit schon durchsetzen. Da Martin ihn umrundet hatte und argwöhnisch musterte, folgte der Japaner dieser Bewegung. Er fühlte sich wie auf einem Silbertablett präsentiert. Das behagte ihm ganz und gar nicht. Noch einmal ballte er die Hand zur Faust und schloss kurz die Augen. Laut werden brachte genau gar nichts, das erinnerte ihn gerade ziemlich an Colt. Also musste er eine andere Taktik wählen. Zwar noch immer gereizt, aber in normaler Lautstärke ließ sich nun auch Fireball vernehmen: „Ah ja, eine Feststellung. Scheint mir nur leider so, dass ihr noch nicht festgestellt habt, dass Mandarin nicht mehr euer Captain ist.“

Bedauerlicherweise lag der Neue mit dieser Feststellung nicht so weit daneben. Aber das beeindruckte Martin nicht. Sein Vater hatte ihm viele Geschichten von Captain Hikari erzählt, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Er konnte sich sogar verschwommen noch an den besagten Helden der einstigen Air Strike Base 1 erinnern. Martin war zwar erst ein Knirps von fünf Jahren gewesen, als der Krieg ausgebrochen war, aber er war einige Male mit seinem Vater Emilio im Hangar hier gewesen. An das Gesicht des freundlichen Captains konnte er sich sogar noch erinnern. Nun stand also dessen Sohn hier und beanspruchte diesen Titel für sich. Martin war sich nicht sicher, wie gut die Entscheidung überdacht worden war, bevor sie in den oberen Rängen gefällt worden war. Eigentlich hatte Fireball schon verspielt. Aber vielleicht ließ er sich auf Umwegen helfen, zumindest war Martin nicht davon abgeneigt, zuerst abzuwarten und zu sehen, was der Kleine konnte. Lässig konterte er auf Fireballs Kommentar: „Scheint mir nur so, als hättest du noch nicht festgestellt, warum du hier nix zu melden hast.“

Das war doch mal in aller Deutlichkeit formuliert. Fireball hatte es geahnt, er hatte es befürchtet und die Bestätigung dafür gefiel ihm nicht sonderlich. Die nächste Zeit würde sich zeigen, was er alles gelernt hatte und ob er es anwenden konnte. Saber hatte ihm viel beigebracht, genau genommen eigentlich alles, was man als guter Captain wissen und können sollte. Aber das hier war nicht Ramrod. Er vermisste seine alte Einheit bereits jetzt. Das waren ja tolle Aussichten. Noch etwas bissig gab Fireball zurück: „Sollte es am Alter liegen, so kann ich euch beruhigen. Ich sehe jünger aus, als ich bin“, dabei bedachte er Stan mit einem düsteren Blick. „Und sollte es wider Erwarten doch am Können liegen, so muss ich euch leider enttäuschen. Ich könnte mich nicht daran erinnern, dass ihr das beurteilen könntet.“

„Vielleicht liegt es auch ganz einfach nur daran, dass du dem Vorurteil gerecht wirst und dich wirklich wie ein verzogener, kleiner Hosenscheißer aufführst“, mittlerweile waren beide in der Tonlage ruhiger geworden. Das erste Beschnuppern verlief ohnehin nicht wie gewünscht. Martin besah sich ihr neues Desaster noch einmal genauer. Viele Geschichten gab es im Oberkommando, besonders über die Ramrodcrew. Sie waren ein ungewöhnlich junges Team mit einem noch jüngeren Captain. Zusätzlich bekam man die vier Star Sheriffs selten in Yuma zu Gesicht und wenn die Crew mal ein paar Tage hier war, konnte man nicht gerade von den vieren behaupten, sie würden sich mit Kollegen treffen. Von den Privilegien ganz zu schweigen. Jeder im Oberkommando wusste, dass das Team Ramrod von allen bevorzugt behandelt wurde. Ihr Exemplar, das Martin gerade misstrauisch musterte, war das Paradebeispiel dafür. Alles war dem kleinen Hikari hier geschenkt worden, bestimmt hatte er nie auch nur einen Finger für das, was er nun hatte, krumm gemacht.

Der liebe Ruf. Fireball war seiner also vorausgeeilt. Nur leider entsprach dieser Ruf nicht der Wahrheit. Er sparte sich die Mühe, das hier irgendjemandem erklären zu wollen. Sie würden ja doch nichts glauben. Aber das, was sein Gegenüber konnte, konnte auch Fireball präzise auf den Punkt bringen. Seit mehr als zwanzig Jahren war die Air Strike Base 1 als die Eliteschmiede des Oberkommandos bekannt. Wer hier flog, der war ganz einfach ein Ass im Himmel. Aber mehr noch als das. Überall wurden sie für ihren Teamgeist und ihren Zusammenhalt in selbigen gelobt. Blöd nur, dass das nicht galt, wenn man nicht Teil dieser Elitetruppe war. Nun ganz ruhig und ungerührt knallte Fireball Martin um die Ohren: „Ihr werdet eurem Ruf leider so ganz und gar nicht gerecht. Ist wohl mehr Schein als Sein. Was sich das Oberkommando auf diese Staffel einbildet, ist mir ein Rätsel. Ihr führt euch auf, als wärt ihr die einzigen, die so einen niedlichen kleinen Gleiter in die Luft bringen.“

„Lass es sein Martin!“, es war Stan gewesen, der Martin nun anfunkelte. Er hatte das seltsame Schauspiel zwischen ihm und Fireball verfolgt und nun, da der kleine Stinker sich abfällig über ihre Einheit geäußert hatte, zog der Blonde einen Schlussstrich. Fireball hatte in diesem Moment verspielt. Er kam noch einmal zurück und klopfte Martin auf die Schulter: „Der begreift nix. Ist Zeitverschwendung.“

Stan wandte sich endgültig ab. Er wollte von dem eingebildeten Kerl nichts mehr hören und sehen. Auch Martin sollte endlich mitkommen, deshalb nickte er noch einmal zu den Gleitern hinüber.

Doch Martin verneinte stumm dessen Aufforderung, sah seiner Einheit noch kurz nach, dann widmete er sich wieder Fireball. Niemand bestritt, dass es leicht für einen Neuen sein würde, aber so machte er sich bestimmt keine Freunde. Martin wusste selbst nicht, weshalb er das nun genau tat, aber vielleicht war es die Tatsache, dass Fireballs Vater seinem bei der ersten Schlacht das Leben gerettet hatte. Der Brasilianer schnaubte: „Eine Meisterleistung. Wirklich. Das fördert deine Beliebtheit ungemein. Als ob du der einzige wärst, dem die vollendeten Tatsachen nicht passen.“

Wieder schlich Martin dabei um Fireball herum. Seine Augen suchten nach noch mehr offensichtlichen Fehlern, sein Blick hatte etwas Warmherziges. Er war sich nicht sicher, absolut nicht. Es musste einen guten Grund für diese Versetzung geben, aber der Brasilianer konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass es im Oberkommando Entscheidungen gab, die unüberlegt getroffen wurden. Der Nachname alleine konnte da doch schwer ausschlaggebend gewesen sein. Der Captain der Air Strike Base 1 war nicht nur eine Vorzeigefigur nach außen hin, der Captain dieser Einheit musste Entscheidungen über Leben und Tod treffen, öfter als in anderen Einheiten. Im Notfall hatte der Captain der Air Strike Base 1 nämlich das Sagen über alle übrigen Einheiten der Air Strike Base. Ob der kleine Hitzkopf dieser Verantwortung gewachsen war? Martin hoffte inständig, dass er das nicht schon bald unter Beweis stellen musste.

Langsam war sich der ehemalige Pilot von Ramrod nicht mehr sicher, was hier eigentlich gespielt wurde. Martin beäugte ihn schon wieder mit derart kritischen Augen, dass Fireball in seinem Kampfanzug heiß und kalt wurde. Das war schlimmer, als jede erdenkliche Prüfungssituation oder Befragung vor einem Ausschuss. Wieder drehte er sich mit Martins Bewegung mit. Aber zumindest wurde er aufgrund von Martins Worten ruhiger und einsichtiger. Es war nicht nur ihm zu schnell gegangen. Er gestand dem dunkelhaarigen Mann zu: „Ich kann mir ja vorstellen, dass euch das auch nicht schmeckt. Aber deswegen so ein Theater zu veranstalten, grenzt an Befehlsverweigerung, das ist euch klar? Eine gute Einheit funktioniert bei jedem Captain. Der muss nicht immer rothaarig und weiblich sein. Mag ja sein, dass ich nicht euer Wunschkandidat bin, aber trotzdem hat Alter nichts mit Können zu tun. Von der Vorstellung solltet ihr euch langsam verabschieden.“

„Hm“, ganz so stur und uneinsichtig schien der Kurze nicht zu sein. Martin sah Fireball noch einmal kurz in das doch noch eher kindliche Gesicht. Ein bisschen Schieben und Lenken in die richtige Richtung, und aus dem Schreihals wurde vielleicht doch ein guter Captain. Die Hoffnung sollte man nicht aufgeben und zumindest in diesem Fall schien es Martin wichtig zu sein, dem verzogenen Rotzlöffel auf den richtigen Weg zu helfen. Dabei behielt Martin aber im Hinterkopf, das nicht zu auffällig zu machen. Er kannte die Bande, die mittlerweile zu den Jets vorausgegangen war, nur zu gut. Die würden Fireball noch weniger als jetzt akzeptieren, wenn sie wüssten, dass er aus ihren Reihen Unterstützung bekam. Hoffentlich war der Kleine wenigstens clever genug, auch unterschwellige Botschaften zu verstehen. Martin blieb vor Fireball stehen: „Zumindest den Ansatz begreifst du. Immerhin ist dir mal klar, dass du der Captain dieser Staffel bist. Dass du von daher eine Vorbildrolle hast und dich nicht auf den Schwachsinn mit Alter und Unfähigkeit einlassen solltest, so weit reicht es dann aber doch noch nicht.“

Mittlerweile war bei Fireball der erste Wutausbruch auch schon wieder Geschichte. So schnell er in der Regel hochkochte, so schnell beruhigte er sich in den meisten Fällen auch wieder. Die Wut verpuffte sozusagen ziemlich schnell wieder. Deswegen konnte er bei Martins Kommentar schon wieder verschmitzt schmunzeln und sich selbst ein wenig aufs Korn nehmen: „Wär ja auch zu viel verlangt, oder?“, er sah zum Rest seiner Einheit hinüber.

Mandarin hatte ihn einfach stehen lassen. Sie hatte zwar etwas von einem Trainingsflug gesagt, aber nicht was und wann. Fireball neigte leicht den Kopf und hoffte auf Hilfe des Südländers: „Also, was steht denn eigentlich auf dem Plan? Mandarin hat den taktischen Rückzug etwas zu schnell vorgezogen und mich ohne Infos stehen lassen. Allmählich wird mir klar, wieso sie dann so schnell gehen wollte.“

Okay, zumindest der Humor war nicht zu verachten, wenn er dann mal zum Vorschein kam. Um Martins Mundwinkel zeichnete sich ein hämisches Grinsen ab. Hätte sich Fireball von Anfang an so benommen, dann hätte die gesamte Staffel ihn nicht gleich für einen kleinen, verzogenen Rotzlöffel gehalten. Aber zumindest, da war sich Emilios Sohn ganz sicher, versprachen die nächsten paar Monate viel Neues zu bringen. Es war nur die Frage, wie oft er noch bereuen würde, dass er sich in diesem Moment entschloss, dem Sohn von Captain Hikari unter die Arme zu greifen. Martin zwinkerte: „Frauen haben es nicht so mit Blutbädern“, sein Blick wanderte über den Hangar. Was stand eigentlich wirklich auf der Tagesordnung? Er zog mit einem unschlüssigen Gesichtsausruck die Schultern nach oben und erklärte Fireball: „Routineüberprüfung der Gleiter, das stand auf dem Zettel. Hm. Ein kleiner Testflug sollte da doch sicher drin sein. Du musst schließlich auch deine Maschine checken und sehen, ob sie anspringt.“

„Da lacht das Fliegerherz doch“, Fireballs Begeisterung kletterte in diesem Moment wieder ein Stückchen weiter nach oben. Er nickte Martin kurz zu und setzte sich in Bewegung: „Dann mal rüber zu dem guten Stück, ich hab ewig schon nicht mehr in einem Gleiter gesessen.“

Es war zwar die Frage, wie ernst Martin diesen Spruch gerade genommen hatte, aber streng genommen war Fireball seit seiner Ausbildung in keinem Jet mehr geflogen. Die Jets in der Vergangenheit waren ja das Vorgängermodell gewesen und außerdem konnte man etwas, was im Normalfall nicht mal passieren dürfte und was einem niemand jemals glauben würde, nicht als Übung mitzählen. Langsam verschwand zu Fireballs Erleichterung endlich das äußerst miese Gefühl in seiner Magengegend, das er seit Mandarins Verschwinden verspürt hatte. Er sah dem Brasilianer an, wenn er jemals ein vollwertiges Mitglied und vor allem ernst genommener Captain dieser Einheit werden wollte, musste er sich an Martin halten. Deswegen streckte er ihm nun auch mit einem spitzbübischen Grinsen im Gesicht die Hand entgegen. Fireball konnte schon wieder einen Scherz riskieren: „Übrigens, bevor mir das mit dem Baby auf Ewig hängen bleibt. Eigentlich sagt man Fireball zu mir. Darf man auch deinen Namen erfahren?“

„Tja, ich schätze, dafür ist es jetzt zu spät“, Martin schüttelte die angebotene Hand und sah noch einmal auf den kleineren Wildfang hinab. Da hatten sie sich wirklich ganz schön was eingehandelt. Wenn er heute Abend nachhause kam, würde er bei seiner Herzdame Alessa wahrscheinlich gleich mit der Tür ins Haus fallen. Wenn er nicht sogar seinen Dad anrief, und ihm das hier brühwarm erzählte. Mit einem neckischen Zwinkern rieb er Fireball postwendend noch unter die Nase: „Babyboy. Ich bin Martin, Martin Rubario.“

Bei dem Namen Rubario fing es in Fireballs Kopf zu rattern an. So lange war es noch nicht her, da hatte er den Namen schon mal irgendwo gehört. Das war in der Einheit seines Vaters gewesen. Da hatte es auch einen Rubario gegeben. Fireball grübelte halblaut: „Martin also…“

„Ja“, bestätigend nickte Martin. Er wusste nicht, ob das hier der Beginn einer Freundschaft war, auf alle Fälle war es gerade aus einer unterkühlten Vorstellrunde zu so etwas wie einem freundlichen Bekanntmachen geworden. Martin spürte es, der Knirps da vor ihm war etwas Besonderes. Nicht nur wegen der Geschichte seines Vaters: „Captain Hikari. Auf diese Bezeichnung brauchst du hier nicht zu hoffen. Zu viele Verwechslungsmöglichkeiten, du verstehst?“

Beinahe wie auf Kommando ließ Fireball dabei die Hand sinken und entgegnete Martin: „Kein Bedarf an Verwechslungen dieser Art“, leiser fügte er noch hinzu: „Da stirbt man nur im Dienst“, Fireball schüttelte den Gedanken schnell wieder ab und kam auf das eigentliche Thema zurück: „Dann lass uns mal zusehen, ob ich so einen Jet überhaupt noch in die Luft kriege...“

Martin schüttelte lachend den Kopf. Der war Captain einer Flugstaffel, da sollte er einen Jet schon fliegen können. Wie beruhigend, solche Aussichten. Er grinste Fireball an und ging neben ihm her: „Ja, das will ich gern sehen.“
 

Gemeinsam gingen die beiden nun zu den Gleitern hinüber. Zwar schweigend, aber zumindest bei Martin legte sich der Argwohn endlich. Da war was, er konnte es zwar nicht beschreiben, aber es war mit einer gewissen Sicherheit darüber verbunden, dass er einen neuen Kumpel an seiner Seite hatte. Blieb nur noch zu hoffen, dass Fireball zumindest ein ebenbürtiger Pilot für Stan war. Er würde es in dieser Einheit nicht leicht haben, das wusste Martin, kein Neuer hatte es leicht hier bei ihnen. Je schneller sich Fireball seinen Prüfungen stellte und diese zur Zufriedenheit der Prüfer bestand, desto schneller würden sie ihn hier akzeptieren. Martin wusste nicht, wie viele kleine Aufnahmetests sie Fireball stellen würden und welche, aber sicher war, er bekam seine Bewährungsproben.

Während Martin zu seinem Gleiter vorausging, blieb Fireball noch einmal stehen. Er stand am Ende der Halle. Nun offenbarte sich die Größe dieser Einheit. Ein Jet an den anderen parkte in den geheiligten Fliegerhallen, an jeder stand ein Pilot und wartete sein Baby. Fireball schlug das Herz plötzlich bis zum Hals. All diese Piloten standen unter seinem Kommando, er hatte die Verantwortung für sie. Von Freunden, wie auf Ramrod, war hier nichts zu sehen. Der kleine Japaner hatte die Verantwortung für mehr als dreißig wildfremde Menschen übertragen bekommen. Er wusste nicht, ob es ihm direkt Angst machte, auf jeden Fall aber flößte es ihm Respekt ein. Im Augenblick empfand es der Hitzkopf als Bürde, der Captain dieser Einheit zu sein.

Fireball ließ den Blick kurz über den Hangar schweifen. Je weiter vorne die Jets standen, desto mehr hatte der Pilot in der Einheit zu melden, das war ihm klar. Die drei Jets nach dem des Captains besetzten Martin, Stan und Oliver. Dem Japaner lief ein Schauer über den Rücken. Zumindest Stan und Oliver hatten schon klar gemacht, was sie von ihm hier hielten. Alle anderen standen hinter dieser Meinung. Auch Martin, obwohl der ihm schon eine zaghafte Hand gereicht hatte. Er musste da durch, alles andere hätte ohnehin keiner gelten lassen. Fireball atmete also noch einmal tief durch und steuerte dann seinen Jet an. Mit dem Vorgängermodell hatte er in der Luft keinerlei Schwierigkeiten gehabt, wie sich dieser hier flog, wusste Fireball allerdings nicht mehr. Seine Zeit in der Akademie war begrenzt gewesen, er war nicht oft mit den F 19 geflogen, bevor er dank seiner sturen Art und Weise suspendiert worden war. Er ging eine Runde um den Jet herum, die Fingerspitzen der rechten Hand glitten am Metall entlang. So hatte er sich auch mit Ramrod vertraut gemacht, bevor er das erste Mal mit dem Riesenbaby abgehoben war. Es war sozusagen ein kleines Ritual, die erste Begrüßung und hoffentlich enttäuschte ihn sein neues Arbeitsgerät nicht. Während seines Rundgangs hatte er sowohl ein aufmerksames Auge für die Maschine, als auch für die kritischen und argwöhnischen Blicke seiner neuen Kollegen.
 

„Was treibt Babyboy am Jet?“, Stan kam um seinen Gleiter rumgeschossen und direkt auf Martin zu. Er hatte gesehen, dass sich der Brasilianer noch kurz mit ihrem Captain unterhalten hatte. De facto musste Martin nun auch wissen, was der verwöhnte kleine Junge am Jet zu schaffen hatte. Alles, was Stan sehen wollte, aber ganz sicher nicht den Kleinen da in der Luft. Ein Jet war kein Spielzeug, dafür waren diese Maschinen erstens viel zu teuer und zweitens waren es Kampfjets. Kein Kind hatte dort was verloren.

Im nächsten Augenblick kam auch Oli auf Martin zu. Nur im Gegensatz zu Stan, wollte der große, breit gebaute Pilot sofort weiter zu Fireball. Oli war ein begnadeter Mechaniker, er reparierte das Meiste an seiner Maschine selbst. Den Totalschaden an Mandarins Jet sah er schon kommen, deswegen schritt er an Martin vorbei und funkelte diesen an: „Er sollte das lassen, wenn er an seinem Leben hängt!“

Martin konnte Oli geistesgegenwärtig noch festhalten. Er schüttelte den Kopf und deutete den beiden Männern, Fireball machen zu lassen. Er hielt sie zurück und versuchte, deren Bedenken zu zerstreuen: „Lass ihn, vielleicht überrascht er uns ja und hat doch was drauf.“

Mit einem abfälligen Lächeln ließ sich Stan aufhalten. Er hatte ohnehin nicht ernsthaft vorgehabt, das verzogene Gör da wegzuziehen. Aber Oli hatte es vorgehabt. Stan lehnte sich mit verschränkten Armen gegen Martins Jet und zog nun ebenfalls an Olivers Jacke. Sie konnten ihn auch so anlaufen lassen. Stan gab ohnehin gleich ohne Umschweife Kund, was er davon hielt: „Ja, oder er plumpst vom Himmel. So oder so. Wir haben was davon.“

Nie im Leben würde der Kleine den Gleiter auch nur in die Luft bekommen, Stan war sich da ganz sicher. Es war eine Sache, Ramrod zu fliegen, dazu brauchte es nicht viel Geschick und Können. Aber eine F 19 überhaupt mal so weit zu bekommen, dass sie den Boden unter dem Fahrwerk verlor, war eine ganz andere Geschichte und Stan bezweifelte, dass Fireball das hin bekam. Sollte er es versuchen und sich dabei ordentlich blamieren. Stan schrieb Fireball weder Können noch Talent zu.

Grummelnd blieb auch Oliver nun stehen. Er war überstimmt worden. Aber gefallen musste es ihm deswegen noch lange nicht. So, wie Stan gesagt hatte, der Kleine konnte auch vom Himmel fallen, und das Malheur dann wegmachen wollte er ganz sicher nicht. Er vertraute dem Wildfang nicht, niemand hier vertraute ihm, aber mehr noch als fehlendes Vertrauen war bei Oli auch noch die Angst um den Jet da.
 

Mit dem Jet war alles in Ordnung, einem kleinen Katz und Maus Spiel stand nichts mehr im Wege. Wenn sie ihm fünf Minuten Vorsprung gaben, würde sich Fireball schon mit dem Gleiter zurecht finden und etwaige Nachteile aufgeholt haben. Mit einem Lächeln setzte er seinen weißroten Helm auf und trieb die Einheit, die zwar ihre Jets durchgecheckt hatte, aber keine Anstalten machte, die guten Stücke mal auszuführen, an: „Na, Ladies? Keine Lust, den Wolken heute Gesellschaft zu leisten?“

Gleich darauf konnten alle zusehen, wie der Jet des Captains geschmeidig abhob und sich in die Höhe hinauf schraubte. Immer wieder vollführte der Jet kleine Flugübungen und Manöver am Himmel. Stan war mit all den anderen auf das Rollfeld hinaus gegangen, er würde zwar den Teufel tun und dem Kleinen nachhetzen, aber er würde sich ansehen, was er konnte. Was Stan vom ersten Blick in den wolkenlosen Himmel sagen konnte, machte der Japaner gerade einige einfache Flugmanöver, um die Maschine kennen zu lernen. Stan biss sich dabei leicht auf die Lippen und hielt sich eine Hand vor die Augen, damit ihn die Sonne nicht blendete. Verdammt, das sah auch noch gekonnt aus, was der Bengel da in den Himmel ritzte!

Martin traute sich bald anerkennend zu nicken. Fireball hatte vorhin doch glatt tiefgestapelt. Von wegen, mal sehen, ob er das Ding überhaupt in die Luft bekam! Das sah richtig gut aus. Stünde Stan nicht direkt neben ihm, es hätte auch der Blonde sein können. Er murmelte: „Gar nicht mal schlecht…“

„Na, ich weiß nicht“, Oli verschränkte die Arme vor der Brust und blickte wieder stur gerade aus. Ein Blick nach oben war ihm der Start schon wert gewesen, aber jetzt war er nicht mehr gewillt, das Treiben dort oben anzusehen. Er wusste, je länger er dem Naturtalent zusah, wie er Kunststücke dort oben zauberte, desto beeindruckter war er von Fireball. Und das ging im Augenblick gar nicht, das ließ Olivers Ego nicht zu. Er bagatellisierte das Können des jungen Captains noch im selben Atemzug: „Überzeugt mich jetzt nicht unbedingt. Das kann jeder.“

Postwendend stieß auch Stan in das selbe Horn. Wie kam er denn dazu, das gut zu finden, was der kleine Pilot von Ramrod da mit einer F 19 veranstaltete? Er durfte sich nicht dazu hinreißen lassen, es für gut zu befinden, dann hätte es Fireball viel zu leicht gehabt. Er brummte: „Sieht eher aus, als wär er zu kurz für die Kontrollen und Pedale.“

„Dann zeig ihm doch, wies besser geht“, Martin stieß Stan mit dem Ellbogen leicht an. Er hatte das leichte Zögern der beiden bemerkt und sah nun seine Chance, Fireball noch ein bisschen zu helfen. Er spornte Stan an: „Komm schon! Ich bin auch dein Wingman.“

Da kam plötzlich Leben in die Einheit. Sie hatten eine Chance gewittert, Action zu erleben und dafür waren sie immer zu haben. Kaum hatte Martin versucht, seinen Kumpel anzuspornen, tönte es auch aus den hinteren Reihen: „Ja, Stan! Hol den Kleinen da runter, bevor er sich noch weh tut.“

„Los Stan, zeig ihm was es heißt, in der Air Strike Base 1 zu fliegen!“, die Aufforderungen wurden immer mehr und so blieb Stan dann auch gar nichts anderes mehr übrig, als sich zusammen zu packen und den Krümel oben in Empfang zu nehmen. Er lachte, während er zu seinem Jet lief: „Hat man mit fünfzehn überhaupt schon was zu vererben? Der ist schneller wieder auf dem Boden, als er bis drei zählen kann. Vorausgesetzt, er kann schon so weit zählen.“

Oh, es würde ihm eine Genugtuung sein, Fireball vom Himmel zu holen. Stan war sich verdammt sicher, bei den verhaltenen Manövern ihres neuen Captains war es ein Kinderspiel, Fireball eins vor den Latz zu knallen. Es war ihm klar gewesen, dass Martin wieder mal nur eine große Klappe hatte. Der Weltretter blieb auf dem Boden, weil es gerecht zur Sache gehen sollte. Aber das war Stan egal. Er würde auch so zeigen, dass er der beste Pilot in der Air Strike Base 1 war.
 

„Na gut, er kann bis drei zählen“, Stans Helm flog im hohen Bogen und ziemlich schwungvoll ins Cockpit zurück, nachdem der Pilot gelandet war. Stan hatte geglaubt, er brauchte nur einmal gut zu zielen und Fireball eine schöne Heimreise zu wünschen, aber kaum war Stan dort oben gewesen, hatte der Japaner mit seinen Übungen aufgehört.

Zwanzig Minuten hatte Stan mit allen Mitteln und Tricks versucht, Fireball mit einer der Übungsraketen zu erwischen, aber er war noch nicht mal in die Nähe für einen gefährlichen Schuss gekommen. Das ärgerte den ehrgeizigen Flieger. Er hasste es, wenn jemand besser als er war. Und dann musste es ausgerechnet der Schreihals sein! Verdammt, Stan ärgerte sich gerade schwarz. So fehl am Platz, wie er gehofft hatte, war Fireball hier nicht. Der vermaledeite Spund hätte ihn dort oben bald stehen lassen. Der Tag war mit Mandarins Kündigung schon mies gewesen, aber jetzt war Stans Laune total im Keller. Er hatte Fireball ein gewisses Können zugestehen müssen. Das stank ihm. Stan rauschte ab. Auf diesen Frust musste er erst mal in die Kantine und sich ein zweites Frühstück holen.

Fireball lachte Stan noch hinterher: „Musste ich zwangsläufig lernen!“

Es war ein echter Vorteil, wenn man bei einer vierköpfigen Mannschaft bis drei zählen konnte, aber im Eifer des Gefechts hatte Stan offenbar nicht so weit gedacht. Die Angst hatte sich bei Fireball mit jeder Minute, die er in der Luft hatte verbringen dürfen, gelegt. Er fühlte sich dort oben heimisch, dort gehörte er hin. Das war auf Ramrod schon so gewesen. In der Luft und bei den Sternen, das war sein Leben. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen trat er, nachdem er den Jet sicher wieder aufsetzen hatte lassen, zu seiner Einheit. In manchen Gesichtern konnte er Erstaunen ablesen, in anderen, dass sie ihm nach wie vor zwiespältig gegenüber standen. Ein Schritt in die richtige Richtung war gemacht, aber das hieß noch lange nicht, dass man nicht gleich wieder zwei zurück machen konnte. Fireball klemmte seinen Helm, der immer noch die Japanische Flagge auf der Stirn trug, unter seinen Arm. Mit der anderen fuhr er sich durch die Haare. Er tat, als wäre das harte Arbeit für ihn gewesen und als wäre er erleichtert, es hinter sich zu haben: „Puh, ich kann's glatt noch.“

„Das war Anfängerglück, mehr nicht!“, das konnte Stan einfach nicht auf sich sitzen lassen. Er hatte sich in der Tür noch einmal kurz umgedreht und dem Gör in den Nacken gebrüllt. Pah, jeder konnte mal einen guten Tag haben und wahrscheinlich hatte der falsche Fünfziger in Form des Japaners, die letzten Wochen intensiv trainiert. Fireball war manchmal so knapp an ihm vorbei geflogen, dass Stan ihm in die Augen dabei sehen konnte. Das musste er trainiert haben, denn um ehrlich zu sein, Stan mochte die millimetergenauen Spiele nicht unbedingt. Er hatte schon das ein oder andere Mal drauf gezahlt, auch, wenn er wusste, wie breit und hoch sein Jet war. Junge Piloten wie Fireball wussten es nicht immer und das machte es für Stan nicht besser. Aber er war von der kleinen Einlage beeindruckt gewesen.

Martin warf Stan noch einen amüsierten Blick hinterher. Der hatte Fireball mächtig unterschätzt und er selbst freute sich, endlich mal auf Anhieb auf das richtige Pferd gesetzt zu haben. Der kleine Captain mochte aussehen, wie ein Grünschnabel, aber der Schein trog hier mehr als gewaltig. Ramrod zu fliegen dürfte auch eine Herausforderung gewesen sein, auch wenn er als Wunderwerk der Technologie im Oberkommando galt. Martin schenkte Fireball ein unauffälliges Zwinkern, das ihm zeigen sollte, dass das gut gelaufen war. Stan bekam sich schon wieder ein, der verkraftete es einfach nur nicht, wenn einer besser als er oder ihm ebenbürtig war. Der kleine Knacks im Ego tat ihm nur gut.

Fireball nickte und gab Stan Recht: „Stimmt“, er sah in die Runde. Ein kleiner Spruch war noch drin: „Und ihr habt euch gut unterhalten?“

„Ja, das war der beste Witz seit langem“, Oli grinste hämisch in Stans Richtung. Es war schwer zu sagen, wer sich in Olivers Augen gerade mehr blamiert hatte. Sicher war nur, dass er Fireball deswegen nicht lieber mochte. Da musste noch viel Wasser den Bach hinunter laufen, bis Oliver ihren neuen Captain akzeptieren würde.

Schlagfertig und nicht ernst gemeint, kam der Konter von Fireball zurück: „Sehr schön. Ich trage gerne zur allgemeinen Erheiterung bei“, er blickte zu Oliver auf. An das musste sich Fireball definitiv erst gewöhnen. Saber war auf Ramrod der größte gewesen, aber bei dem hatte er den Kopf bei weitem nicht so in die Höhe recken müssen, wie bei Stan oder eben Oli. Fireball hatte einen von ihnen geschlagen, hoffentlich hörten sie ihm nun wenigstens zu. Er versuchte es zumindest noch einmal: „Und jetzt tut was für meine und kümmert euch wieder um eure Maschinen.“

Demonstrativ blickte Oli auf Fireball hinab und ließ sich abfällig vernehmen. Er würde auf Anraten den Giftzwerges vor ihm gar nichts: „Seh‘ ich aus wie ein Pausenclown?“

„Gute Piloten sind mir lieber“, Fireball war erstaunt darüber, wie ruhig und gelassen er die erneute Diskussion mit Oli gerade wieder nahm. Er merkte, wie entspannt er jedes Mal wieder war, wenn er geflogen war. Dort oben war er in seinem Element. Nichts und niemand würde ihn jemals vom Himmel holen können, so zumindest fühlte es sich an.

Das war Oli gerade zu schlagfertig gewesen. Er bedachte den Hüpfer noch mit einem abwertenden Blick, ehe er sich Stan anschloss, und sich trollte: „Was auch immer mich das angeht.“

Behäbig setzte sich die Einheit in Bewegung. Sie gingen zu ihren Maschinen, allen voran Oliver. Die nächsten paar Stunden würden sie ihre Jets auf Herz und Nieren prüfen, für den Ernstfall mussten sie immerhin gerüstet sein. Martin trat an Fireball vorbei. Wieder war er der letzte, der sich von ihrem neuen Captain entfernte. Er blieb kurz stehen und gab Fireball noch einen Tipp: „Nur weil sie an ihrem Leben hängen und die Gleiter checken, heißt das noch nicht, dass sie auf deine Befehle etwas geben. Noch nicht.“

Martin wollte Fireball wirklich helfen. Er hatte von Anfang an das Gefühl gehabt, der Pilot von Ramrod wäre hier nicht so verkehrt. Wenn er nur am Ball blieb, hatten beide Seiten eine große Chance, vom anderen noch etwas zu lernen. Hoffentlich schafften sie es überhaupt soweit.

Fireball konnte immer noch nicht wirklich glauben, dass er der Captain dieser Bande sein sollte. Er war gleich zu Beginn hier angeeckt, wo es nur gegangen war, niemand hier hatte sein Erscheinen begrüßt. Der Hitzkopf wusste, es lag nicht nur am Alter, es lag auch an dem Namen. Wieder war einer dieser Tage gekommen, an dem er das Erbe, das ihm sein Vater hinterlassen hatte, verfluchte. Nichts machte der Name Shinji Hikari für ihn einfacher. Im Gegenteil. Es wurde um ein Vielfaches schwieriger und komplizierter. Fireball blickte gedankenverloren in den Hangar hinein. Es kam ihm vor, als stünde er nicht zum ersten Mal als Captain hier. Aber er tat es. Nur sein Vater hatte hier als Captain gestanden, nicht er. Leise antwortete Fireball: „Wenigstens ist keiner hier leichtsinnig... Mir wäre lieber, wenn ich keine Befehle geben müsste.“

Was murmelte Babyboy denn da? Obwohl Martin schon einige Schritte weg war, hatte er Fireball noch verstanden. Der hatte wirklich jetzt schon zum ersten Mal so etwas wie Heimweh. Ohne sich zu Fireball umzudrehen, widersprach ihm der Brasilianer: „Das ist nicht Ramrod und du bist nicht länger Fireball. Das ist die Air Strike Base 1 und du bist Babyboy. Find dich damit ab.“

Erschrocken zuckte Fireball zusammen. Er hatte nicht gedacht, dass Martin ihn hören könnte. Nach dem ersten Schrecken packte er allerdings die Unschuldsnummer aus. Als hätte Martin ihn aus seinen Gedanken gerissen, blinzelte er und hakte verwirrt nach: „Hm? Wie meinen?“

Martin ging weiter. Er nickte nur. Fireball hatte ihn schon verstanden, er brauchte das nicht zu wiederholen. Der Japaner sollte sich so schnell als möglich damit abfinden, dass er hier nicht bei Ramrod war. Niemand würde ihn hier mit offenen Armen empfangen. Das war gewöhnungsbedürftig, aber er suchte hier auch nicht nach neuen Freunden sondern befehligte eine Einheit. Fireball brauchte keine Freunde, er brauchte eine Staffel, die sich auf ihn verlassen konnte und ihm Respekt entgegen brachte. Beides, Respekt und Vertrauen, musste er sich in ihren Augen erst noch verdienen. Aber ein kleiner Schritt war schon gegangen.
 

Von schnell einleben konnte nicht die Rede sein. Weder Alex noch Fireball hatten es in den ersten Wochen einfach in ihrer neuen Einheit. Das ungewöhnliche Paradoxon an dieser Situation war lediglich, dass sich die Gemeinheiten langsam aufschaukelten. Erfuhr Colt zum Beispiel wieder mal zufällig, mit welchen blöden Spielchen die Air Strike Base Fireball auf Trab hielt, legte er bei Alex sozusagen aus Rache noch ein Schippchen nach, was wiederum zu fieseren Tricks in der Air Strike Base führte, wenn diese davon Wind bekamen.

Alex hatte sich noch am ersten Tag als exzellenter Koch erwiesen, das stimmte Colt zumindest für die Zeit der Futterausgabe gnädig. Der Cowboy jammerte zwar dauernd darüber, dass er Alex nicht mochte und dass dieser auch nicht kochen konnte, aber wehe der Italiener stand am Herd. Dann konnte man sich sicher sein, dass Colt der erste war, der am Tisch saß und auf eine riesige Portion spekulierte. Fragte man Colt, wie es schmeckte oder warum er so viel in sich hineinstopfte, bekam man grundsätzlich die Antwort, dass man diesen Fraß sonst niemandem antun konnte und er sicherheitsalber deswegen alles verputzte. Colt hätte sich eher etwas abgehackt, als Alex für seine Kochkünste zu loben. Aber das war eben der Kuhhirte.

Während Saber geflissentlich darauf achtete, dass Alessandro nicht vom Piloten zum Koch degradiert wurde, fand April schnell einen Freund in Alex. Der begnadete Chef de cuisine hatte so einiges mit Fireball gemeinsam. Klar, sie vermisste den Wuschelkopf, das bestritt sie auch gar nicht, aber Alex war nicht so übel, wie anfangs gedacht. Gerade Saber und April unterhielten sich in den ersten Tagen viel mit Alex und lernten ihn besser kennen. Das schlug Colt von vornherein aus, er wollte ihn nicht kennen lernen. Wo kam er denn da hin, wenn er erst jemanden kennen lernen musste, bevor er ihn abstempeln durfte? Nein, also wirklich, so viel Benehmen wollte Colt nicht haben.

Was allerdings wirklich schnell ging, war der erste ordentliche Zoff zwischen Colt und Alessandro. Das war sogar für Colt rekordverdächtig schnell gegangen.

Eines Abends fanden sich die beiden Dickköpfe im Kontrollraum wieder, wie sie sich gegenseitig Dinge an den Kopf warfen, die normale Menschen niemals gesagt hätten. Colt, dieses Gewohnheitstier, hatte noch schnell bei seiner Liebsten zuhause angerufen und sich erkundigt, ob sie auch wirklich alleine klar kam, und gerade aufgelegt, als Alex in den Kontrollraum kam. Da der Cowboy an den Schritten lediglich hatte erkennen können, dass es weder Saber noch April sein konnte, grüßte er, ohne sich umzudrehen: „Matchbox, wenn du willst, mach ich dich schnell eine Runde beim Hasch-mich-spielen fertig.“

„Um mich fertig zu machen, musst du mich erst einmal schlagen und das bezweifle ich, Hutträger“, konterte Alex gut gelaunt. Colt hatte einmal nicht gemault oder ihn angebrummt. Der Cowboy war also auf dem Weg der Besserung und würde sich noch an ihn gewöhnen. Die ungewöhnlichen Spitznamen, die er von Colt am laufenden Band bekam, nahm er einfach hin, deswegen kam er gar nicht erst auf die Idee, dass er nicht mit Matchbox gemeint war.

Colt drehte sich überrascht um und blickte erstaunt in das grinsende Gesicht des neuen Piloten an Bord. Er hatte verdrängt, dass Fireball nicht mehr bei ihnen war, zumindest hatte er sich einen Moment lang so weit gehabt, wirklich zu glauben, ihr Japaner wär reingekommen. Zu Colts Enttäuschung stand ihm nun aber der Italiener gegenüber. Der Cowboy ging in die Höhe. Er ärgerte sich, dass er sich einen solchen Streich von seinen Sinnen hatte spielen lassen und gleich noch mehr über Alex, der ihm auch noch so dämlich lachend geantwortet hatte. Colt blaffte den Italiener deswegen an: „Wer hat denn dich Pizzabrot gefragt?! Siehst du etwa aus, wie unsere kleine Wüstenrennmaus?“

Oh, die Einladung hatte nicht ihm gegolten. Alex‘ Lächeln verschwand sofort wieder. Er hatte Colt nun tagelang bekocht, war immer nett und höflich gewesen und er wurde jedes Mal damit gestraft, nur weil er nicht klein war und keine Schlitzaugen hatte! Auch dem gutmütigen Alessandro platzte mal der Kragen und das auch noch schneller als gedacht. Er trat auf Colt zu und knurrte bedrohlich: „Was ist eigentlich dein Problem, Bill ‚Colt‘ Wilcox?“

Er hatte Colt bewusst bei seinem vollen Namen genannt, der sollte ruhig wissen, dass er sich über seine neuen Kollegen auch informiert hatte. Alex ließ sich das Gehabe von Colt nicht mehr länger gefallen. Saber und auch April hatten ihm versprochen, dass sich Colt innerhalb einiger Tage einkriegen würde, aber das dauerte nun schon gute zwei Wochen. Das war für Alex kein Zustand mehr, wenn er dauernd angeekelt wurde. Alex war schon klar, dass manche einfach länger brauchten, um sich an neue Situationen zu gewöhnen, aber der Kerl da vor ihm war erwachsen und noch dazu Star Sheriff! Colt musste andauernd auf Überraschungen vorbereitet sein und dementsprechend handeln, wenn sie im Kampf waren, da konnte es doch schwer wahr sein, dass er sich nicht auf einen neuen Kollegen einstellen konnte. Den Cowboy drückte der Schuh woanders, nur ließ er es an ihm aus.

Angegriffen wich Colt einen Schritt nach hinten. Er konnte es nicht ausstehen, wenn man ihn Bill nannte, das erinnerte ihn immer zu sehr daran, wie Tim ihn während seiner Zeit beim Rodeo immer gerufen hatte. Just als Alex seinen Namen ausgesprochen hatte, hallte es mit Tims miserabler Gesangsstimme durch seinen Kopf: ‚There’s trouble blowing like a hurricane, oh Billy get your guns…‘

Leider bewahrheitete sich dieser dämliche Spruch bei Colt immer wieder. Als ob Tim gewusst hätte, wen er da ins Oberkommando schleifte. Trouble gab es in den nächsten Minuten ganz sicher, es blieb nur die Frage, ob er auch die Ausmaße eines Hurricanes erreichen würde. Colt schnaubte verächtlich: „Das einzige Problem, das ich habe, bist du! Himmel, Kreuzbirnbaum und Hofbräuhaus, du gehörst nicht hier her! Du bist nicht unser Pilot. Du bist nicht Fireball!“

Da lag also der Hund begraben. Alex begriff sofort, dass es wirklich nur sekundär etwas mit ihm zu tun hatte, Colts eigentliches Problem war die Abwesenheit des Hobbyrennfahrers an Bord. Sie waren Freunde gewesen und Alessandro hatte bereits in den ersten Tagen gelernt, dass sie hier alle quasi unter einem Dach wohnten. Diese Einheit hatte seit mehr als zwei Jahren aus den selben Teammitgliedern bestanden, und plötzlich war einer wegversetzt worden. Es war nicht nur der Pilot gegangen, auch ein Mitbewohner und Freund. Gewohnheiten veränderten sich demnach und bei Colt war definitiv ein Zeitvertreib und Gesprächspartner abhanden gekommen. Nun verstand Alex zwar, was genau los war, das hieß aber gleichzeitig nicht, dass er deswegen jetzt einsichtig wurde. Wenn Alex erst einmal auf hundertachtzig war, dann blieb er da für gewöhnlich auch für eine Weile.

„Das ist wohl auch gut so, dass ich nicht Shinji Hikari bin! Wär ja noch schöner, wenn ich der verzogene Captain wäre“, Alex hatte häufig Kontakt zu seinen früheren Kollegen, er wusste genau, was sie von Fireball hielten. Nur bedachte der Italiener dabei nicht, dass es vielleicht keine gute Idee war, das ausgerechnet Colt an den Kopf zu knallen. Für einen Rückzieher war es allerdings schon zu spät, und eine Entschuldigung im selben Atemzug wäre nicht mehr glaubwürdig gewesen.

Es war wirklich keine gute Idee gewesen, es Colt so vor den Latz zu knallen. Der konnte in Sachen Ärger nämlich gleich noch mal einen Zahn zulegen und richtig sauer werden. Er hatte sich die letzten Tage gehütet, handgreiflich zu werden, auch, wenn er manchmal gerne rüber gelangt hätte. Colt wusste ja selbst, dass Alex nichts für die Versetzung hier her konnte. Aber das hier war Colt nun eindeutig zu weit gegangen. Er war ein guter Freund, er passte auf seine Freunde auf und verteidigte sie, auch wenn sie nicht anwesend waren. Colt fuhr aus der Haut und packte Alex unsanft am Kragen. Er zog ihn zu sich heran und teufelte los: „Wen nennst du hier verzogen, Spaghettifresser?! Du hast keinen Schimmer, wer Fire überhaupt ist und was wir die letzten Monate durchgemacht haben, also halt verdammt noch mal deinen Rand! Noch ein falsches Wort über Fire und du lernst das Fliegen. Aber von mir!“

Eine solche Behandlung ließ sich Alex natürlich schon gleich zwei Mal nicht gefallen. Es war eine Sache, dauernd schwach von der Seite angesprochen zu werden, aber dann auch noch rumgeschubst zu werden, nur weil man nicht derjenige welche war, den man hier gerne gehabt hätte, schlug dem Fass den Boden aus. Alex machte sich von Colt los, stürmisch und auch nicht auf die feine, englische Art. Er war eben ein heißblütiger Südländer und kein besonnener Schotte, wie Saber. Er schubste Colt von sich und giftete ihn an: „Dazu müsstest du erst einmal fliegen können! Und verflucht, mir ist das scheißegal, was bei euch die letzten Monate war. Das interessiert mich nicht die Bohne. Du dämlicher Armleuchter sitzt hier wie auf Nadeln und glaubst, ohne dich würde die Menschheit zugrunde gehen. Verdammt, man, was bildest du dir eigentlich ein?! Euer kleiner Feuerball ist groß genug, der kommt auch ganz gut ohne dich zurecht.“

Ein Schlag ins Gesicht wäre eine angenehmere Erfahrung gewesen, als die, die Colt gerade gemacht hatte. Getroffen zog er sich zurück, wiegelte dabei aber sofort alles ab, was in die Richtung hätte gehen können, dass Alex verdammt recht mit seinen Äußerungen gehabt haben könnte. Er war wohl sehr offensichtlich besorgt und ängstlich. Zwar auf seine verquere Art und Weise, aber er war’s. Colt ballte die Hände zu Fäusten und spuckte Alex entgegen: „Ich hab Nachrichten für dich. Ohne uns geht die Menschheit zugrunde! Das solltest du Spatzenhirn eigentlich wissen, du bist die absolute Fehlbesetzung für Fireball hier. Mit dir ist nichts anzufangen.“

„Oho, Moment mal“, zog Alex die Worte sarkastisch lange und kam wieder auf Colt zu. Vom Thema brauchte der Windbeutel jetzt nicht abzulenken, dafür war es ohnehin zu spät. Der etwas größere Italiener schnappte sich den Scharfschützen und stieß ihm unsanft den Finger in die Brust: „Du hast es wohl immer noch nicht verstanden, du Schwachstelle. Ich bin nicht für, ich bin statt dem Japsen hier. Ich soll niemanden ersetzen! Will das denn nicht in deinen Dickschädel rein, dass ich mit dem Idioten nur die Plätze getauscht habe? Ich bin ich und ich werde den Teufel tun dir in den Arsch zu kriechen und so zu tun, als wärst du ein netter Kerl. Komm endlich klar, man. Du gefährdest das Leben unzähliger Menschen mit deinem Gehabe, nur weil du glaubst, euer kleines Baby könnte ohne euch nicht. Der ist erwachsen, scheiße noch mal. Hätten die nicht geglaubt, dass er das alleine kann, hätten sie ihn nicht zu meiner Einheit versetzt. Der braucht dich nicht als Babysitter. Bist ein toller Freund, echt, hast nicht mal Vertrauen in das, was euer Wunderkind kann. Ich nehme an, er kann wirklich nichts.“

Unüberlegt holte Colt nun aus und schlug Alex sofort ins Gesicht. Dieser hatte nicht gedacht, dass der Cowboy nun so ausrastete. Immerhin war er zuerst zurückgetreten und hatte der Konfrontation aus dem Weg gehen wollen. Alex hatte nicht damit gerechnet. Er hatte nicht zurückweichen können und musste den einkassieren. Glück für Alex war in diesem Moment gewesen, dass Colt nicht fest zugeschlagen hatte.

Er schubste Alex von sich und stapfte zur Tür. Er funkelte über seine Schulter hinweg zu dem Italiener nach hinten. Colt hatte zwar zugeschlagen, aber dennoch fühlte er sich nun hundsmiserabel. Schuld daran waren einzig und alleine diese dummen Worte. Der Cowboy sollte kein Vertrauen in ihren jüngsten Freund haben. Pah, das war doch sicher ein Witz! Colt hatte Vertrauen, unermessliches Vertrauen in den kleinen Wirbelwind, der bis vor kurzem noch Ramrod gesteuert hatte. Aber er hatte kein Vertrauen in die Piloten, mit denen Fireball nun zusammen arbeiten musste. Mangelndes Vertrauen hatte er auch in Alex, aber nun ungeheuren Respekt vor dem Neuzugang. Alex hatte kaum zwei Wochen gebraucht, um ihn soweit zu durchschauen, dass er ihn ärgern und aufmischen konnte.

„Denk nicht darüber nach, mein Vertrauen in meine Freunde wird durch nichts erschüttert. Spar dir die Mühe, Mafiosi. Du bist nicht mein Freund, ich werde dir noch lange nicht mein Leben blind anvertrauen.“

Damit verließ Colt den Kontrollraum. Er hatte Alex so zugestanden, dass er Zeit brauchte, um sich an den Italiener zu gewöhnen. Das hatte April dem Mann mit den hellblauen Augen schon am ersten Tag gesagt, er hatte es nicht glauben wollen. Alex hielt sich die Backe und sah Colt nach. Er kochte ebenfalls, aber er war noch besonnen genug, dem Kuhtreiber nicht hinterher zu hetzen und ihm ebenfalls eine zu knallen. Er musste seinen Frust anders auslassen. In absehbarer Zeit würde es keine Besserung zwischen den beiden geben, denn Colt war nicht bereit, sich von dem Gedanken zu lösen, Fireball wäre hier so einfach zu ersetzen. Mensch, sogar Alex wusste, dass man den Hobbyrennfahrer hier nicht so einfach ersetzen konnte, das wollte er doch auch gar nicht. Er war ein ganz anderer Mensch, das sollte auch Colt irgendwann einmal einsehen. Alex warf einen Blick auf seine Armbanduhr und entschloss sich, seinen Freunden von der Staffel noch einen Besuch abzustatten, sie würden ohnehin erst am nächsten Morgen starten.

geregelte Bahnen

Wieder war der Vormittag ein einziger kleiner Machtkampf gewesen, bei Fireball waren momentan alle Tage gleich. Er hatte sich nach wie vor nicht eingelebt, und bekam bis auf ein paar verdeckte Hilfestellungen von Martin auch nichts an Sympathie von seinen Piloten entgegengebracht. Nach dem täglichen Routineflug hatte er seine Einheit dazu angehalten, ihre Aufgaben zu erledigen. Er war solange von Gleiter zu Gleiter gegangen und hatte sich zumindest kurz mit den Piloten unterhalten. Bis ihm jemand ins Auge gestochen war, der sich am Eingang des Hangars herumdrückte und nicht wirklich wusste, ob er eintreten sollte, oder lieber gleich wieder die Flucht antreten. Es war das einzig weibliche Besatzungsmitglied von Ramrod gewesen. Fireball hatte um ein paar Ecken erfahren, dass sie heute im Laufe des Tages zu einer Mission aufbrechen würden, vielleicht wollte sie sich von ihm verabschieden. Die fünf Minuten für April hatte er alle Mal noch, egal wie drunter und drüber es in seiner Staffel ging.

Der ehemalige Pilot des Friedenswächters ging mit April in sein Büro hoch. Er hatte nicht mit ihr neben all den anderen reden, sich so nicht von ihr verabschieden wollen. Sie hatten sich seit seinem Dienstantritt nicht mehr richtig gesehen und die räumliche Trennung hatte es nicht besser für die beiden gemacht. Beide hatten sie den anderen schmerzlich vermisst, hatte ihnen die Nähe des anderen gefehlt und der Trost, den ihre Berührungen manchmal spenden konnten. Nun war sie zu ihm in den Hangar geschlichen, weil sie ihn noch einmal kurz sehen wollte, bevor sie mit Ramrod und ihren drei Mannen aufbrach. Fireball hatte sie unten kaum angesehen, sie nicht berührt und nun zog er es vor, sie in sein Büro zu bringen. Behutsam schloss Fireball die Tür hinter sich und zog seinen Kampfanzug aus, während April aufmerksam das Büro in Augenschein nahm. Karg eingerichtet war es hier. Es war einmal das Büro seines Vaters gewesen und das Büro von Mandarin. Jeder Captain der Air Strike Base 1 hatte dieses Büro gehabt, seit die Einheit hier ihren Stützpunkt hatte. Das einzige, was überquoll, war Fireballs Schreibtisch. Hier stapelten sich Berichte, lugte dort eine große Kaffeetasse hervor, lag irgendwo ein Kuli auf einem aufgeschlagenen Bericht. Mit einem Wort: der Schreibtisch war chaotisch. Ganz Fireball. April schmunzelte leicht über diesen Gedanken und lobte im Gedanken das nur provisorische Büro von Ramrod. Da waren die Berichte nur alle heiligen Zeiten ausgebreitet worden und waren gleich darauf wieder in irgendwelchen Schränken verschwunden. Saber würde das genauso halten, der ansonsten genügsame Schotte wollte sowieso kein Fulltimebüro haben. Das Chaos auf dem Schreibtisch, so der Highlander, wäre dann vorprogrammiert. Also war das hier eine reine Berufskrankheit und vermutlich sah es auf jedem anderen Schreibtisch eines Captains genauso aus.

Die Blondine umrundete zaghaft den Schreibtisch und blieb neben dem Japaner stehen, der sich mittlerweile in Alltagskleidung an den Schreibtisch gesetzt hatte. Sie war verunsichert, wusste nicht, was sie von alledem halten sollte, wie sie dazu stehen sollte. Ihr Herz verlangte nach dem Wuschelkopf, mehr noch als zuvor. Doch ihr Verstand geißelte ihre Wünsche, schimpfte sie töricht und unvernünftig. Sie würden niemals zusammen gehören. Der Captain und die Navigatorin. Es ging nicht, es durfte nicht sein. Ihre blauen Augen betrachteten ihre Fußspitzen. Diese Regeln hatten einen einfachen, aber guten Grund.

Fireball war bei weitem noch zu keiner brauchbaren Entscheidung gelangt, seit er hier seinen Dienst angetreten hatte. Offen gestanden hatte ihm die Zeit dazu ganz einfach gefehlt. Die Staffel hetzte ihn von einer Ecke in die andere, dachte sich immer neue Gemeinheiten für ihn aus und tat beinahe schon wirklich alles, damit er diese Einheit vorzeitig wieder verließ. Zudem quälten ihn gerade dann, wenn er abends noch alleine im Büro saß und endlich seinen Papierkram aufarbeiten wollte, Erinnerungen. Am ersten Abend hier hatte er sich auf der anderen Seite des Schreibtisches sitzen sehen, wie er seinen Vater angelogen hatte. Das Verhör war das letzte Mal gewesen, dass er seinen Vater noch gesehen hatte. Irgendwo war die Erinnerung daran auch schräg, immerhin bedeutete das, dass er vor zwanzig Jahren schon hier gesessen hatte, vor seiner eigenen Geburt. Das war einfach nur lächerlich, aber leider genauso wahr, wie alles andere, was die vier erlebt hatten. Auch die Gefühle, die seit dieser Reise in ihm schlummerten, waren echt. Das war mitunter die größte Qual für den Wildfang. Der Gedanke daran zerfraß ihn vor allem in der Nacht, wenn er im Bett lag. Blinzelnd sah er zu April auf. Er liebte sie, das war ihm klar geworden. Fireball wusste, dass er klare Fronten schaffen musste, wollte er sich die Dienstaufsicht in der Zukunft ersparen. Aber egal, in welche Richtung er auch anfing zu überlegen, alles lief darauf hinaus, dass es nicht funktionieren konnte und würde.

April hob die Augenbrauen. Weshalb schwieg er sie so vehement an? Ihr saß ein Knoten in der Brust. Die Navigatorin von Ramrod hatte nicht mehr viel Zeit und die vergeudeten sie mit Schweigen. Mit zittriger Stimme brach sie schließlich diese unangenehme Stille in seinem Büro: „Turbo…“, sie klang erbärmlich: „bitte sag was. Ich muss gleich los und ich…“

Bekümmert blickten zwei braune Augen zu ihr hinüber. Fireball murmelte: „Das weiß ich, Süße. Aber…“

Er brachte auch keinen vollständigen Satz mehr heraus. Auf seinen Schultern rauften sich Liebe und Verstand um die Vormachtstellung. Das Traurige daran war nur, dass weder die Liebe noch der Verstand die Oberhand bekamen. Keiner würde siegen. Denn beides ging nicht. Entschied er sich für die Liebe, hatte er garantiert die Dienstaufsicht an der Backe und siegte ausnahmsweise mal seine Vernunft, brach ihm das Herz. So oder so, es konnte nur schief gehen. Und wie sah sie es? Fireball sah in Aprils blaue Augen. Sie war traurig, das konnte auch ein Fremder sofort erkennen.

„Ich“, sein Blick wanderte zur Tür. Noch störte niemand, was für eine Ausnahme. Fireball hatte sich schon am ersten Tag hier abgewöhnt, die Bürotür zuzumachen, weil alle fünf Minuten jemand reinplatzte und was von ihm haben wollte, wenn er dann mal hier war. Hatten seine halben Befehlsverweigerer vielleicht gar nicht bemerkt, dass er sich verzogen hatte? Das wäre doch zu schön, um wahr zu sein. Wieder blieben seine Augen an April hängen und automatisch griff er nach ihrer Hand: „Ich wollte mich mit dir aussprechen.“

Diese Worte verunsicherten April. Die Blondine stand dieser Geschichte äußerst skeptisch gegenüber. Er wollte sich mit ihr aussprechen. Wie diplomatisch. Sie blinzelte und atmete tief durch. Er würde sie wieder fortschicken. Ohne einen Kuss, ohne eine Umarmung, aber mit einem ‚Lebe wohl‘. Das waren keine guten Aussichten, das war überhaupt nichts, wie April bitter feststellte. Sie hatte nach all den Jahren und Abenteuern gemeinsam im Weltall geglaubt, den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Er war immer in ihrer Nähe gewesen, ohne dass sie es bemerkt hatte und nun, da es ihr endlich bewusst geworden war, was sie immer gesucht hatte, sollte es nicht sein. Die Welt war alles, nur nicht gerecht. April sah Fireball nicht an, als sie bekümmert hauchte: „Wir haben uns doch nicht gestritten, Turbo. Wir haben doch nur“, ihr versagte beinahe die Stimme und bei den nächsten Worten bekam sie rote Wangen: „miteinander geschlafen.“

„Hm…“ Nur. Fireball sah zu April auf. Gerade das war es doch, was ihn nachts um den Schlaf brachte und weshalb er mit niemanden reden konnte. Und es war nicht alleine die Tatsache an sich, es war für ihn etwas Besonderes gewesen und auch für April. Das konnte sie jetzt so viel abstreiten, wie sie wollte. Fireball hatte ihr die drei kleinen Worte noch auf Ramrod entlocken können, und er kannte April. Sie war nicht diejenige, die sich jedem hingab und schon gar nicht bagatellisierte sie das Geschehene dann auch noch. Sie empfand mehr für ihn, als sie ihm gerade weis machen wollte. Also musste er ihr gestehen, was ihm an der Situation nicht gefiel. Noch einmal, nur dieses Mal ausführlicher als noch in ihrem Appartement. Fireball schob sich mit dem Stuhl etwas zurück, gerade aber so weit, dass seine Hand noch in ihrer lag. Dann linste er noch einmal kurz zur Tür und atmete tief durch: „Mag sein. Aber ich habe das nur getan, weil ich dich liebe, Süße. Und ich…“, nun zog er sich vor ihr zurück und ließ den Kopf hängen: „Auch, wenn ich versetzt worden bin, es ist immer noch nicht erlaubt. Ich kann es nicht ändern, es lässt sich nicht ändern. Zweifle von mir aus an allem, nur zweifle nicht an meinen Gefühlen für dich. Ich liebe dich, aber wir dürfen nicht zusammen sein. Lass uns Freunde bleiben. So wie vorher.“

„Freunde“, wiederholte die Tochter von Commander Eagle. Sie beugten sich also den Regeln. April vergrub ihr Gesicht in den Händen. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, denn die Blondine hatte gerade den schlimmsten Tiefschlag verpasst bekommen, den man in einem solchen Fall einstecken musste. Freunde. Das klang, als wären sie nie mehr als das gewesen, dabei wusste April so sicher wie sonst kaum etwas, dass sie an seinen Gefühlen wirklich nicht zu zweifeln brauchte. Sie beugten sich also tatsächlich dem Oberkommando und dem Druck, der deswegen auf ihnen lastete. In April tobte seit jener Nacht ein Gefühlschaos, das sich nicht kontrollieren ließ. Aber es kontrollierte alles andere in ihrem Leben. April wäre selbst beinahe zugrunde gegangen, als sich Fireball aufgelöst hatte, wie durch ein Wunder hatten sie ihn wieder bekommen und sie beide waren zu weit mehr als nur Freunden geworden. Das alles sollte sie wieder hergeben? Wollte sie das? Aber wollte sie diese Heimlichtuerei? Die Blondine ließ ihre Hände sinken und sah Fireball geradewegs in die Augen. Woher wollten sie das wissen, wenn sie es nicht wenigstens versucht hatten?

April stand auf und setzte sich auf Fireballs Schoß. Sie schlang die Arme um ihn, drängte ihren Körper an seinen. Nein, sie war nicht gewillt, das her zu geben. April spürte keinerlei Widerstand, nur seine Arme, die sich um ihre Taille schlangen. So schnell hatten sie ihre eigenen Worte mit ihren Taten Lügen gestraft. Fireball hatte der Versuchung gerade mal bis zum Ende des Satzes widerstehen können, da hatte er sich bereits wieder nach ihr gesehnt. Zärtlich gab sie ihm einen Kuss auf die Lippen.

Völlig egal war in dem Moment geworden, was sie gesagt hatten, worauf sie sich geeinigt hatten und ob jemand zur Tür herein kam. Der Pilot war der Versuchung ihrer Lippen erlegen. Mit ihrem zärtlichen Kuss hatte April wieder das Feuer in seinem Herzen entfacht. Es loderte, seine Flammen erstickten die Stimme der Vernunft. Stürmisch stand Fireball auf, hob April dabei auf ihre Füße und drängte sie schließlich nach hinten. So weit, bis sie nicht mehr zurückweichen konnte. Den Weg nach hinten versperrte Fireballs Schreibtisch, an den sich die Blondine lehnte und sich auch abstützte.

Fireball hielt Aprils Kopf mit beiden Händen fest, während er sie fordernd küsste. Schwer atmend hielt er plötzlich inne, lehnte seine Stirn gegen ihre und sah ihr tief in die Augen. Noch einmal vergewisserte er sich: „Wir sind Freunde, richtig?“

Heftig nickte April und schloss die Augen. Sie hätte ihm alles mit ‚Ja‘ beantwortet, wenn er ihr dafür nur gab, was sie haben wollte. Wie zum Beweis streifte er ihren roten Haarreifen ab, ihre blonde Mähne damit ebenfalls nach hinten und sie spürte seine Hände kurz darauf, wie sie sie an den Hüften packten.

Sein Herzschlag und seine Atmung verrieten ihn und seine Absichten. Fireball hob April auf den Tisch, zog ungeduldig an ihrem türkisen Band, das sie immer um die Hüfte trug, wenn sie den roten Catsuit trug. Immer wieder bedeckte er sie dabei mit feurigen Küssen, streifte ihr schließlich die Träger von den Schultern. Fireball wollte sie. Er wollte sie mit Haut und Haaren, egal was es kostete.

Das blonde Mädchen hörte das Papier rascheln, das sie nach hinten weg schob. Sie brauchten Platz. April griff anschließend nach Fireballs Shirt. Sie zog es ihm aus der Hose, drängte sich an ihn. Das einzige, woran April im Augenblick denken konnte, war ihr Wunsch nach seiner Nähe. Sie wollte bei ihm sein. Vergessen war, wo sie eigentlich sein sollte, unter welchem Zeitdruck sie eigentlich standen. Ramrod sollte schon fast gestartet sein. Aber das war April egal. Nichts anderes als ihn zu spüren wollte sie.

Ihrem Verlangen gaben sich beide hin. Sie verschwendeten nicht einen Gedanken an die Bürotür, die nicht abgeschlossen war und durch die jederzeit jemand eintreten konnte. April murmelte: „Liebe mich.“

„Das tue ich, Süße. Ich liebe dich“, ohne Vernunft sprudelten diese Worte aus ihm heraus. Schwer atmend und leidenschaftlich. Sie entsprachen eher der Wahrheit als ihre Abmachung, sie würden Freunde sein. Freunde taten so etwas nicht, was sie beide gerade am helllichten Tag und zwischen der Betriebsamkeit des Oberkommandos taten.
 

Hektisch verließ April das Büro. Ihre Wangen glühten und sie war noch nicht mal ordentlich angezogen. Sie knöpfte gerade im Eiltempo ihr Band zu, die Augen genau darauf gerichtet. Sie achtete auf niemanden im Gang, sie hatte es eilig. Ramrod wartete seit fünfzehn Minuten auf die Blondine, gerade hatte Saber sie angerufen und gefragt, wo sie bliebe. Er hatte die beiden wieder ins Hier und Jetzt zurück geholt.

Prompt stieß die junge Blondine deswegen auch mit jemandem auf dem Flur zusammen. Sie sah kaum richtig zu ihm auf, entschuldigte sich nur hastig bei ihm: „Verzeihung.“

Verdattert sah der dunkelhaarige Mann der Blondine hinterher. Sie sah etwas zerzaust und verloren aus. Dann sah er wieder auf seinen Weg. Das Büro seines Captains. Moment mal! Er blieb erneut stehen und drehte sich nach der Blondine um. Kannte er die nicht irgendwoher? Und bildete er sich das ein, oder kam sie tatsächlich gerade aus dem Büro seines Captains gelaufen? Martin zog die Augenbrauen zusammen. Verstand er das? Wollte er das überhaupt verstehen? Der Brasilianer musterte April noch einmal, bis die um die Ecke bog. Sie hatte traurig gewirkt, oder hatte er sich das eingebildet?

Irritiert schüttelte Martin den Kopf und ging auf sein Ziel zu. Hoffentlich war der kleine Krawallstoppel in seinem Büro. Er hatte ihn überall gesucht und wenn er jetzt nicht dort war, würde Martin platzen. Keiner hatte gewusst, wo er hin verschwunden war. Nachdem die Arbeiten nach dem Trainingsflug von der Crew erledigt worden waren, waren sie unruhig geworden, hatten Martin belagert, weil der Captain nicht da gewesen war. Zügig schritt Martin auf die Tür zu, die seit neuestem immer offen stand und klopfte anstandshalber an den Türrahmen. Tatsächlich war gesuchter Captain in seinem Büro und versuchte kopflos Ordnung in das Chaos auf dem Schreibtisch zu bringen. Kopflos deswegen, weil er mit seinen Gedanken irgendwo anders war, nur nicht in seinem Büro.

Martin musterte Fireball unbemerkt, der hatte sein Klopfen allem Anschein nach überhört. Wo war der Hitzkopf nur mit seinen Gedanken? Der Brasilianer warf noch einen Blick auf den Schreibtisch seines Captains. Hatte der versucht, seinen Papierkram aufzuarbeiten? Das sah etwas merkwürdig aus, wie Martin prompt bemerkte. Etwas war nicht in Ordnung, weder mit dem Schreibtisch, noch mit Fireball. Schnell wandte er den Kopf noch einmal zum Flur hinunter, der Grund dafür war nicht mehr zu sehen. Zumindest glaubte Martin, den Grund für diese Zerstreuung und Abwesenheit gerade noch auf dem Flur getroffen zu haben. Energisch trat er nun ins Büro, dieses Mal ohne zu klopfen, der Hitzkopf hörte ohnehin nichts. Hatte sich im Büro gerade das abgespielt, was Martin sich da zusammenreimte, würde der kleine Captain nicht mehr lange hier sein. Er machte im scharfen Tonfall auf sich aufmerksam: „Du hattest also Frauenbesuch.“

„Hä, was?“, mit einem verwirrten Gesichtsausdruck ließ Fireball von seinen Akten ab und wandte sich der Tür zu. Er fuhr sich durch die Haare, ein Blinder hätte gemerkt, dass er völlig neben sich stand.

„Die kleine Blondine“, dabei deutete Martin auf den Flur. Er musste sich zusammenreißen, um nicht vorschnell zur urteilen. Aber es hatte nun mal verdächtig ausgesehen und der Kurze benahm sich, als wäre er noch nicht ganz da. Das gefiel Martin absolut nicht. Zumal er schon die längste Zeit versucht hatte, die Crew irgendwie in Schach zu halten. Der Pilot neigte noch den Kopf zur Tür, um zu verdeutlichen, wen er meinte: „Die Kleine, die grad raus ist. Hat sie dich den ganzen Nachmittag auf Trab gehalten?“

Auch, wenn er Saber am liebsten gelyncht hätte, im nächsten Augenblick war Fireball unendlich dankbar, dass der Schwertschwinger lediglich per Telefon gestört hatte. Seine Hundianer taten das lieber persönlich und das wäre im Moment wohl das Schlimmste gewesen, was Fireball und April hätte passieren können. Timing war eine heikle Angelegenheit und das musste man im Blut haben. Martin gehörte augenscheinlich zu der Kategorie Mensch, die solches Timing besaßen. Der Captain warf noch einen Blick auf seine Akten, die April ganz schön durcheinander gebracht hatte, dann umrundete er seinen Schreibtisch. Fireball ging, ohne auf Martin zu achten, auf das Fenster in seinem Büro zu und sah auf das Rollfeld hinab. Da stand er. Ramrod. Schwarz, groß und blitzeblank poliert. Nichts erinnerte an ihre aufwühlende Reise, nichts an die vielen Kämpfe und Einsätze, die der Friedenswächter schon mitgemacht hatte. Dieses Mal würde Ramrod ohne ihn abheben. Colt, Saber und April würden ohne ihn starten. Fireballs Blick wurde dabei traurig. Er ließ den Kopf hängen und wich Martin aus: „Sie hat nur noch schnell Tschüss gesagt.“

Der Brasilianer beobachtete Fireball mit Argusaugen. Er ließ ihn nicht aus den Augen, musterte ihn scharf und wartete auf weitere Erklärungen. Schnell Tschüss sagen sah anders aus, ganz bestimmt. Es brachte keine Schreibtische in Unordnung, keine jungen Captains durcheinander und machte keine Blondinen traurig. Nein, Martin war sich nicht sicher, was hier gerade vorgefallen war, aber es gab ohnehin nur zwei Möglichkeiten. Entweder hatten sich die beiden wegen irgendetwas noch in die Haare bekommen oder sie hatten sich zu zweit noch einen schönen Nachmittag gemacht. Martin vermutete eher letzteres, obwohl die Gesichter der beiden weniger danach aussahen. Er würde es schon noch herausfinden, bestimmt.

Das strenge Schweigen mochte Fireball überhaupt nicht. Das gefiel ihm ganz und gar nicht und machte ihn zusätzlich nervös. Um ein natürliches und freundliches Lächeln bemüht kam Fireball auf Martin zu. Vielleicht konnte er das Thema Ramrod und April umschiffen oder gleich abwürgen, wenn er den Piloten auf seinen Besuch ansprach. Fireball blieb vor Martin stehen und wollte fröhlich wissen: „Gibt’s einen Grund für deinen Besuch oder habt ihr mich vermisst?“

Dachte der kleine Hikari wirklich, er würde sich so ablenken lassen? Seine Augen funkelten düster. Martin war stinksauer auf Fireball, nicht zuletzt deswegen, weil er nirgends auffindbar gewesen war und seine Einheit einfach hatte stehen lassen. Auch ärgerte sich der Sohn von Emilio schon zum ersten Mal darüber, dass er so dumm gewesen war und sich dazu entschlossen hatte, Fireball etwas unter die Arme zu greifen. Klar war es allen anderen schnell aufgefallen und hatten sie ihn deswegen schon in die Mangel genommen. Umso wütender machte es Martin deswegen, dass seine Hilfe umsonst war, weil sich der junge Pilot deswegen Freiheiten herausnahm. Nichts anderes war es für Martin nämlich. Keiner konnte sich Frauenbesuch in der Dienstzeit leisten. Schon gar nicht nach einem Trainingsflug, da sollte jeder endlich seine Arbeiten erledigen. Er ließ Fireball deswegen finster wissen: „Du bist hoffentlich nicht ohne guten Grund den halben Tag lang abgängig, ohne dass deine Staffel weiß, wo du steckst. Und sollte die kleine Maus der Grund gewesen sein…“

Martin ließ den Rest absichtlich offen. Er würde es weder gut heißen, noch stillschweigen, sollte es so gewesen sein. Verdammt, Fireball war der Captain dieser Einheit, er sollte sich gefälligst auch so benehmen!

„Lass die Spekulationen, Martin, dabei kommt nichts Anständiges raus“, dennoch wandte sich Fireball von Martin ab und kehrte ihm den Rücken zu. Der Brasilianer hätte sonst gesehen, wie ihm heiß wurde. Er kümmerte sich deswegen wieder um seinen Schreibtisch. Ein kleiner Tornado hatte hier durchgefegt. Ein zärtliches Lächeln huschte dabei über sein Gesicht. April hatte für die Unordnung hier gesorgt. „Ich wollte mal meinen Papierkram aufarbeiten, der macht sich leider nicht von alleine“, etwas verständnislos fügte der unerfahrene Captain hinzu: „Wo sollte ich denn sonst sein? Während der Dienstzeit? Ich war nicht bei euch im Hangar, ergo sitz ich im Büro. Das Rätsel hätte sich mit einer gewissen Logik früher lösen lassen.“

Still war Fireball allerdings verdammt froh, dass sie nicht so schnell auf die Idee gekommen waren, er könnte ausnahmsweise mal im Büro sitzen. Hätte sie jemand früher gesucht, er hätte sie ziemlich eindeutig erwischt. Fireball schlichtete seine Unterlagen zusammen. Für den nahenden Feierabend hatte er schon Pläne. Er musste unbedingt aufarbeiten, was er am Nachmittag vertrödelt hatte und nebenbei dann auch noch die Berichte dieser Woche absegnen. Der Hitzkopf ahnte bereits, dass er vor Mitternacht nicht raus kam.

Martins Augenbrauen stießen beinahe zusammen. Ungläubig keuchte er. Das konnte er jemand anderem weis machen, hier sah es nach allem Möglichen aus, aber mal nicht nach Arbeit. Verständnislos deutete Martin auf den Schreibtisch: „Das hätte anders ausgesehen“, der Südländer merkte plötzlich, dass es zwischen Captain und Crew ein fatales Defizit gab. In der Mannschaft herrschte momentan weder Vertrauen noch Kommunikation. Martin konnte nicht ahnen, woher er das so sicher wusste, aber Fireball verschwieg ihm die Wahrheit. Er verstrickte sich lieber in fadenscheinigen Ausreden, nahm furchtbaren Ärger mit seiner Crew in Kauf, anstatt zu erklären, was er tatsächlich gemacht hatte. Das behagte Martin ganz und gar nicht, weil es so bestimmt in der nächsten Zeit nicht besser werden würde. Das musste er Fireball sagen. Aber auf seine Art. Er knurrte den neuen Captain bedrohlich an: „Und falls doch, hättest du uns das sagen müssen. Du kannst uns nicht einfach stehen lassen und weg sein. Verdammt, es hätte nur irgendwas sein müssen und unsere Einheit muss auf dem Boden bleiben, weil wir nicht wissen, wo der werte Herr seine Zeit totschlägt! Geht das nicht in dein Spatzenhirn, dass du dich zumindest kurz bei jemandem abmeldest?!“

Martin war mit jedem Wort lauter geworden, hatte zum Schluss schon mit ihm geschrien. Er hätte noch viel mehr in dem Moment zu schimpfen gewusst, aber zumindest der Vorgeschmack sollte Fireball reichen. Wenn er klug war, ging er sofort in den Hangar hinunter und sparte sich jegliche Widerworte. Martin hoffte, dass Fireball zumindest so weit dachte. Nur gab sich der Sturkopf noch nicht geschlagen. Er hatte das Zeitgefühl völlig verloren, war sich aber dennoch sicher, dass er nicht länger als eine Stunde mit April hier gewesen sein konnte. Ihm war durchaus klar, dass Martin sich von seinen Freunden einiges hatte anhören können. Und er war ihm auch dankbar dafür, aber: „Ich hab euch doch nach der Landung klipp und klar aufgetragen, die Maschinen in Schuss zu halten und mal über eure Berichte nachzudenken beziehungsweise diese gleich zu schreiben.“

„Wir sind längst fertig!!!!“, nun war Martin der Kragen geplatzt. Fireball hatte sich seit Mittag verzogen, inzwischen war es schon nach fünf. Dachte der allen Ernstes, sie wären noch nicht fertig?! Er zog den Japaner vom Schreibtisch weg und brüllte ihn an: „Wir brauchen nicht Jahre für Dinge, die wir im Schlaf beherrschen! Du hast es echt nicht verdient, dass sie dich mit Lametta zuhängen. Alles nur dank Papas Erbe, das ist mir schon klar. Was glaubst du eigentlich, wer du bist, du verwöhnter Zögling eines Captains?!“

Der Zögling stand im Büro seines Vaters. Aber nicht als Pilot, sondern als Captain. In das Erbe seines Vaters gedrängt. Bei Martins Worten stieg erneut der Widerstand in Fireball auf. Er sollte den Charakter und das Aussehen seines Vaters haben, diesen Fakt konnte er nicht länger abstreiten. Shinji und er waren nicht nur Vater und Sohn, sie teilten sich die Seele. Fireball hatte Erinnerungen an dessen Zeit als Captain. Aber es waren nicht seine eigenen, es waren die seines Vaters. Der war nie in eine solche Situation geraten. Schade, schoss es Fireball augenblicklich durch den Kopf, dann hätte er vielleicht gewusst, was er am besten tat. Es war sicherlich nicht schlecht, jetzt erst mal die Bürotür zu schließen und Martin von seinem Trip zu holen. Fireball schluckte das für ihn schmerzhafte Thema Erbe und Vater ohne Kommentar hinunter und maßregelte Martin ungewöhnlich scharf für seine Verhältnisse: „Im angemessenen Tonfall kannst du mich jederzeit auf meine Fehler hinweisen. Aber so bestimmt nicht, Martin! Ihr seid fertig? Freut mich, dann packt eure Sachen und macht Feierabend.“

Halt! Moment! Das war Martin nun zu schnell gegangen. Das war jetzt nicht das gewesen, was er als Reaktion erwartet hatte. Die sachliche Zurechtweisung war ihm absolut neu. War das wirklich Fireball? Martin schauderte, denn das war nicht der Shinji Hikari der letzten Wochen gewesen. Der hätte nämlich zu toben angefangen. Aber Martin dachte nicht daran, sich den Mund verbieten zu lassen. Einen hatte er für Fireball noch. Er stieß die Tür wieder auf und schrie: „Da unten steht deine Crew und wartet auf deine Anweisungen! Sieh zu, dass du deinen Arsch in den Hangar schwingst und ihnen das persönlich sagst. Sonst mach ich dir Beine, Keks hin oder her!“

Keks war eine andere gängige Bezeichnung für die Dienstgrade. Etwas anderes hatte Martin auch nicht gemeint, aber Fireball verband es mit etwas ganz anderem. Nämlich mit diversen Diskussionen mit Colt, in denen es darum ging, wer das Sagen hatte. Sie waren alle nicht toll gewesen, aber im Nachhinein komisch und lustig. Saber hatte ihm immer wieder gesagt, dass der Ton die Musik machte. Wie wahr dieser Spruch tatsächlich war, bemerkte der Japaner allerdings erst jetzt. Er würde gut daran tun, seinen Hitzkopf endlich abzulegen. Kurzerhand schob Fireball Martin zur Tür hinaus und eilte mit ihm in den Hangar hinunter. Alle Staffelmitglieder waren noch anwesend. Entweder standen sie zusammen und unterhielten sich, oder sie saßen beim Kartenspielen. Fireball ließ sich nicht anmerken, was Martin gerade alles an die Oberfläche gespült hatte. Er pfiff kurz, damit er die Aufmerksamkeit aller für sich hatte und kehrte mit einem lockeren Spruch seine Frohnatur hervor: „Mir hat ein Vögelchen gezwitschert, ihr wärt schon fertig. Also, worauf wartet ihr noch? Ab in die Heimat mit euch und macht euch einen schönen Abend.“

Stan und Oliver waren unter den Kartenspielern gewesen. Oli legte die Karten verkehrt auf den Tisch und sah auf. Kam ihr Captain also auch mal wieder aus seiner Grummelecke herausgeschlichen. Dem großen Piloten war das ziemlich egal. Nur, wie er Stan kannte, würde der wieder einen Spruch raus klopfen und Fireball so provozieren. Dabei wollte er die Partie aber doch noch gerne zu Ende spielen.

Sein blonder Kumpel enttäuschte ihn auch nicht. Stan legte seine Karten ebenfalls ab und rief zu ihrem jüngsten Teammitglied nach vor: „Na, endlich ausgepoppt – äh gepopelt natürlich? Fürs andere bist du ja noch viel zu jung.“

Der Elitepilot hatte sich von seinem Trainingstiefschlag zwar schon wieder erholt, aber er hieß Fireball deswegen immer noch nicht willkommen. Bisher hatte der junge Japaner noch nichts getan, was Stan eines Besseren belehrt hätte. Im Gegenteil. Durch die Aktion heute wieder fühlte sich Stan in seiner Meinung bestätigt. Der Kleine war jung, unfähig und undiszipliniert. Er war alles, aber kein Captain. Nach seinem verbalen Tiefschläger wandte sich Stan wieder dem Tisch zu, nahm seine Karten wieder in die Hand und wollte wissen: „Wer war mit Einsatz erhöhen dran?“

Auch Oli nahm seine Karten wieder auf, und in die andere Hand eine Flasche Bier. Er demonstrierte damit völlige Gleichgültigkeit seinem direkten Vorgesetzten gegenüber. Der Hüne hätte auch ohne Fireballs Zustimmung pünktlich um fünf den Feierabend eingeleitet. Die Partie Poker spielte er aber noch in aller Seelenruhe zu Ende. Die anderen gingen nachhause, nur der Pokertisch blieb besetzt.

Bevor Fireball auf Stan eingehen konnte, wies Martin auf einen Stoß Papier: „Berichte sind da. Log- und Flugbücher da.“

Er warf der Pokerrunde noch einen kurzen Blick zu, sie sollten ihm ein Bier solange kalt stellen. Der Brasilianer konnte nicht wissen, dass Stan den Blick anders interpretierte und Fireballs Schweigen auch noch als Einladung verstand, um noch mal Salz in die Wunden zu streuen: „Ich dachte schon, du lässt uns hier alt werden, Babyboy. Nur weil du nicht zum Stich kommst, will ich nicht darauf verzichten müssen.“

Kopfschüttelnd stapelte sich Fireball die Berichte auf die Arme und konterte ungerührt, während er den Weg ins Büro zurück einschlug: „Was du nach Feierabend machst, interessiert mich nicht. Sei morgen einfach nur mal pünktlich, Stanley.“

Stan hatte keine Möglichkeit mehr zu kontern, das war ihm in dem Augenblick auch kein Bedürfnis gewesen, denn sonst hätte er seine Karten hinschmeißen müssen und dem ungehobelten, frechen Zwerg nachlaufen müssen. So blieb er dann doch lieber sitzen und tat, als hätte er den Kommentar nicht gehört. Er nahm sich allerdings vor, am nächsten Morgen aus Trotz schon mal ohne Wecker aufzustehen.
 

April hatte über einen oder zwei Umwege versucht, noch schnell zu Ramrod zu kommen. Sie hatte ihren drei Jungs nicht gleich zeigen wollen, wo sie gewesen war, hatte sie Saber doch am Telefon gesagt, sie hätte die Zeit übersehen und wäre noch bummeln gewesen. Am Fuß der Rampe bremste April ihren Laufschritt rapide ab und blieb stehen. Ihr wurde bewusst, dass dies ein Einsatz war. Es war ihr erster richtiger Auftrag ohne Fireball. Der Blondine zog sich das Herz in der Brust zusammen und sie senkte kurz den Blick. Wehmütig wandte sie sich noch einmal von Ramrod ab und sah zu den Fenstern im Bürogebäude auf. Als sie das richtige Fenster gefunden hatte, sah sie noch die Kontur des Rennfahrers, der sich vom Fenster wieder wegbewegte. Es war ein stiller Abschied, dennoch war er nicht minder schmerzhaft für die Blondine. April schniefte die Tränen weg, so gut es ging und setzte sich wieder in Bewegung. Sie mussten endlich starten!

Ramrod hatte seit jeher zu den Staffeln der Air Strike Base gehört, weil die Crew in einem Raumschiff unterwegs war, aber sie waren immer eigenständig geblieben. Sie teilten sich nur das Rollfeld mit den anderen Flugstaffeln Yumas. Sie hatten nie viel mit den anderen Einheiten zu tun gehabt, das merkte April erst jetzt. Der Captain von Ramrod hatte nicht mal ein fixes Büro in Yuma und die Besatzung des Friedenswächters war so gut wie bei keiner einzigen Besprechung der Einheiten dabei. Aber vielleicht änderte sich das noch.

April kam mit einem wehmütigen Lächeln in den Kontrollraum gelaufen und setzte sich mit rosigen Wangen in ihre Satteleinheit. Sie schnallte sich an, kontrollierte ihre Anzeigen und begrüßte dabei ihre Jungs mit einem umwerfenden Zwinkern: „Hey, Jungs! Entschuldigt die Verspätung. Meine Uhr ist stehen geblieben.“

Während sich Saber und auch Alex auf die Lippen bissen und das ohne weiteren Kommentar zur Kenntnis nehmen konnten, war das bei Colt schon wieder so eine Sache. Er schnallte sich ebenfalls an, bei Alex Flugstil war am sichersten, wenn er den ganzen Flug über angeschnallt blieb. Dann aber nahm er den Hut ab und lehnte sich aus seiner Satteleinheit nach hinten zu April. Sein durchtriebenes Grinsen unterstrich seine Worte: „Was denn? Du kommst ohne Beute, dafür aber mit kaputter Uhr vom Shoppen? Prinzessin, was ist los mit dir? Bist du krank?“

Ah ja, dann hatte Saber die Information also sofort weitergeleitet. Hätte sich April auch denken können. Sie blinzelte Colt an und meinte unschuldig: „Es soll Tage im Leben einer Frau geben, an denen sie keine Klamotten auf ihrer Tour findet. Ein solcher Tag hat mich heute anscheinend ereilt, liebster Colt.“

„Könnte an der fehlenden Begleitung liegen“, mutmaßte Saber mit einem verständnisvollen Lächeln. Der Schotte wusste, dass Fireball keine Zeit gehabt hatte. Er bekam schon jetzt ziemlich regelmäßig abends kurze Anrufe vom Wuschelkopf, dabei war noch nicht mal ein Monat seit seiner Versetzung vergangen. Der Hitzkopf erstickte im Augenblick in Arbeit, nicht nur Papierkram, sondern auch und vor allem Arbeit mit der Mannschaft, die ihn nicht akzeptierte. Dass Fireball da keine Zeit gehabt hatte, mit April unter der Woche die Geschäfte unsicher zu machen, war von daher für Saber nur eine logische Konsequenz.

Colt hatte aber auch für dieses Problem eine Lösung. Er deutete auf Alex, der ihm nach wie vor nicht geheuer war, und kommandierte den gleich ab: „Vielleicht ist Alex ein besserer Modeberater als Pilot. Dann kann er wenigstens etwas halbwegs, wenn er sonst schon eine kleine Niete ist.“

„Die kleine Niete wird dir das nächste Mal Steak mit Rinderwahn vorsetzen, du Rindvieh!“, konterte Alex, während er vom Rollfeld startete. Der war zwar noch nicht richtig in dieser Mannschaft angekommen, sah sich aber mittlerweile zumindest in der Lage, Colt den ein oder anderen fiesen Konter reinzuwürgen. Saber hatte ihm noch einmal gesagt, dass er sich nichts gefallen lassen musste, und diesen Rat nahm der Italiener nun dankbar an.

Während sich zumindest April und Saber über den Konter amüsieren konnten, verzog Colt missmutig das Gesicht. Seine Aufmerksamkeit wanderte von April nun wieder zur mittleren Satteleinheit hinüber. Drohend hob er die Faust: „Dir geb ich gleich Rindvieh, du Nudelgesicht!“

Zu Alex‘ Glück hatte der handfeste Disput vor wenigen Tagen bei Colt dazu geführt, nicht mehr trotzig gemein zu Alex zu sein. Er fand sich damit ab, dass da nun statt Fireball einer Pilot war, er beherzigte sogar Aprils und Sabers Rat, Alex zuerst kennen zu lernen. Aber das dauerte bei Colt eben und noch war er weit davon entfernt, einen auf Friede Freude Eierkuchen zu machen. Aber seine Späße und Sprüche hatten keinen wirklich gemeinen Hintergedanken mehr. Jetzt wollte Colt eigentlich nur noch wissen, wie gut und viel der italienische Mafiosi kontern konnte und was der alles vertrug. Also das normale Kennenlernritual bei Colt.

Alex zog die Schubregler nach hinten: „Okay, Nudeln sind für die nächste Zeit auch vom Speiseplan gestrichen. Mach so weiter und du kannst dich vegetarisch ernähren, Hutträger!“

„Mach du so weiter und Ramrod wird wirklich noch ein Schaukelpferd. Hier hat‘s ja Seegang, als hätte ich einen über den Durst getrunken“, Colts hämisches Grinsen wurde immer größer. Hey, das machte fast Spaß sich mit Alex zu messen. Vielleicht war er doch kein solcher Idiot, wie der Lockenkopf gedacht hatte.

Saber warf einen skeptischen Blick zu April und dann wieder auf die beiden Streithähne. Okay, das war ihr erster Einsatz in dieser Besatzung, aber ganz ehrlich gestanden, Saber hatte nicht das Gefühl, als wäre es so. Diese verbalen Auseinandersetzungen waren ihm durchaus bekannt und wenn er Colt dabei so ansah, war ihm klar, dass bei ihrem Scharfschützen keinerlei Groll mehr mitschwang. Das war alles gerade im grünen Bereich. Blieb nur zu hoffen, dass Alex im Ernstfall wusste, wie er Ramrod zu behandeln hatte. Noch war der nämlich etwas zaghaft an den Schubreglern und verhalten in seinen Manövern. Mit aufmerksamen Augen dachte Saber einen Moment darüber nach, ob er Fireball nicht bei nächster Gelegenheit bitten sollte, Alex ein paar Kniffe zu zeigen. Er dachte, das wäre bestimmt hilfreich. Das aus zweierlei Hinsicht. Alex lernte ein paar Tricks von einem absoluten Vollprofi, was Ramrod betraf, und Fireball wäre nicht komplett weg. Das musste er zwar erst mit Commander Eagle abklären, aber Saber war sich sicher, dass das kein Problem sein dürfte.

„Also dann, ab Richtung Laramy“, gab er die Anweisung und war nun mit Kopf und Herz bei ihrer Mission. Es war nichts Aufregendes, so wie die meisten ihrer Abenteuer nicht vielversprechend aufregend begannen. Aber es war das richtige Training für Alex um sein neues Aufgabengebiet gleich von der Pieke auf zu lernen. Der Pilot war nicht länger nur Kampfjetpilot, sondern auch Star Sheriff. Das brachte einen ganz anderen Aufgabenbereich mit sich. Alex kam zum ersten Mal in den Genuss des Dienstes an der Waffe und musste auch einiges an diplomatischem Geschick mitbringen. Aber, und da war Saber mehr als optimistisch, die Anlagen dazu hatte Alessandro, sonst wäre er schon längst nicht mehr an Bord von Ramrod.
 

Der Captain der Air Strike Base 1 hatte von Martin noch was zu hören bekommen und saß nun, weit nach Mitternacht, immer noch in seinem Büro. Oh, wie er es hasste, Berichte anderer Leute lesen zu müssen und die vielleicht auch noch zur Korrektur noch einmal zurückgeben zu müssen. Dass sein Start in diese Einheit dann auch nicht wirklich von Glück gesegnet gewesen war, machte die Arbeit nur noch nerviger. Fireball warf einen kurzen Blick auf den Kalender. Der 20. Juli. Nächste Woche fand die Gedenkfeier für die Opfer des ersten Angriffes vor zwanzig Jahren statt. Unwillig verzog Fireball das Gesicht und schwang sich aus seinem Sessel. Er suchte nach der Personalakte eines seiner Mitglieder, dessen Bericht er gerade in Händen hielt. Der junge Hikari brauchte nur deswegen so ewig mit seinem Papierkram, weil er zu jedem Bericht die Personalakte dazu holte und sich Informationen über seine Schützlinge suchte. Im Augenblick diente das Suchen eben jener Akte aber auch zur Ablenkung.

Er wollte nicht an nächste Woche denken müssen und schon gar nicht an seinen Vater. Die beiden Hikari waren nicht gerade als Freunde in der Vergangenheit auseinander gegangen. Das belastete ihn auf irgendeine Art und Weise.

Fireball wollte auf der einen Seite eigentlich schon längst zuhause sein, auf der anderen jedoch wollte er in keine unbewohnte Wohnung zurück gehen. Er hatte von Commander Eagle kurzerhand eine Dienstwohnung hier auf dem Stützpunkt zugewiesen bekommen, er war hier nur husch husch eingezogen. Das kleine Appartement hatte nichts, was Fireball dazu gebracht hätte, gerne Feierabend zu machen. Er war alleine dort, noch standen überall Kisten herum, die er eigentlich mal ausräumen sollte und es fehlte den vier Wänden an persönlicher Note. Die Kisten behielt sich der Hobbyrennfahrer auf für den Fall der Fälle, wenn er wieder mal nicht schlafen konnte. Dann räumte er Karton um Karton aus, bis er so fertig war, dass er sich nur noch hinzulegen brauchte und einschlief.

Die Therapie für diesen Abend war eindeutig klar: Berichte lesen. Dabei versuchte Fireball, jedem Namen auch das Gesicht zuzuordnen und sich etwaige Besonderheiten des einzelnen zu merken. Jeder seiner Piloten und Pilotinnen hatte ein markantes Merkmal, sei es nun wegen seines Aussehens oder wegen einiger Charaktereigenschaften. Die Frauen neigten dazu, ihre Berichte auf Längen auszuweiten, die jeder Beschreibung spotteten. Die brünette Manuela hatte es mit ihrem Bericht geschafft, dass Fireball gegen zwei Uhr die Augen zufielen und er während des Lesens einfach wegschlief.
 

Es war noch ein Weilchen hin bis Sonnenaufgang, dennoch war er schon wach. Das Sicherheitspersonal am Eingang des Oberkommandos hatte ihn mit merkwürdigen Blicken bedacht, aber sie hatten ihn herein gelassen. Nun bahnte er sich im Halbdunkel einen Weg ins Büro hinauf. Martin hatte seinen Unmut lange und breit mit seiner langjährigen Freundin Alessa diskutiert, hatte ihr ausführlich geschildert, was los war. Sein Herzblatt hatte wieder einmal Ruhe in den brasilianischen Sturm gebracht, der dann doch ab und zu losbrach. Seine bessere Hälfte hatte es geschafft, so etwas wie Verständnis für den Neuen in ihm zu erwecken. War sicher kein Zuckerschlecken in eine größere Mannschaft zu wechseln, und dennoch: Es war kein Grund für Martin, die Arbeit schleifen zu lassen.

Dank der Fluchtwegbeleuchtung im Flur und den Gängen hatte sich Martin sparen können, das Licht einzuschalten. Es war einfach noch viel zu früh an diesem Morgen. Er seufzte, während er auf das Büro des Captains zuging. Was machte er hier eigentlich? Wie bescheuert musste man sein, um einem undankbaren Rotzlöffel mitten in der Nacht die Arbeit fertig zu machen? Und das auch noch freiwillig. Martin schüttelte über sich selbst den Kopf. Er musste nicht mehr ganz sauber ticken. Von Weitem bemerkte er bereits den Lichtkegel aus dem Büro. Dieses Mal war die Tür zum Büro des Captain geschlossen, naja, zumindest fast und es brannte Licht. Martin stieß die angelehnte Tür leise auf und trat ein.

Bei dem Anblick wünschte er sich still eine Kamera und ein Lächeln stahl sich über sein Gesicht. Das sah ganz nach dem alten Spruch ‚Besser acht Stunden Büroarbeit als gar kein Schlaf‘ aus. Gleichzeitig jedoch schürte es etwas in Martin, das sich Unbehagen schimpfte. Ob hier nicht vielleicht jemand schlief, der mit seiner Position heillos überfordert war? Martin umrundete den Schreibtisch und inspizierte die liegen gebliebene Arbeit. Zumindest war etwas mehr System in die Ablage des Captains gekommen. Das hatte am Nachmittag ja noch viel wüster ausgesehen, als jetzt. Ganz klar war der Hitzkopf über der Arbeit eingepennt, das sah Martin nicht zuletzt an dem aufgeschlagenen Bericht. Der Pilot setzte sich auf einen Stuhl auf der gegenüberliegenden Seite des Schreibtisches und zog behutsam die aufgeschlagene Mappe unter Fireballs Kopf hervor. Er hatte also die Personalakten gelesen, hochinteressant. Martin erkannte, dass sich der Japaner durchaus anstrengte und versuchte, etwas an der Situation zu ändern, nur so recht gelingen wollte es ihm nicht. Er steckte einfach noch zu sehr darin fest, die Flughunde erst einmal kennen zu lernen. Das kostete Zeit, kostbare Zeit, die ihnen unter Umständen fehlen konnte. Aber zumindest machte er sich die Mühe, von jedem etwas zu wissen und ihre Namen zu kennen. Martin sah von Manuelas Personalakte auf. Was wusste die Crew über ihren Captain?

Er war der Junior des berühmten Captain Hikari, ein verwöhnter, kleiner Junge. Martin verzog den Mund. Egal, was sie da vor die Nase gesetzt bekommen hatten, viel von dem war nur Show. Ganz sicher war nicht alles so, wie ihr Captain das lebte. Zu der glorreichen Erkenntnis kam Martin nicht zuletzt wegen ihres Streits von diesem Nachmittag. Sie hatten sich nichts geschenkt und der erfahrene Pilot glaubte zu wissen, dass er nicht nur ein kleines Stückchen an Fireballs Ego gekratzt hatte. Vor seiner Crew hatte er sich später nichts davon anmerken lassen, auch von seiner Zerstreutheit, die eindeutig privat bedingt war, hatte man ihm gleich darauf nichts mehr angesehen.

Oh, da lugte noch etwas unter dem Captain hervor. Interessiert zog Martin auch an dem Papier und konnte gleich darauf feststellen, dass es Manuelas Bericht war. Sieben Seiten. Martin schüttelte den Kopf. Jetzt war die Frau bestimmt schon sechs Jahre in dieser Staffel und verfasste noch immer Romane statt Berichte über einen Trainingsflug! Kein Wunder schlief Fireball tief und fest. Das verkraftete doch niemand um so eine Uhrzeit. Martin überkreuzte grinsend die Beine, griff noch nach einem Kuli und begann, den Bericht zu korrigieren.

Er war ein Idiot, er war ein totaler Trottel, weil er sich das antat und mitten in der Nacht aufstand. Aber Martin konnte nicht anders. Etwas sagte ihm, dass er dem kleinen Hikari nicht nur ein Kollege, sondern vielleicht auch ein Freund sein sollte. Die nächste Zeit würde zeigen, ob ihn sein Gefühl betrog.
 

Pünktlich mit den ersten Sonnenstrahlen, die kurz nach sechs durch das Fenster des Büros brachen, regte sich auch Martins Gegenüber wieder. Von Fireball hatte er bisher überhaupt nicht gemerkt, nicht ein Mal hatte sich der junge Hüpfer bewegt. Martin hatte noch nie jemanden getroffen, der so tief und fest schlief, dass er wie ein Stein da lag.

Nun aber kam Leben in den Japaner. Mit steifen Gliedern setzte er sich auf und streckte sich. Gott, was für eine fürchterliche Nacht! Fireball bekam die Augen kaum auf, mit Ach und Krach schaffte er es, auf die Uhr zu linsen und sich anschließend noch einmal über die Augen zu reiben. Von Uhrzeit lesen war er weit entfernt gewesen. Alles, was sich außerhalb eines gewissen Radius befand, nahm der Wuschelkopf ohnehin noch nicht wahr. Ferngesteuert griff die Hand erst mal nach der großen, sonnengelben Tasse und hob sie zum Mund. Der Kaffee war kalt. Aber Kaffee war Kaffee, egal bei welcher Temperatur.

Martin beobachtete dieses Spektakel. Hatte er am Nachmittag noch gedacht, mehr neben sich zu stehen ginge nicht, war er gerade Zeuge der Steigerung geworden. Schmunzelnd machte er auf sich aufmerksam: „Kalter Kaffee macht angeblich schön.“

„Noch schöner wär…“, noch während er den Spruch automatisch abschmettern wollte, wurde Fireball bewusst, dass er nicht alleine im Büro war. Er musste eingeschlafen sein. Es war hell draußen und Martin saß vor ihm. Als er begriff, was das zu bedeuten hatte, fuhr er im Stuhl auf, riss entsetzt die Augen auf und erschrak zu Tode: „Oh, Scheiße! Bitte sag, dass der Dienst noch nicht angefangen hat.“

Ein diebisches Lächeln stahl sich bei Martin über die Lippen. Er fand das höchst amüsant. Alleine für diese Show, die Fireball ihm gerade bot, hatte sich das frühe Aufstehen schon gelohnt. Das entschädigte sogar für die Arbeit mit den Berichten.

Freundlich erlöste er Fireball deswegen von seinem Schrecken: „Nein. Außer mir ist niemand hier“, dabei legte er den angelesen Bericht zur Seite, griff nach der Kaffeetasse und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.

Der Pilot brachte für sich und Fireball noch mal eine Tasse Muntermacher. Martin lächelte dabei stumm vor sich hin. Mittlerweile war er sich ganz sicher, dass mit dem richtigen Schubs ein wirklich guter Captain aus Fireball wurde. Allerdings sollte der Schubs das ein oder andere Mal etwas stärker ausfallen. Der Kleine schien’s zu brauchen. Martin hatte nach jedem Bericht eine kleine Pause eingelegt, war dabei auch immer wieder aufgestanden. Bei der Gelegenheit hatte er auch den Schreibtisch seines Vorgesetzten in Augenschein genommen. Viel war dort nicht zu finden gewesen. Kein Wunder, Fireball hatte sich erst vor kurzem hier eingenistet. Aber zumindest ein Foto hatte schon seinen Platz gefunden. Es stand gleich neben dem Bildschirm und zeigte die Ramrodcrew. Familienfoto allerdings hatte Martin vergeblich gesucht. Ansonsten war nicht Persönliches auf dem Tisch zu finden gewesen. Von manchen Dingen Abschied zu nehmen fiel dem Captain also schwer, zumindest reimte sich Martin das so zusammen. Was er bisher erlebt und gesehen hatte, ließ nur diesen Schluss zu. Noch dazu war allgemein bekannt, dass Ramrod vollkommen anders geführt worden war. Nicht zuletzt deswegen schien Fireball mit der straffen Struktur der Air Strike Base so seine Probleme zu haben.

Bis Martin mit dem Kaffee wieder kam, war Fireball endlich zumindest soweit klar im Kopf, dass er sich wieder zu seiner Arbeit setzen konnte. Als der Brasilianer sich wieder setzte, hatte sich Fireball bereits wieder in einen Bericht vertieft. Martin schob ihm die gelbe Tasse vor die Nase und ließ verlauten: „Hau Stan mal auf die Finger. Der schlampt bei seinen Berichten, was das Zeug hält.“

Dabei gab er Fireball den entsprechenden Bericht in die Hände. Wer nicht wusste, dass sich die beiden kaum kannten, konnte annehmen, sie arbeiteten schon ewig zusammen. Denn der Japaner nahm ohne aufzusehen Stans Bericht, überflog den kurz und nickte anschließend zustimmend: „Kurz und prägnant soll ja angeblich gut sein, aber da fehlt ja die Hälfte.“

„Droh ihm Flugverbot an, seine Frauengeschichten kannst du ihm schlecht verbieten“, Martin setzte sich dabei wieder und griff nach seinem angelesenen Bericht von Vorhin. Trotz des Streits, den sie erst gestern ausgetragen hatten, war die Atmosphäre im Büro des Captains eine äußerst angenehme. Martin hatte nicht das Gefühl, der junge Spund würde ihn erneut angehen. Im Gegenteil, Martin glaubte eher, der kleine Flieger hatte längst vergessen, was sie sich vorgehalten hatten. Ein Punkt mehr, an dem Alessa Recht behalten hatte. Stur bedeutete nicht gleichzeitig auch nachtragend.

Schweigend erledigten sie ihre Arbeit. Bis Fireball bei seinem letzten Bericht zu grinsen begann. Als er auch noch den Kopf schüttelte, wollte Martin doch Bescheid wissen: „Was?“

Fireball Augen blitzten amüsiert auf, als er Martin den Bericht in die Hände drückte: „Frauen sind doch echt alle gleich. Stella schreibt einen halben Roman, dabei war’s doch nur ein Trainingsflug.“

Auch Martin grinste, als er das zu lesen bekam. Au weia, das war ja ne halbe wissenschaftliche Abhandlung. Im Gegenzug dazu kramte Martin Manuelas Bericht, den er bereits zu den abgezeichneten gelegt hatte, wieder hervor und gab ihn Fireball: „Der hier ist noch mal so lange, dafür ist die Stimmung wunderbar eingefangen.“

Bereits nach den ersten beiden Sätzen schloss Fireball den Bericht wieder. Mit einer guten Portion Humor, aber einem unsicheren Lächeln antwortete er: „Das war meine Gute-Nacht-Lektüre. Damit sollte die Frage geklärt sein, weshalb ich beim Berichte lesen einfach wegpfeife.“

„Dabei war der an Spannung doch kaum zu überbieten“, feixte Martin mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Manuela hatte eindeutig den Beruf verfehlt. Die Frau hätte Schriftstellerin werden sollen.

Die Berichte waren endlich alle fertig korrigiert und abgezeichnet. Ordentlich waren sie zusammen gestaffelt worden und lagen nun zwischen Martin und Fireball. Dem Captain ging erst langsam auf, dass Martin ihm mit seiner Arbeit geholfen hatte. Mitten in der Nacht musste dieser hergekommen sein, denn der kleine Japaner war sich sicher, dass er noch die Hälfte der Berichte hätte lesen müssen, als er mit Manus angefangen hatte. Aber so richtig wollte dieser Umstand, dass der Brasilianer ihm geholfen hatte, nicht in seinen Dickkopf. Niemand hier wollte ihn als Captain. Zu sehen, wie er alleine mit dem Aufgabengebiet überfordert war, musste doch für alle ein richtiger Augenschmaus sein. Aus dem Spaß war deswegen wieder Ernst für Fireball geworden, denn auch Martin hatte ihn nicht als Captain akzeptieren wollen. Unbehaglich wollte Fireball deswegen wissen: „Weshalb tust du das, Martin?“

Der Brasilianer nahm einen Schluck vom Kaffee und zuckte mit den Schultern. So genau wusste er das nämlich selbst nicht. Vielleicht aber hatte er so etwas wie Sympathie für den kleinen Captain übrig. Sein Vater hatte ihm noch lange nach der ersten Schlacht Geschichten über die einstige Eliteeinheit erzählt. Jedes Mal war dabei auch der Name von Captain Hikari gefallen. Emilio und Shinji waren gute Kollegen und auch Freunde gewesen. Es hatte immer ein gutes Arbeitsklima in der Einheit gegeben. Das war etwas, was auch für Martin unersetzbar wichtig war. Er würde bestimmt nirgends arbeiten, wo er sich nicht wohl fühlte. Deshalb konnte er sich auch sehr gut vorstellen, dass es auch für Fireball gerade kein Spaß war, überhaupt hier zu sein.

„Das war ohnehin das erste und letzte Mal, dass ich dir mit den Berichten helfe“, obwohl er es hatte abhaken wollen, rutschte ihm doch noch ein Kommentar raus: „Du wärst ohnehin leicht bis Feierabend fertig damit gewesen, wenn du gestern nicht was auch immer getrieben hättest. Du verplemperst deine Zeit.“

„Trotzdem danke“, schuldbewusst senkte Fireball kurz den Blick, ehe er Martin auswich: „Ich bin noch nicht richtig hier angekommen.“

Stimmte ohnehin. So richtig in der Staffel war er noch nicht angekommen. Deswegen betrieb er ja eigentlich auch das Unding mit den Personalakten. Er wollte alle seine Piloten kennen, zumindest namentlich.

„Du solltest dich davon verabschieden, Ähnlichkeiten mit Ramrod in dieser Staffel zu finden“, Martin war ohne es zu merken von einer helfenden auch noch in eine beratende Funktion gerutscht. Ehe er sich versah, klärte er ihren Neuzugang auch schon über diverse Eigenheiten auf. Abschließend ließ er Fireball noch wissen: „Du bist Captain einer Staffel, nicht einer kleinen Spezialeinheit. Kapierst du, worauf ich hinaus will?“

Verstehend nickte der Pilot: „Natürlich. Es liegt an der Natur der Sache, dass eine dreiköpfige Mannschaft anders zu führen ist, als diese ausgewachsene Einheit.“

Auch Martin nickte, aber er seufzte. Das war noch ein hartes Stück Arbeit. Zumindest aber wusste der Kleine, wo er dringenden Verbesserungsbedarf hatte. Er hielt Fireball noch einmal an, ehe er aufstand: „Du bittest hier niemanden, vergiss das niemals. Du bist der Boss, du gibst Befehle und verhängst Sanktionen, wenn die Befehle nicht befolgt werden, Babyboy. Aber das alles machst du so, wie du es gestern mit mir getan hast.“

Oh ja, Martin war verdammt beeindruckt von der Zurechtweisung gewesen. Wenn er das in Zukunft auch bei den anderen so sachlich und ruhig machte, könnten die sich sicherlich auch für den jungen Captain erwärmen.

Für diesen Tipp war er dankbar, denn Fireball tat sich schwer damit, Befehle zu erteilen. Das hatte er auf Ramrod schon nicht können und das war sogar Martin aufgefallen. Der Hitzkopf warf noch einen Blick auf die Uhr, dieses Mal konnte er die Uhrzeit wenigstens einwandfrei ablesen. Er stand auf und lud Martin ein: „Wenn du mich noch schnell zuhause vorbeisausen lässt, damit aus mir ein Mensch wird, dann lad ich dich auf ein gutes Frühstück ein. Die Zeit hätten wir noch.“

Auch der Brasilianer stand auf. Er warf dem Schreibtisch noch einen Blick zu, schmunzelte dabei leicht, denn er wusste, dass es keine drei Stunden dauern würde, dann würde das Chaos wieder Einzug dort halten. Ach, was sollte es. Das war doch auch bei Mandarin so gewesen. Er schob den Stuhl an den Tisch und ging voraus. Dabei lehnte er allerdings ab: „Lass mal. Ich möchte noch mal zu meinem Herzblatt heim. Die war nicht begeistert, Babyboy.“

Wie auf Kommando zog Fireball den Kopf ein. Er hatte vergessen, dass Martin eine Freundin hatte. Au Backe, da hatte er gerade wohl ordentlich in die Beziehung gefunkt. Etwas verschämt wollte er deswegen: „Kauf ihr ein paar Blümchen und bedank dich in meinem Namen bei ihr, dass sie dich entbehren konnte.“

„Keine Sorge“, grinste Martin, während er das Büro verließ: „ihre Rache dafür wirst du schon noch bekommen.“

Das war so fix wie das Amen in der Kirche. Man musste Fireball ja nicht sagen, dass die Revanche eigentlich ganz angenehm sein würde. Das merkte der Kleine schon noch früh genug. Martin grüßte also noch einmal und verschwand dann wieder nachhause. Er frühstückte lieber mit Alessa.
 

Mit Martins Hilfe war an jenem Morgen der Grundstein gelegt worden, doch Fireball tat sich dennoch unheimlich schwer, einen Draht zu der Mannschaft zu finden. Gerade auch deswegen, weil Stan und Oli nach wie vor voll überzeugt davon waren, er würde nicht in diese Staffel gehören. Der Blonde kam aus Prinzip schon zwischen zwanzig und dreißig Minuten am Morgen zu spät, verpasste so jeden Übungsflug. Und auch der große Oliver machte Fireball mit aller Gewalt das Leben schwer. Egal, was er verlangte, von Oli bekam er grundsätzlich mal ein ‚Nein‘ um die Ohren gepfeffert. Da hatte Martins Tipp auch nichts geholfen. Generell artete das Verweigern von Befehlen zu einer Art Volkssport aus. Jede Tätigkeit wurde zu einem Machtkampf zwischen Captain und Einheit. Das erforderte unverschämtes Durchhaltevermögen, auf beiden Seiten.

Lediglich bei der Gedenkfeier hatte sich die Crew zusammen gerissen. Es war ein hochoffizieller Akt gewesen, das Oberkommando hatte einen Megaaufwand dafür betrieben. Allerdings war den Piloten der Air Strike Base 1 dort auch aufgefallen, wie verdammt ähnlich sich Vater und Sohn sahen. Kein Wunder also, dass man ihnen den Knirps vor die Nase gesetzt hatte. Machte sich ja auch unheimlich gut der Öffentlichkeit zu zeigen, wie der Sohn in die Fußstapfen seines Vaters trat. Nur sah das die Belegschaft der Air Strike Base nicht so. Für sie war es ein Beweis mehr, dass ihr Captain alles ohne Anstrengung und Entbehrungen in den Hintern geschoben bekommen hatte.

Das absolute Highlight für die Crew stand allerdings erst an. An diesem Nachmittag hatte die Einheit keine Lust auch nur einen Penny darauf zu geben, was Fireball sagte. Während dieses Unterfangens, die Bande endlich irgendwie in die Luft zu bekommen, damit die nicht aus dem Training kamen, stattete Commander Eagle der Einheit einen Besuch ab. In den ersten Wochen nach Fireballs Dienstantritt waren ihm vermehrt Beschwerden über die Eliteeinheit ins Haus geflattert. Auch, wenn Aprils Vater es nicht gerne tat, er musste sich Fireball schnappen und mit ihm ein ernstes Wörtchen reden. Der Commander trat in den Hangar und verschaffte sich einen Überblick. So vielversprechend, wie er sich erhofft hatte, sah es nicht aus. Er konnte Fireball nicht finden, deswegen rief er in den Hangar hinein: „Captain Hikari?“

Schwungvoll trat Fireball vor den Commander und salutierte. Der hatte bestimmt gerade gesehen, wie er mit einem Kollegen diskutiert hatte. Und zwar über etwas, was indiskutabel war. Gleich bekam er vor versammelter Mannschaft gehörig eine auf den Deckel. Die Frage war nur wie herb der Schlag war, den er nun bekam und wie scheckig sich seine Himmelhunde dabei lachten. Denn Zweifels ohne bekam er neben seiner Crew gleich mächtig die Leviten gelesen. Der Tag war gelaufen, aber ziemlich eindeutig. Mit einem kurzen Pfiff versammelte er die Jungs hinter sich im Hangar. Das war das einzige, was wie am Schnürchen funktionierte.

Schon beim Salutieren haperte es wieder. Die Hälfte der Mannschaft salutierte schlampig, die andere Hälfte verkniff es sich, nur Martin begrüßte den Commander angemessen. Dieses Bild würde dem Commander nur eines verdeutlichen. Die Gerüchte im Oberkommando waren wahr, die Beschwerden über die Air Strike Base 1 nicht haltlos. Die Schuld dafür würde Fireball bekommen, denn er war das Staffeloberhaupt. So kam es auch.

„Was ist hier los, Fireball?“, Eagle sparte sich jede Höflichkeitsfloskel, er war hier um nach dem Rechten zu sehen. Nur lief hier einiges schief. Mandarins und sein Wunschkandidat hatte arge Probleme. Der Commander deutete auf die Staffel.

Fireball stand nicht nur mit dem Rücken zur Wand, sondern hatte seine Mannschaft im Rücken. Jeder andere Captain hätte sie darüber gefreut, aber der Japaner nicht. Er konnte lediglich aus den Augenwinkeln wahr nehmen, was die Querulanten hinter seinem Rücken trieben. Das erfreute ihn nicht sonderlich. Entweder bekam er gleich von hinten das Messer in die Rippen getrieben oder die Attacke kam von vorne. Obwohl, wenn Fireball Aprils Vater so betrachtete, er bekam so oder so ordentlich was zu hören. Leider auch noch berechtigt und er wusste, dass Charles, so gerne er den Wildfang auch hatte, keinen Unterschied machen würde. Also kniff er die Augen zusammen und spannte sich merklich. Er bereitete sich auf das Unausweichliche vor: „Wir stecken gerade in den Vorbereitungen für einen Erkundungsflug, Sir.“

Zumindest hatte er akkurate Umgangsformen aus der Vergangenheit mitgebracht. Fireball wunderte sich selbst darüber, aber die entsprechende Anrede für ein höherrangiges Mitglied des Oberkommandos war ihm doch hängen geblieben. Nur half ihm das gerade nichts.

„Wieso seid ihr dann noch nicht in der Luft?“, hakte Charles ungeduldig nach. Der Junge wich seinen Fragen gezielt aus, das gefiel ihm absolut nicht. Musste er Fireball vielleicht bald wieder von diesem Posten abziehen? Einige Stimmen diesbezüglich waren schon laut geworden, Charles hatte sie alle bisher hingehalten. Sie zu ignorieren, ging nun nicht mehr. Er sah immerhin, wie gehorsam die Staffel wirklich war. Sie standen geschlossen nicht zu ihrem Captain. Das hieß nichts Gutes.

Fireball vermied es, sich auch nur zu einem unüberlegten Kommentar über seine Truppe hinreißen zu lassen. Es war seine Mannschaft, er vertrat sie nach außen hin und er würde für alles bedingungslos gerade stehen. Für Ramrod gerade zu stehen, hatte nicht viel Mut erfordert, für die Staffel der Air Strike Base 1 einzustehen, forderte dann schon wesentlich mehr Selbstlosigkeit, denn Fireball wusste, dass diese Mannschaft nicht hinter ihm stand.

„Unstimmigkeiten, was die Formation betrifft, Sir“, dabei zog er schon fast instinktiv den Kopf ein. Das gab gleich ein Donnerwetter sondergleichen. Den Ausdruck in Charles‘ Gesicht kannte er nur zu gut. Zuletzt hatte er privat solchen Anschiss von Commander Eagle kassiert, weil er sich nach ihrer Heimkehr nicht bei seiner Mutter gemeldet hatte. Aber das hier war dienstlich und somit gleich wesentlich schlimmer.

Der Commander ließ nicht lange darum bitten. Er nahm kein Blatt vor den Mund, während er Fireball einen Kopf kürzer machte. Er polterte unverhohlen los, in welchen Sauhaufen sich die Eliteeinheit seit seiner Versetzung verwandelt hätte, wie viele Beschwerden sich deswegen auf seinem Schreibtisch stapelten. Charles gefiel es nicht, er hätte es Fireball lieber unter vier Augen gesagt, aber er hatte die Zeit dafür einfach nie gefunden, um sich vorher selbst ein Bild von der Lage zu machen. Nun schien die einzige Gelegenheit dafür zu sein, und leider standen alle Mitglieder dieser Einheit hinter dem Captain. Der Commander beobachtete während seiner Standpauke nicht nur den unerfahrenen Captain, sondern auch die Piloten genau. Auf einigen Gesichtern kam ein schadenfrohes Lachen zum Vorschein, wieder andere stießen ihren Nachbarn leicht an und flüsterten ihnen etwas zu. Es herrschte absolute Unruhe im Glied. Charles bedauerte diesen Umstand, es zeigte ihm eindeutig, dass er zu viel Vertrauen in den jungen Hikari gesetzt hatte. Zum Ende seiner harschen Worte stellte er Fireball noch in Aussicht: „Wenn sich das bis Ende des Monats nicht ändert, Captain, werden wir beide noch mal ein ausführliches Gespräch miteinander haben.“

„Ja, Sir“, Fireball salutierte nur und schluckte. Ende des Monats war bald, er hatte also nicht mehr viel Zeit, sich zu beweisen.

Nachdem die Stippvisite von Commander Eagle vorüber war und der Ziehvater des kleinen Captain endlich nicht mehr zu sehen war, senkte Fireball kurz den Kopf. Er atmete tief durch und drehte sich dann auf dem Absatz zu seiner Mannschaft um.

Die standen wie angewurzelt da, machten keine Anstalten, auch nur einen Finger zu krümmen. Fireball glitt die Zeit durch die Finger, wenn er sich den Haufen so ansah, würde es ein Wunder brauchen, um endlich akzeptiert zu werden. Von dreißig Mann stand genau einer hinter ihm. Das war nicht gut, das war ganz und gar nicht gut. Er hatte von Commander Eagle ordentlich was zu hören bekommen, wusste, dass seine Jungs jedes einzelne Wort davon genossen hatten, aber er wollte es nicht an ihnen auslassen. Fireball hatte nicht vor, deswegen jetzt laut zu werden, es würde alles nur noch schlimmer machen. Nachdem sich aber niemand rührte und alle auf etwas zu warten schienen, reckte er den Kopf noch mal nach draußen, ehe er lächelnd feststellte: „Schöneres Wetter für den Flug werden wir nicht mehr bekommen. Also, meine Herren, worauf wartet ihr noch? Ab in den Himmel!“

Ungläubig guckten die Mitglieder aus der Wäsche. Was war kaputt? Jeder hätte darauf gewettet, Fireball würde zu toben anfangen, kaum war Commander Eagle um die Ecke gebogen. Aber das war ja gleich gar nicht das, was sie erwartet hatten. Deswegen blieben die Piloten auch wie angewurzelt stehen und versuchten, den Mund zu zu bekommen.

Lediglich Martin salutierte und setzte sich in Bewegung. Er würde mit gutem Beispiel voran gehen, das gerade eben war hart genug gewesen und die Heinis sollten nicht noch einen drauf setzen. Sie sollten froh sein, dass sich Fireball in dieser Situation so gut im Griff hatte, das war nicht selbstverständlich. Immerhin war die Warnung von Commander Eagle deutlich gewesen. Sollte es bis Ende des Monats noch keine Besserung in der Staffel geben, war Fireball hier die längste Zeit Captain gewesen. Jeder andere hätte bei diesen Aussichten wahrscheinlich auch mal zu einem Rundumschlag ausgeholt, das war doch verständlich. Also half Martin nun wieder einmal so dezent wie möglich nach: „Welche Formation, Babyboy?“

Mit einem unbehaglichen Lächeln gab Fireball den Befehl zum Aufbruch: „Fifty Fifty. Stan, du führst die eine Hälfte, die andere kommt mit mir und dann schauen wir mal, ob das funktioniert.“

Auch Stan salutierte nun, allerdings war er eher überwältigt von der Ruhe, die ihr hauseigener Sturkopf an den Tag legte. Wo blieb der Schreihals? Wo war der verwöhnte Sohn von Shinji Hikari geblieben? Und verdammt noch mal, wieso war ihr Krümel von Commander Eagle wie jeder andere, ja sogar fast noch härter als andere, zur Brust genommen worden? Stan verstand seine Weltanschauung einen Moment lang nicht mehr. Er musste Fireball falsch eingeschätzt haben. Deswegen holte er mit dem Arm aus und stachelte seine Hälfte der Piloten erst mal an. Sie sollten ihm folgen, die anderen würden schon sehen, wo sie mit Fireball blieben.

Stan und Martin hatten den Befehl befolgt, mit ihnen schlussendlich, nach einiger Verwirrung und Unruhe, auch alle anderen. Nur Oliver hatte weder das eine, noch das andere gemacht. Er war stur stehen geblieben und starrte Fireball an. Der Hüne verschränkte die Arme vor der Brust. Das war eine Masche, ganz bestimmt war das nur ein Trick und das unausweichliche Donnerwetter folgte ohne Vorwarnung. Das konnte einfach nicht sein, dass der junge Captain nach dem Anpfiff einfach so tat, als wäre gar nichts gewesen. Der fuhr in der Tagesordnung einfach fort, ungerührt der Tatsache, dass der Commander höchstpersönlich am Stuhl sägte. Das konnte so einfach nicht ehrlich sein, was der Japaner da jetzt zur Schau stellte.

Ihm war nicht entgangen, dass Oliver ihn anstarrte. Aber so recht wusste Fireball damit nun nicht um zu gehen. Zumal er nicht wusste, weshalb Oliver immer noch hier stand. Er hatte doch niemanden angeschrien, war ruhig geblieben und hatte nun den Befehl gegeben, endlich den Erkundungsflug zu machen. Deswegen versuchte er nun noch krampfhafter als zuvor, ruhig und freundlich zu bleiben. Fireball trat an Oliver heran und lächelte leicht: „Was ist? Brauchst du `ne Einladung mit Goldrand, oder hast du schlicht und ergreifend keine Lust?“

„Hm“, brummte Oliver und wandte sich zum Gehen. Er ließ sich von Fireball nichts sagen, er ging nur zu seinem Gleiter, weil alle anderen auf ihn warteten. Von ihm aus konnte Fireball Purzelbäume schlagen oder im Dreieck hopsen, der kleine Japaner war gute zehn Jahre jünger als er, der hatte doch keine Ahnung von seinem Job!
 

Zu seinem Erstaunen war der Erkundungsflug ohne irgendwelche Zwischenfälle verlaufen, keiner war aus der Reihe getanzt. Das hatte schon Seltenheitswert. Fireball schickte seine Bande von der Landebahn Schuss in den Feierabend. Er war erledigt und hatte absolut keine Lust mehr, noch jemanden zu sehen. Oliver wollte wieder nicht gehen, weshalb Martin den großen Piloten einfach vor sich her schob. Ihm hatte ein Blick auf den Captain und Oliver genügt um zu wissen, dass der jüngere einer weiteren Konfrontation am heutigen Tage nicht gewachsen war. Man musste schließlich nichts mit Gewalt herauf beschwören, weshalb Martin vorarbeitete.

Nur war ihm dabei Stan nicht in den Sinn gekommen. Während Fireball bedächtig wie selten zuvor aus dem Jet stieg und sich abgekämpft den Helm vom Kopf zog, lehnte sich das blonde Großmaul abwartend gegen Fireballs Gleiter. Er beobachtete ihn eine Weile, ehe er mit der Zunge schnalzte und ohne Umschweife verlauten ließ: „Ist schon scheiße, wenn man mal selbst für was gerade stehen muss, was?“

Eigentlich wollte er nur noch mal ausloten, wie viel Wahrheitsgehalt in der Szene von Vorhin noch steckte und ob er seine Weltanschauung wirklich revidieren musste. Stan war dazu eigentlich nicht bereit, aber sollte er sich in Fireball getäuscht haben, dann würde er dazu stehen. Seine Art, das heraus zu finden, war eben ein wenig gewöhnungsbedürftig. Aber der Zweck heiligte die Mittel und wie sollte Stan sonst wissen, ob der Kleine nicht zum ersten Mal eine solche Standpauke kassiert hatte, wenn nicht so.

Am liebsten hätte Fireball nun mit dem Kopf gegen den Gleiter gehauen. Musste das jetzt auch noch sein? Er wusste, dass er mit Stan nicht unter fünf Minuten ein Gespräch führen würde und noch gewisser war, dass es kein angenehmes sein würde. Immerhin sprachen sie hier von Stan und alleine schon sein Einstieg ließ auf Spaß sondergleichen hoffen. Fireball unterdrückte also den Impuls gegen das Metall zu kippen und wandte sich Stan zu: „Ist ja wohl nicht dein Problem.“

Oha, Stan zog die Augenbrauen hoch. Empfindliches Thema, ganz offensichtlich. Das würde für ihn also umso interessanter werden. Der Blonde zog aus seiner Brusttasche einen Streifen Kaugummi heraus und schob ihn sich in den Mund. Ungerührt der deutlichen, zwar nicht ausgesprochenen, Aufforderung, nicht weiter darüber zu lamentieren, fuhr er fort: „Papis Sohn kriegt also auch nicht immer das, was er will. Ist schon gemein, wenn er nicht mehr da ist und helfen kann.“

„War nie da“, einsilbiger ging es beinahe schon nicht mehr, das musste einfach auch Stan auffallen. Fireball wandte sich schon halb von Stan ab, den ging seine Familiengeschichte immerhin nichts an. Deutlich merkte er aber, wie der Zorn auf seinen Vater wieder kam. Was hatte ihm Captain Shinji Hikari schon geholfen? Fireball hatte nie einen Vater gehabt, hatte ihn oft schmerzlich vermisst, besonders dann, wenn er jemanden zum Reden gebraucht hätte. Alle Welt jedoch glaubte, dank des Namens und der Heldentat würden ihm heute Tür und Tor offenstehen. Jeder dachte, er würde wegen seines Vaters bevorzugt behandelt werden. Aber das war nicht wahr. Er hatte es deswegen bestimmt nicht einfacher als andere gehabt. Nur weil er diesen Namen trug, weil er seinem Vater so ähnlich war, nur deswegen unterzogen ihn alle irgendwelchen Prüfungen, wollten sehen, ob er sich behaupten konnte.

Stan hätte beinahe Luft holen vergessen, als er die Reaktion gesehen hatte. Das sah doch verdächtig nach einem wunden Punkt für den Blonden aus. Ein sehr wunder Punkt. Gleichzeitig aber merkte Stan auch, dass die Verbindung zu seinem Vater zumindest für den Kleinen im Berufsleben keine Rolle spielte. Dennoch wollte er jetzt erst recht sehen, was Fireball alles aushielt: „Ziehvati auch nicht mehr, wie wir heute gemerkt haben. Langsam fällt wohl auf, dass es nichts bringt, jemanden auf einen Posten zu schieben, wo er nix taugt.“

Fireball presste die Lippen aufeinander. Das eben war wieder deutlich genug für ihn gewesen. Als ob er um diesen Posten gebeten hatte. Fireball schluckte, er hatte einfach keinen Nerv mehr für Sprüche dieser Art. Immer noch ungewöhnlich ruhig antwortete Fireball, wobei er zu Stan aufsah: „Ist das alles, was du zu sagen hast?“

„Jau, für heute schon“, damit stieß er sich vom Gleiter ab und verließ ebenfalls den Hangar. Den Kleinen am richtigen Fuß und mit der richtigen Tagesverfassung zu erwischen war eine Kunst für sich. Stan hatte gesehen, das Thema Vater und Bevorzugung hier im Oberkommando waren verdammt heiße Eisen und das würde noch das ein oder andere Mal zur Sprache kommen. Aber er hatte auch gesehen, dass den Mutmaßungen nicht so waren. Sonst hätte Commander Eagle das ganz anders angepackt. Und Fireball hätte sich ganz anders verhalten. Aber zu hundert Prozent! Allmählich ließ Stan seinen Sturkopf sausen.

Fireball verdrehte kurz die Augen und wandte sich seinem Gleiter wieder zu. Stan war gerade das Tüpfelchen auf dem I gewesen. Für heute war er wirklich am Ende. Er wollte nur noch das Nötigste erledigen und dann zusehen, dass er nachhause kam.

Martin traf Stan noch am Ausgang kurz, der kam mit einem triumphierenden Lächeln um die Ecke geschossen. Mit einem mulmigen Gefühl ging Martin in den Hangar zurück. Er hatte noch etwas liegen gelassen, was er aber mit nachhause nehmen wollte. Der Brasilianer konnte noch mit ansehen, wie ihr Captain die Stirn an das kalte Metall des Gleiters drückte und einen tief betrübten Seufzer ausstieß. Dem war die Standpauke an die Nieren gegangen, ganz klar. Das Helfersyndrom schlug einmal mehr bei Martin zu, weshalb er nun auf Fireball zuging und ihn ansprach: „Kommst du? Oder willst du hier Wurzeln schlagen?“

Fireball hob den Kopf, sah Martin allerdings nicht an, während er seinen Helm nahm und den Gleiter endgültig verriegelte. Ziemlich leise murmelte er: „Mir ist mal gesagt worden, der Mensch bräuchte Wurzeln.“

Dann hatte die Zurechtweisung von Commander Eagle also nicht so tiefe Spuren hinterlassen. Es musste etwas anderes gewesen sein. Martin neigte kurz den Kopf und dachte an Stan, der zufrieden den Hangar nach allen anderen verlassen hatte. Hatte der etwa schon angefangen, Fireball anzugreifen? Lang und breit war in der Staffel diskutiert worden, wer dem Captain das mit seinem Vater unter die Nase rieb, die Wahl war schnell getroffen gewesen. Stan war auserkoren worden, sein großes Mundwerk und seine spitze Zunge hatten ihn für diese Aufgabe quasi empfohlen. Die Familie wurde allgemein als die Wurzeln eines Menschen angesehen, nur so konnte Fireball das nun gemeint haben. Der hatte sich nämlich die größte Mühe gegeben, nichts zu sagen und ihn nicht anzusehen.

Es konnte nur Stans Schuld sein, dass Fireball gerade aussah, als wollte er alles hinwerfen. Alarmiert wollte Martin deswegen wissen: „Was hat Stan gesagt?“

„Wen juckt`s, was er gesagt hat?“, Fireball hielt dabei seinen Helm fest in beiden Händen und sah zu Martin auf. Seine Augen schimmerten schwarz.

Etwas verdattert trat Martin einen Schritt zurück. Diese Reaktion war seltsam. Aber andererseits konnte er sie auch verstehen. Fireball sah ihn aus irgendeinem Grund noch nicht als Freund an. Er sprach mit dem Brasilianer nicht darüber. Martin suchte deshalb nach einer anderen Lösung. So konnte er Fireball schlecht stehen lassen. Er meinte deswegen: „Sollte Stan dir das mit deinem Vater vorwerfen, versuch es dir nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen. Sie wollen nur deine Geduld testen.“

Noch unbestimmter als zuvor bekam Martin nun zur Antwort: „Man kann sich nichts zu Herzen nehmen, von dem man nichts weiß.“

Fireball ging an Martin vorbei und biss sich auf die Unterlippe. Er wusste sehr wohl, wie und wer sein Vater gewesen war. Ein gutes halbes Jahr mit ihm zusammen zu arbeiten hatte dafür ausgereicht. Ohne es zu wissen, war Shinji seinem Sohn in dieser Zeit ein Vertrauter geworden, ein Freund, sogar ein Vater. Fireball hatte gespürt, wie der Captain in der Vergangenheit eine schützende Hand über ihn gehalten hatte. Das hätte auch hier in seiner Zeit manchmal gut getan, aber sein Vater hatte es vorgezogen, zu sterben. Er hatte Ai und Fireball für den Frieden alleine gelassen.

Es würde absurd klingen, wenn Martin ihm jetzt sagte, dass er das nicht glaubte. Deswegen hielt der Brasilianer lieber den Mund. Er hatte absolut keine Idee, weshalb er sich gerade von Fireball nach Strich und Faden angelogen vor kam, aber es war so. Nie und nimmer wusste der Japaner nicht, wer oder wie sein Vater gewesen war. Etwas sagte Martin, dass sich Fireball eben doch all die Sprüche zu Herzen nahm und darunter litt, eben weil er seinen Dad kannte. Aber das war völlig hirnrissig. Captain Hikari war vor Fireballs Geburt gestorben, der junge hätte den alten Hikari niemals kennen lernen können. Wie denn auch? Frustriert seufzte Martin und kratzte sich am Kopf. Er war von seinen eigenen Gedanken verwirrt.
 

„Kommst du mit dem Programm klar?“, April beugte sich zu Alex‘ Satteleinheit hinunter und beobachtete über dessen Schulter hinweg, wie er sich mit einem modifizierten, aber beileibe keinem neuen, Programm für die Steuerung vertraut machte. Es war schon merkwürdig, jemandem jeden Schritt zu erklären und ihm bei Routinearbeiten unter den Arm zu greifen, dem Rennfahrer hatte April die Updates immer nur überspielt, der hatte sich dann alleine um den Rest gekümmert. Bei Alex aber war das anders. Er brauchte im Augenblick sicherlich noch jede helfende Hand, die ihm zur Seite stand, um sich völlig mit Ramrod vertraut zu machen. Die Blondine hatte sich deshalb schon dazu bereit erklärt, mit dem Italiener alles Mögliche zu machen und ihn auch mal einen Blick auf die Mechanik werfen zu lassen. Im Falle des Falles sollte er ihr wenigstens bei gröberen Reparaturen helfen können.

Für April war es allerdings auch eine willkommene Abwechslung, deswegen hatte sie das auch ohne zu zögern vorgeschlagen. Sie hatten im Augenblick ohnehin zu viel Zeit um über Dinge nachzudenken, das sagte der Navigatorin nicht zu. Auf Laramy war es ruhig, Colt witzelte manchmal, sie wären nur hier um Snowcone beim Wachsen zuzusehen. Der blauhaarige Teenager schoss nämlich ziemlich in die Höhe. Seit der letzten Begegnung mit Outridern hier war schon wieder einige Zeit vergangen, die Menschen fühlten sich wieder sicher und gut aufgehoben. Die Star Sheriffs beschränkten sich deswegen auch mehr auf diplomatische Bereiche ihres Aufgabenfeldes und nahmen diese Mission vor allem für die Freundschaftspflege mit den Bewohnern des Planeten wahr.

Die hellen blauen Augen verengten sich und blickten angestrengt auf den Bildschirm vor sich. Alex konnte dem Balken zusehen, wie sich die Prozentzahl des Fortschrittes erhöhte und immer mehr des hellen Balkens dunkel gefärbt wurde. Hilfe, ehrlich, Ramrod war ein Wartungsdauerbrenner, wie er merkte. Allerdings würde er bestimmt nicht den Fehler machen und das ausgerechnet neben der Mitentwicklerin des Friedenswächters zum Besten geben. Alex aber kam es wirklich so vor, zumal er seit Dienstantritt schon das dritte oder vierte Update von April bekommen hatte. Die Frau verbesserte einfach ständig alles an ihrem Baby. Noch eine Besonderheit, die man erst im Laufe der Zeit über die Freunde hier an Bord lernte. Das erste Mal, als beim Abendessen von Aprils Baby die Rede gewesen war, hatte Alex aber verdammt große Augen bekommen. Er hatte nämlich nicht gewusst, dass Ramrod von der Crew so genannt wurde und hatte wirklich geglaubt, April hätte ein Kind. Bei den Gerüchten, die so im Oberkommando kursierten, wär das auch nichts Neues gewesen.

Während sich das Update prächtig entwickelte und auch auf Laramy alles seiner Wege ging, war dem Italiener aber doch eines aufgefallen. Bei Saber und Colt war mit der Zeit der Ärger über die Umbesetzung des Piloten verpufft, aber zumindest bei April hatte Alex oft das Gefühl, sie wäre damit nicht sonderlich glücklich. Klar, sie war nett zu ihm und hatte auch keine Probleme damit, ihn hier zu haben, aber etwas schien die blonde Ingenieurin neuerdings zu bedrücken. Mal mehr, mal weniger, das war offensichtlich, aber an manchen Tagen war sie doch etwas versonnen und im Gedanken versunken. Alex wusste nicht genau, womit das zusammenhing, aber vielleicht würde es April besser gehen, wenn sie darüber sprach. Nun schien ein guter Zeitpunkt dafür zu sein, Colt und Saber waren nämlich im Augenblick noch in der Stadt unterwegs und erledigten die Einkäufe für die Truppe.

„Stimmt mit dir etwas nicht, süße Prinzessin?“, dabei sah er vom Bildschirm auf und blickte sie aus zwei besorgten Augen an. Alex hatte schnell gemerkt, dass April von ihren Freunden im Wesentlichen zwei Spitznamen bekommen hatte. Einmal war sie Colts Prinzessin und zum anderen Fireballs Süße, den er bisher nur von kurzen Telefonaten kannte. Daraus war bei Alessandro eben schnell die süße Prinzessin geworden, weil er keinen Kosenamen einfach übernehmen wollte und sie kombiniert trotzdem noch zu April passten. Der Blondine schien das zu gefallen, denn sie hatte sich noch nie darüber beschwert.

Irritiert blinzelte April. Nein, mit ihr war doch alles in Ordnung, zumindest redete sie sich das unentwegt ein. Mittlerweile waren sie schon wieder drei Wochen unterwegs, ohne ein einziges Mal in Yuma gewesen zu sein, das war auch der Grund, weshalb sie manchmal abends sehnsuchtsvoll in den Sternenhimmel blickte. Sie vermisste ihn, jeden Tag ein bisschen mehr und wenn es so weiter ging, verging sie an ihrer unerfüllten Sehnsucht. Klar, er meldete sich regelmäßig bei ihnen, aber da blieb keine Zeit, denn meistens brauchte der Hitzkopf einen beruflichen Rat von Saber. Ohnehin ließen sich beide nicht dazu hinreißen, sich ihren Freunden gegenüber verräterisch zu benehmen. Das aber war etwas, was der Navigatorin unheimlich weh tat. Sie stand vor dem Bildschirm, wurde lediglich wie eine Freundin behandelt. Das Schlimmste für sie war allerdings, dass Fireball das so überzeugend rüberbrachte, dass April so manches Mal selbst daran zweifelte, ob sie mehr waren als Freunde.

Sie strich sich die einzelnen Haarsträhnen hinter die Ohren und lächelte Alex dabei scheu an: „Was soll sein?“

Ihr unschuldiges Gesicht hatte sie im Laufe der letzten Jahre bis zur Perfektion trainiert, sie wollte ihre drei Männer doch immer um den Finger gewickelt wissen. Und nichts hatte bei Colt, Saber und Fireball jemals besser gezogen, als große, unschuldige Augen und ein hilfloses, scheues Lächeln. Oh ja, sie wusste schon, wie sie bekam, was sie wollte und April war eine Frau. Sie wusste auch, wie sie das alles einsetzen musste, um von einem Thema abzulenken. In diesem Fall wollte sie den Eindruck erwecken, es wäre alles in Ordnung. Das allerdings konnte April nicht ganz so gut und das war ihr auch bewusst. Also musste sie sich auf ihre rhetorischen Fähigkeiten verlassen, die sie ebenfalls besaß.

Alex interessierte sein Computer nicht mehr. Gerade gab es Wichtigeres, als ein neues Programm. Er lehnte sich in seiner Satteleinheit zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schmunzelte zu April auf. Sie war eine wunderschöne Frau, mit allem ausgestattet, was ein Mann sich wünschen konnte. Natürlich auch mit Köpfchen und einem eigenen Willen. Jeder Kerl, der nur ein Püppchen wollte, war bei April an der falschen Adresse, das hatte auch Alex schnell gemerkt. Besser gesagt, hatte er das zu hören bekommen, als er mit Colt einmal über das weibliche Geschlecht diskutiert hatte und beide sich einig waren, dass ihre Traumfrau das gewisse Etwas haben musste. Blöd, wie sie dabei gewesen waren, hatten sie, um ihre Worte zu veranschaulichen, eine kurvige Figur mit ihren Händen in die Luft gezogen. Das hatte ordentlich was von April auf die zwölf gegeben. Ob sie beide noch richtig tickten und ob ihnen eine Frau gar nichts wert wäre. Sie hatte Colt und Alex gleich einen Vortrag über die Macht der Frauen gehalten und Saber, dieser miese kleine Verräter, hatte dem auch noch eifrig zugestimmt und selbst einige Beispiele mächtiger, schöner und auch kluger Frauen zum Besten gegeben.

Nun aber flunkerte sie ihn an. Etwas stimmte nicht mit ihr. Er hatte an und für sich einen guten Draht zu April gefunden, deshalb glaubte er auch, dass sie ihm Persönliches anvertraute. Klar, sie kannten sich noch nicht so lange, aber durch die räumliche Nähe lernte man sich zwangsläufig sehr schnell kennen. Macken, Ticks und andere charakterliche Schwächen bemerkte man im Handumdrehen. Alex wollte deswegen auch nicht mit der Tür ins Haus fallen, April mochte das nicht. Er schmunzelte zu der kessen Blondine auf: „Weiß ich nicht. Sag du’s mir. Stell ich mich so dämlich an?“

Yes. Das quittierte April natürlich mit einem entzückenden Lächeln und einem leichten Kichern, das sie noch unterdrücken wollte. Wie ein kleines Mäuschen. Sie wandte sich kurz von Alex ab, ehe sie sich einfach neben der Satteleinheit im Schneidersitz auf den Boden setzte und zu dem Italiener hinaufschaute. In ihrer Stimme schwang ein bisschen Frohsinn mit, als sie ihm keck antwortete: „Ehrlich? Ja, unheimlich.“

„Okay. Das erklärt, weshalb du so gelangweilt guckst, wenn du mir etwas erklären willst, aber nicht, weshalb du dich abends woanders hin wünschst“, das war doch mal ein schleichender und humorvoller Übergang von Spaß zu Ernst. Immerhin lächelte Alex nach wie vor, aber seine Augen spiegelten die Sorge um die soeben erst gewonnene Freundin wider.

Aprils Augen weiteten sich vor Erstaunen. Wenn es sogar Alex aufgefallen war, dass sie sich in die Arme eines Mannes wünschte, was mussten dann erst Colt und Saber schon gemerkt haben? Ob die beiden wussten, wie sehr sie ihren Matchbox manchmal vermisste? Die Blondine biss sich auf die Lippen. Was sollte sie Alex da jetzt nur vorgaukeln? Sie senkte betroffen den Blick zu Boden. Lügen konnte sie nicht, das hatte sie schlicht und ergreifend niemals gelernt. Sie flog garantiert auf, wenn sie sich jetzt hinausreden wollte. April ließ die Schultern hängen und blickte drein, als würde sie jeden Moment zu weinen anfangen.

Da war er ja ordentlich eingefahren. Alessandro richtete sich erschrocken in seiner Satteleinheit auf und beugte sich zu April. Er legte ihr behutsam eine Hand auf die Schultern, strich ihr die Haare aus der Stirn. Die starke Navigatorin zeigte deutliche Schwäche. Das gefiel dem Italiener nicht, das hätte wahrscheinlich keinem gefallen. Alex versuchte noch das Schlimmste zu verhindern: „Hey, kein Grund, deswegen so traurig zu gucken, süße Prinzessin. Wo immer du in manchen Momenten sein möchtest, du kommst dort bestimmt bald wieder hin. Ich wette, du wirst dort bereits genauso sehnsüchtig erwartet.“

April entzog sich der liebkosenden Berührung von Alex sofort wieder. Sie wandte den Kopf von ihm ab und nickte und wollte es verharmlosen, doch ihre Stimme verriet ihren Herzschmerz nur allzu deutlich: „Ist nur ein bisschen Heimweh im Augenblick. Das hat man auch in einem Team wie Ramrod manchmal.“

Das konnte Alex so nur nicht ganz glauben. Klar, sie wollte nach Yuma zurück. Aber bestimmt nicht, weil dort das Wetter so viel schöner war. Dort war etwas, oder besser gesagt, jemand, den sie schmerzlich vermisste. Von den Geschichten, die Colt und Saber beim gemeinsamen Essen oft so von sich gaben, ging Alex davon aus, dass April so etwas wie Heimweh gar nicht kannte. Das ließ für den Piloten nur einen Schluss zu: „Du hast da jemanden kennen gelernt, oder?“

Ob er spürte, wie ihr plötzlich das Herz bis zum Hals schlug? April war einen Moment lang unfähig, irgendwas zu antworten, dann jedoch nickte sie. Dabei biss sie sich auf die Lippen und senkte todunglücklich ein weiteres Mal die Augen. Sie vermisste Fireball. Es fühlte sich für April im Moment genauso falsch an, wie in der Vergangenheit, als sie ihn nicht bei sich gehabt hatten. Sie hatte das Gefühl, nur zu ihm zu gehören und ihn wie die Luft zum Atmen zu brauchen. Zudem belastete sie das, was Fireball und sie neuerdings als Freundschaft bezeichneten. Sie konnte Alex doch schlecht erzählen, was los war. Er würde es melden, ganz sicher! Sie konnte mit niemandem darüber reden, auch und gerade nicht mit Colt und Saber.

Alex ließ April schließlich etwas ratlos los. Was hatte er denn Falsches gesagt? Oder hatte er einfach nur ein Thema angeschnitten, das der hübschen Navigatorin die Sprache verschlug? Was war so schlimm daran, wenn man jemanden kennen lernte und diesen jemand offensichtlich auch noch gerne hatte? Für Alex war Liebe eine wunderschöne Sache. Gerade der Anfang einer Beziehung war für ihn immer das Schönste gewesen. Da war alles so frisch, neu und aufregend. Man erforschte den anderen mit soviel Neugier und prickelnder Leidenschaft. Was war daran um Gottes Willen falsch?

Der Italiener sponn den Gedanken allerdings auch weiter. Denn Liebe war für alle etwas Schönes. Natürlich tat eine räumliche Trennung da immer ein bisschen weh, aber dafür freute man sich umso mehr auf den Nachhauseweg. Auch April sehnte sich auf ihren baldigen Rückflug, aber anders als andere Frauen, sprach sie nicht davon. Jede andere würde einem tagtäglich damit in den Ohren hängen, wie sehr sie sich auf ihren Schatz freute. Das brachte Alessandro dann nur auf die einzige Erklärung, die es für einen solchen Fall gab: „Lass mich raten. Die kleine Pfeife ist verheiratet und du seine heimliche Affäre.“

Alex war jemand, der immer direkt und ohne Umschweife seine Meinung und Gedanken aussprach. Da machte er bei keinem Thema eine Ausnahme, konnte er schließlich auch nicht. Er konnte das nicht anders.

Nur jetzt riss April schon fast erschrocken die Augen auf und starrte Alex ungläubig an. Um Himmels Willen! Nein, sie war nicht… Doch. Als April klar wurde, dass sie eben doch eine heimliche Affäre war, bebten ihre Lippen und Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie und Fireball hatten eine Affäre! Es brauchte nicht immer einen Ehering, um sich heimlich treffen zu müssen. In ihrem Fall genügte, dass sie beide in die selbe größere Einheit eingegliedert waren, um ein Geheimnis aus ihren Gefühlen zu machen. Mit Tränen in den Augen lehnte sie den Kopf an Alex.

Für den war der Fall nun klar. Der Saukerl fuhr zweigleisig und brach ihrer kleinen Prinzessin das Herz. Er nahm sie schützend in den Arm und streichelte über ihren Kopf: „Scht. Der ist es nicht wert. Warum sagst du denn nicht gleich was, süße Prinzessin?“

„Weil…“, sie krächzte, brachte nicht mehr als das heraus. Was sollte sie denn sagen? Weil er der Captain der Air Strike Base 1 war und sie die Navigatorin von Ramrod? Wenn sie das tat, konnte sie Fireball gleich darauf anrufen und ihn darauf vorbereiten, dass er bei ihrem Vater aufmarschieren und seine Sachen packen musste. So wie sie. April war sich da ganz sicher. In so einem Fall wie dem ihren, würden sie beide gehen müssen.
 

Die beiden Männer spazierten nebeneinander durch die Stadt. Jeder von ihnen trug eine Tüte gefüllt mit diversen Köstlichkeiten auf dem Arm. Der Blonde warf nicht nur immer wieder einen prüfenden und instinktiven Blick auf die Umgebung, sondern behielt auch seinen Kollegen im Auge. Colt war seit einigen Tagen endlich wieder besser drauf, was dem Schotten zumindest eine Sorge nahm. Er brauchte nicht mehr auf Colt einzureden, wie auf eine kranke Kuh. In den nächsten paar Wochen würde sich zwischen Colt und Alex alles klären. Das brachte den Schotten auf ihren unfreiwilligen Neuzugang. Der hatte sich seiner Meinung nach nahtlos in das Team eingefügt. Schneller und besser, als Saber nach dem ersten Trainingsflug erwartet hatte. Aber der Pilot war gut und er hatte einen außergewöhnlichen Sinn für Humor, den man nur Piloten nachsagte. Nicht jeder vertrug die Art von Späßen, zu denen auch er selbst und April neigten. Aber Alex nahm es hin und konterte oft auch noch ungeniert. Der war wirklich nicht auf den Mund gefallen.

Ein anderer schien mit dieser Art Humor weniger gute Erfahrungen gemacht zu haben. Saber behagte es kaum, gar so regelmäßig Anrufe von Fireball zu bekommen. Der schien in letzter Zeit an seine Grenzen gestoßen zu sein. Offen gestanden, zu einem sehr frühen Zeitpunkt schon. Wenn Fireball auch nicht immer mit der Sprache rausrückte, und seine Anrufe oft den Anschein erweckten, er würde durch die Blume Ramrod kontrollieren wollen, so war der Recke relativ schnell dahinter gekommen, dass ihr ehemaliger Captain einen Freund brauchte. Der Highlander fühlte sich irgendwie geehrt und war stolz, dass Fireball zu ihm kam, wenn er Rat und Hilfe brauchte. Es bestätigte Saber darin, für den Hitzkopf mehr als nur ein Kontrolleur auf Ramrod gewesen zu sein, der dem Captain überprüfend über die Schulter geschaut hatte. Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. Es würde alles werden, wenn sie alle so weiter machten. Da war sich Saber sicher.

Colt bewunderte die Blumen- und Mädchenpracht, die Laramy zu bieten hatte, während er neben Saber zu Ramrod zurück spazierte. Der Schotte war fast schon unwiederbringlich in seinen Gedanken versunken. Da nützte der werdende Vater doch die Gelegenheit, sich hier ein wenig umzusehen. Die Mädchen hier waren alle hübsch, kein Thema, aber keine konnte seiner Robin das Wasser reichen. Diese Frau sah auch im siebten Monat noch umwerfend schön aus.

Er freute sich auf sein kleines Mädchen und wenn es nach Colt ginge, wäre er die nächsten paar Monate bei seiner zukünftigen Frau und ihrem Kind zuhause. Aber das war dank der Outrider und dem immer noch andauernden Krieg nicht drin. Colt war von daher zumindest ganz froh, dass er einen Freund auf Yuma wusste, der im Notfall bei Robin sein konnte. Ja, Colt begann sich langsam aber sicher mit der neuen Situation anzufreunden. Wie Saber ihm geraten hatte, versuchte er das Gute an den Veränderungen zu sehen.

Das tat der Cowboy in jeder Hinsicht. Eben nur auf seine Weise. Er vermissten ihren Kurzen, weil ihm die Späße und ehrlich gestanden auch die Anwesenheit fehlte. Der Ersatz war zudem ein eigener Fall für sich. In mancher Hinsicht war er dem Cowboy etwas zu perfekt. Alex war groß, gutaussehend und gut gebaut. Ein echter Frauenmagnet. Und das wusste der Italiener ganz genau. Ganz davon abgesehen flirtete Alessandro bei jeder Gelegenheit mit ihrer April. Das sagte Colt ganz und gar nicht zu. Der sollte seine Finger von ihr lassen! Nichts desto trotz vertrug sich die Blondine mit Alex und genoss die Aufmerksamkeit, die sie in einem solchen Ausmaß selten bekam. So war für Colt dieser Nachteil aber auch wieder etwas Positives. April vergaß dank des Italieners relativ schnell, wie ihr Team vor Kurzem noch zusammengesetzt gewesen war.

Aber Alex war auch ein Charakterkopf. Nicht ganz so stur wie Colt, aber wenn er wollte, spuckte der italienische Vulkan Feuer wie der Vesuv. Wenn Colt ihn auf dem richtigen Fuß erwischte, entstanden mitunter heiße, aber enorm lustige Diskussionen. Hin und wieder vergaß der Cowboy, dass Alessandro nicht die Spur an Naivität hatte, wie Fireball. Gefiel Colt aber auch irgendwo, weil er mit Alex da auch mal ohne nette Umschreibungen reden konnte. Und der Nudelfresser wusste, was und wie das Leben manchmal so spielte. Das machte die beiden Männer einander ähnlicher.

Colt neigte den Kopf. So schlecht war Alex nicht. Er war einfach anders. Damit lernte der Lockenkopf langsam umzugehen. Beim nächsten Abendpläuschchen würde er Alex noch mal zur Seite nehmen.
 

Auch im Hangar schmeckte das Feierabendbier, man musste nicht immer in einer verrauchten Kneipe versumpfen. Ruhig war es nach Sonnenuntergang in der Base. Es waren nur einige Piloten zum Bereitschaftsdienst hier. Man wollte das Oberkommando in Kriegszeiten einfach nicht unbesetzt lassen.

Die drei, die bei ihrem Feierabendbier im Aufenthaltsraum saßen, waren für diesen Tag schon privat. Stan brachte drei Flaschen an den Tisch und ließ sich auf einen Stuhl nieder. Er sah seine beiden Freunde und Kollegen prüfend an. Sie waren sich nach wie vor nicht wirklich einig. Unwillig schnaubte Stan deswegen, während er die Flasche mit einem Feuerzeug öffnete. Er funkelte Martin an: „Du bist ein mieser kleiner Verräter. Dumm nur, dass deine Mühen jetzt doch alle umsonst waren. Wir werden Babyboy in absehbarer Zeit wieder los.“

„Findest du das etwa gut?“, ehrlich erstaunt richtete sich der Brasilianer von seinem Stuhl auf. Sie konnten das doch schlecht ernst meinen.

Während Stan nur die Schultern hob und tatsächlich nicht wusste, wie er das finden sollte, war Oli sich ziemlich sicher. Er prostete den beiden kurz zu, nahm einen Schluck und erklärte Martin nicht gerade durch die Blume: „Der gehört nicht hier her. Der Pimpf geht mir ja nicht mal bis zur Schulter. Aber schleifen wird er uns für Eagles Anschiss letztens noch. Der denkt grad nur noch über die Foltermethode nach.“

„Tut er nicht“, widersprach Martin sofort. Nein, Fireball würde sie dafür nicht zur Verantwortung ziehen. Hätte er das wollen, hätte er es schon längst getan. Martin hatte selbst gemerkt, wie sehr sich ihr Captain bemühte, mit allen hier auf einen grünen Zweig zu kommen.

Diesbezüglich schlug sich Stan ganz eindeutig auf Olivers Seite: „Ich lass mich doch nicht von einem halben Kind befehligen! Mir ist egal, woher er kommt und ob er Hikari heißt.“

Ganz bewusst ließ Stanley unerwähnt, dass er dem Captain das Können gar nicht abschlug. Allerdings, und das lag in der Natur der Sache, wollte sich Stan – so wie viele andere auch – nichts von einem jüngeren Piloten befehlen lassen. Der blonde Pilot ging schon mehr auf die dreißig zu, er wollte sich von einem nicht einmal zwanzigjährigen nicht sagen lassen, was er zu tun hatte. Davon abgesehen, das gab Stan aber nur sich selbst gegenüber zu, wusste Babyboy ziemlich genau, was er tat und nebenbei war der Captain auch noch ein verdammt guter Pilot. Nur durchsetzen konnte er sich nicht.

Also, das war und blieb eine nicht zu knackende Nuss. Oliver und Stan genossen beide hohes Ansehen innerhalb der Staffel, alle gewichteten deren Meinung stark. Wenn die beiden sagten, sie wollten Fireball nicht in ihre Einheit aufnehmen, dann hatten neunzig Prozent der Piloten dieselbe Meinung. Während Stan eher schon dazu geneigt war, den Hikarispross aufgrund seiner Fähigkeiten zu akzeptieren, blieb Oli stur bei seiner Meinung, Fireball so schnell wie möglich wieder los zu werden. Dabei übersah der Hüne sehr gewissenhaft, dass der Japaner hart daran arbeitete, alle kennen zu lernen. Oli ignorierte jede persönliche Bemerkung und tat das als Allerweltwissen ab. Martin verzweifelte daran noch. Bis Ende des Monats sollte sich das alles bessern, aber es schien an der Einheit garantiert zu scheitern. Es wäre schade, denn Martin sah das Potential für ihre eigene und andere Einheiten. Nur wie sollte er das diesen sturen Böcken verständlich machen?

Zwei ganze Sixpacks später hatten die drei eine für alle akzeptable Lösung gefunden. Sie hatten sich darauf geeinigt, den neuen Captain noch einmal einer Prüfung zu unterziehen und ihn zu testen. Martin war davon alles andere als begeistert und garantiert würde er an diesem Abend wieder lang und breit mit Alessa darüber sprechen. Stan und Oli bekamen auf diese Weise die Chance zu beweisen, dass Fireball kein Captain war und Martin konnte zeigen, dass sein Vertrauen berechtigt war.
 

Dieser Kurzbesuch war wirklich kurz gewesen und hatte seinem Namen alle Ehre gemacht. Ramrod war nur über Nacht geblieben. April war nur über Nacht geblieben. Und wieder fiel dem ehemaligen Rennfahrer der Abschied von ihr schwer. Als er am Vorabend noch erfahren hatte, dass Ramrod zu einer Stippvisite nachhause kam, hatte er im Büro noch bis zur Ankunft gearbeitet und seine Freunde dann abgeholt. Nach einem gemeinsamen Abendessen hatten sie sich auch schon wieder getrennt. Vorläufig zumindest. Denn April und er hatten sich wieder heimlich getroffen. Heute Morgen war sie aus seiner Wohnung verschwunden gewesen, als sein Wecker geklingelt hatte. Gerade eben hatte er sie noch kurz zu Gesicht bekommen. Sie hatten sich verhalten wie zwei alte Bekannte, aber nicht wie zwei Verliebte, die sich die halbe Nacht in den Armen gelegen waren. Nun stand er am Fenster in seinem Büro. Alleine und mit geschlossener Tür. Die Leidenschaft der letzten Nacht war mittlerweile dem Kummer des heutigen Morgens gewichen.

Obwohl sich Fireball dieses Mal von seiner Mannschaft abgemeldet hatte, stand Martin vor der Bürotür. Er hatte keine Freude mit dem Gesichtsausdruck seines Captains gehabt und wollte nun nach ihm sehen. Martin war schon öfters aufgefallen, dass mit Ramrods Start das sorgenvolle Gesicht von Fireball zum Vorschein kam. Das aber so, dass es auch allen anderen auffiel. Martin machte sich deswegen Sorgen. Regelmäßig wurde nämlich so aus der immer gut gelaunten Frohnatur ein schweigsamer Captain, der sich vor seiner Crew zurückzog. So wie an diesem Morgen. Martin wollte wissen, was der japanische Grashüpfer auf dem Herzen hatte.

Martin hörte Ramrods Turbinen heulen, als der Friedenswächter abhob. Vorsichtig schob er die Tür einen Spalt auf und lugte hinein. Fireball stand am Fenster, und auf Martin wirkte es in dem Moment, als hätte man ein Kind mutterseelenalleine irgendwo zurückgelassen. Da musste doch auch einem Nicht-Familienvater das Herz brechen, wenn man so etwas sah.

Bedächtig leise schloss Martin die Tür, nachdem er ins Büro gehuscht war. Immer noch keine Reaktion von seinem Captain. Der Abschied von Ramrods Crew schien ihn sehr zu belasten. Deswegen klopfte der Brasilianer nun an und erhob gedämpft seine Stimme. Mitfühlend gestand er dem neuen Captain zu: „Alten Freunden immer wieder nachzusehen tut auf Dauer nicht gut.“

Fireball ließ sich nicht anmerken, dass er sich von Martin ertappt fühlte. Er drehte sich vom Fenster weg und warf seinem Gast einen traurigen Blick zu. Er vermisste sie, obwohl sie noch nicht einmal richtig weg war. Mit einem gespielten, kleinen Lächeln ließ er Martin schließlich wissen: „Ist immer noch komisch, dem großen Cowboy beim Starten zuzusehen und ihn nicht selbst zu fliegen. Ich hab ihn vorher nie vom Boden aus starten sehen.“

Allerweltsausreden waren das in Martins Ohren. Der dunkelhaarige Pilot blieb immer noch neben der Tür stehen. Er wollte ungebetenen Besuch gleich abfangen, denn sein sechster Sinn verriet ihm nur allzu deutlich, dass Babyboy im Augenblick mehr als nur angreifbar war. Sein Blick spiegelte etwas wider, was Martin als ein gebrochenes Herz einordnen würde. Dem Brasilianer war klar, ihr Küken da vor ihm machte eine schwere Zeit durch, hatte hier in Yuma keine Freunde, die da waren, wenn Ramrod wieder zu einer Mission aufbrach. Martin versuchte nun, dieser Freund zu werden. Er musterte Fireball noch einmal aufmerksam, ehe er leise meinte: „Es ist mehr als das. Aber mach dir keine Sorgen um deine Freunde. Die kommen schon klar, Babyboy. Schließlich kommen sie immer wieder nachhause.“

Nun trat Fireball endgültig vom Fenster weg. Er hatte keine rechte Lust mit jemandem zu reden. Auch – und schon gar nicht über die Ramrodcrew. Aber Martin stand nun mal hier und hatte ihn darauf angesprochen. Er konnte den Brasilianer nicht einfach wegschicken. Martin war sein einziger Rückhalt hier in Yuma. Der ältere Pilot half ihm immer wieder und stand immer noch hinter ihm, auch nach der Standpauke von Commander Eagle. Auch jetzt tat Martin nichts anderes, als zu helfen und da zu sein. Fireball formte ein klägliches Lächeln und spielte Martins Worte herunter: „Ich würd‘ mir um euch schon auch solche Sorgen machen, so ist es nicht.“

„Klar“, Martin nickte lediglich. Das bestritt der Brasilianer nicht. Fireball würde sich Sorgen um die halben Befehlsverweigerer machen, ganz klar. Doch etwas energischer ging er nun auf Fireball zu. Er sah ihn fest an: „Aber das ist es nicht. Du machst dir nicht nur Sorgen. Da ist noch etwas anderes“, dieses Mal strich Martin mit den Fingerspitzen die Stuhllehne nach und sagte Fireball nun ganz klar, was er bemerkte und dachte: „Du guckst aus der Wäsche, jedes Mal wieder, als würde dir mit jedem Start von Ramrod das Herz brechen.“

„Vielleicht bricht mir auch jedes Mal das Herz“, mit gesenktem Kopf schlich Fireball an Martin vorbei und setzte sich an seinen Schreibtisch. Als er bemerkte, wie er sich bei Martin fast verplappert hätte, fügte er mit einem verschämten Räuspern noch hinzu: „wenn sie ohne mich starten.“

Den Zusatz hätte er sich sparen können. Martin hatte auch so mit einem Mal ein ganz bestimmtes Bild vor Augen. Alles begann ihm plötzlich klar zu werden. Das blonde Mädchen, das aus Fireballs Büro gelaufen war, der Captain, der jedes Mal wieder völlig neben sich stand. Alles begann einen Sinn zu ergeben. Unbemerkt warf Martin noch einen kurzen Blick auf das Foto, das neben dem Bildschirm auf dem Tisch stand. Auch die Blondine war darauf zu sehen. Da war garantiert ein Herz gebrochen, wenn nicht sogar zwei. Bei den beiden jungen Star Sheriffs musste die Versetzung Hoffnungen hervorgerufen haben, die durch die Regeln doch nur wieder zerschlagen worden waren.

Zumindest Vernunft konnte er dem Captain zusprechen. Eine Charaktereigenschaft, die man Fireball auf den ersten Blick nicht zutrauen würde. Aber zumindest hatte es auf Ramrod keine Beziehung gegeben und auch jetzt gab es keine. Martin brachte noch ein bisschen mehr Verständnis für den japanischen Piloten auf, als ohnehin schon. Dieses Mal ging Martin an den Schreibtisch heran, lehnte sich mit dem Becken dagegen und musterte Fireball noch einmal. Er beneidete Fireball nicht. Seine Arbeit war nicht einfach im Augenblick und nun schien ihm auch im Privatleben einiges daneben zu gehen.

„Bist du sicher, dass du die Mehrzahl meinst? Ich meine, sie ist blond, echt scharf und nebenbei bemerkt, das einzige weibliche Mitglied deiner alten Einheit. Ich kann verstehen, dass man da schon mal ein Auge drauf wirft. Oder auch zwei. Und ich versteh auch, dass es weh tut, wenn Hoffnungen durch Regeln zerstört werden. Aber das ist besser so“, er kam wieder auf Fireball zu und legte ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter: „Die kleine Navigatorin und du seid immer noch in der selben Einheit. Sei froh, jetzt die Notbremse gezogen zu haben, Babyboy. Ihr habt Schluss gemacht, bevor es ernst werden konnte. Das ist das Beste für alle. Und hey, da kommt bestimmt irgendwann mal eine kleine Schnecke, die nicht in der Air Strike arbeitet.“

Der Spross des Captains zog sich erschrocken zurück. Fireball ging zwei Schritte von Martin weg, ein scheues Reh hätte im Augenblick noch mutig gegen ihn gewirkt. Woher und wie konnte Martin das wissen? Er schlug die Augen nieder und suchte nach einem Ausweg: „Ich meinte die Mehrzahl. Die drei sind meine Freunde. Alle drei.“

„Das bestreite ich auch gar nicht“, wie man es bei Fireball anpackte, machte man’s falsch. Der Japaner war also ein Mensch, der alles in sich hineinfraß und vieles wahrscheinlich nicht einmal seinen engsten Vertrauten mitteilte. Das war mitunter irgendwann sicher auch ein Knackpunkt, der den Captain unberechenbar werden ließ. Wer wusste schon, wann und welche Kleinigkeit genügte, um das Fass zum Überlaufen zu bringen? Martin jedenfalls hatte die berechtigte Befürchtung, in dem Augenblick das Pech zu haben und in der Nähe des Captains zu sein. Das konnte was werden.

Der Gedanke löste das momentane Problem leider nicht einmal im Ansatz. Der kleine Pilot stand vor ihm, zog sich noch offensichtlicher als ohnehin schon zurück und schloss alles und jeden in seiner Umgebung von seinem Leben aus. Dabei stellte Martin fest, dass seine Herzallerliebste wieder einmal Recht gehabt hatte. Sie hatte Martin davor gewarnt zu glauben, nur weil jemand ständig lächelte und es den Anschein hatte, keine Kritik oder kein persönlicher Angriff würden ihm nahe gehen, dass ihm das Herz und die Seele deshalb nie verletzt wurden. Tatsächlich – und auch das hatte Alessa ihm gesagt – waren diese Menschen oft sehr verletzlich. Sein Herzblatt hatte eine unverschämte Menschenkenntnis.

„Naja. …Wie dem auch sei“, versuchte der Brasilianer nun nicht weiter darauf rumzureiten oder vielleicht auch noch ein paar unbeabsichtigte Volltreffer zu landen. Den Härtefall an Schweigsamkeit sollte seine Freundin übernehmen. Alessa lag ihm ohnehin schon ewig in den Ohren, er solle den jungen Piloten doch mal zum Essen mitbringen. Wieso dann nicht gleich heute? Er lud Fireball kurzerhand ein: „Jedenfalls hat mein Herzblatt Recht. An Tagen wie heute solltest du nicht alleine sein. Mein Herzblatt bekocht uns heute Abend. Komm auf einen Sprung zu uns und lass dich von Alessa verwöhnen.“

Unglaublich erleichtert stieß Fireball die angehaltene Luft aus und ließ die angespannten Schultern fallen. Martin hatte mit seinen Fragen aufgehört. Er hatte unheimlich schnell eingesehen, dass er bei diesen Themen gegen eine Wand redete. Alles war für Fireball mit seiner Versetzung komplizierter geworden. Er hatte mit Saber und Colt zwei gute Freunde verloren, die nicht immer alles wissen mussten, um für ihn da zu sein. Das zwischen ihm und April war in Dimensionen ausgeartet, die eigentlich schlimmer nicht sein konnten. Sie liebten sich. Das war zwar schön und fühlte sich auch richtig an, nur war es falsch. Verboten, wie selbst Martin schon bemerkt hatte. Die Oberkatastrophe allerdings war, dass sie sich heimlich trafen und beide – so wie an diesem Tag – danach an Liebeskummer beinahe zerbrachen. Und dann war da noch eine Kleinigkeit, die sich Air Strike Base 1 schimpfte, und in einer Tour versuchte, ihn wieder los zu werden. Wenn es so weiter ging, hatten sie das bald geschafft und auch das belastete Fireball schwer. Denn egal, wie hässlich und gemein seine Piloten auch zu ihm sein konnten, trotzdem mochte er sie. Jeden einzelnen von ihnen. Nur würde er das nie zugeben. Es würde ihm bestimmt schwer fallen, auch von diesen halben Selbstmördern Abschied zu nehmen. Er tat alles, um diesen Fall zu verhindern, aber gedanklich richtete er schon eine kleine Abschiedsfeier aus. Es brauchte ein Wunder, um diese Bande bis Monatsende im Griff zu haben. Viele kleine Probleme also, die an Tagen wie diesen zusammentrafen und dem jungen Captain jede Lebenslust nahmen.

„Mal schauen“, wich er Martin schon wieder aus. Fireball musste ein oder zwei Dinge einmal in Ruhe mit sich ausmachen. Das tat man eigentlich ganz und gar nicht in einer solchen Stimmung, wie er sie gerade hatte, aber wie auch andere Menschen, zog es der Japaner dann erst recht vor, sich irgendwohin zu verkriechen und am Besten niemandem über den Weg zu laufen. Es war allerdings die Frage, wie gut die nichtssagende Auskunft bei Martin zog. Auf Ramrod hatten seine Freunde dann schon extra darauf geachtet, dass er keine Zeit hatte, um über irgendetwas nachzudenken und sie hatten ihn abgelenkt. Vorsorglich setzte sich Fireball an den Schreibtisch und lugte aus zwei dunklen Augen zu Martin auf. Er schnitt ohne Umschweife gleich ein anderes Thema an: „Kannst du den anderen bitte noch mal sagen, dass ich hier im Büro bin, bevor da unten wieder Sodom und Gomorra herrscht?“

Oh, mann! Sogar ein Felsbrocken zeigte irgendwann Einsicht, aber die war bei Fireball offensichtlich nicht in der Standardversion enthalten. Martin zog die Augenbrauen hoch. Was sollte er da denn bloß machen? Er wollte ihm helfen, wirklich helfen, aber das konnte er nicht, wenn er nicht wusste, was überhaupt los war. Fireball hatte sich bisher noch kein einziges Mal über seine Einheit bei ihm beschwert, hatte nie auch nur ein Wörtchen über Freunde und Familie verloren. Im Grunde genommen saß da ein wildfremder Mensch vor ihm, mit dem er schon seit einigen Wochen zusammen arbeitete. Martin sah Fireball kurz an, dann griff er entschlossen zum Telefonhörer. So leicht gab er sich nicht geschlagen und die liebreizende Stimme seiner Alessa half manchmal Wunder. Er wählte die Nummer von zuhause und drückte Fireball den Hörer in die Hand: „Mir kannst du gerne absagen, bei meiner Freundin würd ich das nicht empfehlen, Babyboy.“

„Bist du wahnsinnig? Was machst du denn da?“, da hielt Fireball den Telefonhörer aber auch schon in der Hand und ehe er wieder hätte auflegen können, meldete sich am anderen Ende der Leitung eine herzliche Stimme, die ihn begrüßte. Allerdings nicht mit seinem Namen, sondern mit Martins. Ah ja, die Nummer vom Oberkommando kannte sie also.

Fireball räusperte sich verlegen und stammelte überfahren: „Äh, ja, hi.“

Die Frau am anderen Ende stockte kurz, lachte aber dann auffallend fröhlich ins Telefon: „Hi du, der du schon mal nicht Martin bist.“

Im nächsten Augenblick konnte der Brasilianer wieder einmal mit erleben, wie schnell Fireball umschalten konnte. Als ob er einen Schalter umlegen würde, schmunzelte der kleine Japaner ins Telefon und gab nähere Auskunft zu seiner Person. Das auch noch verdammt schelmisch und einer guten Portion Charme: „Auffallend richtig. Ich bin Fireball. Der Grund, weshalb dein Freund nachts gerne außer Haus schleicht.“

Es dauerte nicht lange, da war die junge Frau am Telefon auch schon voll im Bilde. Sie freute sich ehrlich und das spürte man auch durch den Apparat. Sie musste förmlich strahlen: „Oh, toll. Dann kommst du heute endlich mal zum Abendessen.“

Die braunen Augen warfen einen mehr als nur verwunderten Blick zu Martin, nur um dann irgendwie eine nette Absage hinzubekommen: „Tja, Alessa, richtig? Weißt du… Es ist so…“

Doch sie ließ ihn nicht aussprechen. Stattdessen unterbrach sie den Japaner und machte das, was alle Frauen an ihrer Stelle getan hätten. Sie zog einen Schmollmund. Klar, Fireball konnte ihn nicht durchs Telefon sehen, aber er konnte es hören: „Och… Ich möchte dir doch wenigstens persönlich mal sagen können, was ich davon halte.“

Fireball runzelte die Stirn: „Wovon?“

Ihn beschlich das etwas ungute Gefühl, dass Martin zu der Sorte Mensch gehörte, die zuhause alles mit ihrer Frau oder ihrer Partnerin besprachen und in alle Einzelheiten zerpflückte. Alessa wusste also Bescheid. Sie wusste, was in der Air Strike Base gerade los war und sie wusste über den merkwürdigen, jungen Captain Bescheid. Großartig! Fireballs Mundwinkel begannen wieder einen leichten Abwärtstrend zu zeigen.

„Von deinen ungewöhnlichen Arbeitszeiten natürlich!“, Alessa ließ es sich nicht nehmen, immer noch schlagfertig, aber freundlich zu sein. Martins Freundin wusste für sich genug, um den kleinen Wildfang vollends einzuwickeln: „Ich muss doch wissen, mit wem sich mein Flieger so rumtreibt, wenn er mit dir unterwegs ist.“
 

Martin beobachtete indes das Telefonat aufmerksam. Dabei schmunzelte er vor sich hin, setzte sich auf die Schreibtischkante und verschränkte die Arme vor der Brust. Alessa hatte ihn gleich soweit, das konnte Martin an Fireballs doch hilflosen Gesichtsausdruck erkennen. Seine Herzallerliebste konnte das sogar, ohne den Japaner jemals gesehen zu haben. Er war wirklich jedes Mal wieder von ihr erstaunt. Das war auch der Grund, weshalb er sie so bald wie möglich heiraten wollte. Mit Alessa wurde es nie langweilig. Sie überraschte ihn jeden Tag aufs Neue.

Nun schien sie sich mit dem nötigen Humor und auch Feingefühl darum zu kümmern, dass Fireball an diesem Abend zu ihnen nachhause zum Essen kam. Ein Tapetenwechsel würde dem Captain nicht schaden. Bestimmt nicht. Martin traute sich zu wetten, dass er die Aufenthaltsorte von Fireball der letzten Woche auf einer Hand abzählen konnte. Der kleine Pilot war doch entweder hier auf dem Stützpunkt oder zuhause. Wobei er bestimmt zwanzig Stunden seines Tages momentan hier verbrachte. Martin konnte es sich vorstellen. Fireball war morgens der erste seiner Staffel und abends der letzte, der das Gelände verließ.
 

„Keine Angst, da sitzt er nur im Büro und liest“, mit einem schiefen Lächeln antwortete er auf Alessas Kommentar. Immer noch wollte er nicht wirklich zu den Rubarios nachhause. Er musste ohnehin erst einmal diesen Arbeitstag ohne gröbere Ausfälle oder auch Probleme überstehen.

Alessa brachte noch einen weiteren Grund zur Sprache, weshalb er zum Essen unbedingt mitkommen sollte. Die Rothaarige ließ Fireball wissen: „Literaturstunde könnt ihr auch bei uns zuhause machen. Lass dich mal von einer bekochen, die’s auch kann. Kantinenessen macht doch auf Dauer krank“, ohne ihm noch die Möglichkeit für einen Widerspruch zu geben, legte Alessa nun verbindlich fest: „Um sechs gibt’s dann heute Spaghetti della Casa speciale. Bring Martin bitte mit und seid pünktlich.“

Wo in dieser seltsamen Unterhaltung hatte er den Faden verloren? Er hatte doch nicht zugesagt. Er hatte bezüglich des Abendessens gar nichts gesagt. Fireball seufzte leise, da war Ablehnen wirklich nicht mehr drin. Deswegen ergab er sich in sein Schicksal: „Okay, dann bring ich meine persönliche Sekretärin pünktlich mit. Bis später also.“

Fireball legte auf und sah Martin im nächsten Augenblick vorwurfsvoll an: „Die Masche hat echt jede Frau drauf. Das ist doch einfach nicht zu fassen.“

Zufrieden grinste Martin. Seine bessere Hälfte hatte es also wieder einmal geschafft. Eigentlich bedenklich, wie Martin amüsiert feststellte. Seine Freundin konnte jeden Mann so mir nichts dir nichts um den Finger wickeln. Wenn sie es wollte, konnte sie jeden haben. Aber er vertraute ihr uneingeschränkt und wusste, dass sie ihm treu war. Vorläufig war der Brasilianer zufrieden. Bis sechs würden sie schon durchdrücken und danach konnte er dem Wildfang ja noch mal auf den Zahn fühlen, sollte es nicht besser mit ihm werden. Martin ging zur Tür und nickte Fireball noch einmal aufmunternd zu: „Wir haben genug Arbeit, sie werden dich heute schon nicht vermissen, Babyboy. Und wenn du etwas brauchst, wir lümmeln im Hangar rum.“

Mit einem Zwinkern verließ Martin das Büro. Tatsächlich war heute Hochbetrieb in der Staffel angesagt. Einmal im Monat wurden die Maschinen zusammen mit den Mechanikern überprüft. Gutes Timing also, dass das genau heute von Statten ging. Jeder Pilot war also mehr als ausfüllend beschäftigt und keiner würde auf die Idee kommen, Fireball zu suchen. Wenn sich der Japaner wieder danach fühlte, würde er schon in den Hangar kommen. Aber Martin rechnete nicht wirklich damit.
 

Tatsächlich war Fireball nach nicht einmal einer Stunde bei seiner Einheit im Hangar gestanden. So gut gelaunt wie immer. Zumindest hatte es den Anschein. Bewundernswert, wie Martin fand. Es wurde immer verlangt, dass sich ein Captain im Griff hatte, aber wirklich gelungen war es in den wenigsten Fällen bisher. Gerade von einem derart jungen Captain hätte man erwartet, dass man es eher noch merken würde, als bei einem alten Hasen. Hätte Martin nicht zufällig den traurigen Blick hin und wieder aufgefangen, der doch immer wieder zum Vorschein gekommen war, hätte man annehmen können, alles wäre halb so wild gewesen.

Nachdem der Tag stressfrei abgelaufen war und endlich mal alles nach Plan gegangen war, verwunderte es Martin doch etwas, als Fireball sich zu Feierabend noch einmal eine halbe Stunde für sich nahm. Er hätte noch schnell was zu erledigen und würde dann zu Martin und Alessa nachkommen. Was hätte Martin also anderes machen sollen, als zuzustimmen und dem Japaner eine kurze Wegbeschreibung zu geben? Er hoffte, dass Fireball auch tatsächlich dann um halb sieben kam.

Was er auch immer zu erledigen hatte, Fireball ging dafür wieder in sein Büro hoch. Er setzte sich an seinen Schreibtisch. Seine Staffel war geschlossen in den Feierabend abgerauscht und er war wieder mal alleine hier oben. Im Büro des Captains. Fireball saß vor seinem Schreibtisch. Er wusste nicht, wie er sich wirklich fühlte. Er wusste lediglich, dass er sich eigentlich hätte freuen müssen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Aber er tat es nicht. Stattdessen sah er sich wieder in diesem Stuhl gegenüber sitzen und seinen Vater anlügen. Fireball sah Captain Hikari deutlich vor sich. Die dunklen Haare, die misstrauischen Augenbrauen, die beinahe zusammenstießen und die fast schwarzen Augen, die ihn verachtend musterten. Es war schlimm für Fireball, seinen Vater so in seiner eigenen Erinnerung behalten zu haben. Aber es war nun mal das letzte, was er mit seinem Dad erlebt hatte. Danach war er verschwunden und sein Vater in einen Kampf ohne Wiederkehr gezogen. Fireball seufzte bekümmert und griff nach einem Kuli und Papier. Er kritzelte japanische Schriftzeichen darauf, wahllos und eigentlich nur, weil er seine Gedanken irgendwohin lenken musste. Zum ersten Mal wirklich begriffen, dass er tatsächlich die Wiedergeburt von Captain Hikari war, hatte er, als er dessen Tod am eigenen Leib gespürt hatte. Seither träumte er manchmal davon, wie er innerlich von Flammen verschlungen wurde und bei lebendigem Leib verbrannte.

April wollte und konnte er das nicht erzählen, sie sahen sich viel zu selten, ihre Zeit war viel zu kostbar dafür. So wie letzte Nacht. Wie lange hatten sie sich wirklich gesehen? Fünf oder sechs Stunden? Nein, er wollte ihr nicht zwischen Tür und Angel erzählen, was los war. Sie würde sich nur Sorgen machen. Und die machte sie sich sowieso. Daneben brach auch ihr jedes Mal wieder das Herz, das wusste Fireball. Weshalb also sollte er sie noch trauriger machen, als sie ohnehin schon war? Er wollte seine Süße glücklich sehen, doch ihre Heimlichtuerei machte sie beide nur unendlich traurig.

Saber hatte er in einem ihrer abendlichen Telefonate erzählt, was für eine Deadline er gesetzt bekommen hatte. Ganz bestimmt war die Neuigkeit auf Ramrod die Runde gegangen. Aber das hatte er den dreien doch fast wirklich selbst sagen müssen. Während sich Colt fürchterlich über die Saubande der Air Strike Base 1 aufgeregt hatte, hatte Saber beim Abendessen gestern versucht, Logik in die Geschichte zu bringen. Ihnen würde schon etwas einfallen, wie sie die Deadline positiv hinter sich bringen würden. Fireball lächelte wehmütig. Seine Freunde. Wieso nur waren sie jetzt nicht da? Er würde sie brauchen. Nicht, um gegen seine Einheit etwas zu unternehmen, das war alleine seine Sache, aber um ihm zur Seite zu stehen. Er wollte sie einfach nur hier haben.

Seine Einheit war ein Kapitel für sich. Und allem Anschein nach würde sich das Problem in den nächsten vierzehn Tagen zwangsläufig lösen. Auf die eine oder andere Weise. Fireball raufte sich die Haare. Die Bande war so anders als die Einheit, die sein Vater befehligt hatte. Trotz all dieser Erinnerungen, die ihm den Kopf an so manchem Tag füllten, konnte ihm keine einzige im Bezug auf seine Einheit helfen. Fireballs Vater hatte ganz andere Probleme zu bewältigen gehabt als er. Sicherlich, grundlegende Dinge hatte auch sein Vater regeln müssen, aber das war nicht der Kern allen Übels.
 

Er war also noch da. Sehr gut. Dann konnte er die Prüfung ja in aller Ruhe starten, denn Martin war schon gegangen und sonst würde niemand einschreiten. Der blonde Pilot schloss also in aller Seelenruhe die Tür und setzte sich auf den Stuhl. Dann schwang er die Füße auf den Tisch. So war bequem sitzen und nebenbei war das eine unverschämte Provokation. Denn Stanley saß vor dem Schreibtisch des Captains, der den Kopf bisher noch nicht gehoben hatte. Egal. Stan machte auch so auf sich aufmerksam: „Tust du nur so, oder arbeitest du tatsächlich mal was?“

„Tu nur so. Nimm die Füße vom Tisch, Stan“, anlügen hätte er Stan ohnehin nicht können. Zumindest heute würde ein Blinder sehen, dass er nicht mehr arbeitete. Fireball sah immer noch nicht auf. Allerdings legte er den Kugelschreiber zur Seite und ließ den Zettel in einer Schublade verschwinden. Stan musste nicht sehen, was er herum gekritzelt hatte. Der kleine Japaner hatte eine vage Ahnung, was nun auf ihn zukam. Stan war den gesamten Tag über verdächtig ruhig gewesen, wahrscheinlich kamen seine Gemeinheiten, die er sonst über den Tag verteilte, in geballter Ladung. Die Krönung für Fireballs Tag. Ganz eindeutig.

Garantiert nahm er die Füße nicht vom Tisch. Gerade, weil es den Captain störte, würde Stan so sitzen bleiben. Er war wirklich gespannt, wie lange es dauerte, bis er den kleinen Piloten so weit hatte, dass er aufgab oder aber die Beherrschung verlor. Der Blonde hatte diesbezüglich ein untrügerliches Gespür und bereits am Morgen war ihm aufgefallen, dass er an diesem Tag mit seinen Boshaftigkeiten etwas erreichen konnte. Es war Stan egal, wie gut sie sich kannten, er hatte einen Blick für die Schwächen der anderen. Das nützte er in diesem Fall auch unverschämt aus. Stan schnalzte mit der Zunge, spielte mit seinem Kaugummi im Mund und lümmelte sich in aller feinster Manier auf den Stuhl. Er spottete unverhohlen: „Macht auch keinen großartigen Unterschied, wo du nichts tust. Wie ich sehe, bist du im Büro genauso unnütz, wie im Hangar unten. Du bist ein Lehrbuchbeispiel für eine Fehlbesetzung. Aber so was von eindeutig.“

Das war nicht nett von Stan, aber wohl eine ziemlich repräsentative Aussage, was die Staffel von Fireball hielt. Der ehemalige Ramrodpilot biss sich auf die Lippen und ließ sich zu keiner Antwort auf diese Provokation hinreißen. Immer wieder ermahnte er sich, den Rat von Saber endlich ernst zu nehmen und sich nicht zu unüberlegten Aussagen oder Reaktionen provozieren zu lassen. Shinji durfte als Captain nicht persönlich werden und er musste persönliche Angriffe auf ihn selbst abprallen lassen. Aber das war an diesem Tag leider alles, nur nicht einfach. Er fühlte sich, als wäre er vom Regen direkt in die Traufe geraten. Colt war bei ihrer verrückten Reise schon kein angenehmer Zeitgenosse gewesen, aber verglichen mit Stan ein echtes Lämmchen.

Fireball schob Stans Füße vom Tisch, wortlos. Er hob allerdings kurz den Blick. Fireball wollte wissen, wie aggressiv sein Gegenüber wohl noch gegen ihn vorgehen würde. Denn er konnte den blonden Ausnahmepiloten einschätzen. Stan ließ es nicht nach einem Satz schon auf sich bewenden. Nein. Hatte der erst einmal gewittert, was Sache war, würden noch ganz andere Sachen zur Sprache kommen. Und genau das blitzte aus Stans Augen, als Fireball zu ihm hinüber schielte.

Als der junge Hikari nach seinen Füßen gegriffen hatte, um diese auf den Boden zu befördern, hatte sich Stan schon mehr instinktiv als bewusst dagegen gestemmt. Hey, wenn der kleine Krümel da meinte, er würde sich so schnell geschlagen geben, hatte er sich aber gewaltig verrechnet. Jetzt erst recht! Und jetzt vor allem mit einem ganz anderen Ton. Stan wusste zwar immer noch nicht, was er von dem kleinen Strahlemann halten sollte, ob er ihn mochte oder nicht, aber das hielt ihn leider nicht allzu gut davon ab, seinen Auftrag auszuführen. Er sollte Fireball in die Mangel nehmen, ihn an jedem erdenklichen Schwachpunkt packen und ihn zur Verzweiflung bringen. Sie wollten ihn auf Herz und Nieren prüfen. Und da Stan weder für noch gegen Fireball war, war er der objektivste und würde auf jeden Fall kein Ergebnis verfälschen.

„Lass das mal, Babyboy. Für irgendwas muss dein Tisch hier ja gut sein. Du arbeitest nicht darauf, du vögelst keine drauf, also kann ich meine Füße ruhig darauf ablegen.“

Er hatte ins Blaue geraten und war einfach in seiner Wortwahl unter aller Sau gewesen. Aber das war Stans Absicht gewesen. Er hatte Fireball schon einmal schwach diesbezüglich angesprochen. Darauf hatte ihm der Kleine allerdings keine Reaktion gezeigt. Heute, und da war sich Stanley mehr als nur sicher, gab es eine Reaktion darauf. Entweder verbal oder nonverbal. Aber fix würde Stan was zu sehen bekommen.

„Das ist ja wohl eher weniger dein Problem, wen ich…“, mitten im Satz hielt der Hitzkopf plötzlich inne. Das wäre bald ins Auge gegangen. Fireball biss sich dieses Mal sehr offensichtlich auf die Lippen und senkte gleich darauf den Blick. Egal, was Stan nun auch immer dachte, ganz klar hatte der ab nun nur noch solche Sprüche für ihn auf Lager. Konnte es eigentlich noch schlimmer kommen?

Er hatte noch gar nicht wirklich angefangen, gemein zu werden. Stan musterte den Sohn des Captains, mehr war er für ihn einfach noch nicht, und überdachte diese Reaktion noch einmal ganz genau. Der Kleine mochte zwar ein unschuldiges Gesicht haben, dennoch wusste der Blonde ganz sicher, dass da ein Frauenmagnet saß. Gerade die beinahe schwarzen Augen und das kindliche Gesicht zogen die Frauen scharenweise an. Dabei weckte er damit nicht nur den Mutterinstinkt in den Damen. Die hegten schon ganz andere Gedanken, das hatte Stan nicht zuletzt schon selbst erlebt. Gerade das schöne Geschlecht in ihrer Einheit neigte dazu, den kleinen Japaner mit nachhause nehmen zu wollen. Der dürfte etwas im Blick und seinem Lächeln haben, was die Frauen schwach werden ließ. Vielleicht erwies sich Fireball doch als würdig, um was bei Stan zu lernen.

Dazu musste er aber jetzt erst mal in den sauren Apfel beißen. Stan konnte sich nicht daran erinnern, jemanden schon mal so hart rangenommen zu haben, dabei war er von Haus aus ein nicht gerade zimperlicher Zeitgenosse. Er lümmelte sich noch tiefer in seinen Stuhl und setzte zum nächsten verbalen Tiefschlag an: „Touché. Es ist sehr wohl mein Problem. Je länger du keine flach gelegt hast, desto unerträglicher wirst du nämlich. Hat man ja heut wieder gesehen.“

Frustriert schnaubte der Japaner daraufhin. Wenn Stan wüsste, was er da gerade verzapfte, würde er mal dezent die Richtung wechseln. Er war doch nur so unerträglich, gerade weil er April wieder hatte verabschieden müssen. Im Moment wusste Fireball nicht, was ihn mehr nervte. War es die Tatsache, dass er sich Hals über Kopf in eine Frau verliebt hatte, mit der er wegen der Regel im Oberkommando nicht zusammen sein durfte, oder der dämliche altbackene Spruch von Stan gerade eben? Dem jungen Captain schlugen in letzter Zeit allerhand Dinge auf den Magen und mittlerweile auch auf die Laune. Es dauerte lange, bis eine Frohnatur wie Fireball sein Lächeln verlor, aber heute war es so weit. Die Augenbrauen zogen sich grimmig zusammen und die Mundwinkel drückten Bitterkeit aus. Stan wollte ohnehin nur Streit vom Zaun brechen, etwas, für das Fireball gerade absolut keine Zeit hatte. Es würde maximal einige Dinge verschlimmern und so garantiert dafür sorgen, dass er diese Einheit bald wieder verließ.

Noch einmal stieß Fireball Stans Füße vom Tisch. Dabei maulte er ihn an: „Machst du das zuhause auch so?“

„Jo“, unverblümte und einsilbige Antwort. Mehr bekam Fireball für die Frage nicht zu hören. Aber das miese Grinsen, das Stan dabei an den Tag legte, musste den kleinen Piloten einfach soweit anstacheln, dass der laut wurde. Mit allen Mitteln versuchte der blonde Amerikaner Fireball aus der Fassung zu bringen.

„Dann mach’s von mir aus weiterhin zuhause, aber nicht bei mir im Büro. Haben wir uns verstanden?“, Fireball stand auf und suchte nach seiner Ruhe und Beherrschung. Das waren zwei Charakterzüge, die er als Hikari zwangsläufig nicht kannte. Nur brauchte er sie. Ohne Beherrschung würde er bei Stan nichts erreichen. Was auch immer der Tiefflieger außer Streit von ihm wollte, es konnte nur in Schwierigkeiten ausarten. Also versuchte der Japaner noch mal die Kurve zu kriegen. Er umrundete seinen Tisch, lehnte sich mit dem Becken dagegen und verschränkte die Arme vor der Brust. Ruhig wollte er wissen: „Was führt dich eigentlich nach Dienstschluss zu mir, Stan? Gibt es etwas, das nicht bis morgen warten kann?“

Demonstrativ sah Stan zu Fireball hinüber und schmatzte mit seinem Kaugummi, ehe er antwortete. Beinahe schon übertrieben theatralisch ließ er Fireball wissen: „Hab ich doch vorhin schon gesagt. Ich wollte sehen, ob du arbeitest. Tust du nicht“, Stans Mundwinkel zuckten kurz, ehe er zum wirklich unschönen Teil überging: „Dein Dad hätte dir lieber mal was ordentliches beigebracht und dir kein gemachtes Nest überlassen. Denkst du wirklich, wir alle sind so blöd, dass wir nicht merken, wie Martin deine Arbeit macht?“

Stan wusste wirklich, wie er fies werden konnte. Der Pilot verknüpfte einfach zwei äußerst brisante Themen miteinander und klopfte einfach einen unschönen Spruch raus. In dem Fall musste er fast gemerkt haben, wie Fireball dabei die Schultern hängen ließ und unterdrückt seufzte. Bingo! Stan hatte ihn.

Das Seufzen wurde von einem traurigen Blick begleitet, der aber dank des gesenkten Hauptes und den fürchterlich langen Stirnfransen verdeckt wurde. Hätte Stan den gesehen, hätte er postwendend noch einen drauf gesetzt. So krallte Fireball seine Finger in die Oberarme und sah wieder auf. Egal, was es war, durch die Hölle war er schon einmal gegangen, die makabren Witze des Amerikaners würde er auch noch überstehen. Der Kampfgeist schlummerte nach wie vor in Fireball und aufgeben kam gleich zwei Mal nicht in Frage: „Martin hilft mir mit organisatorischen Dingen, das ist richtig. Er ist sozusagen meine Privatsekretärin.“

Auf den Teil mit seinem Vater ging Fireball nicht ein. Er hatte ohnehin die Befürchtung, dass der blonde Draufgänger zwangsläufig noch einen raushauen würde, der dann weit unter die Gürtellinie gehen würde.

Klar kannte Stan auf solche Worte auch noch Widerworte. Nichts leichter als das. Er richtete sich im Stuhl etwas auf und konterte unverhohlen: „Das einzige Organisatorische, was du noch können musst, ist deine Kündigung zu akzeptieren. Spar dir Befehle, spar dir Vorschläge. Naja, spar dir einfach alles. Es interessiert in der Base sowieso keinen. DU interessierst in der Base keinen. Was willst du kleiner Stöpsel eigentlich hier? Nur weil dein Dad ein Top Gun war, stopfen sie dir hier alles in den Arsch.“

‚Ist ja alles ach so einfach!‘, mit der rechten Hand fuhr sich der junge Hikari durch die Haare und versuchte, die Haarpracht irgendwie aus der Stirn und den Augen zu verbannen. Es hätte ihn eigentlich nicht mehr wundern dürfen, was hier im Oberkommando so spekuliert und vermutet wurde, dennoch fiel Fireball bei der Bemerkung beinahe aus allen Wolken. Ganz einfach deshalb, weil es fernab von jeder Realität lag. Gerade weil er der Sohn von Captain Shinji Hikari war, glaubte alle Welt ihm den Wind aus den Segeln nehmen zu müssen und ihn härter als andere rannehmen zu müssen. Das war vom ersten Tag an in der Akademie so gewesen und hier in der Base war das schon fast zum Hobby ausgeartet. Fireball kniff kurz die Augen zusammen. Was sollte er Stan darauf nur antworten? Er durfte sich zu nichts hinreißen lassen und vor allem wollte er nicht zeigen, wie angreifbar Fireball bei diesem Thema wirklich war.

Eigentlich hatte er gedacht, es hätte sich vieles für ihn dadurch geändert, dass er seinen Vater hatte kennenlernen können, doch dem war nicht so. Fireball hatte es bei der Gedenkfeier bereits gemerkt und nun trat dieses Gefühl wieder nur allzu deutlich hervor. Nach der Gedenkfeier waren viele alte Freunde von seinem Vater zu ihm gekommen, hatten ihm erzählt, was er doch für ein Held gewesen war und nun kam Stan ins Büro geschneit und zeichnete ein noch mal so großes Heldenbild, gegen das Fireball wie ein kleines Insekt wirkte. Der überlange Schatten seines Vaters war im Augenblick so dunkel und mächtig um Fireball herum, dass er das Gefühl hatte, niemals daraus hervortreten zu können. Das war alles, was Fireball geblieben war. Ein Spiegelbild, das niemals auf ihn passen würde. Der Ruhm eines Menschen, den er praktisch nie hatte kennen lernen können. Er blieb ein Kind, das die Liebe seines Vaters gebraucht hätte, und nicht dessen Heldentaten. Wut mischte sich mit unendlichem Kummer.

Fireballs Schweigen fasste Stan selbstverständlich als Einladung auf. Der blonde Pilot kratzte sich am Kopf, beobachtete dabei aber haargenau, was sein Captain tat. Oh man, er hatte gewusst, dass sein Vater ein wunder Punkt war, aber derartig empfindlich hatte er nicht erwartet, ihn zu treffen. Wie bei einem verwundeten Tier würde Stan als alteingesessener Jäger nun zum tödlichen Biss ansetzen. Er glaubte nicht, dass Fireball seiner nächsten Attacke standhalten konnte. Stan stand auf und blickte somit nun auf Fireball hinab. Sein Blick stach förmlich hinunter. Bevor der blonde Pilot allerdings zum Schlag ausholte, presste er die Kiefer aufeinander. Was er jetzt machen würde, war sogar Stan zu viel des Guten, aber wie sonst sollte er erkennen, aus welchem Holz der Captain wirklich geschnitzt war und ob er es wert war, dass man ihn behielt?

„Oh, scheiße verdammt. Du weißt selber wie falsch du in der Base hier bist, Babyboy. Aber es ist einfach viel zu leicht, sich in ein gemachtes Nest zu setzen und andere für sich arbeiten zu lassen. Also echt, du ziehst das Ansehen und den Ruf deines Vaters so in den Dreck. Hätte der mal lieber nachgedacht, was er da in die Welt setzt. Aber wahrscheinlich wusste er’s und hat sich deswegen abknallen lassen.“

Schwarze Augen, Augenbrauen, die sich verbittert zusammenzogen und eine Haltung, die den stärksten Man umgehauen hätte. Stan musste schwer schlucken. Da hatte er ordentlich was versenkt. Obwohl er sich dafür am liebsten sofort entschuldigt hätte, hielt er den Mund und behielt seine überhebliche Haltung bei. Noch war der Fall nicht gegessen und gleich würde sich zeigen, wie fies er wirklich gewesen war.

Fireball spürte, wie sich ein Feuer in ihm ausbreitete, wie ihm wirklich heiß wurde. Diese Hitze kam von der Wut seines Herzens, denn Stan hatte den Nagel damit auf den Kopf getroffen. Oft hatte sich Fireball gefragt, weshalb sein Vater dennoch in die Schlacht gezogen war und immer wieder war er auf das selbe Ergebnis gekommen. Sein Sohn war ihm nicht wichtig. Und genau darauf lief auch Stans Aussage hinaus. Nur stärker formuliert eben und mit der Intention, dass sich sein Dad für ihn schämte. Drei tiefe Atemzüge lang kämpfte Fireball das innere Fegefeuer in sich zurück, ehe er Stanley halbwegs gelassen antworten konnte: „Findest du nicht, dass du dich damit etwas weit aus dem Fenster lehnst? Du warst nicht dabei, ich erst recht nicht. Und was meine Arbeit hier angeht. Es kann sein, dass dir mein Arbeitsstil nicht gefällt. Bitte, das ist dein gutes Recht. Aber noch liegt keine offizielle Beurteilung darüber vor und solange werden wir beide damit leben müssen. Übe dich in Geduld. Das muss ich schließlich auch.“

„Ich sehe nicht ein, weshalb ich noch bis Ende des Monats warten sollte, wo Eagle letztens schon gesehen hat, dass du zu nichts taugst. Der soll endlich kurzen Prozess machen und dich rauswerfen, er weiß ohnehin, dass du es nicht kannst“, Stan begann langsam aber sicher, sich schäbig zu fühlen. Alles, was er seit dem Spruch mit dem Tisch so raus gelassen hatte, war wirklich gemein und ging auf die Person. Er griff Fireball schon die längste Zeit persönlich an und versuchte ihn zu irgendwas zu reizen, aber außer meist sachlicher Ausflüchte kam nichts zurück. Stan verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Fireball mit scharfem Blick. Er hätte eine saftige Suspendierung mittlerweile mehr als verdient. Aber der Japaner blieb schon beinahe stoisch.

Vor seinem inneren Auge sah sich Fireball schon die längste Zeit auf dem Boden liegen. Er wusste nicht, was Stan noch alles auf Lager hatte, doch schon seit heute Morgen wünschte sich der Wuschelkopf eigentlich nichts sehnlicher, als endlich niemanden mehr sehen zu müssen. Seine dunklen Augen wanderten über den Tisch, blieben an dem einzigen Foto im Büro hängen. Das Bild von Ramrod und seinen Freunden. Beim gestrigen Kurzbesuch war bereits deutlich geworden, dass er kein Teil dieses Teams mehr war. Alex hatte sich mittlerweile gut eingelebt, Colt hatte endlich aufgehört, den armen Piloten zu ärgern. Er wusste, sie waren noch seine Freunde, aber anders als vor der Versetzung. Fireball kam nicht umhin, sich ausgeschlossen vorzukommen. Er fühlte sich auf einsamen Posten, denn zu Ramrod gehörte er nicht mehr und zur Air Strike Base gehörte er erst recht nicht. Fireball stand irgendwo im Niemandsland, zwischendrin, im Dunklen. Fireball schloss kurz die Augen. Der rote Fuchs hat sich in einem Wald von Träumen verirrt.

Dieser Wald war finster, kalt und unfreundlich. Es war fraglich, ob er den Weg nachhause finden würde. Der Wald von Träumen hatte Gesellschaft bekommen. Er beherbergte eine Rabenfamilie der Sehnsüchte. Fireball richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Stan. Es machte keinen Sinn, an Dingen festzuhalten, die nicht sein sollten. Leider war im Augenblick nichts für den Hitzkopf erreichbar, greifbar. Alles platzte wie Seifenblasen. Die traute Zweisamkeit mit April verflog schneller als der Duft ihres Parfums aus seiner Wohnung, die Probleme in der Air Strike Base wurden statt weniger immer mehr und immer heftiger und die Zeit war dabei sein schlimmster Gegner. Aber trotz dieser niederschmetternden Aussichten wollte Fireball nicht vorzeitig die Flinte ins Korn werfen. Füchse waren schlau, ein Wald von Träumen war nicht immer dunkel und ohne Ausweg. Er würde einen Weg nachhause finden.

Stan bemerkte das Blitzen in den braunen Augen. Unglaublich. Eigentlich hätte er längst aufgeben müssen. Dem blonden Piloten blieb die Spucke weg. Wer auch immer behauptet hatte, Fireball wäre ein Schwächling und ein miserabler Captain, der hatte den Kampfzwerg noch nie in einer solchen Situation erlebt. Stan überging dabei einfach den Fakt, dass er gleich schon am ersten Tag in das Horn gestoßen hatte, Fireball sollte sich gefälligst wieder verkrümeln. Wusste schließlich später ohnehin niemand mehr, wer das gesagt hatte. Er war auf alle Fälle gespannt, ob der sprühende Funke auch noch mal ein paar Worte rausbekam.

„Die Diskussion ist völlig sinnlos im Augenblick“, Fireball biss dabei gedanklich die Zähne zusammen und hoffte, dass er somit alles weitere abwürgen konnte: „Weder du noch ich haben zu entscheiden, wann und ob ich wieder gehe. Commander Eagle wird das beurteilen. Also spar dir das bitte und geh von mir aus die nächsten vierzehn Tage in den Urlaub, wenn du mein Gesicht nicht länger erträgst.“

Fireball überschlug kurz im Kopf noch Stans Personaldaten, dann fügte er mit Galgenhumor hinzu: „Du hast ohnehin noch vier Wochen alten Urlaub, den du bis Ende des Jahres aufbrauchen solltest.“

„Ich geh in Urlaub, wann ich will und nicht wenn du meinst“, konterte Stan bedrohlich. Gott, er hasste sich schon dafür. Von schäbig war nicht mehr viel übrig, er musste unbedingt zur Beichte, wenn er hier fertig war. Niemals im Leben würde ihm der Wirbelwind das verzeihen. „Wenn du mich in deinen letzten beiden Arbeitswochen hier nicht mehr sehen willst, dann musst du mich schon suspendieren, Babyboy. Blöd nur, dass dir der Grund dazu fehlt, gell?“

Das nahm einfach kein Ende mit Stan. Fireball stieß sich vom Schreibtisch ab. Mittlerweile war er aus seinem tiefen schwarzen Loch wieder soweit raus gekrabbelt, dass er ein Licht am Ende des Tunnels sehen konnte und bestimmt nicht aufgeben würde. Fireball würde nicht klein bei geben. Er ging an Stan vorbei und zum Aktenschrank hin, fischte sich dort Stans Akte raus und knallte sie vor dem blonden Piloten auf den Tisch. Manche Dinge musste man schriftlich untermauern und nichts anderes tat Fireball nun. Streng funkelte er zu Stan hinauf und gab dem mal unmissverständlich zu verstehen, wer der Captain in dieser Einheit war: „Du kommst dauernd zu spät. Hast die letzten Wochen deswegen so gut wie jeden Trainingsflug verpasst und der Oberhammer sind deine schlampigen Berichte. Ich hätte dich längst suspendieren können. Aber ich tu’s nicht. Und zwar aus dem einfachen Grund, weil du für heuer schon genug gestraft bist“, während er Stans fragendes Gesicht musterte, huschte ihm doch glatt ein schadenfrohes Grinsen über die Lippen. Er hatte sich diesen Trumpf aufbehalten und jetzt würde das die Retourkutsche für die letzten Wochen werden. Fireball verschloss seine Miene augenblicklich wieder und eröffnete Stan: „Die Militärflugbewerbe sind für dich heuer gestrichen.“

„Was?!“, Stan fiel der Kiefer zu Boden und er selbst plumpste auf den Stuhl. Das war nicht wahr! Nicht die Militärflugwettbewerbe! Alles, nur das nicht. Stan nahm daran schon teil, seit er in der Base gelandet war. Jedes Jahr war er einer der Besten dort, vertrat die Air Strike Base mehr als nur würdig und in diesem Jahr sollte er da nicht hindürfen. So schnell konnte sich das Blatt wenden und das auch noch auf die gemeinste Art und Weise, wie Stan fand. Aber er hätte von vornherein wissen müssen, dass sein Verhalten irgendwann Konsequenzen nach sich zog. Nur waren die einfach ein bisschen zu fies. Er hatte sich auf die Bewerbe gefreut und jetzt durfte er nicht hinfahren. Er fuhr Fireball an: „Das meinst du nicht ernst, Babyboy! Mandy hat mich bereits angemeldet.“

Fireball setzte sich. Endlich hatte er wieder Oberwasser und seine Ruhe wieder. Der Hobbyrennfahrer verneinte ziemlich trocken: „Hat sie nicht. Mandy hat mir die Entscheidung überlassen. Und ich schicke nur den Besten dort hin.“

„Dann musst du mich sowieso schicken. Denn ich bin der Beste“, Stan protestierte. Er hatte sich schon das ganze vergangene Jahr auf die Wettbewerbe gefreut und jetzt sollte ihm der kleine miese Hund da vor ihm noch einen Strich durch die Rechnung machen? Verdammt, damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Das Küken da war sogar noch hinterhältig clever.

Fireball suchte die Urkunde vom Vorjahr aus der Akte. Stan war ziemlich von sich überzeugt. Das war zwar gut so, im Normalfall, aber der junge Spund wollte längst schon zuhause sein und mittlerweile machten sich bei ihm erste Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Stan hatte ihm zuvor hart zugesetzt. Langsam ging ihm einfach die Kraft aus und deswegen wollte er das nun so kurz wie möglich halten. Er linste noch einmal kurz auf die Urkunde, ehe er wieder zu Stan aufsah: „Von mir aus im Zielschießen. Aber beim Zeitfliegen überholt dich sogar noch eine Schnecke.“

Stan fiel beinahe vom Stuhl. Was ging denn hier ab? Der Krümel hatte es irgendwie geschafft, den Spieß umzudrehen. Der blonde Pilot war nun derart aus dem Konzept geraten, dass er unumwunden klarstellte: „Hey, Mann! Nur weil ich nicht unter die ersten fünf gekommen bin, bin ich noch lange nicht schlecht. Die Perfektion am Himmel kriegt nicht jeder so hin wie du.“

War ihm da wirklich ein Kompliment oder so was wie ein Lob über die Lippen gerutscht? Fireball überging es allerdings, denn es ging nicht um das, was er konnte oder nicht, es ging hier darum, Stan Disziplin einzudrillen. Kopfschüttelnd machte er die Akte wieder zu und forderte: „Mir ist gesagt worden, es wäre hier die Beste Einheit des Oberkommandos. Aber das ist einfach nicht wahr. Sieht man an deinen Ergebnissen. Ich werde nur den Besten in allen Disziplinen zu diesen Wettbewerben schicken. Und das bist du nicht.“

„Scheiße! Babyboy, jetzt hör schon auf“, ehrlich entsetzt sprang Stan vom Stuhl hoch. Der kleine Wirbelwind hatte ihn am schwächsten Punkt erwischt, was für eine Schande. Denn Stan konnte damit nicht so sachlich umgehen, wie Fireball. Er packte Fireball am Kragen und zog ihn zu sich hoch. Das hieß, Fireball stand dann auf den Zehenspitzen, als Stan zischte: „Das machst du nicht. Du bluffst doch nur.“

Fireball griff um Stans Hände und zog sie vom Kragen. Endlich fand er danach wieder festen Stand, der Japaner hasste es, derart unsanft vom Stuhl hochgezogen zu werden. Er ließ sein blondes Fliegerpendant allerdings nicht mehr aus den Augen. Nach Stans Reaktion war sich Fireball nicht sicher, ob der nicht auch noch ausholen würde, wenn er ihm nun präsentierte: „Wart noch zwei Wochen und du weißt, ob ich geblufft hab. Und glaub um Himmelswillen nicht, dass ich meinem potentiellen Nachfolger raten werde, dich zu schicken.“

Das Schnauben eines wütenden Stiers ähnelte dem von Stan gerade sehr. Der kleine Klugscheißer hatte ihn voll erwischt. Wie konnte er das nur wieder ändern? Aber noch wichtiger war, wie konnte er ihn davon überzeugen, den aufmüpfigen Piloten doch zu den Wettbewerben anzumelden? Stan biss die Zähne aufeinander. Verdammt! Dass die Strafe für Sünden aber auch immer sofort auf dem Fuß folgte! Stan drehte sich schwungvoll von Fireball weg und war schon im Begriff, aus dem Büro zu stapfen, da stach ihm was ins Auge. Klein, höchstpersönlich und hinter Glas verwahrt. Der Pilot griff im Vorbeigehen danach und hob es hoch. Stan betrachtete es eingehend, dann warf er einen Blick zu Fireball hinüber. Jetzt war Zeit für Rache. Rache für die fiese Retourkutsche, die ihm der kleine Stöpsel gerade verpasst hatte. Mit einem hämischen Grinsen drehte er Fireball das Bild zu und wollte wissen: „Die drei dürften ziemlich froh sein, dich nicht mehr an der Backe zu haben, was?“

„Bitte?!“, empört zog Fireball die Augenbrauen nach oben. Aber er hätte es wissen müssen. Alles andere hatte Stan an diesem Abend schon abgegrast: Frauen, Familie, Arbeit. Wieso hätte er da Freunde wohl auslassen sollen? Der Japaner ließ die Schultern fallen und seufzte. Instinktiv wollte er schon entnervt den Kopf hängen lassen und in die Handfläche stützen, den Impuls konnte er aber gerade noch unterdrücken. Hätte er das getan, würde Stan höchstwahrscheinlich morgen früh noch hier stehen und allerhand böse Sprüche raushauen. Allerdings machte es gerade bei Fireball puff. Gerade war ihm die Geduld über Bord gesprungen, dicht gefolgt von einer gewissen Ignoranz Stans Worten gegenüber. Egal, was da noch kam, es würde garantiert nicht mehr so ohne weiteres abprallen und verhallen.

„Langsam frag ich mich, ob’s bei dir piept, Stan.“

Bedächtig ließ Stan das Bild los, das beinahe wie in Zeitlupe auf den Boden fiel. Das Glas splitterte und klirrte laut. Stans übertriebenes „Ups!“ unterstrich die Absicht, die dahinter steckte. Als er das Bild mit dem Fuß von sich kickte, steckte er die Hände in die Hosentaschen und verkündete: „Das tut mir jetzt aber leid. Da ist mir doch glatt die Eliteeinheit des Oberkommandos aus der Hand gefallen. Blöd aber auch. Jetzt sind sie weg. Richtig weg, so wie im wahren Leben.“

Nicht nur das Glas des Bilderrahmens hatte einen Riss. Fireball kam es gerade so vor, als wäre auch ein nicht unwesentlicher Riss in der Freundschaft. Seit er April, Saber und Colt kannte, waren sie immer in seiner Nähe gewesen. Die Entfernung und die mangelnde Zeit schenkte ihnen kaum noch Gelegenheit, sich mal zu treffen oder miteinander etwas zu unternehmen. Das war nicht wirklich das Gelbe vom Ei. Gerade für Fireball nicht. Denn er war allein hier in Yuma geblieben. Er wusste, sie waren nach wie vor seine Freunde, April sogar etwas mehr als noch auf Ramrod, aber das konnte ihn manchmal nicht aufheitern. Das half ihm an diesem Tag überhaupt nicht.

Er sah zu Stan. Der erwartete eine Reaktion darauf. Er wollte Fireball schimpfen und schreien sehen. Das und nichts anderes hatte die Aktion gerade bezwecken sollen. Fireball gestand sich ein, dass er auf diese Spielchen heute keine Lust mehr hatte. Ihm fehlte einfach die Kraft. Der kurzgeratene Pilot sank auf den Stuhl, mittlerweile konnte er nicht mehr verbergen, wie viel Mühe ihn der heutige Tag gekostet hatte. Er raufte sich die Haare und murmelte: „Danke für die Gedächtnisstütze. Ich hätte beinahe vergessen, wo ich hier rein geraten bin“, er deutete auf die Tür: „Und jetzt geh bitte, Stan. Ich hab heute noch was vor.“

Ach du Schande. Das war dann wohl der berüchtigte letzte Tropfen im vollen Fass gewesen. Stan beobachtete den Captain aufmerksam. Er hatte den Mund schon offen, um sich zu entschuldigen, doch im letzten Moment steckte er zurück. Mitleid war hier fehl am Platz. Er hatte ihn so hart rannehmen müssen. Sie alle waren dafür gewesen. Stan wickelte seinen Kaugummi um die Zunge. Er war selten ein solches Arschloch in seinem Leben gewesen, und dann auch noch mit voller Absicht. Diese Leistung war zumindest die goldene Ananas wert, aber stolz war der Blonde nicht darauf. Noch dazu gefiel ihm die Haltung des Stehaufmännchens gerade gar nicht mehr. Stan entschied nun, die Prüfung an dieser Stelle abzubrechen. Er schob sich am Stuhl des Captains vorbei und verließ schweigend das Büro. In der Tür blieb er noch einmal kurz stehen und linste über die Schulter. In diesem Zustand sollte ihr Babyboy lieber nicht alleine bleiben.

Zwischenbilanz

„Pfuideibel noch eins! Das kriegt man ja nie runter, ohne mit ordentlich Bier nachspülen zu müssen!“, ungeachtet dieser Worte sprach das Benehmen des Kuhhirten eine ganz andere Sprache. Er schaufelte nämlich alles, was rein ging, in sich hinein.

Er war mit Saber in Yuma noch einkaufen gewesen bevor sie an diesem Morgen aufgebrochen waren, dafür waren April und Alex, die beiden Big A und neues Pilot-Navigator-Dreamteam, zum Kochen verdonnert worden. Den Schotten hatte ein anderes Schicksal ereilt. Er war zum Telefon beordert worden noch ehe der Tisch richtig gedeckt gewesen war.

Alessandro setzte sich mit den Beilagen an den Tisch und schnaubte verächtlich. Er konnte nicht leugnen, dass ihm Colts Gehabe so manches Mal mächtig gegen den Strich ging. Der schmatzende Kuhhirte nörgelte in einer Tour wegen des schlechten Essens, stopfte aber gleichzeitig alles, was Alex ihm vorsetzte, in sich hinein. Manchmal wirkte er dabei schon wie ein Eichhörnchen, das sich habgierig die Nüsse in die Bäckchen schob und so für den Winter vorsorgen wollte. Gerade eben allerdings sah er schon wie ein verfressener kleiner Hamster aus. Alex schob ihm mit einem hämischen Grinsen auch noch die Kartoffeln hin und stichelte: „Hier. Ich will ja nicht, dass du mir vom Fleisch fällst, Schweinchen Dick.“

Große blaue Augen sahen Alex an. Colt stierte von seinem Teller zu Alex hinüber, ließ die Gabel sinken und hörte zu kauen auf. Er wirkte bedrohlich und April hätte schwören können, dass sie gleich nach Saber rufen musste. Aber Colt blieb ruhig. Er hatte zwar noch einen langen, herausfordernden Blick für Alessandro übrig, doch dann grinste er spitzbübisch und langte nach dem Teller Karotten: „Da mümmel ich mir lieber ein Karotti. Bin eher Mümmelmann als Schweinchen.“

Alex biss sich auf die Lippen. Okay, spätestens jetzt hatte er mit Colt schon wieder seinen Spaß. Er musterte den Cowboy und zeigte dann auf sein Essen: „Das da ist übrigens keines deiner Artgenossen. Das war mal ne stattliche Kuh.“

Auch darauf wusste der Cowboy wieder eine Antwort. Mittlerweile hatte er den seltsamen Italiener in sein Herz geschlossen. Im Endeffekt war Alex genauso ein Pilot wie ihr Matchbox auch. Sie waren eben ein eigenes Völkchen, das war so. Und höchstwahrscheinlich glaubten alle Piloten, Scharfschützen oder Navigatoren wären seltsame Kauze. Das war normal. Colt stach also die Gabel ins Fleisch und hob den Klumpen hoch. Er begutachtete es eingehend und zog dann die Augenbrauen hoch: „Stimmt. Wenn ich ganz genau hinhöre, hör ich sie noch zufrieden widerwürgen.“

„Widerkäuen, Colt“, April schüttelte den Kopf. Alex‘ Trost hatte der Blondine am Nachmittag sehr geholfen. Er war ein guter Freund und auch Vertrauter für April geworden. Sie musste Alex nicht sagen, was sie genau bedrückte. April war dahingehend sogar schon zu der Erkenntnis gelangt, dass sie den sturen Italiener ohnehin nicht davon überzeugen könnte, ihr Freund wäre nicht verheiratet.

„Hühnchen sind keine Klugscheißer, Prinzessin. Die brüten eher über Eiern. Das wär vielleicht mal was für dich“, dabei konnte sich Colt sein Grinsen nicht mehr verkneifen. Er wusste, was gleich kommen würde. Ihre herzallerliebste April würde explodieren.

Doch April stieg auf Colts Provokation nicht so ein, wie er das gerne gehabt hätte. Die Blondine verzog etwas mürrisch das Gesicht und brummte: „Was sollte ich über Eiern brüten? Vor allem über welchen denn?“

Sie hatte Colt nicht ganz verstanden. Aber das lag vielleicht auch eher daran, dass April einfach nicht auf die Idee kam, dass Colt damit wirklich Familie gemeint haben könnte. Sie brütete momentan lieber über anderen Dingen. Ramrod und ihre heimliche Affäre nämlich.

Alex allerdings hatte ziemlich schnell mitbekommen, was der Cowboy meinte. Er stieß die Navigatorin mit einem sanften Lächeln an und erörterte Colts verbalen Erguss: „Er meint die Eier, die er seiner Robin ins Nest gelegt hat. Würde dir auch ganz gut stehen. Obwohl ich eher glaube, du wärst mehr eine Entenmami als eine Hühnermami.“

Mit einem unterdrückten Lachen schaltete sich auch Colt dazwischen ehe April etwas erwidern konnte. Er schob schon mal vorsorglich den Teller mit dem Besteck weg und grinste April an: „Der Gockel da neben dir würde sich aber unverschämt gut als solcher machen. Hkm… Macht er sich doch.“

„Bist du wahnsinnig oder was?!“, April fuhr von ihrem Platz hoch. Ihr Kopf war dabei mindestens so rot geworden, wie bei jedem anderen Mal, wo Colt ihr solche Sprüche mit Fireball als Gegenpart entgegen geworfen hatte.

Die Tochter von Commander Eagle wusste nicht, was sie an dem Debakel gerade mehr aufregte. Die Tatsache, dass Colt ihr jetzt Alex zuschanzen wollte oder aber dass sowohl der Cowboy als auch der Italiener ihr Kinder schmackhaft machen wollten. Also, das war doch echt die Höhe. Sie war Star Sheriff. Ramrod war ihr Baby. Ihre Familie war hier. Während sich ihre Gedanken rasend überschlugen, stellte sie fest, dass ein entscheidender der Teil ihrer Familie eben nicht hier war. Das nahm ihr sofort wieder den Wind aus den Segeln. Weder ihr Vater noch Fireball waren hier an Bord. Fireball war nicht mehr da, wenn sie ihn brauchte.

Aber auch der Italiener protestierte sofort. Nur nicht so, wie Fireball es getan hätte. Colt hatte besonderes Augenmerk darauf gelegt. Alessandro war älter und das zeigte sich auch in seiner Reaktion. Der Pilot war reifer als Fireball. Deswegen war auf dessen Gesicht nicht viel von Röte zu sehen. Alex grinste, während er April wieder auf ihren Platz zurückdrückte: „Dein Ei ist groß und schwarz, süße Prinzessin. Und über alles andere musst du dir keine Sorgen machen. Der richtige Erpel kommt schon noch.“

April begann sich halbherzig zu verteidigen: „Hey! Ich darf doch wohl sehr bitten. Wer sagt, dass ich einen Erpel haben will?“

Doch da war es schon zu spät. Die beiden Männer hatten sich zu einer gemeinsamen Front zusammen getan und schon entschieden. Colt grinste breit und nickte Alex zu: „Egal, ob Erpel, Gockel oder sonst was. April hat ein gutes Herz. Sie würde jeden nehmen.“

Das gute Herz konnte ihr auch Alessandro nicht absprechen. Seit er nun wusste, dass April einen verheirateten Freund hatte, sorgte er sich beinahe schon vierundzwanzig Stunden am Tag um die hübsche Navigatorin. Er kam allerdings auch nicht umhin, einen gewissen Groll gegen den Herren zu empfinden, der ihr den Kopf verdreht hatte und wo es doch keine Aussicht auf Besserung ihrer Lage gab. Etwas bissiger gab er Colt deswegen Recht: „Sie würde sogar einen räudigen Straßenköter bei sich aufnehmen.“

„Aber nur, wenn er schöne, treue Augen hat“, ergänzte Colt. Er wusste, dass die Blondine einen Faible für ein bestimmtes Paar dunkler Augen hatte. Er wusste nicht mehr, wann ihm das zuerst aufgefallen war, aber bei diesem Augenpaar wurde April regelmäßig schwach. Sprach man sie darauf an, wurde sie rot und fühlte sich ertappt. So, wie in diesem Moment. Jaja, das war die heutige Jugend, dachte Colt, verknallt bis über beide Ohren, aber nichts zugeben wollen!

„Ich bin vielleicht noch anwesend!“, damit teilte April je einen kräftigen Stoß an Alex und Colt aus. Das war doch nicht zu fassen. Sie war hier, saß direkt im Blickfeld der beiden Jungs und die redeten, als wäre sie nicht im Raum. Mit zornig in Falten gezogener Stirn ließ sie die beiden Scherzkekse wissen: „Noch mal. Ich suche mir selbst aus, wer mein Erpel oder Kater oder sonst was sein wird.“
 

Er hatte lange genug in der Tür gestanden und sich das Geplänkel seiner Freunde angehört. Es tat ihm gut, dass die drei fröhliche Laune versprühten. Saber hatte mit Fireball telefoniert. Hörte er nun seine Freunde über Tiere reden, machte er gedanklich einen geprügelten Hofhund aus Fireball. Denn so hatte er geklungen. Saber machte sich Sorgen um den Hitzkopf. Seit dieser Ramrod verlassen hatte, sah er mit jedem Mal schlechter aus.

Aber er wollte nicht mehr länger darüber nachdenken und sich Sorgen machen müssen. Ihm war klar, dass er von hier aus nicht anders helfen konnte, als ihm in regelmäßigen Abständen am Telefon Ablenkung zu bieten. Nun stieß sich Saber vom Türrahmen ab und trat mit einem Räuspern in die Küche. Über den Frohsinn seiner Freunde schüttelte er den Kopf: „Ja, bin ich denn auf einem Bauernhof gelandet? Ich komm mir vor wie Farmer Fred. Dort ne Kuh, da Gockel und haufenweise Enten.“

Colt lachte hell auf: „Eher Old McDonald.“

„And an oink oink here, an oink oink there…“, Alex grölte mehr als er sang, aber die Lacher, die er dafür kassierte, waren es wert.

Sofort stimmte auch Colt in das heitere Bauernliedchen ein und sogar Saber machte mit. Solange, bis sich April die Ohren zuhielt und leidig das Gesicht verzog. Sie flehte ihre drei Jungs an: „Oh, bitte. Aufhören. Sonst geht der Tinitus im Leben nicht mehr weg.“

Saber lächelte, alles war wie immer auf Ramrod. Es war nicht gerade Friede Freude Eierkuchen, aber zumindest alles lachend. Der Schotte war unheimlich froh, dass sich nach dem anfänglichen Chaos und Frust hier alles so schnell bereinigt hatte. Viel dazu beigetragen hatte nicht zuletzt der klitzekleine Fakt, dass die vier hier zusammen wohnten und sich nicht so oft aus dem Weg gehen konnten, wie man es gerne hätte. Natürlich, das hätte auch schneller als gedacht zur Eskalation führen können, doch zu guter letzt hatte es ein Team aus den vieren gemacht. Und langsam wurden auch Freunde aus ihnen. Schon jetzt wusste Alex, was sein Platz auf Ramrod war, Saber brauchte ihm genauso wenig Anweisungen geben, wie April oder Colt. Das war ein echter Gewinn. Der Highlander hatte somit mehr Zeit um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Er hatte einige harte Verhandlungen mit dem Bürgermeister von Laramy geführt und kümmerte sich vor allem um seine Aufgaben als befehlshabender Offizier. Alles hätte schöner nicht sein können, wäre da nicht die kleine Gewitterwolke am Himmel, die Saber Sorgen bereitete. Die Gewitterwolke kam aus dem asiatischen Raum und war jedes Mal, wenn sie sich wieder sahen, mit noch mehr Regen beladen. Irgendwann würde deswegen noch ein gewaltiger Sturm aufziehen.

Um April einen Gefallen zu tun verstummten die drei Männer schließlich. Was nicht hieß, dass es deswegen leise in Ramrods Küche wurde. Colt und Alex hatten immer noch viel zu lachen, als der Schotte nach dem Teller griff und sich unschuldig erkundigte: „Ist das da noch für mich?“

Colt langte in diesem Moment nach dem Teller, um Saber eins auszuwischen. Er wollte den Schotten mal richtig schön aufziehen. Das gelang ihm leider nur zu selten, denn Saber war in der Hinsicht ausgebufft. Der roch bereits noch vor dem eigentlichen Tricks die Verschwörung und ging gar nicht erst darauf ein.

„Nö, das ist mein Nachschlag. Wonach sieht’s denn sonst aus?“

Noch während Saber fester an seinem Teller zog und sein Magen schon lautstark verkündete, dass er Hunger hatte, schaltete sich auch Alessandro dazwischen. Er hatte sich an die gemeinsamen Abendessen schnell gewöhnt. Für ihn war Ramrod bereits zu so etwas wie einer kleinen Familie geworden. Der Italiener war sehr stark verwurzelt und für ihn galten immer noch die alten Werte. Zumindest einmal am Tag sollte die ganze Familie zusammen am Tisch sitzen und gemeinsam essen. In dieser seltsamen Familie hatte es dieses Mal nicht so geklappt, weswegen Alex den Schotten auch noch tadelte: „Wärst du mal da gewesen, als es Essen gegeben hat, wäre auch noch was vom Ragout für dich übrig geblieben. Mit wem hast du denn überhaupt solange telefoniert?“

Er klang wie ein strenger Familienvater. Alessandro schmunzelte allerdings, er wollte sich nicht ernsthaft mit dem Boss anlegen. Aber ungewöhnlich war es schon. Immerhin hatte der Anruf Saber eine gute halbe Stunde aufgehalten. Ob er mit seinen Eltern telefoniert hatte?

Es war klar gewesen, dass früher oder später die Sprache auf den Anruf kommen würde. Saber nahm sein Besteck in die Hand, klopfte Colt mit dem Messerrücken noch mal auf die Finger, als dieser ihm das Essen wieder wegziehen wollte und begann zu essen. Es war kein guter Zeitpunkt darüber zu reden. Saber hatte selbst keine Ahnung, was in Yuma los war. Alles, was er wusste war lediglich, dass es Fireball mit was auch immer nicht sonderlich gut zu gehen schien. Fragte er den Hitzkopf danach, erhielt er bisher immer nur die nichtssagende und einsilbige Antwort ‚Stress‘. Beim nächsten Besuch auf Yuma musste sich Saber eine Stunde freischaufeln, wenn es irgendwie möglich war.

Colt zog seine geschundene Hand an den Körper und rieb sich mit der anderen über die Stelle, auf die Saber geklopft hatte. Er warf dem Schotten noch einen grummelnden Blick zu. Der verteidigte sein Essen wie ein wildes Tier. Aber er war nicht wirklich böse auf Saber. Ganz so fest, wie er ihm mit seinen Blicken weis machen wollte, war der Schlag nicht gewesen. Er jammerte: „Wildkatzen hauen einem auch die Pranken so drauf, wenn sie ihr Essen in Gefahr sehen.“

Allerdings, und das blieb niemanden unbemerkt, war die Stimmung untereinander wieder anders geworden. Saber hatte etwas Bedrücktes von der Brücke mitgebracht und das schlug sich unweigerlich auf alle anderen. April spürte es am Meisten. Nicht nur, weil sie neben Saber saß, sondern auch, weil sie eine Frau war und ihre feinen Fühler so etwas sofort erkannten. Etwas sagte ihr, dass zuhause etwas nicht in Ordnung war. Der Spaß war eindeutig vorbei. Die Blondine klang unsicher, als sie wissen wollte: „Ist in Yuma alles in Ordnung?“

Saber schluckte unweigerlich nicht nur das Essen hinunter. Um dieses Gefühl auch irgendwie weg zu kriegen, griff er nach seinem Glas und spülte nach. Unbestimmt und ohne April wirklich anzusehen gab er Auskunft: „Alles okay. Die sind dort bestens aufgestellt.“

Es herrschte immer noch Krieg im Neuen Grenzland, deswegen war Ramrod auch im Augenblick wieder öfter unterwegs. Die fünf Monate, in denen der Friedenswächter als verschollen galt, hatten viele Ganoven und auch Outrider auf den Plan gerufen. Saber versuchte damit auf eine eher berufliche Basis zu springen, obwohl er wusste, dass April auch und vor allem um ihren Vater besorgt war. Aber sie vermisste auch den jungen Hitzkopf hier an Bord und machte sich bestimmt auch so genug Sorgen um ihn, deswegen wollte er April gar nicht erst unnötig beunruhigen.

„Ist etwas vorgefallen?“, April ließ nicht locker. Es roch hier verdächtig nach Verschwörung, sie kannte Sabers Verhalten, wenn er über etwas keine Auskunft geben wollte oder konnte. Dann verhielt er sich mit Vorliebe so wie gerade eben. Saber sah niemanden direkt an, lenkte mit anderen Gesprächsthemen ab und verteilte fleißig Aufgaben.

Hastig biss Saber in das Fleisch. So musste er der Blondine keine Antwort geben. Er wusste doch selbst nichts. Es reichte, wenn sich hier einer wahnsinnig machte, wie Saber fand. Er bemühte sich, so viel und schnell zu essen, dass er nicht reden konnte. Hatte er den Mund einmal doch frei, griff er nach dem Wasserglas und gurgelte geradezu die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, hinunter. Es sollte niemand hier Grund bekommen, sich Sorgen zu machen.

Als er satt war, schob er sich aus der Bank, brachte sein Geschirr und das der anderen zum Geschirrspüler hinüber und wandte sich dann zum Gehen. In der Tür blieb er noch kurz stehen: „Ich muss noch einige Dinge recherchieren. Macht nicht mehr allzu lange, okay?“

Enttäuscht und auch alarmiert ließ sich April zurücksinken. Sie versuchte es noch ein letztes Mal, an Informationen zu kommen: „Saber, ist in Yuma etwas passiert? Geht es ihnen gut?“

Saber ließ indes die Schultern fallen. Er blickte mitten in den Raum, aber niemanden direkt an. Man hätte schon ein besonderer Trottel sein müssen, um nicht zu wissen, dass April mit ihnen nur ihren Vater und Fireball gemeint hatte. Alle anderen waren ihr im Augenblick egal. Saber nickte, bevor er endgültig ging: „Es geht ihnen gut. Alle mit Arbeit eingedeckt und zufrieden.“

April konnte nicht sagen, woher sie das wusste, aber es war tatsächlich so. Sie konnte nicht anders. Bestimmt verheimlichte ihr Saber etwas. Er war ihr so vehement ausgewichen. Etliche Minuten starrte die einzige Frau an Bord die Tür an, die sich hinter Saber wieder zischend geschlossen hatte. Ihr war anzusehen, wie sie sich gerade fühlte.

Deshalb rutschte Alex auch zu ihr auf und strich ihr über die Schultern: „Hey, süße Prinzessin. Wenn Saber sagt, es ist alles in Ordnung, dann ist es das auch.“

Sie wischte die Hand ihres Kollegen von ihren Schultern. Es reichte, wenn er sie jedes Mal heimlich tröstete, wenn sie wieder eines dieser Tiefs hatte. Sie wollte Colt nicht noch mehr Grund für Spötteleien geben. Der Fiesling mit Hut fand auch ohne offensichtliche Einladungen immer wieder Schwachpunkte.

Aber auch er wollte April dieses Mal ihre Sorgen nehmen. Sie war in letzter Zeit ohnehin immer etwas angespannt, wenn es um Yuma ging. Deswegen strich Colt ihr über die Wange: „Alles gut, Prinzessin. Ganz sicher.“
 

Er hatte kaum aufgelegt und noch einen kurzen Blick ins Büro geworfen, zog er die Tür hinter sich zu. Fireball hätte es nicht tun sollen, denn weder fühlte er sich deswegen besser, noch war er sicher, dass Saber ihm geglaubt hatte, dass alles in Ordnung war. Seine Füße waren schwer, traten laut auf den Metallstufen auf, als er sie hinunter ging. Fireball hielt sich am Treppengeländer fest, der einzige Halt, den er momentan überhaupt hatte.

Ruhig war es im Hangar nach Sonnenuntergang. Die mehr als dreißig Jets standen da, allesamt in Reih und Glied. Aufgefädelt wie eine Perlenkette. Sie glänzten im Scheinwerferlicht der Halogenlampen, als ob sie gerade erst gekauft worden wären. Dunkles Grün spiegelte weiß. Jeder Jet trug einen Identifikationscode auf den Flügeln. Der erste Teil bestand aus einer Buchstaben- und Nummernkombination. Sie kennzeichneten die Staffel, zu der der Jet gehörte. Im Fall dieses gesamten Hangars zierten die Unterseite des rechten Flügels drei Buchstaben und römische Ziffern. ASB I, sie standen für die Air Strike Base 1. Seine Staffel. Fireball schritt von einem Jet zum anderen. Die arabischen Ziffern ordneten den Jet seinem Besitzer zu. 32, 25, 4, 3, 2. Die letzten drei Jets gehörten Oliver, Stan und Martin.

Oliver machte nur Dienst nach Vorschrift, nahm allerdings keinerlei Befehle von Fireball entgegen. Martin war derjenige, der Oliver immer wieder dazu brachte, endlich seinen Hintern zu bewegen. Von Stans Jet wandte sich Fireball schnell wieder ab. Der beste Pilot seiner Staffel. Niemand konnte dem blonden Sturkopf das Wasser reichen. Aber Stan erkannte genauso wenig wie der Rest der Einheit, wie wichtig der Zusammenhalt zwischen Captain und Staffel war. Martin hatte das erkannt. Doch Fireball dachte manchmal, er half ihm nur deswegen immer wieder, weil ihre beiden Väter zusammen geflogen waren. Fireball schluckte die Gefühle hinunter und kletterte auf den Jet, der die Nummer 1 auf dem Flügel trug. Er setzte sich auf die Tragfläche, kauerte sich dort oben zusammen und legte schließlich den Kopf in den Nacken. Das Metall des Jets war glatt und kalt, aber hier fühlte sich der Wuschelkopf wohl. Es hatte etwas Vertrautes. Das Metall ähnelte dem des Friedenswächters und gab ihm zumindest das Gefühl, hier nicht ganz verkehrt zu sein. Fireball schloss die Augen, krallte die Hände in die Haare und stieß keuchend die Luft aus. Alles war eine einzige Katastrophe.
 

Hoffentlich war er noch da. Er war so schnell wie möglich von zuhause aufgebrochen. Alessa hatte ihm noch ein kleines Carepaket eingepackt. Eigentlich hatte sie mitkommen wollen, doch Martin hatte es ihr aus dem Kopf geschlagen. Stan hätte nicht angerufen, wenn es nicht dringend gewesen wäre. Was hatte der blonde Vollpfosten bloß angestellt?

Martin lief eilig in den Hangar. Er wusste nicht, wie lange Stan mit seinem Anruf gewartet hatte. Der Brasilianer stieß die Tür auf. Gut, es brannte noch Licht. Er hetzte ins Büro hoch, weil er auf die Schnelle niemanden im Hangar entdecken konnte. Doch dort oben war schon verschlossen. Wo war der Kleine hin? Er flog beinahe schon die Treppen hinunter.

Wo war der Japaner? Aber wenn doch noch Licht hier brannte. Irgendjemand musste noch hier sein. Am Treppenabsatz blieb Martin stehen. Verdammt, hoffentlich war nichts passiert. Wo lag die Wohnung des Jungen? Gute Frage. Nächste Frage bitte. Martin hatte keine Ahnung, wo sie Fireball einquartiert hatten. Ja, toll. Jetzt gesellten sich zu den Sorgen auch noch andere ätzende Gedanken. Martin hasste es. Wieso hatte er den Bengel nicht gleich mitgeschleift, als der Feierabend verkündet worden war? Er mochte Fireball. Und jetzt das.

Stan hatte am Telefon nichts weiter gesagt als: „Kümmer dich bitte ums unseren Babyboy.“

Und jetzt bekam Martin das nicht mehr aus dem Kopf. Himmel, was hatte Stan bloß gemacht? Er wusste, dass der blonde Fiesling der letzte gewesen war, der Fireball noch gesehen hatte. Mit ein wenig Fantasie und dem nötigen Wissen über Stans feines Gespür für Schwäche konnte man sich auch zusammen reimen, was Stan noch alles vom Stapel gelassen hatte.

„Babyboy! Hey, Shinji! Wo steckst du?“, es war zumindest noch einen Versuch wert, ihn zu rufen. Martin schritt suchend zwischen den Gleitern durch. Da hörte er aus der anderen Ecke des Hangars etwas auf dem Metall klopfen.
 

Das war Martin! Oh, Mist! Er hatte vergessen, das Abendessen bei ihm abzusagen. Fireball schoss in die Höhe, erschrocken von dem Ruf. Er wischte sich schnell mit beiden Handflächen über das Gesicht, ehe er sich vom Gleiter herunter hangelte und geschickt mit beiden Beinen auf dem Boden landete. Sein Herz raste, als wäre er direkt in eine Falle der Outrider geraten. Und das alles nur, weil Martin ihn aus seinen Gedanken gerissen hatte.

„Hier“, antwortete Fireball verstört. Er konnte sich gerade nicht sammeln. Zum Glück kannte Martin den Zustand schon zur Genüge. War immerhin nicht das erste Mal, dass der Brasilianer ihn in die Realität zurück holte.

Zumindest hatte er jetzt eine Richtung. Martin, der gerade wieder aus dem Hangar wollte, schlug einen Haken und steuerte direkt auf die Quelle des Lärms zu. Er war noch hier. Martin sah kurz auf das Ziffernblatt seiner Armbanduhr. Eigentlich wären sie schon längst mit dem Essen fertig und säßen wahrscheinlich bei einer Tasse Kaffee und Nachtisch. Einerseits war der Brasilianer erleichtert, denn immerhin wusste er nun, dass es ihm gut ging. Naja, halbwegs zumindest. Aber andererseits ärgerte sich Martin nach wie vor maßlos darüber, dass er ihn nicht gleich mitgenommen hatte. Mit einigen schnellen Schritten war Martin bei seinem Arbeitsgerät angelangt. Er beugte sich unter der Tragfläche durch und richtete sich zwischen den beiden Jets wieder auf. Gesuchter Captain stand nun vor ihm. Ziemlich abgekämpft, wie der gestandene Pilot schnell merkte.

Sein Vater hatte ihn noch gewarnt! Als Martin kurz nach Fireballs Dienstantritt mit seinem Vater ein Gespräch geführt hatte, hatte Emilio schon gelacht. Es wäre nicht immer einfach mit einem Hikari. Die hätten eine etwas andere Mentalität. Das wusste Martin inzwischen auch. Nur saß er mittlerweile mittendrin statt nur dabei. Seine Augen überflogen kurz den Captain. Das genügte völlig. Der Brasilianer machte noch einige Schritte auf Fireball zu. Er wusste auf die Schnelle nicht, was er sagen sollte, er konnte schlecht mit der Tür ins Haus fallen und fragen, was Stan gemacht hatte. Also beschränkte er sich auf ein erstauntes und auch leicht besorgtes: „Du wolltest doch um halb zum Essen nachkommen.“

Fireballs Hand ruhte auf dem Flügel, von dem er gerade noch herunter gesprungen war, als er sich verlegen räusperte: „Hi… Hkm… Ja, ähm, ich wollte dich noch anrufen. Ich schaff’s nicht.“

„Seh ich, ja“, seine Stimme klang fast väterlich. Martin hatte sofort gemerkt und vor allem herausgehört, wie angegriffen der jüngere Pilot war. Er war vollkommen fertig. Zwar gesund, aber nicht unbedingt munter. Martin lehnte sich gegen den Gleiter. Sollte er jetzt schon etwas sagen? Himmel, er brannte auf die Beantwortung seiner Fragen.

Martin wagte zaghaft einen Vorstoß. Ruhig stellte er fest: „Dank Stan sehe ich das.“

Wie?! Shinjis Augenbrauen schossen förmlich in die Höhe. Noch ein bisschen mehr durch den Wind als ohnehin schon versuchte Fireball sich zu erklären: „Oh, Stan… Ja, der hat…“, er senkte den Blick.

Jetzt kannte Martin kein Halten mehr. Bei nächster Gelegenheit würde er dem blonden Überflieger anständig auf die Finger klopfen. Martin beschlich nicht nur die üble Vorahnung, sie überrannte ihn geradezu. Ganz sicher hatte dieses Stinktier seine Prüfung durchgezogen! Man sah und hörte es dem Neuen an. Martin konnte sich nicht länger zurückhalten: „Was war los?“

Fireball wollte nicht reden. Er kämpfte immer noch dieses schwarze Loch nach unten. Das Loch hatte in erster Linie die Blondine verursacht, Stan hatte es meisterhaft aufgerissen und mit seinen Bemerkungen über seinen Vater schön genährt. Zwei Wochen noch, dann hatte es Fireball hinter sich. Nur die Gedanken, die Stan wieder sehr gut geschürt hatte, die würden länger nicht verstummen. Er würde seine Arbeit so gut als möglich machen. Nur eben nicht mehr heute. Er murmelte, während er sich abwandte: „Wir hatten ein interessantes Gespräch.“

„Auch das sehe ich“, platzte Martin heraus. Das sah man dem ansonsten quirligen Piloten nämlich wirklich an. Nach der nichtssagenden Antwort war sich Martin sicher, diesen Anblick hatte alleine Stan verursacht.

Martin setzte Fireball deswegen sofort nach. Jetzt waren klar Worte gefragt. Aber nicht nur. Mindestens ebenso wichtig waren nun Taten. Er klopfte Fireball auf die Schulter. Martin wollte helfen. Nur musste er das bei diesem Hikari genauso unorthodox machen, wie es sein Vater getan hatte. Im Augenblick galt es deswegen, ihm klar zu machen: „Du brauchst Freunde hier, Babyboy.“

Shinji hielt inne und horchte auf. Er drehte sich um und sah zu dem Brasilianer auf. Wieder schimmerten seine Augen dunkel, seine Stimme jedoch klang fest und sicher: „Keine Freunde. Aber Verbündete und eine Einheit.“

Verzagt biss sich Martin auf die Lippen. Er verzog das Gesicht. Mit dieser Aussage war der Pilot mit der Nummer 2 auf seinen Tragflächen des Jets nicht glücklich. Das signalisierte Martin nun auch deutlich: „Falsch. Du brauchst Freunde, die den Sauhaufen hier kennen und die da sind, wenn was ist. Fakt ist, deine Freunde von Ramrod sind weder da, noch kennen sie einen so disziplinlosen Haufen wie den unseren hier. Wer von ihnen ist denn schon Pilot?“, Martin brachte es schließlich auf den Punkt: „Und wenn Stan was von Geburtsfehler gesagt hat, dann ist das ein Beweis für seine Dummheit und Ignoranz.“

„Geburtsfehler“, wiederholte Fireball mit einem getroffenen Gesichtsausdruck. Er strich sich die Stirnfransen mit der rechten Hand aus den Augen, richtete gleichzeitig aber den Blick auf seine Füße. So klein, wie er sich gerade fühlte, passte er ohne sich ducken zu müssen in eine Rille zwischen Martins Schuhsohlen. Fireball brach die Stimme: „Auch `ne nette Umschreibung dafür.“

Er wollte es mit Humor nehmen. Das wollte er wirklich, nur leider standen ihm eine Einheit und dessen Captain im Weg. Genauer gesagt waren es die Air Strike Base 1 vor gut zwanzig Jahren und der Captain mit Namen Shinji Hikari. Er hatte Dinge dort gesehen, Situationen miterlebt, die es ihm unmöglich machten, darüber lachen zu können.

Martin verzog düster die Augenbrauen. Wenn er Stan zu fassen bekam, konnte der sich einen Grabstein aussuchen gehen. Dabei übersah der Brasilianer allerdings, dass er für das bitterböse Wortspiel mit dem Geburtsfehler verantwortlich war. Martin hielt Fireball an der Schulter fest, flüchten sollte ihm der junge Hüpfer gerade nicht. Er wollte unbedingt wissen: „Wofür ist es eine nette Umschreibung? Was hat Stan verzapft? Hat er gemeint, du wärst nicht so gut wie dein Vater?!“, kurz entschlossen holte Martin sein Telefon aus der Jackentasche: „Warte! Das haben wir gleich.“

Martin wandte sich ab, sprach mit jemandem ein paar kurze Wort auf Spanisch und kam anschließend wieder auf den Hitzkopf zu: „Stan weiß das genauso wenig wie du oder ich. Aber ich kenne da jemanden, der es weiß.“

Fireball zuckte mit den Schultern. Er wollte damit seine Gleichgültigkeit andeuten, doch so war es nicht. Der ehemalige Ramrodpilot hatte sich sofort über Martin Rubario schlau gemacht. Natürlich war er dabei zwangsläufig auf den Namen Emilio Rubario gestoßen. Er wusste, woher Martin kam, wer er war und welchen Weg er einschlagen würde. Karma war schließlich das halbe Leben und wer wusste das besser, als er selbst? Fireball wollte etwas anderes und hoffte, somit weiteren bohrenden Fragen zu entgehen: „Tu mir einen Gefallen. Telefonier in meiner Gegenwart in einer Sprache, die ich auch verstehe, das gebietet der Anstand, den du mit Sicherheit hast.“

Starkes Stück. Martin hatte Mühe seinen Mund zu zu bekommen. Wo war der Schalter bei Fireball?! Der machte so abrupt einen Themen- und Gemütswechsel, dass Martin aus dem Staunen nicht mehr heraus kam. Das war schon nicht mehr schön mit an zu sehen. Seine Fragezeichen auf der Stirn wahrscheinlich aber auch nicht mehr.

Er war nicht der einzige, der manchmal seltsam aus der Wäsche guckte, diese Feststellung beruhigte Fireball. Aber er konnte sich denken, weshalb Martin gerade wie vom Bus angefahren drein schaute. Also entspannte sich seine Mimik, als er Martin erklärte: „Sieh mal. Wieso sollten mich Aussagen über Menschen kümmern, die ich nicht kenne und derjenige, der die Aussagen trifft, auch nicht? Das Gleiche ist mit Aussagen über Ereignisse, die so weit in der Vergangenheit liegen, dass ich sie nicht miterlebt haben kann. Keiner der heutigen Generation von Piloten war dabei und ganz davon abgesehen hat keiner jemals Captain Hikari persönlich gekannt oder ertragen müssen.“

Na, das war so betont sachlich über Fireballs Lippen gekommen, dass es alles an Glaubwürdigkeit eingebüßt hatte. Der gesunde Menschenverstand sagte Martin, dass es gelogen war. Kein Kind sprach derart emotionslos über seinen Vater, denn niemandem waren seine Eltern egal. Auch dem Exemplar vor ihm nicht. Wie sollte Martin aber jetzt weiter vorgehen? Er konnte da nicht dagegen reden oder ihm gar sagen, dass er ihm nicht glaubte. Denn neben der Tatsache, dass Martin glaubte, Fireball spielte ihm diese Gleichgültigkeit vor, hatte er auch noch gewaltige Probleme damit ihm Glauben zu schenken, er wäre nicht dabei gewesen. Was rational betrachtet einfach Blödsinn war. Babyboy konnte nicht dabei gewesen sein, der machte ja noch nicht mal die zwanzig Jahre voll! Martin schüttelte über sich selbst den Kopf. Er musste sich das einbilden! Bestimmt hatte ihn sein Job schon den Verstand gekostet.

Martin trat von einen Fuß auf den anderen. Was sollte er tun? Er kam nicht ran an den Captain. Aber Martin würde weder gehen noch Fireball hängen lassen. Das konnte er ganz einfach nicht. Deswegen wurde Fireball mit dieser Freundschaft erst einmal zwangsbeglückt. Er versuchte ein stinknormales Gespräch in Gang zu bringen. Martin steckte die Hände in die Hosentaschen. Da standen sie also. Wie bestellt und nicht abgeholt. Das war ihm unangenehm. So fremd sollten sich Captain und Crew normalerweise nicht sein. Der Brasilianer rettete sich also irgendwie hinüber: „Hey, sag mal, Babyboy. Wo hast du denn eigentlich deine Wohnung?“

Überrascht sah Fireball auf: „Was soll die Frage jetzt, Martin?“

Jetzt hatte er aber doch nicht ernsthaft einen Fettnapf mitgenommen, oder doch? Martin musterte Fireball erstaunt und wollte erklären: „Wäre nicht schlecht zu wissen, wo man dich findet, wenn du mal verpennst und kein Telefon hörst.“

Charmant hinaus geredet. Gedanklich wischte sich Martin den Schweiß von der Stirn. Da hatte er den Argwohn gerade noch mal so eliminieren können. Wenn der Kleine jetzt wenigstens einen klitzekleinen Schritt auf ihn zu machte, würde er ihn aus seinem Schneckenhaus ziehen.

Der Hobbyrennfahrer steckte ebenfalls die Hände in die Hosentaschen. Er legte den Kopf leicht schief und sah zu Martin auf: „Gleich hier hinten auf dem Stützpunkt.“

Shinji hatte seine Hand, die er ihm symbolisch gereicht hatte, zumindest mal zaghaft angenommen. Martin würde sie nun fester greifen. Der Brasilianer schmunzelte und nickte leicht: „Ach echt? Wo denn genau? Kann ja schlecht alle fünfzehn Wohnhäuser nach dir abklappern, wenn der Hut brennt, Babyboy.“

„Du bist im Suchen doch schon beinahe brillant. Rate doch mal, wo sie einen alleinstehenden, jungen Captain hinstecken“, Fireball scharrte mit einem Fuß auf dem Boden, schmunzelte aber ebenfalls leicht. Er war dankbar für den Themenwechsel. Martin war nicht übertrieben hartnäckig in seinen Fragen. Da kannte der junge Pilot ganz andere Folterknechte. Als er von Martin keine Antwort erhielt, beantwortete Fireball seine Frage selbst. Er gab dem Brasilianer Hausnummer und Wohnungsnummer. Unrecht hatte der Ältere schließlich nicht. Der Captain kannte sich selbst nur zu gut. Auf Ramrod hätte er so manches Mal einen Alarm verschlafen, wenn Colt und Saber nicht so penetrant gewesen wären. Ein bisschen Rückendeckung konnte in der Hinsicht nicht schaden.
 

Lange war er hier schon nicht mehr gewesen. Schon gar nicht nach Sonnenuntergang. Der ältere Pilot war nach Ausbruch des Krieges nicht mehr lange im Dienst geblieben. Er hatte sich um seine Familie kümmern wollen. Es hatte genug tragische Schicksale an jenem Tag, als das Königreich Jarr überfallen worden war, gegeben. Viel zu viele.

Er suchte nach dem Hangar, in dem die Maschinen der Air Strike Base 1 geparkt waren. Hatten sie den irgendwann mal verlegt? Das wäre ihm neu. Sein Junge hatte ihn hier her gebeten, er solle seine Geschichten aus vergangenen Zeiten mitbringen. Weshalb genau, das hatte ihm Martin am Telefon nicht sagen wollen. Ah, hier brannte noch Licht. Die Jets übernachteten also immer noch am selben Fleckchen Erde. Schnellen Schrittes betrat Emilio den Hangar. Martin unterhielt sich mit dessen Captain.
 

… „Emilio! Jetzt mach endlich! Ich will heute noch hier rauskommen“, diese Stimme hallte durch den Hangar. Sie war fest, klang aber bei weitem nicht so streng, wie man von einem Captain hätte annehmen können. Shinji war einfach schon ein bisschen zappelig an diesem Tag. Nun wollte der nichts anderes, als endlich die geheiligten Fliegerhallen endlich dicht zu machen und dann noch ein schnelles Feierabendbierchen zu trinken.

Emilio band die Ärmel seines Anzugs um die Hüften und drehte sich zu seinem Captain um. Er lachte dem Japaner entgegen: „Eile mit Weile, Shinji. Deine Hübsche läuft dir schon nicht davon.“

Shinji ging auf den Jet zu und stieß seinen Kollegen frech grinsend an: „Das soll auch so bleiben, du Könner! Jetzt komm schon, ich hab einen knappen Zeitplan.“

„Freizeitstress, was?“, Emilio dachte nicht einmal daran, sein Lachen zu unterdrücken. Gott, dieser Captain war ein Unikat. Der war seiner Frau so hörig wie nur sonst was. Emilio durfte das denken. Schließlich war es bei ihm nicht anders. Er hatte neben den kleinsten Fesseln der Welt auch noch den besten Grund, weshalb man halbwegs pünktlich zuhause sein sollte. Einen kleinen Jungen, der bewundernd zu seinem Vater aufsah.

Aber deswegen in Stress zu verfallen kam Emilio nicht in den Sinn. Betont langsam erledigte er noch seine restlichen Aufgaben, hielt den Captain somit absichtlich auf und unterhielt sich mit ihm. Die beiden redeten oft über Frau und Kind, wenn sie alleine waren. Es waren vertraute Gespräche, die niemals diese Hallen verlassen würden. Die beiden Männer waren mehr als Kollegen, sie waren auch gute Freunde. Emilio war klar, dass Shinji ihm nicht alles anvertraute, der Captain kannte keine Schwäche. Aber er war mit seinen Geschichten und Scherzen ein Mensch wieder jeder andere auch. Sie verstanden sich gut, das hatten sie immer…
 

Noch bevor er begriff, dass er nicht bei Captain Hikari im Hangar stand, sondern bei der nächsten Generation Piloten, hatte Emilio ehrfurchtsvoll salutiert: „Captain Hikari!“

Seine Sinne und die Erinnerung hatten ihm einen Streich gespielt. Das war Emilio klar geworden, als er salutiert hatte. Wie allerdings hätte er nach Martins Schilderungen wissen sollen, dass der Sohn von Captain Hikari derjenige war? Alles an dem jungen Captain von Martin erinnerte an den Befehlshaber vor zwanzig Jahren. Es raubte Emilio beinahe den Atem. Spätestens jetzt begriff er die Problematik, mit der Martin und Fireball kämpften.

Martin fuhr herum, Fireball hingegen zuckte zusammen. Der Brasilianer ging auf seinen Vater zu, umarmte ihn kurz, tadelte ihn aber gleich noch: „Lass das, Padre. Die Bezeichnung wird er nicht zu hören bekommen.“

Fireball sah Emilio groß an. Er hatte sich kaum verändert. Der ältere Brasilianer sah bis auf ein paar Falten mehr und graue Schläfen aus wie damals. Hoffentlich sah er ihm nicht an, dass Fireball ihn erkannte, denn offiziell hatten sie sich noch nie getroffen. Er streckte ihm die Hand entgegen: „Mister Rubario“, er unterdrückte den Impuls, ihn einfach Emilio zu nennen.

Emilio löste sich aus der Umarmung seines Sohnes, ließ den Tadel mal mit Sicherheit nicht gelten. Er reichte Fireball die Hand, während er Martin erklärte: „Sei nur so dumm, das zu glauben, Sohne. Sieh ihn dir doch mal genau an. Wie sein Dad, aber haargenau.“

In dem Moment stellte sich Martin mit einem sehr kritischen Blick an seinen Vater die Frage, was für den Neuen wohl schlimmer war. Nicht so zu sein wie sein Vater, oder aber genau so zu sein. Beides schien Martin ein zu großes Spiel mit den Extremen, und nicht sehr hilfreich. Wer wusste es denn wirklich? Martin kannte den alten Captain Hikari kaum bis gar nicht, Fireball überhaupt nicht. Mit diesen Vergleichen war keinem geholfen.

Martin zog am Ärmel seines Vaters: „Sei nicht so taktlos. Glaubt man ja kaum, dass du älter und reifer bist als ich.“

„Sowohl als auch“, konterte Emilio trocken.

Ehe die beiden Rubarios zu diskutieren anfangen konnten, wollte Fireball die aufkommenden Wogen glätten. Seinetwegen auch noch Streit zu sehen, war ihm dann doch zu viel. Deswegen ging er verzweifelt aber auch unsicher dazwischen: „Martin! Emilio, bitte. Hört doch auf ihr zwei. Ist doch egal.“

Man sah, wie unangenehm es Fireball tatsächlich war. Die beiden Rubarios sahen sich kurz groß an. Aber sein Ziel hatte es nicht verfehlt. Vater und Sohn verschoben ihre Reifediskussion auf ein Andermal.

Emilio nahm sich die Zeit, Fireball noch einmal eingehend von oben bis unten zu mustern. Auch das Verhalten des jungen Captains ließ sich Emilio durch den Kopf gehen. Er war seinem Vater sehr ähnlich. Der ältere Brasilianer holte tief Luft. Weshalb sonst hätte ihm die Erinnerung einen Streich gespielt, als er eingetreten war?

Sofort hielt Martin seinem Vater den Mund zu: „Du bist nicht zum Vergleiche machen hier, Padre! Das haben schon andere übernommen. Siehst du das nicht?!“

Au weia, Martin schämte sich manchmal für seinen Vater in Grund und Boden. Gerade jetzt tat er das auch wieder. Wie blind konnte ein Mann in Emilios Alter schon sein um nicht zu bemerken, dass Babyboy mit der Welt gerade am Ende war? Der jüngere Rubario schnaubte. Er hätte seinem Vater doch mehr sagen sollen.

Fireball seufzte. Erschlagen von diesem Tag stieß er Martin sachte an: „Option A: Du zahlst mir ein Bier. Oder Option B: Du gehst bitte wieder zu deiner Freundin zurück.“

Während Martins Augenbrauen verdattert nach oben schossen und er gerade nicht wusste, welche Antwort er geben sollte, lachte sein Vater freudig auf. Er schob seinen Jungen zum Ausgang, während er Fireball einen Arm die Schulter legte und eifrig nickte: „Für das obligatorische Feierabendbier bin ich allemal zu haben. Überhaupt, wenn mein Bursche zahlt. Ich kenn da übrigens ein paar nette Geschichten über deinen Vater.“
 

Damit war es fix. Die drei Männer landeten in der nächsten Bar. Als Fireball die beiden Rubarios alleine ließ, klärte Martin seinen Vater noch einmal eindringlich auf, er sollte keine weiteren Vergleiche bringen. Seine Kollegen hatten dies schon hinreichend übernommen und Martin hatte in seiner Verzweiflung Emilio angerufen. Er sollte Fireball von seinem Vater erzählen, aber tunlichst nichts von Ähnlichkeiten oder Verschiedenheiten sagen.

Das hatte Emilio dann sehr schnell verstanden. Er tadelte seinen Jungen aber noch einmal ausführlich dafür, dass er das nicht gleich gesagt hatte. Dafür hatte er nun amüsante und so manch ernste Geschichte über Shinji Hikari auf dem Lager.

Martin hörte aufmerksam zu. Dabei beobachtete er Fireball. Wie reagierte der Hitzkopf auf Schwächen des legendären Captain Hikari? Er bemerkte, wie Fireball hin und wieder in sein Glas Bier starrte. Er zeigte keinerlei Reaktion auf Geschichten, die er unmöglich kennen konnte. Es schien, als wüsste es Shinji bereits.

Auch Emilio fiel das irgendwann auf. Er beendete seine Erzählung, hatte mit Wohlwollen zwar festgestellt, dass die beiden Jungs zugehört hatten. Sein Martin war damit um viele kleine Tipps reicher geworden, wie man mit einem Hikari umging. Aber Fireball schien das alles schon von seinem Vater gewusst zu haben. Auch Dinge, die Shinjis hinterbliebene Frau nicht hatte wissen können. Ein wenig irritiert wollte er deswegen wissen: „Hab ich dir nichts Neues erzählt, Shinji?“

Automatisch schüttelte Fireball den Kopf und verneinte. Ansehen konnte er Emilio dabei aber nicht: „Nein. Das nicht…“, er wand sich irgendwie heraus: „Nur etwas viel auf einmal.“

In Wahrheit hatte Fireball deswegen kaum auf die Erzählungen reagiert, weil er es bereits gewusst hatte. Auf dem Schaum des Alkohols hatte er das Gesagte in Bildern gesehen. Völliger Schwachsinn, wenn man seinem gesunden Verstand trauen durfte. Aber mit dem Wissen seines Vaters in sich leider nur allzu reale Erinnerung, wie der Abschied von April heute Morgen.

Martin sah seinen Vater daraufhin bedeutungsvoll an. Es sollte so viel heißen, wie ‚Das meinte ich damit‘. Seltsam unberührte Reaktionen auf das Leben seines Vaters und so manch lahme Ausrede, er könne nichts davon wissen. Der junge Brasilianer kaufte das so nicht ab. Auch, wenn es jeglicher Logik entbehrte, es widersprach sich. Irgendwann würde Martin wohl nicht drum herum kommen, ihn darauf anzusprechen. Aber das konnte er jetzt noch nicht. Dazu kannten sie sich zu wenig, vertrauten sie einander zu wenig.
 

Ramrod war zwar nach wie vor in erster Linie ein Kampfschiff, doch daneben auch ein Wohnbereich, in dem sich ständig Menschen aufhielten. Ständig bedeutete im Fall der Star Sheriffs, dass zumindest immer einer an Bord war. Da der große Cowboy seit seinem fünfmonatigen Verschwinden für diplomatische Missionen eingeteilt worden war, stand er seit einigen Wochen auf dem Raumhafen Laramy’s. Der Planet war erst nach den ersten schweren Angriffen der Allianz beigetreten und so gehörte es zum guten Ton, sich mit Ramrod öfter dort zu zeigen. Zudem verstanden sich die Star Sheriffs gut mit dem Bürgermeister der Hauptstadt. Alex war bei ihrem ersten Einsatz vor mehr als einem Jahr zwar noch nicht dabei gewesen, dennoch hatte zumindest der Bürgermeister keinerlei Bedenken gehabt. Die Tochter, Snowcone, war im ersten Moment enttäuscht gewesen, doch mittlerweile fand sie auch am neuen Piloten Gefallen. Alles lief wie gewünscht, nur der Abflug verzögerte sich.

An diesem Morgen hatten die vier Star Sheriffs miteinander gefrühstückt, wieder mehr lachend als essend, aber das war inzwischen fixes Ritual. Ebenso wie es Saber im Augenblick vorzog, sich aus allen möglichen Diskussion herauszuhalten. Gerade beim Frühstück verkroch sich der blonde Highlander liebend gerne hinter einer Tageszeitung, die Colt jeden Morgen mit den frischen Brötchen von seinem Spaziergang vor Sonnenaufgang mitbrachte.

Den Cowboy beschäftigten im Augenblick mehr Vatersorgen, als ihm lieb waren. Colt war nicht zuhause, nicht dort, wo er eigentlich sein sollte. Das Bäuchlein von Robin war nicht mehr zu übersehen, die Geburt war auch nicht mehr weit weg und Colt konnte nicht sagen, ob er überhaupt da sein würde. Es nagte ganz einfach an ihm. Gerade den Gedanken, dass er in dieser Zeit nicht bei seiner Liebsten sein konnte, machte dem fürsorglichen Lockenkopf zu schaffen. Er hatte Robin schon zum zweiten Mal in ihrer Schwangerschaft alleine zurückgelassen. Beim ersten Mal hatte sie sogar befürchten müssen, dass er zusammen mit seinen Freunden gestorben war. Und nun kamen sie, vor lauter Gastfreundlichkeit der Bewohner, nicht von diesem Planeten! Man konnte es auch übertreiben, wie Colt schwer missfiel. Gastfreundschaft war nichts Schlechtes, nur gerade wollte er lieber bei Robin sein. Er hatte schon fünf Monate ihrer Schwangerschaft komplett verpasst, nun bekam er zwar zwei Mal täglich einen Statusbericht von seiner Freundin, aber das war nicht das selbe, wie die Entwicklungen selbst mitzuerleben. Man sollte es kaum glauben, aber er war mit jedem Tag ein bisschen dankbarer für die Tatsache, dass Alex ihn auf Trab hielt und ihn ablenkte. Und sei es nur deswegen, weil er in Colts Augen ein bisschen zu sehr mit der Navigatorin liebäugelte.

Der Italiener war morgens ein überzeugter Espressotrinker, etwas anderes kam ihm für gewöhnlich nicht in die Tasse. Sich über Ramrods Kaffeeautomaten zu beschweren, hatte er sich schon relativ früh getraut. Das hatte er allerdings genauso so schnell wieder zutiefst bereut. Wie aus einem Mund hatten ihm die drei eingesessenen Bewohner Ramrods mitgeteilt, dass der Kaffee an Bord vor allem nur eines können musste: Groß sein und munter machen! Da waren sich alle einig gewesen und damit total gegen Alex. Das hatte den dunkelhaarigen Mann aber auch nicht davon abgehalten im nächsten Laden eine Espressomaschine für den Herd zu kaufen. Die paar Mäuse konnte er selbst noch abdrücken.

Der Frühstückstisch auf Ramrod war für gewöhnlich reich gedeckt, denn irgendjemand hatte prinzipiell immer Hunger. Die frischen Brötchen grenzten dabei allerdings schon fast an Luxus. Das höchste der Gefühle waren eigentlich Tiefkühlbrötchen, die sie auftauten.

Saber lugte hin und wieder von seiner Zeitung hervor und kontrollierte mit einem prüfenden Auge, ob auch noch alles in Ordnung war. Das hatte er früher schon gemacht, das hatte sich immer noch nicht geändert. Momentan warf er allerdings wieder verstärkt ein kritisches Auge auf seine Mannschaft, denn Colt und Alex konnten mitunter beim Frühstück schon ziemlich laut in ihren Diskussionen werden. Daran erkannte man eben das hitzige Gemüt eines Südländers, denn Alex wurde schnell mal laut, wenn er sich von Colt ungehört vorkam. Was Saber zumindest einen unvermeidlichen Teil seiner Sorge abnahm war die Tatsache, dass er nie ernsthafte Streits erlebte. Die beiden Männer hatten sich für Colts Verhältnisse dann doch ziemlich flott angenähert und beschnuppert.

Manchmal sehr zum Leidwesen von April. Die beiden Rüpel kannten so manches Mal kein Tabu, zu keiner Tages- und Nachtzeit. April musste das zwangsläufig aussitzen, sie konnte schlecht jedes Mal schimpfen oder gar aufstehen und den Raum verlassen, wenn die beiden anzüglich wurden. Da wäre sie schon längst verhungert. Wurden ihr die Anspielungen aber dann doch zu viel, warf sie den Jungs meistens ein aufgebrachtes: „Denkt ihr immer nur daran?!“ entgegen.

An diesem Morgen war es kaum anders, das hatte auch Saber hinter seiner Tageszeitung schnell bemerkt. Die zwei waren unverbesserlich. Da fragte man sich unweigerlich, ob die Kombination Fireball und Colt nicht der Kombination Alex und Colt vorzuziehen war. Obwohl, und den fiesen Gedanken erlaubte sich Saber ungeniert, die einzige Konstante bei den Kombinationen war immer Colt. Wäre es also vielleicht sinnvoller, beim nächsten Mal den Scharfschützen auszutauschen? Sein Schmunzeln bemerkte niemand, dazu versteckte es Saber zu gut.
 

„April? Das Mistding blinkt und ich find den Ausknopf nicht!“, schlichtweg genervt stand Alessandro im Badezimmer vor einer leicht bekleideten Blondine, die noch die Zahnbürste im Mund hatte.

April war gerade dabei gewesen, sich fertig zu machen. Deswegen stand sie auch nur in Jeans und BH im Bad, die Haare zu einem schnörkellosen Knoten zusammengebunden und besagte pinkte Zahnbürste im Mund. Erschrocken drehte sie sich zu dem Eindringling, er hatte sie eben aus ihren Gedanken gerissen.

Alex gingen bei dem Anblick beinahe die Augen über. Das gefiel ihm außerordentlich gut. Gleichzeitig erinnerte es ihn aber daran, dass er wohl in der seltsamsten WG seines Lebens gelandet war. Er war in seine Arbeit vertieft gewesen und normalerweise lief niemand halbnackt in der Arbeitszeit irgendwo herum. Auf Ramrod war das naturgemäß anders. Wieder mal zu Aprils Leidwesen. Schlimmer jedoch war, dass Alex jetzt nichts besseres zu tun hatte, als April zuzuzwinkern und mit der offenen Hand auf ihre Gestalt zu zeigen: „Hätt ich das mal früher gewusst, hätt ich mich eher mal für die Eliteeinheit beworben. Da macht das Arbeiten doch Spaß.“

April ließ die Zahnbürste ins Waschbecken fallen und stieß einen lauten, vor allem aber spitzen Schrei aus. Abgesehen davon lief sie hochrot an. Es war ihr unheimlich unangenehm, dass Alex sie so sah. Denn so, und das wäre ihr beinahe auch noch rausgerutscht in ihrer Aufregung, durfte sie nur ein einziger Pilot sehen.

Wie nicht anders zu erwarten war die nächste logische Konsequenz dieser Szene und der Lautstärke, die Aprils Schrei erreicht hatte, dass noch ein weiterer männlicher Star Sheriff das Feld betrat. Dieser war Colt, der natürlich, übertrieben besorgt und sensibel, wie er als mitschwangerer, werdender Vater war, nach dem Ursprung sehen wollte. Er kam ins Bad gestürzt. Mit einer Hand im Türrahmen, der anderen an der Türklinke stand er nun da und überflog die Situation. Grundgütiger, was hatte er denn da all die Jahre eigentlich verpasst?! Colt war und blieb ein Kerl, der gerne andere Frauen ansah, aber eigentlich, und da waren sich sein Trieb und sein Gewissen ausnahmsweise mal einig, sollte die Kollegin doch bitte eingehüllt bleiben. Dabei entging Colt aber auch nicht, wie wenig das Alex juckte. April schämte sich unendlich und Alex gefiel das auch noch. Colt trat schnurstracks auf Alessandro zu und packte ihn am Kragen: „Wirst du gefälligst deine Patschehändchen von April lassen?!“

Alex eiste seinen Blick endlich von April los. So wenig unangenehm, wie ihm die Situation gerade war, konnte er auch Colt nicht ernst nehmen. Er grinste den Cowboy deswegen an und hob unschuldig beide Hände: „Patschehändchen sind bei mir, siehst du doch.“

Das war Colt dann gleich zu viel gewesen. Keiner vergriff sich ungeschoren an seiner Prinzessin. Das durfte im Augenblick in Colts Augen gar keiner. Auch nicht der Rennfahrer mit Namen Fireball. Klar, Fireball war immer noch sein bester Freund, aber Colts Gedächtnis war ein gnadenloser Elefant, und so hatte der Cowboy auch nicht vergessen, was in der Vergangenheit zwischen April und Fireball vorgefallen war. Seine Prinzessin hatte so herzzerreißend geweint. Nein, das hätte auch sonst niemand vergessen können. Deswegen wollte Colt nichts und niemanden an Aprils Seite sehen, der ihr gerade gefährlich werden konnte. Keine kleinen Captains und gleich noch weniger Piloten mit Höhenflug. Die taten April einfach nicht gut. Er schrie Alex an: „Und was ist mit den Stielaugen und der Sabberrolle da?! Los, einfahren, sonst werde ich ungemütlich, werd‘ ich doch!“

Vergessen war die Blondine, wegen der sie hier her gekommen waren. Colt und Alex gerieten in einen lauten, wie auch drohenden Streit. Immerhin hörte der Spaß für Colt bei April auf und für Alex, wenn ihm jemand Vorschriften machte. Die beiden waren bei ihrem Wortgefecht ordentlich laut, die Vermutung, man könnte sie durch das gesamte Schiff hören, lag mehr als nur nahe.

Saber war gerade im Kontrollraum gestanden und hatte versucht, das Blinken an Alex‘ Satteleinheit abzustellen, als er Colt und besagten Piloten schreien hörte. Blitzschnell erhob sich der Schotte und suchte die Quelle dieser Unruhe. Kurze Zeit später stand auch der Blonde im Badezimmer. Ohne auf April zu achten, schritt Saber auf Colt und Alex zu. Er griff schlichtend ein und zog die beiden auseinander: „Hört auf! Was ist denn los, Himmel noch eins?“

Schon schwappte Saber ein Wortschwall entgegen. Verstehen konnte er allerdings nichts, denn die beiden Jungs redeten gleichzeitig. Das war ein einziger Kauderwelsch für ihn, mehr nicht. Immer wieder sah er ratlos zwischen Colt und Alex hin und her.
 

Ihr Kopf konnte röter nicht mehr werden. Zu guter letzt war nun auch noch Saber ins Bad gekommen. Das einzig Positive daran war jetzt allerdings, dass niemand sie beachtete. Die drei waren so in ihre Debatte vertieft, dass sie auf den Grund für ihr Kommen vergessen hatten.

April atmete tief durch und beugte sich schließlich über den Waschbeckenrand. Sie spülte sich den Mund aus, denn sie war von Alex beim Zähneputzen ertappt und unterbrochen worden. Nachdem sie ihr Gesicht abgetrocknet hatte, zog sie schnell das weiße Shirt über, das sie sich kurz zuvor zurecht gelegt hatte. Danach drehte sie sich wieder ihren Mannen zu, den Schrecken hatte sie endlich verarbeitet. Das war schon haarscharf an einem Herzinfarkt vorbei gewesen. Nun verschränkte sie die Arme vor der Brust und warf einen skeptischen Blick auf die Szene.

Die drei standen dicht zusammen, in eine eifrige und hitzige Diskussion verstrickt. Zumindest Alex gestikulierte wild und fuchtelte mit den Händen herum. Der war ein waschechter Italiener. Aber Colt war auch nicht weniger wild. Nur Saber sah etwas überrumpelt aus. Der schien noch nicht so begriffen zu haben, wieso und weshalb hier so gestritten wurde.

April schüttelte den Kopf und schmunzelte leicht. Doch ihr Lächeln wurde dabei wehmütig. Etwas fehlte an dieser Szene. Sie seufzte und dachte an etwas anderes. Immerhin war sie noch nicht wirklich vorzeigbar. Sie räusperte sich: „Jungs?“

Keine Reaktion. Das Theater vor ihr ging ungerührt weiter. Fast kam es April so vor, als würden sie noch etwas lauter werden, nachdem sie sie angesprochen hatte. Das war jetzt aber nicht ihr Ernst, oder doch? April sah sich das nicht allzu lange an, dann ergriff sie die Initiative. April pfiff einmal so laut sie konnte und schrie ihre drei dann an: „Jungs!! Raus hier!“

Drei Paar großer, unterschiedlich blauer, Augen sah sie an. Dann deutete sie auf die Tür, damit sie auch ja nicht missverstanden werden konnte: „Da geht’s raus. Das nächste Mal sperr ich die Tür ab“, sie ging zu Alex und schlug ihm die Faust auf die Schulter: „Und um dein blinkendes Etwas kümmere ich mich später!“

Colt ließ ebenfalls noch eine Warnung vernehmen: „Mach das noch mal, Pate, und ich verspreche dir. Der Knopf in deiner Satteleinheit bleibt nicht das einzige, das alle Farben spielen kann.“

Saber schüttelte lediglich peinlich berührt den Kopf. Er packte mit einer Hand Colt an der Schulter, mit der anderen Alex und schob die beiden vor sich her. An der Tür bekamen beide noch einen mahnenden Tritt in den Allerwertesten und dementsprechende Worte: „April ist zwar unsere Kollegin, aber sie ist und bleibt eine Frau. Lernt endlich mal Anstand.“

Und als wäre es nicht genug gewesen, eilte ihnen nun April hinterher, trat ebenfalls noch mal nett nach und verteilte eine Kopfnuss an Saber: „Du bist auch nicht besser, Säbelschwinger!“
 

Es war schwer an diesem Morgen gewesen, überhaupt aus dem Bett zu kommen. Die beiden Männer, die mit etwas kleinen Augen nebeneinander im Hangar standen, waren verdammt spät ins Bett gekommen. Dieses Mal aber nicht wegen der Arbeit, sondern wegen der losen Zunge von Martins Vater. Die drei Männer waren erst mit der aufgehenden Sonne aus der Bar gekommen. Unverantwortlich, wie Martin und Fireball feststellen durften. Die beiden sahen sich kurz an und schüttelten den Kopf. Martin murmelte: „Sollten wir in die Luft?“

„Wir beide nicht!“, stellte Fireball postwendend klar. Er warf einen Blick in den Hangar. Alle waren da, nur einer fehlte wieder. Stan. Dieses Mal war Fireball sonnenklar, weshalb der Blondschopf nicht pünktlich war. Es lag einzig und allein an dem Verbot, das er Stan gestern ausgesprochen hatte. Er stieß Martin mit einem leidigen Gesichtsausdruck an: „Du bist doch meine rechte Hand? Wieso schreist du nicht ‚Stopp!‘, wenn wir im Begriff sind, Blödsinn zu machen?“

„Weil’s geschmeckt hat, Babyboy“, auch Martin verzog das Gesicht. Gott, er war hundemüde und ein bisschen Kopfweh hatte er auch. Er lächelte den schweigsamen Captain an: „Und außerdem hat’s gut getan, oder nicht?“

Martin stieß Fireball leicht an. Der gemeinsame Abend mit Martins Vater hatte beiden gut getan. Das Bier hatte den beiden die Zunge gelockert und später waren sie auch ohne Emilios Anregungen ins Gespräch gekommen. Allerdings rächte sich der lange Abend mit Kopfschmerzen, einem flauen Gefühl und totsicherem Flugverbot für die beiden. Sie wussten, dass ein ordentliches Frühstück ihnen nicht helfen würde. So mussten sie den Piloten in die Augen sehen und ihnen gestehen, dass das Flugtraining an diesem Morgen entweder ausfiel, oder unter der Leitung von Oli stattfinden würde.

Letztendlich blieb die gesamte Mannschaft im Hangar, teils lehnten sie an ihren Maschinen, teils saßen sie auf dem Boden. Aber alle hatten die Augen auf ihre zwei Übeltäter gerichtet. Kamen die einfach blitzblau zum Dienst! Die ersten Zwischenrufe mussten sich die zwei schon gefallen lassen, kaum hatten sie den Trainingsflug abgesagt. Vor allem auf Fireball hatten sie es wieder abgesehen. Es wäre klar gewesen, dass ihr Babyboy nichts vertragen würde. Aber das juckte Fireball nicht sonderlich. Er konterte ungerührt auf Olis Ausbruch: „Ich setze mich nicht in meine Maschine, wenn ich selbst genau weiß, dass ich nicht flugtauglich bin. Und jeden, den ich jemals dabei erwischen sollte, wie er trotzdem in den Himmel aufsteigt, darf keine Gnade erwarten. Wir arbeiten bereits in einem Selbstmordkommando, da müssen wir Gevatter Tod nicht auch noch ne Sondereinladung geben.“

„Das macht Ramrod!“, schrie Stan vom Eingang herüber. Er stand mit verschränkten Armen an den Türrahmen gelehnt da und funkelte ihren Captain an. Ja, er war ein kleines Stehaufmännchen, stärker, als er auf den ersten Blick wirkte, aber seine Einheit konnte er nicht für blöd verkaufen. Dafür hatte sich auch Alex zu oft bei seinen ehemaligen Kollegen gemeldet. Zudem hörte man so einige Geschichten über die alte Besetzung der Einheit Ramrod. Sie flogen verletzt Angriffe, verteidigten das Neue Grenzland selbst dann noch, wenn sie außer Stande waren, sich auf den Beinen halten zu können. Alle vier der Stammbesatzung Ramrods waren von dieser Kategorie. Stan schüttelte den Kopf und kam in die Halle hinein. Seine Stiefel hörte man mit jedem Auftreten klacken.

Martin blieb einen Moment die Spucke weg. Er kannte Stans Blick. Er war mit seinem Test noch nicht fertig. Gestern hatte er Fireball alleine angegriffen. Es war ein fairer Schlagabtausch gewesen. Nun aber setzte sich der Showdown von gestern Abend fort. Stan wollte noch sehen, wie Fireball mit Anschuldigungen umging, die er vor versammelter Mannschaft aussprach.

Fireball biss sich auf die Zähne, kniff die Augen zusammen und kam auf Stan zu. Er würde das so schnell wie möglich abwürgen, indem er Stan gar keine Gelegenheit mehr gab, darauf loszugehen. Er reckte den Kopf zu dem großen Blonden hinauf und blieb hart: „Stan, wie spät ist es?“

„Viertel nach, wieso?“, das Ablenkungsmanöver war schneller aufgegangen, als Fireball gedacht hatte.

Er hielt dem groß gewachsenen nun eine Predigt über Pünktlichkeit, vor versammelter Mannschaft. Fireball hatte beim besten Willen nicht vor, dass man noch einmal auf seine Schwächen los ging. Dazu war er heute Morgen einfach noch nicht fähig. Als er mit Stan fertig war, der dann ausnahmsweise sofort die Klappe gehalten hatte, wandte sich Fireball an seine Mannschaft. Er war seit einigen Wochen hier, Besserung war kaum in Sicht und Ende des Monats mochte der Zauber vielleicht wieder vorbei sein, aber: „Ich weiß wie schwer es ist, sich auf einen neuen Captain einzustellen. Aber das ist kein Grund diese Einheit hier verkommen zu lassen. Ihr seid das Beste, was das Oberkommando an Piloten hervorgebracht hat, benehmt euch auch so! Seid pünktlich, macht eure Arbeit ordentlich und vor allem: verhaltet euch anderen gegenüber angemessen. Der nächste, über den ich eine Beschwerde auf den Tisch bekomme, kriegt von mir ein langes, persönliches Gespräch. Ist das klar?“

Während Stan die Arme vor der Brust verschränkte und Martin ratlos ansah, stieß sich Oli von seiner Maschine ab. Bedrohlich ging er auf Fireball zu. Oh nein! Er ließ sich von dem Krümel nichts sagen. Nie im Leben. Nicht einmal dann, wenn Shinji der Commander war. Oliver hatte viel gesehen, viele junge Spunde, die geglaubt hatten, der Himmel gehöre ihnen. Alle hatte er bisher noch von ihrem hohen Ross herunter geholt. Den Spross von Captain Hikari brachte er schon auch noch auf den Boden der Tatsachen. Er stieß Fireball unsanft gegen die rechte Schulter: „Erzähl du uns nicht was von fluguntauglich. Du hast keinen Tau von deinem Job, Bürschchen. Sieh zu, dass du endlich aus dieser Einheit kommst und in den Kindergarten zurück findest!“

Martin verzog noch mehr das Gesicht als zuvor. Das war gar nicht gut. Der kleine Hikari war nach wie vor angeschlagen, nicht bloß wegen letzter Nacht, auch etwas anderes zerfraß sein Nervenkostüm Stück für Stück, aber unaufhaltsam. Bevor Martin einen Schritt auf Fireball zumachen konnte, hielt Stan ihn an der Schulter zurück. Dieser schüttelte den Kopf.

Der blonde Pilot hielt Martin auf seinem Platz. Dieses Mal nicht. Er sollte dem Krümel nicht helfen. Stan hatte am vergangenen Abend etwas Entscheidendes gelernt. Es war an der Zeit, seine Meinung zu ändern. Fireball hatte seine Prüfung mit Bravur bestanden, war in keiner Sekunde ungerecht zu Stan geworden. Dafür sollte er jetzt die Belohnung bekommen. Es war an der Zeit, seinen neuen Captain zu akzeptieren und hinter ihm zu stehen. Stan schob Martin vorsichtshalber ein paar Schritte zurück und trat dann selbst hinter Fireball. Der Blonde überragte den Japaner und so wirkte es noch eher wie ein überdimensionaler Schutzschild, das sich hinter ihm aufbaute.

Fireball hatte von dem, was sich hinter seinem Rücken abspielte, nichts mitbekommen. Er schloss kurz die Augen und atmete tief ein. Also auf ein Neues. Mit diesen Auseinandersetzungen und Vorurteilen würde er irgendwann noch leben lernen müssen. Die dunklen Augen blickten zu Oliver hinauf und er setzte zu Worten an, die Olivers widerlegen sollten.

Doch in diesem Moment griff jemand nach seinen Schultern und schob ihn bestimmt zur Seite. Bedrohlich ruhig sprach Stan Oliver an: „Lass stecken, Oli. Es ist genug jetzt.“
 

Alle Augen waren auf die drei in der Mitte gerichtet. Anspannung machte sich unter allen Beteiligten breit. Die Situation hatte etwas Bedrohliches. Bisher hatten sich alle aus Streitigkeiten mit dem Captain heraus gehalten. Selbst Martin war nie eingeschritten, wenn jemand Fireball attackiert hatte. Nun aber schien sich einiges in der Einheit der besten Piloten zu ändern.

Oli schnaubte verächtlich und stieß nun auch Stan gegen die Schulter: „Ich lasse gar nichts! Misch dich nicht ein, Stan. Der Kleine gehört mir. Du kannst mit ihm machen was du willst, wenn ich mit ihm fertig bin.“

Stan hatte offenbar ein rotes Tuch für Oliver angefasst. Er hatte das ungeschriebene Gesetz gebrochen, dass jeder hier seine Streitigkeiten alleine mit dem Betreffenden klärte. Er hielt sich nicht an die Abmachung, denn inzwischen war zumindest neben Martin auch Stanley klar geworden, dass Fireball so falsch hier nicht war.

Der blonde Pilot wiederholte sich. Zischend dieses Mal: „Ich sagte, du sollst es lassen, Oliver. Es reicht jetzt.“

Dabei schob sich Stan demonstrativ vor den kleineren Fireball, der unvernünftig, wie er war, dazwischen gehen wollte. Ohne auf den Captain zu achten schob sich Stan zwischen ihn und Oliver. Nichts und niemand würde hier auf Babyboy losgehen. Der Blonde packte Oliver am Kragen und drückte ihn auf Armlänge von sich weg. Reine Vorsichtsmaßnahme, denn so stellte Stan sicher, dass Oliver maximal noch ihn erwischen konnte, den hinter ihm stehen Captain aber schon nicht mehr.

Viel hielt Oliver nicht davon, auf Distanz geschoben zu werden. Er schlug Stans Hände von sich und fuhr den Kumpel an: „Fängst du jetzt auch noch an mit dem Scheiß?! Spielst du jetzt auch den Babysitter für ihn? Reicht Martin noch nicht?“

In dieser Situation war Fireball machtlos. Er konnte nicht eingreifen, denn weder Stan noch Oliver würden ihm zuhören. Egal, wie er es geschafft hatte, klar war augenblicklich nur, dass er die Crew zweigespalten hatte. Fireball warf einen verzweifelten Blick zu Martin nach hinten. Für ihn roch es hier in den nächsten fünf Minuten nach Blutvergießen. Zwar maximal Nasenblut, aber das reichte dem Japaner.

Martin biss sich auf die Lippen und konnte Fireball lediglich ein Kopfschütteln als stummes Zeichen geben. Eingreifen war in diesem Moment nicht klug. Was auch immer am Vorabend geschehen war, es hatte Stanley so tief beeindruckt, dass er sich jetzt für Fireball stark machte. Das auch noch eindrucksvoll, wie Martin beobachtete. Niemand hatte sich bisher Oliver in den Weg gestellt, wenn der Hüne Rot gesehen hatte. Da hatte der ansonsten gemütliche Große was mit einem Bullen gemeinsam. Es gab für ihn kein Halten mehr.

Mit aller Kraft stemmte sich Stan gegen Oliver, hielt seine Hände am Handgelenk fest umschlossen. Nein, so leicht kam ihm der Hüne nicht davon. Die ganze Mannschaft war hier versammelt, eine bessere Gelegenheit, endlich ein klares ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ von allen zu hören, würde sich nie wieder bieten. Sie sollten Fireball als einen von ihnen akzeptieren, denn er war es. In dem Kleinen schlug ein Fliegerherz, stärker und lauter als in manch einem von ihnen. Stan hatte am Vorabend gemerkt, dass Fireball nicht bloß hinter seiner Mannschaft stand, weil er es als Captain musste, sondern auch, weil er sie als seine neue Familie ansah. Stan ordnete sich, wie zuvor Martin, dem neuen Leitwolf nun bedingungslos unter. Dabei würde er dafür sorgen, dass es die anderen auch taten. Ihr Rudel hatte einen neuen Chef. Zwar einen jungen Welpen, aber einen guten und fairen, sie sollten sich dankbar dafür zeigen.

Stan blaffte Oliver also an: „Du alter sturer Esel! Babyboy braucht keinen, der auf ihn aufpasst. Hast du nicht geschnallt, dass er uns davor bewahrt, von Eagle den Arsch aufgerissen zu bekommen?“

Das juckte Oliver nicht. Er wagte wieder einen Vorstoß auf Stan zu, packte den dabei unsanft an der Schulter und stieß ihn ein Stück nach hinten: „Aber klar doch! Der findet alleine doch nicht mal aufs Klo!“

Stan hatte sich gerade schwer getan, Oli war in Rage geraten eine Dampfwalze. Er rollte alles nieder, was ihm im Weg stand. Im Augenblick war es Stan und er hatte Oliver noch mehr provoziert. In den Augen des größeren spiegelte sich die Angriffslust wider. Bei der nächsten falschen Äußerung fing Stan eine.

Aber Stan wäre nicht er selbst gewesen, wenn er die Zeichen, die bei Oliver auf Weltuntergang standen, nicht einfach ignoriert hätte. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen den Großen und maulte ihn an: „Sei froh, dass Babyboy gutmütig ist, sonst hätte er dich schon längst suspendieren müssen. Nicht nur für eine Woche, du Rindvieh! Schalt endlich mal dein Spatzenhirn ein, wozu hast du sonst so einen großen Kopf zwischen deinen Schultern?!“

„Das sagst du nicht noch mal!“, Oli ballte die Hand zur Faust und holte aus. Jetzt war es definitiv vorbei mit Lustig. Er würde Stan eine auflegen und sich dann weiter um Fireball kümmern. Olivers Faust stieß kraftvoll nach vor.
 

Eingefangen hatte jemand anderes den Schlag von Oliver. Martin hatte erschrocken einige Schritte nach vor gemacht, hatte es aber auch nicht mehr verhindern können. Stan taumelte dafür einige Schritte zurück, denn er hatte Fireball plötzlich abfangen müssen, den der Schlag voll erwischt hatte. Der Captain stützte sich an Stan ab, konnte aber nicht verhindern, dass er kurzfristig Sternchen tanzen sah. Groß und viel Kraft bedeuteten meistens auch einen anständigen Wums beim Schlagen. Das hatte Fireball fast vergessen. So schnell er konnte, suchte er wieder festen Stand zwischen Oliver und Stan. Er funkelte die beiden an, die Beule, die da mit Sicherheit gleich am Kopf auftauchen würde, ignorierte er. Nun polterte die Stimme eines aufgebrachten Captains durch die Hallen: „Aufhören, verdammt! Seid ihr jetzt komplett übergeschnappt?! Ihr Vollpfosten gehört zur selben Einheit“, er zog an den beiden Männern: „In mein Büro hoch, aber ZZ, ziemlich zügig!“

Als die Situation eskaliert war, war in Fireball etwas erwacht, das er bisher unterdrückt hatte. Es war die Erfahrung und die nötige Schärfe eines Captains der Air Strike Base 1. Es war die Erfahrung seines Vaters.

Oliver hatte noch gesehen, wie sich Fireball zwischen sie geschoben hatte, konnte den Schlag aber nicht mehr aufhalten. Nun fürchtete er zurecht um seinen Job. Er hatte den Captain geschlagen und wenn er die linke Backe und die Schläfe genauer betrachtete, das nicht zu knapp. Mit einer Suspendierung und einer Woche Schreibtischdienst war es damit nun nicht mehr getan. Oli wusste, wo das letztendlich enden würde: bei Commander Eagle.

Stan stieß im Gehen noch kurz Martin an, der sollte für die nächste Stunde hier für Ordnung sorgen, das Gespräch beim Captain könnte sich ziehen. Dann warf er Oliver einen wütenden Blick zu. Mit dem war er noch nicht fertig. Das hatte ein Nachspiel, aber fix.
 

Die Tür zum Büro schlug heftig ins Schloss, da hatten die beiden mit ihrem Streit eindeutig einen Vulkan zum Ausbruch gebracht. Fireball drückte die beiden Männer energisch auf jeweils einen Stuhl. Verflucht noch mal, das war doch nicht wirklich gerade alles passiert?! Aufgebracht atmete Fireball einige Male tief ein und versuchte so, seinen Hitzkopf, der einmal mehr volle Fahrt aufgenommen hatte, abzukühlen. Er wusste, wenn er jetzt nicht besonnen an die Geschichte heran ging, würde er ungerecht handeln und unnötig laut werden. Der Pilot ging zum Fenster hinüber, Martin hatte es zumindest in der kurzen Zeit geschafft, die Einheit vom Hangar nach draußen zu verschaffen.

„Was ist bloß in euch gefahren?!“, Fireball war wieder auf den Schreibtisch zu gegangen. Sein Blick fiel auf den kaputten Bilderrahmen, der mit dem Bild nach unten auf dem Schreibtisch lag, dann auf die beiden Streithähne. Der Japaner stemmte die Arme in die Hüften und schüttelte missbilligend den Kopf, ehe er mit einem harten Ton fortfuhr: „Ihr gehört zur selben Einheit, ihr zwei Schwachköpfe! Wie wollt ihr das Neue Grenzland verteidigen oder gar das Leben eurer Freunde retten, wenn ihr nicht einmal in der Lage seid, euch wie eine Mannschaft zu benehmen?! So ein idiotisches Benehmen erwartet man von einer frisch zusammengewürfelten Einheit, von unerfahrenen Soldaten, aber nicht von zwei gestandenen Kerlen wie euch.“

Oli verschränkte die Arme vor der Brust, folgte mit dem Kopf allerdings argwöhnisch jeder Bewegung von Fireball. Er schnaubte und warf immer wieder auch Stan einen stocksauren Blick zu. Er würde sich den blonden Helden nach der Arbeit noch einmal zur Brust nehmen. Nur wegen Stan saß er gerade hier und konnte sich von einem Grünschnabel anhören, wie sich erwachsene Menschen benahmen. Kurzerhand unterbrach er Fireball deswegen und knurrte ihn an: „Woher willst du das wissen, du bist ja noch nicht mal richtig aus dem Ei geschlüpft?!“

‚Aber klar ist wenigstens, dass er kein Kuckuckskind ist‘, schoss es Stan durch den Kopf. Der Wirbelwind hatte mehr von seinem Vater als einem lieb sein konnte. Für Olivers Worte allerdings konnte sich Stan nicht erwärmen. Wieder wollte er dem breiten Oli über den Mund fahren, aber dieses Mal kam ihm Fireball zuvor. Er drückte den blonden Piloten wieder auf seinen Platz, als dieser aufgesprungen war und schon zu Oliver hinüber langen wollte. Verdattert ließ sich Stan setzen. Allerdings umschloss er mit beiden Händen die Armlehnen. Er umschloss sie so fest er konnte, biss die Zähne zusammen und versuchte sich zu beruhigen. Noch so ein hirn- wie sinnloser Kommentar von Oliver und der Hüne flog. Aber nicht durch die Tür, sondern durch das Fenster, das zum Rollfeld hinaus ging!

„Punkt eins“, grollte Fireball. In diesem Augenblick war er mehr als seinem Vater nur ähnlich. Die beiden erhielten eine Standpauke, wie sie die Piloten vor zwanzig Jahren auch zu hören bekommen hatten, wenn sie Mist gebaut hatten. Der Captain ließ seine Hand sicherheitshalber auf Stans Schulter, während er sich Oliver widmete: „Frisch aus dem Ei geschlüpft hin oder her, Oliver. Alter hat mit Können nichts zu tun. Schreib dir das hinter die Löffel, bevor ich zu Ostern Hasenbraten aus dir mache. Und Punkt zwei: Ihr zwei Hirnis arbeitet in der besten Einheit des Oberkommandos. Da wird man wohl erwarten dürfen, dass ihr auch geistig so weit entwickelt seid, nicht gleich wegen jedem Blödsinn handgreiflich zu werden. Überhaupt nicht wegen etwas, was ihr zwei nicht bestimmen könnt und wo ihr nicht einmal gefragt werdet. Ich will so was wie gerade eben hier nicht noch einmal sehen, sonst werde ich richtig ungemütlich.“

Spätestens jetzt war auch Oliver ruhig. Stan krallte die Finger in das Holz und hatte sichtlich Mühe damit, keine Stielaugen zu machen. Die beiden Männer sahen sich überwältigt an, waren sich gleichzeitig aber stumm einig, dass sie nach Feierabend noch einmal ein Wörtchen miteinander wechseln würden. Oliver würde hier bestimmt keinen Schlussstrich darunter ziehen und es gut sein lassen. Er würde Stan ohne den kleinen Captain noch mal erwischen und dann war der fällig.

Selbigen Gedanken hatte auch Stan. Allerdings senkte er nun die Augen und murmelte: „Schuldigung.“

Er entschuldigte sich nur deswegen, weil er der Standpauke endlich ein Ende setzen wollte. Noch zwei Sätze und Stan fühlte sich wirklich schuldig. Und das war nicht Sinn der Sache. Er wollte sich nicht schuldig fühlen. Stan hatte Babyboy immerhin nur verteidigt, das würde man ja wohl noch machen dürfen!

Shinji entschied sich, keine Strafe zu verhängen. Dass er die zwei vor versammelter Mannschaft zum Rapport hochzitiert hatte, hatte genug Eindruck hinterlassen, das hatte Fireball aus den Augenwinkeln wahrnehmen können. Der Anschiss musste für die zwei Streithähne genügen.
 

Einige Tage später war Fireball nicht mehr der einzige in seiner Einheit, der über blaue Flecken im Gesicht verfügte. Der junge Hikari wusste, Stan und Oliver hatten es unter sich noch einmal unter vier Augen sozusagen ausgesprochen. Er konnte ihnen nicht verbieten, sich privat zu prügeln, aber zumindest würden sie es nicht noch einmal wagen, in der Arbeit so etwas zu tun. Einiges hatte sich an diesem Tag zwar geändert, jedoch nicht alles. Stan mochte offiziell auf Fireballs Seite stehen, doch Oliver war immer noch vom Gegenteil überzeugt. Das äußerte sich nun in verbocktem Schweigen und Dienst nach Vorschrift. Schärfer als zuvor. Oliver kam auf die Minute genau zum Dienstbeginn und war beinahe noch zwei Minuten vor Dienstschluss wieder weg. Befehle nahm er keine von Fireball an, die musste ihm Martin übermitteln. Allerdings freute sich der Captain still, zumindest einen ehemals erbitterten Widersacher auf seiner Seite zu wissen. Auch wenn er wieder gehen müssen sollte, ein kleiner Sieg war allemal besser als keiner.
 

Hier war einiges los, wie Saber feststellte. Sie waren gerade mit Ramrod gelandet. Wie er gleich bemerkt hatte, war ihre Landung an diesem Tag ausnahmsweise mal spurlos an den anderen Einheiten vorbei gegangen. Sie waren alle bis über beide Ohren mit Arbeit beschäftigt. Saber wollte nun sehen, ob er seinem schlechten Gefühl nicht endlich Erleichterung verschaffen konnte. Seit Fireball ihn vor gut zwei Wochen angerufen hatte, war er doch besorgt. Etwas war nicht in Ordnung. Gleich nach der Besprechung war Saber deswegen in den Hangar der Air Strike Base 1 aufgebrochen. Er würde den Hitzkopf mit Sicherheit hier finden und nicht in seinem Büro. Der Schotte hatte schnell den Arbeitsrhythmus von Fireball herausgefunden. Es war auch keine Kunst gewesen, immerhin rief der Japaner ihn immer nur dann an, wenn er über den Berichten brütete und das tat er nur abends.

Saber sah sich in der Fliegergarage um. Hm, eigentlich müsste es Fireball hier doch gut gefallen. Überall Maschinen, Kleinteile, Öle und Werkzeug. Saber schmunzelte in sich hinein, während er durch den Hangar ging, immer auf der Suche nach seinem Freund.

Fireball befand sich gerade in einer Diskussion mit drei seiner Angestellten, deutete immer wieder auf deren Maschinen und versuchte sich in seinen Anweisungen klar und deutlich auszudrücken. Als er Saber bemerkte, winkte er dem Schotten kurz zu und zwinkerte mit einem kleinen Lächeln in dessen Richtung. Im nächsten Moment hatte er den drei Piloten wohl gesagt, sie sollten sich um ihre Maschinen kümmern, denn sie verließen den Captain. Fireball setzte sich sofort darauf in Bewegung und kam mit großen Schritten und einem noch größeren Lächeln auf Saber zu.

Indes wurde es bei Saber wieder kleiner. Hatte er von seinem Standpunkt aus nur erahnen können, dass Fireball da eine Blessur im Gesicht hatte, bestätigte sich seine Ahnung nun. Verdattert grüßte er den Kurzen und hob fragend den Zeigefinger: „Was ist denn mit dir passiert?“

Verlegen tastete Fireball nach dem blauen Fleck und grinste: „Ach das“, er spielte es hinunter: „Man soll’s ja nicht glauben, aber selbst ich pass nicht aufrecht unter einer Tragfläche durch.“

„Ah ja“, Saber nickte zwar, aber er stand der Erklärung doch skeptisch gegenüber. Aber dass es nicht möglich wäre, dass Fireball mal gegen eine Tragfläche lief, bestritt Saber auch nicht. Dennoch besorgt streckte der Schotte deswegen auch die Hand nach der Blessur des Japaners aus. Fast väterlich fragte er: „Ich hoffe, du hast dir das ansehen lassen. Sieht nämlich nicht grad gesund aus.“

Fireball wich einen Schritt vor Saber zurück, lachte aber humorvoll auf: „Da hättest du mal die Tragfläche sehen müssen!“

Nein, es war eindeutig gut gewesen, dass Fireball dem Schotten nicht gesagt hatte, dass er quasi aus Versehen Bekanntschaft mit der Faust eines seiner Mitarbeiter gemacht hatte. Er freute sich über den unangekündigten Besuch seines Freundes. Es bedeutete nicht nur, dass auch April wieder für zumindest eine Nacht hier war, sondern auch, dass er den Schotten schnell fünf Minuten alleine sprechen konnte. Der jüngere der beiden setzte sich in Bewegung und wollte nebenher von Saber wissen: „Hast du noch Zeit für einen schnellen Kaffee, Säbelschwinger?“

Saber folgte dem Hitzkopf und sah sich immer noch aufmerksam im Hangar um. Hier war es ausgesprochen ruhig, eigentlich hatte der Schotte erwartet, dass es hier drunter und drüber ging. Zumindest sollte man davon ausgehen, wenn man von anderen Kollegen eben solches gesagt bekam. Hatte sich am Ende doch etwas in der Staffel verändert? Hie und da standen die Piloten in kleinen Gruppen zusammen, erledigten ihre Arbeiten gewissenhaft oder unterhielten sich noch ein wenig. Alles in allem wirkte es im Hangar eher ruhig und beschaulich.

Er warf einen Blick auf Fireball. Ganz konnte er dem Frieden nicht trauen. Ob das nicht nur eine seltsame Ausnahme war? Der Schotte ging deswegen auf das Angebot mit dem Kaffee ein, aber nur unter seinen Bedingungen: „Kein Kaffee für mich. Mir wäre eine Tasse Kakao lieber, Kurzer.“

Kaffee hätte bedeutet, die beiden setzten sich kurz zu Fireball ins Büro hoch, Saber aber hatte nicht wollen. Es schien dem Schotten, als brauchten die beiden einmal ein Gespräch unter vier Augen, fernab vom Lärm des Oberkommandos und der Hektik der Arbeit. Außerdem wollte der Schotte endlich wissen, was wirklich in den letzten Wochen losgewesen war und da wollte er keine Zuhörer haben. Einige Geschichten waren auch Saber über die neue Führung der Air Strike Base 1 zu Ohren gekommen und nicht zuletzt der doch zermürbte Gesichtsausdruck von Fireball manchmal machten für Saber ein etwas längeres Gespräch unentbehrlich.

Fireballs Blick verdüsterte sich einen Moment lang, als Saber ihn mit diesem Kosenamen angesprochen hatte. Die Bezeichnung, die sein Vater ihm in der Vergangenheit gegeben hatte, war nach wie vor ein rotes Tuch für den Piloten. Es war immerhin noch nicht lange genug her, als dass es Fireball bereits vergessen haben könnte. Aber er sah darüber hinweg. Fireball war froh, den Schotten wieder in seiner Nähe zu haben. Also nickte er schließlich mit einem Lächeln und teilte seiner Crew mit, dass er schnell mit dem Boss der Ramrodcrew in ein Café ging.
 

Wenig später saßen die beiden Männer bei jeweils einer Tasse heißem Kakao. Als Saber gerade umrührte, musste Fireball an einen der hoffnungslosen Abende denken, an denen sich der Schotte eher eine Tasse heißer Milch mit Honig gemacht hatte. Mit einem versonnen Lächeln stützte Fireball den Kopf auf seine linke Hand: „Ich sehe, die Zeiten an denen du heiße Milch mit Honig brauchst, sind wieder vorbei. Das sind doch mal erfreuliche Zustände auf Ramrod.“

Saber sah von seiner Tasse auf. Zuerst war sein Blick verwundert, dann aber formte sich ein Schmunzeln um seine Mundwinkel. Saber klopfte den Löffel am Tassenrand ab, legte ihn auf den Unterteller und hob die Tasse an. Während er trank, beobachtete er seinen jungen Freund aufmerksam. Fireball wirkte müde, abgekämpft. Nachdem er die bauchige, gläserne Tasse wieder auf den Teller gesetzt hatte, begann Saber leise: „Du scheinst sie momentan literweise zu brauchen, Shinji. Läuft’s nicht so, wie es soll?“

Bedächtig umschloss Fireball seine Tasse mit beiden Händen. Er blickte in das dampfende Getränk und berichtete Saber von den vergangenen Wochen. Es tat dem jungen Hitzkopf unglaublich gut, sich bei dem Highlander alles Mögliche von der Seele reden zu können. Klar, Martin war auch da, aber dieser Pilot war für Fireballs Geschmack viel zu sehr in diesen Geschehnissen eingebunden. Und er war nach wie vor kein Freund, wie Saber oder Colt für Fireball. Er hatte das Vertrauen zu dem Brasilianer einfach nicht. Er hatte nicht das erlebt, was seine Freunde mit ihm durchgestanden hatten. Martin kannte einen beträchtlichen Teil von Fireballs Leben nicht und der Captain wollte auch nicht, dass sich das in absehbarer Zeit änderte. Sie hatten Verrücktes in den letzten Monaten auf Ramrod mitgemacht, er wollte Martin daran auch nicht teilhaben lassen. Umso schonungsloser und ehrlicher redete sich Fireball allerdings bei Saber seinen beruflichen Kummer von der Seele. Mit trübseligen Augen berichtete der Japaner von Stanleys abendlichen Besuch und den Anfeindungen, die der blonde Pilot im Gepäck gehabt hatte.

Saber lauschte aufmerksam, war erstaunt, welches Vertrauen der Japaner in ihn hatte. Das war ihm auf Ramrod nie aufgefallen. Es konnte daran liegen, dass sie dort ohnehin zusammengewohnt hatten und man sowieso immer sofort alles Wichtige von ihnen erfahren hatte. Nun, sicherlich war das seit Fireballs Versetzung nicht mehr so. Sie trafen sich mehr als nur selten, am Telefon wollte vor allem der Japaner nie reden, was genau los war. Umso notwendiger schien es für Saber nun gewesen zu sein, den kleinen Wirbelwind mal aus dem Oberkommando zu entführen. Der schien seine Gesprächstherapie ja mehr als nötig zu haben. Saber konnte nicht wissen, dass Fireball auch noch was anderes belastete. Denn über April verlor Fireball kein Wort. Dafür aber beendete der Japaner seine Geschichte mit zumindest einer positiven Nachricht: „Stan scheint wenigstens seither keine Probleme mehr mit mir zu haben. Er streikt zwar nach wie vor, was die Pünktlichkeit morgens betrifft, aber ich muss ihm nicht mehr alles drei Mal sagen“, nun lächelte Fireball schwach: „Und meine Schonfrist wurde noch mal um zwei Monate verlängert. Die Crew hat sich anscheinend merklich gebessert.“

Aufgrund der anhaltenden Problemchen fühlte sich Fireball immer noch nicht dazugehörig in der Air Strike Base. Es war nicht seine Einheit. Für Fireball war es immer noch eine Einheit, zu der er nicht gehörte. Er sollte sie zwar befehligen, aber als einen Teil von ihnen sahen sie ihn nicht.

„Das ist doch erfreulich!“

Da hatte sich Fireball das Beste bis zum Schluss aufbehalten. Ehrlich gestanden, der Schotte hatte sich schon Sorgen gemacht, er würde es nicht in der anberaumten Zeit hinbekommen. Saber bestellte noch einmal nach und ließ den Rennfahrer weitererzählen. Dem brannte noch mehr unter den Nägeln, das sah man dem Krümel an der Nasenspitze an. Und Saber wäre kein Freund gewesen, wenn er nicht gut geraten hätte: „Mit Stan geht’s nun also besser. Was ist mit dem dritten im heimlichen Führungstrio?“

„Tja… der“, Shinji hob seine Tasse zum Mund und spülte damit kurzerhand genauere Auskünfte hinunter. Zum einen tat er das, weil ihm die Worte, die ihm auf der Zunge lagen, nicht die richtigen zu sein schienen und zum anderen, weil der Pilot mittlerweile lieber seine Erstkommentare schluckte und so unüberlegte Reaktionen umging. Fireball sank in den Stuhl und seufzte gedehnt. Nachdem er seine Tasse wieder abgestellt hatte, blickte er Saber aufmerksam an: „Der streikt. Und irgendwo versteh ich ihn ja. Mir würd’s auch nicht schmecken, wenn so ein junger Hüpfer daher kommt und plötzlich Befehle gibt. Oli hat verdammt viel wertvolles Wissen, aber er weigert sich, es sinnvoll zu nützen.“

Saber hob fragend und auch erstaunt die Augenbrauen. Reflexion war etwas, das der junge Rennfahrer bisher, wenn überhaupt, nicht laut gemacht hatte. Saber bemerkte so etwas wie Reife. Die Versetzung hatte Fireball nicht geschadet, auch, wenn er momentan eher darunter litt, so war sie doch ein Gewinn für den Hitzkopf. Er ließ sich Fireballs Worte durch den Kopf gehen, kam aber nicht auf Anhieb auf eine brauchbare Lösung für den Captain. Dafür fehlten ihm die Informationen, und verstand den Zusammenhang nicht.

Der Schwertschwinger bestellte sich kurzerhand noch einen kleinen Scotch und zog dem Japaner die Fakten aus der Nase, die er für eine vernünftige Antwort schließlich noch brauchte. So brachte er in Erfahrung, dass Oliver ein Vollwaise war und Pilot war, seit die Angriffe der Outrider vor einigen Jahren wieder eingesetzt hatten. Der große Hüne hatte jede Menge Erfahrung in der Luft, es gab nichts, das er noch nicht gesehen hatte. Das Wissen, das Oliver mit sich herumtrug, war mehr als Gold für den Japaner wert und er hätte wirklich viel von Olis Erfahrung mitnehmen können, aber der streikte tatsächlich. Saber kam zu guter Letzt zu dem Schluss, dass Fireball Oli bei seinem Ego packen sollte und den Großen einfach in die Planungen für die Übungsflüge einbinden sollte. Fireball sollte seine angeblichen Schwächen, die er mangels Alter durchaus haben konnte, zugeben und Oliver um Hilfe bitten.

Die beiden Männer saßen eine ganze Weile in dem Cafe und unterhielten sich hauptsächlich über die Staffel und Ramrod. Sie waren in ihr Gespräch so vertieft, dass sie alles um sich herum vergaßen. Zwei gute Freunde saßen dort an einem Tisch am Fenster, jeweils ein gefülltes Glas vor sich und diskutierten. Erst nach Einbruch der Dunkelheit begannen sie sich voneinander zu verabschieden. Fireball wollte wissen, während er den Kellner heranwinkte: „Wie lange seid ihr dieses Mal im Lande?“

Unwillig antwortete Saber: „Morgen Vormittag müssen wir wieder los.“

Der junge Hikari suchte nach seinem Portemonnaie und fand es zu guter Letzt in der Innenseite seiner Jackentasche. Er bezahlte für sich und Saber die Rechnung, ehe die beiden aufbrachen. Während er hinter Saber das Lokal verließ, murmelte er unglücklich: „Ihr könntet ruhig öfter hier vorbeischneien.“

Fireball war nie sehr lange von seinen Freunden getrennt gewesen seit sie sich kennen gelernt hatten, umso schlimmer war es nun für ihn, die drei kaum noch zu sehen. Von regelmäßig sprach da noch niemand. Er merkte oft und vor allem abends, dass sie fehlten. Niemand war nach Einbruch der Nacht noch hier, der sich mit ihm zusammen gesetzt hätte und den Tag mit ihm ausklingen ließ. Klar, Martin war da, aber wie gesagt, der Brasilianer zählte noch nicht zu dem erlesenen Kreis. Und auch, wenn das Feierabendbier mit einem Rubario bekömmlich war, so konnte sich der Wuschelkopf durchaus vorstellen, dass Alessa ihren Liebsten auch mal gerne eher zuhause hatte.

Die beiden Männer traten in den Spätsommerabend hinaus und machten sich gemeinsam auf den Weg zurück ins Oberkommando. Fireball hatte dort noch Arbeit liegen lassen und Saber musste von Ramrod noch etwas holen. Der Schotte musterte Fireball. Auch wenn er es nie laut zugeben würde, der kleine Japaner fehlte ihm. Es war mit Alex keinesfalls schlechter an Bord, nur eben anders und noch lange nicht so eingeschworen, wie früher. Saber dachte an ihre Reise in die Vergangenheit. Es war ein unfreiwilliger und langer Zwischenstopp in einer Zeit gewesen, in die sie nicht gehört hatten und das hatte seine Spuren hinterlassen. Sie hatten sich alle verändert. Der eine mehr, der andere weniger, aber durch die Bank waren sie alle reifer geworden. Ihre Freundschaft hatte sich weiterentwickelt. Besonders die zwischen ihm und Fireball. Saber konnte nicht sagen, ob es an der Reise in die ungewöhnliche Zeit lag oder an der Versetzung, er wusste lediglich, dass aus den ratsuchenden Gesprächen schleichend Erfahrungsaustausch geworden war.

Saber nickte, während er auf Fireball wartete, bevor sie Seite an Seite zurückgingen: „Wir wären gerne öfter hier.“

„Vieles wäre einfacher“, seufzend steckte Fireball seine Hände in die Hosentaschen und zog die Schultern hoch. Er genoss die Ruhe, die der Recke ausstrahlte, sie ließ einen Teil der Hektik der letzten Wochen verschwinden. Der Japaner war sich sicher, wenn Saber, April und auch Colt öfter und länger hier wären, er würde sich nicht so ausgebrannt fühlen, wie im Augenblick. Sie zerrten an allen Seiten an ihm, alles entzog ihm Kraft, aber nichts war hier, das ihn auf Dauer wieder stärkte. Nach einem kurzen Blick zu Saber fuhr er fort: „Mir macht die Arbeit hier keinen Spaß. Jeder Tag ist aufs Neue eine Qual. Ich sitze beinahe täglich bis spät in die Nacht an dem verfluchten Papierkram und trotzdem wird die Zettelwirtschaft auf meinem Schreibtisch nicht weniger. Meine Abende sind ziemlich eintönig geworden. Mir fehlt das allabendliche Zusammensitzen mit dir und den anderen.“

Saber lauschte abermals aufmerksam. Nun mehr noch als zuvor, denn das hier war noch wichtiger als die Probleme mit seiner Staffel. Der Schotte blieb eine Weile schweigsam. Seine Sorgen waren nicht unbegründet gewesen, sein Instinkt hatte ihn nicht im Stich gelassen. Allerdings fragte sich Saber nun, weshalb Fireball gar so einsam klang. Seine Informationen besagten etwas anderes: „Ich dachte, Martin würde das ein oder andere Mal mit dir um die Häuser ziehen.“

„Ja, schon“, gab Fireball wahrheitsgemäß zu.

Mittlerweile war er sogar schon bei Martin und Alessa zuhause gewesen, die junge Rothaarige hatte es nicht auf sich sitzen lassen, dass Fireball sie versetzt hatte und schon am nächsten Abend wieder für Martin und seinen Captain gekocht. Aber der Pilot fühlte sich nicht übertrieben wohl in der Wohnung der beiden. Alessa hatte ihn herzlich empfangen, ihn gleich ohne Scheu in eine warme Umarmung genommen, kaum war er hinter Martin eingetreten. Martins Lebensgefährtin hatte ihn in der Familie willkommen geheißen, und sich die größte Mühe gegeben, ihm das Gefühl der Fremde sofort zu nehmen. Aber Fireball hatte sich nicht sonderlich erwärmen können. Er war Fremden gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen und stand ihnen freundlich gegenüber, aber Distanz behielt der Japaner immer bis zu einem gewissen Grad. Fireball war erstaunt darüber gewesen, wie viel Alessa schon von ihm gewusst hatte und wie neugierig und wissbegierig sie dennoch war. Ihre Neugier und ihr Interesse an ihm als Mensch war ehrlich gewesen, das hatte er sofort bemerkt. So war auch Martin. Aber er kannte die beiden zu wenig, um sich auf vollkommene Ehrlichkeit einzulassen. Und dann war da beim Essen noch etwas vorgefallen, was Fireball im Moment absolut nicht vertrug. Das hätte er auch bei Colt und Saber nicht ausgehalten. Obwohl Martin und Alessa schon zehn Jahre ein Paar waren, turtelten die beiden bei jeder Gelegenheit miteinander als ob sie sich erst vor Kurzem kennen gelernt hätten. An sich war das nichts Schlechtes, nein, es war sogar wunderschön. Aber jemandem wie Fireball, dem das Herz langsam in Stücke bröckelte, wenn er April immer wieder nachsehen musste, tat das in der Seele weh. Zudem hatte sich dann immer das Gefühl eingeschlichen, er würde die ganze Zeit über dazwischen funken. Das tat Fireball seiner Meinung nach allerdings schon genug mit den erbärmlichen Arbeitszeiten, die Martin deswegen hatte.

„Oh, man“, Saber konnte sich ein schelmisches Schmunzeln nicht verkneifen. Er stieß Fireball leicht in die Seite und zwinkerte ihm zu: „Das hört sich für mich eher so an, als bräuchtest du dringend mal weibliche Gesellschaft. Du musst mal aus den Tretmühlen hier raus. Wieso verabredest du dich nicht mit einem netten Mädel aus der Gegend?“

Fireball sah verblüfft zu Saber auf. Moment, was war denn jetzt kaputt? Saber hatte wohl eindeutig zu viel Zeit mit Colt verbracht. Okay, gut, der Cowboy hätte es noch eindeutiger gesagt. Aber von Saber eine solche Aufforderung zu hören, war schon mehr als nur seltsam. Der Japaner spürte, wie ihm heiß wurde. Wie kam er aus der Nummer jetzt nur heil raus, ohne sich zu verraten? Fireball strich sich mit der rechten Hand die störrische Haarpracht aus den Augen und brummte frustriert: „Keine Nerven für so was. Außerdem kann man sowas keiner halbwegs vernünftigen Frau zumuten.“

Er musste dieses Gesprächsthema gleich im Keim irgendwie ersticken, Fireball fürchtete sich zu Recht davor, dass Saber in Windeseile herausfinden könnte, was wirklich Sache war. Saber war ein Freund, er und Colt waren seine besten Freunde, aber auch ihnen wollte er nicht sagen, dass er sich in April verliebt hatte. Er wollte Saber und Colt nicht in die Zwickmühle bringen. Sie waren alle vier Freunde, aber auch in der selben Einheit und wenn Saber nur halb so pflichtbewusst war, wie er immer tat, würde er mit blutendem Herzen bei Commander Eagle aufmarschieren und es melden. Das wollte Fireball ihm ersparen. Da war es allemal besser, den Säbelschwinger in dem Glauben zu lassen, die Unschuld vom japanischen Lande wüsste nicht, wie man ein hübsches Mädchen umgarnte. Und wenn es nur für eine Nacht war.

In der Tat. Saber zog die Augenbrauen hoch und versuchte sein Grinsen zu verbergen. Er hustete verlegen. Seine Augen allerdings blitzten schelmisch auf: „Du willst mir doch nicht weis machen, dass keine einzige hier bei deinen braunen Äuglein schwach wird? Ach, komm schon, Fireball. Was ist denn schon dabei, wenn du mal mit einem hübschen Mädchen Essen gehst? Du tust ja fast so, als müsstest du jemandem treu sein.“

Fireball stolperte fast, als er Sabers Worte hörte. Zu allem Überfluss wurde er jetzt auch noch rot im Gesicht. Er spürte es ganz deutlich, wie er heiß wurde. Verlegen sah er zu Boden: „Treu muss ich maximal meinen Befehlsverweigerern sein. Aber… Im Ernst, Saber. Ich kenn keine einzige Frau, die sich beim ersten Date schon versetzen lassen würde. Und nichts anderes wird passieren. Ich komm nie pünktlich aus meinem Büro.“

„Dann lass dich von ihr abholen“, Saber lachte leise. Da war offensichtlich Hopfen und Malz verloren. Immer noch schmunzelnd klopfte er Fireball auf die Schulter: „Himmel, Kurzer! Es sagt ja keiner, dass du das Mädel dann gleich heiraten musst! Sie soll dich doch nur mal auf andere Gedanken bringen.“

Eine Spur dunkler ging das Rot noch in Fireballs Gesicht. Er räusperte sich und wehrte doch lächelnd ab: „Will ich wissen, von welchen anderen Gedanken du sprichst, edler Schwertschwinger?“

Saber lachte amüsiert auf. Zumindest hatte er es geschafft, seinem Kumpel die trüben Gedanken zu verscheuchen. Allerdings wollte der Recke nicht verstehen, weshalb sich Fireball gegen weibliche Bekanntschaften zu wehren schien. Hatte der Schotte vielleicht etwas verpasst, oder hatte ihm Fireball nicht alles erzählt. Saber startete einen letzten Versuch, dem Japaner eine aufschlussreiche Aussage zu entlocken: „Sag mal, Fireball. Kann es sein, dass du da schon jemanden kennen gelernt hast? Ich meine, niemand sagt, dass es dich glücklich erwischt haben muss, aber die Vermutung liegt doch gerade ziemlich nahe.“

Wie auf Kommando blieb Fireball die Luft weg und er starrte Saber mit großen Augen an. Oh, wie er es hasste, wenn der Schotte ihn nach nicht mal fünf Minuten schon halb überführt hatte. Aus der Nummer kam er nun nicht mehr heil raus. Also musste sich der Pilot etwas anderes einfallen lassen. Schnell einen traurigen Gesichtsausdruck zur Schau gestellt und gehofft, dass Saber ihm das abkaufte. Obwohl, genauer darüber nachgedacht, das musste klappen. Den traurigen Ausdruck musste er nämlich nicht spielen. Fireball dachte einfach an den letzten Abschied von der Blondine. Er biss sich auf die Lippen und gönnte Saber den Sieg nach Punkten: „Sieht man mir das an? Ist ja einfach schrecklich. Es gibt da tatsächlich jemanden, nur… Naja“, Fireball seufzte und spielte seine Jugend und Unwissenheit aus, das musste jetzt einfach hinhauen: „sie interessiert sich nicht für mich. Es soll wohl nicht sein und vielleicht ist es besser so. Ich hätte ja doch keine richtige Zeit für eine Freundin.“

Saber nickte verstehend. Er legte Fireball einen Arm um die Schultern und gestand ihm zu: „Das muss nicht so bleiben. Vielleicht wird es besser, wenn du deine Staffel besser im Griff hast. Die Liebe kommt dann schon von ganz allein.“

Fireball nickte ergeben, wohlwissend, dass es nur besser werden würde, wenn einer von beiden kündigte. Aber das würde er Saber bestimmt nicht sagen. Die beiden Männer trennten sich vor dem Bürogebäude endgültig. Fireball umarmte Saber kurz und schmunzelte: „Mach’s gut, Major Rider. Pass auf deine drei Angestellten auf. Ich will keine Klagen über dich hören.“

Dabei zwinkerte er schelmisch. Man würde nie über Saber Beschwerden hören, denn es würde nie Grund zur Beschwerde geben. Der Recke war einfach zu perfekt.

Saber klopfte ihm lachend auf den Rücken: „Selbiges gilt für dich, Captain Hikari. Pass auf dich und deine Piloten auf. Ich möchte auch in Zukunft auf die Hilfe der Air Strike Base zählen können. Vernichte nicht zu viele Tragflächen mit deinem Betonschädel.“

„Ich geb‘ mir Mühe, Säbelschwinger, ich geb‘ mir Mühe“, er warf einen Blick zu seinem Büro hoch und murmelte mit hängen gelassenen Schultern: „Richte den anderen schöne Grüße aus. Ich befürchte, ich werde Colt und April auch dieses Mal nicht zu Gesicht bekommen.“

Saber schüttelte den Kopf: „Ich schick sie dir vorbei. Vorausgesetzt, Colt kann sich von Robin loseisen. Wir bringen morgen einfach Frühstück mit, bevor wir aufbrechen.“

viel verändert sich, eines bleibt

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Busenfreunde

Was genau an diesem Abend begonnen hatte, wusste niemand, auch die beiden Hauptbeteiligten nicht. Es war passiert und war das gewesen, was beide gewollt hatten. Ihre Freundschaft hatte eine neue Phase beschritten.

Allmählich, endlich, wurde der Tagesablauf für Shinji etwas mehr Routine. Alles lief mittlerweile in Bahnen, die annehmbar waren. Zwischen seiner Crew und ihm gab es kaum noch Schwierigkeiten, mit den Kollegen der anderen Bases kam er hervorragend aus und auch mit seinem Vorgesetzten war alles in Ordnung. Gut, was hätte zwischen ihm und Commander Eagle schon schief laufen sollen? Beruflich war zwischen den beiden alles geklärt.

Fireball hatte dennoch nicht viel Zeit für sich selbst. Der administrative Kram hielt ihn leider immer etwas zu lange auf und so kam es nicht selten vor, dass eine gewisse Rothaarige bei ihm anrief und lachend verkündete, er solle seinen Hintern endlich zu ihnen bewegen. Alessa kümmerte sich nicht nur um Martins leibliches Wohl, sondern auch um Fireballs und avancierte von Zeit zu Zeit eher zu einer Mutterfigur als zur Freundin eines Bekannten. Diese Frau hatte ein übertrieben großes Herz und gab sich wirklich alle Mühe, den Captain ihres Liebsten gnädig zu stimmen. Zumindest warf Fireball ihr das manchmal augenzwinkernd vor, wenn sie ihm und Martin wieder irgendeine Köstlichkeit in die Arbeit brachte.

Wenn Martin das Gefühl hatte, dem humorvollen Captain bliebe wieder einmal das Lachen im Hals stecken, dann entführte der Brasilianer ihn einfach. Er musste mittlerweile nicht mal mehr besonders darauf achten, er richtete sich einfach nach Ramrod. Ja, es klang böse und auch hart, aber Martin hatte schnell gemerkt, dass der Kummer des Captains am größten war, wenn Ramrod abhob. War die Crew des Friedenswächters im Lande, brauchte er keine Ablenkung. Es gefiel Martin nicht, aber so war es. Martin nahm es zwar hin, das hieß aber nicht, dass er sich keine Gedanken darüber machte. Immerhin hatte ihm sein Vater viel erzählen können und beinahe alles konnte er eins zu eins auf Fireball ummünzen. Das war zwar seltsam und irgendwie auch unheimlich, aber Martin war dankbar für die guten Tipps.
 

An diesem Abend saß eine große Runde am Tisch in einem netten kleinen Lokal. Ein Blick in die kleine Gaststätte genügte, es saßen nur Piloten mit ihren Mädels dort. Es wurde gelacht, nach dem Essen auch getanzt und getrunken.

„Das nächste Mal bringst du aber auch eine Begleitung mit, Babyboy“, Stan legte demonstrativ den Arm um eine hübsche Blondine und drückte ihr einen Schmatzer auf die Wange. Der Blonde kannte in dieser Hinsicht nicht viel Schamgefühl und wer jetzt dachte, das wäre seine Freundin, der hatte sich getäuscht. Stan hatte das süße Ding vor einer guten halben Stunde erst aufgetan und versuchte nun auszuloten, was an diesem Abend noch drin war.

Fireball grinste und schüttelte amüsiert den Kopf. Er warf einen Blick in die Runde. Da hatte er schon so eine Mannschaft ausgefasst. Aber wahrscheinlich stimmte auch hier nur wieder das alte Sprichwort: jeder bekam das, was er verdiente. In dem Fall musste der Haufen, der sich mit ihm abgab, zwangsläufig so disziplinlos sein, wie er selbst. Der Japaner nahm einen Schluck von seinem Bier und konterte dann verhältnismäßig trocken auf Stans Spruch: „Ich brauch keine Begleitung, die mich optisch aufputzt. Bin nämlich selber hübsch genug.“

Dabei zwinkerte er die Blondine in Stans Arm schelmisch an, die daraufhin geschmeichelt zu kichern begann. Sie hatte dieses Kompliment schon richtig verstanden.

Gott, wie naiv waren die Frauen in Stans Umgebung eigentlich alle? Alessa, die es sich an diesem Abend auch nicht hatte nehmen lassen, die Piloten mal wieder zu begleiten, schüttelte den Kopf und hob resignierend die Schultern. Aber zumindest amüsierte sich auch Fireball und das war der zierlichen Rothaarigen gerade wichtig. Sie hatte immer wieder bemerkt, dass Martins Captain nicht so war, wie es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Dies bestätigten ihr auch Martins Erzählungen. Humorvoll und ein kleiner Schelm mochte er sein, wem das nicht auffiel, der achtete einfach zu wenig auf dieses umwerfende Lächeln und die sprühenden Augen, die Fireball durchaus hatte. Aber der Japaner hatte auch eine andere Seite. Manchmal schien er vor Kummer den Glanz seiner Augen vollkommen einzubüßen.

Aber heute war nicht so ein Tag. Alle waren gut drauf und hatten ihren Spaß. Ausnahmslos alle. Martin entführte seine Alessa irgendwann auf die Tanzfläche. Er hatte in den letzten Wochen und Monaten nicht viel von seiner Herzdame gehabt, die wenige Zeit wollte er mit ihr in vollen Zügen genießen. Schwungvoll drehte er seine Freundin und tanzte mit ihr einen Song nach dem anderen. Die beiden waren in ihrem Element.

„Yeha! Ich wusste, die Piloten feiern die besten Feste, feiern sie doch!“, mit diesen Worten machte Colt auf sich aufmerksam, als er mit seinen Freunden mitsamt Partnerinnen durch die Tür der Gaststätte trat. Sie waren am späten Nachmittag bereits gelandet, aber von der Air Strike Base 1 war da schon niemand mehr auf dem Stützpunkt zu sehen gewesen. Wie er von der Vertretung erfahren hatte, war es wohl so etwas wie zwei Mal im Jahr eine Pflichtkür der Piloten, miteinander auszugehen. Nun stand der Cowboy an vorderster Front, seine Herzallerliebste Robin an der Hand und den blonden Recken zur Stärkung im Rücken. Colt hob seine freie Hand und deutete der ganzen Bande zum Gruß. Er lachte übers ganze Gesicht. Ihren Feuerball fand man neuerdings immer öfter bei einem Feierabendbier, wie es schien.

Oliver hob ebenfalls seine Hand und grüßte die sechs Neuankömmlinge auf seine Weise: „Hey, Schmalspurhaubentaucher! Wir können auch noch andere Sachen besser als die Spezialeinheit. Lass mich fünf Minuten mit deiner Herzdame alleine und sie wird dir das bestätigen können.“

Währenddessen konnten Alessa und Martin beobachten, wie sich Fireballs Mimik stetig veränderte. Grade hatte er noch gelacht, dann hatte er offenbar gedacht, sich verhört zu haben, als er Colts Stimme gehört hatte. Selten aber doch kam es schon mal vor, dass der Captain der Air Strike Base nicht wusste, wann Ramrod wieder nach Yuma kam, so wie Martin das bemerkte. Dann stellte der junge Spund sein Bier ab linste doch in die Richtung, aus der seine Freunde kamen. Überrascht sprang er auf und begrüßte sie mit einer herzlichen Umarmung, natürlich Ladies first. Obwohl sowohl June als auch Robin auf Yuma wohnten, sah Fireball die beiden auch nicht wirklich oft. Umso mehr freute er sich, alle auf einen Haufen wieder um sich zu haben. Es bedeutete Balsam für die Seele, das konnte er immer noch brauchen.

Als Fireball April umarmte, fiel sein Blick auf Alex, der wie ein Schatten hinter April stand und den Piloten mit finsteren Augen beobachtete. Bisher hatte sich Fireball gut mit dem neuen Piloten für Ramrod verstanden, auf so manchen Trainingsflügen hatten sie viel Spaß zusammen gehabt. Nur jetzt, das bemerkte Fireball an dessen griesgrämigen Blick, schien sich das bei Alex geändert zu haben. Davon etwas irritiert streckte er dem Italiener schließlich die Hand hin, ehe er Colt und auch Saber freundschaftlich empfing: „Dann kommt mal richtig rein in die gute Stube. Und beeilt euch mit den Getränkebestellungen. Die durstige Meute säuft euch sonst alles weg.“

„Das seh ich“, grinsend schob sich Colt in die Bank und schaffte noch Platz für Robin, June und Saber. Sogar für April und Alex war noch Platz an dem gemütlichen großen Tisch, der Hobbyrennfahrer allerdings musste sich von irgendwoher noch einen Stuhl holen.

Als der Cowboy sah, wie Fireball sich über den Tisch beugte und seine Bierflasche, die an seinem alten Platz zurückgeblieben war, an sich nahm, gab es für Colt beinahe kein Halten mehr. Er wollte mal sehen, wie viel Humor das Pack der Air Strike Base 1 wirklich hatte. Sie kannten sich zwar nicht gut, aber das hielt den Kuhhirten im Normalfall nicht davon ab, einen lockeren Spruch raus zu lassen. Er nickte zu Fireball hinüber und stellte offen in die Runde fest: „Jetzt ist unser Kleiner immer noch ein Flaschenkind! Wir haben ihn doch zu euch abgegeben, damit aus ihm mal ein Mann wird.“

Schallendes Gelächter erfüllte die Bar. Ausnahmslos alle grinsten und bogen sich vor Lachen. Wenn das mal kein guter Spruch gewesen war. Sogar Alessa lachte lauthals auf. Ihr wurde klar, dass Fireball lediglich eine kleine Gruppe vorlauter Freunde gegen eine große Gruppe ebenso vorlauter Piloten eingetauscht hatte. Demnach hätte er sich schneller in der Einheit einleben müssen, als er es schlussendlich getan hatte.

Colt brauchte nicht lange auf eine Antwort zu warten. Stan langte nach dem Hut des Cowboys und nahm ihm diesen ab. Steiles Teil, das gefiel auch dem Skandinavier. Colt war für die Kopfbedeckung im Oberkommando bekannt wie ein bunter Hund, außer ihm trug in Yuma keiner einen solchen Hut. Stan setzte sich Colts liebstes Stück probeweise auf und kommentierte dessen Feststellung: „Ihr kriegt ja wirklich nichts mit. Was glaubst du wohl, weshalb er unser Babyboy ist und bleibt? Wir haben gar nicht erst versucht, ihm die Flasche abzugewöhnen, nur den Inhalt haben wir modifiziert“, ernst fügte er hinzu: „An der Trinkfestigkeit allerdings arbeiten wir noch. Vertragen tut er nicht viel.“

Martin schaltete sich da sofort ein, mit einem neckischen Augenzwinkern auf seinen Captain: „Wir sollten es nicht herausfordern. Shinji ist ein ganzes Stück jünger als wir hier, in einem halben Jahr hat er das Defizit auch aufgeholt. So wie alles andere.“

„Ich bezweifle ja, dass er in sein Offiziersdress irgendwann noch mal reinwächst, aber bitte“, Oliver verschränkte die Arme vor der Brust. Wieder einmal ließ der Kroate keine Gelegenheit aus, alle unterschwellig darüber zu informieren, dass er ihren Captain immer noch für zu jung hielt. Aber zumindest war er seit geraumer Zeit soweit, Fireball als Rudelführer akzeptiert zu haben. Jung mochte der Kleine ja sein, aber verdammt, er hatte es faustdick hinter den Ohren. Oliver zwinkerte ebenfalls.

Colt wollte gerade noch ein bisschen weiter rein sticheln und versuchen, so etwas aus den neuen Bekannten raus zu bekommen, da meldete sich auch der Angesprochene selbst zu Wort. Er deutete Oliver, seine Bewegungen einen Augenblick mal aufmerksam zu verfolgen. Mit dem hart erkämpften Selbstbewusstsein eines Captains ließ er den Stänkerer wissen: „Hier“, er zeigte auf den Bizeps: „muss man’s nicht unbedingt haben, Großer. Aber hier“, Fireball zeigte auf den Kopf: „Köpfchen muss man haben, dann klappt’s auch mit dem Überleben in so einem wilden Rudel Wölfe, wie ihr eins seid.“

Wie zum Beweis reckte Stan den Kopf in die Höhe und begann zu jaulen. Sofort stimmten auch die anderen Piloten und Pilotinnen seiner Staffel mit ein. Fireball nahm kopfschüttelnd noch einen Schluck vom Bier, zwinkerte April kurz unauffällig zu und bemerkte dann trocken: „Sie denken, sie wären große böse Wölfe. Aber eigentlich sind sie kleine, ganz niedliche Welpen. Und der Welpe mit den größten Kulleraugen ist eindeutig unser Martin“, der japanische Wirbelwind lachte Alessa und Martin entgegen, stupste seine rechte Hand sogar an und verkündete verschwörerisch: „Nicht wahr, Marty?“

Der wollte schon zu Protest ansetzen, als Alessa ihm ins Wort fiel. Sie nahm Martins Hand in ihre und verkündete ungerührt: „Du lenk mal nicht vom Thema ab, Babyboy. Der Welpe mit dem treuesten Hundeblick sitzt mit Vorliebe nachts über Berichten und brütet an irgendwelchen Taktiken.“

Ertappt wich Shinji etwas nach hinten. Was hatte Alessa jetzt nur vor? Nach Mitleid brauchte sie in dieser Einheit nicht zu suchen, die hatte keines. Und seine Freunde wussten, wie arm er tatsächlich war. Nämlich gar nicht. Diese These bestätigte postwendend auch April. Als der Spruch mit den treuesten Augen kam, senkte April kurz den Blick. Diese unheimlich braunen Augen blieben wohl keiner Frau verschlossen. Dann zwinkerte sie Fireball schüchtern an: „Moment mal. Das kann nicht unser Fireball sein. Unser Captain hat mit Brüten nicht viel am Hut gehabt.“

Ehe Fireball diese Worte als Unwahrheit zerschlagen konnte, meldete sich Saber zu Wort. Der Schotte war bisher ruhig geblieben, hatte vor allem Robin und June niveauvoll unterhalten und ein Glas Weißwein getrunken. Er hatte eine Weile zugehört, was die neuen Freunde da zusammen faselten, und nun schlug der Highlander gnadenlos zu: „Da muss ich dir leider widersprechen, liebe April. Auch losstürmen ist eine Form von Taktik und will ausgebrütet werden.“

Da hatten sie wieder was angefangen. Im Nu entbrannte eine wenig ernsthafte Debatte darüber, was alles als Taktik durchging. Alex beobachtete das alles aufmerksam wie argwöhnisch. Vor allem den ehemaligen Captain von Ramrod hatte er im Auge. Jeden von Aprils unauffälligen Annährungsversuchen hatte Fireball bisher ignoriert und augenscheinlich wichtigeres zu tun gehabt, als ihr einmal in die traurigen Augen zu schauen. Der falsche Fünfziger hielt April hin, wahrscheinlich würde er sich erst mit der Blondine befassen, wenn niemand mehr in der Nähe war oder ihm gerade danach war. Das regte den Italiener maßlos auf. So ein gleichgültiger, verwöhnter Fratz! Da hatten die Jungs nach ihrem ersten Eindruck schon recht gehabt. Fireball besaß keinen Anstand, ansonsten würde er mit April keines dieser Spielchen spielen. Wahrscheinlich hatte der kurzgeratene Japaner während Ramrods Abwesenheit eine andere hübsche Frau in seinem Bett. Kein Captain saß nächtelang über Berichten, der kleine Tunichtgut wälzte eher etwas anderes über dem Schreibtisch.
 

Irgendwann war es mit Alex‘ Ruhe dann vorbei. Er schob sich mit einem charmanten Lächeln neben April aus der Bank, bekundete seine Unpässlichkeit und dass er gleich wieder da wäre. Im Vorbeigehen stieß er Fireball unauffällig an und flüsterte ihm zu: „Auf ein Wort, Tiefflieger.“

Kaum war Alex verschwunden, schob auch Fireball seinen Stuhl zurück und stand auf. Er entschuldigte sich, denn auch Flaschenkinder müssten mal das stille Örtchen aufsuchen und versprach, bald wieder mit am Tisch zu sitzen.

Fireball war sich nicht sicher, was Alex mit ihm zu besprechen haben könnte, allerdings waren ihm die teils missbilligenden Blicke des Italieners nicht entgangen. Was auch immer los war, es war Alex ein Anliegen, es sofort zu klären.

Alex wartete bereits draußen auf dem Gehsteig vor der Kneipe auf Fireball und war sich sicher, dass sich kein Pilot oder Colt hier raus verirren würde, solange es genug flüssige Nahrung drinnen geben würde. Bitterböse funkelten Alessandros Augen, während er die Arme vor der Brust verschränkte.

Fireball blieb dieser eisige Empfang nicht verborgen. Das bedeutete nichts Gutes. Der Wuschelkopf beobachtete, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel und die beiden Piloten vom Rest der Gesellschaft trennten. Er ging mit einem Lächeln auf Alex zu: „Du wolltest ein Wort, du kriegst eins.“

Alex biss die Zähne aufeinander. Bei der Selbstverständlichkeit von Fireball würde er bald laut werden. Was bildete sich der junge Scheißer eigentlich ein? Alessandro glaubte nicht, dass Fireball nicht merkte, weshalb er ihn raus zitiert hatte. Ramrods neuer Pilot trat auf den jüngeren zu und gab gereizt zurück: „Ich habe hoffentlich mehr als nur ein Wort von dir zu erwarten. Einsilbig bist du ja nicht, oder Kurzer? Was fällt dir alles zu April ein?“

„Kommt ganz drauf an, was du wissen willst, Alex“, er lehnte sich gegen einen Stuhl des Gastgartens und versuchte sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Fireball konnte sich gut vorstellen, dass Alex etwas über ihn und April wissen wollte. Ramrod war klein und eng, man konnte kaum ausweichen und jemandem aus dem Weg gehen. Bestimmt, und das war für Fireball selbstverständlich, hatte Alex April das ein oder andere Mal weinen gesehen. Er kannte die Blondine, wusste, mit welchen Gefühlen sie ihn immer wieder verließ. Darauf war er nicht stolz, aber andererseits ließ April ihn mit ebenso schlechten Gefühlen hier zurück.

Der Italiener stieß einen knurrenden Laut aus. Der fing jetzt schon mit Ausweichmanövern an, wo sollte das dann enden, wenn Alex wirklich was wissen wollte? Oh man, würde er in April nicht ein so nettes Mädchen sehen und sie so sehr mögen, wäre ihm das alles wahrscheinlich genauso egal, wie bei Stan. Der hatte doch auch alle Tage eine andere und das hatte Alex nie wirklich gekümmert. Aber nun war das anders. April hatte den Beschützer in Alex geweckt, das hatte sie auch bei Colt und Saber, ohne Zweifel, aber in der Hinsicht waren die beiden älteren Kollegen einfach betriebsblind. Die hätten wahrscheinlich noch nicht einmal gemerkt, was zwischen dem Piloten und der Navigatorin lief, wenn der Japaner weiterhin auf Ramrod geblieben wäre. Aber Alex hatte es bemerkt, weil er mit fremden und frischen Augen in diese Einheit gekommen war und weil er sich Aprils Vertrauen hart erarbeitet hatte. Und jetzt war es für den neuen Piloten an der Zeit, dem jungen Womanizer die Leviten zu lesen und ihm Anstand beizubringen.

„Ich denke, du weißt sehr genau, was ich wissen will, Shinji. Nämlich das, was offiziell nicht ist“, forderte Alessandro ihn ein weiteres Mal auf, dieses Mal mit einem noch grimmigeren Gesichtsausdruck.

„Das ist auch inoffiziell nicht“, parierte Fireball augenblicklich. Er wusste selbst, dass das nicht so war, aber das brauchte man einem eigentlich fremden Menschen nicht unbedingt mitzuteilen. Die Gefahr, dass das im Oberkommando Wellen schlagen könnte, war einfach viel zu groß, sonst hätte Fireball schon längst selbst eine Lösung für April und ihn gefunden, mit der sie leben konnten. Doch für keinen kam eine Kündigung in Frage.

Nun pumpte sich massenweise Blut durch Alessandros Adern und er wurde sicherlich fünf Zentimeter breiter und furchteinflößender. Er baute sich bedrohlich vor dem Kleineren auf und wollte mit Nachdruck wissen: „Klar doch! Sie weint ja auch wegen Nichts und wieder Nichts grad immer dann, wenn sie von dir kommt. Erzähl doch keinen Scheiß!“

„Wir waren lange gute Freunde“, versuchte der Japaner zu erklären. Er wusste, so wie er es gesagt hatte, war es nicht einmal gelogen, und doch. Es war auch nicht die Wahrheit. Während er sich durch die Wuschelmähne fuhr, suchte er nach anderen Worten: „Ich meine, das sind wir auch jetzt noch. Nur sehen wir uns kaum noch. Das war früher anders. Sie hatte mich immer um sich, dass sie damit jetzt zu kämpfen hat und traurig deswegen ist, müsste sogar dir klar sein.“

Oh Man, Fireball sah sich schon in Teufels Küche deswegen. Er konnte Alex dabei nicht in die Augen sehen. Dafür würde Fireball im nächsten Leben als Wurm das Rad der Inkarnation über sich ergehen lassen müssen. Aber er sah keinen anderen Weg. April und er durften nicht, was sie taten, also gab es dieses seltsame Schauspiel auch nicht. Schon gar nicht vor Alex. Fireball erzählte es nicht einmal Colt oder Saber, dann würde er erst recht nicht auf die Idee kommen, zu Alex oder gar zu Martin zu gehen.

„Den Blödsinn von wegen gute Freunde kannst du jemand anderen aufschwatzen. Ich bin doch nicht blöd, Mann!“, nun war Alex der Kragen geplatzt. Er schoss nach vorne zu Fireball und stieß ihm die Faust gegen die Schulter. Das war ja wohl der Oberhammer! Er wusste zwar, dass es ihn im Grunde nichts anging und ihn schon gar nicht persönlich betraf, aber trotzdem regte es ihn maßlos auf. Wie sollte er dem Amateurliebhaber eintrichtern, dass man so etwas nicht machte, schon gar nicht mit einer Kollegin und guten Freundin? Eigentlich sollte er dem Hampelmann einfach gepflegt ein wenig Verstand einprügeln, aber das war nicht Alex‘ Art. Auch, wenn er es gerade gern getan hätte. Also mussten mal wieder Worte genügen. Eloquent genug dafür war Alessandro schließlich: „Ist schon klar, dass du mir jetzt diese Geschichte auftischt. Wir sind immer noch gute Freunde. Das mag auch bis zu einem gewissen Grad stimmen, aber ich wette mit dir, spätestens seit deiner Versetzung ist das nicht mehr so. Sogar ein Grünschnabel wie du sollte wissen, wie man eine Lady in keinem Fall behandelt.“

Der Rempler hatte sein Ziel nicht verfehlt. Alex hatte Fireball mit den Knöcheln genau an der Stelle des Oberarms erwischt, wo’s immer herrlich schön zog. Ganz klar, April hatte dem Piloten ein paar Selbstverteidigungskniffe beigebracht. Aber so, wie sich das anhörte, nicht nur das. April schien sich Alex anvertraut zu haben, und das auch noch in allen Details. Es war Zeit, in den Angriff über zu gehen. Wer war er denn, dass er sich von einem Freunden so was bieten lassen musste? Fireball stieß sich vom Stuhl ab und trat Alex erhobenen Hauptes gegenüber. Für ihn war klar: „Mir ist ziemlich egal, was du von mir hältst, oder auch nicht. Das, was du mir unterstellst, ist – wenn überhaupt – eine Sache zwischen mir und April. Ich wüsste also nicht, wieso ich irgendwas auf deine Anschuldigungen antworten sollte. Du kannst von mir aus ein Freund von April sein, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, mich hier anzugreifen. Wir beide kennen uns nicht.“

Ein gutes hatten die Auseinandersetzungen mit der Base wohl gehabt. Fireball ließ sich noch weniger als zuvor unterbuttern. Und, zugegeben, auch dem Spruch „Was einen nicht umbringt, macht einen nur härter“ konnte Fireball inzwischen einiges abgewinnen. Bei Colts Sticheleien war er nie so cool geblieben. Vielleicht aber auch nur deswegen, weil ihm der Viehtreiber einfach viel zu nahe stand.

Allerdings brauste Alex nun auf. Er fragte sich, wie der Eiszapfen da vor ihm zu dem Spitznamen Fireball gekommen war. Das musste doch wohl ein Versehen gewesen sein. Alessandro fauchte aufgebracht: „Die Sache geht mich sehr wohl etwas an, du Tiefflieger! Mir ist nicht egal, was du mit April machst. Fakt ist, dass du ihr weh tust und sie unglücklich damit machst. Deswegen kriegst du von mir den Rat, den ich dir als Freund von April gebe. Lass es sein, sonst werde ich ungemütlich.“

„Dann wär das also geklärt“, Fireball wollte sich schon abwenden, doch dann überkam es den Vulkan doch noch. Da war ein Funke namens Eifersucht hochgelodert. Für Fireball klang Alex ein Quäntchen zu energisch, was den Verdacht in ihm schürte, er könnte mehr von April wollen, als Freundschaft. Nun kam der Feuerball doch noch zum Vorschein, als er Alex erklärte: „Ich hab auch noch einen Tipp für dich. Als guter Freund von April sozusagen. Behalt deine Griffel auf Ramrod dort, wo sie hingehören. Nämlich an der Steuerung.“

Also doch! Hatte Alex richtig gelegen. Obwohl, das war auch keine Kunst gewesen, nachdem April doch mit der Sprache heraus gerückt war und ihm alles erzählt hatte. Und die letzte Reaktion von Aprils heimlicher Beziehung hatte zumindest eines bewiesen. Ganz egal schien Fireball April nicht zu sein. Alex allerdings war dadurch auch nicht mehr gnädig zu stimmen. Er stichelte nun noch nach: „Achso… Hm... Schon schade, dass du das nicht mehr kontrollieren kannst. Und als guter Freund von April wirst du sicher auch verstehen, dass sich April selbst aussucht, mit wem sie sich umgibt.“

„Du vergisst, dass du nicht von ihr ausgesucht worden bist“, knurrte Fireball in Alex‘ Richtung zurück. Er konnte diesen Kommentar nicht einfach schlucken. Nur war die Antwort nicht wirklich sachlich gewesen. Der neue Captain hatte mit Alex auf einen Schlag zwei Probleme bekommen. Und beide waren sie ihm erst jetzt aufgefallen und hingen mit April zusammen. Fireball sah nicht nur seine Felle davon schwimmen, was seine gute Freundschaft mit der Blondine betraf, sondern auch die Beziehung mit ihr. Der Pilot war bisher nie auf die Idee gekommen, dass Alex eine Bedrohung für ihn darstellen könnte. Tatsächlich hatte ihm das Auf-die-Finger-Klopfen von Alex gerade die Augen geöffnet und das gefiel ihm überhaupt nicht. Der nächste Kurzschluss war damit vorprogrammiert.

Alessandro konterte fies grinsend. Er wusste, dass er Fireball richtig angepackt hatte: „Ganz im Gegensatz zu dir. Ich vermute, das beweist, dass sich auch ein Genie wie April mal irren kann.“

Egal, was er gerade angestachelt hatte, Alex freute sich diebisch über den Erfolg. Er hatte etwas bewirkt, jetzt konnte der Italiener nur noch hoffen, dass der Captain der Air Strike Base seinen Kopf auch mal zum Nachdenken benutzte.

Der Rennfahrer entschied nun, das Gespräch zu beenden, sonst gab er vielleicht mehr Preis, als er wollte. Fireball wandte sich nun endgültig zum Eingang, die Laune merklich im Keller: „Das wird sich zeigen, Alex. Du solltest dich auf deine Arbeit mehr konzentrieren, sonst schrottest du Ramrod und gefährdest meine Freunde unnötig“, er atmete tief durch und wechselte das Thema. Fireball hatte so gerade noch die Kurve bekommen und nichts über April und sich verraten, hatte sich grade noch dienstlich zu einem Abschluss bewegen können und nun wollte er weder vom Einen noch vom Anderen noch was hören. Er nickte zur Bar hinein und wollte von Alex wissen: „Und jetzt ist Freizeit. Auch für dich. …Noch ein Bierchen mit deinen alten Kumpels?“

Eine Antwort wartete er allerdings nicht mehr ab. Fireball sah zu, dass er Land gewann. Den anderen dürfte ihre Abwesenheit ohnehin schon spanisch vorkommen. Noch mehr Zeit zu vergeuden war deswegen vor allem in Fireballs Interesse nicht angebracht. Martin würde ohnehin sofort sehen, dass etwas nicht stimmte. Der Brasilianer hatte diesbezüglich sogar so etwas wie einen siebten Sinn. Und der hieß nicht immer zwangsläufig Alessa.

Alex blieb noch kurz stehen, ehe er Fireball wieder zurück in die Bar folgte. Das war ungewöhnlich gewesen. Alex schüttelte ungläubig den Kopf und zuckte dann mit den Schultern. Das war nun wirklich nicht mehr sein Problem. Er hatte getan, was er für richtig und wichtig gehalten hatte und damit sollte sich sein Einsatz erledigt haben. Alex hatte sich für April stark gemacht, der verwöhnte Captain ging ihn nichts an.
 

Drinnen hatte der Spaß währenddessen die nächste Stufe erreicht. Colt hatte seine Zukünftige dazu überreden können, mit ihm das Tanzbein zu schwingen. Und Colt wäre nicht er selbst gewesen, wenn er nicht in guter alter Wildwestmanier mit ihr tanzte. Es hatte nicht lange gedauert, da hatten sich auch andere zum Square Dance auf der Tanzfläche eingefunden. Sie hatten definitiv Spaß an diesem eigenwilligen Tanz, denn alle trugen ein ausgelassenes Lächeln zur Schau.

Saber war lieber sitzen geblieben, obwohl June gerne das Tanzbein geschwungen hätte. Er hatte sie mit einem aufrichtigen Lächeln auf einen Walzer vertröstet. Ihm wären nicht alle Volkstänze geläufig. June hatte daraufhin ungläubig den Kopf geschüttelt. Ganz klar, Saber wollte sich nur nicht zum Affen machen. Nach all den Jahren musste er Colts Gebräuche und Sitten dann doch mal kennen, er hatte nur nach einer höflichen Ausrede gesucht.

April war ebenfalls sitzen geblieben, ihr war nicht nach Tanzen zumute. Sie unterhielt sich lieber mit Saber und June oder hie und da auch mal mit Alessa und Martin, die sich auch geweigert hatten, sich dem Gehopse anzuschließen. Hauptsächlich sprachen sie über die Arbeit, bisher waren sich Ramrod und die Air Strike Base selten in Einsatzbesprechungen begegnet und beide Seiten nutzten die Gelegenheit, die andere kennen zu lernen.

Martin allerdings nützte die Gelegenheit auch noch für etwas anderes. Der Brasilianer war aufmerksam und seit er nun wusste, dass da bei seinem Captain auch noch immer wieder mal Gefühle mit im Spiel waren, wollte er sehen, was er von April eigentlich zu halten hatte. Er konnte den Hitzkopf schon irgendwie verstehen. April war hübsch und klug, das bemerkte man spätestens dann, wenn man sich mit ihr unterhielt. Aber April war auch schlagfertig und bot jeden die Stirn. Sie hatte eine starke Persönlichkeit. Sie würde auch in der Air Strike Base überleben. Als Martin gerade noch etwas mehr Verständnis für Fireballs privates Fiasko aufbringen konnte, setzte sich jener wieder an den Tisch. Dem Schwung konnte man entnehmen, dass die Laune nicht mehr ganz so gut war. Fireball warf April einen flüchtigen Blick zu, dann griff er nach seinem Bier. Martin konnte den Blick zwar nicht deuten, April aber sehr wohl. Sie senkte sofort betroffen den Kopf. Kommunikation ohne Worte, die auch noch funktionierte und in dem Fall sagte ein Blick mehr als tausend Worte.

Kurz nach dem Wuschelkopf zwängte sich auch Alex wieder auf seinen Platz. Alessandro warf einen Blick in die Runde, ehe er grinsend kommentierte: „Hat der Rinderwahn da zugeschlagen?“

Saber nickte schmunzelnd: „Scheint, als wär ihm das Bier zu Kopf gestiegen.“

Und auch April konnte dem etwas hinzufügen: „Keine Angst. Solange er nicht mit Tequila anrückt, ist noch alles im grünen Bereich.“

Sie lächelte ebenfalls, doch Alex fiel sofort der traurige Hauch auf. Es war erstaunlich wie schnell der neue Captain Ärger machen konnte. Der war beinahe schneller als ein Outrider. Vielleicht konnte Alex seine Kollegin doch noch etwas aufheitern und ablenken. Er wollte gerade noch etwas zum Thema Tequila loswerden, da stand auch schon Colt am Tisch. Als ob man nach ihm gerufen hätte. Colt hielt grinsend ein Tablett voll mit Gläsern in Händen. Der Cowboy stellte es ab und begann unter vollem Körpereinsatz zu singen und im Takt mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln: „Babap Babababapap… Babap Babababapap… Babaaabap… Babaaapap… Tequila!“

Colt klopfte zwar zu seinen Lauten auf den Tisch, mit Takt hatte das allerding nicht viel zu tun. Aber es sorgte für gute Laune. Alle am Tisch grinsten, so manch einer schüttelte ungläubig den Kopf. Robin kommentierte das Verhalten ihres Liebsten: „Eigentlich schlimm, wenn man ihn so sieht. Noch dazu, wo er fast nüchtern ist.“

Saber schmunzelte und zerschlug alle Hoffnungen auf Besserung: „Dann sei froh, dass du ihn nie auf Ramrod und stocknüchtern erlebst.“

„Da ist er noch wesentlich schlimmer“, das hatte sogar Alex schon gelernt. Wenn der Cowboy seine wahnsinnigen fünf Minuten hatte, dann stellte er das von eben noch locker in den Schatten. Aber, zugegeben, es war jedes Mal wieder irre komisch. Es war eine Wohltat aus dem straff organisierten Alltag für eine Weile zu entfliehen.

April schielte auf das Tablett, das sich langsam aber sicher schon leerte. Wollte sie so widerliches Zeug trinken müssen? April grauste bei dem Gedanken daran. Noch ein schneller Blick zu Colt, der schon ein Schnapsglas in der Hand hielt und auf sie zusteuerte. Nö, bevor sie sich das Zeug geben musste, kratzte sie doch lieber die Kurve. Aber wenn sie das schon tat, dann ladylike. April mogelte sich aus ihrem Platz und entschuldigte sich mit einem zuckersüßen Lächeln: „Ihr verzeiht mir, wenn ich mir schnell das Näschen pudern gehe?“

Widerworte wären unhöflich gewesen, deswegen beschwerte sich auch niemand, als April aufstand und nach draußen verschwand. Nur schien April nicht die Einzige zu sein, die da gleich die Flucht ergriff, wenn es um Tequila und dessen Genuss ging. Colt schob nun Fireball ein Glas hin, dieser hob allerdings sofort die Hände und verzog angewidert das Gesicht. Während er den Stuhl nach hinten schob, erklärte er entschuldigend: „Sorry, alter Kuhtreiber, ich werde jetzt den Heimweg antreten. Ich hab morgen wieder einen vollen Terminkalender, der keinen Platz für einen Tequilakater lässt.“

„Jaja“, beinahe empört grummelte Colt vor sich hin. Er zog die Augenbrauen nach oben und stellte eine andere Hypothese auf, weshalb der kleine Wuschelkopf nicht Mittrinken wollte: „Du kriegst doch bloß nichts runter, was nicht aus Reis gebrannt worden ist.“

Fireball schmunzelte, während er sich wegdrehte: „Deswegen flutscht das Bierchen auch immer so gut runter, ja“, er wünschte allen einen schönen Abend und verabschiedete sich.
 

Hatte er vorhin doch richtig gesehen. April war nicht zur Toilette gegangen, sie hatte unauffällig den Weg an die frische Luft angetreten. Sie hatte nur keinen Tequila trinken wollen. Die Blondine stand auf dem Gehweg und sah sich um. Yuma war bei Nacht immer noch stark belebt, das konnte nicht jede Stadt von sich behaupten. Aber Yuma war ja auch das blühende Leben, der Leitstern des Neuen Grenzlandes.

Wohin sollte sie nun gehen? Oder blieb sie einfach nur ein paar Minuten hier draußen stehen und ging dann wieder zu den anderen hinein? April war sich nicht ganz sicher, was sie tun sollte. Einerseits hatte sie keine Lust mehr auf die Feierlaune dieser doch bedenklich großen Menschenansammlung, andererseits sah es auch merkwürdig aus, wenn sie von einem simplen Toilettenbesuch nicht wieder kommen würde. Und so, wie sie ihre drei Gefährten kannte, würde letzteres wohl zu einer unangenehmen Suchaktion und vielen Sorgen führen. April verschränkte die Arme vor der Brust und wippte etwas vor und zurück. Irgendwie wurde es herbstlich kühl.

Fireball stand noch in der Tür und beobachtete April. Er wusste nicht, was er gerade empfinden sollte. Der Pilot freute sich, April endlich wieder für eine zeitlang bei sich zu haben, aber andererseits brodelte da immer noch der Groll, den Alex kurz zuvor heraufbeschworen hatte. Der Japaner fasste sich ein Herz und ging auf April zu. Er blieb halb hinter ihr stehen und murmelte in einem angespannten Tonfall: „Die Toilette ist eigentlich im Keller der Kneipe.“

Er wagte es nicht, sie zu berühren, etwas schien seit ihrem letzten Aufeinandertreffen zwischen ihnen zu stehen. Zuerst hatte sie ihn in seiner Wohnung einfach stehen lassen und nun ließ sie ihn links liegen. Irgendwas war. Sie verhielt sich ihm gegenüber nicht wie sonst. Ja, ihre Situation war angesichts ihrer Heimlichtuerei eine unangenehme, aber der Wuschelkopf wurde das Gefühl einfach nicht los, dass Alex auch etwas mit Aprils unterkühlter Art zu tun hatte. Und das schürte nicht nur seinen Argwohn, sondern auch die Eifersucht.

Überrascht fuhr April zu ihm herum. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ihr jemand folgen würde. Aber eigentlich hätte sie es wissen müssen. Niemand hatte Fireball vorgewarnt, dass Ramrod nachhause kam, sie hatten alle damit überrascht und bisher hatte er noch keine Gelegenheit gehabt, sich mit ihr ungestört zu unterhalten. Obwohl, so schoss es der Blondine verbittert durch den Kopf, sie kannte sein ‚unterhalten‘. Drei Sätze, wenn überhaupt so viele, und sie würden in der Kiste landen. April verzog das Gesicht. Das war nicht der Sinn einer Beziehung. Das war gar nichts. Sie sah in seine funkelnden Augen und antwortete: „Ich weiß. Ich hab mich doch für die frische Luft entschieden. Und was treibt dich raus?“

Sie war unglaublich kühl zu ihm gewesen. Fireball konnte nur einen Schluss daraus ziehen. Er sah an seinen Militärklamotten hinab und ballte die Hände zu Fäusten. Fireball brauchte nicht mit April um den heißen Brei zu reden, oder sich behutsam an das Thema herantasten. Es brach knurrend und wieder einmal ohne Vorwarnung aus ihm hervor: „Was ist das mit Alex?“

„Wie bitte?!“, April hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Hatte er das so gemeint, wie er es gesagt hatte? Die Navigatorin hatte ihre Gesichtszüge in diesem Augenblick absolut nicht im Griff. Das war doch absurd. Mehr als das. Für April war es unvorstellbar.

Für Fireball allerdings nicht. Ihre Reaktion hatte ihn lediglich in seiner Vermutung bestätigt. Alles, was er im Moment vertragen hätte, aber das nicht. Hitzköpfig und völlig in Rage griff Fireball um Aprils Handgelenk. Er sah gerade rot, blutrot wenn er es genauer definieren müsste. Er war ersetzt worden. Nicht nur auf Ramrod, sondern so wie er die Situation gerade interpretieren konnte, auch und vor allem bei April. Er wusste nicht, welches Gefühl gerade mehr in ihm dominierte. Fireball war derjenige gewesen, der zurückbleiben hatte müssen. Er war es gewesen, der sich mit einer völlig neuen Situation vertraut hatte machen müssen und er hatte immer gedacht, April wäre seine Kraftquelle. Sie war der Fixstern an seinem Firmament nach dem er sich orientiert hatte. Wieso nur hatte er das mit Alessandro nicht bemerkt? Immer noch hielt er Aprils Handgelenk fest umschlossen, er wollte sie nicht loslassen. Fireball wollte seine Gefährtin, die ihm immer wieder Kraft und Zuversicht gegeben hatte, nach alledem nicht verlieren. Weder jetzt noch später. Er hatte bereits seinen Vater verloren, das war noch nicht lange genug her.

„Er ersetzt euch nicht nur den Piloten, oder?“

April spürte den Druck um ihr Handgelenk ganz deutlich. Sie hatte zu langsam reagiert, als er nach ihr gegriffen hatte und nun würde sie von seiner Umklammerung so schnell nicht mehr frei kommen. Aber wenigstens war ihr nun nicht mehr kalt. Sie konnte Fireballs Hitze förmlich spüren. Nur mit einem tat sich die Blondine schwer. Sie verstand ganz einfach kein Wort. Sie fühlte nur diese Wut, wusste aber den Grund dafür nicht. April schüttelte den Kopf und zog sich vor Fireball zurück, zumindest so weit das möglich war. Irgendwie sah sie gerade alles bestätigt, was ihr Alex prophezeit hatte. Das hier würde nicht gut ausgehen. Sie sah entschlossen zu Fireball hinüber: „Dir tut das Rumsitzen im Büro einfach nicht gut. Du hast zu viel Zeit dir über irgendwelche Dinge Gedanken zu machen. Und anscheinend denkst du nur über Blödsinn nach, nicht aber über wirklich wichtige Dinge.“

Es war Aprils völliger Ernst. Fireball hatte mit Sicherheit zu viel Zeit um sich über irgendetwas den Kopf zu zerbrechen. Mit Arbeit deckte er sich doch nur ein, wenn sie bei ihm war. Wenn er nicht gerade schlief, hockte er über beknackten Berichten, nur um sich nicht mit ihr abgeben zu müssen. Wie oft war er danach gleich eingeschlafen, hatte sich weggedreht und sie mit ihren Worten und Ängsten doch wieder nur alleine gelassen? Aprils Gesicht verfinsterte sich kurzfristig. Was war, wenn Alex mit allem Recht gehabt hatte, was Fireball und sie betraf? Im Moment jedenfalls schien alles darauf hinzudeuten.

Ehe es die beiden selbst bemerkten, entbrannte zwischen ihnen ein heftiger Streit. Beide redeten aneinander vorbei, das dafür aber engagiert und voller Eifer. Höhepunkt war Aprils Befreiungsschlag. Sie machte sich geschickt von Fireball los und stieß ihn von sich, begleitet von eindeutigen Worten: „Es macht keinen Sinn mit dir zu reden. Sogar eine Felswand würde mich eher verstehen als du. Komm erst mal wieder runter und leg dir eine gesunde Gesprächskultur zu, dann rede ich gerne noch mal mit dir. Ich bin nicht die Base, dass ich so mit mir reden lasse, Fireball!“

Wieder griff Fireball nach April, versuchte sie zu erwischen. Dieses Mal aber ohne Erfolg. Er bekam sie nicht mehr zu fassen. Fireball stieß einen frustrierten Laut aus und knurrte: „Ich will es verdammt noch mal jetzt geklärt haben! Wer weiß schon, wann du das nächste Mal wieder im Lande bist.“

Im Normalfall hätte April bemerkt, was Fireball da so ungeschickt zusammen formulierte. Nur klang es im Augenblick alles für sie nach Revier abstecken und auf Rechte pochen, die er für selbstverständlich hielt. Aber in Aprils Augen war sie weder Teil seines Reviers noch hatte er ihr gegenüber irgendwelche Rechte. Fireballs Verhalten entpuppte sich genauso, wie es Ramrods neuer Pilot angedeutet hatte. Offenbar war sie nur ein netter Zeitvertreib für eine oder maximal zwei Nächte im Monat, wie schön! Stinksauer wandte April Fireball nun endgültig den Rücken zu und verschwand: „Du willst es geklärt haben. Na schön, dann spitz deine Lauscherchen. Ich hab es satt, wie du mich behandelst. Das hört ab jetzt auf, weil ich es nicht mehr zulassen werde“, nein, sie war eine Frau und wollte begehrt werden. Bei Fireball allerdings hatte sie eher das Gefühl gehabt, benutzt worden zu sein. Es war an der Zeit, das lächerliche Versteckspiel zu lassen, auch, wenn sie dem Wuschelkopf dabei nicht in die braunen Augen sehen konnte: „Zu dieser Debatte gibt es nichts mehr zu sagen. Du bist und bleibst eben so, wie du bist. Ein Pilot mit zuviel Benzin und Leidenschaft im Blut, aber keiner Liebe im Herzen.“

Ehe er etwas erwidern konnte, hatte ihm April schon den Rücken zugekehrt. Fireball sah nur noch ihre blonde Mähne und ihre Rückansicht. Einen Moment lang wollte alles in ihm ihr hinterher, doch dann verstand er Aprils letzte Worte. Es hatte keinen Sinn ihr hinterher zu laufen und weiter zu streiten. Fireball verfluchte in dieser Sekunde alles und jeden. Und am liebsten hätte er Alex auf den Mond geschossen. Der war seines Erachtens Schuld an diesem wenig erfreulichen Wiedersehen zwischen April und ihm. Er könnte den Italiener dafür erwürgen!

Seine Augen funkelten düster und voller Zorn, aber im Augenblick hatte er keine Möglichkeit, sich bei demjenigen Luft zu verschaffen, der ihm das Chaos eingebrockt hatte. Alex saß schon längst wieder bei seinen Freunden. Würde Fireball jetzt noch einmal in die Bar hinein rauschen, wäre das sein sicherer Tod. Er kannte seinen Hitzkopf. Fireball hätte im Nu nicht nur eine an Alex ausgeteilt, er hätte auch keine Sekunde später von der gesamten Air Strike Base 1 eine einstecken dürfen. Fireball ballte die Hände zu Fäusten und streckte sie mit aller Kraft Richtung Boden. Sie lagen eng am Körper, den Kopf reckte er krampfhaft in die Höhe, während er die Augen schloss und schrie: „Verdammter Mist, elendiger!“

Er wirkte wie ein Dampfkessel, der jeden Moment dem Druck nicht mehr stand hielt und dem der Deckel in die Luft flog. Dass er innerlich genauso kochte, wie eben jener Dampfkessel, wäre wohl jedem klar gewesen, der den jungen Piloten so gesehen hätte. Für Fireball war der Abend gelaufen und es blieb nur noch eine Ausflucht. Das hatte er ewig schon nicht mehr getan, weil ihm die Zeit und das Vehikel dazu gefehlt hatten. Der Japaner machte sich auf den Weg zu Ramrod, er musste seinen Red Fury wieder mal ausführen.
 

Die letzte Nacht war kurz gewesen, aber es hatte Spaß gemacht. Auf Ramrod saßen Colt und Saber beim zweiten Frühstück. Sie hatten zuhause geschlafen und waren nun pünktlich im Oberkommando eingetroffen. Da für sie aber kein Arbeitstag auf dem Plan stand, hatten sie genügend Zeit, noch miteinander zu frühstücken. Sie hatten sich kaum gesetzt, öffnete sich die Rampe ein weiteres Mal und kurz darauf erschien ein alter Bekannter in der Küche. Fireball hatte bereits seinen Kampfanzug an und war für den Dienstantritt gerüstet, aber er hatte eine Tüte Brötchen dabei. Er begrüßte Saber und Colt: „Morgen. Ich hab was mitgebracht.“

„Seh ich“, lachte Colt und konnte sich nicht verkneifen, ihn auf was anderes hinzuweisen: „Und so leid es mir tut, Fire, aber musst dich doch grad verlaufen haben, oder?“

Colt wollte jedoch auf keinen Fall, dass sich Fireball wieder vom Acker machte, sie hatten am Vorabend kaum Gelegenheit zum Reden gehabt. Der Cowboy würde sich freuen, wenn er mit ihnen noch einen Kaffee trinken würde. Sie sollten die gemeinsame Zeit nutzen, die sie ohnehin nicht hatten. Neuerdings war der Lockenkopf da etwas mehr dahinter, was allerdings durchaus an seiner geliebten Robin liegen konnte. Hätte er kein solches Pflichtgefühl, er wäre schon längst bei ihr geblieben.

Saber nickte Fireball kurz zu und lud ihn ein: „Nimm dir eine Tasse und setz dich. Ein bisschen Zeit wirst du doch sicherlich noch haben.“

Auch der Schotte freute sich sichtlich über den unangemeldeten Besuch. Die Probleme in der Air Strike Base wurden zwar sukzessive weniger, dennoch behagte es auch Saber nicht unbedingt, Fireball kaum noch zu sehen. Gerade seit ihrem letzten vertraulichen Gespräch hatte sich viel verändert und sie hatten noch keine Zeit gefunden, sich mal wieder in Ruhe zu unterhalten. Da konnte die morgendliche Zeitung getrost warten.

Die Tüte mit Brötchen landete währenddessen auf dem Frühstückstisch, ebenso die Handschuhe von Fireballs Kampfanzug. Lächelnd ging er zum Küchenschrank. Während er sich eine Tasse nahm, witzelte er: „Ich hoffe doch schwer, dass noch alles an seinem alten Platz steht.“

Kurz darauf setzte er sich an den Platz, an dem er zuvor über Jahre jeden Morgen gesessen hatte. Es fühlte sich an, als hätte sich nie was geändert. Die drei Jungs genossen ihr Zusammensein und machten jede Menge blöde Witze. Zwischendurch gestand Fireball auch den Grund für seinen Besuch. Immerhin hatte er den Red Fury ohne Erlaubnis genommen.

Während Colt nichts anderes zu tun hatte, als den jungen Captain dafür lachend und neckisch zu tadeln, war Saber nicht wirklich erstaunt über diesen Umstand. Fireball hatte schon lange keine Gelegenheit mehr für solchen Unsinn gehabt. Der Papierkram forderte dem lesefaulen Piloten allerhand Zeit ab und irgendwann musste man den Kopf auch mal ausrauchen lassen.

Der Cowboy genoss dieses Frühstück. Sie hatten sich lange schon nicht mehr gesehen und die Zeit für ein kleines Schwätzchen gehabt. Der Grund, wie sie zu dieser Ehre gekommen waren, war ihm egal. Da erzählte er lieber, wie sehr er sich jedes Mal wieder schreckte, wenn er zu seiner Robin nachhause kam. Das hatte nach ihrer schrecklichen Reise in die Vergangenheit schon angefangen und wurde nicht besser. Er witzelte mit strahlenden Augen, dass mittlerweile vorher Bauch und lange nichts kam, ehe man Robin erblicken konnte. Bald war es so weit und wenn Colt es nicht besser wüsste, hätte er auf Zwillinge gewettet. Aber der Lockenkopf war froh, dass sie zunächst nur ein Familienmitglied Zuwachs bekamen. Solange kein wirklicher Frieden in der Welt herrschte, war Colt nur wenig zuhause. Und er wollte doch seine Kinder aufwachsen sehen. Er wollte ihnen eine kleine Kathrin kaufen und ihnen das Reiten beibringen. Das musste allerdings noch warten und deshalb trug der Cowboy seinem kleinen Bruder auf: „Du pass mir ja auf unsere Ladies hier auf. Wozu haben wir dich sonst hier ausgesetzt?“

Saber stützte den Kopf auf eine Hand und seufzte gedehnt: „Geht der Hundewitz von Neuem los? Ach, Colt…“

„Ach was?“, verteidigte sich der Scharfschütze grinsend. Er deutete auf Fireball: „Solange er den Welpenblick drauf hat, bleibt er auch einer. Und nebenbei bemerkt, edler Schwerteschänder, wie wir gestern gelernt haben, ist er ja kein Hund. Unser Fireball ist ein Wolf“, noch einmal machte Colt eine Kunstpause, in der er Fireball musterte, ehe er sich verbesserte: „Naja, okay… Maximal ein Schaf im Wolfspelz, aber er hat ein Wolfsfell über.“

Fireball schüttelte schmunzelnd den Kopf, das war Colt wie er leibte und lebte. Er kommentierte das nicht weiter, eine Diskussion wäre sonst vorprogrammiert. Da kannte Fireball den Cowboy einfach zu gut. Er zog den Wuschelkopf nur allzu gerne mit solchen Metaphern auf, hin und wieder war auch das berühmt berüchtigte Naivchen dabei. Oder er meinte wieder, Fireball sei mehr blau- als braunäugig. In sich hinein grinsend nahm der jüngere Freund einen Schluck vom Kaffee.

Auch Saber hielt sich mit Worten zurück. Er widmete sich lieber seinem Frühstück. Eigentlich fehlte nur noch April und die alte Crew saß wieder beisammen. Der Schotte war an diesem Tag entspannt, er genoss die Ruhe und den Spaß, den auch er durchaus hatte. Manchmal reichte es schon, wenn man den beiden Hitzköpfen nur zuhörte.

Just in diesem Moment setzte sich die Blondine gähnend an den Frühstückstisch. Automatisch wünschten die drei Jungs einen guten Morgen, Colt schmierte ihr ein Brötchen und Fireball schob ihr eine Tasse Kaffee vor die Nase. Diesen Luxus gab es nur hier auf Ramrod, kein Hotel der Welt würde diesen Service bieten können. Sie vergaß, was sie Fireball am Vorabend an den Kopf geknallt hatte und auch den anderen Piloten vergaß sie. Es waren Momente wie dieser, der einem einen netten Alltag vorgaukelte und außergewöhnliche Schwierigkeiten vergessen ließ.

April strich sich noch die Haare nach hinten und gähnte noch einmal verstohlen, ehe sie dankbar den Kaffee entgegennahm und das Brötchen anbiss. Sie blinzelte noch ein wenig verschlafen aus ihren blauen Augen, aber der Kopf war schon ziemlich klar. Nun saßen sie zu viert am Tisch und es gab keinen Unterschied zu früher. Gut, Fireball war noch nicht so lange von Ramrod weg, dass man sagen konnte, es war schon nicht mehr wahr. Nun saßen sie also zusammen und witzelten, begrüßten den Spätherbsttag mit einem gut gelaunten Geplänkel.

Erst, als der Wuschelkopf einen Blick zur Uhr riskierte, holte sie der veränderte Alltag wieder ein. Fireball seufzte ausgiebig und machte Anstalten zu gehen: „Leute, ich muss los.“

„Da fragt man sich, weshalb du überhaupt hier warst“, Alex stand in der Tür und blickte skeptisch auf die Szene vor ihm. Die vier Freunde saßen zusammen und unterhielten sich gut. Daran war im Grunde zwar nichts auszusetzen, wenn er nicht wüsste, dass zumindest zwei ein gut gehütetes Geheimnis mit sich herum trugen. Er ließ den passionierten Rennfahrer passieren und deutete mit einem grimmigen Lächeln, wo es lang ging: „In die Richtung geht’s raus, Babyboy.“

Colt und Saber fiel der kalte Unterton sofort auf und auch der Blick ihres ehemaligen Kollegen blieb ihnen nicht verborgen. Fireball funkelte den neuen Piloten an und konterte so ruhig wie möglich: „Keine Bange. Ich weiß, dass der Kontrollraum in die andere Richtung liegt“, er wandte sich mit einem kurzen Handzeichen an seine Freunde: „Wir sehen uns. Passt beim Rumgurken im All auf euch auf, ja?“

Entgegen seiner Natur salutierte Saber und lächelte: „Aye, Captain. Selbiges gilt für dich und deine Fliegerasse.“
 

Er sah, wie ihr Captain Ramrods Rampe runter kam. Die Marschrichtung von Fireball war klar gewesen, allerdings hielt ihn noch einmal jemand auf. Martin konnte beobachten, wie Ramrods Navigatorin den jungen Captain anhielt und offenbar kurz unter vier Augen mit ihm reden wollte. Sie gestikulierte, fand ganz offensichtlich keine netten Worte und Fireball hob aufgebracht den Arm und streckte ihn Richtung Ramrod aus. Der Sohn von Emilio konnte sich vorstellen, dass es um die Besatzung des Friedenswächters ging, vielleicht auch zum Teil um Fireball, aber fix war zumindest, dass es entweder eine energische Diskussion war oder sogar ein Streit. Martin war sich nicht zu hundert Prozent sicher, immerhin kannte er die Umgangsformen zwischen den Freunden nicht.

Als Fireball dann aber näher kam, konnte Martin auf den Fifty-Fifty-Joker verzichten. Man sah ihm die Spannung förmlich an. Konnte Martin die Stimmung eventuell auflockern? Der Brasilianer empfing Fireball mit einem leichten Lächeln: „Hey, wieso solche Gewitterwolken im Paradies?“

„Ich kann dir Paradeiser geben, aber Paradies seh‘ ich hier weit und breit keins“, grummelte Fireball seinen Kollegen an und ging an ihm vorbei. Er hatte keine Lust auf Blödeleien. Und zu allem Überfluss fühlte er sich von Martin auch noch ertappt. Mal wieder. Irgendwann, wenn Fireball nicht vorsichtig war, würde Martin ihn überführen. Aber gab es überhaupt noch etwas, dessen er ihn überführen konnte? April war ihm zwar nachgegangen, aber im Prinzip hatten sie nur ihren Streit vom Vorabend noch einmal aufgewärmt. Fireball war leise dabei geblieben, aber es stellte sich die Frage, ob ihre Beziehung den ganzen Ärger überhaupt noch wert war. Fireball war sich da nicht mehr sicher. April hatte sich schon anderwärtig umgesehen.

Der Brasilianer ließ sich allerdings nicht abschütteln. Nicht jetzt und auch in Zukunft nicht. Da konnte der kleine Captain hüpfen, soviel er wollte. Martin glaubte auch zu wissen, weshalb ihr Befehlshaber wirklich so schlechte Laune hatte. Er folgte Fireball in sein Büro hoch und beobachtete, wie er sich vor das Fenster stellte.

Wieder einmal schloss Martin die Tür, zuvor hatte er der netten Empfangsdame allerdings noch aufgetragen, niemanden zu Fireball durch zu lassen. Prüfend sah er an dem Japaner hinab und war froh, Beruf und Freunde bisher strikt getrennt zu haben. Fireball war ein Musterbeispiel für das Theater, das daraus entstehen konnte, wenn man nicht sauber trennte. Kein Wunder also gab es die Regel im Oberkommando. Martin sah, wie Fireball auf das Rollfeld hinunter blickte, direkt auf Ramrod. Der Brasilianer zog Fireball entschlossen da weg: „Ich lass das verdammte Fenster zumauern.“

Seine Worte waren energisch gewesen. Jedes Mal, wenn der schwarze Vogel im Lande war, hing sein Captain irgendwelchen Gedanken nach, schien regelrecht in der Vergangenheit zu stecken. Er wollte Fireball helfen. Nur wie, das hatte Martin bis heute nicht heraus gefunden. Etwas ratlos wollte er wissen: „Hast du Heimweh, Babyboy?“

„Heimweh?“, irritiert zog Fireball die Augenbrauen nach oben. Er blinzelte: „Wieso soll ich Heimweh haben?“

Da Fireball keine Anstalten machte, nicht mehr aus dem Fenster zu sehen, schob Martin ihn kurzerhand einfach zu seinem Schreibtisch hinüber. Dabei erklärte er schon fast mehr besorgt als neugierig: „Hast du Heimweh nach Ramrod? Hör mal, ich weiß, du hattest einen nicht ganz so netten Start hier in der Base, aber ich dachte eigentlich, dass du dich mittlerweile bei uns wohl fühlst. Trotzdem hab ich das Gefühl, du wünschst dich alle heiligen Zeiten ganz weit weg von hier. Ich wüsste mal gerne, wohin genau und weshalb.“

Fireball spürte deutlich, dieses Mal würde er Martin nicht so leicht los werden, wie an anderen Tagen. Ob der Brasilianer mehr wusste, als er kund tat, das konnte Fireball nicht einschätzen. Aber der Tonfall und die Mimik seines Adjutanten sprachen dabei Bände. Die Nummer mit dem Heim- oder in seinem Fall Fernweh wäre zu einfach gewesen und Fireball war sich ziemlich sicher, dass Martin nur einen Gesprächsstart damit hatte bezwecken wollen. Etwas widerwillig setzte sich der Japaner in seinen Stuhl und biss sich auf die Lippen. An seinem Pokerface musste er eindeutig noch besser arbeiten, er ließ seine Emotionen leider zu leicht an die Oberfläche. Sein Blick fiel auf das Bild neben dem Bildschirm, direkt auf das Lächeln besagter Blondine, die ihn so sehr durcheinander brachte. Auf Ramrod waren manche Dinge einfacher gewesen, er hatte seine Gefühle eher zuordnen können. Die Regeln und vor allem die Entfernung machten es schlimmer, mit jedem Besuch der Freunde ein bisschen mehr. Er hatte schon bei den letzten Besuchen manchmal das Gefühl gehabt, April ergreife ziemlich schnell die Flucht, nachdem sie sich gesehen hatten. Nun, nach dem netten Gespräch am Vorabend und ihren mahnenden Worten von gerade eben war Fireball zu der Ansicht gelangt, dass ihre gemeinsame Zukunft eben keine gemeinsame sein würde. April hatte keine Nerven, sich mit einem viel beschäftigten Captain zu befassen. Seine Augen senkten sich traurig. Na klasse einfach! Diese Gedanken hatten ihm gerade noch gefehlt. Fireball stieß einen Seufzer aus und wandte den Blick lieber Martin zu. Aber eine Antwort blieb er ihm schuldig.

Aufmerksam hatte Martin die Gesten und Bewegungen seines Captains verfolgt. Ihm war nicht verborgen geblieben, wohin der Japaner geschaut hatte, als sein Gesichtsausdruck unendlich traurig geworden war. Wieder waren da Alessas Worte, die besagten, dass es manchmal nur geübter Augen bedurfte, um die Misere anderer erkennen zu können. Auch der beste Schauspieler konnte nicht immer verbergen, was er niemanden sehen lassen wollte. Martin sah an Fireball hinab und rief sich die Situation vor einigen Minuten noch einmal vor Augen. Fireball war da gestanden, mit der Navigatorin von Ramrod. Sie hatten leise miteinander gesprochen, sonst hätte Martin sie bestimmt gehört, aber sicher hatten sie gestritten. Martin dachte auch an die letzten Starts von Ramrod und an die erste Begegnung, die er selbst mit April hatte. Und nun war Martin eines klar: „Liebeskummer?“

Er fragte das nur noch aus Anstand und um endlich eine Bestätigung zu bekommen. Dem Brasilianer wurde allerdings gerade etwas unwohl in seiner Haut. Sein Captain hielt sich nicht an die Regeln, so schien es jedenfalls.

Fireball vergrub den Kopf hinter einer Akte. Ihm kam in den Sinn, dass Martin so eine Mischung aus Saber und Colt war, und zwar eine schreckliche Mischung. Seine rechte Hand hatte die Kombinationsgabe und das Pflichtbewusstsein, die auch Saber besaß, und eine unwahrscheinliche Trefferquote, die Colt sein Eigen nennen durfte. Mit Martin hatte er sich ganz schön was eingefangen. Gleichzeitig jedoch war ihm hundeelend zumute. Er mochte Martin irgendwie, der junge Rubario war seinem Vater ähnlich, der auch eine wohltuende Rückendeckung gewesen war. Allerdings sah sich Fireball nicht in der Lage, das nötige Vertrauen aufzubringen, das er gebraucht hätte, um Martin zumindest ein bestätigendes Nicken zu zeigen. Es war ohnehin klar, dass er Martin wieder einmal etwas vorgaukeln musste. Er krächzte heiser: „Nö.“

‚Ein Teenager und noch dazu ein schlechter Lügner‘, schoss es Martin augenblicklich durch den Kopf. Offenbar hatte er richtig geschlussfolgert. Mit den Anzeichen, die Alessa immer wieder für ihn gedeutet hatte, war er auf des Rätsels Lösung gekommen. Martin sah sich nun in der Zwickmühle. Er mochte den jungen Captain und obwohl es seltsam klang, Fireball hatte für ihn etwas von einem kleinen Bruder. Allerdings war dieser kleine Bruder starrsinnig und wollte sich nicht helfen lassen. Martin sah, wie sich Fireball förmlich vor seinem Blick versteckte. Ob er überhaupt etwas erfahren würde? Martin langte über den Tisch und zog Fireball die Akte aus der Hand. Er wollte ihn ansehen können, wenn er mit ihm sprach. Die dunklen Augen des Brasilianers stachen fordernd auf Fireball hinab: „Sag mal, Babyboy. Kannst du mich nicht ansehen, weil ich Recht habe oder weil du mich anlügst?“

„Weder das eine, noch das andere“, versuchte Fireball die aufkeimenden Zweifel bei Martin zu zerschlagen. Er konnte ihm jedoch nicht lange in die Augen blicken. Getroffen senkte er gleich darauf wieder den Blick. Es ging ihm grad schlecht. April hatte in ihrer neu aufkeimenden Wut einen schmerzlichen Vergleich gemacht. Genauer gesagt hatte sie ihm vorgehalten, nichts aus der Geschichte gelernt zu haben. Er würde lieber alles andere machen, als sich mit ihr zu beschäftigen. Er hätte aus dem Schicksal seines Vaters nichts mitgenommen. Das tat dem Piloten doppelt weh, weil es ausgerechnet aus Aprils Mund gekommen war. Sie hatte miterlebt, was geschehen war und er wusste, sie hatte auch gespürt, wie er beim Tod seines Vaters selbst gestorben war.

Martin schüttelte missbilligend den Kopf. Irgendwann würde er noch einmal die Geduld mit seinem Captain verlieren. Ja, ihm war klar, dass Fireball ihm egal sein könnte, aber aus irgendeinem Grund war er das nicht. Martin konnte selbst nicht sagen, was es war, aber er konnte den Japaner einfach nicht hängen lassen. Wahrscheinlich hatte er schon damals verspielt, als Fireball in ihre Einheit gespült worden war. Nicht zuletzt durch die Gespräche mit seinem Vater war Martin sich dessen bewusst, dass Freundschaften gerade anfangs nicht immer auf Gegenseitigkeit beruhten. Das bemerkte er gerade jetzt wieder. Martin konnte die Wand, die Fireball ziemlich schnell hochgezimmert hatte, förmlich zwischen sich und dem Captain sehen. Irgendwo musste doch eine Lücke sein, durch die Martin durch passte. Hatte er das Schlupfloch erst gefunden, und so endlich das Vertrauen des jungen Mannes, würde es einfacher mit ihm werden. Martin wusste nur nicht, wo er dieses Loch suchen sollte. Er wusste, dass Fireball ihn anlog. Zum Teil tat er das bestimmt, weil er nicht darüber reden wollte, andererseits aber garantiert auch, weil es privat war. Martins Standpauke am Anfang ihrer Zusammenarbeit hatte Früchte getragen. Nur gerade eben verfluchte Martin diese Wassermelonengroßen Früchte.

„Du lügst schon wieder“, stellte er trocken fest und verschränkte die Arme vor der Brust. Martin konnte es nicht besonders leiden, wenn er jemanden beim Flunkern überführte. Und das machte er jetzt temperamentvoll deutlich: „Wenn du nicht darüber reden willst, schön. Das ist deine Sache. Aber das kannst du mir sagen. Ich verrat dir was, Babyboy. Wer dich kennt, der merkt, wann du lügst. Mag sein, dass die restlichen 38 Mann deiner Staffel das nicht erkennen, aber ich bekomm das mit. Und ich schätze es überhaupt nicht, wenn mir mein Captain was vorgaukelt. Wie soll ich dir im Kampf mein Leben anvertrauen können, wenn du mir dauernd das Blaue vom Himmel lügst?“

Der Wuschelkopf sah wieder zu Martin auf. Mit einer Mischung von Verzweiflung und einem Anflug von Verwunderung zog er bei Martins Worten die Augenbrauen hoch. Wieder entfloh ihm ein bedrücktes Seufzen über die Lippen. Er hatte den Streit mit April noch nicht mal richtig geschluckt, da stand schon die nächste Diskussion vor ihm. Geknickt, weil er durchaus einsah, dass er Martin nicht weiter anlügen konnte, räumte er ein: „Es ist kein Heimweh, Marty.“

Die beiden hatten in den letzten Wochen nicht nur viel Zeit auf dem Stützpunkt zusammen verbracht, sie waren oft auch nach Feierabend noch miteinander um die Häuser gezogen. Fireball hatte Martin irgendwann dazu überreden können, sein Trainingspartner beim Judo zu sein, ein paar Selbstverteidigungskniffe konnten dem Brasilianer nicht schaden und sie hatten auch noch etwas für den Körper getan. Die Gespräche waren meistens von fröhlicher Natur, Martin hatte Fireball jedoch bald schon in den Kreis der Familie aufgenommen und erzählte immer wieder und mehr ohne Scheu von privaten Hobbies und Erlebnissen. Fireball hatte sich bis dato immer bedeckt gehalten. Nun aber schien Martin mit seinem Verständnis am Ende zu sein.

„Okay“, Martin lehnte sich gegen den Stuhl und zählte gedanklich noch einmal alles zusammen. Dann faltete er seine Hände und beugte sich noch weiter nach vor: „Dann ist es April Eagle, Chefingenieurin von Ramrod, Navigatorin von Ramrod, nebenbei noch Tochter von Commander Eagle und immer noch Mitglied der selben Einheit, weshalb du die Sache am Besten noch nicht einmal in Erwägung ziehst. Oder, solltest du es tatsächlich gewagt haben, die Sache sofort wieder beendest. Du kannst mich gerne korrigieren, wenn ich falsch liege.“

Martin hatte es die ganze Zeit über geahnt, Fireball hatte schon einige Male mahnende Worte diesbezüglich von Martin zu hören bekommen. Es blieb dem Captain dieses Mal allerdings nichts anderes mehr übrig, als ergeben zu nicken und zu murmeln: „Das kommt ganz gut hin, ja.“

Oh, am liebsten hätte er sich gerade die Kugel gegeben. Martin war beinahe ein eben solcher Paragraphenreiter wie der werte Säbelschwinger und nichts ging ihm über das Oberkommando. Fireball schloss einen Moment die Augen, er sah Martin schon bei Commander Eagle stehen und es melden. Bald hatten sich all seine Probleme und Kummer in Luft aufgelöst. Zumindest die schwerwiegenden Sachen.

Tatsächlich konnte Martin gerade noch verhindern, dass sein Oberkörper wieder nach hinten fuhr und er kritisch eine Augenbraue nach oben zog. Allerdings wechselte er nun das Standbein und prüfte Fireball: „Und was ist es? Gar nicht erst anfangen oder sofort beenden?“

Martin hatte schon den Unterton ‚Ich warne dich, lüg mich ja nicht an!‘ in der Stimme, so dass Fireball sich gar nicht mehr anders traute. Seine Augen richteten sich auf den Boden neben Martin. Gedanklich betete er, dass er ohne großes Aufsehen entlassen wurde. Wenn sich eine Katastrophe zeigte, dann neigte das Schicksal in Fireballs Fall meistens dazu, noch ein paar nach zu schicken. Die Misere hatte am Vorabend angefangen und nahm nun Anlauf für den ultimativen Weltuntergang. Fireball brachte den Mund kaum auf: „Sofort beenden.“

Augenblicklich zog er den Kopf zwischen die Schultern, es kam bestimmt gleich ein Donnerwetter auf ihn zu. Wie oft hatte ihm Martin gesagt, er sollte sich auf nichts mit einem Mitglied der selben Einheit einlassen? Bestimmt jedes Mal, wenn der Brasilianer ihn wieder am Fenster hatte stehen sehen, war der gute Rat nicht weit gewesen. Und was hatte Fireball getan? Er hatte Martin jedes Mal matt zugenickt mit dem Wissen, dass er diesbezüglich schon mehr als nur einmal die Regeln gebrochen hatte. Und nun fürchtete er sich zu Recht vor den Konsequenzen.

Tatsächlich kam die nächste gefürchtete Katastrophe in Form von Martin. Der Brasilianer war eigentlich ein geselliger, aber auch ruhiger Zeitgenosse. Aber wenn ihm mal der Kragen platzte, hieß es Deckung suchen. Martin war nicht auf den Kopf gefallen, er wusste, was das zu bedeuten hatte. Da lief schon länger was und müsste er einen Tipp abgeben, dann würde er sagen, dass schon vor der Versetzung etwas gelaufen sein musste. Verächtlich und auch dementsprechend laut ließ Martin seinen Unmut darüber heraus: „Du bist doch total wahnsinnig geworden! Es gibt Regeln im Oberkommando, an die wir uns alle zu halten haben. Sieht doch wohl so aus, dass diese zu Recht bestehen und es begründeter Weise wirklich meine Pflicht ist, das zu melden. Man braucht dich doch nur anzugucken und weiß, warum das besser wäre.“

Martin hatte weniger damit Probleme, dass Fireball die Regeln gebrochen hatte, vielmehr sah er sich darin bestätigt, dass diese Regeln begründet waren. Er hatte Fireball vor Augen, wenn er an Tagen, wie an diesem, bedrückt in seinem Büro saß und zumindest einen Tag überhaupt nichts auf die Reihe bekam. Martin war das lange schon aufgefallen. Immer, wenn Ramrod sich wieder der Pflicht gewidmet hatte, hatte Fireball sich ins Büro zurückgezogen, meist nur mit vagen Arbeitsanweisungen an seine Crew, und hatte trotzdem kaum bis gar nichts an Papierkram aufarbeiten können. Es bliebe Fireball viel erspart, wenn er nur etwas vernünftiger handeln würde. Kein Zweifel, der Japaner litt unter der Situation, die nach wenigen Monaten offenbar schon zur Belastungsprobe für ihn geworden war, und gerade deswegen hatte man diese Regeln vor Jahren im Oberkommando eingeführt.

Martin war in erster Linie zwar besorgt, aber was ihm gerade doch erheblich sauer aufstieß war das mangelnde Vertrauen von Fireballs Seite. Er hatte Fireball immer wieder seine Hilfe angeboten, ihm den Rücken frei gehalten und alles, was er als Dank dafür bekam, waren Ausflüchte und Misstrauen. Martin hatte doch vom ersten Tag an seine Qualitäten als Freund unter Beweis gestellt! Es regte ihn gerade mehr auf, als er sich selbst eingestehen wollte.

Das hatte gesessen. Fireball kniff die Augen zu und war wirklich kurz davor, sich wie ein kleines Kind erschrocken die Ohren zu zuhalten. Wieso bekam er ausgerechnet immer in diesem Büro eine Standpauke gehalten? Vor zwanzig Jahren war es sein Vater gewesen, der ihm mangelndes Vertrauen vorgehalten hatte. Nun war es Martin, der ihm diplomatischer erklärt hatte, dass er ihm zu viel vertraut hatte. Fireballs Verdacht mit Martins Pflichtgefühl hatte sich schnell bestätigt. Er sah einen winzigen Moment Saber vor sich stehen, der jedes Anzeichen von Freundschaft ausschloss und ihn tadelte, aber letzten Endes doch versuchen würde, gemeinsam eine Lösung zu finden. Aber da stand Martin. Ein Pilot der Air Strike Base, den er zu wenig kannte. Hätte er mit dem jungen Rubario ein halbes Jahr Dienst auf Ramrod geschoben, hätte sich Fireball vorstellen können, dass auch Martin letztlich zu ihm half und auf die Regeln pfiff. Er blinzelte hinüber und bat: „Bitte nicht so laut, Martin. Ich steck so schon tief genug in der Tinte, da muss es nicht auch noch der halbe Hangar unter uns hören.“

Das war Martin im Augenblick herzlich egal. Er zeigte mit ausgestreckter Hand auf die Gestalt hinter dem Schreibtisch und fluchte ungehalten weiter: „Du würdest bei weitem nicht so tief drinstecken, wenn du mal nachdenken würdest! Stattdessen ziehst du mich da auch noch mit rein, weil ich dir von Anfang an den Rücken frei gehalten hab. Nur weil du mit…“, Martin hielt kurz inne, beinahe hätte er Aprils Namen gefaucht, in letzter Sekunde konnte er sich noch anders entscheiden: „…Nur weil du dann nicht fähig bist, jemanden unter die Augen zu treten.“

Martin wusste sehr wohl, dass sich Fireball nicht im Hangar blicken ließ, weil es ihm nach Aprils Besuchen nicht besonders gut ging, aber irgendwann würden auch andere auf die Idee kommen, dass da ein nicht unerheblicher Zusammenhang zwischen Ramrod und Fireballs Gesichtsausdruck bestand. Und spätestens dann war noch mehr Feuer am Dach als ohnehin schon. Der Brasilianer schnaubte vor Entrüstung. Den Ärger hätte sich Fireball nach Martins Meinung sparen können, wenn er ihm das eher mal mitgeteilt hätte. Fireball hätte sich den Kummer von der Seele reden können und es hätte sich vielleicht weniger auf die Arbeit ausgewirkt, aber der werte Herr von und zu hatte lieber geschwiegen!

Wieder schluckte Fireball. Bisher war Martin immer ein besonnener Gesprächspartner gewesen, manchmal etwas schärfer im Tonfall, aber niemals laut. Entmutigt, weil er sich schon ausmalen konnte, was als nächstes kam, fuhr sich Fireball mit dem Handrücken über die Stirn und versuchte, seine Haare daraus zu verbannen. Er sah Martin dabei zu, wie dieser sich aufregte und wild mit den Händen herum fuchtelte. Hätte Fireball gewusst, was er nun los trat, weil er sich schlecht ausdrückte, er hätte lieber gar nichts gesagt. So aber vernahm Martin plötzlich: „Du musst mir den Rücken nicht frei halten. Ich habe dich nie darum gebeten.“

Eigentlich hatte es ein Dankeschön sein sollen, doch Martin fasste das alles anders auf. Martin, tief in seinem Ehrgefühl gekränkt und stinksauer, blieb daraufhin wie angewurzelt stehen und starrte Fireball fassungslos an. Seine Augen funkelten und schließlich ging Martin zur Tür. Bitte, wenn das Fireballs Meinung dazu war, dann sollte er selbst zusehen, wo er blieb. Martin griff beherzt nach der Türklinke und zischte Fireball entgegen: „Bitte. Von nun an stehst du alleine da. Geh an der Mannschaft zugrunde, zerbrich an deiner Liebschaft. Es ist mir egal.“
 

Martin öffnete die Tür und machte einen Schritt aus dem Büro hinaus. Wer war er denn?! Selten war sich der Brasilianer bisher so veräppelt vorgekommen, wie in diesem Moment. Da wurde man auch noch dafür bestraft, weil man helfen wollte und einem immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden war. Recht viel undankbarer als Fireball konnte in seinen Augen niemand mehr sein. Martin war stinksauer. Sein Vater hatte Unrecht gehabt. Nicht hinter jeder professionellen Miene steckte ein sehr weicher Kern. Sogar Alessa war dieses Mal falsch gelegen. Die Frau, die jeden Menschen nach einem einzigen Blick durchschaut hatte, war an der Kaltschnäuzigkeit des Japaners gegen eine Glaswand geprallt. Martin könnte sich grad vor Ärger überschlagen. Toll, weshalb hatte er sich den Tag schon am Morgen total verderben müssen?

Fireball sprang von seinem Platz auf und hastete Martin hinterher. Doch als er die Tür erreichte, hatte sie Martin schon mehr als nur lautstark zugeschlagen. Verdattert blieb Fireball hinter der geschlossenen Tür stehen. Das war gehörig schief gegangen. Auch das noch. Er hatte nicht nur Zoff mit April. Nein, er hatte sich auch noch Alex auf den Hals hetzen müssen und seinen einzigen Freund in Yuma gegen sich aufhetzen! Fireball fuhr sich keuchend durch die Haare. Wieso sprang er nicht gleich aus dem Fenster? Auf diese bescheuerte Frage gab er sich selbst keine Antwort, allerdings riss er beherzt die Tür wieder auf und folgte Martin in den Hangar. Zumindest eine Katastrophe musste er ausbremsen, wenn das überhaupt noch möglich war.

Martin war an seinen Kollegen vorbeigezischt und hatte nur einen Rat für seine Kumpels: „Macht einen Bogen um Babyboy!“

Erstaunt guckten ihm die Piloten hinterher, nur um kurz darauf den Kopf in die entgegengesetzte Richtung herumzureißen und besagten Captain halb im Laufen zu erblicken. Als dann auch noch die kurze Frage nach Martins Verbleib aus Fireballs Mund kam, zog Stan die Augenbrauen zusammen. Etwas irritiert gab er Fireball Auskunft, in diesem Fall wagte er es kaum, etwas Freches zu erwidern, dafür hatte die Stimme von ihrem Captain viel zu gereizt geklungen. Als Fireball verschwunden war, blinzelte Stan mehrere Male verwundert und sah Oliver an: „Du hast das doch auch gerade gesehen, oder?“

Der Kroate nickte und verschränkte die Arme vor der Brust. Auch ihm war das alles nicht geheuer gewesen. So was hatte er noch nie gesehen.

Als Stanley das bestätigende Nicken erhalten hatte, fuhr er fort. Er deutete in die Richtung, in die Martin und Fireball abgedampft waren und schluckte. Verhalten murmelte er: „Ich glaub, ich spar mir heute die Frage, ob er mich nicht doch zu den Wettbewerben angemeldet hat.“
 

Etwas Lauftraining hätte ihm nicht geschadet, denn als er Martin endlich eingeholt hatte, war Fireball doch außer Atem. Er griff fest um dessen Schulter und protestierte: „Du weißt schon, dass ich das nicht so gemeint hab, wie du es aufgefasst hast?“

„Was gibt’s da denn falsch zu verstehen, Shinji?!“, energisch schlug er Fireballs Hand von seiner Schulter. Auch der gutmütige Brasilianer konnte anders. Zornig funkelte er Fireball an: „Wenn du mit deinen Freunden von Ramrod auch so umspringst, wundert es mich, dass die überhaupt noch mit dir reden. Deine Mutter hat dir kein bisschen Respekt beigebracht!“

Fireball verzog das Gesicht, als er verneinte: „Glaub nicht, Ai hätte es nicht versucht.“

Auch, wenn er seiner Mutter manchmal nicht viel zu sagen hatte, sie war seine Mutter, alles an Familie, was den Hikaris geblieben war und niemand durfte sich das Recht heraus nehmen, über sie zu urteilen. Auch jemand wie Martin nicht. Das hätte nicht einmal Colt dürfen.

Er schüttelte den Kopf und sah Martin mit ehrlichen Augen an. Fireball musste diese Misere so schnell wie möglich gerade biegen. Der kleingeratene Japaner hatte sich im Büro noch eingestanden, dass er in Martin eigentlich einen Freund hatte, wie es Colt und Saber auch waren. Der große Brasilianer und seine Freundin waren von Anfang an zu ihm gestanden und wäre Martin nicht gewesen, hätte er die Air Strike Base noch schneller wieder verlassen, als er dahin versetzt worden war.

„Ist das etwa auch ein Geburtsfehler?!“, damit versetzte Martin dem jungen Captain einen Tiefschlag. Der Brasilianer war sauer. Es langte ihm. Er hatte so viel Zeit und Mühe investiert und alles umsonst! Er war wütend auf sich selbst, dass er sich derart in eine Sache hinein gesteigert hatte, die nichts brachte und er sich so hatte an der Nase herumführen lassen. Aber weil er sich selbst schlecht anschreien konnte, tat er das mit Fireball. Egal, ob Captain oder nicht, er schrie ihn als Privatmann an.

Fireball schluckte schwer. Und noch so ein Thema, das stach. Fireball ließ die Schultern hängen und setzte ruhig zu seinem persönlichen Seelenstriptease an: „Okay, offensichtlich kennst du mich nicht. Du siehst zwar, wie ich mich grad fühle, aber verstehen tust du das nicht. Ich“

Martin unterbrach Fireball gleich wieder barsch: „Ja, wie denn auch, du Haubentaucher?! Ich kann das nicht riechen und jetzt hab ich die Schnauze voll vom Rumstochern im Dunkeln. Aus und vorbei. Du kannst mir den Buckel runterrutschen.“

„Lass mich doch ausreden!“, es war fraglich, ob die Wogen da noch zu glätten waren. Fireball senkte die Lautstärke und hoffte, dass Martin das ebenfalls machte. Er begann noch einmal: „Ich schätze deine Fürsorge, Marty. Auch die von Alessa. Ihr beide seid gute Freunde, auch für mich. …Naja, eigentlich seid ihr beide für mich eher so was wie Eltern“, er lächelte unsicher: „Du nimmst mich ja regelmäßig bei der Hand und zeigst mir, wo’s langgeht. Aber Marty, ich tu mir schwer mit Vertraulichkeiten, vor allem, was diese Sache betrifft. Nicht einmal Colt oder Saber wissen es.“

„Spar’s dir!“, knurrte Martin. Nun hatte er absolut keine Lust mehr, ihm zuzuhören. Denn, das brauchte Martin gar nicht mehr schön zu reden, es machte ihn nur noch wütender. Es gab nicht nur die Tatsache, dass Fireball ihm nichts von der Liebschaft mit April erzählt hatte, es gab auch noch ganz andere Defizite: „Das ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Du gibst überhaupt nichts von dir Preis, egal wie gut man sich mit dir stellt! Ich reiß mir den Arsch auf, damit du nicht alleine hier versumpfst. Das hab ich von mir aus getan, und nicht, weil Mandy oder Saber mich darum gebeten haben! Ich dachte, du brauchst hier einen Freund.“

Das dachte Martin auch nach wie vor noch, aber in seiner grenzenlosen Wut zählte sich der Brasilianer nicht mehr dazu. Er brodelte gerade auf großer Flamme.

Fireball zog mit jedem Wort den Kopf noch etwas mehr zwischen die Schultern. Martin konnte wirklich ganz anders, wenn man ihn zu sehr reizte. Bisher hatte der Japaner das nicht wahr haben wollen. Er stand vor Martin und sah den Brasilianer überrumpelt an. Fireball schluckte wieder merklich. Er hatte viel in den letzten Monaten nicht wahr haben wollen. Er hatte sich viel eingeredet, sich vor vielen Dingen verschlossen. Laut wie nie zuvor war die Stimme der Vernunft in ihm gewesen. Sie hatte sein Herz und seinen Verstand übertönt. Und nun stand er hier, mitten auf dem Rollfeld, eine Horde neugieriger Piloten im Rücken, Martin direkt vor sich und Ramrod in weiter Ferne. Erschöpft stemmte Fireball die Arme in die Hüften und ließ den Kopf nun endgültig hängen. Er gestand: „Ich… liebe sie…“
 

Stan und Oliver standen in den geöffneten Hangartüren, die Schar Piloten hinter ihnen, und starrten irritiert auf Martin und Fireball. Bis Oliver den Kopf schüttelte, und im Umdrehen die Tore zuzog: „Ich will davon gar nichts hören.“

Stanley nickte: „Ich will auch nichts davon wissen. Ist die gesündere Variante.“

Zwangsläufig hieß das auch für alle anderen Piloten, dass sie nichts hören und mitbekommen würden. Wenn Stan und Oliver sich darin einig waren, dann war es für den Rest der Crew besser, sich dieser Meinung anzuschließen. Der Kroate stupste Stan an, als sie zu ihren Maschinen zurück gingen: „Unser Captain zieht den Kürzeren.“

Der hochgewachsene Blonde lachte kurz auf: „Er ist schon der Kürzere!“

Sie versuchten das Schauspiel nicht zu ernst zu nehmen. Es ging sie schließlich nichts an. Beide wussten, welche Strafe sie erwarten würde, wenn einer der beiden Streithähne mitbekam, dass jemand sie belauscht hatte. Da war es ungefährlicher, sich der Arbeit zu widmen.
 

Martin hatte Fireball durchaus gehört, auch verstanden hatte er ihn, aber er weigerte sich, darauf etwas zu erwidern. Ganz im Gegenteil. Der Brasilianer schnaubte: „Soll mich nichts mehr angehen! Behalt’s weiterhin für dich.“

Es machte wenig Sinn es noch weiter zu versuchen. Aber Fireball wäre nicht er gewesen und er hätte wenig von seinem Vater gehabt, wenn er nun einfach gegangen war. Der kleine Captain seufzte: „Freunde sind auch da, wenn man sie nicht darum gebeten hat. So wie du.“

Das nahm Martin schlagartig den Wind aus den Segeln. Hatte der verwöhnte kleine Hikari doch etwas gelernt? Er musterte den Japaner. Wie hatte sein Vater gesagt? Einen störrischen Captain musste man aus der Reserve locken. Notfalls mit einem lautstarken Ausbruch und der Drohung, nichts mehr davon hören zu wollen. Anscheinend war da der Vater wie der Sohn. Also doch! Martin wusste in diesem Augenblick nicht, ob er lachen oder schreien sollte. Sicher war, dass er sich demnächst in die Klapse einweisen ließ, wenn das hier so weiter ging. Er erschrak einmal mehr davor, wie treffend sein Vater Emilio auch Ratschläge betreffend Fireball geben konnte. Klar, Vater und Sohn mochten sich ähnlich sein, aber die Ähnlichkeit zwischen Captain Shinji Hikari und seinem Sohn war schon beängstigend. Das war nicht mehr normal.

Als sich Martin bei diesen Gedanken ertappte, erstarrte er in seiner Bewegung. Er murmelte: „Du könntest deinem Vater nicht ähnlicher sein.“

Sein Tonfall war zwar immer noch gereizt und voller Hitze, aber seine Fassungslosigkeit konnte man ebenfalls heraushören.

Wenn er schon ehrlich war, konnte er auch gleich schonungslos ehrlich sein. Fireball nickte: „Du weißt gar nicht, wie Recht du hast.“

Fireball atmete tief durch und strich sich den Pony aus der Stirn. Das hier war einfach nicht gut. Es war nicht gut für seine Nerven. Aber er steckte in einer Sackgasse, im mehrfachen Sinn. Wieder sah er zu Martin auf: „Lass uns heute Abend beim Essen drüber reden. Ich zeig dir meine Wohnung.“

Martin zuckte mit den Schultern. Es sollte ihm gleichgültig sein. Er befand sich gerade in der Phase, dass alles egal war. Also war auch die Einladung egal. Martin ließ den Captain nun stehen. Er ging wieder zum Hangar zurück. Bevor er die Tür erreichte, wandte er sich noch einmal zu Fireball um: „Nach Dienstschluss im Hangar. Und wehe, du bist nicht pünktlich.“

Dilemma

Nach einer längeren Babypause kommt die Kreativität auch bei mir zurück! Ich wage es, diese FF weiter zu tippen. Viel Spaß beim Lesen
 

April kam seufzend zurück in die Küche Ramrods. Am liebsten hätte sie drauf los geheult, aber das war nicht anzuraten, wenn immer noch Colt und auch Saber mit am Tisch saßen. Der Schotte hatte sich zwar schon wieder in die Tageszeitung vertieft, aber zumindest Colt schenkte ihr einen fragenden Blick. Und auch Alessandro sah mit fragenden Augen zu der Gestalt in der Tür.

„Prinzessin, seit wann treibt dir unser Reifenschänder die Zornesröte ins Gesicht?“, dabei stellte Colt wie beiläufig seine Kaffeetasse wieder auf dem Tisch vor sich ab. Ihm war längst schon aufgefallen, dass irgendwo der Wurm drin war. Er wusste nur noch nicht, ob es ein Holzwurm war oder so ein kleiner fieser Wurm, der sich mit Vorliebe aus Äpfeln raus schlängelte. Er wusste noch von ihrer Reise in die Vergangenheit, welche Schwierigkeiten April und Fireball gehabt hatten. Eigentlich hatte er gedacht, das hätte sich wieder geändert. Aber nach der Versetzung war etwas wirklich Schräges passiert. Fireball und April waren nicht mehr zusammen zu sehen. Und das war für Colts Begriffe wirklich bizarr.

Alex zog die Augenbrauen zusammen. Er verkniff sich in letzter Sekunde den Kommentar, dass Fireball auch anderes als Reifen schänden würde. Es passte nicht hier her und wie er die beiden Freunde von April und Fireball kannte, würden die ihm postwendend dafür eine auf den Deckel geben. So gut konnte Alex gar nicht kochen um das wieder gut zu machen. Er blinzelte Colt und Saber an. Die beiden hatten entweder überhaupt keine Ahnung oder aber sie verschlossen die Augen davor.

April zuckte auf Colts Worte hin kaum merklich zusammen. Lediglich ihre zusammen gekniffenen Augen verrieten sie einwandfrei. Und das war ihr auch bewusst. Colt war ein Fährtenleser und er konnte noch so oft einen auf plumper Klotz machen, der Cowboy war in manchen Belangen hypersensibel. Wie sollte sie nun also reagieren? Sie war dem Rennfahrer nachgegangen, das war Fakt. Und sie kam offenbar mit einer ziemlich gesunden Gesichtsfarbe wieder zu Ramrod zurück. Wenn sie nicht aufpasste, zählte Colt eins und eins schneller zusammen, als ihr das lieb war. Weswegen könnte sie also sauer auf Fireball sein? Sie konnte Colt und den anderen beiden schlecht die Wahrheit präsentieren. Sie musste sich also schnell etwas einfallen lassen. April nahm ihren Haarreifen ab und steckte ihn erneut ins Haar, ihren Pony pustete sie schnell zurecht. Dann antwortete sie auf Colts Frage: „Der ist und bleibt ein Kindskopf, wenn du verstehst, was ich meine.“

April war stolz auf sich. Sie hatte nicht gelogen und doch nichts gesagt. Fireball färbte vielleicht doch mittlerweile auf sie ab. Und da war es wieder. Das schlechte Gefühl, gemischt mit diesem Herzrasen, wenn sie an ihn dachte. Wer auch immer behauptete, der Himmel hinge voller Geigen, wenn man verliebt war, der verschwieg, dass diese Geigen dann maximal die traurigsten Klassiker der Musik spielten. Zumindest ihr ging es so.

Colt grinste verschmitzt: „Was hat er angestellt, unser fliegender Münchhausen?“

Der Cowboy ahnte, wie nah er mit dieser Annahme an der Wahrheit war. Fireball passte sie zwar immer ab, wenn sie landeten, aber an der Art, wie er mit ihnen allen die Zeit verbrachte, hatte sich erheblich was geändert. Colt wusste, was in der Base manchmal los war, die war immerhin die einzige Einheit, die fix auf Yuma stationiert war und bei Bedarf den Planeten verteidigen musste. Er und Saber hatten mit Alessandro schon das ein oder andere Gespräch mit diesem Inhalt geführt und er gab an, dass in so einer Flugstaffel öfters mal die Hölle los war. Fireball jedoch hörte man diesbezüglich nie etwas Vergleichbares sagen. Und, was noch viel wichtiger war, der Umgang mit April hatte sich dramatisch verändert. Ob sie sich zerstritten hatten? Colt drehte am Henkel seiner Tasse und tauschte mit Saber und Alessandro einen kurzen Blick aus. Alessandro nickte kaum merklich, als würde er Colt seine Vermutungen bestätigen wollen, Saber jedoch deutete ein Kopfschütteln an. Er sollte sich wohl nicht dauernd in anderer Leute Angelegenheiten einmischen oder etwas rein interpretieren.

„Der hat sich den Red Fury ausgeborgt. Ohne zu fragen und total eingesaut. Der steht vor Dreck“, versuchte April ihrem Zorn eine verständliche Richtung zu geben. Sie war sich nicht sicher, ob es funktionierte, deswegen zog April die Flucht vor. Abgesehen davon fühlte sie sich mies. Deswegen stieß sie sich vom Türrahmen ab und ging mit der Erklärung: „Er kann nichts so zurück bringen, wie er es genommen hat. Unverbesserlich einfach.“

Kaum schloss sich die automatische Tür hinter April, riss Colt die Augen ungläubig auf und sah zu Alex und Saber: „Okay…“, begann er gedehnt: „Das war jetzt was genau?“

Er wurde nicht mehr schlau aus April. Sie hatte gerade mehr als deutlich gemacht, dass sie stinksauer auf Fireball war. Die Blondine hatte Fireball kein einziges Mal beim Namen genannt. Dauernd nur er und der. Was zur Hölle war da am Vorabend passiert? Er hatte doch nur einen Tequila gehabt, der konnte ihm doch schlecht das Gedächtnis löschen.

Alex wollte gerade ansetzen es Colt diplomatischer zu erklären, da kam ihm Saber zuvor. Er stand auf und während er das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine schlichtete, erklärte er: „Es geht uns zwar nichts an, aber vielleicht mag April das neue Mädchen an Fireballs Seite nicht.“

Saber hatte in den letzten Monaten das Gespräch mit Fireball nicht vergessen. Es war gut möglich, dass April doch eine gewisse Eifersucht dem Mädchen gegenüber hegte, in das sich Fireball verliebt hatte.

Colt wurde schlagartig alles klar. Daher wehte der Wind also! Deswegen trafen sich Fireball und April nicht mehr privat. Der Cowboy stieß sich den Hut aus der Stirn und sah zu Saber hinüber. Prompt verdunkelte sich dabei allerdings das Licht, das ihm gerade noch aufgegangen war. Es stellten sich ihm im Wesentlichen zwei Fragen: Wer war Fireballs Freundin? Und wieso wusste Saber etwas davon und er nicht? Höchst verdächtig. Noch dazu, weil Saber es ziemlich selbstsicher und bewusst verlautbart hatte. Der Säbelschwinger mutmaßte nicht, er wusste es. Da war sich Colt ziemlich sicher. Folglich hatte Saber diese Information aus sicherer Quelle. Und es musste demnach – weil offensichtlich – jemand sein, den April nicht mochte. Sonst hätte Saber diese Vermutung nicht ausgesprochen.

Der Cowboy arbeitete gerade eine ganze Liste an Feststellungen und Fragen in seinem Kopf ab, sein Sitznachbar dagegen kämpfte gerade einen Blutrausch hinunter. Für Alex bedeutete Sabers Vermutung nämlich nur eines. Die Bestätigung für seine Vermutungen. Der Hobbyrennfahrer hatte mehr als ein Eisen im Feuer. Und die arme April wurde hingehalten! Wären Saber und Colt gerade nicht anwesend, Alex wäre in den Hangar gegangen und hätte jemandem Verstand eingeprügelt. So aber beschränkte er sich auf ein verächtliches Schnauben. Er hätte dem Hallodri gestern noch ein oder zwei Töne mehr posaunen müssen. Er würde später zu April gehen und sie trösten. Sie war mehr als nur bemitleidenswert. Sie hatte die denkbar schlechteste Karte gezogen. Sie war ausgenutzt worden und als wäre das nicht schon schlimm genug, war sie in den Fremdgeher auch noch verliebt. Der Rennfahrer wurde Alex immer unsympathischer.

Alex starrte auf sein Brötchen. Ihm verging der Appetit bei dem Gedanken daran, dass April wieder weinte.

„Woher weißt du Schlauberger das eigentlich schon wieder?“, Colt konnte mit dieser Frage einfach nicht hinterm Berg halten. Er hatte immer gedacht, er wäre Fireballs bester Freund und nun teilte er ihm so etwas nicht mit. Colt verstand das nicht. Der kleine Flieger war sonst nicht der Typ, der über so etwas mit Saber sprach. Woher also wusste Saber wirklich, dass Fireball eine Freundin hatte? Es ging ihm einfach nicht in den Kopf.

Saber schloss die Spülmaschine und lehnte sich gegen die Arbeitsfläche. Er blickte auf seine zwei Freunde. Ein alter und ein neuer Freund saßen dort am Tisch. Saber war nicht der Mensch, der vorschnell urteilte, aber auch nicht derjenige, der einen fremden Menschen schon nach zwei Tagen als Freund bezeichnete. Mit Alessandro hatte er schon einige Monate zugebracht, teilweise unter sehr beengten Umständen. Das hatte das Kennenlernen extrem beschleunigt. Saber hatte schnell gemerkt, dass Alex äußerst loyal war. Fast schon wie ein Familienhund, der für Herrchen, Familie und Hof alles gab. Er wusste, dass Alex keine Familie im traditionellen Sinne hatte, aber da war er mit Colt und April in guter Gesellschaft. Er hatte seine neue Familie auf Ramrod ebenfalls gefunden, blieb aber auch mit seiner alten Einheit verbunden. Er besuchte, so wie Fireball, bei jeder Landung auf Yuma seine Freunde. Saber blickte zu Colt. Die kleine Spürnase steckte ja wirklich überall seinen Riechkolben hinein. Auch und vor allem ungefragt.

Der Schotte überlegte, ob er hier so offen sprechen konnte. Er ärgerte sich über sich selbst, denn er hatte Fireball versprochen, es vertraulich zu behandeln und trotzdem war ihm nun etwas über ihr Gespräch rausgerutscht. Colt war deswegen schon schnüffelnd auf der Spur und auch Alessandro schien sehr interessiert an der Geschichte zu sein. Dem Schotten blieb also nichts anderes übrig, als es zu sagen, wenn er nicht wollte, dass Colt gleich bei Fireball im Büro stand und dem vorwarf, dass sie als Freunde schon mehr Vertrauen zueinander brauchten. Er setzte sich also wieder an den Tisch und begann: „Ihr wisst, dass ich mich manchmal mit Fireball treffe, wenn wir hier sind. Wir besprechen einiges. Zum Beispiel, wie es in seiner Einheit läuft und manchmal auch, was er in seiner Freizeit so macht. Ich hab schnell gemerkt, dass er selten aus der Einheit rauskommt und Zeit hat. Naja, bei einem seiner spärlichen Ausflüge in die Welt außerhalb des Oberkommandos dürfte es Fireball schwer erwischt haben. Allerdings macht er sich nicht zu viele Hoffnungen, er zweifelt viel mehr daran, dass jemals eine Frau mit ihm dauerhaft zusammen sein will. Ich kenne den aktuellen Stand der Dinge nicht“, warf Saber sofort hinterher, denn er wusste tatsächlich nicht, ob sich Fireball ein Herz gefasst hatte und diese Frau ausgeführt hatte: „aber nachdem er mit April immer sehr gut befreundet war, nehme ich an, er hat auch ihr davon erzählt. Vielleicht hat sie das Mädchen auch schon getroffen, das unserem Superflieger den Kopf verdreht hat.“

Alex hatte sichtlich Mühe, nicht gleich aufzuspringen oder einen Tobsuchtsanfall zu bekommen. Er hielt sich immer wieder krampfhaft vor Augen, dass es nicht seine Probleme waren, er der Neue an Bord war und sich nicht einmischen durfte, aber dafür war es schon seit Wochen zu spät. Er hatte sich bereits eingemischt, als er April in der Nacht die Tränen von den Wimpern geküsst hatte und ihr Geborgenheit gegeben hatte. Wie viele Male hatte er ihr seither den Rat gegeben, diese Affäre zu beenden? Es hatte nie gefruchtet und nun würde Alessandro mitansehen müssen, wie der hübschen Navigatorin das Herz vollends gebrochen wurde. Dem Italiener wurde ganz anders bei dem Gedanken. Er spürte, wie er seine Hände zu Fäusten ballte und damit am liebsten ein Loch in die Wand geschlagen hätte. Aber er musste sich ruhig verhalten. Er konnte hier nicht aufstehen und den beiden Freunden sagen, was er wusste und was es wirklich war. Denn dann hätte er ihnen gleichzeitig auch sagen müssen, dass sie blutige Anfänger waren und ganz bestimmt keine guten Freunde. Und das wollte der Pilot nicht tun, einerseits, weil Colt und Saber bestimmt gute Freunde waren und andererseits, weil ihm ein solches Urteil nicht zu stand.

Colt zog indes eine Schnute und ließ sich Sabers Worte durch den Kopf gehen. Das war ja allerhand. Und wenn er es sich genauer überlegte, so könnte das ruppige Verhalten, das April gerade an den Tag gelegt hatte durchaus als Eifersucht zu betiteln sein. Der Cowboy wusste wie es um Aprils Gefühle bestellt war. Nicht erst seit ihrem Abstecher in die Vergangenheit, da hatte er lediglich die Bestätigung seiner Vermutung bekommen. Lange schon war ihm aufgefallen, dass sich April zu dem Hobbyrennfahrer hingezogen fühlte. Nie hatte sie die Chance ergriffen, es ihm zumindest zu sagen und nun war eine andere Frau schneller gewesen. April hatte schon so manches Mal erfolgreich verhindert, dass ein anderes Mädchen Fireball zu nahe kam, das beste Beispiel dafür war die Geschichte mit Claudia Firenza gewesen, aber nun war April außerhalb des Aktionsradius des Rennfahrers. Sie hatte nicht mehr eingreifen können und ein anderes Mädel hatte die Nasenlänge Vorsprung gehabt. Colt schmunzelte, obwohl es ihm auch leid für April tat: „Hat er sich glatt eine gesucht, die ihm nachts das Bett vorwärmt.“

Saber atmete genervt aus. Was an seinen Worten hatte Colt nun wieder nicht verstanden? Er hatte doch mit keinem Wort erwähnt, dass er sie zu sich ins Bett nahm oder hatte er sich etwa so unklar ausgedrückt? Saber fuhr sich durch die Haare und korrigierte Colt noch einmal mit Nachdruck: „Wie gesagt, ich kenne den aktuellen Stand der Dinge nicht. Aber soweit mir bekannt ist, ist er mit ihr noch nicht einmal ausgegangen, weil er seines Erachtens zu unpünktlich ist und keine auf ihn warten würde.“

„Und wie lange ist das her? Drei Monate, vier oder hat er dir das erst vor vier Wochen gesagt?“, wollte Colt wissen. Klar, Fireball war in manchen Belangen nicht einmal annähernd halb so schnell wie hinter dem Steuer, aber selbst der kleine Hitzkopf würde es in einem halben Jahr schaffen, sich ein Mädel anzulachen. Vor allem dann, wenn er sie unbedingt haben wollte. Colt wollte einfach nur sicher gehen, wie glaubwürdig und vertrauenswürdig diese Auskunft überhaupt noch war.

Das war ein einleuchtendes Argument. Saber nickte daraufhin und gab nähere Auskunft: „Das ist schon wieder gute vier Monate her, als wir darüber gesprochen haben. Seither hat Fireball nichts mehr erwähnt. Und ich muss auch sagen, ich hab ihn nicht mehr darauf angesprochen, er hat ziemlich was um die Ohren.“

Colt nickte zufrieden und verschränkte die Arme vor der Brust. Damit war für ihn der Fall klar. Er stupste sich den Hut aus der Stirn und fasste zusammen: „Und jetzt noch mal für die Blitzmerker unter uns zusammengefasst. Fireball hat sich eine Frau angelacht und so wie ich den Kurzen einschätze auch erfolgreich bezirzt. Und April kann sie nicht leiden.“

Der Säbelschwinger verdrehte die Augen. Genau dasselbe hatte er doch schon im ersten Satz gesagt, wieso hatte er trotzdem so weit ausholen müssen? Mit Colt war das manchmal schon richtig harte Arbeit, ruhig und besonnen zu bleiben. Da war es mit Alex schon einfacher. Saber warf einen Blick auf den Italiener, der bisher ziemlich schweigsam reagiert hatte. Für den musste dieses Schauspiel doch grad wieder nur die Bestätigung dafür sein, dass sie alle einen an der Waffel hatten. Ob sich Alex das ein oder andere Mal vielleicht auch zu seiner alten Einheit zurück wünschte, so wie Fireball? Saber wusste es zwar nicht, hoffte aber, dass dem nicht so war. Er hatte den Italiener lieb gewonnen und sah einen Freund in ihm.
 

Nun saß er also hier. Schweigend. Seit gefühlten zwanzig Minuten. Skeptisch sah er sich um, das Glas in der Hand haltend. Eines fiel ihm dabei schnell auf. Überall standen Kisten, teilweise sogar noch verschlossen. Alles in allem wirkte die Wohnung nicht zuletzt wegen der Umzugskartons kalt und lieblos. Es fanden sich keine persönlichen Gegenstände, keine Dekoration. An der Steckdose in der Küche hing das Ladekabel für das Telefon, die aufgeschlagene Tageszeitung noch auf dem Frühstückstisch, zusammen mit einer Kaffeetasse. Wohlfüllen sah Martins Erachten anders aus.

Fireball war pünktlich zu Feierabend vor ihm gestanden, hatte sein Wort also gehalten. Zuvor waren sie sich aus dem Weg gegangen. Martin hatte keine Lust auf eine weitere schräge Begegnung mit seinem Captain gehabt und Fireball war wieder einmal jedem aus dem Weg gegangen. An diesem Tag war es auch den anderen Piloten seltsam vorgekommen.

Endlich brach Martin das Schweigen, sein Captain hatte neuerdings ein Schweigegelübde abgelegt. Der Wuschelkopf hantierte in der Küche am Essen herum und biss sich immer wieder auf die Lippen. Noch nicht einmal in seinen eigenen vier Wänden konnte er den Mund aufmachen.

„Bist du auf der Flucht?“, Martins Stimme klang wie schon am Morgen gereizt und unbarmherzig. Der Brasilianer hatte sich dazu herbei gelassen und dem Wuschelkopf noch eine Chance gegeben. Aber der schien sie nicht zu nützen.

Fragend sah sich Fireball nach Martin um. Seit er Martin abgeholt hatte, suchte er nach den richtigen Worten, doch fand er sie nicht. Er war schrecklich angespannt, schon den ganzen Tag. Fireball wusste nicht, ob Martin jemandem etwas erzählt hatte, ob er bei Commander Eagle gewesen war. Vor allem aber wusste er nicht, ob April und er überhaupt noch etwas hatten, wofür sie bestraft werden konnten. Nach ihrem Streit am Morgen hatte er auch um Ramrod einen großen Bogen gemacht. Am Nachmittag, als er sich endlich soweit gehabt hätte, mit April noch einmal in Ruhe zu sprechen, hatte Ramrod bereits wieder den Befehl zum Abflug erhalten. Fireball hatte zwar geahnt, dass er nicht viel Zeit hatte, um sich mit der Blondine auszusprechen, aber er hätte auch nicht in dem aufgebrachten Zustand mit ihr reden können.

„Die Kisten. Hast du schon wieder angefangen zu packen?“, nun stand Martin auf und begann in der Wohnung herum zu gehen. Der Brasilianer drang absichtlich in sensible Bereiche ein, er hoffte, Fireball damit aus der Reserve zu locken. Martin verschwand mit dem Glas in der Hand aus der Küche. Er sah kurz ins Wohnzimmer, ins Badezimmer, aber im Schlafzimmer hielt er sich am längsten auf. Martin machte zwar nur einen Schritt in das Zimmer, aber trotzdem war er in den sensibelsten Bereich einer Wohnung eingedrungen. Er fühlte sich seltsam dabei. Martin konnte sich kaum vorstellen, dass hier in den letzten Monaten Vertrautheit und Zärtlichkeiten ausgetauscht worden waren. Aber es hatte den gewünschten Effekt.

Gleich darauf erschien auch Fireball in der Tür zum Schlafzimmer: „Okay, du bist immer noch sauer“, räumte er ein. Der Rennfahrer konnte die Spannung fühlen. Ein falsches Wort und Martin würde ihm den Hals umdrehen. Als er Martin in seinem Schlafzimmer sah, fühlte er sich, als hätte Martin ihn überführt. Aber das Gefühl war überflüssig. Martin wusste doch schon längst Bescheid. Nur in diesem Augenblick meinte er, es wäre noch viel schlimmer. Beinahe so, als hätte Martin April eben noch aus dem Schlafzimmer huschen gesehen und sie quasi erwischt. Fireball bemerkte, dass ihm eine Gänsehaut über den Rücken lief und er stellte fest, dass ihm auch an den Armen die Haare zu Berge standen. Schnell verschränkte er deswegen die Arme hinter dem Rücken und versuchte, Martin irgendwie aus dem Schlafzimmer zu kriegen: „Ich hatte noch keine Zeit die Kisten auszupacken. Alles, was ich brauche, steht schon irgendwo.“

Martin verdrehte die Augen und schüttelte missbilligend den Kopf. Wenn Fireball so weitermachte, würde er gleich wieder aus der Tür raus stürmen. Wollte er ihn für blöd verkaufen? Der Brasilianer deutete auf das Zimmer: „Hast du noch eine andere Wohnung und benützt diese hier nur, wenn April da ist?! Hier kann man doch nicht von Leben sprechen. Ehrlich man, hier würd ich vielleicht mal eine Nacht meinen Rausch ausschlafen, aber auf Dauer würd ich es in diesen vier Wänden nicht aushalten. Wenn man sich das hier so ansieht, dann drängt sich mir nur ein Verdacht auf. Du weißt, dass du nicht lange der Captain der Air Strike Base bleibst. Weil du es gar nicht willst!“

Dabei war Martin immer lauter geworden. Er war maßlos enttäuscht, denn tatsächlich kam es dem Brasilianer so vor, dass Fireball nie auf Dauer in der Base bleiben wollte. Es machte ihn wütend. Der kleine Furz hatte von Anfang an damit gerechnet, das Oberkommando sehr bald wieder zu verlassen. Er hatte keinerlei Anstrengungen unternommen um Fuß zu fassen und Wurzeln zu schlagen.

„Alles ist grad im Umbruch“, Fireball war immer noch in der Verteidigungshaltung, das allerdings äußerst schwach. Sein Blick war auf den Boden gerichtet, denn er wusste nicht, wie er Martin besänftigen konnte. Es würde nur mit der Wahrheit gehen, aber wie sollte er das machen? Fireball wusste nicht, in welche Worte er die Tatsachen verpacken sollte. Bei manchen Angelegenheiten verlor der Hitzkopf mächtig an Fahrt. Ging es um April, würde er am liebsten den Rückwärtsgang einlegen und die Flucht ergreifen. So, wie Martin es letztendlich bemerkt hatte. Nun lehnte sich Fireball mit der Schulter gegen den Türrahmen und sah zu Martin auf: „Ich wurde rein gezwängt. In die Wohnung und… in ein Erbe, das freiwillig keiner antreten würde. Es macht keinen Spaß. Auf Ramrod hab ich mich wohlgefühlt. Ich war bei Freunden und“

Sofort fiel ihm Martin wieder ins Wort. Da konnte er einfach nicht ruhig bleiben, verdammt, er war Brasilianer und gerade eben der noch schlimmere Hitzkopf als Fireball. Mit ziemlich viel Schwung stellte er sein Glas auf der Kommode ab und fuhr den Japaner an: „Würdest du etwas dafür tun, hättest du in der Base auch Freunde. Die kommen nämlich nicht von nichts! Und verdammt, du bist alt genug um dich mit aufgezwungenen Situationen abzufinden. Andere würden sich alle zehn Finger ablecken, wenn sie den Posten bekommen würden, den du nicht haben willst. Ich versteh dich nicht, absolut nicht! Du bist einerseits für dein Alter so derart überreif und andererseits ein so kleines unbeholfenes Kind.“

Das war eine klare Ansage. Und verdienter Anschiss, den Fireball kassiert hatte. Diese herbe Kritik musste er erst mal einstecken. Aber dem jungen Hitzkopf war klar, dass Martin zu Recht sauer war. Und nun musste Fireball zusehen, wie er damit klar kam und wie er Martin wieder besänftigen konnte. Er war voll und ganz in der Bringschuld. Eines war ihm klar, er wollte nicht hier im Schlafzimmer weiterreden. Nicht mehr mit Martin in dem einzigen Zimmer stehen, in dem April und er ihre eigene kleine heile Welt gehabt hatten. Demonstrativ drehte er sich um und ging ins Wohnzimmer: „Wenn du dich mit deinem Bier ins Wohnzimmer setzt, bringe ich das Essen und dann bekommst du Antworten“, er sah Martin fest in die Augen: „Alle.“

„Ich will keine Ausflüchte mehr hören! Die hab ich die letzten Monate oft genug gehört“, Martin nahm das Glas wieder in die Hand und folgte dem Japaner. Das tat er allerdings nicht, ohne dem Schlafzimmer noch einen prüfenden Blick zu widmen. Wenn diese vier Wände sprechen könnten, was würden sie dem Brasilianer wohl erzählen? Würden sie ihm beschreiben, wie groß die Sehnsucht nach dem anderen war oder dass nur das körperliche Verlangen im Vordergrund stand? Martin schüttelte den Kopf. Das sollte ihn nichts angehen. Wichtiger war, dem Schwerenöter mit den kindlichen Allüren so auf den Zahn zu fühlen, dass er ihn endlich verstand.

Fireball brachte das Essen an den Tisch. Bevor er sich setzte, musterte er Martin noch eingehend. War hier der Sohn auch wie der Vater? Der Sohn von Emilio Rubario hatte augenscheinlich viel von seinem Vater, Fireball konnte sich noch allzu lebhaft an den Brasilianer vor zwanzig Jahren erinnern. Zum Teil, weil er ihn selbst kennen gelernt hatte, zum anderen aber auch, weil die Erinnerungen von seinem eigenen Vater öfter hochkamen, als ihm lieb war. Den Hitzkopf teilten sich Vater und Sohn auch bei den Rubarios, allerdings auf eine andere Art und Weise. Vielleicht war das der Grund, weshalb Fireball sich gut mit Martin vertrug. Bis zu einem gewissen Grad zumindest.

„Um eines klar zu stellen, Martin“, begann der Wuschelkopf schließlich, nachdem er sich gesetzt hatte: „Du bist ein Freund für mich. Und ich bin dir mehr als dankbar, dass du mir in der Base zur Seite stehst.“

Er machte eine Pause, um Martins Reaktion darauf zu sehen. Aber mehr als ein verärgertes Kopfnicken erhielt der Rennfahrer nicht. Offenbar war Martin nicht sonderlich begeistert von solchen Einstiegen. Oder hatte er etwa das Gefühl, Fireball würde ihn trotzdem nicht als Freund ansehen? Um dem Brasilianer einen Beweis zu liefern, war es Zeit, die Katze aus dem Sack zu lassen. Er hätte es längst machen sollen, aber wie in manchen anderen Bereichen auch, hatte Fireball mit seiner neu entdeckten Vernunft lieber kein Sterbenswörtchen darüber verloren. Wäre er gleich offen gewesen, hätte es Martin gereicht, wenn er ihm gestanden hätte, dass er sich in April verliebt hatte. Der Brasilianer hätte es verstanden. So allerdings musste er ausholen, weiter in der Geschichte zurück gehen als ihm lieb war und auch die letzten Monate in der Base Revue passieren lassen und verständlich machen. Bei dem Gedanken verging ihm schlagartig der Appetit. Lustlos, vor allem aber zerknirscht, schob er den Teller von sich: „Das ganze Theater hat mit der letzten Mission auf Ramrod angefangen.“

„Ahja, diese Mission, von der angeblich nicht mal Eagle weiß, was genau passiert ist. Man munkelt, ihr hättet einfach mal fünf Monate Urlaub gemacht“, Martin nahm dieses Gerücht in keiner Weise ernst, aber tatsächlich wusste niemand genau, was geschehen war. Die wildesten Geschichten kursierten diesbezüglich, aber letztendlich waren alle froh, dass Ramrod wieder aufgetaucht war.

Fireball nickte: „Urlaub wäre schön gewesen. Aber um diese Mission geht’s gerade nicht. Zumindest nicht vordergründig. Ich will damit nur sagen, dass uns diese Odyssee noch fester zusammen geschweißt hat. Und April und ich…“, der junge Captain wurde leiser: „wir haben entdeckt, dass wir mehr füreinander empfinden als Freundschaft. Es ist nicht so, dass wir nicht wüssten, dass es verboten ist. Ich steck da in einem echten Dilemma. Seit ich versetzt worden bin, rede ich mir ein, dass wir weiterhin nur Freunde sind. Aber jedes Mal, wenn wir uns wieder gesehen haben… Und mittlerweile… Naja…“

Sein Redefluss erstarb in einem betrübten Seufzer. Es gab nichts mehr, nicht einmal mehr eine Freundschaft. Deswegen wechselte er das Thema und sprach über das andere Übel, das ihm nachts den Schlaf raubte: „Die Zeiten hier in der Base sind auch kein Zuckerschlecken. Nicht, weil meine Mannschaft am Anfang gedacht hat, ich hätte nur meinen Dad beerbt. Das glauben auch gefühlte 95 Prozent aller anderen.“

Auch für Martin wurde das Abendessen immer mehr zur Nebensache, immer wieder sah er zu Fireball auf, musterte ihn und versuchte zumindest ansatzweise zu verstehen, was der junge Spund von sich gab. Aber bei seinem letzten Satz war er endgültig ausgestiegen. Und er war nach wie vor sauer auf Fireball. So miese Arbeitstage hatte er selten gehabt und sie wurden leider auch nach Feierabend nicht besser. Kein Wunder, bei so einem Captain. Er ließ die Gabel auf den Teller sinken und versuchte, Licht in sein Dunkel zu bringen: „Warum wohl? Du hast ihn beerbt. Für alle wirkt es, als würdest du nichts, aber auch gar nichts, für den Job hier tun.“

„Du müsstest es besser wissen“, brachte Fireball hervor. Das war der nächste Tiefschlag für den Captain. Sogar seine einzige Stütze in der Base dachte, er würde nichts machen. Das war der mit Abstand schlimmste Tag seit langem. Gut, er kam nicht an den Tag ran, an dem sein Vater gestorben war und er gleich mit, aber der war ganz nahe dran. Fireball lehnte sich in die Kissen zurück, streckte die Beine aus und hielt sich die Hände vors Gesicht. Das war nur noch grausam. Wieder stieß er die Luft heftig aus und sank noch tiefer in die Couch. Unter seinen Händen murmelte er: „Der Name ist verflucht. Und dabei weiß ich noch nicht mal, was ich in meinem letzten Leben so fürchterliches getan habe. Man könnte meinen, ich hab den Krieg zwischen Menschen und Outridern angezettelt.“

Martin schüttelte den Kopf. Wenn er so weiter machte, würde er gleich jemanden in eine tiefe Depression stürzen. Dennoch war der Brasilianer nicht gewillt, dem kleinen Hikari aufmunternde Worte zu schenken. Martin nahm einen Schluck von seinem Getränk und warf einen weiteren prüfenden Blick auf seinen Captain. Er hatte alle Zeit der Welt, denn seiner Alessa hatte er schon zu Mittag gesagt, dass es spät werden konnte. Und so wie es schien, würde er die Zeit auch brauchen. Martin merkte mit einem Mal, dass hier wesentlich mehr schwelte, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Stan dürfte mit seinem dämlichen Test etwas an die Oberfläche gebracht haben, was der junge Captain nie wirklich verdaut hatte. Das waren einige Baustellen, die vermutlich auch gereicht hätten, wenn eine nach der anderen zum Problem wurde. Endlich lenkte Martin mit dieser Erkenntnis ein. Allerdings auf seine Weise: „Eins nach dem anderen, du Könner. Du sagst doch selbst, dass dein Vater dich nicht berührt, weil du ihn nicht kennst. Weshalb jetzt also doch?“

Fireball spreizte die Finger und lugte dazwischen zu Martin hinüber. Dank der Hände, die immer noch vor seinem Gesicht verweilten, konnte der Brasilianer den Gesichtsausdruck nicht sehen. Ihm saß ein dicker Kloß im Hals, weil genau das das Thema war, worüber er noch weniger sprechen wollte, als über April. Er konnte noch nicht einmal mit April über das Erlebte sprechen, wie sollte er es dann Martin erzählen? Der würde ihn in die Klapse einweisen lassen. Fireball setzte sich wieder aufrecht hin, sah Martin dabei geradewegs in die Augen und versuchte, glaubhaft zu sein: „Ist schwer, mit einer Mutter aufzuwachsen, die die Wiedergeburt ihres Mannes in einem sieht. Aber Martin, noch schwerer ist es, ein Mädchen zu mögen, mit dem man nicht zusammen sein darf. Es ist nicht nur das Verbotene. Viel schlimmer ist es für mich, wochenlang nichts von ihr zu hören. Die Arbeit auf Ramrod ist gefährlich.“

Nun nickte Martin. Das verstand er schon eher als diese kryptischen Floskeln. Die Geschichte mit der Wiedergeburt wollte ihm zwar nicht so recht in den Kopf, aber er ließ jedem seinen Glauben. Damit würde er sich irgendwann mal befassen, viel wichtiger war jetzt das andere Desaster in Form einer umwerfenden Blondine. Martin konnte nicht verleugnen, dass die Tochter von Commander Eagle Charme besaß. Sie war sehr reizvoll, nicht nur weil sie klug war. Kein Püppchen, wie sie Stan haufenweise anschleppte. Seine Alessa war auch ein solches Exemplar. Nur mit dem winzigen Unterschied, dass sie nicht im Oberkommando arbeitete. Martin musterte Fireball wieder. Ein Teenager saß neben ihm. Ein Teenager, der krampfhaft vernünftig und erwachsen sein wollte.

„Das nennt sich Fernbeziehung, Babyboy“, das war für Martin eine Selbstverständlichkeit. Er hatte sehr aufmerksam zugehört, zwischen den Zeilen gelesen, wie es ihm Alessa seit seinem ersten Aufeinandertreffen mit Fireball immer wieder geraten hatte. Martin war darin zwar nicht im Entferntesten so geübt wie seine Freundin, aber das ein oder andere hatte er doch heraushören können. Mit fester Stimme erklärte Martin seinen Standpunkt diesbezüglich: „Wenn es denn eine Beziehung wäre. Gefühlte tausend Mal hab ich dir seit deinem Dienstantritt hier gepredigt, welche Konsequenzen auf die Tat stehen, aber gehört hast du mich kein einziges Mal, wie’s scheint. Scheiße man“, begann er sich abermals aufzuregen: „du hast mich die verdammten Regeln immer und immer wieder zitieren lassen, in dem Wissen, dass du sie jedes Mal wieder brechen wirst, wenn sie dir über den Weg läuft. Es wird ja kaum der Reiz des Verbotenen sein, denn dann hätten’s Cheryl oder Mandy auch leicht getan.“

Fireball war während Martins Standpauke aufgestanden, er befand sich dann doch lieber außer Reichweite des Brasilianers, wenn er sich zu sehr aufregte. Und dass sich Martin bei einem Wutausbruch ebenso schlecht beherrschen konnte, wie er selbst, wusste Fireball spätestens seit diesem Morgen. Er stand im Türrahmen und ließ die Schultern hängen. Der Captain war nicht stolz darauf, wie es der Brasilianer letztlich erfahren hatte. Ach was! Er war nicht stolz darauf, wie das alles überhaupt lief! Mit Müh und Not hatte er die Air Strike Base so halbwegs unter Kontrolle gebracht, hatte sich dank einer Gnadenfrist gerade noch so seinen Job sichern können und verbrachte seit Monaten viel zu viel Zeit im Büro. Selten kam er vor Sonnenuntergang raus. Wenn April in Yuma war, nahm er sich die Arbeit mit nachhause, nur um Zeit in ihrer Nähe verbringen zu können. Genau das allerdings hatte Ärger zwischen ihnen herauf beschworen. Seine Politik, einfach nur Freunde zu bleiben, hatte dafür einen guten Nährboden geliefert, seine Unfähigkeit, nach ihrem Liebesspiel April an sich heran lassen zu können, war ein perfekter Dünger gewesen. Fireball hatte April niemals mit seiner Arbeit und erst recht nicht mit seinen schlechten Träumen und Gefühlen belasten wollen. Stundenlange Gespräche mit Alessandro dürften bei April schließlich zu der Erkenntnis geführt haben, dass sie lediglich ein Zeitvertreib oder ein Ventil für den Druckabbau war. Genau dagegen konnte Fireball aber nicht mehr argumentieren, April würde ihm keinen Glauben mehr schenken.

Entmutigt klopfte er mit den Knöcheln gegen den Türrahmen. Die Verteidigung bestand im Augenblick lediglich aus zugeben und erklären. Deswegen gab er wieder Auskunft: „Wenn es dich beruhigt, bei jeder deiner Ausführungen über Regeln wäre ich am liebsten in einem Erdloch verschwunden. Wie nahe du jedes Mal bei der Realität warst, ich hätte darauf gewettet, dass du es bereits wusstest. Aber jetzt weißt du es. Und ich stehe immer noch vor dem selben Dilemma, vor dem ich seit der ersten Nacht stehe. Es lassen und unglücklich werden, kündigen und das Gefühl haben, mein Schicksal nicht erfüllt zu haben oder es so lassen, wie es ist und wissen, dass ich April jedes Mal das Herz breche und alle meine Freunde hintergehe. Ich finde keine dieser Optionen wirklich prickelnd.“

„Ahja, du brichst ihr also lieber das Herz und verrätst deine Freunde. Das darf ja wohl einfach nicht wahr sein! Kannst du nachts überhaupt noch ruhig schlafen?!“, Martin fuhr in die Höhe. Es war durchaus logisch, was sein Captain ihm da versuchte zu erklären. Aber es entbehrte sich ihm jeder Logik. Der Brasilianer war nie vor einem solchen Problem gestanden, hatte sich nie für eine Option entscheiden müssen. Wieder lauter, weil ihn das Ausmaß des Desasters aufregte und weil er langsam zu verstehen begann, was in weiterer Folge auch auf die Air Strike Base zukommen würde, fuhr er den Japaner wieder an: „Du bist noch nicht mal so viel, dass du mit deinen besten Freunden darüber sprichst. Was willst du Colt oder Saber sagen, wenn sie dich danach fragen? …Ach nein, warte! Ich weiß es. Du sagst ihnen das, was du mir gesagt hast! Ich bin ja auch einer ‚deiner Freunde‘!“

Martins letzte Worte wurden abschätzig. Verletzter Stolz und enttäuschtes Vertrauen hatten wieder Überhand gewonnen. Beinahe hätte er sogar die Faust auf den Tisch geschlagen, aber davon konnte er sich gerade noch abhalten. Es hatte nicht viel Sinn, seine Enttäuschung noch mit schepperndem Geschirr zu untermalen.

Fireball streckte die Hände aus und zeigte auf Martin: „Hör zu, ich hab mich nicht getraut. Du hast es immer auf das Schärfste verurteilt. Und jetzt tust du es auch. Wie hätte ich dir nach einer Gardinenpredigt sagen sollen, dass ich mit April schlafe, wenn ich sofort damit hätte rechnen müssen, dass du es meldest?“

„Wie kommst du darauf?!“, völlig entsetzt hielt Martin inne. Er hätte doch nie ein Sterbenswörtchen zu Commander Eagle oder sonst jemandem gesagt. Weshalb also dachte Fireball so etwas?

Nun zog Fireball eine Augenbraue nach oben, während er die Arme vor der Brust verschränkte. Wenn die Situation nicht so bitter gewesen wäre, hätte sich ein Schmunzeln auf Fireballs Lippen gebildet. Er erklärte dem Brasilianer: „Du hast mir nur ungefähr fünfzig Mal gesagt, dass kein Regelverstoß toleriert wird. Schon gar nicht von dir“, er machte eine Pause, holte tief Luft und fasste zusammen: „Fakt ist, ich hab’s vergeigt. In jeder erdenklichen Hinsicht.“

Martin riss entsetzt die Augen auf. Hatte er das wirklich jemals gesagt? Nie im Leben! Er kam auf den Japaner zu, das wollte er sofort klargestellt wissen: „So hab ich das niemals gesagt! Es darf einfach nur nicht sein. Babyboy, es hat einen verdammt guten Grund, wieso das KOK das nicht will. Schau dir dein Desaster doch mal an. Wie willst du denn im Kampf das Beste für alle Beteiligten rausholen, wenn deine Freundin mit Ramrod im Getümmel mitmischt?“, dem Brasilianer fielen noch tausende andere Gründe ein, weshalb es richtig war, Beziehungen unter Kollegen nicht zu tolerieren. Als er Fireballs offene Haltung bemerkte, die ihm eindeutig verriet, dass der Hitzkopf zu Widerworten ansetzen wollte, fiel er ihm ins Wort: „Du kannst dir dein Aber sparen. Jeder weiß, dass du eher sie als fünf deiner Angestellten retten würdest, wenn es hart auf hart kommt.“

„Wenn es hart auf hart kommt“, wiederholte Fireball Martins Worte wohlwissentlich: „dann ist Saber für April verantwortlich und ich für mein Selbstmordkommando.“

In diesem Moment war es für den Rennfahrer sonnenklar, doch er selbst wusste, dass einem das Herz gerade in schwierigen Situationen oftmals im Weg stand. Er könnte es Martin nicht schwören, dass er sich in einem Kampf um Leben und Tod eher für seine Crew entscheiden würde. Deswegen senkte der Japaner kurz den Blick. Martins Schimpftriaden musste er über sich ergehen lassen, er hatte es nicht anders nach den letzten Monaten verdient. Aber zumindest das Thema sollte er doch wechseln dürfen: „Okay, mein persönliches Dilemma weitet sich gerade aus. Marty, je mehr du auf diesen scheiß Regeln rumreitest, die ich selbst in den letzten Monaten bis zur Vergasung gelesen hab, desto sicherer bin ich mir, dass ich meinen Job verliere. Mein engster Vertrauter liest mir ohne es zu wissen jedes Mal die Leviten und zählt mir die schlimmsten Konsequenzen auf. Ja klar hab ich da Schiss, Mann!“

„Ist schon scheiße, wenn man zu seinen Gefühlen nicht stehen kann, was?“, patzig reagierte Marty auf Fireballs versteckte Entschuldigung und Bitte. Klar doch, er war Fireballs engster Vertrauter! Sonst noch Probleme?! Martin wollte nicht wissen, wie wenig ein Bekannter erst wusste, wenn Fireball ihm schon kaum was erzählte und ihn als engsten Vertrauten bezeichnete. Prompt rieb er das dem jungen Spund auch unter die Nase: „Du gehörst doch in ein buddhistisches Schweigekloster eingewiesen. Du sagst, ich wär dein Vertrauter, tatsächlich erzählst du mir aber nichts von Bedeutung. Mann“, Martin schnaubte und drängte sich an dem Japaner vorbei ins Vorhaus. Er hatte genug von dem Theater. „Da möchte ich gar nicht wissen, was du alles Weltbewegendes deinen Freunden Colt und Saber erzählst, oder gar deiner Freundin. April. Weiß die überhaupt etwas von dir?!“

Noch ein Tiefschlag. Martin war verdammt gut im Austeilen. Der Brasilianer kannte jede seiner Schwachstellen und die schlachtete er gerade nur allzu genüsslich aus. Fireball kam es vor, als würde Martin ihn bei lebendigem Leibe häuten. Immerhin wusste er, wie es sich anfühlte, bei lebendigem Leib zu verbrennen. Das hier war für den Japaner vergleichbar. Wenn auch in einem grausamen Ausmaß unerträglicher. Bei dem Kamikazemanöver hatte er wenigstens gewusst, dass es bald vorbei war. Wie lange Martin ihn noch quälen würde, war fraglich.

Fireball schlug die Augen nieder und versuchte wieder sachlich zu sein: „Wir drehen uns im Kreis. Ja, ich bin ein mieser Freund und Kumpel. Ich bin auch kein herausragender Captain. Beim Konfliktmanagement in der Schule hab ich gefehlt und das Rückgrat sucht man bei mir vergeblich“, zählte Fireball doch mehr sarkastisch auf. So kamen sie nicht weiter.

Mit hochgezogenen Augenbrauen und einem fragenden Gesichtsausdruck sah Martin daraufhin zu ihm hinüber. Konnte ihn das heute noch umstimmen? Der Brasilianer schüttelte energisch seinen Kopf. Ne, er hatte die Schnauze gestrichen voll, noch ein Wort von dem Stöpsel da drüben und Alessa durfte ihn demnächst im Knast besuchen gehen.

Martin beugte sich zu seinen Schuhen hinab. Während er hinein schlüpfte, ließ er Fireball wissen: „Ich sag dir eins, kurzer Stoppel. Tu was. Verändere deine Situation, vor allem aber verändere deine Einstellung. So kann’s nicht bleiben. Wenn du endlich weißt, was du willst, kannst du es mir gerne sagen. Dann finden wir auch einen Weg. Nur so, wie es jetzt ist, kannst du auf mich nicht mehr zählen“, Martin richtete sich auf und sah Fireball bedrohlich an: „Ich arbeite mit niemandem zusammen, der mir wichtige Informationen vorenthält und ich bin niemandes Freund, der mir nichts anvertraut.“

Ohne sich zu verabschieden verschwand Martin und zog die Tür hinter sich fest ins Schloss. Fireball stand wie angewurzelt da. Martins Ansage war klar und deutlich gewesen, seine Worte nur allzu deutlich. Blieb alles beim Alten, würde er in Zukunft nicht mehr auf den loyalen Brasilianer zählen können. Doch das einzige, was Fireball noch mehr erschrocken hatte, war die Bezeichnung gewesen. An Tagen wie diesem fraß das ‚Kurzer‘ ein Loch in sein Herz.

Erst am späten Abend hatte sich Fireball soweit gehabt, aus seiner Starre auszubrechen. Zuerst hatte er zu seinem Telefon gegriffen, hatte Aprils Nummer gewählt. Doch sein Anruf war unbeantwortet geblieben. Verständlich nach dem letzten Treffen. Fireball warf das Telefon auf die Couch hinüber und seufzte. Sie war noch nicht mal richtig weg, da vermisste er sie schon wieder unendlich. Der Pilot holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich neben einen der Umzugskartons. Er nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche und riss den noch verschlossenen Karton auf. Fest entschlossen, etwas zu ändern, begann er kurz nach Mitternacht mit dem einzigen, das er sofort ändern konnte. Er griff nach dem ersten Gegenstand in der Kiste und holte ihn heraus. Es war der erste Schritt, aus dieser Wohnung ein Zuhause zu machen. Fireball holte mit den Gegenständen lieb gewordene Erinnerungen in seine Wohnung, die ihm das Gefühl einer vertrauten Umgebung gaben. Als er ein Familienfoto ins Wohnzimmer stellte, murmelte er: „Willkommen zuhause, Captain Hikari.“
 

Als ihr Telefon klingelte, sah April nur kurz auf das Display, dann drückte sie das Telefonat weg und ließ es in ihrer Tasche verschwinden. Nein, sie hatte keine Lust, mit ihm zu reden. Es führte ohnehin zu nichts. Lediglich zu Kummer. Und April bezweifelte, dass ihr Kummer noch größer werden konnte. Sie lächelte in die Runde und erklärte: „Werbeanruf.“

„Wohl eher ein Werbeanruf für gutes Putzmittel, das schonend zum Lack ist“, schmunzelte Colt. Er hatte einen Blick auf das Display erhaschen können, außerdem kannte er die Melodie von Aprils Telefon, wenn ein gewisser Rennfahrer sich bei ihr meldete. Sie war offensichtlich immer noch sauer auf ihn. Bis zu ihrem Aufbruch an diesem Tag hatte April sich nicht mehr herbeigelassen, mit Fireball noch einmal zu sprechen und Gott wusste, Colt hatte wirklich versucht, sie dazu zu bewegen. Sabers Ausführungen vom Vormittag hingen dem Cowboy noch sehr präsent im Oberstübchen. Er glaubte endlich, sich einen Reim auf Aprils Verhalten machen zu können. Allerdings fand er es überzogen. Irgendwann mal, soviel stand fest, würde er April in einer stillen Minute zur Seite nehmen und mit ihr darüber sprechen. Nur eben nicht jetzt. Nicht neben Saber und Alex. Da versuchte er es lieber noch einmal mit ein wenig Humor: „Nun lass ihn doch nicht so schmoren, April. Nur wegen dem blöden Auto. Ehrlich, man könnte meinen, er hat deinen Wagen zu Schrott gefahren.“

April verzog das Gesicht und konterte: „Meinen Wagen würde ich dem Getriebeschänder niemals leihen. Du siehst doch, wie er seine eigenen Sachen behandelt.“

Damit wollte April schon wieder nichts mehr davon hören. Ihre Augen schimmerten traurig. Wie er seine Sachen behandelte, wusste April nur zu gut. Er behandelte die Blondine auch nicht gut. Er nutzte sie aus, brauchte sie nur, um mal einen Tapetenwechsel zu haben. Aber das wollte sie die anderen nicht sehen lassen. Sie hatte niemandem von ihrer Beziehung zu Fireball erzählt, Alex hatte es nur durch Zufall herausgefunden, also konnte sie nun auch schlecht jemandem hier erzählen, weshalb sie ihn nicht sprechen wollte.

Auch Saber mischte sich in die aufkeimende Diskussion ein. Allerdings wie immer vermittelnd. Er schenkte Colt einen tadelnden Blick und versicherte April in einem ruhigen Tonfall: „Fireball hätte den Red Fury waschen sollen, bevor er ihn zurück gebracht hat, da stimme ich dir zu. Beim nächsten Mal weiß er es sicher besser, wenn du es ihm sagst.“

„Aber nicht mehr heute“, wiederholte April noch einmal ruhig. Oh man, ihre Jungs mal wieder. So gut sie es meinten, so daneben konnte es manchmal auch gehen. Aber da war sie vielleicht auch wieder selbst schuld, immerhin hatte sie den dreien an diesem Vormittag vorgegaukelt, dass sie wegen seines Wagens sauer war. Das hatte sie nun wieder davon. Zumindest aber war es wesentlich besser, deswegen kluge Ratschläge von ihren Jungs zu hören, als wegen der anderen Sache.
 

Stan traute sich kaum, ins Büro zu gehen und zu fragen, aber dieses Mal war die undankbare Aufgabe an ihm hängen geblieben. Sonst war es ihm ziemlich egal, zum Captain ins Büro zu marschieren und Meldung zu machen, nur heute wollte er es nicht. Wer wusste, was mit ihm passierte, wenn er nur „Guten Morgen“ sagte? Stanley hatte zwar nichts von dem Streit gestern gehört, aber gespürt hatte er dafür umso mehr. Martin war den gesamten Tag unausstehlich gewesen und hatte alles und jeden angeschnauzt. Da hätte man schon meinen können, er hätte sich mit Alessa gezofft, wenn man es nicht besser gewusst hätte. Und vom Captain war kein Pieps mehr gekommen.

Stan stand im Türrahmen und schluckte. Wieso hatte er nicht Oliver hoch geschickt? Ach ja, da war was. Er hatte beim Knobeln verloren, deswegen stand er anstelle des Kroaten nun hier. Stan strich sich die blonde Mähne aus der Stirn. Ach, was konnte der kleine Captain schon machen? Schreien hatten sie ihm immerhin schon abgewöhnt und Flüche kannte der Kleine bestimmt nicht solche, die Stan kannte. Entgegenfliegen würde ihm schon auch nichts, da vertraute der Schwede auf die stabile Bauweise des Oberkommandos. Also, dann mal auf in die Schlacht. Stan klopfte, stieß gleich darauf die Tür auf und räusperte sich: „Ähm… Captain?“

Fireball nickte Stan zu, dabei legte er den Hörer wieder auf das Telefon. Sie würde auch mit der Büronummer nicht abheben und mit ihm reden. Er murrte: „Was ist?“

Oh Mist, wieso hatte er nicht gehört, dass Fireball telefonierte? Stan wollte schon fast wieder hinaus stolpern. Allerdings war es dafür schon längst zu spät. Der Captain hatte ihn schon gesehen, und zu allem Überfluss auch schon angesprochen. Also noch mal schnell einen Kaugummi in den Mund gestopft und erklärt: „Entschuldige, dass ich störe, Babyboy. Es geht um Martin.“

Nun horchte Fireball auf. Er setzte sich aufrecht hin und sah Stan fragend an: „Was ist mit ihm?“

Ja, eine gewisse Ungeduld war seinen Worten eigen gewesen. Aber er hatte momentan keine Lust und vor allem nicht die Nerven, jedem alles aus der Nase ziehen zu müssen. Deswegen hatte er sich auch kurz gehalten und wartete nun auf eine schnelle Antwort.

Stanley stand inzwischen vor seinem Captain. Da war doch etwas durcheinander gekommen. Es schmeckte Stan nicht wirklich, denn er wusste nicht, was da durcheinander gewirbelt worden war. Er hatte sich doch gerade erst an den Krawallstöpsel hier gewöhnt! Die letzten beiden Tage dürfte mächtig was schief gegangen sein, weshalb sonst müsste er nun hier stehen und erklären: „Ich weiß nicht. Er ist noch nicht da. Ich dachte, du…“

Mehr brachte Stan nicht hervor. Er wusste schließlich nicht, was wirklich passiert war. Von einem freien Tag bis hin zum Rauswurf konnte da alles für Martin drin gewesen sein. Also stand der blonde Schwede vor dem Schreibtisch und blickte gespannt auf den Captain hinab. Hoffentlich blühte ihm nicht das selbe Schicksal.

„Hat er sich nicht gemeldet?“, fragte Fireball weiter. Seine Verwunderung, aber auch seine Sorge wurden indes immer größer. Martin war ein guter Freund. Und er war ein pünktlicher wie korrekter Kollege. Dass er ohne Mitteilung fehlte, sah ihm nicht ähnlich.

Stan schüttelte den Kopf: „Nö, hat er nicht. Deswegen dachte ich, du weißt vielleicht, was mit ihm ist.“

Ehrlich war nicht immer gut, diese Erfahrung hatte Stan bereits mehrmals gemacht. Trotzdem hielt es ihn nicht davon ab, es immer noch zu sein. Er war schließlich auch hier um zu erfahren, wo Martin steckte, was hätte er also davon gehabt, Fireball anzulügen? Jetzt allerdings fieberte er der Antwort entgegen.

Da war der Rennfahrer auch schon beinahe bei der Tür draußen. Als er von Stan keine wirklich gute Auskunft bekam, nahmen die Sorgen überhand. Bevor er weg war, wandte er sich zu Stanley um und gab den eindeutigen Befehl: „Ich geh Martin suchen. Ihr macht solange euren Bürokram und verhaltet euch ruhig. Hast du mich verstanden?“, eigentlich war es Fireball völlig egal, ob Stan ihn verstanden hatte. Schnellen Schrittes eilte der Japaner davon und ließ seinen Angestellten alleine im Büro zurück.

Kopfschüttelnd sah Stan seinem Captain hinterher. Also, was war da nur kaputt gegangen? Er arbeitete in einem Irrenhaus, soviel stand fest. Martin war an diesem Morgen gar nicht erst aufgetaucht, hatte niemandem gesagt, weshalb und Babyboy da trat schneller die Flucht an, als Stan sich zu klopfen getraut hatte. Das war kein normaler Tag, bestimmt nicht.

Stan sondierte die Lage in Ruhe. Er war alleine hier im Büro seines Vorgesetzten. Eigentlich, wenn er ein fieser Kerl war, konnte er jetzt machen, was immer er wollte. Sollte er den unbeaufsichtigten Moment für sich nützen und unverschämt werden? Stan könnte sich die Personalbeurteilungen zu Gemüte führen oder mal ein wenig Persönliches in Erfahrung bringen. Leise schloss Stan die Tür, die Fireball natürlich in der Eile nicht zugezogen hatte und grinste in sich hinein. Er hatte gerade eine Eingebung gehabt. Babyboy hatte telefoniert, als er reingeplatzt war. Stan hob die Augenbrauen ein paar Mal schnell hintereinander. Das Telefon hatte doch bestimmt eine Wahlwiederholungstaste. Mal sehen, wer sich da blicken ließ. Der schwedische Pilot beugte sich über den Tisch und drückte die gesuchte Taste. Er war wirklich gespannt, wen der Captain da hatte anrufen wollen. Während das Telefon die Verbindung aufbaute, wechselte Stanley die Ansicht. Er ging auf die andere Seite des Schreibtisches. Hm, die Nummer kannte er nicht.

Und plötzlich erschein ein hübsches Gesicht auf dem Bildschirm, das losschimpfte: „Ich hab jetzt keine Zeit, Fireball. Nerv mich…“, ihre Stimme erstarb und April blickte verwundert auf ihr Gegenüber. Das war definitiv nicht Fireball.

Dem Schweden blieb die Spucke weg. Oh la la, das Blondchen war übellaunig. War vielleicht gar nicht so schlecht, dass sie beim Versuch von seinem Captain nicht abgenommen hatte. Sonst hätte sein Boss noch schlechtere Laune gehabt. Allerdings stand nun Stan vor dem Problem. Was erzählte er der hübschen Navigatorin bloß, weshalb er hier am anderen Ende war? Er lächelte zunächst unschuldig: „Entschuldigung. Ich hab grad was beim Babyboy aufm Schreibtisch gesucht. Hab wohl die Wahlwiederholungstaste beim Ramschen erwischt. Sorry noch mal.“

„Schon okay“, erwiderte April skeptisch. Ganz glauben wollte sie diese Geschichte zwar nicht, aber sie wollte auch nicht weiter nachfragen. Aber eines wollte sie dann doch wissen: „Und du ramscht in seinem Büro rum, weil…? Wo ist er denn überhaupt?“

„Der sucht Marty“, kam die ehrliche Antwort von Stanley. Der Schwede grinste und begann mit April zu plaudern: „Die zwei keifen sich momentan an wie ein altes Ehepaar. Ganz grausam.“

April schwieg einen Augenblick lang. Weshalb erzählte der Pilot ihr das? Gab es einen Grund für dessen Plauderlaune? Die Blondine legte die Stirn in Falten. Im Augenblick saß sie in ihrem Zimmer, eigentlich hatte sie sich nach dem Frühstück fertig machen wollen. Aber sie war neugierig. Und außerdem hatte sie noch etwas Zeit. Ramrod war nämlich im All auf Reisen. Sie nahm sich die paar Minuten, vielleicht erfuhr sie ja von Stan, was den Japaner eigentlich ritt. April erkannte Fireball seit seiner Versetzung nicht wieder. Da der Schwede gesprächig war, versuchte sie etwas mehr in Erfahrung zu bringen. Ihr weiblicher Charme half ihr dabei, denn Stan sprang auf solche Tricks an.

Während des Gespräches kamen allerhand Details ans Licht und April bekam annähernd eine Idee von Fireballs Job. Er selbst hatte ihr nie davon erzählt. Stan empfand das Gespräch ebenfalls als sehr angenehm, erstens vertrieb es ihm die Zeit wesentlich netter als Arbeit und zweitens war April schön anzusehen. Bevor April auflegte, bat der Schwede noch: „Könntest du Babyboy nicht mal auf die Zehen steigen?“

April zog eine Augenbraue nach oben: „Inwiefern?“

„Der Kerl hält mich seit Monaten mit der Anmeldung für die Militärflugwettbewerbe hin. Mach du ihm mal Beine bitte“, mittlerweile wurde Stan diesbezüglich leicht nervös, denn die Bewerbe fanden bald statt und da er nicht wusste, ob er teilnehmen würde, trainierte er auch nur halbherzig. Er wusste, dass die Freunde von Ramrod immer noch großen Einfluss auf ihren Captain hatten, wollte er es über diese Tour versuchen.

Zu Stans Freude nickte April: „Kann ich machen“, ihr Blick und auch ihre Stimme wurden wärmer: „Turbo braucht manchmal einen Tritt in den Allerwertesten.“

Damit verblieben Stan und April vorläufig. Von diesem Telefonat hatten beide etwas gehabt. Stan hatte sich jemanden auf seine Seite gezogen, der ihm half, endlich seine Anmeldung für die Flugbewerbe zu bekommen und April hatte etwas über Fireballs Arbeit gehört. Als die Verbindung beendet war, grinste der blonde Pilot auf den schwarzen Bildschirm und zog Kaugummi aus seiner Hosentasche. April hatte schon was. Ein junges Mädel, aber bestimmt nicht dumm. Sie reizte ihn irgendwie.
 

Bei ihm zuhause war niemand, ans Mobiltelefon ging er auch nicht und an den üblichen Orten war er auch nicht. Fireball stand vor dem Jeep des Oberkommandos und holte tief Luft. Wo zur Hölle war Martin nur? Es war nicht seine Art, einfach nicht zur Arbeit zu kommen, das passte eher zum Captain. Aber wo sollte er noch suchen? Realistisch betrachtet hatte er nur noch eine Wahl. Einerseits hoffte er, dass er Martin dort fand, auf der anderen Seite wollte er ihn dort allerdings nicht finden. Denn dann wäre dem Brasilianer etwas zugestoßen. Fireball fuhr ins Krankenhaus.

An der Information fragte er sich durch und hatte schließlich so etwas wie Glück. Fireball fand Martin in der Notaufnahme. Von der Sorge beflügelt rannte er die Gänge entlang und hoffte nur, dass ihm nicht zu viel fehlte. Als er Martin an der Aufnahme stehend vorfand, fiel ihm eine Felswand vom Herzen. Martin ernsthaft verletzt wäre das Letzte gewesen, was er noch hätte gebrauchen können. Alle Regeln in Bezug auf Benehmen und Erziehung vergessend, platzte er in das Gespräch und tippte Martin auf die Schulter: „Warum zum Teufel gehst du nicht an dein Telefon? Ich hab dich überall gesucht, verdammt.“

Unbeeindruckt wischte Martin die Hand von der Schulter. Er hatte gerade Wichtigeres zu tun, als sich um seinen kurzgeratenen Captain zu kümmern. Martin ließ sich beim Ausfüllen des Formulars noch von der netten Krankenschwester, die ganz klar einen Faible für Männer in Uniform hatte, helfen. Erst nachdem er alle Formalitäten erledigt hatte, warf er Fireball einen Blick zu. Er hatte immer noch keinen Bock auf den Teenie. Martin fühlte sich für so etwas zu alt, er brauchte außerdem seine Nerven gerade für etwas anderes. Ohne Fireball etwas zu erwidern oder zu sagen, ging er an ihm vorbei und verschwand in einem Krankenzimmer.

Geplättet und alarmiert blieb Fireball neben der Aufnahme stehen. Von Martins Art war er sogar mal sprachlos. Da stand er also, er kam sich vor, als würden alle Menschen in der Notaufnahme ihn anstarren, das war extrem unangenehm für den Japaner. Jetzt glaubte er erst recht, das Ganze mit Martin gehörig gegen die Wand gefahren zu haben.

Mehr oder minder geduldig wartete er vor dem Krankenzimmer, bis sich die Tür wieder öffnete und sie den Brasilianer frei gab. Fireball sprach ihn an: „Was zur Hölle ist passiert?“

Wieder bekam er lediglich einen kurzen Blick zugeworfen. Martin rauschte beinahe wortlos an ihm vorbei: „Kann dir doch egal sein!“

Um mit Martins Laufschritt mithalten zu können, musste der kleine Captain schon beinahe laufen. Er verfluchte diese kurzen Füße hin und wieder. Vor allem dann, wenn jemand wie Martin oder – Gott bewahre! – Oliver so ein Tempo vorlegte. Das kam schon Ausdauertraining gleich. Endlich auf dem Parkplatz angekommen, blieb Martin stehen. Er suchte nach seinen Wagenschlüsseln. Das war Fireballs Chance, noch einmal mit dem Brasilianer ins Gespräch zu kommen: „Okay, ich versuch’s langsam und ruhig. Stan war um kurz nach acht bei mir im Büro und hat gesagt, du wärst nicht zur Arbeit gekommen. Ich hab alles nach dir abtelefoniert, war bei dir zuhause, aber gefunden hab ich dich erst hier. Marty, wieso find ich dich in der Notaufnahme?“

„Hab meinen Vater hergebracht“, das war Martins knappe Antwort, während er die Wagentür öffnete und einstieg. Als er den Motor startete, ließ er das Fenster runter und knurrte dann doch noch: „Jetzt siehst du mal, wie scheiße das ist, wenn man einem dauernd hinterher laufen muss.“

Mit diesen Worten fuhr Martin los. Er hatte gerade keine Nerven für eine Diskussion mit Fireball. Der Brasilianer hatte letzte Nacht kaum bis gar nicht geschlafen, auch Alessa hatte mal wieder darunter leiden dürfen. Und an diesem Morgen, gerade als er verschlafen beim Frühstückstisch gesessen war, war der Anruf von seiner Mutter gekommen. Er solle seinen Vater bitte schnell ins Krankenhaus begleiten. Schlagartig war Martin da hellwach gewesen. Er hatte Alessa zur Arbeit geschickt und ihr versichert, sich bei ihr zu melden, sobald er wusste, was mit seinem Vater war. Dann war er selbst außer Haus gestürmt und hatte seinen Dad ins Krankenhaus gebracht. Martin hatte keine Zeit gehabt, großartig darüber nachzudenken, in der Arbeit anzurufen. Im Krankenhaus war er abgelenkt gewesen, weil er sich Sorgen um Emilio gemacht hatte. Doch als Fireball live und in Farbe vor im aufgetaucht war, waren mit einem Schlag auch das Theater und die Zwickmühle wieder vor ihm gestanden. Martin war immer noch sauer auf Fireball. Da mochte er zehn Mal sein Captain sein, den Respekt hatte er sich nicht mehr verdient. Für Martin fing Fireball wieder bei null an. Er musste ihm erst beweisen, dass er Vertrauen wert war.

Da wäre ihm Martin beinahe über die Zehen gefahren! Der Japaner sprang zur Seite und sah dem anderen Piloten verdattert hinterher. Das war ja mal ein extra toller Tag. Nachdem Martin schnell Land gewonnen hatte und Fireball immer noch nicht recht viel schlauer geworden war, entschloss er sich, Milo einen Krankenbesuch abzustatten und danach wieder ins Oberkommando zurückzufahren.
 

Zumindest hatte Fireball gedacht, danach gleich wieder zum Oberkommando zurück zu fahren. Nach einem kurzen Gespräch mit Martins Vater schlug eine neue Welle über dem Kopf des Japaners zusammen. Immer wieder hatte er während der Unterhaltung die Erinnerungen seines Vaters in sich unterdrücken müssen und sich auf Emilio und sein derzeitiges Problem konzentrieren. Doch kaum hatte er sich vom angeschlagenen Brasilianer verabschiedet und das Krankenzimmer verlassen, spürte er, wie sich in ihm etwas zusammenbraute und er es nicht kontrollieren konnte. Fireball tippte kurzerhand eine Nachricht an Martin und dieses Mal auch an Stan, dass er noch einen Termin hatte und erst später ins Oberkommando zurückkommen würde.

Ehe sich der Wuschelkopf versah, fand er sich ganz in der Nähe seines Arbeitsplatzes wieder. Wie ferngesteuert war er zum Kriegerdenkmal gefahren und stand vor der großen Tafel mit all den Namen der Helden, die bei der ersten Schlacht ihr Leben gelassen hatten. Auch der Name seines Vaters stand dort oben, sein Name. Mit einer unvorstellbaren Wucht brachen allerhand Erinnerungen über ihn herein. Fireball sah sich in einem Moment mit seiner Mutter streiten, weil er zum Oberkommando gehen wollte, im nächsten sah er, wie sich sein Vater von Ai verabschiedete und zum Manöver aufbrach. Viele dieser schrägen Erinnerungsfetzen stiegen in seinem Bewusstsein empor, ließen seinen Puls in die Höhe schnellen und sein Herz rasen. Wild hob und senkte sich sein Brustkorb. Er fühlte sich, als würde es ihn innerlich zerfetzen. Es schien, als hausten in seiner Brust zwei Seelen, aber da war kein Platz! Fireball stand vor einer ähnlichen Misere wie vor ihrer verrückten Reise in die Vergangenheit, nun allerdings war es wesentlich schlimmer für ihn zu ertragen. Er hörte nicht nur die Worte seiner Mutter, dass er die Wiedergeburt seines Vaters sein sollte, er spürte auch dessen übermächtige Präsenz. Beinahe so, als würde das Bewusstsein seines Vaters sein eigenes versuchen zu verdrängen. Fireball keuchte, allerhand schrecklicher Gefühle stiegen in ihm auf. Er platzte gleich!

Es war ihm egal, ob ihn jemand sehen würde. Wütend schrie er das Denkmal an: „Hättest du bei dieser verfluchten Schlacht vernünftig gehandelt, dann wäre jetzt alles anders! Deinetwegen muss ich diesen Namen tragen, alle Welt misst mich an deinen Taten und niemand gesteht mir das Recht zu, einfach nur zu sein wie ich bin“, seine Augen füllten sich mit Tränen, denn aus dem Captain wurde mit einem Schlag wieder das einsame Kind von damals. Vor sich sah er die Szene, wie sein Vater ihm in der Base ein Freund gewesen war: „Ich hasse dich! Du hättest mir ein Vater sein sollen, meinetwegen auch ein Freund, aber stattdessen bist du lieber mit einem Affenzahn in den Tod geflogen. Dein Erbe ist schlimmer zu ertragen, als es ein immer noch andauernder Krieg mit den Outridern sein kann. Warum tust du mir das an? Warum hast du das Ai angetan? Sieh dir doch nur an, was aus mir geworden ist. Ich krieg nichts auf die Reihe!“

Von seinen eigenen Gefühlen erschrocken und auch angewidert, wischte sich der Japaner mit dem Hemdärmel über die Augen, ehe er auf das Denkmal hinab funkelte. Er warf seinem Vater leise vor: „Du hast dich nicht von mir verabschiedet. Alles, was du mir gelassen hast, ist das hier. Dieses Chaos in meinem Kopf, in meinem Herzen. Ich will und ich kann nicht du sein.“

Wie lange er tatsächlich geflucht, geschluchzt und mit sich selbst gehadert hatte, wusste Fireball nicht. Bestimmt hatten ihn die Menschen, die ihn von der Ferne gesehen hatten, für verrückt erklärt, aber er fühlte sich zumindest etwas besser. Es hatte gut getan, einmal wirklich auszusprechen, was so schwer auf der Seele lag. Auch wenn es dabei lediglich um seinen Vater ging, so hatte er doch nie darüber gesprochen. Fireball hatte es nicht einmal April wirklich erzählt, niemandem. Über den Dienst unter seinem Vater hatte er auf Ramrod nie ein Wort verloren, es war immer nur ‚nett‘ oder ‚anstrengend‘ gewesen, aber Vorfälle, die ihn und seinen Vater betroffen hatten, hatte er für sich behalten.

Bis sich seine innere Zerrissenheit und der Kampf in seiner Brust wieder legten, setzte sich Fireball auf eine Parkbank in der Nähe des Denkmals. Von Weitem betrachtet sah der große Granitblock friedlich aus, die milde Herbstsonne strahlte ihn an und der Wind wehte goldgelbe Blätter um den Sockel. Frieden. Fireball fragte sich, wann er endlich Frieden mit sich und seiner Geschichte schließen konnte. Obwohl er selbst erlebt hatte, wie die Seele seines Vaters in seinen Körper gewandert war, wollte er es nicht wahrhaben, wehrte er sich gegen diesen Eindringling. Er wollte diesen Fakt nicht akzeptieren. Fireball streckte die Beine aus und stemmte sie fest in den Boden. Er brauchte eine Erdung, sichere Wurzeln, auf denen er wachsen konnte, wie ein Baum, damit er auch in stürmischen Zeiten sicheren Stand hatte. Momentan war er eher wie eine Feder im Wind des Schicksals, die von einer Böe nach der anderen erwischt wurde und nirgends bleiben konnte.

Der Rennfahrer sah von dem Hügel aus zum Oberkommando hinunter. Von hier aus konnte er die geöffneten Hangartüren der Air Strike Base 1 sehen. Diese Einheit von wahnwitzigen Piloten, die ein eingeschworener Haufen war. Es war schwer gewesen, in diesen Kreis aufgenommen zu werden. Sogar jetzt noch, wo ihn endlich alle als Captain akzeptierten und ihn als einen von ihnen betrachteten, fühlte er sich dort nicht richtig angekommen. Vielleicht lag es daran, weil er nicht ehrlich mit ihnen sein konnte.
 

„Sag mal, bist du von Alessa heute nicht runtergekommen oder was war los?“, schief grinsend klopfte Stanley dem geistig abwesenden Martin auf die Schulter. Stan steckte seine Sonnenbrille in die Hemdtasche seines Shirts und schnalzte mit der Zunge.

Martin sah auf, er hatte nicht verstanden, was der blonde Schwede da zum Besten gegeben hatte. Hätte der ihm nicht auf die Schulter geklopft, hätte er ihn völlig ignoriert. Martin war mit dem Kopf nicht bei der Sache. Er machte sich Sorgen um seinen Vater, obwohl man ihm im Krankenhaus versichert hatte, dass es keine tiefe und schwere Wunde war, die sich Emilio da beim Holzhacken zugezogen hatte. Dennoch hatten sie ihn zur Beobachtung dort behalten. Die Nachricht von Fireball hatte er bis dato noch nicht einmal gelesen, er hatte auch so gemerkt, dass der Dreikäsehoch noch nicht wieder hier war.

Stan wiederum gönnte sich einen neuen Kaugummi. Er hielt auch Martin die offene Packung hin, er sollte sich bedienen. Mit einem Nicken in Richtung der Büroräumlichkeiten stellte er fest: „Ihr beide tauscht euch heute ab. Zuerst bist du abgängig und kaum tauchst du hier auf, ist Babyboy plötzlich weg. Ich hab die Vermutung, dass ihm bei der Suche nach dir etwas – oder besser – jemand dazwischen gekommen ist.“

Zwischenzeitlich konnte man sich in dieser Einheit schon fragen, ob alle irgendwo dagegen gelaufen waren. Oder lag es an den Abgasen, die die Jets mitunter verursachten? Stan versuchte lediglich herauszufinden, wieso es in der besten Einheit des Oberkommandos offenbar schon wieder Zank gab. Das allerdings auf seine eigene Weise. Er hatte bemerkt, dass Martin und der Captain gestritten haben mussten. Leider wusste niemand weshalb und deswegen war es auch schwer, für Frieden in der Einheit zu sorgen, wenn man den Grund für das Zerwürfnis nicht kannte. Fireball glänzte gerade wieder durch Abwesenheit, deswegen musste nun Martin zum Aushorchen herhalten.

Doch Martin spielte nicht mit. Er fügte sich nicht in die Rolle des Informanten, die ihm Stanley da so unauffällig hatte zuschanzen wollen. Murrend schüttelte er den Kopf und ließ Stan kurz angebunden wissen: „Bin doch nicht sein Babysitter!“

Das klang Stand zu sehr danach, als hätte Martin seine Feststellung als persönliche Anfeindung aufgefasst. Das wiederum kränkte den Schweden beinahe und nun wurde auch die breit grinsende Frohnatur ärgerlich. Stan packte den Kaugummi wieder weg, wechselte das Standbein und ließ Martin wissen, was er von dessen Tonfall hielt: „Du kannst deine Kleine daheim so ankeifen. Meinetwegen auch Babyboy, der braucht’s ohnehin. Aber mich brauchst du nicht so anzupflaumen, ich hab dich doch nur was gefragt“, lange hielt Stans Verärgerung allerdings nicht. Im nächsten Augenblick zog er Martin schon wieder auf: „Du solltest dringend mal wieder was gegen deinen Hormonstau unternehmen. Ist ja fürchterlich hier.“

Martin biss die Zähne fest aufeinander. Das war heute einfach nicht sein Tag. Er wollte Stans dämliche Sprüche einfach nicht mehr hören, das war doch lächerlich: „Halt deinen Schnabel.“

„Oh ja, ich merke“, stellte Stan trocken fest: „Deine Holde lässt dich wirklich nicht mehr ran.“ Ja, er war provokant und manchmal ein echter Kameradensack, aber irgendwie musste man den Brasilianer doch gesprächiger bekommen.

Martin drehte sich weg. Es war ohnehin bald Feierabend. Dann konnte ihm der blonde Frechdachs den Buckel runter rutschen. Fireball war Stan sicherlich dabei behilflich und würde ihm erklären, wie es funktionierte.

Diese Reaktion stachelte Stan nur noch mehr an. Irgendwie musste man doch mehr als ein „Mrpft!“ aus Martin herausbekommen. Der Schwede stellte sich ihm in den Weg und wollte wieder wissen: „Der kleine Popel wird sie dir doch nicht etwa ausgespannt haben!“

War zwar in den Wind geraten, aber durchaus möglich. Stan hatte schnell mitbekommen, dass ihr neuer Captain bei den Mädels einen besonderen Stand genoss. Ob er das Kindchengesicht bewusst oder unbewusst einsetzte, war Stan einerlei.

„Okay, Stan. Zisch ab!“, Fireball war in diesem Moment neben Martin getreten. Er hatte das Gespräch einige Zeit lang von einem Jet in der Nähe aus verfolgt. Nun hatte er sich entschieden, einzugreifen. Stan bemerkte manchmal nicht, wann er Grenzen überschritt. Fireball würde ihm nun eine deutlich aufzeigen. Martin hatte keinen besonders guten Tag hinter sich, der Japaner ebenfalls nicht, und Stan kam mit blödsinnigen Verschwörungstheorien an, die sich in Windeseile zu hartnäckigen Gerüchten entwickeln konnten. Da Martin des Diskutierens müde geworden war, schritt an diesem Punkt Fireball ein. Im scharfen Tonfall machte er Stan begreiflich: „Geh nachhause und überleg dir in Ruhe, was du grade für nen Mist verzapft hast.“

Überrascht sah Stan zu Martin hinüber, danach auf den kleineren Fireball hinab. Er zog eine verächtliche Grimasse und ließ den Captain wissen: „Ich hab grad mit Marty geredet. Nicht mit dir, also schieb ab, Babyboy.“

Fireball hielt kurz den Atem an. War das die nächste Katastrophe? Das durfte doch einfach nicht wahr sein. Er hatte nicht die Nerven, wieder mit Stan auszudiskutieren, wer Boss und wer Angestellter war. Das wollte er kurz und bündig geklärt haben: „JETZT rede aber ich mit dir und ich habe gesagt, dass du nachhause gehen sollst. Ich will dich nicht mehr sehen und hören will ich erst recht nichts mehr. Marsch!“

Sein Tonfall wurde indes immer schärfer und bestimmter. Stan allerdings war sich sicher, dass es nur ein Bluff war. Der junge Captain war ein Lämmchen, der konnte gar nicht so wild sein, wie er jetzt tat. Dazu war er einfach viel zu lieb, wie die Frauen sagen würden. Diese Ansicht vertrat auch Stan, deshalb ignorierte er den Befehl und stieß Martin noch mal an: „Wollen wir bei einem Bier darüber reden, armer alter Mann?“

Fireball sah zu Martin hinüber. Wie fiel dessen Reaktion aus? Vorhin hatte er das Gefühl gehabt, Martin wollte nichts von Stan hören. Dieses Gefühl bestätigte sich auch prompt, allerdings war der Brasilianer an diesem Tag nicht imstande, Stan abzuschütteln. Deswegen grollte jetzt auch eine Stimme durch den Hanger: „Bist du schwerhörig, Mann?! RAUS HIER!“

Kaltschnäuzig konterte Stan: „Oder was, Giftzwerg?“

Er hatte es herausgefordert. Da musste Stan jetzt auch mit den Konsequenzen umgehen können. Fireball war für Stans Geschmack plötzlich groß geworden und verdammt überzeugend in seiner Wortwahl: „Das willst du gar nicht herausfinden. Denn ich schwöre dir, wenn ich mich noch einmal wiederholen muss, warst du die längste Zeit hier!“

Der Hangar war mucksmäuschenstill geworden. Vorbei war es mit dem Geplänkel der Kollegen, die sich auf den Feierabend freuten, vom emsigen Treiben war auch nichts mehr zu hören. Der Befehlshaber war ausgebrochen. Oder besser hervorgebrochen, wie Stan schluckend feststellte. Das Versprechen, ihn zu kündigen, war zwar nicht ausgesprochen worden, aber Stan hatte es schnell verstanden. Da war er lieber schnell weg. Sein Instinkt sagte ihm, dass er Fireball dazu nicht herausfordern sollte, er würde es nicht nur bei einer Drohung belassen.

Leise wünschte Stan noch einen schönen Abend und verschwand aus dem Hangar. Martin stand wie angewurzelt neben dem Japaner und musste sich sortieren. Er linste Stanley hinterher und nickte schließlich anerkennend. Dem Brasilianer hatte das nicht schlecht gefallen. Fireball hatte diese Angelegenheit wie ein Captain gelöst. Es war ein Schritt in die richtige Richtung, so würde sich der kleine Japaner das Vertrauen wieder bei ihm verdienen. Er ließ Fireball leise wissen, während er selbst den Heimweg antrat: „Das war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber glaub nicht, dass das schon reicht, um mich wieder auf deiner Seite zu wissen.“

Fast unbeteiligt zuckte Ramrods ehemaliger Pilot mit den Schultern: „Er geht mir manchmal tierisch auf den Keks.“

Martin wandte sich noch einmal kurz um: „Bis morgen, Captain.“

Am Blick des Brasilianers erkannte Fireball, dass er noch eine Chance erhalten hatte. Er würde sie nützen, ein Freund wie Martin war zu kostbar, um ihn kampflos gehen zu lassen. Während der Brasilianer zu seiner Freundin nachhause ging, schlug Fireball den zum Büro ein. Er musste noch aufarbeiten, was er an diesem Tag vertrödelt hatte.

alles geklärt?

Gut gelaunt bog der Hobbyrennfahrer mit seinem Beifahrer auf die belebte Hauptstraße Yumas ein. Nach seinem Umzug in eine größere Wohnung, die endlich nicht mehr auf dem Stützpunkt lag, hatte sich Fireball mehr oder weniger in einer Kurzschlussreaktion wieder ein Auto angeschafft. Zumindest Martin hatte das als Kurzschlussreaktion betitelt, weil Fireball zum Händler gegangen war und keine halbe Stunde später den Kaufvertrag unterschrieben hatte.

Nun saßen sowohl Martin als auch Fireball in besagtem Auto und fuhren aus der Stadt. Der Frühling zeigte sich mit ersten zaghaften Gesten wieder in Yuma. Seit etwas über einer Woche strahlte die Sonne vom Himmel, als würde sie so alle Gewitterwolken für immer aus der Stadt fernhalten können. Das bewirkte, dass der Schnee dem zarten Grün wich und die Straßen endlich frei von Matsch und Dreck waren. An diesem Nachmittag war die Straße sogar trocken und Fireball hatte beschlossen, Martin etwas zu zeigen.

Die beiden debattierten über das erst in einigen Monaten anstehende Sommerfest der Air Strike Base. Martin beschrieb dem Wuschelkopf genau, was bei diesem Fest zu geschehen hatte, was Tradition war. Die Base veranstaltete jedes Jahr ein Fest, wenn die Tage in Yuma endlich wieder länger wurden, die Temperaturen stiegen und die Wiesen wieder grün waren. Dann kamen alle Piloten mit ihren Familien zusammen um eine schöne Zeit miteinander zu verbringen. Fireball sollte diesen Brauch nun ja nicht abkommen lassen, und dafür sollte er mit den Kollegen der anderen Bases frühzeitig verhandeln anfangen, wer ihre Schichten für zwei Tage übernahm.

Sie waren kaum auf der Hauptstraße angekommen, erregte eine junge Frau auf dem Gehweg die Aufmerksamkeit des Fahrers. Fireball konnte sie ohne Schwierigkeiten als April identifizieren, die alleine durch die Stadt bummelte. Die Blondine war offensichtlich auf Shoppingtour. Als April in einer Boutique verschwand, murmelte Fireball: „Ich wusste gar nicht, dass sie hier sind.“

Irritiert sah Martin zu seinem Chauffeur hinüber. Gerade eben hatten sie doch noch darüber gesprochen, wie das Frühlingsfest zu organisieren war. Sein Freund war gerade wieder schwer vom Thema abgekommen. Martin rümpfte die Nase: „Wie kommst du denn jetzt darauf?“

Der Brasilianer hatte nicht sonderlich auf die Umgebung geachtet, vielmehr hatte er versucht, für den jungen Bleifuß die Geschwindigkeitsbegrenzungen im Auge zu behalten. Martin verstand nach wie vor nicht, weshalb es unbedingt ein solcher Wagen hatte sein müssen, denn ein weniger stark motorisiertes Gefährt hätte es für einen Teenie auch leicht getan. Deswegen kam ihm der Themenwechsel zu abrupt. Als er bemerkte, wie sich das Lächeln des Japaners verzog und er auch noch blinkte, um auf den nächsten Parkplatz zu fahren, standen Martin die Fragezeichen auf die Stirn geschrieben. Er wollte wissen: „Was machst du denn? Ich dachte, du wolltest mir die schönsten Kurven Yumas zeigen?“

„Das war auch der Plan“, gab Fireball unumwunden zu. Er parkte mit gehörig Schwung in die nächstbeste Parklücke ein, zog die Handbremse an und stellte den Motor ab. Flehend blickte er zu seinem Kumpel auf dem Beifahrersitz. Ja, sie hatten ausgemacht, diesen Nachmittag zusammen auf der Rennstrecke zu verbringen, aber gerade war Fireball wichtigeres in die Quere gekommen. Er und April hatten sich lange weder gehört noch gesehen und das behagte ihm nicht sonderlich. Immerhin hatte alles abrupt und ohne klare Ansage geendet. Zumindest Fireball wusste nicht, wo er stand, was seine Beziehung zu April betraf. Er musste es jetzt endlich klären, sonst würde er sich ewig Vorwürfe machen. „Marty, bitte sei mir nicht böse. Ich hab grad April gesehen, sie ist hier in Yuma. Ich muss mit ihr reden.“

Als Martin ihn nur erstaunt ansah, erklärte sich der junge Hitzkopf: „Ich muss es einfach mit ihr klären, damit ich weiß, woran ich bin. …Ich muss einfach.“ Jedermann hätte dem Wuschelkopf in dem Augenblick angesehen, dass es ihm sehr ernst war. Doch nur Martin konnte wissen, wie dringend es für Fireball tatsächlich war. Seit dem Streit hatten April und Fireball kein Wort mehr gewechselt, das war nun mehr als drei Monate her. April war dem Piloten gekonnt aus dem Weg gegangen und der Hitzkopf hatte derweil versucht, sein Leben zu ordnen. Nun schien es Martin, als wäre es Zeit für das klärende Gespräch.

Deswegen nickte er Fireball lediglich verstehend zu und stieg aus dem Wagen aus: „Kein Thema. Ich geh einfach in das nette Café da hinten. Wenn dir der Sinn nachher noch danach steht, können wir immer noch zur Rennstrecke fahren“, Martin schmunzelte plötzlich und gab dem Jüngeren noch den Tipp: „Eins noch, Babyboy. Rede auch wirklich mit April, wenn du sie schon sprechen willst.“

Der Brasilianer wusste, dass Fireball ihn richtig verstanden hatte. Er sollte offen und ehrlich mit April reden, wenn er sie schon um ein Gespräch bat. Das betretene Schweigen des Japaners hatte die beiden schließlich erst in diese Lage gebracht. Martin zwinkerte noch einmal kurz, ehe er den Weg in das Café einschlug. Er war gespannt auf den Ausgang dieser Schlacht.

Shinji nickte und versperrte den Wagen. Dann lief er eilig davon. Er war dankbar, dass Martin ihn ziehen ließ, auch wenn sie sich extra den heutigen Nachmittag freigenommen hatten, um sich mal Abwechslung auf der Rennstrecke zu gönnen.
 

Öde waren diese Shoppingtouren schon, aber keiner ihrer Jungs hatte sich erweichen lassen. Klar, alle hatten sie ein Leben neben Ramrod. Deswegen hatte sich April schließlich doch allein auf den Weg durch Yumas Klamottenläden gemacht. Sie konnte schließlich schlecht einen von ihren drei Jungs dazu zwingen. Seit einer guten Stunde war sie unterwegs und genoss die Sonne, die bereits in der Nase kitzelte und schon der erste Frühlingsbote war.

April stand in dieser herrlichen kleinen Boutique, die sie gerade zufällig entdeckt hatte und sah sich interessiert um. Sie nahm eine weiße Hose vom Kleiderständer und begutachtete sie. Der Schnitt war recht einfach, mit geraden Beinen, also machte sie bestimmt eine gute Figur. Als sie gerade überlegte, ob sie die Hose anprobieren sollte, wurde ihr ein Top in einem dunklen Rotton vor die Augen gehalten. Sie hörte eine vertraute, wenn auch lange Zeit nicht mehr gehörte, Stimme sagen: „Ich glaube, das passt dir.“

Verdattert starrte April auf die Person, die ihr plötzlich als Modeberater zur Seite stand. Es war Fireball. Noch ehe sie richtig reagieren konnte, bat er sie inständig: „Bitte lass uns reden!“

Wortlos griff April nach dem Top und verschwand in einer Kabine. Sie hatte nicht gewusst, wie sie reagieren sollte, also schien ihr eine schnelle Flucht die richtige Variante zu sein, um sich zumindest Zeit zu verschaffen, sich eine Antwort einfallen zu lassen. April schlüpfte in die Umkleidekabine und schloss hastig die Tür. Es war ihr gerade unwichtig, ob Fireball ihr folgte. Woher nur hatte er wissen können, dass sie hier war? April sah an sich hinab und dann auf den Spiegel in der Kabine. Ihr Blick wurde traurig. Seit wann musste sie denn vor Fireball weglaufen? Weshalb nur hatte sie ihren Freund nicht sehen wollen? April gestand sich ein, dass sie lediglich standhaft bleiben hatte können, solange sie ihn nicht vor sich gesehen hatte. Und nun war er ohne Vorwarnung plötzlich vor ihr gestanden, hatte ihr als Modeberater zur Seite gestanden, wie damals. Sie hatte es immer geliebt, ihre freie Zeit mit ihm zu verbringen und auch nun hatte sich dieses Gefühl bei ihr eingeschlichen. Aber es war nicht mehr wie damals. April seufzte und begann sich umzuziehen. Sie nahm die Hose vom Haken und zog sie an, ebenfalls das rote Shirt, das sie strahlen ließ. Es schmiegte sich eng an ihren Körper, bis hinunter zu ihrem Gesäß. Es passte wie angegossen, Fireball wusste also ihre Größe und offenbar auch noch, was ihr stand. April drehte sich, um ihre Rückansicht im Spiegel ausmachen zu können und um zu überprüfen, ob sie von hinten genauso gut aussah, wie von vorne.

Fireball hatte April zuerst verdattert nachgesehen, ehe er ihr gefolgt war. Er wollte nicht gleich nach dem ersten Versuch die Segel streichen. Es war schließlich wichtig. Für den Japaner ging es nicht nur um klärende Worte, es war für sein Seelenheil enorm wichtig zu wissen, wo er und April standen. Und nebenbei war es ein wichtiger Punkt in seinem Leben, den er für ein geregeltes Leben brauchte. Vorsichtig lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Kabinentür, hinter der April verschwunden war. Dann begann er zu erzählen: „Ich wollte dich nicht so überfallen. Es ist nur so… Ich hab dich eben gesehen, als ich vorbeigefahren bin und ich muss dich einfach sehen“, er schüttelte über seine letzten Worte den Kopf und berichtigte sich, als er selbst bemerkte, dass seine Wortwahl miserabel war: „Nein, ich muss mit dir reden. Es ist mir wichtig. Bitte…“

In diesem Moment stieß April die Tür auf und drückte Fireball weg. Sie trat heraus und sah zu ihm hinüber, wie er einige Schritte wegstolperte. April wollte wissen: „Wieso sollte ich? Du erzählst mir ja doch nichts.“

Eigentlich machte es April gerade nur davon abhängig, ob sie mit Fireball sprach oder nicht, welches Argument er ihr liefern konnte. Wenn er einen guten Grund nennen konnte, würde sie mit ihm sprechen. Aber dafür musste es ihm auch ernst sein. April hatte in den letzten Monaten dank Alex zu neuem Selbstbewusstsein gefunden und war sich sicher, dass sie einen ehrlichen und auch liebevollen Umgang verdient hatte. Nun war sie gespannt auf die Antwort.

Seine Augen blickten traurig drein, als er wieder zu April aufschloss und erwiderte: „Du fehlst mir. Das zwischen uns ist entsetzlich schief gegangen.“

„Dir fehlt wohl eher etwas anderes“, sie sah ihm dabei geradewegs in die Augen und auf seine nächste Reaktion war sie mehr als gespannt. Denn was sie ihm nun unter die Nase halten würde, war bestimmt nicht sehr erfreulich für ihn: „Und glaub mir, das ist nichts, was du nicht bei einer anderen auch bekommen würdest. Du musst nicht darauf warten, dass ich mit Ramrod lande.“

Obwohl April es nicht ausgesprochen hatte, hatte Fireball doch eine sehr genaue Vorstellung von ihren Worten. Entschuldigend senkte er den Blick auf seine Füße und murmelte: „Das war nie meine Absicht…“

Fireball fand sich gerade in einer Situation wieder, für die ihm die Worte fehlten. Er spürte, das hier war seine letzte, seine allerletzte Chance, das mit April hinzukriegen oder zumindest wieder ihre Freundschaft gewiss zu haben. Er durfte es nicht vergeigen. Fireball durfte nicht kneifen, egal wie unangenehm es auch für ihn werden würde. Er atmete tief durch und sah zu der Frau auf, die er liebte: „Hast du Zeit? Ich möchte in Ruhe mit dir darüber sprechen, April. Bitte…“

April schwieg, ihre Augen allerdings richtete April getroffen in eine andere Richtung. Sie konnte ihn nicht länger ansehen. Da war etwas in seinem Blick, in seiner Mimik und Gestik, das sie verwirrte und unsicher machte. Sie hatte doch eigentlich mit dem Kapitel Fireball abgeschlossen, weshalb also begannen nun ihre Hände zu zittern? Als April bemerkte, wie sie die Kontrolle über ihre Gefühle zu verlieren begann, wandte sie sich von Fireball gänzlich ab. Sie schlug den Weg zurück in die Kabine ein. Schnell schloss sie die Tür hinter sich, atmete tief ein und aus, versuchte sich zu beruhigen. Alles, was sie die letzten Monate zur Seite geschoben hatte, wollte nun herausbrechen. Nichts von alle dem, was sie sich geschworen hatte, würde sie so einhalten können! April fuhr sich mit den Händen über das Gesicht, sie ärgerte sich über ihre Gefühle. Wie viele Stunden hatte sie auf Ramrod damit zugebracht, Alex von ihrem Kummer zu erzählen? Wie lange hatte es gedauert, bis sie eingesehen hatte, dass aus Fireball und ihr niemals ein Paar werden würde? Der Abstand zu ihm hatte April gut getan, doch nun stand mit Fireball und seinen dunklen Augen wieder alles vor ihr, was sie als abgehakt angesehen hatte.

„Wenn du glaubst, es bringt noch was…“, April murmelte selbst nur noch. Sie hoffte, dass Fireball ihr wieder zur Kabine gefolgt war und sie auch gehört hatte. Die Blondine wusste nicht, weshalb sie nun so reagierte, aber sie fühlte sich plötzlich unwohl und ein Stück weit auch hilflos. Aber sie merkte auch, dass sie sich mit Fireball zusammensetzen musste, wenn sie endgültig einen Schlussstrich unter diese unsägliche Affäre ziehen wollte.

Der Rennfahrer nickte, bis ihm klar wurde, dass April das nicht sehen konnte. Also bestätigte er ihr: „Es ist mir wichtig, ja“, er fand etwas von seinem Selbstbewusstsein, das er offenbar abgelegt haben musste, als er den Laden betreten hatte, wieder und lud April schließlich ein: „Lass uns etwas essen gehen. Auf meine Kosten. Wohin du willst.“
 

April hatte wieder einmal ohne Beute ihre Shoppingtour beendet, allerdings saß sie nun in einem netten Café nahe der Boutique. Sie hatte nicht essen gehen wollen, ihr Appetit hielt sich in Grenzen. Aber sie hatte das Café ausgesucht, was ebenso neutraler Boden war, wie ein Restaurant. April hätte nur eines nicht wollen. Mit Fireball auf einem Terrain sprechen, auf dem sie sich wesentlich unwohler gefühlt hätte, wie zum Beispiel seine Wohnung. Sie hatte sich nie sonderlich wohl dort gefühlt, dass er inzwischen umgezogen war, wusste sie nicht einmal.

Als der Kellner die Getränke für beide gebracht hatte, hielt April das Schweigen schließlich nicht länger aus. Sie wusste, dass sie im Grunde keine gemeinsame Basis mehr hatten. Egal wo es zwischen ihnen schief gelaufen war, April bedauerte zumindest eines: „Wann haben wir aufgehört, Freunde zu sein?“

April musterte Fireball. Er sah auf die Straße hinaus, wirkte ruhig und unbeteiligt. Die Blondine seufzte. Sie erkannte den Menschen, der ihr gegenüber saß, nicht wieder. Sie saßen hier zusammen, als würden sie nicht zusammen gehören und das nach Jahren der Freundschaft und einigen Monaten einer Romanze. Das tat April sehr weh. Enttäuscht, dass sie sich offenbar doch nichts mehr zu sagen hatten, nahm sie einen Schluck von ihrem Kaffee.

Fireball hatte dem Kellner kaum Beachtung geschenkt. Er war zu sehr damit beschäftigt, sich selbst nicht im Weg zu stehen. Aber genau das tat er im Moment, und nichts anderes. Er brachte neben April keinen Ton heraus, war nicht fähig, sie anzusehen und dabei war es so wichtig! Fireball war nicht dazu in der Lage, Aprils Frage zu beantworten, er wusste ja noch nicht einmal, wo er anfangen sollte. Einen Moment schloss er die Augen und senkte den Kopf. Martins Worte von vorhin hingen ihm noch in den Ohren. Sie brachten ihn schließlich auch dazu, den Mund aufzumachen. Fireball sah wieder auf, direkt in Aprils enttäuschtes Gesicht. Leise begann er zu sprechen: „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. So viel ist im letzten Jahr passiert. Ich habe eine schreckliche Zeit durchgemacht und dabei“

April schnitt ihm das Wort ab. Er hatte ihr gerade sagen wollen, dass er dabei die Frau gefunden hatte, die ihm über alles hinweghelfen konnte und dass sie diese Frau war. April schüttelte den Kopf, während sie den Löffel auf ihre Untertasse legte: „Da bist du nicht der einzige! Wir hatten auf Ramrod alle keine gute Zeit, während wir…“, April sah sich um, über ihren Sprung in die Vergangenheit wollte sie an einem öffentlich Ort nicht reden, deswegen blieb sie nach einer kurzen Pause bei ihrer offiziellen Bezeichnung: „verschollen waren. Und danach war es nicht besser. Zumindest für mich nicht! Denn du hast mich ausgenutzt und nach Strich und Faden veräppelt. Ich hatte ehrlich gesagt nicht das Gefühl, dass es dir hier in Yuma schlecht geht.“

Fireball nickte. Er musste April erklären, wie ihm die ersten Monate in der Base zumute gewesen war. Was die Geschichte in der Vergangenheit anging, so nahm Fireball nach wie vor an, dass April wusste, was ihn dort mürbe gemacht hatte. Mit gedämpfter Stimme wollte er sich nun verteidigen und verständlich machen: „Ich würde zurückgelassen zu werden nicht unbedingt unter ‚gut gehen‘ verbuchen. Die Base wollte mich nicht akzeptieren, alles ging drunter und drüber. Meine einzige Rettung waren deine Besuche. Himmel, ja, ich hab gesagt, dass wir Freunde bleiben wollen, aber es hat nicht geklappt“, er machte eine kurze Pause und wollte dann ihre Meinung hören: „Oder wie siehst du das?“

Erbost blitzte April ihren ehemaligen Kameraden an und fauchte: „Aber die schnelle Nummer für zwischendurch. Dafür hab ich dir noch gereicht, ja!“

Fireball seufzte frustriert. Das hatte April nun in den völlig falschen Hals bekommen! Wie sollte er dem Mädchen bloß erklären, dass er es nicht so gemeint hatte, wie sie es schlussendlich aufgefasst hatte? Fireballs Hände verschwanden unter dem Tisch, sein Blick wanderte wieder aus dem Fenster hinaus. Gedämpft gab er schließlich zurück: „Nein, keine schnelle Nummer und schon gar nicht zwischendurch“, nun sah er wieder zu der Frau mit den blonden Haaren hinüber: „April, ich hab dich immer vermisst. Mir fehlt etwas, wenn du nicht bei mir bist.“

Es war kaum mehr als ein Gestammel gewesen. Fireball ärgerte sich. Es wäre doch so einfach, ihr zu sagen, dass er sich in sie verliebt hatte und mit ihr zusammen sein wollte. Wieso zum Henker bekam er das nicht auf die Reihe?! Bei Martin und Alessa, bei Colt und Robin und auch bei Saber und June schien alles leichter zu fallen. Diese drei Paare hatten in Fireballs Augen nie Probleme damit, sich ihre Liebe zu zeigen. Wieso konnte er das nicht? Der Japaner schlug die Augen wieder nieder. Es war ganz simpel und einfach ein Drama, was er hier veranstaltete.

April strich sich Strähnen ihres Haares hinter die Ohren zurück und blickte Fireball fassungslos an. Sie war immer noch enttäuscht. Jetzt sogar noch mehr als vorhin schon. Es klang für sie nach fadenscheinigen Entschuldigungen. Seine Sprache war monoton, emotionslos. Mit zusammengezogenen Augenbrauen nahm April schließlich ihren roten Haarreifen ab und schüttelte ihre Mähne. Blitzend blaue Augen stachen zu Fireball hinüber, während sie ihre Haare wieder in Ordnung brachte. Sie kam sich völlig fehl am Platz vor. Es war nicht zu fassen, wie kalt er darüber sprach. April platzte beinahe: „Was glaubst du eigentlich, worüber wir hier reden? Hier geht es nicht um schnöde Berichte. Herrgott, Fireball!“, nun war sie beinahe laut geworden. Stinksauer stand sie auf, ihre Augen füllten sich mit Tränen, denn für Ramrods Navigatorin war nun klar: „Es ist besser, du sagst gar nichts mehr, wenn du es nicht ernst meinst. Danke für den Kaffee!“

April wollte sich umdrehen, einfach weggehen, doch Fireball hatte blitzschnell nach ihrem Arm gelangt. Er war ebenfalls aufgestanden, sein Griff war fest um ihr Handgelenk gelegt und sein Blick duldete plötzlich keinen Widerspruch mehr. Energisch verlangte er von ihr: „Setz dich wieder! Du kannst jetzt nicht einfach gehen.“

April blickte erstaunt auf ihr Handgelenk hinunter, das Fireball fest umschlossen hielt. Dann erwiderte sie seinen Blick. Es war April in diesem Augenblick völlig egal, was die anderen Gäste des Cafés dachten. Für sie war ohnehin alles geklärt. Sie zischte den Wuschelkopf erbost an: „Lass mich los, oder ich schreie!“

„Das wagst du nicht!“, dennoch lockerte er seinen Griff. Fireball hatte schnell bemerkt, dass inzwischen alle Gäste des Lokals auf sie aufmerksam geworden waren und mit großen Ohren etwas von dem Gespräch mitbekommen wollten. Er schluckte hart, als er April in die Augen sah. Wann war ihre Unterhaltung aus dem Ruder gelaufen? Weshalb verhielt er sich wie der größte Vollidiot auf Erden? Langsam ließ Fireball seine Hand sinken, ließ Aprils allerdings nicht los. Er verschränkte stattdessen seine Finger mit ihren. Mit dem Daumen begann er über ihren Handrücken zu streichen. Er glaubte, April nun endgültig verloren zu haben. Seine Augen nahmen einen dunklen Schimmer an, als er sie von April abwandte und auf ihre ineinander verschränkten Hände starrte. Fireball nahm an, dass ein schnödes ‚Ich liebe dich‘ nicht genügen würde. Doch was sollte er ihr sonst sagen? Er hatte versucht, es ihr zu erklären, April hatte ihm das Wort abgeschnitten. Langsam fing er an zu glauben, dass sie ihren Entschluss bereits vor einiger Zeit gefasst hatte. Und zu allem Überfluss musste er auch noch an eines seiner Gespräche mit seinem Vater denken. Dieser hatte ihm damals unterstellt, April hätte ihn auf die Couch verwiesen, weil er betrunken vom Dienst nachhause gekommen war. Sein Vater hatte damals gesehen, was er selbst nicht wahrgenommen hatte. Auch April hatte in dieser Zeit einen besonderen Draht zu Fireball gehabt. Wieso nur hatte sich das geändert? Betrübt murmelte Fireball: „Bemerkst du es denn nicht, April? Alle um mich herum haben es gesehen, noch bevor ich es mir eingestehen konnte. Und nun willst du nichts mehr von mir wissen. Ich hab mir doch selbst jedes Mal in die eigene Tasche gelogen, wenn ich dir gesagt habe, wir würden Freunde bleiben.“

Aprils Augen wanderten zu ihrer Hand hinunter, die Fireball in seiner hielt und zärtlich drückte. Sie hörte seine Worte, aber sie verstand den Sinn nicht. Ihr Herz schlug wie wahnsinnig, es wollte sich nicht beruhigen und sie wusste nicht, ob es ihr Zorn oder Fireball war, der es so schlagen ließ. Nur eines konnte April gerade mit Sicherheit noch sagen. Sie fühlte sich nicht mehr wohl, eine wilde Mischung aus den verschiedensten Gefühlen brach über sie herein. Als sie zu Fireball aufsah, flehte sie ihn an: „Lass mich gehen, Fireball…“

Sie konnte nicht auf seine Worte eingehen, nicht darauf reagieren. Langsam zog sie ihre Hand zurück und blickte zu Fireball auf. Ihre Blicke trafen sich. Zwar nur für einen kurzen Augenblick, doch er hatte April genügt, um das stumme Nicken von Fireball zu erkennen. April wandte ihm den Rücken zu und verließ schnell das Café. Stumme Tränen liefen über ihre roten Wangen, während sie durch die Straßen eilte. April schluchzte und wischte sich die nassen Tränen immer wieder aus dem Gesicht. Liebe tat weh. Jedes Mal ein bisschen mehr. April brauchte Zeit um über Fireball nachzudenken, ob er noch weitere Qualen wert war. Sie musste sich seine Worte durch den Kopf gehen lassen, aus seinen Gesten war sie leider nicht schlau geworden.

Fireball ließ April ziehen. Er biss sich auf die Lippen, bezahlte schweigend die angefangenen Getränke und verließ mit hängen gelassenem Kopf das Lokal. Er hatte April nun endgültig verloren. Gedankenverloren entriegelte Fireball seinen Wagen und setzte sich in den Fahrersitz. Er steckte den Zündschlüssel in das Zündschloss und aktivierte die Systeme. Als die Lüftung und das Radio liefen, sank Fireball in seinem Sitz zusammen und schlug sich die Hände vors Gesicht. Es war desaströs gelaufen! Erst nachdem er sich wieder halbwegs gefangen hatte, rief er Martin an. Schweigend fuhr er seinen Kumpel wieder nachhause.

Martin hatte beim Telefonat schon bemerkt, dass das gewünschte Ergebnis des Gesprächs zwischen April und Fireball nicht eingetreten war. Als er zu Fireball in den Wagen gestiegen war, hatte dessen Blick Bände gesprochen. Der Brasilianer senkte mitfühlend die Augen. Es war schade um April und Fireball. Er hatte viel und oft darüber mit Alessa gesprochen. Klar, sie beide kannten lediglich Fireballs Standpunkt, aber bei Ramrods Besuchen in Yuma hatten auch Colt und sogar Saber manchmal aufschlussreiche Sätze fallen lassen. Vor allem der Cowboy schien ebenfalls von den beiden als Paar begeistert zu sein. Martin waren die Regeln im Oberkommando mittlerweile ziemlich egal geworden, er hatte gesehen, was passieren konnte, wenn Gefühle mit dem Pflichtbewusstsein nicht vereinbart werden konnten. Er hielt diese Regeln nun deshalb für eine unnötige Verkomplizierung.

Als Fireball vor Martins Wohnung hielt, musterte er den jungen Captain noch kurz. Er schnallte sich ab und brach schließlich das Schweigen im Wagen. Einfühlsam legte er Fireball eine Hand auf die Schulter und versuchte ihn aufzumuntern: „Schlaf mal ne Nacht drüber, Babyboy… Und wenn dir der Sinn nach Reden steht, ruf mich an.“

Fireball seufzte, wischte dabei Martins Hand kraftlos von seiner Schulter. Er nickte: „Das mach ich, Marty. Aber ich glaub, das muss ich erst einmal selbst verdauen.“

Mit einem mulmigen Gefühl verließ Martin den Wagen und machte sich auf den Weg zu seiner Wohnung. Da es erst früher Nachmittag war, würde er noch einige Stunden alleine sein. Martin beschloss deshalb, die Zeit sinnvoll zu nützen.

Der Rennfahrer fädelte sich wieder in den laufenden Verkehr ein, wusste allerdings nicht so recht, wohin mit sich. Er hatte nicht den Wunsch, nachhause zu fahren. Was sollte er denn dort, alleine? Zur Arbeit wollte er allerdings genauso wenig fahren, dort hätten ihn seine Kollegen bloß gefragt, ob er sich nicht von seiner Arbeit loseisen konnte. Und irgendwie hatte Fireball auch keine große Lust auf die Rennstrecke. Er war innerlich aufgewühlt. In einem solchen Zustand sollte man kein unnötiges Risiko eingehen, das war dem passionierten Bleifuß dieses Mal klar. Also reihte er sich erst einmal stadtauswärts ein. Es würde ihm nicht schaden, wenn er sich ein ruhiges Plätzchen suchte, an dem er nachdenken konnte.
 

April hatte erst einmal den Weg nachhause eingeschlagen. Sie freute sich auf ihre eigenen vier Wände, in denen sie ungestört nachdenken konnte. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken, ihre Gefühle waren ein Tropensturm, der sie innerlich aufwühlte. Schnell schloss sie ihre Wohnungstür auf, schlüpfte hinein und kickte, noch während sie die Tür wieder schloss, ihre Schuhe in eine Ecke. Ihre Handtasche ließ April auf dem Sideboard neben dem Eingang liegen. Gedankenverloren schlich sie in die Küche und holte sich etwas zu trinken aus dem Kühlschrank. Mit einer Wasserflasche in der Hand ging sie ins Wohnzimmer hinüber. Geradezu bedächtig öffnete sie den Verschluss. Wieso nur waren sie sich so fremd geworden? April stiegen wieder die Tränen in die Augen. Sie vermisste den alten Fireball, der vor Eifer und Leidenschaft beinahe überschäumte, dem man die Herzenswärme ansehen konnte. Sie hatte immer zu deuten gewusst, was in Fireball vorging. Aber das war vorbei, lange schon. Fireballs Ausdruck war mittlerweile verschlossen, wirkte so manches Mal auch hart auf April. Sie sank auf die Couch, zog die Beine auf die Sitzfläche und legte eine Decke über ihre Füße. Aus dem stürmischen Feuerball war ein kühler Eiszapfen geworden. Jegliche Emotion war aus seiner Stimme verschwunden, an seinem Blick konnte man nichts mehr ablesen. April hatte sich heute gefühlt, als hätte sie gegen eine Wand aus kaltem Stein geredet. Fireball hatte ihr zwar gesagt, dass er sie vermisste, aber sie hatte es nicht spüren können. Ihr schien es, als wäre es Fireball mittlerweile gleichgültig, wenn sie sich nichts mehr zu sagen hatten. Aber dann hatte er sie nicht gehen lassen wollen, hatte ihre Hand gegriffen. April würde es nie im Leben zugeben, aber in dem Augenblick, als er seine Finger in ihre verschränkt hatte, hatte ihr Herz für einen Schlag ausgesetzt. Es war eine zärtliche Geste gewesen. Verwirrt schüttelte April den Kopf. Es war alles so mühsam, was mit Fireball zu tun hatte! Was sollte sie nur tun? Dieses Mal wollte sie nicht mit Alessandro darüber reden, plötzlich war ihr in den Sinn gekommen, dass der fesche Italiener Fireball nicht kannte. Er würde ihr nicht helfen können. Aber wer konnte es dann?

Am nächsten Morgen hatte April zumindest eine Idee, wen sie fragen konnte. Nach dem Frühstück zog sie sich an und machte sich auf den Weg zur Base. Kurze Zeit später stand die blonde Frau in Freizeitklamotten und ihren Haaren zu einem Zopf geflochten in den Hangartoren und sah sich suchend um. Wie sah er denn überhaupt aus? April konnte sich kaum an den Mann erinnern, den Stanley bei dem Telefonat vor einigen Monaten erwähnt hatte. Das geschäftige Treiben in den Fliegerhallen erschwerte ihr das Suchen zusätzlich, weil sie immer wieder den Überblick verlor. April hielt sich entschlossen an ihrer Handtasche fest und ging auf den nächstbesten Piloten zu, der ihren Weg kreuzte. Wieso sollte sie hier lange herumstehen und nach einem Phantom suchen, an das sie sich selbst kaum erinnern konnte? Immerhin hatte sie Martin erst einmal wirklich gesehen und es war gut möglich, dass ihre Erinnerung sie täuschen wollte. April erfragte sich also den Weg zu Martin und fand ihn schließlich auch. Pflichtbewusst bei seiner Maschine, die die Nr. 2 auf dem Flügel trug.

April atmete tief durch und räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen. Als sich der dunkelhaarige Mann zu ihr umdrehte, lächelte sie ihn höflich an: „Man hat mir gesagt, ich würde Martin hier finden.“

Zuerst lächelte Martin noch, doch als er erkannte, wer ihn hier aufsuchte, verschwand sein Lächeln und machte einem erstaunten Gesichtsausdruck Platz. Er nickte auf Aprils Frage hin leicht: „Steht vor dir“, er war sich nicht sicher, was Aprils Erscheinen zu bedeuten hatte. Fireball hatte Martin bisher noch nicht erzählt, was am Vortag passiert war. Aber es war Martin höchst suspekt, dass Ramrods Navigatorin ausgerechnet ihn aufsuchte. Der Brasilianer fragte ebenso höflich wie April kurz zuvor nach dem Grund ihres Erscheinens.

Nun verschwand auch Aprils Lächeln, als sie die Skepsis in Martins Unterton bemerkte. Sie senkte verschämt und unsicher den Blick und wollte leise wissen: „Du bist doch Fireballs Freund, oder?“

Es war April peinlich, nicht selbst genau zu wissen, mit wem sich ihr ehemaliger Kollege hier auf Yuma die Zeit um die Ohren schlug. Hätte ihr Stan damals am Telefon nicht gesagt, dass der laufende Meter namens Fireball seine freie Zeit, wenn überhaupt, dann mit Martin verbrachte, dann wüsste sie nun nicht einmal das. April stand also vor Martin, einem stattlichen Mann, der in etwa Sabers Alter hatte, und kam sich vor, als würde sie vor Scham gleich im Boden versinken. Aber wenn es stimmte, was Stan gesagt hatte, dann war dieser Pilot vor ihr die einzige Chance zu ergründen, was mit dem Mann los war, der ihr das Herz brach und so verschlossen war.

Das klang aber nicht ganz überzeugt! Martin verzog fragend das Gesicht. Wie konnte es nur passieren, dass April nicht wusste, mit wem Fireball rumhing? Er musste den Impuls unterdrücken, den Kopf schütteln zu wollen. April würde sonst vielleicht auf die Idee kommen, sie wäre damit gemeint und nicht der kleine Tiefflieger. Apropos kleiner Tiefflieger. Da passte wohl einiges nicht zusammen. Martin lehnte sich gegen seinen Jet, verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte schließlich freundlich. Er wollte April nicht verschrecken: „Das kommt ganz drauf an, worum es geht. Aber solltest du nicht eigentlich Babyboy suchen?“

Verwirrt sah April zu Martin hinüber. Babyboy? Im ersten Moment fiel ihr nicht ein, dass Fireball hier in der Base diesen Spitz- und vielleicht sogar Codenamen bekommen hatte. April wurde in ihrer Haut immer unwohler. Mit jeder Minute mehr, denn sie merkte immer schmerzlicher, dass sie gar nichts mehr von Fireball mitbekam, seit er in Yuma stationiert worden war. April nahm all ihren Mut zusammen. Sie bat Martin eindringlich: „Nein, ich muss mit dir reden. Es geht um euren Babyboy und ehrlich gesagt bist du der einzige, der mir hoffentlich irgendwie weiterhelfen kann. Hast du Zeit für mich?“

Schnell entschlossen nickte Martin und stieß sich von seinem Jet ab. Vielleicht konnte er den beiden doch unter die Arme greifen und manches klären. Denn eines hatte Martin inzwischen verinnerlicht: Fireball war nicht die Sorte Mensch, die sehr offen war. Er ließ April wissen: „Ich sag ihm nur kurz Bescheid“

Entsetzt riss April die Augen auf und schüttelte heftig den Kopf: „Nein! Bitte nicht. Er soll nicht wissen, dass ich hier bin.“

April hatte sich fest vorgenommen, zuerst die unendlichen Tiefen mit Martins Hilfe zu ergründen und hoffentlich schlauer daraus zu werden. Erst dann wollte sie Fireball wieder unter die Augen treten. Sie hatte sich kaum hierher in den Hangar getraut, lediglich, weil sie darauf vertraut hatte, dass Fireball im Büro im ersten Stock saß, hatte sie ihren Mut zusammengekratzt und war eingetreten. Hoffentlich verstand Martin Aprils Einstellung.

Und tatsächlich. Der Brasilianer nickte verständnisvoll, erklärte April aber im selben Atemzug: „Ich muss ihm trotzdem kurz Bescheid geben, dass ich weg gehe. Er ist der Boss und ich möchte nur ungerne meinen Kopf verlieren.“

Martin wies April an, schon einmal nach draußen zu gehen, er ging solange ins Büro hoch um sich abzumelden und kam später nach. Der Brasilianer flunkerte Fireball schnell was vor, von wegen dringende Familienangelegenheit und eine gute Stunde Abwesenheit, dann lief er die Treppen schon wieder hinunter und hinaus aus den Fliegerhallen.
 

Vorsichtshalber hatte Martin mit April das Gelände des Oberkommandos verlassen. Schließlich konnte man nie wissen, ob Fireball nicht doch irgendwo um eine Ecke geschossen kam. Um komplett auf Nummer sicher zu gehen, ging Martin mit April zu sich nachhause. Dort konnten sie ungestört sprechen. Ihm war sehr wohl bewusst, dass es der blonden jungen Dame unangenehm sein könnte, bei ihm zuhause am Küchentisch zu sitzen, allerdings war Martin in der Eile nichts Besseres eingefallen.

Wie er angenommen hatte, saß April kurze Zeit später beklommen auf dem Stuhl, wusste nicht recht wohin mit ihren Händen und ihren Augen. Mal prüfte sie die Küchenschränke, dann sprangen sie weiter zum Herd, aus dem Fenster hinaus, zu Martin hinüber und auch in den Vorraum. Kurzum, April war mehr als nur nervös. Martin hatte das schnell bemerkt. Obwohl es ihn wunderte, denn immerhin galt April als der weibliche Star Sheriff schlechthin. Keine Frau im Oberkommando war mutiger und selbstbewusster als sie. Angeblich. Über Martins Lippen huschte ein leichtes Lächeln. Sie mochte mutig sein, aber in Herzensangelegenheiten mindestens genauso feige wie Fireball. Der dunkelhaarige Brasilianer brachte April eine Tasse an den Tisch und schmunzelte verständnisvoll: „Hier hast du was, woran du dich festhalten kannst.“

Dankbar nickte April und nahm die Tasse an. Sie wartete, bis Martin sich gesetzt hatte, ehe sie zu ihm hinüber sah. Sie fühlte sich seltsam, zwischendurch hatte sie sogar die Flucht ergreifen wollen, immerhin war es eine bescheuerte Idee einen Fremden um Hilfe zu bitten. Aber nun saß sie hier, wurde freundschaftlich bewirtet und verständnisvoll behandelt. Das nahm April etwas das Unbehagen. Sie nahm einen Schluck vom Kaffee und nickte dann in den Raum: „Du hast dich gemütlich eingerichtet.“

„Alles das Werk meiner Alessa. Frauen haben in der Regel ein Gespür für ein kuscheliges Heim. Ich lasse ihr da freie Hand“, Martins Augen nahmen einen warmen Schimmer an, als er von seiner Verlobten sprach. Hach ja, sie war der Lottosechser, den man für Geld nicht kaufen konnte. Schmunzelnd fügte er hinzu, um April auf ihr eigentliches Problem zu bringen: „So eine weibliche Unterstützung hätte Babyboy auch mal nicht in der Wohnung geschadet. Totales Drama mit ihm. In der Wohnung auf dem Gelände hat er’s nicht mal fertig gebracht, alle Umzugskartons auszupacken, bis er wieder umgezogen ist. Und jetzt fehlt seiner neuen Bleibe auch immer noch der letzte Feinschliff.“

April runzelte verwirrt die Stirn. Sie blickte Martin mit großen, fragenden Augen an. Er war umgezogen? Hatte sie das richtig verstanden?

Martin sog angespannt die Luft zwischen den Zähnen ein und stieß sie dann wieder aus. Er konnte den Impuls gerade noch so unterdrücken den Kopf schütteln zu wollen. Etwas verständnisvoller erklärte er April: „Shinji ist vor ungefähr zwei Monaten in die Stadt umgezogen. War Teil seines Selbstheilungsprogrammes. Vierundzwanzig Stunden am Tag in der Base zu sein hätte ihn beinahe um den Verstand gebracht. Ist ´ne schöne Wohnung, gar nicht weit von hier. Aber wie gesagt, der letzte Schliff fehlt ihr noch.“

Aprils Augen starrten in die Tasse, die sie fest umklammerte. Sie hatte nicht gewusst, dass Fireball umgezogen war. Wie denn auch?! Das letzte Mal hatten sie sich an jenem Morgen gesprochen nachdem sie vor dem Pub einen unschönen Streit ausgetragen hatten. Und überhaupt bestätigte ihr Martin mit diesen wenigen Sätzen, was sie tief in sich gespürt hatte. Fireball war ein Fremder für April geworden. Nichts von alle dem, was Martin ihr gerade erzählt hatte, hatte sie gewusst.

Aber sie wollte es nicht so enden lassen. Nicht so! April wollte einfach nicht glauben, dass die räumliche Trennung sie zu Bekannten gemacht hatte, dass sie nichts mehr gemeinsam hatten. Sie wollte nicht einsehen, dass ihre Gefühle nur entstanden waren, weil sie sich auf Ramrod nicht aus dem Weg gehen hatten können und mangels Alternativen nur Fireball übrig geblieben war. Nein! Trotzig schloss April die Augen und dachte an ihre Zeit in der Akademie zurück. Fireball war damals einer ihrer besten Freunde gewesen, ein Sonnenschein und Beschützer. Sie hatte doch erst auf Ramrod erkannt, wie viel sie für ihn empfand. Es konnte nicht einfach alles Einbildung gewesen sein! April schluckte die Tränen hinunter, die in ihr aufsteigen wollten. Fireball konnte sich einfach nicht so sehr geändert haben, dass sie keine gemeinsame Basis mehr hatten.

Als Martin bemerkte, welcher Knoten sich auf Aprils Brust legte, entschied er sich, nicht erst auf ihre Fragen zu antworten, wenn sie gestellt wurden. Der Brasilianer wusste ohnehin, weshalb April ausgerechnet zu ihm gekommen war. Mit einem lockeren Spruch wollte er Aprils aufkeimende Traurigkeit verscheuchen: „Ich merke, Mister Workaholic hat vergessen, euch auf Ramrod seine neue Adresse zu geben. Dafür kann er eine ordentliche Housewarmingparty schmeißen.“

Nachdem er Aprils dankbares Lächeln bemerkt hatte, fuhr Martin etwas ernster fort. Er sah endlich die andere Seite der Medaille und spürte, dass es an ihm war, für den entscheidenden Ruck zu sorgen. Zur Hölle mit dieser Regel! Sein Captain und der weibliche Navigator litten doch nur, weil der Kleine krampfhaft versucht hatte, sich an die Gesetze des Oberkommandos zu halten und es dank seines Herzens nie wirklich geschafft hatte. Martin griff ermutigend nach Aprils Hand: „Ich weiß, was los ist, April. Shinji und du…“ er suchte nach den richtigen Worten. So recht wollte ihm keine nette Umschreibung einfallen, wieso war auch Alessa nicht da, wenn Feuer am Dach war? Also blieb er bei den höflichsten Floskeln, die ihm in den Sinn kamen: „Ihr habt euch ineinander verliebt und eine Zeit lang die Regeln unterwandert. Wenn du mich fragst, ist die Liebe immer noch da, nur habt ihr haufenweise Probleme. Allen voran ein gewisser Herr Hikari, der lieber sterben würde, als ein Wort über seine Gefühle zu verlieren.“

Etwas erschrocken weiteten sich Aprils Augen, ihre Hand zog sie sofort zurück und verbarg sie unter dem Tisch. Mit Martin sprach Fireball also! Maßlos enttäuscht murmelte sie: „Er hat es dir also erzählt.“

„Nö“, wie aus der Pistole geschossen antwortete Martin darauf. Der kleine Tiefflieger hatte ihm ja wirklich nichts erzählt. Er erklärte der enttäuschten und auch traurigen Frau, die es in seine Küche verschlagen hatte, was wirklich dazu geführt hatte, dass Martin es wusste: „Ich bin von selbst darauf gekommen. Wie gesagt, Shinji will niemanden wissen lassen, was los ist. Und ehrlich gesagt, hätte ich nicht meine Alessa mit ihrer sagenhaften Menschenkenntnis, ich hätte vielleicht eine Vermutung, aber keine Gewissheit.“

Wieder schwieg die Blondine betroffen. Sie schluckte und wandte den Blick zur Tischplatte hinab. Martin und vor allem auch dessen Freundin, Alessa, schienen so viel zu wissen. Mehr als sonst jemand. Fireball hatte also zu ihnen mehr Vertrauen als in sie. In Aprils Brust zog sich ein Knoten zusammen.

Alles, was er sagte, machte seinen Gast nur noch trauriger. Martin konnte wieder beobachten, wie April noch ein Stückchen ihres Herzens brach. Das war nicht gut, ganz und gar nicht. Kurz entschlossen stand Martin deswegen auf und entschuldigte sich: „Ich merke, ich kann nichts sagen, was dir hilft. Also gib mir bitte eine Minute und ich besorge jemanden, der es kann.“

Mit dem Telefon in der Hand verließ Martin seine Küche. Auch, wenn er es nicht übertrieben gerne tat, er musste seinen Captain von der Arbeit loseisen. Nichts leichter als seiner dreisten Lüge von vorhin noch eins drauf zu setzen. Da würde der junge Japaner wenigstens Beine bekommen. Tatsächlich hatte Martin Fireballs Sorge und seine baldige Anwesenheit gewiss. Etwas ruhiger und positiver eingestellt betrat er nach dem Telefonat wieder die Küche, in der April immer noch am Tisch saß und vor Kummer einzugehen schien. Martin betrachtete April einen Moment lang. Er hatte sie hübscher in Erinnerung. Naja, zumindest bildete sich der Brasilianer das ein. Aber vielleicht war es der Kummer, der Aprils Antlitz fahl und eingefallen wirken ließ. Mit einem leichten Seufzen ließ sich Martin wieder auf seinen Stuhl nieder und begann abermals mit April zu sprechen: „Ramrod ist nicht wirklich oft hier, oder?“

Als ob Martin das nicht selbst genau wüsste. Aber zumindest war es ein neutraler Gesprächseinstieg und April wurde vielleicht von sich aus etwas gesprächiger. Tatsächlich blickte April wieder zu ihm hinüber. Sie musterte den Brasilianer ebenfalls kurz, während sie ihm antwortete: „Nein, nicht unbedingt. Wir schneien alle paar Wochen mal in Yuma rein. Ist besonders für Saber und Colt nicht berauschend.“

Martin nickte verstehend: „Sie haben Frau und Kind hier.“

„Colt sieht seine Tochter nicht gerade oft“, begann April zu erzählen. Es fiel ihr jedenfalls leichter über die Misere ihrer Freunde zu sprechen, als über ihre eigene. Saber und Colt hatten ihre Partnerinnen hier in Yuma und konnten sie nur alle paar Wochen besuchen. Für sie musste der lange Aufenthalt überall im Neuen Grenzland ungleich schlimmer sein. Sie selbst hatte schließlich niemanden hier, der auf sie wartete und sie brauchte.

April und Martin unterhielten sich über Colt, Saber und auch Alex, solange sie auf ihren Besuch warteten. Besonders über Alex konnte Martin viel berichten, auch über Frauengeschichten plauderte der Brasilianer einiges aus, was der Italiener den Star Sheriffs von Ramrod bestimmt noch nicht erzählt hatte. Alessa war mit Alex‘ ehemaliger Freundin befreundet gewesen und hatte noch vor dem armen Italiener gewusst, dass er bald wieder Single werden würde. Martin erzählte April gerade von dieser Trennung auf Raten, als er die Ohren spitzte. Hatte er gerade die Eingangstüre gehört?

Schnell atmend stieß der junge Captain kurz darauf die Küchentür auf und entschuldigte sich: „Es ging nicht schneller…“, dann traf sein Blick den von April und dem Hobbyrennfahrer blieb das Herz stehen. Seine Hände sanken am Körper hinab und er murmelte beinahe vorwurfsvoll: „Das ist der familiäre Notfall?“ Fireball war überrumpelt, nach dem gestrigen Tag hatte er eigentlich nicht das Bedürfnis, April zu sehen.

Noch stand er in der offenen Tür, unschlüssig darüber, ob er gleich Kehrt machen sollte oder die Chance zu nützen, die Martin ihm gerade verschafft hatte. Schließlich gab er sich einen Ruck und trat in die Küche. Es konnte nicht mehr schlimmer werden, aber vielleicht konnten sie zumindest ihre Freundschaft retten.

Wortlos schloss Martin die Tür und wandte sich dem Schlafzimmer zu. Wo er schon mal zuhause war, konnte er auch für Ordnung sorgen. Vor allem aber würde ihn das Aufräumen außer Hörweite von April und Fireball bringen und ihn davon abhalten, sich einzumischen.

Der Japaner warf der geschlossenen Tür noch einen bedeutungsschweren Blick zu, dann lehnte er sich gegen die Anrichte und verschränkte die Arme vor der Brust. Fireball hatte sich abgehetzt um zu Martin zu gelangen, hatte sich während der Fahrt hierher die schlimmsten Szenarien ausgemalt, aber das alles war nichts im Vergleich zu dem gewesen, was hier wirklich auf ihn gewartet hatte. Was war nur zwischen dem gestrigen Nachmittag und heute Morgen passiert, dass April bei Martin am Küchentisch saß und offenbar nach ihm verlang hatte? Fireball wagte einen Blick zu April hinüber. Sie schwieg und fühlte sich an ihrem Platz nicht wohl.

„Ich hab ein ähnliches Gesicht gemacht, als ich zum ersten Mal hier war“, vielleicht brachte er mit etwas Humor und Smalltalk ein Gespräch in Gang. Fireball konnte sich schon vorstellen, weshalb April hier war. Obwohl ihre Worte vom Vortag sehr eindeutig gewesen waren. Zumindest für ihn.

April sah tatsächlich zu ihm auf. Ihr Blick verriet ihre Irritation über seine Worte. Also erklärte er mit einem leichten Lächeln: „Alessa hat mich zum ersten Besuch hier gezwungen, nachdem ich sie hartnäckig einige Monate vertröstet hatte. Ich saß beim Abendessen dort, wo du jetzt sitzt und wusste nicht, wohin mit mir. Ich war an diesem Abend ziemlich fehl am Platz, aber Martins bessere Hälfte wollte mich unbedingt dabei haben. Ich hab den beiden einen romantischen Abend ruiniert.“

April beobachtete Fireball, während er erzählte. Er hielt die Arme noch immer schützend vor der Brust verschränkt, zumindest aber sah er sie an und sprach ruhig mit ihr. Aber er war distanziert, hielt April auf Abstand. Das gefiel dem weiblichen Star Sheriff gar nicht. So fühlte sie sich von ihm zurückgewiesen. In April regte sich so etwas wie Widerstand und Trotz. Er betonte doch immer, wie wichtig sie ihm war, aber zeigte es nicht. April ballte die Hände zu Fäusten und begann Fireball herauszufordern. Heute würde sich ihre Situation klären, April wollte es so. Also hob sie stolz den Kopf und antwortete: „Das mit den romantischen Abenden bekommst du auch wo anders ziemlich gut hin“, sie seufzte plötzlich betrübt und deutete auf ihn: „Sieh dich doch nur an. Du sagst, ich würde dir sehr wichtig sein. Aber Fakt ist, du hältst mich auf Abstand. Du lässt mich nicht in deine Nähe und du vertraust dich mir nicht an. Wenn wir uns sehen, geht’s immer nur um das Eine, aber nie wirklich um uns. Du redest nicht mit mir! Himmel, ich wusste noch nicht mal, dass du umgezogen bist.“

Jetzt war es doch wieder passiert. April hatte angefangen, sich aufzuregen. Aber das war auch kein Wunder. Sie nahm sich Fireballs Verhalten sehr zu Herzen und es schmerzte sie. April hatte Fireball in ihr Herz gelassen, er sie aber offenbar nicht in seins.

„Ich hätte es dir schon noch erzählt“, schwach verteidigte sich der Rennfahrer.

„Wann?! Wenn ich vor deinem alten Appartement gestanden hätte und mir jemand völlig Fremdes die Tür geöffnet hätte? Wahrscheinlich hätte ich dich dann telefonisch nicht einmal erreichen können, weil du deine Nummer auch gewechselt hast, ohne mir das zu sagen.“

Fireball stieß sich von der Anrichte ab. So würden sie nie zu einer Lösung kommen, das wusste der Captain. Aber auch er konnte aus seiner Haut nicht heraus. Eingeschnappt, weil angegriffen, konterte er sarkastisch: „Deswegen gehst du neuerdings nicht mehr ran, wenn ich dich anrufe. Du kennst die Nummer nicht!“, er hasste solche Gespräche. Sie zehrten an Nerven, die er nach wie vor nicht hatte. So ging das nicht weiter! Fireball verbannte seinen Pony aus seinen Augen, während er April etwas hilflos erklärte: „Ich bin immer noch ich, April. Was willst du denn bloß? Du wusstest, worauf du dich mit mir einlässt. Und wir wussten beide, dass wir es nicht dürfen.“

„Das bist du nicht! Du bist nicht mehr so wie damals!“, April fuhr auf. Ihre Stimme gewann an Schärfe und Lautstärke. Das blonde Mädchen stand auf, schob den Stuhl schwungvoll zur Seite. April funkelte ihn an: „Seit unserer Reise in die Vergangenheit bist du nicht mehr der selbe! Du glaubst, alles mit dir selbst ausmachen zu müssen, siehst die Gefühle der anderen überhaupt nicht. Für uns hat sich mit deiner Versetzung auch einiges geändert“, April schrie schon beinahe. Aber es tat ihr gut, den Frust, der sich über die letzten Monate angestaut hatte, raus zu lassen. Allerdings hatte sie dabei nicht bedacht, dass sie auch in Martins Wohnung Mithörer haben könnten. Zwar unfreiwillige und auch nur Martin, aber auch der Brasilianer hatte vieles nicht gewusst, wovon er nun zu hören bekam.

Martin hatte die Ohren gespitzt, als er April bis ins Schlafzimmer hören konnte. Das war nicht reden. Reise in die Vergangenheit? Martin hielt in seiner Bewegung inne, er musste sich verhört haben. Das musste er sich eingebildet haben. Dennoch war er hellhörig und dummerweise auch neugierig geworden. Achtlos warf er das Kissen aufs Bett zurück und schlich in den Flur. Worum ging es in diesem Streit gerade?

Fireball beugte sich über die Stuhllehne und schnaubte. Dieses leidige Thema schon wieder. Irgendwie schien alles zusammen zu hängen und ihre Reise in die Vergangenheit der Auslöser für ihr momentanes Unglück zu sein. Er funkelte April an: „Hör auf, davon zu reden! Ich… Wie soll ich mit jemanden darüber reden, wenn ich noch nicht mal verstehe, was da passiert ist?!“, er versuchte nun mit der Brechstange vom Thema abzulenken. Fireball griff einfach ihren nächsten Vorwurf auf und fuhr wieder in eine aufrechte Position auf. Er wurde ebenfalls lauter: „Von wegen, ich würde eure Gefühle nicht wahrnehmen! Denkst du, ich wüsste nicht, wie viel du jedes Mal wieder geheult hast, wenn du im Badezimmer verschwunden bist? Ich bin doch nicht blöd und blind bin ich erst recht nicht.“

„Warum zum Henker hast du mich dann nie getröstet?!“, plötzlich standen der taffen Navigatorin die Tränen in den Augen. Bitter enttäuscht fuhr sie ihn an: „Du Esel weißt genau, dass ich mich schlecht fühle und kommst nicht einmal auf die Idee, mich in den Arm zu nehmen? Wie egal bin ich dir eigentlich?“

Gleich sah April rot. Es war ihr ziemlich egal, dass er vom Thema abgelenkt hatte, denn im Nu waren sie bei einem anderen Streitthema angekommen. April war nicht nur enttäuscht, es kränkte sie, dass er ihre Bedürfnisse gekannt hatte und dennoch nicht darauf eingegangen war. Oh, sie hatte es gewusst! Sie war nur eine weitere Nummer in seinem schwarzen Buch! April kam auf Fireball zu, ihre Augen stachen glitzernd zu ihm hinüber: „Wie kalt ist dein Herz nur geworden? Ich fass es ganz einfach nicht, dass du seelenruhig deiner Arbeit nachgehst, obwohl du weißt, dass ich mich vor Unglück kaum im Spiegel betrachten kann?!“

Ihre Augen wurden immer wässriger, und alles was Fireball tun konnte, war seine zu schließen und sich etwas von ihr abzuwenden. Er hatte immer geahnt, dass die Untätigkeit und sein Unvermögen April an sich heran zu lassen, einmal zum Problem werden würden. Die Quittung bekam er gerade dafür serviert. Seine abwehrende Haltung von Vorhin wurde nun auch steif. Seine Zähne pressten sich aufeinander, sodass April deutlich seine Kieferknochen hervortreten sehen konnte. Als er seine Augen wieder öffnete, gab er ihr zu verstehen: „Ich konnte mich selbst kaum im Spiegel ansehen.“

Mit einem Mal entspannte sich Fireballs Haltung, er ließ die Hände sinken und setzte sich auf den Stuhl. Er sah an sich hinab und staunte wieder einmal darüber, dass er wirklich Militärklamotten trug. Viel hatte sich verändert, vor allem für ihn. Und der wichtigste Mensch in seinem Leben hatte das am eigenen Leib zu spüren bekommen. Die Worte, zu denen er sich nun durchrang, waren das erwachsenste, das er jemals getan hatte. Fireball bat April, sich auch noch einmal zu setzen und beherzigte Martins Rat nun auch mit all seinen Konsequenzen: „Du warst immer an meiner Seite, wenn ich dich gebraucht habe, Süße. Das war in der Akademie so, das war auch auf Ramrod nie anders. …Du hast mir viel Angst genommen, mich in meinen Ansichten und auch Absichten bestärkt. Die Reise in die Vergangenheit hätte ich wohl kaum überlebt, wenn du nicht gewesen wärst. Als“, Fireball musste schwer schlucken um den Kloß in seinem Hals wieder los zu werden: „Vater verbrannt ist, da…“

Er wusste nicht, wie er verständlich machen sollte, was damals passiert war. Fireball hatte seiner Mutter nie zugehört, wenn sie ihm etwas von Seelenwanderung erzählt hatte. Er hatte es als Aberglauben abgetan, für Weibergeschwätz gehalten. Nun wünschte er sich, zumindest zu wissen, wie seine Ai diesen Vorgang nannte. Seine Augen suchten nach Aprils. Ohne Mühe erkannte er ihre gekränkte Haltung. Sie wollte ihm nicht so recht glauben.

„…Da hat auch dein Herz zu schlagen aufgehört“, ergänzte April Fireballs Zögern. Sie schloss die Augen und nickte dabei kaum merklich. Sie blickte wieder zu ihm hinüber und machte ihm deutlich: „Seit diesem Augenblick bist du nicht mehr derselbe. Und ganz schlimm ist es mit deiner Versetzung zur Base geworden. Ich dachte, das wäre nur vorübergehend, eine Art Kulturschock, den du verarbeiten musst. Aber das war es nicht. Das wird sich nicht mehr ändern. Du wirst dich nicht mehr ändern.“

Aprils Resignation war deutlich zu spüren. Fireball griff nach Aprils Hand, umschloss sie beinahe zaghaft. Auch er nickte, wollte ihre Worte allerdings noch ergänzen: „Es war schon etwas mehr als ein Kulturschock. Alles war so fremd. Ist es immer noch. Ich hatte Sehnsucht nach etwas Vertrautem, nach dir. Versteh bitte, du solltest kein Lückenbüßer sein, niemals. Irgendwie hab ich in der Base wohl auch sowas wie Verstand entwickelt, der mir immer eingetrichtert hat, dass es gegen die Regeln ist, was wir machen. Ich bin hin und her gerissen.“

Sie zog ihre Hand unter seiner wieder hervor, während er sprach. April empfand wieder diese Enttäuschung in sich. Für sie bedeuteten seine Worte, dass ihm der Job wichtiger war als sie. Das war eine bittere Erkenntnis und tat weh. Sie sah auf die leere Hand des Japaners, die sich sofort schloss, nachdem sie ihre hervorgezogen hatte.

Fireball biss sich auf die Lippen. Er konnte nichts festhalten, nichts was ihm wichtig war, bei sich behalten. Entmutigt, aber nun sicher, das richtige zu tun, sank er im Stuhl hinab und strich sich die Fransen seiner störrischen Haare aus dem Blickfeld: „Meine Gefühle für dich sitzen sehr tief, April. Aber ich fürchte, es sollte nicht sein. Vielleicht ist es auch nicht die richtige Zeit“, er schluckte wieder merklich. Der Gedanke an Zeit war mittlerweile für Fireball nicht nur einer an einige Jahre, sondern auch an mehrere Leben. Aber das machte eine Trennung von April nicht besser. Fireball murmelte: „Deine Freundschaft ist mir sehr wichtig, Süße. Haben wir eine Chance, unsere Freundschaft wieder zu kitten, wenn unsere Beziehung schon so ein Desaster war?“

April stand auf. Verstohlen wischte sie sich die Tränen aus den Augen, Fireball sollte sie nicht weinen sehen. Er würde sie ja doch wieder nicht trösten. Leise schniefte die Navigatorin von Ramrod. „Es sollte nicht sein“, wiederholte sich mit brüchiger Stimme. Es klang endgültig. April fühlte sich schlecht, es tat weh, es nun zu hören. Ja, sie hatte es schon befürchtet, aber nun, da sie Gewissheit hatte, saß die Enttäuschung unglaublich tief. Tief in ihrem Herzen hatte sie wohl bis zuletzt gehofft, dass er um sie kämpfen würde. Aber das tat er nicht. April sah auf Fireball hinab. Wieder musste sie die Tränen aus ihren Augen wischen. Sie war ihm noch eine Antwort schuldig. Aber konnte sie diese jetzt schon geben? April konnte nicht sagen, dass ihre Freundschaft wieder zu kitten war, sie wusste es doch nicht! Die junge Frau ging zur Tür und schniefte: „Wir sollten uns eine Zeit lang nicht mehr sehen, Shinji. Vielleicht finden wir dann wieder einen freundschaftlichen Zugang zueinander“, sie drehte sich ein letztes Mal zu ihrem ehemaligen Freund: „wenn du das Trauma vom Tod deines Vaters verarbeitet hast und dass du in seine Fußstapfen trittst.“ Ihr Blick wurde fester, als sie bemerkte, wie Fireball zu Widerworten ansetzte: „Sag jetzt nichts. Ich weiß, dass du das nie wolltest und du dich auch jetzt noch dagegen sträubst, aber du solltest dich damit abfinden, dass du der Sohn von Captain Hikari bist.“

Sie verließ den Raum und stieß beinahe mit Martin auf dem Flur zusammen. April lächelte den Brasilianer tapfer an. Es erinnerte sie an ihre erste Begegnung in der Base, als sie aus dem Büro gelaufen war, weil Saber sie an den Abflug von Ramrod erinnert hatte. Sie verabschiedete sich mit einem vielsagenden Satz von Martin: „Dieses Mal hat er nichts zu verstecken. Pass mir gut auf unseren Helden auf.“

Offenbarung

Verblüfft hielt Martin in seiner Bewegung inne, als April an ihm vorbei huschte. Ihre Worte trieben ihm die Fragezeichen auf die Stirn und als er einen Blick in seine Küche warf, gesellten sich die Sorgenfalten dazu. Mit einem Murmeln verabschiedete sich der Brasilianer von April und widmete sich dann dem verbliebenen Gast. Mit reichlich Unbehagen in der Magengegend blieb Martin am Küchentisch stehen und blickte auf seinen Freund hinab. Er verstand gerade einiges nicht. Einfühlsam, weil er sehr wohl mitbekommen hatte, dass sich die beiden gerade getrennt hatten, sprach er Fireball an: „Alles okay, Kurzer?“

Kraftlos und mit hängen gelassenen Schultern erhob sich Fireball. Er sah zu Martin auf: „Ja, geht schon. Nenn mich nur nie wieder Kurzer.“

Klar war es gelogen. Wie sollte es ihm denn gut gehen, wenn er gerade die Frau fortgeschickt hatte, die er liebte? Und dann waren da auch noch all die anderen Dinge, die wieder einmal auf der Überholspur auf ihn zurasten. Fireball seufzte tief und schwermütig, dabei rieb er sich mit dem Handballen über die Stirn und schloss die Augen. Nach einem weiteren tiefen Atemzug öffnete er sie wieder. Er versuchte sich und Martin abzulenken: „Du weißt schon, was auf Dienstverweigerung steht, Rubario? Hey, man, du haust einfach von der Arbeit ab und lügst deinem Chef auch noch ins Gesicht. Was soll ich denn davon halten?“

Ein kleines Schmunzeln huschte über Fireballs Lippen, das verriet Martin, dass er hier keine Standpauke kassierte. Auch er lächelte und konterte: „War ´ne Notlüge, ich geb’s zu. Aber der Anruf vorhin war ernst gemeint. Schließlich gehörst du zur Familie.“

„Soll ich Alessa erzählen, dass du früh morgens mit einer fremden Frau an eurem Frühstückstisch sitzt? Ei ei ei, da kannst du dir eure Verlobung gleich wieder in die Haare schmieren“, mit jeder Stichelei hoben sich Fireballs Schultern wieder und sein Lächeln wurde wieder größer. Er wollte nun nicht deprimiert sein, dafür hatte er keine Zeit, von den Nerven ganz abgesehen.

Martin stieß ihn sachte an der Schulter: „Kannst du gerne probieren. Aber dann erzähl ich ihr auch, dass deine letzte Mission mit Ramrod mehr als nur außergewöhnlich war“, nun wurde der Brasilianer sehr ernst. Er begriff mit einem Mal, dass all die Gedanken, die er für völlig absurd gehalten hatte nicht unberechtigt gewesen waren. Er hatte sich dafür selbst das ein oder andere Mal beinahe in die Klapsmühle einweisen lassen wollen, aber was April so laut in die Wohnung hinaus getragen hatte, ließ Martin nun endlich ein Licht aufgehen. Auch, wenn ihm im ersten Moment alles klar geworden war, so hatten sich nun doch in Windeseile viele schwarze Löcher aufgetan und der Pilot war nun völlig verwirrt. Also drückte er den japanischen Bonsai wieder auf den Stuhl und setzte sich ebenfalls. Hoch interessiert brachen diverse Fragen aus Martin heraus. Allen voran eine: „Ich hab vorhin einiges gehört. Himmel, wie zum Teufel seid ihr in die Vergangenheit gereist?!“

„Ich bin kein Wissenschaftler, Marty. Keine Ahnung!“, eigentlich hätte Fireball entsetzt sein müssen, weil Martin etwas in die Richtung gehört hatte. Tatsächlich allerdings war er erleichtert und froh, sodass er ohne Scheu zu erzählen begann.

Martins Augen wurden immer größer und seine Verwunderung nahm kein Ende. Wie ein kleiner Junge einer unendlich spannenden Geschichte lauschte er Fireballs Ausführungen zu ihrem Unfall. Jedoch kam Fireball mit dem detailreichen Bericht nicht sehr weit, bis Martin ihn zum ersten Mal unterbrach: „Wie? Ihr seid vor dem ersten Angriff dort gelandet? Habt ihr die Menschen da nicht gewarnt?“

„Wir wollten die Gegenwart nicht verändern“, ein kleines Seufzen machte sich wieder bei Fireball Luft. Hätten sie doch nur früher gewusst, was sie alles mit dem Sprung in der Zeit verändern würden, auf die paar gerettete Menschenleben mehr oder weniger wäre es seines Erachtens auch nicht mehr angekommen. Der Japaner erzählte, wie sich die Freunde im Oberkommando gemeldet hatten, wie er von seinem Vater bei den Jets ertappt worden war und dass er fortan Dienst dort zu verrichten gehabt hatte. Fireball ergänzte seine Ausführungen um eine nette Anekdote: „Ich kann mich sogar noch erinnern, dass deine Mutter und du als kleiner Pimpf Milo zwei oder drei Mal von der Arbeit abgeholt habt“, einen Seitenhieb konnte sich Fireball plötzlich nicht mehr verkneifen: „Du warst aber auch ein süßer kleiner Hosenscheißer mit deinen fünf Jahren da!“

„Oh Hilfe!“, Martin versank beinahe vor Scham. Er verschwendete nicht einen Gedanken daran, Fireball für verrückt zu halten oder das alles als erfundene Geschichte abzutun. Für Martin war klar, dass sein Freund nichts als die Wahrheit erzählte, was diese Reise in die Vergangenheit betraf. Für den Brasilianer war Fireball immer ein ehrlicher Mensch gewesen, lügen war nicht die Stärke des Japaners. Bevor er log, sagte er nichts. Martin stand unvermittelt auf und suchte nach seinem Telefon. Er tippte eine kurze Nachricht an Stan und Olli, dass er und der Captain nicht mehr zur Arbeit kommen würden. Gleich nach dem Versenden der Nachricht pfefferte Martin das Telefon wieder auf den Tisch und machte sich auf die Suche nach Gläsern. Er brachte auch eine Flasche Rum dazu an den Tisch.

Fireball beobachtete Martins Tun mit steigender Verwirrung. Allerdings kam er nicht auf die Idee, Unbehagen zu empfinden. Martin glaubte ihm, schien sogar gerne mehr wissen zu wollen. Als der Brasilianer allerdings mit hochprozentigem Alkohol zurück an den Tisch kam, nahm er ihm beherzt die Flasche ab: „Es ist noch nicht mal richtig Zeit fürs zweite Frühstück, außerdem bin ich mit dem Wagen da! Mensch, Marty, mach so weiter und ich werde dank dir wirklich noch zum Alkoholiker. Ich kann ja nicht jedes Mal was trinken, wenn ich bei dir sitze und ´ne schwere Zeit hab.“

„Gut“, Martin stellte dennoch beide Gläser auf den Tisch: „wenn du keinen brauchst, ist das auch okay. Aber ich brauch einen, Babyboy.“ Bedächtig schenkte sich Martin einen Schluck ein, nachdem er sich wieder gesetzt hatte. Danach wollte er wissen: „Du warst also in der Base stationiert und hast mit deinem, meinem… also unseren Vätern zusammen gearbeitet. Wie kommt’s, dass kein zweiter Hikari in den Akten von damals auftaucht? Das wüssten wir doch, oder?“

Mit einem sarkastischen Unterton antwortete Fireball: „Das wär sicherlich ein Bild für Götter gewesen, wenn ich meinem …dem Captain meinen richtigen Namen genannt hätte. Darf ich mich vorstellen? Shinji Hikari“, es fiel Fireball leichter von seinem Vater und den Erlebnissen in der Vergangenheit zu berichten, wenn er ihn als Captain bezeichnete. Es war so schon verwirrend genug, da musste man nicht auch noch zusätzlich für ein Gefühl der Verbundenheit sorgen, indem man seinen Captain auch als seinen Vater bezeichnete. Auch wenn er es tatsächlich gewesen war. Er fuhr fort: „Frag deinen Vater mal, eventuell erinnert er sich noch an einen Shinichi Hikaro. Meine Statur und mein Aussehen, wenig Respekt vor dem Captain, ein Problem mit dem Salutieren und der Anrede ‚Sir!‘, aber ein guter Pilot.“

Dabei zwinkerte Fireball verschwörerisch und Martin verstand. Der Brasilianer lachte ungezwungen: „Na Dankeschön auch. Und so einer wird hier dann auch noch zum Captain. Ist doch ein Drama.“

Martin hörte noch eine ganze Weile den Ausführungen zu und fragte immer wieder dazwischen. Er hatte schnell gemerkt, dass dem jungen Captain alles, was mit seinem Vater zu tun hatte und was mit ihm geschehen war, schwer zu schaffen machte. Der Brasilianer erinnerte sich an Stans Prüfung und wollte am liebsten im Boden versinken. Der Blondschopf hatte keine Ahnung, wie tief er den Rennfahrer damals wirklich erwischt hatte. Niemand wusste das. Martin hatte sich oft gewundert, weshalb die Reaktionen auf Bemerkungen über Captain Hikari von Fireball meist unterkühlt und nüchtern gewesen waren. Nun wurde er wieder einmal darüber belehrt, was seine Alessa vorher schon gewusst hatte. Nur beschlich Martin das Gefühl, dass April, obwohl sie ebenfalls in der Vergangenheit gewesen war, auch nur Bruchstücke aus Fireballs Gefühlswelt zu sehen bekommen hatte. Der Brasilianer spürte, dass er bisher der einzige war, dem gegenüber Fireball so offen gesprochen hatte. Der junge Japaner öffnete sich und sorgte so wieder ein Stückchen mehr für sein Seelenheil.

Mit traurigem Blick erzählte Fireball seinem Vertrauten von dem letzten Treffen mit seinem Vater, wie sie auseinander gegangen waren: „Er war wütend. Enttäuscht. Klar, immerhin hat er mir viel Vertrauen entgegengebracht, war inoffiziell mein Pate in der Base. Und ich hab ihn vom ersten Satz an angelogen.“

Dieser Vorwurf nagte sehr an Fireball. Aber nach wie vor auch die Wut über die Entscheidung, die sein Vater dann trotz besseren Wissens noch gefällt hatte.

Martin lugte über den Rand seines Glases und konnte einwandfrei erkennen, wie dem jungen Hikari zumute war. Obwohl er nicht dabei gewesen war, glaubte er doch, seinem Freund etwas versichern zu können: „Er wusste doch nicht, wen er vor sich hat, Shinji. Und ich bin mir sicher, wenn er gewusst hätte, wer du bist, er hätte es verstanden.“

„Hat er auch“, krächzte Fireball mehr als er sprach. Seine dunklen Augen wurden beinahe schwarz. Der Japaner fasste sich ein Herz. Endlich würde er aussprechen, was er schon so lange mit sich herumtrug und dessen Narben nicht einmal April lindern konnte. Nun schenkte sich auch Fireball ein wenig vom Alkohol in ein Glas, mit dem er vor Martin auf und ab zu tigern begann. Mit brüchiger Stimme und manchmal an seinem eigenen Verstand zweifelnd offenbarte er Martin: „Irgendwas total Schräges ist dort bei der ersten Schlacht abgelaufen. Ramrod lag auf der Lauer, wir wollten Jesse Blue abfangen, sollte er sich einmischen wollen. Colt und Saber haben ihn auf einem Asteroiden erwischt. Währenddessen tobte die Schlacht genau vor uns. Wir haben untätig zugesehen, wie die Outrider das Königreich zu überrennen drohten! Als Captain Hikari zu diesem Harakirimanöver angesetzt hat… Als sein Schiff auf das von Nemesis prallte“, Fireball nahm einen Schluck vom Rum und schloss die Augen. Er spürte förmlich, was damals passiert war. Er blieb mitten im Raum stehen, starrte auf seine Füße und fuhr heiser fort: „Als er im Wrack verbrannt ist, ich habe es deutlich gespürt, konnte nicht atmen. Und als er sein Leben aushauchte, da war für einen Augenblick auch meines ausgelöscht. Ich war komplett weg und als ich wieder zu mir komme…“

Wie gebannt saß Martin auf seinem Stuhl und hörte zu. Ein Horrorfilm oder Thriller spät abends waren nicht so fesselnd wie der Erlebnisbericht des Japaners. Mittlerweile wunderte sich Martin bei den Star Sheriffs von Ramrod über gar nichts mehr. Ihm war zu Ohren gekommen, dass die Freunde seit dieser Mission anscheinend etwas kauzig geworden waren. Auch Alex hatte manchmal erzählt, dass die drei auf Ramrod ein Thema anschnitten und unter sich besprachen, es aber sofort abwürgten, wenn er den Raum betrat. Es konnte dabei nur um die Reise in die Vergangenheit gehen. Saber, Colt und April konnten zumindest auf ihren Missionen miteinander darüber sprechen, aber Fireball hatte es bisher hinuntergeschluckt und für sich behalten. Beim Rennfahrer würde allerdings gleich der Knoten platzen.

Dass auch noch alle Deiche brachen, damit hatte Martin dann aber nicht gerechnet. Fireball stellte zitternd das Glas auf den Tisch und wandte sich von Martin ab. Er wischte sich über die Augen und krächzte erbärmlich: „Ich muss mit den Erinnerungen und der Seele meines Vaters leben! Er ist so übermächtig und groß, alle Welt verehrt ihn für seinen Heldentod! Und als wäre es nicht genug, seinen Namen tragen zu müssen, versetzt man mich auch noch in seine alte Base. Jeden Tag hab ich vor der Nase, wie großartig er ist und ich komm nicht dran.“

Ergriffen stand Martin auf, hielt dann allerdings in seiner Bewegung inne. Erst allmählich begriff er die Tragweite der Worte. Und er konnte nichts darauf erwidern. Jeder Satz, jedes Wort wären Nonsense gewesen und hätten dem Wirbelwind nicht geholfen. Martin beschränkte sich darauf, Fireball eine Hand auf die Schulter zu legen und ihm mit sanftem Druck sein Verständnis zu zeigen. Oh, wäre seine Alessa doch nur hier! Oder April! Martin hatte bei diesem Gedanken die Augen aufgerissen. Diese offene Aussprache wäre das gewesen, was die Blondine und der Rennfahrer gebraucht hätten um es nicht so enden zu lassen.

Und als hätte Fireball die Gedanken des Brasilianers erraten, setzte er erneut an: „April war dabei, als der Captain in der ersten Schlacht gestorben ist. Sie war bei mir. …In dem Augenblick, als ich sie am meisten brauchte, war sie bei mir und hat mir Halt gegeben. Meine Süße wusste immer, wie es mir geht, ich musste nicht reden. Bis sie mich hier auf Yuma zurück gelassen haben. Ich konnte ihr nie sagen, wie sehr sie mir gefehlt hat, oder dass mich die Base nervlich fertig macht. …Wieso nur lasse ich Hornochse die Frau gehen, die alles von mir weiß und mit mir durchgestanden hat?“

Die Frage war berechtigt. Das wusste auch Martin sicher. Aber im Gegensatz zu seinem gemarterten Gegenüber kannte Martin auch die dazu passende Antwort. Er drückte den Japaner wieder in den Stuhl und schob ihm das Glas wieder vor die Nase. Schweigend wandte sich Martin um und brachte schließlich etwas zu essen an den Tisch. Er wusste, Fireball brauchte nun einen Freund. Und da die Freunde von Ramrod nichts wussten und demnach keine Freunde sein konnten, erwies sich nun Martin als guter. Diesen Status bei Fireball hatte er sich immerhin hart erkämpft. Der Brasilianer setzte sich wieder, reichte seinem Kumpel ein Brotmesser und schmunzelte endlich: „Ich kann dir schon sagen, warum du April fortgeschickt hast.“

„Ja?“, doch überrascht sah Fireball zu Martin auf. Mit hochgezogenen Augenbrauen richtete er sich im Stuhl etwas auf: „Auf die Antwort bin ich gespannt.“

Wollte Martin ihn nun zum Narren halten? Er konnte den Brasilianer gerade schlecht einschätzen und wusste nicht, was dieser vor hatte.

Doch Martin meinte es ehrlich. Viele Stunden hatte er dafür mit Alessa abends im Bett opfern müssen, um zumindest einiges zu verstehen. Aber das hatte er dafür umso besser kapiert, auch ohne die nicht unwesentliche Zwischengeschichte von Fireball eben. Der Brasilianer stupste zuerst auf Fireballs Brust, danach auf seine Stirn: „Weil bei dir da und da was nicht zusammen passt. Herz sagt ja, Kopf sagt nein. Und der entscheidende Faktor bei der ganzen Geschichte nennt sich Schiss, Babyboy“, auf Fireballs Blick hin musste Martin schmunzeln und tadelte den Japaner: „Jetzt guck mich nicht so an, ist doch so! Hättest du nicht solchen Schiss davor, April in dein Leben zu lassen und wieder alles mit ihr durchzustehen, nur eben auf einer anderen Basis, wären dir die Regeln im Oberkommando gleich gar nicht in den Sinn gekommen. Ja, von mir aus bist du erst Anfang zwanzig, aber das heißt nicht, dass man in dem Alter nicht schon die Richtige gefunden haben kann.“

Da sprach der ältere der beiden aus Erfahrung. Er war mit seiner Alessa ungefähr im gleichen Alter zusammen gekommen und von der ersten Minute an hatte er gewusst, dass sie seine Frau fürs Leben war. Alessa hatte ihn beim ersten Date ausgelacht, als er ihr gesagt hatte, sie wäre seine Traumfrau und er würde sie heiraten, aber spätestens nach dem zweiten Date hatte sie ihm Glauben geschenkt. Nun ja, sie waren zwar noch nicht verheiratet, aber eines schönen Tages war es soweit. Martin wartete eigentlich nur noch auf den richtigen Zeitpunkt. Und die richtigen Worte.

Wie immer, wenn Fireball eine Vermutung zu nahe an die Wahrheit kam, reagierte er patzig. In diesem speziellen Fall allerdings mit hochrotem Kopf und unglaublicherweise auch noch mit Galgenhumor: „Ich hab nicht mal vorm Sterben Angst, weshalb sollte ich da Angst vor unserem Dampfhammer namens April haben?“

„Kann ja sein, dass du die eine oder andere Erfahrung gemacht hast, die man normalerweise garantiert nur einmal macht. Aber“, Martin zog seinen Widerspruch absichtlich übertrieben lang, ehe er fortfahren wollte.

Martin konnte seinen Einwand jedoch nicht mehr vorbringen, denn Fireballs Telefon machte sich lautstark bemerkbar. Dem Klingelton nach zu urteilen, war es jemand aus dem Oberkommando, der ihn erreichen wollte. Irritiert sah Fireball zuerst auf das Display, dann zu Martin hinüber: „Das ist Eagles Büro!“

Auf Martins stummes Nicken hin nahm der junge Captain das Gespräch an und konnte beobachten, wie Fireball innerhalb weniger Sätze Beine bekam. Shinji zog seinen Freund noch während des Telefonats vom Stuhl hoch und lief mit ihm in den Flur, wo er das Gespräch mit „Wir sind gleich da!“ beendete.

Behände schlüpfte der Asiate in seine Schuhe und die Jacke, dabei erklärte er Martin: „Zieh die Laufschuhe an. Im Oberkommando brennt’s. Es wurden Jumper über Yuma gesichtet, wir müssen sofort zur Base.“

„Wie sofort ist sofort?“, Martin konnte sich die Antwort zwar denken, aber die Bestätigung dafür wollte er in beruflichen Belangen doch lieber vom Chef persönlich erhalten.

Trotz der Eile, die geboten war, hatte Fireball noch die Zeit, ein hämisches Grinsen aufzusetzen und Martin Angst zu machen: „So sofort, dass das KOK die Strafzettel und die Polizeieskorte zahlen wird, die ich gleich produzieren werde“, Im Laufen entriegelte Fireball seinen Wagen und ließ Martin noch wissen: „Schnall dich an, bete, dass wenig Verkehr ist und zur Info: die Kotztüten sind im Handschuhfach.“

Okay, jetzt hatte Martin definitiv ein mulmiges Gefühl. Er war einfach mit Fireball mitgelaufen, hatte die Wohnungstür nur zugeworfen ohne abzuschließen und sich auf eine schnelle Fahrt gefasst gemacht. Aber was Fireball ihm da in Aussicht stellte, klang schon vor dem eigentlichen Einsatz wie ein Selbstmordkommando. Martin schwang sich auf den Beifahrersitz und kaum hatte er die Tür geschlossen, fuhr Fireball schon mit quietschenden Reifen davon. Hastig gurtete sich Martin noch an und krallte anschließend die Hände in die Sportsitze. Sah ganz so aus, als bekäme Martin die verpasste Fahrt auf der Rennstrecke nun nachgeliefert.

Auf dem Weg zum Stützpunkt schloss Martin immer wieder die Augen, weil er gar nicht sehen wollte, mit wem sie auf ihrer rasanten Reise frontal zusammen prallen würden. Doch wundersamer Weiser kamen die beiden heil und rekordverdächtig schnell an. Fireball driftete in den Hangar hinein und kam quietschend zu stehen. Gleich darauf stieg der Rennfahrer aus und rief seiner Mannschaft zu: „Alles da? Wir haben’s eilig!“

Martin stieg mit zitternden Knien aus dem Wagen aus, während der Rest der Crew einstimmig mit „Jo!“ antwortete. Im Vergleich zu Martin wirkte Fireball entspannt, dem Brasilianer jedoch war hundeelend. Trotzdem musste er sich zusammen nehmen und zusehen, dass sie in die Luft fanden, um Yuma zu verteidigen. Fireball gab noch die Anweisung, schon mal aufzusteigen und in einer dreireihigen Formation vorauszufliegen, er und Martin würden im Null Komma Nichts zu ihnen stoßen.

Gleich nach dem Start nahm Fireball Verbindung zum Tower auf und holte die neuesten Informationen zum Angriff ein. Er wollte wissen, wer und wie viele sich da draußen tummelten. Dabei erfuhr er, dass auch Ramrod zum Geschehen geschickt worden war. Mehr wussten die Herren vom Tower allerdings noch nicht.
 

„Captain Hikari an Ramrod! Säbelschwinger, gib mir mal ein Update zur Lage.“

Der alten Stammbesetzung von Ramrod blieb einen Augenblick das Herz stehen, als sie Fireball über Funk vernahmen. Er hatte sich wie sein Vater angehört. Beim zweiten Satz jedoch hatten sie sich wieder gefangen. Den Schelm in der Stimme hatte ihr ehemaliger Pilot nicht verbergen können.

Die Stimmung an Bord war etwas gedrückt gewesen, April hatte enorme Traurigkeit unter den Jungs versprüht. Als Fireball sich gemeldet hatte, hatte sich ihr Herz zusammen gezogen. Wieso mussten sie ausgerechnet dann, wenn April bestimmt hatte, sie sollten sich eine Weile nicht mehr sehen, zusammen arbeiten? Was war das für ein fieser Schachzug des Schicksals? Dennoch hielt sie den Funkkanal offen. Sie musste professionell bleiben. Immerhin griffen die Outrider Yuma an.

Saber erwiderte unterdessen mit einem unterdrücktem Grinsen die Anfrage: „Bitte findet sich in deinem Wortschatz wohl keines“, nach einer kleinen Pause erklärte er Fireball: „Ein Renegade befindet sich im Anflug auf Yuma, dem fliegen wir grade entgegen. Die Vorhut an Jumpern hat den Orbit beinahe erreicht.“

Colt schaltete sich übermütig dazwischen: „Du weißt schon, Turbofreak. Die hässlichen kleinen Dinger, die von den Outridern gesteuert werden und an Ramrod immer wie Popcorn aufgeplatzt sind. Nur für den Fall, dass du nicht mehr wissen solltest, wie der Feind aussieht, weil du ja schon so lange keinen mehr gesehen hast.“

Colt hatte ein wohliges Gefühl übermannt, er freute sich, mit seinem Kumpel mal wieder in den Kampf zu ziehen. Sie hatten sich schon wieder länger nicht mehr gesehen, das kleine Machtgeplänkel, das sie auf Ramrod öfters ausgetragen hatten, fehlte dem Lockenkopf mitunter sehr. Nachdem die Crew von Fireball hier mitzumischen schien, und das KOK im ersten Moment deren Captain nicht hatte auftreiben können, hatte man solange Ramrod hochgeschickt. Nun stand die Chance, miteinander in die Schlacht zu ziehen, nicht so schlecht.

Fireball antwortete zuerst Colt, danach wandte er sich an Saber und stimmte mit dem blonden Recken die Vorgehensweise ab: „Okay, ich leide an Gedächtnisschwund. Also komm lieber nicht mit dem Bronco raus, Cowboy, sonst erwisch ich versehentlich dich. Und Saber? Nachdem ein Renegade im Spiel ist, glaube ich zu wissen, dass Ramrod den übernimmt. Ist es recht, wenn wir euch den Kleinmist vom Leibe halten? Wär `ne nette Abwechslung für die Jungs.“

„Es ist ja nicht so, dass wir damit nicht selbst fertig würden“, begann Saber, denn tatsächlich kämpfte Ramrod in der Regel alleine gegen einen Renegade und Jumper. Aber Saber hatte an diesem Tag gute Laune und immerhin war die Base auch schon ausgerückt. Er stimmte Fireball deswegen zu: „Aber ich will mal nicht so sein. Teilt euch die Jumper gut ein, ich glaube nicht, dass die Outrider Nachschub schicken werden.“

Fireball lachte hell auf: „Du bist zu gütig, oh großer Klingenwetzer!“

In diesem Augenblick schoss ein Jet der Air Strike Base an Ramrod vorbei. Dieser Düsenjäger schwankte zweimal nach links und rechts, was aussah, als würde er mit den Flügeln winken. Während Colt und Saber sich angrinsten, schüttelte Alessandro den Kopf und rollte genervt die Augen: „Kleiner Irrer!“

Fireball meldete sich noch ein letztes Mal über Funk: „Wir sehen uns zum Mittagessen wieder in der Base oder je nach Bedarf, solltet ihr Hilfe mit dem Renegade brauchen.“

Es war nicht zu überhören, dass Fireball vor Übermut, endlich im Einsatz zu sein, beinahe überschäumte. Monatelang hatte er keinen lebendigen Outrider mehr gesehen, war es ruhig und beschaulich auf Yuma zugegangen, und nun stieg die Air Strike Base 1 zum ersten Ernstfall unter Fireballs Kommando auf. Es würde sich zeigen, ob die Arbeit der letzten Monate Früchte trug. Fireball ahnte noch nicht, wie viel mehr Papierkram in den nächsten Minuten auf ihn zukam.

Saber korrigierte währenddessen Alessandros Kommentar: „Großer Irrer, Alex.“

Colt lachte: „Armer Irrer! Aber größenwahnsinnig war er eigentlich schon immer, war er doch!“
 

Die Hyperjumper waren tatsächlich eine nette Ablenkung für die Base gewesen. Die Piloten konnten dem neuen Captain endlich zeigen, was wirklich in ihnen steckte und der erwähnte Boss der Crew konnte beweisen, dass er von seinem Job auch tatsächlich in der Praxis was verstand. Fireball hatte den Jungs und Mädels von vornherein jegliche Alleingänge untersagt, immerhin war die Crew groß genug, dass jeder einen Wingman hatte. Die Piloten gaben sich immer wieder gegenseitig Rückendeckung und irgendwie schien es schon fast zu einfach zu sein, die Jumper wieder in ihre eigene Dimension zu katapultieren.
 

Ramrod erlebte dafür mit dem Renegade eine unangenehme Überraschung. Offensichtlich hatten die Outrider ein paar neue Tricks gelernt und ein guter Schutzschild zählte dazu. Jeder gut gezielte Schuss von Colt auf das Biest wurde ebenso gut gezielt wieder an den Absender zurück geschickt. Die Crew musste sich etwas einfallen lassen. Nur leider hielten sich gute Ideen im Kampfgeschehen eher bedeckt.

April versuchte unter Hochdruck eine Schwachstelle zu finden, während sich Colt darauf konzentrierte, keine schweren Geschütze aufzufahren und Alex ihren eigenen brillanten Schüssen auswich. Und auch Saber trug unter seinem Helm einen verbissenen Gesichtsausdruck zur Schau.

Keine Ergebnisse zur Analyse. Der nächste Treffer und Ramrod wurde durchgeschüttelt. Saber hielt sich mit einer Hand an der Konsole fest. Wie sollte man da brauchbare Daten erhalten, wenn nach jedem Treffer die Systeme kurzzeitig Sternchen sahen?!

Colt brachte es nach einem weiteren heiklen Treffer auf den Punkt: „Wir brauchen ein verdammt gutes Ablenkungsmanöver. Ich will mich nur ungern selber über den Haufen ballern, Leute.“

Der Lockenkopf verkniff sich extra zu behaupten, Alex würde nicht gut genug fliegen und keine ausgefeilten Manöver kennen, der hätte das in dieser Situation sicherlich falsch verstanden. Fakt jedoch blieb, dass sie mehr Zeit benötigten, um dem Renegade eins auf dessen Achillesferse zu verpassen.

Während Saber und Alex lediglich nickten, kamen von April erste Bedenken: „Grundsätzlich bin ich auch für ein Ablenkungsmanöver, aber wer soll das machen? Von uns kommt keiner hier raus, ohne sofort eins vor den Latz geknallt zu kriegen.“

Bissig lieferte dieses Mal Alex den entscheidenden Hinweis: „Ich wüsste einen guten Outriderköder, den man ihnen vorwerfen könnte…“

Tatsächlich hegte Alessandro mehr und mehr Groll gegen Fireball und hätte nichts dagegen, wenn der nette Herr von und zu für sie das Ablenkungsmanöver inszenieren würde. Dann konnte er wenigstens mal zu etwas zu gebrauchen sein, außer ihrer Navigatorin das Herz zu brechen.

Saber hatte den Gedanken durchaus aufgefangen, ihn allerdings nicht so feindselig aufgefasst, wie es Alex Intention gewesen war. Nichts lag Saber in dem Augenblick ferner, als persönliche Differenzen zu bemerken, die derart unterschwellig gestreut wurden. Er öffnete kurzerhand eine weitere Funkverbindung: „Major Rider an Minicaptain Hikari! Sag mal, Fireball, habt ihr gerade viel zu tun?“

Prompt meldete sich der Angesprochene auch tatsächlich über Funk: „Werter Säbelschwinger! Mein Blick zum Chronometer vermeldet den herannahenden Mittag. Ich wollte meine Crew gerade zurück schicken. Könnt ihr eure Mittagsruhe nicht einhalten, oder was willst du von mir?“

Man, diese Klappe. Saber musste trotz der prekären Lage schmunzeln. Der Highlander stellte klar: „Nur um ganz sicher zu gehen, dass du auch die Spielregeln kennst, Kumpel. Wenn ihr mit uns im Einsatz seid, wird zu Tisch gegangen, wenn wir das sagen und nicht, wenn du meinst. Hör zu, Fireball. Du kannst einen Großteil deiner Truppe gerne landen lassen, wir bräuchten nur ein paar fähige Kunstflieger, die den Renegade ein wenig ablenken.“

Auch dem anderen Gesprächsteilnehmer hörte man das Lächeln an, als er antwortete: „Reichen dir fünf plus moi? Ich hätte da ein paar ganz herausragende Kamikazepiloten.“

„Na, durch den Kamin müssen sie nicht unbedingt kommen, sind ja keine Weihnachtsmänner, sind sie nicht“, vermeldete sich auch Colt wieder. Weil es ihm zu lange dauerte, bis Saber endlich in die Puschen kam, half er selbst nach: „Komm einfach her und lenk den Renegade ab. Das kannst du doch hoffentlich.“

Fireball bestätigte nur noch, dass er gleich mit einigen Piloten da sein würde und unterbrach dann die Verbindung. Er trommelte einige Mannen zusammen und schickte Martin mit dem Rest Richtung Heimathangar.
 

„Ich kauf dir für Weihnachten ein Fremdwörterlexikon“, Alessandro schüttelte einfach nur den Kopf und korrigierte den Hutträger mit Fachwissen: „Kamikaze ist ein japanisches Himmelfahrtskommando, da kommt kein Kamin vor. Die sprengen sich maximal mit dem Feind gemeinsam in die Luft.“

Das schmeckte Colt nun gar nicht. Er brauchte von Alex nicht verbessert zu werden, alle wussten, was er gemeint hatte. Wenn ihn überhaupt jemand verbessern durfte, dann war das der blonde Recke und sonst schon keiner! Colt hatte immerhin mit Fireball gesprochen und da brauchte sich Alex nicht einzumischen. Er brauste beinahe auf: „Das weiß ich schon. Deine altklugen italienischen Mafiaweisheiten kannst du dir an den Helm stecken oder wo anders hin, du weißt schon wo.“

„Ich steck dir gleich was dahin!“, bellte Alessandro zurück. Plötzlich war die Stimmung an Bord gereizt, sie hatte in Windeseile umgeschlagen.

Es war an April, nun den Mund aufzumachen. Sie rollte genervt die Augen und verkündete: „Lasst mal stecken, Jungs. Kümmern wir uns lieber um den Renegade. Das Ablenkungsspektakel fängt gerade an.“

April hatte sechs kleine Punkte auf dem Schirm gefunden, die sich schnell und in einer V-Formation auf Ramrod zu bewegten. Da sie grün blinkten, waren es Gleiter des Oberkommandos, die eindeutig als Freunde identifiziert werden konnten. Unverzüglich stellten die vier an Bord alle Angriffe ein und beschränkten sich auf Ausweichmanöver. Sie überließen vorläufig den kleinen wendigen Jets die große Bühne. April und Saber konnten nun die Daten auswerten, Schwachstellen ausloten und danach das weitere Vorgehen besprechen.

Nachdem sie endlich herausgefunden hatten, wo der Renegade ein Sicherheitsleck aufwies, kam wieder Bewegung in die Sache. Saber kontaktierte die Gleiter, damit diese sich aus dem Geschehen zurückziehen konnten. Die sechs Jets drehten unverzüglich ab und gaben das Schlachtfeld für Ramrod frei. Alex steuerte den großen Cowboy direkt auf den hässlichen Renegade zu, während Colt zu zielen begann.

Konzentriert hörte man den Lockenkopf murren: „Halt die Kiste halbwegs ruhig, damit ich ihn gut erwische.“

„Trink ein bisschen Zielwasser, wenn deine Finger sonst so zittrig sind!“, Alex tat bereits alles, was in seiner Macht stand, da brauchte er keine blöden Anweisungen des Scharfschützen.

Unmerklich wanderten Sabers Augen über die Crew, waren einen Augenblick nicht beim Geschehen. Was war nur gerade passiert? In den letzten Monaten hatten sich doch die Zusammenarbeit und auch das Zusammenleben stetig verbessert. Woher kam nur plötzlich wieder diese unterschwellige und teils auch offene Feindseligkeit zwischen Colt und Alex? Das gefiel dem Schotten nicht sonderlich, und das nicht nur, weil sie mitten in einem Kampf steckten. Diese Differenzen mussten sie umgehend aus dem Weg schaffen. Seine blauen Augen suchten Aprils Blick, die ihn gerade erwiderte. Wie zur Antwort auf eine stumm gestellte Frage, hob April leicht die Schultern an und deutete somit an, dass auch sie nicht wusste, was mit den beiden Jungs plötzlich los war.

Saber wandte sich wieder dem Geschehen vor ihnen zu, gerade noch im richtigen Augenblick. Er gab unverzüglich den Befehl: „Feuer!“

Colt drückte ab. Stille auf Ramrod. Bis Colt aus seiner Satteleinheit aufstand und zur Glasfront schritt: „Tja, Saber. Feuer trifft’s ziemlich gut würd ich sagen.“

Der gebürtige Texaner blickte auf einen brennenden Renegade, der trotz seiner fiesen Tricks letztlich doch verloren hatte. Auch die anderen kamen an das Panoramafenster und begutachteten ihr Tagwerk. April stieß Colt mit dem Ellbogen in die Rippen: „Das war ganz schön knapp, Freundchen. Hättet ihr euch das Geplänkel mal gespart.“

Verdattert wich Colt einen Schritt von April weg: „Wieso haust du immer nur mich, Weib? Der Spaghettifresser da hat angefangen!“

April wollte gerade etwas erwidern, als Colt schon wieder ganz versöhnlich wissen wollte: „Wo warst du eigentlich vorhin?“

Ihm kam es gar nicht in den Sinn deswegen noch länger böse zu sein. Er war nie nachtragend gewesen, maximal theatralisch, aber nie nachtragend. April war traurig gewesen, als sie zu Ramrod zurückgekommen war, das war dem Scharfschützen schon aufgefallen, kaum war sie die Rampe raufgekommen gewesen. Sie hatte glasige Augen gehabt und rote Backen, sie hatte verweint gewirkt und langsam beschlich Colt ein ungutes Gefühl in der Magengegend.

Die Navigatorin nahm den Helm ab und ließ ihn in Colts Satteleinheit fallen. Sie wusste, welches vorhin Colt meinte. Sie war eher knapp zu Ramrod gekommen, als der Alarm losgegangen war. Sie suchte nach Worten, konnte aber keine plausible Erklärung für ihr Fehlen abgeben. Also entschied sie sich für: „Unterwegs.“

„Eventuell mit Matchbox?“, Colts Grinsen verriet, welchen Hintergedanken er hatte. Tatsächlich waren Saber und er am Vormittag im Hangar gewesen und hatten den Wuschelkopf aufsuchen wollen, doch der war kurz davor ziemlich eilig weggefahren. Colt ging nun davon aus, dass die beiden sich vielleicht getroffen haben konnten, ohne ihnen etwas zu sagen. Und das war auch schon sein ungutes Gefühl. Auch, wenn April es ihm nie offen gesagt hatte, so wusste der frisch gebackene Vater, dass sie Fireball sehr gerne mochte. Colt konnte nicht im Ansatz ahnen, was sich zwischen seinem kleinen Bruder und seiner besten Freundin inzwischen abgespielt hatte, aber er glaubte zu wissen, dass zumindest April die Entfernung zu Fireball nicht gut bekam. Und dann schien es da ja auch noch die rätselhafte Unbekannte zu geben, die wohl bisher nur April kennen gelernt hatte und der Grund sein könnte, weshalb April neuerdings heimlich weinte.

April schluckte und kämpfte die aufsteigenden Tränen so gut es ging hinunter. Da sie Angst hatte, ihre Stimme könnte versagen, schüttelte sie lediglich den Kopf. Oh Gott, warum musste es denn immer faustdick kommen, kaum ging mal was daneben?! Monatelang war es Colt gelinde gesagt ziemlich egal gewesen, wie April ihre freie Zeit auf Yuma verbrachte und kaum trennte sich Fireball von ihr, schnüffelte der Cowboy der brennenden Lunte auch schon hinterher.

Colt sah April mitfühlend an, dann riskierte er einen fragenden Blick zu Saber und auch Alessandro hinüber. Er mochte den Italiener zwar nach wie vor nicht so gerne, wie Saber oder Fireball, doch Colt war nicht blöd. Der Scharfschütze hatte schnell kapiert, dass Alex und April, ihr Double-A an Bord, einen guten Draht zu einander hatten. Insgeheim glaubte Colt auch, dass Alex wissen könnte, was nicht stimmte. Der Italiener hatte anfangs nie etwas Persönliches gegen Fireball gehabt. Im Gegenteil, als der Rennfahrer ihn eingeschult hatte, hatten sie sich bei manchen waghalsigen Manövern köstlich auf Kosten der anderen amüsiert. Vor einigen Monaten war die Stimmung zwischen den beiden allerdings gekippt und mehr als ein paar eisige Floskeln brachten sie einander nicht mehr entgegen. Und dann diese offene Boshaftigkeit während des Kampfes, die ganz sicher gegen Fireball gerichtet gewesen war. Colts Augen verengten sich, da sah er doch schon die nächste Verschwörung am Horizont aufgehen!

Saber hatte schnell bemerkt, was sich an Bord gleich anbahnen würde. Deswegen ergriff er die Initiative und schlug unverbindlich vor: „Hört mal, Leute. Lasst uns nach Yuma zurückfliegen. Ich hab da vorhin was von Mittagessen vernommen.“

April nickte und wandte sich bereits ab, glücklich über den Umstand, Colt nicht weiter Rede und Antwort stehen zu müssen. Auch Colt nickte knapp, ehe er sich in seine Satteleinheit setzte. Und Alex stimmte seinem Boss zu: „Jo, Essen klingt fantastisch. Vor allem dann, wenn ich es nicht kochen muss.“
 

Endlich stand Fireball bei Martin am Tisch. Der Japaner war gleich nach der Landung zu Commander Eagle ins Büro marschiert. Zu allererst hatte er einen knappen Bericht zum Angriff der Outrider abgeben, zum anderen hatte er gleich vorbauen wollen, was womöglich von der Verkehrsabteilung der Polizei in Yuma auf ihn zukommen konnte. Er hatte Charles lang und breit erklären müssen, wo er gewesen war, wenn er doch als anwesend im System aufgeschienen war. Und darum musste Fireball nun auch mit Martin reden. Er plumpste neben dem Brasilianer auf einen freien Stuhl und murmelte: „Wenn dich jemand fragt, deine Mutter hatte einen Schwächeanfall.“

Mit einem fragenden Gesichtsausdruck sah Martin von seinem Teller hoch. Er rümpfte die Nase und da er den Mund noch mit Essen voll hatte, musste dem jungen Captain der Blick genügen. Er verstand nicht, in welchem Zusammenhang das gerade stand.

Fireball öffnete die Flasche mit Orangensaft. Während er das Getränk in sein Glas goss, erklärte er Martin verschwörerisch: „Ich komm grad vom Commander. Auf unserer Fahrt hierher hab ich wohl drei bis vier rote Ampeln und permanent die Geschwindigkeitsbeschränkung missachtet. Die Polizeieskorte, die kurz nach uns hier eintraf, hat ihm ein nettes Video präsentiert. Eagle hat die Strafe beglichen, weil es sich um einen Einsatz gehandelt hat, aber er wollte von mir wissen, wieso wir das Gelände überhaupt verlassen hatten, wenn wir beide Dienst gehabt hätten. Deshalb hatte deine Mum einen Schwächeanfall und wir sind schnell zu ihr gefahren.“

„Meine Mama freut sich immer, wenn sie uns helfen kann“, mit einem Augenzwinkern antwortete der brasilianische Pilot. Er war heilfroh, dass er von der Fahrt nicht alles mitbekommen hatte. Er wäre garantiert vor Angst gestorben. Martin hatte so schon die Hosen gestrichen voll gehabt.

Aufmerksam sah sich Martin dann in der Offiziersmesse um. Die Crew saß auf alle Tische verteilt und genoss zusammen mit anderen ihre Mahlzeit. Niemand schenkte den beiden Aufmerksamkeit, weshalb Martin die Gelegenheit nützte. In der Küche vorhin hatte sie der Alarm unterbrochen, seinem Kumpel war es nicht gut gegangen. Während des Angriffes hatte man zwar nichts von dem Kummer bemerkt, nun aber konnte Martin beobachten, wie Fireball appetitlos in seinem Essen rumstocherte.

Als er Martins Blicke auf sich ruhen spürte, legte Fireball sein Besteck endgültig zur Seite. Er erklärte Martin: „Hab heute irgendwie keinen guten Tag, Marty.“

„Was du nicht sagst, Babyboy“, Martin zog die Lippen zusammen. „Vielleicht baut dich dann das hier etwas auf. Deine Crew hatte nach der Landung nur lobende Worte für dich. Du hast sie gut geführt, eine klare Strategie vorgegeben und den Überblick behalten. Das hätte Mandarin nicht besser machen können.“

„Genau!“, Colt stellte sein Tablett schnell auf dem Tisch ab und wuschelte dem Japaner durch die ohnehin schon durch den Helm in Mitleidenschaft gezogene Frisur. Gewohnt lässig ließ er sich vernehmen: „Färb dir doch mal die Haare so schön orangerot wie Mandy sie hatte. Steht dir sicherlich auch gut, Turbofreak.“

Fireball zog schnell den Kopf zwischen die Schultern und rollte empfindlich getroffen die Augen. Als er bemerkte, wie sich auch Saber, April und Alex zu ihnen an den Tisch setzten, guckte er entmutigt zu Martin hinüber. Er begrüßte seine Freunde: „Hi, Leute!“, nun zog er Colts Hand von seinem Kopf weg: „Lass das! Ich färbe mir bestimmt nicht die Haare.“

Saber rutschte seinen Stuhl noch zurecht, ehe er für Fireballs ersten Akuteinsatz Worte fand: „Du hast deine Crew gut im Griff. Kaum zu glauben, dass sie sich anfangs quer gestellt haben.“

Nein, das war nun nicht das gewesen, was Fireball hatte hören wollen. Auch wenn Saber es höflich wie immer formuliert hatte, Fakt war, dass er nach den ersten zwei Monaten beinahe seinen Job los gewesen wäre. April und Colt guckten den Japaner fragend an, Alex und Martin wussten schließlich, wie’s hier vor nicht allzu langer Zeit abgegangen war. Aprils Blick machte den jungen Piloten noch trauriger. Er schob seinen Stuhl zurück: „Ein Wolfsrudel klärt eben anfangs die Rangordnung ab, Saber.“ Zu allem Überfluss ergriff er nun auch noch die Flucht: „Ich muss auch leider schon wieder los, Freunde. Ich muss gucken, wie viel Schaden die Outrider angerichtet haben.“

Mit einem unbehaglichen Schlucken und trockener Kehle blieb Martin bei Ramrods Crew sitzen. Verdammt! Wieder hatten sie nicht in Ruhe besprechen können, wie weit es tatsächlich fehlte. Martin formte ein hilfloses Lächeln, ehe er weiteressen wollte.

„Was hat er denn?“, Colt deutete auf den noch vollen Teller des Japaners. Oh ja, wenn das so weiterging, packte er tatsächlich den Fährtenleser aus. Und das auch noch schneller, als ihm lieb war. April war traurig und sein kleiner Bruder packte die Schweigsamkeit aus. Dem Scharfschützen war vollkommen klar, dass Fireball gerade nur die Flucht angetreten hatte. Was zum Geier war da nur faul?!

Martin steckte sich schnell eine Gabel voll Essen in den Mund um ja nicht antworten zu müssen. Während April versuchte, tapfer zu lächeln, stachen Alessandros Blicke in den Rücken des Captains, der gerade auf dem Weg zurück ins Büro war und bei Colt begannen auch schon einige Fragezeichen über der Stirn zu schweben.

Saber hatte schnell gemerkt, dass er offenbar einen Fettnapf erster Güte erwischt hatte. Dabei hatte er doch eigentlich ein Lob aussprechen wollen. Er riskierte einen Seitenblick zu Martin, ehe er in einem Zug sein Glas leerte und ebenfalls aufstand. Seinen Freunden verkündete er gekonnt galant, wie immer: „Ich gebe es nur ungern zu, aber ich werde mich auch an die Arbeit machen müssen. Es war einiges los und Commander Eagle wird von mir sicherlich auch am liebsten gestern schon einen Bericht haben wollen. Ihr entschuldigt mich also ebenfalls bitte?“

Kaum war nun auch Saber weg, entbrannte eine heftige Diskussion zwischen den Zurückgebliebenen.
 

Der Schotte schritt aufmerksam durch den Hangar der Air Strike Base 1. Er hatte ohnehin gesehen, wohin Fireball verschwunden war. Also ging er mit wachsamen Augen durch die Gleiterreihen. Hie und da tat sich eine Lücke auf, manche der Jets hatten sofort zur Reparatur gebracht werden müssen. Saber spürte die abgesonderte Hitze der Turbos ganz deutlich in der Halle. Wie Fireball schon angekündigt hatte, war es bereits Mittag und da war der Hangar wie ausgestorben. Saber hörte seine eigenen klackenden Schritte. Unheimlich kam es dem Schotten vor. Also entschied er sich, langsam den Weg nach oben einzuschlagen. Wer wusste schon, wann sie wieder ausrücken mussten. Für ein Gespräch in Ruhe hatten sie ohnehin nie genügend Zeit. Saber sah noch einmal an seinem Kampfanzug hinunter. Sein Säbel hing wie immer an seiner rechten Hüfte, der Helm war auf Ramrod zurückgeblieben. Wohlfühlklamotten sahen seiner Meinung nach anders aus, allerdings war der Kampfanzug schon etwas wie eine zweite Haut geworden. Er war zweckmäßig, dennoch halbwegs angenehm zu tragen. Aber er blieb, was er war. Eine moderne Rüstung.

Der Recke sammelte seine Gedanken wieder ein, die ihm auf dem Weg nach oben so entglitten waren. Vor der Bürotür hielt Saber kurz an. Er entschied sich dieses Mal gegen seinen Anstand und öffnete ohne anzuklopfen die Tür. Saber tat das heimlich und so leise wie möglich, denn er wollte wissen, welchen Gesichtsausdruck sein junger Freund zeigte, wenn er sich unbeobachtet glaubte.

Saber öffnete also die Tür gerade so weit, dass er den Rennfahrer gut sehen konnte. Im Gegensatz zu Fireball formte sich ein warmes Lächeln auf Sabers Lippen. Er ähnelte seinem Vater sehr. Der Recke wusste es, denn als sie in der Vergangenheit festgesteckt hatten und zu allem Überfluss auch noch Fireball zu existieren aufgehört hatte, war Saber ein paar Mal bei Shinji im Büro gewesen um sich mit ihm zu unterhalten.

Aber das war Schnee von gestern. Sabers Lächeln verschwand allmählich wieder, denn entgegen seiner Behauptung von vorhin, arbeitete Fireball nichts auf. Der Japaner saß auf dem Stuhl, die Ellbogen auf der Tischplatte aufgestützt und den Kopf in den Händen versteckt. Immer wieder raufte er sich von einem tiefen Seufzen begleitet die Haare. Saber beobachtete, wie sich die Finger des Wuschelkopfs immer kraftvoller in selbigen vergruben.

„Belastet dich etwas?“, nach einem höflichen Räuspern und der einfühlsamen Frage trat Saber in den Raum. Hinter sich lehnte er die Tür an. Wieder glitt sein Blick über den jungen Captain. Was er sah, gefiel ihm gar nicht.

Fireball sah vom Tisch auf, seine Hände sanken auf die Platte hinab. Wieder seufzte er, schüttelte jedoch gleichzeitig den Kopf. Saber hatte ihn im falschen Moment aufgesucht. Er konnte den guten Freund nicht länger ansehen. Deswegen war Fireball vorhin auch so schnell verschwunden, er hatte keinem seiner Freunde länger in die Augen schauen können. Der Pilot fühlte sich unendlich schlecht, weil er seinen Freunden niemals etwas von April und ihm erzählt hatte.

Saber ließ sich in einem Stuhl vor dem Tisch des Captains nieder. Er konnte förmlich fühlen, wie sein ehemaliger Schützling unter dem Druck beinahe zerbrach. Der Schotte nahm sein Schwert ab, lehnte es an den Stuhl daneben, ehe er die Unterarme auf die Tischplatte legte. Er wollte vertraulich wissen: „Was fehlt dir, mein Freund? Dein erster Einsatz mit deinen Bruchpiloten war ein voller Erfolg. Deine Crew hat sich gut benommen, und du hast in keiner Sekunde versagt. Ich hab das Gefühl, du wärst nach den ersten Monaten hier angekommen. Denn glaub mir, Fireball, was ich heute im Kampf von dir gesehen habe, das hat für mich nur eines bedeutet. Du warst in deinem Element, eins mit der Maschine. Kaum aber hast du wieder festen Boden unter deinen Füßen, bist du wieder ein ganz anderer Mensch. Also sag mir bitte, was dich belastet. Wir sind Freunde, auch wenn wir uns oft lange nicht sehen. Freunde sind immer füreinander da.“

„Das weiß ich, Richard“, Fireball nickte langsam. Er wusste tatsächlich, dass seine Freunde immer für ihn da waren. Aber hatte er nicht Hochverrat an ihnen begangen? Entmutigt sank Fireball nach hinten in seinen Stuhl und seufzte wieder. Er begann mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln. Sollte er sein Gewissen nicht endlich erleichtern? Immerhin war nun alles vorbei, mit April hatte er sich schon verscherzt und wenn zumindest Saber davon wusste, konnte er April trösten. Fireball wollte nicht länger mit ansehen, wie er sie verletzte und niemand sie trösten konnte. Er nahm all seinen Mut zusammen, denn Fireball wusste, dass er sich damit auch noch mehr Ärger einhandeln konnte: „Ich hab Mist gebaut.“

Es bahnte sich wieder einmal eines dieser Gespräche an, das Fireball unter Ausschluss der Öffentlichkeit führte. Saber hatte das im Laufe der Zeit auf Ramrod nur ein paar Mal erlebt, mit seiner fixen Stationierung in Yuma war es nicht wieder vorgekommen. Zwar hatte Fireball immer regelmäßig auf Ramrod angerufen und manches Mal hatte Saber schon das Gefühl gehabt, sein junger Freund wollte mit ihm etwas besprechen, doch er hatte sich nie getraut. Brannte Fireball wirklich etwas auf der Seele, so wollte er es persönlich besprechen. Saber nickte ebenfalls leicht: „Was ist passiert?“
 

Ewig hatte Martin seine Taktik nicht beibehalten können, immerhin war sein Teller irgendwann leergegessen und sein Glas leergetrunken. Und dann waren schnell die Fragen von Colt und auch von Alessandro auf ihn zugeschossen. Während sein ehemaliger Kollege lediglich wissen wollte, ob das nichtsnützige Großmaul wirklich mal was arbeiten würde, waren Colts Fragen in eine ganz andere Richtung geglitten. Als Alessandro dem Scharfschützen wieder einmal das Wort abschnitt, langte es Colt. Er stand auf und verpasste im Vorbeigehen seinem neuen Kameraden einen Tritt gegen’s Schienbein: „Halt einfach mal den Rand! Dich hat keiner gefragt. Nachdem sich Martin lieber hundert Kilo auf die Rippen futtern würde, als mir zu antworten, geh ich jetzt den Betreffenden selber fragen!“, seine Augen funkelten auf April hinab: „Und nein, Prinzessin, damit bist mal ausnahmsweise nicht du gemeint. Obwohl ich davon ausgehe, dass die ganze Show hier auch was mit dir zu tun hat.“

Nun sprang April ebenfalls auf. Bisher hatte sie zu allem geschwiegen, hatte die beiden spekulieren lassen, aber nun war Colt auf sie losgegangen. Tränen stiegen in ihre Augen, sie hatte keinen guten Tag und Colts Worte hatten sie hart getroffen. Sie hatten sie aber auch daran erinnert, wer hier wem den Laufpass gegeben hatte. Genervt und auch von der Situation überfordert stapfte sie an Colt und den anderen vorbei: „Glaub mir. Seit heute Vormittag bin ich bestimmt nicht mehr der Grund für den Zirkus hier.“

„Ist mir egal, wer hier für was oder auch nicht verantwortlich ist! Ich wäre schon dankbar, wenn ich mal wissen würde, was hier überhaupt los ist. Und das werde ich unseren Krümel jetzt auch fragen gehen“, entschlossen trat der Cowboy den Weg an.

Durch die beiden Star Sheriffs waren auch einige Crewmitglieder der Air Strike Base auf die Unterhaltung aufmerksam geworden. Stan und Oliver kamen zu Alessandro und Martin an den Tisch. Der Schwede klemmte seine Sonnenbrille in den T-Shirt-Ausschnitt und Oliver verschränkte abwartend die Hände vor der Brust. Er wollte Antworten: „Was ist denn hier eigentlich los?“

Martin wollte gerade antworten, doch Alessandro stieß den Zeigefinger gegen dessen Brust: „Das kann ich dir sagen, Oli! Euer kleiner Captain ist ein gewaltiger Armleuchter.“

Nun hielt Martin Alessandros Hand fest, mit der er eben noch auf ihn gezeigt hatte. Harsch knurrte er ihn an: „Das kannst du nicht beurteilen. Wir beide kennen jeweils nur einen Teil der Geschichte. Allerdings habe ich mir im Gegensatz zu dir die Mühe gemacht, auch die zweite Version zu hören. Und ich kann dir sagen: Gefühle sind stärker als der Verstand“, nun blickte er auch zu seinen beiden Kollegen: „Wenn ihr wissen wollt, was los ist, dann müsst ihr hinter dem Hutträger her. Aber mischt euch nicht ein. Und versprecht mir, dass ihr niemanden verurteilt. Denn sonst seid ihr keinen Deut besser, als unser lieber Alex.“

Stan grinste. Er hatte schon die ganze Zeit seine Lauscherchen auf vollem Empfang stehen gehabt und er hatte dabei auch die hübsche Navigatorin im Auge behalten. Er schnalzte mit der Zunge und bedeutete seinen Kompagnons: „Ich glaub, ich höre mir lieber aus erster Hand an, wieso sich die Ramrodcrew mit unserem Captain ein kleines Scharmützel liefert. Ihr könnt gerne mitgehen, wenn ihr genauso neugierig seid wie ich.“

Mit diesen Worten bildete eine Karawane zum Büro des Captains. Colt ging mit einigem Abstand voraus, dahinter folgte eine kleine Gruppe bestehend aus Stan, Oliver, Martin und Alessandro. Bis auf Martin wollten alle wissen, was gerade schief ging. Der Brasilianer wollte eigentlich nur das Sicherheitspolster für den Captain sein. Niemand würde gerne so einer Meute Rede und Antwort stehen ohne zumindest jemanden in seiner Nähe zu wissen, der ihn unterstützen würde. Vor der angelehnten Bürotür kam die Gruppe zu stehen. Ohne es gesondert einfordern zu müssen, bekamen sie nun Antworten auf alle ihre Fragen, denn sie konnten das Gespräch zwischen Saber und Fireball belauschen.

Colt stieß Alex noch einmal in die Rippen, warf ihm einen drohenden Blick zu und forderte ihn so unausgesprochen auf, den Mund zu halten und zuzuhören. Die Männer drückten sich leise und so nah wie möglich an die Tür, jeder wollte hören können, was dort besprochen wurde. Allem Anschein nach kamen sie gerade zur rechten Zeit. Niemandem kam der Gedanke, dass April in eine andere Richtung marschiert war.
 

„Solchen Mist hab ich noch nie zuvor im meinem Leben verzapft, Saber. Und hey, du kennst mich gut genug um zu wissen, was ich schon alles verbrochen habe“, Fireball versuchte, einen geeigneten Einstieg zu finden. Er wollte sich eher behutsam daran tasten, nicht um Saber zu schonen, viel mehr, weil er sich selbst nach wie vor nicht recht eingestehen wollte, was die letzten Monate gelaufen war. Fireball wartete Sabers verstehendes Lächeln ab, ehe es dann doch platt formuliert über seine Lippen fand: „April und ich werden uns eine Zeit lang nicht mehr sehen. Wir..“

Saber kam nicht umhin zu schmunzeln. Er blinzelte schnell den Schalk, den auch der Recke durchaus besaß, fort und unterbrach den Rennfahrer: „Tut mir leid, Fireball. Ich sehe zu vorher nicht viel Unterschied. April und du, ihr seht euch schon eine ganze Weile nicht mehr. Liegt es an deinem neuen Herzblatt?“

Verwirrt verzog Fireball daraufhin das Gesicht. Herzblatt? Neu? Er blickte zur Decke auf und dachte angestrengt darüber nach, wie Saber auf eine andere Frau kommen könnte. Fireball hatte ihm oder auch Colt doch nie so etwas in der Art erzählt. Weshalb hätte er das auch machen sollen, immerhin hatte er keine andere Frau in seinem Leben. Verzwickt kniff der Pilot die Lippen aufeinander, ehe er unschuldig fragte: „Welches Herzblatt?“

Saber richtete sich in seinem Stuhl auf. Entweder hatte er da etwas falsch verstanden oder aber Fireball war es peinlich, darüber zu reden. Er strich sich die Haare nach hinten, ehe er aufstand. Saber konnte nicht still sitzen, er verbrachte seiner Meinung nach schon genug Zeit auf Ramrod mit Sitzen, er war froh, wenn er ein paar Schritte aufstehen konnte. Während er vom Schreibtisch aufstand, ließ er Fireball allerdings nicht aus den Augen. Er fasste die Fakten für sich noch einmal laut zusammen: „Also, ich bemerke: Bei Aprils und deiner Freundschaft ist neuerdings der Wurm drinnen. Ihr seht euch kaum mehr und sprecht nicht miteinander. Du hast mir vor einigen Monaten mal erzählt, dass du ein Mädchen toll findest, das sich aber nicht für dich interessiert, weil du nie pünktlich aus dem Laden hier rauskommst. Da die beiden Tatsachen zeitlich in einem sehr engen Zeitfenster liegen, dachte ich, das eine hat mit dem anderen was zu tun. Vor allem, weil wir alle wissen, wie April manchmal auf Frauen in deiner Gegenwart reagiert.“

Dem Piloten entgleisten alle Gesichtszüge. Er wäre nie im Leben auf die Idee gekommen, dass aus seiner Notlüge damals eine solche Story wurde. Fireball fiel bei Sabers Worten beinahe vom Stuhl. Deswegen stand auch er auf und ging um den Schreibtisch herum. Oh Himmel, das machte es ihm nicht einfacher zu beichten, dass er die Beziehung mit April in den Sand gesetzt hatte! Mit einem verzwickten Gesichtsausdruck versuchte er Saber zu erklären: „Das andere Mädchen, Saber… Hör mal“, betrübt blickte er zu Boden, er konnte dem Schotten dabei nicht in die Augen sehen: „Das war auch April. Ich meine, es war immer April. Wir haben uns heimlich getroffen, hatten ein Verhältnis. Wir haben niemanden eingeweiht, weil wir keinen von euch in eine Zwickmühle bringen wollten. Aber es hat uns unsere Freundschaft gekostet. Im Endeffekt hat es uns alles gekostet. Saber, ich erzähle es dir, weil ich möchte, dass zumindest einer auf Ramrod April trösten kann. Es geht ihr verständlicherweise schlecht damit. Schon die ganze Zeit über…“

Seine Stimme war immer leiser geworden, einmal auszusprechen, wie es April ging, verdeutlichte Fireball erst, was er die letzten Monate nicht nur sich selbst angetan hatte.
 

Draußen war allen Beteiligten für einen Augenblick der Atem still gestanden. Danach jedoch hatten die Reaktionen nicht unterschiedlicher ausfallen können. Martin und auch Colt hatten alle Hände voll damit zu tun, Alessandro und Stan den Mund zu zu halten.

Oliver stand mit verschränkten Armen gegen die Wand gelehnt da und schüttelte in einer Tour den Kopf. So einen Bockmist konnte nur ein junger Mensch verzapfen. Wäre der Pimpf namens Captain auch nur ein wenig älter und reifer, dann hätte es gar nicht erst so weit kommen müssen. Oliver war klar, dass der kleine Asiate strikt zwischen Arbeit und Vergnügen getrennt hatte, deswegen kam der Kroate auch gar nicht erst auf den Gedanken, ihm deswegen böse zu sein. Aber auch so war es einfach nur Blödsinn, was Fireball da gemacht hatte. Gefühle hin oder her, so was konnte dem besten Piloten ab und an passieren und der kleine Dreikäsehoch hätte sich keinen Zacken aus dem Krönchen gebrochen, hätte er gleich was gesagt. Der Kroate brauchte kein Hellseher zu sein um zu wissen, dass nicht nur April Trost brauchen konnte. Oliver war vielleicht groß und schlaksig und wirkte nicht wie jemand, der auch mal auf sein Herz hörte, aber er war Manns genug um zu wissen, wann man richtig handeln sollte. Selbst er wusste, dass man in diesem einen Fall ganz besonders auf sein Herz hören sollte. Oliver stieß sich ab und lugte über die anderen ins Büro hinein. Kein Zweifel, seine Vermutung bestätigte sich. Oli nickte den Jungs wohl wissend zu und zog dann einfach Stan mit sich. Der blonde Schwede konnte seine Emotionen gerade schlecht im Zaum halten und wenn er schon unanständig laut werden musste, dann doch bitte im Pausenraum im Hangar unten.

Tatsächlich wollte Stan schon lospoltern, hätte Colt ihm nicht einfach den Mund zugehalten. Der Schwede musste seiner Fassungslosigkeit ein Ventil verschaffen. Fassungslos war Stanley deswegen, weil er einfach nicht geglaubt hätte, dass der kleine Frechdachs ein Nümmerchen mit der heißesten Blondine des Oberkommandos schob und niemanden etwas davon wissen ließ. Zum einen das und zum anderen natürlich auch, weil er eigentlich auch sowas wie Stolz empfand. Immerhin hatte seine Mannschaft von Anfang an versucht, ihn aus der Base zu ekeln, und Fireball hatte sich trotz der ersten Schwierigkeiten dafür entschieden, um jeden Preis in der Base bleiben zu können. Stanley mochte zwar vorlaut und ungehobelt sein, aber er war nicht blöd. Immerhin hatte er sich die Regeln schon das ein oder andere Mal anhören müssen, einige Passagen blieben da zwangsläufig im Kopf hängen. Mit aufgerissenen Augen wurde Stan von Oliver nach unten gezogen.

Alessandro konnte noch vom Glück im Unglück sprechen, dass Martin ihm den Mund verboten hatte, sonst hätte ihm nämlich Colt sein Sprachrohr zugehalten und bei der Liebe, die die beiden Arbeitskollegen von Ramrod gerade füreinander empfanden, hätte es passieren können, dass Alex nicht nur der Mund sondern auch die Nase verschlossen wurde. Der Italiener funkelte durch den Türspalt ins Büro hinein. Kein Wort glaubte er dem Wuschelkopf im roten Kampfanzug! Alles, was der gerade bei Saber betrieb, nannte sich vorsorgliche Schadensbegrenzung. Alex hatte April in den letzten Monaten so oft weinen gesehen, sie beinahe jedes Mal wieder trösten müssen, wenn sie von Yuma aus zu neuen Abenteuern gestartet waren. Niemals hatte sie ihm erzählt, dass sich Fireball mal bei ihr gemeldet hätte, mit ihr hatte sprechen wollen. In Alex Augen hatte sich Fireball dann lieber wieder der Hasenjagd zugewandt. Als er verächtlich schnaubte, stupste Martin den Italiener leicht an und bedeutete ihm, wieder runter zu kommen.

Martin kannte die Geschichte und deren Ausgang bereits. Und allem Anschein nach war er der einzige, das hatte er an der Reaktion seiner Kollegen und der von Fireballs und Aprils Freunden deutlich erkennen können. Martin war eigentlich ganz froh, dass er nun kein Staatsgeheimnis mehr hüten musste, allerdings war er sich noch nicht im Klaren darüber, welche Konsequenzen in absehbarer Zeit auf sie zurollen würden. Der Brasilianer bezweifelte zwar, dass es Fireball nach seiner Beichte besser gehen würde, aber immerhin konnte der Wirbelwind nun auch Colt mal abends anrufen und mit ihm plaudern. Apropos Colt. Martin warf einen Blick auf den Scharfschützen Ramrods.

Besagter Scharfschütze ließ seine Hand sinken, als Stan und Oliver vorerst die Kurve machten. Seine Schultern sanken merklich nach unten und die linke Hand ballte sich zur Faust. Er hatte es geahnt. Eigentlich hatte er es gewusst, aber er Hornochse hatte den Dingen einfach ihren Lauf nehmen lassen! Colts Augen funkelten, er hatte doch immer gewusst, dass Fireball und April den Schubs in die richtige Richtung brauchten, und er war nicht da gewesen, um ihnen den zu geben. Nein, er hatte keine Zeit dafür gehabt, um ein Auge auf seinen kleinen Bruder zu werfen, weil er zu Frau und Kind nachhause hatte müssen. Colt ärgerte sich maßlos. Und zwar über sich selbst. Es war zwar völliger Schwachsinn, dennoch hatte er das Gefühl, es wäre seine Schuld, dass das zwischen seinem besten Freund und seiner Freundin gehörig in die Hose gegangen war. Er hätte Aprils Anspielungen an Bord von Ramrod besser verstehen müssen, er hätte manchmal alleine mit Fireball auf ein Bier gehen sollen, aber das hatte er nicht. Und jetzt hatten sie den Salat. Wie sollten sie denn alle Freunde bleiben, wenn April und der Rennfahrer sich nicht mehr sehen wollten? Colt schluckte schwer. Wäre ihr kleiner Buggyfahrer doch nie versetzt worden! Sie hatten es schwer genug auf dieser bescheuerten Reise gehabt, sie hätten keine Versetzung mehr gebraucht. Colt sah sich in all seinen Befürchtungen, die er anfangs bei Fireballs Versetzung gehegt hatte, bestätigt.
 

Saber blinzelte zur Tür hinüber, er hatte das eigenartige Gefühl gehabt, jemand würde sie anstarren. Aber er konnte niemanden ausmachen, er musste es sich eingebildet haben. Also wandte er sich wieder der armseligen Gestalt von Rennfahrer zu, die da gerade mit hängendem Kopf neben ihm stand. Saber ließ sich Fireballs Worte sehr genau durch den Kopf gehen, ehe er sich ein Urteil bildete. Aber mit den wenigen Sätzen konnte er das gar nicht.

Völlig wertfrei holte Saber noch einige Informationen bei seinem jüngeren Kollegen und Freund ein. Der Schotte hatte seit der letzten Mission eigentlich einen ziemlich guten Draht zu Fireball, sie waren noch an Bord mehr Vertraute als Kollegen gewesen. Zumindest hatte Saber das gedacht. Aber er hatte auch gewusst, noch von ihrem letzten gemeinsamen Urlaub in Japan, der Saber seltsamerweise extrem gut im Vergleich zu anderen Erinnerungen der unveränderten Vergangenheit im Gedächtnis geblieben war, dass Fireball über Familien- und Herzensangelegenheiten nicht sprach.

Als Saber ziemlich alle Details erfahren hatte, die ihm für ein Urteil als wichtig erschienen, wollte er nur noch wissen: „Shinji?“

Seine dunklen Augen spähten zu Saber hinüber: „Hm?“

„Eine Frage noch. Und bitte eine ehrliche Antwort“, obwohl er nicht ernsthaft selbst glaubte, dass Fireball unehrlich war, so hatte Saber den Zusatz dennoch angebracht. Eine Weile schwieg Saber, er suchte nach einer guten und treffenden Formulierung: „Hast du sie eigentlich gern?“

„Wie meinst du das ‚gern‘?“, Fireballs Augenbrauen schossen fragend in die Höhe.

„Wenn du mit ja oder nein nicht antworten kannst, dann versuch mir zu erklären, wie gern du April hast“, forderte Saber den ratlosen Freund auf, verkniff sich dabei jedoch sein kleines Schmunzeln. Fireballs Glänzen in seinen Augen und die roten Ohren, die zwischen der zerzausten Frisur hervorlugten, hatten Saber bereits die Antwort gegeben.

Fireball biss sich indes auf die Unterlippe und überlegte. Er wandte den Blick von Saber ab und ging zum Fenster. Seine Stirn legte er an die kalte Fensterscheibe während seine Augen auf das Gelände unter ihm sahen. Leise seufzte er und schloss die Augen. Er brauchte nur die Augen zu schließen, dann sah er die frechen blauen Augen vor sich, die Lippen, die ihn immerzu neckten und die Hände, deren Berührungen ihn niemals kalt gelassen hatten. Er sah Aprils Antlitz vor sich, wie sie ihn Turbofreak nannte, und er sah auch ihr Gesicht vor sich, wie er es gesehen hatte, nachdem seine Seele auf Wanderung gewesen war.

„Ich hab sie so gern, dass ich nicht aufhören kann, an sie zu denken, wenn sie mit Ramrod unterwegs ist. So gern, dass ich sie am liebsten nicht mehr gehen lassen möchte, wenn sie wieder kommt. Ich möchte sie bei mir wissen, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute meines Lebens. So wie auf Ramrod. Ich möchte mich nicht mit ihr verstecken müssen, nur weil es verboten ist und wir beide unseren Job verlieren würden, wenn es jemand rausfindet. Jedes Mal wieder zu sehen, wie ich ihr damit das Herz breche, zermürbt mich. Ich will sie nicht gehen lassen, auch wenn ich sie heute frei gelassen habe. Nur mit ihr bin ich ein Ganzes.“

Wellen

Kurz vor Weihnachten kommt auch von mir noch mal ein kleines Christkind. Ich verrate nur so viel: Der Grundstein für etwas Neues wird gelegt :), lasst euch überraschen!
 

„Du hast verdammtes Glück, dass ich keinen Superkleber zur Hand habe!“, Oliver ließ endlich Stans Hand los, als sie im Hangar unten angekommen waren. Bis hier her hatte immer die Gefahr bestanden, dass der blonde Schwede auf der Treppe Kehrt machte und wieder nach oben lief. Oli mochte Stan, keine Frage, aber in manchen Situationen war der einfach nur vorlaut. Und vorlaut war das Letzte, was sie da oben noch gebrauchen hätten können. Oli hatte ganz deutlich erkennen können, dass zumindest ihr Alessandro kurz davor stand, durch die Decke zu springen, da hätten Kommentare von Stan maximal noch zu Blutvergießen geführt.

Stan machte keinerlei Anstalten, wieder nach oben zu tigern. Er hatte auch so genug gesehen. Stattdessen trat er auf die offenen Hangartore zu und grinste. Lässig setzte er sich seine Sonnenbrille auf, als er nach draußen ging, sich sehr wohl bewusst darüber, dass Oliver ihn keine Sekunde aus den Augen lassen würde. Stanley steckte die Hände in die Hosentaschen, als ihn die noch nicht gut wärmende Sonne empfing. Er selbst hatte die Ruhe wieder gefunden. War eigentlich alles halb so wild, wie es zunächst ausgesehen hatte. Jeder verguckte sich mal in den verbotenen Apfel aus dem Garten Eden, wieso sollte der junge Captain da eine Ausnahme sein? Immerhin stand für Stan fest, dass er höchstwahrscheinlich auch irgendwann mal versucht hätte, April um den Finger zu wickeln. Er grinste, garantiert sogar! Stan drehte sich plötzlich zu Oliver um und lachte: „Legt der doch glatt die Tochter vom Chef flach!“

Postwendend bekam Stan allerdings von Oliver eins auf die Zwölf serviert. Oli zog zwar nicht durch, aber der Schlag auf den Hinterkopf sollte Stan zumindest eine Warnung sein, ehe er ihn anzischte: „Bist du übergeschnappt? Schrei’s vielleicht noch ein bisschen lauter durch die Gegend!“

„Ja, tschuldigung!“, Stans Entschuldigung war mehr als nur halbherzig. Er packte stattdessen lieber seinen Kumpel am Arm und drehte den Spieß kurzerhand um. Nun zog der kleinere Schwede am großen Hünen. Beiläufig erklärte er ihm, weshalb er es auf einmal so eilig hatte: „Komm mit, Großer. Wir suchen mal Babygirl, die hat doch vorhin die Flucht ergriffen.“

„Wen?“, Oliver verstand Stan gerade überhaupt nicht. Wen meinte er denn mit ‚Babygirl‘? Zum Glück für Stanley stellte sich Oliver allerdings nicht quer, ansonsten wäre der Blondschopf nicht übertrieben weit mit ihm an der Hand gekommen.

Besagter Pilot schüttelte ungläubig den Kopf, ehe er sich von seinem guten Riecher leiten ließ und Oliver erklärte, dass Babygirl natürlich nur die Freundin von ihrem Babyboy sein konnte. War doch logisch! Stan hatte es deswegen so eilig die junge Dame aufzutreiben, weil die eventuell die Hälfte von dem nicht wusste, was im Augenblick wirklich um sie herum los war. Auch der Schwede hatte das Telefonat vor einigen Monaten mit ihr nicht vergessen. Hatte er sich damals noch gewundert, weshalb die hübsche Navigatorin so feindselig auf den Anruf reagiert hatte, so wusste er zumindest jetzt einigermaßen sicher, dass der Haussegen nur deswegen schief hing, weil der Herr von und zu Captain die Base von Ramrod getrennt hatte. Und zwar in jeder Hinsicht. Stan wusste noch, dass April bis zum damaligen Zeitpunkt nicht mal erahnt hatte, welche Aufgaben der Japaner in der Base zu erledigen hatte.

Stans guter Riecher und Olivers gute Augen führten die beiden Piloten nur an einen Ort. Ramrod. Nachdem das gute Stück auf dem Gelände des Oberkommandos parkte, war er weder versperrt noch geschlossen. Ramrod stand bildlich gesprochen mit heruntergelassenen Hosen auf dem Gelände vor den Bases. Vor der offenen Rampe blieben die beiden Männer stehen und sahen sich prüfend an. Beide checkten, ob der jeweils andere ebenfalls bereit war, in die geheiligten Hallen zu treten. Stan nickte kaum merklich und setzte sich als erster wieder in Bewegung. Während sie hinauf gingen, nahm er die Sonnenbrille wieder ab und steckte sie wie immer in den Ausschnitt seines Hemdes. Oliver hingegen wischte seine Hände unnötiger weise an den Hosenbeinen ab, aus irgendeinem Grund wollte er Ramrod möglichst sauber betreten. Sie landeten im Hangar, wo die vier Gefährte parkten. Über Olivers Lippen huschte ein kleines Lächeln, als sein Blick auf den Rennboliden fiel. Den hätte er auch ohne rot-weiße Lackierung Fireball zuordnen können. Danach erkundete er die Gänge, er wusste nämlich nicht genau, wo es lang ging. Eben so wenig kannte sich Stanley hier drinnen aus. Aber der Schwede folgte immer noch seinem Instinkt und zugegeben, auch seiner vergleichsweise feinen Nase. Er ging einfach dorthin, wo seiner Meinung nach das Parfum der Blondine noch am intensivsten in der Luft hing. Er verstand mit jedem Atemzug mehr, dass man da als hormongesteuerter Jugendlicher schon mal schwach werden konnte. Da tat sich er als gestandener Mann sogar fast schwer, seine Gedanken über der Gürtellinie zu behalten!

„Wenn ihr euren Captain sucht, dann seid ihr hier falsch, Jungs“, April stand plötzlich im Flur und stemmte die Arme in die Hüften. Sie hatte gar keine Lust, auch nur irgendjemanden zu sehen, der dieses verdammte Logo der Air Strike Base 1 auf seinen Klamotten trug. Die Piloten dort waren ohnedies alle nur Heuchler!

April war von ihrem spärlichen Essen direkt zu Ramrod geflüchtet. Colts Worte hatten sie hart getroffen und sie hatte erst einmal eine Weile alleine sein wollen. Mittlerweile hatte sie sich ihres Kampfanzuges schon entledigt und einen Kaffee im Gemeinschaftsraum gemacht. Als sie gehört hatte, dass jemand die Rampe herauf kam, hatte sie ihren Anblick im Spiegel noch schnell kontrolliert, ehe sie dem Besuch gegenüber getreten war. Matt und traurig wirkte sie immer noch, aber zumindest sah sie nicht verweint aus.

Oliver blieb sofort stehen, aber Stan kam noch einige Schritte näher. Nachdem der Kroate eher der Ruhepol war, übernahm Stan das Sprechen. Er schmunzelte April entgegen: „Unser Captain wird gerade von eurem in die Mangel genommen, Babygirl!“

Ja, Stan hatte für April bereits einen Kosenamen gefunden. Er hoffte eigentlich nur noch, dass April den auch behalten konnte. Würden April und sein Boss in Zukunft getrennte Wege gehen, wäre Babygirl nicht mehr angebracht. Und deswegen war Stan schließlich mit Oli hier aufgetaucht: „Ich finde, du solltest dir die Show reinziehen. Ist bisher sehr informativ.“

„Was ist?“, April runzelte die Stirn und verstand kein Wort. Aber das hatte sie bei Fireball in den letzten Monaten seit seiner Versetzung ja auch nicht mehr. Das blonde Mädchen im roten Catsuit biss sich auf die Lippen und verschränkte nun die Arme vor der Brust. Sie lehnte sich gegen die Wand am Gang und ließ den Kopf hängen.

Olivers tiefe Stimme mit seinem kroatischen Akzent ließ sie wieder aufsehen: „Was die kleine Nachtigall da grad zu zwitschern versucht ist nichts anderes als: Wir haben grad erfahren, dass du und unser Babyboy…“

Während Oliver nach vorsichtigen Worten suchte, unterbrach Stan ihn kurzerhand: „gemeinsam durch die Betten turnt. Scheiße ist, dass er uns das nicht gesagt hat, Klasse allerdings hat er grade bei deinem Boss bewiesen, wie er dem das erzählt hat.“

April riss die Augen entsetzt auf und biss sich auf die Unterlippe. Augenblicklich war sie im gesamten Körper steif geworden. Wie ein Schulmädchen spürte sie die Hitze in sich aufsteigen, bei Stans ungehobelter Art verlor sie ihre Sprache und bekam zu allem Überfluss rote Backen. Am liebsten hätte sie sich jetzt in einem Erdloch verkrochen und dort darauf gewartet, dass sich der Aufruhr um ihre Person wieder legte. Schnippisch fuhr sie die beiden Männer nach einer gefühlten Ewigkeit an: „Toll! Stapft er grad durchs ganze Oberkommando und erzählt von seiner Eroberung?!“

„Nein, tut er nicht“, Oliver drückte sich an Stan vorbei und warf dem einen bitterbösen Blick zu. So ein unsensibler Vollkoffer! Der Kroate atmete tief durch und erklärte noch einmal: „Major Rider und er sind im Büro oben und besprechen sich gerade. Alex, Marty und Colt stehen noch vor dem Büro, so wie wir beiden bis eben auch noch.“

Die Blondine verstand überhaupt nicht, was der Kroate ihr zu sagen versuchte. Genervt, aber immer noch auch unheimlich verschämt, pustete sie ihre Haare aus der Stirn. April rollte die Augen, blickte zu Ramrods Decke und fragte sich unweigerlich, wie viel schlimmer dieser Tag noch werden konnte. Monatelang hatte sie still in sich hineinheulen müssen, weil Fireball und sie beschlossen hatten, ein Geheimnis daraus zu machen und jetzt schien er alles an die große Glocke zu hängen. Bestimmt rief gleich ihr Vater an und wollte sie enterben! April pustete den Atem stoßartig wieder aus, sie keuchte beinahe, ehe sie ein wenig ihrer Anspannung fallen ließ. Sie konnte nichts mehr ändern, also konnte sie nur noch die Pobacken zusammen kneifen und versuchen, das Beste daraus zu machen. Sie sah die beiden Piloten offen an und deutete auf die beiden: „Und ihr zwei Helden seid…?“

„Stan“, Oliver zeigte locker auf den blonden Schweden vor sich und danach auf sich selbst: „Und Oliver. Die offizielle Nummer drei und vier der Einser.“

April nickte: „Verstehe. Und bis zu welcher Nummer dürft ihr wissen, was euer Captain in der Freizeit macht?“

Sie wollte ausloten, welche Dimensionen ihre Liaison mit Fireball inzwischen angenommen hatte. Leugnen brauchte sie nichts, das hatte sie bereits gemerkt. Aber sie wollte sich auch nicht von zwei wildfremden Männern in die Karten schauen lassen. Die mussten doch ohnehin schon glauben, sie sei leicht zu haben. Bei dem Gedanken zog April die Stirn in Falten. Oh Gott, die würden alle glauben, sie wäre ein Wanderpokal! Unweigerlich begann sich die hübsche Blondine wieder zu schämen. Ihr Ruf war hinüber! Aber so was von.

Dieses Mal antwortete wieder Stan auf Aprils Fragen: „Also eigentlich keiner. Aber:“, er grinste das Mädchen mit einem Augenzwinkern an: „Ihr habt den kleinen Windhund in unsere Obhut gegeben und wir haben uns seiner angenommen, wie eine Familie. Martin und Alessa haben ihn aufgepäppelt und Oli und ich sorgen für die Freizeitbespaßung. Naja, zumindest, wenn Ramrod nicht im Lande ist.“

Oli schloss genervt die Augen. Am liebsten hätte er sich noch die Hand vor die Augen gehalten, aber das ließ er doch lieber bleiben. Stan war manchmal echt eine Pflaume erster Güte. Der Kroate sah zu April, dabei erklärte er ihr: „So ist das nicht. Wir sehen uns eher als Freunde von Shinji, auch wenn er nicht alles erzählt. Wir wissen, dass er Rubario vertraut und das reicht uns auch. Als wir aber gerade mitangehört haben, welchen Bock er da geschossen hat, konnten wir nicht mehr ruhig zuhören.“

Nun verdrehte wieder Stan die Augen. Meine Güte, Oliver würde nie auf den Punkt finden. Also tat der Schwede das nun: „Scheiß auf die Regeln, Babygirl. Wenn ihr euch gern habt und das auch ausleben wollt, dann tut das! Unser Wolfsbaby kriegt das sicherlich auch grad eingebläut. Ist doch lächerlich, wenn euch das Oberkommando den Spaß verdirbt. Ihr habt das nach seiner Versetzung ganz gut heimlich hingekriegt, und jetzt könnt ihr euch unserer Hilfe sicher sein. Wir schwärzen aus unserer Einheit bestimmt niemanden wegen einer Beziehung an, unseren eigenen Captain schon gleich zwei Mal nicht. Ich sag dir, Babygirl, komm mit uns mit, stellt euch euren Freunden und ihr könnt da weitermachen, wo ihr das letzte Mal aufgehört habt.“

‚Beim Streiten, wie schön!‘ Aprils Gedanken waren diesbezüglich gerade etwas eingetrübt, aber das letzte Mal als sie sich gesehen hatten, hatten sie es schließlich auch nicht auf die Reihe bekommen. Merklich seufzte April auf Stans letzte Worte hin. Sie öffnete schließlich die Arme und wollte noch wissen: „Und wieso sollte ich euch vertrauen? Ich kenn euch zwei gar nicht und auf euren Captain ist nebenbei bemerkt, auch kein Verlass.“

Stan schnalzte mit der Zunge: „Weil wir vertrauenswürdig sind, so einfach ist das, Babygirl!“

Für den blonden Schweden war das eine ganz klare Angelegenheit. Wem er sein Wort gab, das hielt er auch. Er würde bestimmt wegen so bescheuerter Regeln nicht den Mund aufmachen. War doch lächerlich, was die im Oberkommando manchmal von einem verlangten.

Der Kroate hielt es dagegen für angebracht, April zuzustimmen: „Stimmt, du kennst uns nicht. Aber wir sind loyal, in jedem Fall. Und was Babyboy betrifft, dem musst du die Hammelbeine lang ziehen.“

Beim letzten Satz hatte Oliver leicht gelächelt. Verlässlich war der Japaner im privaten Bereich wirklich nicht. Wie oft der Martin und Alessa in den letzten Monaten versetzt hatte, konnte niemand mehr genau zählen. Oli fand deswegen, dass ihm die weibliche Hand im Hintergrund diesbezüglich schon etwas Disziplin verschaffen würde.

April stand immer noch vor den Jungs und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie schien die beiden Piloten nicht mehr los zu werden, bis sie sich nicht ein Herz gefasst hatte und sie in Fireballs Büro begleiten würde. Stan und Oliver standen beide mit einem dämlichen Lächeln im Gesicht im Flur und schienen darauf zu warten, dass April endlich einwilligte. Die Blondine ließ den Kopf sinken, schüttelte ihn leicht und keuchte: „Also schön. Hören wir uns an, was euer Windbeutel von Captain zu sagen hat.“

April warf sich eine Jacke über die Schultern und ging von Stan und Oliver flankiert in den Hangar. Sie war gespannt, was sie dort erwarten würde. Einerseits war sie sich sicher, wenn Saber und Fireball miteinander sprachen, würde es ruhig und besonnen zur Sache gehen, aber was, wenn sich inzwischen auch Colt – oder noch viel schlimmer – Alex eingemischt hatten?
 

„Was bildest du dir eigentlich ein, du Hirni?!“

Zu Tode erschrocken erstarrte Fireball. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht und seine Augen richteten sich auf den Eindringling in seinem Büro.

Saber hatte sich zwar ebenfalls erschrocken, konnte aber im Gegensatz zu seinem Freund einen Kommentar in Richtung der offenen Bürotür schicken: „Klopfen gebietet einem der Anstand, findet ihr nicht?“

„Ach, halt doch den Rand, Saber! Du kannst den Pimpf da nicht auch noch dafür belohnen wollen, was er mit April angestellt hat. Der braucht `ne anständige Kopfwäsche!“, Alex schoss wie ein Pfeil auf die beiden im Raum zu. Martin und Colt hatten noch vergeblich versucht, ihn zu fassen zu bekommen. Saber hatte zwar auch versucht, Alex Einhalt zu gebieten, aber in diesem Augenblick war der italienische Dampfkessel explodiert.

Alessandro sah gerade rot. Wie ein Stier rauschte er in den Raum und direkt auf den Rennfahrer zu. Mit aller Wucht riss er ihn zu Boden und schlug ihm die Faust ins Gesicht. Erst als Fireball Blut schmeckte, erwachte er aus seiner Starre. Fireball, der ebenfalls immer noch seinen Kampfanzug trug, griff nach Alessandros Händen und versuchte diesen von sich runter zu bekommen. Dieser jedoch bewegte sich keinen Zentimeter von dem Rennfahrer weg. Deswegen entschied sich Fireball für eine andere Taktik. Er riss an einem der Beine von Alessandro und versuchte so, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wütend funkelte er Alex an: „Mach, dass du runter kommst!“

„Ich denk ja nicht dran! Dir sollte man den Hals umdrehen, du Vollvase“, obwohl er gehörig zu kämpfen hatte, blieb er vorerst siegreich auf Fireballs Brust sitzen. Bis ihn zwei starke Arme von Fireball runterzogen. Einer gehörte zu Saber Rider, der andere zu Martin. Der Schotte sprach seinen Piloten auch ruhig an: „Ich kann deine Entrüstung verstehen, Alessandro. Dennoch ist es noch lange kein Grund, auf den Captain einer anderen Einheit loszugehen.“

Martin jedoch tadelte seinen ehemaligen Kollegen: „Ich kann deine Reaktion überhaupt nicht verstehen!“, er riss den Italiener zu sich herum: „Herrgott, ich hab dir vorhin schon gesagt, dass du ruhig bleiben sollst! Außer April und Fireball weiß niemand, wie es wirklich war. Und ja, ich weiß, dass Liebeskummer schreckliche Ausmaße annimmt, aber April ist erwachsen. Die beiden müssen das mit sich ausmachen.“

Alessandro fand unschöne Widerworte: „Red nicht so gequirlten Mist, Marty! Du hast sie nie weinen gesehen. Ihr geht es schlecht mit dem Doppelleben und dem Mistkerl!“

Wieder unterbrach Martin seinen Freund, dieses Mal mit mehr Schärfe in der Stimme: „Das stimmt. Ich habe April nie an Bord von Ramrod gesehen. Aber genauso wenig hast du Shinji gesehen. Und jetzt mach endlich mal einen Punkt.“
 

Colt hatte Fireball aufgeholfen, doch kaum stand der Wirbelwind wieder, schüttelte er Colts Hand mit einer stummen Geste wieder ab. Fireball wischte mit dem Daumen über die blutige Stelle und trat zu Alessandro hinüber. „Schluss jetzt! Hört auf damit!“

Alessandro schüttelte sowohl Sabers als auch Martins Hand ab. Er stieß den Zeigefinger Richtung Fireball und knurrte: „Du kannst dir sicher sein, dass du dafür noch eine Abreibung bekommst, Captain!“

Das letzte Wort spie er Fireball direkt entgegen. Alessandro kochte, nein er brodelte förmlich. Das konnte nicht zuletzt auch Martin sehen. Aber der Brasilianer erkannte auch etwas anderes in seinem ehemaligen Kollegen. Es war all der Frust und der Schmerz dabei, den die Trennung von Alessandros Freundin verursacht hatte. Alex hatte seine Enttäuschung über ihre Affäre mit einem anderen nie hinausschreien können. Als sie sich von ihm getrennt hatte, hatte sie ihm verschwiegen, wer der andere Mann in ihrem Leben war. Alex hatte ihn nie zu Gesicht bekommen. Es schien Martin, als wäre ein Teil der Wut des Italieners auf Fireball auch Wut auf den Mann, der ihm seine Freundin ausgespannt hatte.

Fireball lehnte sich gegen die Kante seines Schreibtisches und ließ den Kopf hängen. Die Abrechnung mit Alessandro hatte er wahrscheinlich verdient. Mit einem Mal standen alle seine Freunde hier und offenbar hatten sie das Gespräch mit Saber verfolgt, denn ansonsten hätte Alex nicht den Dampfhammer ausgepackt. Der Japaner krallte die Hände in die Tischkante und murmelte betrübt: „Ist schon ziemlich ironisch, dass ich ausgerechnet jetzt zur Beichte ansetze, wenn ich mich von April getrennt habe.“
 

„Ja, das ist wirklich ironisch“, nun stand auch April mit ihren beiden Begleitern im Raum. Langsam aber sicher wurde es eng im Büro des Captains. Während Oliver die Tür wieder schloss, ging April zwischen all den Männern durch und lehnte sich neben Fireball. Obwohl sie kontrolliert und ruhig wirkte, pochte ihr das Herz bis zum Hals hinauf und sie wusste nicht, wie lange sie die Coole spielen konnte. Sie sah den Rennfahrer herausfordernd durch ihren Pony, der ihr ständig auch in die Augen hin, an: „Kann man nur hoffen, dass wenigstens du dich jetzt besser fühlst. Ansonsten hat es wenig Sinn gemacht.“

Colt war die ganze Zeit über ruhig geblieben, ungewöhnlich für den Scharfschützen. Nun stand er mit verschränkten Armen am weitesten weg und neigte den Kopf zur Seite. Er strengte sich an, Licht und Klarheit in die Verwirrung und die Situation zu bringen, zumindest für sich selbst. Als April mit Stan und Oliver den Raum betreten hatte und Colt nun gehört hatte, dass sich Fireball von April getrennt hatte, nahm er seinen Hut vom Kopf und strich mit der freien Hand durch seine Locken. Seine Augen ruhten auf seinem Hombre, der zum wiederholten Male schon den Kopf hängen ließ. Nun schüttelte es Colt. Mit ziemlichem Schwung, begann er, das private Schlachtfeld von April und Fireball zu räumen. Zuerst packte er Alessandro und Martin am Arm: „Machen wir, dass wir hier raus kommen, Leute.“

Bei diesen Worten hatte er Saber einen vielsagenden Blick zugeworfen und der hatte sofort verstanden. Der Schotte nickte lediglich, öffnete die Tür und begleitete Stan und Oliver hinaus. Er murmelte: „Lassen wir die beiden einen Augenblick alleine.“

Alessandro allerdings ließ sich nicht so einfach hinauskomplimentieren. Er war immer noch wütend. Inzwischen konnte er selbst nicht mehr genau sagen, weshalb, aber wahrscheinlich lag es daran, dass er immer wieder Aprils trauriges Gesicht vor sich sah, wenn Fireball zu Rechtfertigungen ansetzte. Er riss sich von Colt los und baute sich vor dem Captain auf. Bedrohlich richtete er den Zeigefinger ein weiteres Mal auf ihn: „Wenn ich auch nur den Verdacht bekomme, dass sie deinetwegen wieder weint, bring ich dich unter die Erde.“

Fireball blickte auf. Alessandro war Aprils Beschützer geworden. Seine Mundwinkel beschritten einen bedenklichen Bogen Richtung Boden. Leise schmetterte er Alessandros Warnung ab: „Keine Sorge. Einen Hikari kriegst du nicht unter die Erde. Wir sind für den Himmel geboren und dort werden wir auch sterben.“

„Spinner!“, Alex kommentierte das nicht weiter und verließ endlich das Büro. Zumindest zwei Paar Augen bedachten ihn dabei mit einem warnenden Blick. Martin konnte seine Ansichten nach wie vor nicht teilen.

Und Colt, der zweite, der Alex nur mit seinen Gedanken hätte lynchen können, schubste den Italiener aus dem Raum und schloss die Tür. Einen solchen Hitzkopf hatte er schon lange nicht mehr erlebt. Das ängstigte Colt zwar nicht, allerdings war es der falsche Hitzkopf. Fireball hätte da drinnen mal auf den Tisch hauen müssen und sich lautstark verteidigen. Aber der war ruhig und zwischenzeitlich auch zusammengesunken, an den Tisch gelehnt stehen geblieben.
 

Er hörte die Tür ins Schloss fallen, sowie Aprils und seinen Atem. Niemand sonst war mehr in dem Zimmer, die bedrückende Enge wich einer gespenstischen Stille. Fireball spürte Aprils Gegenwart neben sich, auch wenn er sie nicht ansah. Es war beinahe so, als könnte er ihre Aura fühlen.

Als ihm die Stille zu lange dauerte, sah er April endlich an. „Nein.“

Das blonde Mädchen, das ihre Hände in die Tischkante gekrallt hatte und betrübt ihre Fußspitzen betrachtet hatte, hob den Kopf, als Fireball sie ansprach. Fragend musterte sie ihn und seufzte. Ach, sie verstand ihn einfach nicht mehr! Wie er so da stand, immer noch in seinem blutroten Kampfanzug und den Blick auf sie gerichtet, sie erkannte ihn kaum wider. Nicht, dass er sich äußerlich so sehr verändert hätte, nein, das war es absolut nicht. Es war seine Art, sein Wesen. April murmelte: „Was jetzt ‚Nein‘? Nein, ich soll mich zum Teufel scheren, oder Nein, bleib da?“

„Nein auf deine Frage von vorhin. Nein, ich fühle mich nicht besser, nur weil es jetzt die Ramrodcrew und ein Teil meiner Jungs weiß.“

„Und warum sagst du es denen dann?“, ungehalten fuhr April Fireball an. Sie stand auf und umrundete seinen Schreibtisch. April wartete gespannt auf eine Antwort, solange allerdings nahm sie sich die Zeit, den Arbeitsplatz des Japaners genauer zu betrachten. Als er vorhin zu Martin aufgebrochen war, hatte er das Büro überstürzt verlassen, das konnte man ganz deutlich erkennen. Einige Akten lagen aufgeschlagen auf dem Platz, ein Kuli quer darüber und der Bildschirm war noch eingeschalten.

Fireball blieb an seinem Platz stehen. Nun hatte er April den Rücken zugewandt, dadurch die Blondine allerdings buchstäblich im Rücken. Es war ein unangenehmes Gefühl, weil er ihre Blicke, die sie immer wieder auf ihn richtete, deutlich spüren konnte. Fireball erklärte ihr heiser: „Ich habe es eigentlich nur Saber gesagt, die anderen fünf haben uns belauscht. Ich wollte, dass zumindest Saber auf dich aufpassen kann, weiß, warum es dir schlecht geht.“

„Mir geht’s nur deinetwegen mies“, entgegnete die junge Frau schnippisch. Nun richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Rennfahrer, der ihr die kalte Schulter zeigte. Ihre Augen waren auf seinen Hinterkopf gerichtet und starrten angestrengt darauf, als könnte sie ihn damit dazu bewegen, sich ihr zuzuwenden. April bekam langsam aber sicher wieder schlechte Laune: „Ich sag es dir jetzt einfach noch mal und dieses Mal so, dass du mich auch ganz sicher verstehst, Shinji. Alles, was ich wollte, war mit dir zusammen sein. Aber du hast es vorgezogen, dich heimlich mit mir zu treffen, mich auszunützen und mir doch nichts mehr zu erzählen. Ich bin nicht blöd, Fireball! Denkst du, ich wüsste nicht, weshalb du immer dann besonders viel zu tun hattest, wenn Ramrod wieder da war? Du wolltest so wenig Zeit wie möglich mit mir verbringen und immer einen Vorwand haben, weshalb ich gleich nach… nachdem wir im Bett waren, wieder gehen sollte.“ April fiel es schwer, das zu sagen, was ihr auf der Zunge lag. Hätte Fireball sie angesehen, hätte er sofort gewusst, was sie meinte, denn wider Willen färbten sich ihre Wangen rot und ihre Augen begannen zu funkeln. Es war kein aggressives Funkeln, es war eher ein liebevolles Strahlen, wenn sie an die innigen Momente voller Leidenschaft zurückdachte. Leider waren sie nie mehr als pure Lust gewesen.

Nun stieß sich Fireball vom Schreibtisch ab. Er zeigte auf seinen unordentlichen Schreibtisch, auf die offenen Schränke, die beinahe vor Akten überquollen und wollte von ihr wissen: „Was siehst du hier, April?“

Dem Japaner saß ein dicker Kloß im Hals. Er wusste, was er hier sah. Das Büro seines Vaters! Das und einen Berg von Arbeit, dem er sich im Augenblick nicht gewachsen fühlte. An diesem Tag hatte er mit seiner Mannschaft den ersten Kriegseinsatz geflogen und Fireball glaubte selbst nicht daran, dass er alles richtig gemacht hatte.

April sah sich im Büro um, wieder sehr aufmerksam. Sie begann aufzuzählen: „Also, ich sehe deinen Schreibtisch, chaotisch wie du. Ich sehe einige Akten, die mit Schmierölfingern angefasst wurden, weil du das Hydrauliköl nicht ordentlich abgewaschen hast. Und dann seh ich da noch dich“, nun wies April auf die Gestalt des Rennfahrers: „Du hast immer noch deinen alten Kampfanzug an. Kriegst du keinen in den Farben der Base, oder was?“

Tatsächlich hatte ihm Commander Eagle schon des Öfteren angeboten, einen neuen Anzug zu bekommen, aber dagegen sträubte sich Fireball. Er würde nicht in den Anzug passen, würde ihn nicht ausfüllen können. Dabei meinte er weniger die Größe und Form, sondern das, was er symbolisierte. Und er wollte nicht die letzte einzig greifbare Erinnerung an Ramrod verlieren. Er hatte bereits seinen Red Fury hergegeben, weil er auf Ramrod besser gebraucht werden konnte, als hier, da wollte er zumindest seinen Kampfanzug behalten. Allerdings musste er über Aprils überaus treffende Feststellungen schmunzeln. Seine Mundwinkel zeigten wieder nach oben. Mit einem leichten Zwinkern fuhr er sich durch die Haare: „Ich mag meinen roten Kampfanzug zufällig sehr gerne. …Multiplizier das Chaos von Ramrod mit zehn und du weißt, wie’s hier wirklich zugeht“, seine Mimik wurde allerdings wieder ernster, als er April gestand: „Hätte ich die Arbeit nicht mit nachhause genommen, wenn du mit Ramrod im Lande warst, hätte ich dich überhaupt nicht gesehen. Die erste Zeit war’s ziemlich viel auf einmal und sehr umfangreich.“

„Ach, Turbo, komm schon“, April glaubte ihm kein Wort. Fireball hatte sich doch auf Ramrod auch so gut wie nie mit dem Papierkram auseinandergesetzt, hier würde er wohl kaum damit angefangen haben. April warf sich ihre langen blonden Haare über die Schulter zurück und richtete sich auf. Sie wollte keine Ausflüchte mehr hören, denn nichts anderes waren Fireballs Worte in ihren Ohren gerade. Die Tochter von Commander Eagle hatte um einen zweiten Anlauf gekämpft, hatte sich nach ihrem vernichtenden Gespräch im Cafè sogar Hilfe geholt. Doch selbst Martin hatte nichts mehr ausrichten können. Nun sah es auch April ein. Ihre Beziehung war definitiv zu Ende. So weh es auch tat. Und so sehr sich April auch etwas anderes für sich und Fireball wünschte. Sie konnte ab diesem Zeitpunkt nur noch eines mit Sicherheit sagen. Zitternd, aber erhobenen Hauptes ging April auf Fireball zu. Sie sah ihm flüchtig in die Augen und hauchte in sein Ohr: „Unsere Beziehung ist an deiner Angst gescheitert, Babyboy.“

Jedes einzelne Haar schien ihm zu Berge zu stehen. Aprils Worte hatten ihr Ziel nicht verfehlt. Das Hauchen seines neuen Kosenamens und ihre Nähe hatten eine Gefühlsexplosion in Fireball ausgelöst. Mit einem Mal wurde ihm heiß und kalt, sein Herzschlag hatte sich vervielfacht. Seine dunklen Augen starrten April perplex an, spiegelten jedoch genau das wider, was April just gesagt hatte.

Die junge Frau gab ihm noch einen letzten Abschiedskuss auf die Wange und während sie ihre Augen schloss, fiel eine kleine Träne über ihre Lider hinab. Tapfer hielt April den Kopf gerade und wandte sich von Fireball ab. Abschiede taten meistens weh, das wusste sie nicht nur von Saber und Colt, sondern auch aus eigener Erfahrung. Dieses Mal aber verabschiedete sich April nicht von ihrem Kumpel, sondern von ihrem Partner. Es zerriss ihr das Herz in der Brust, aber sie war auch erwachsen genug um nun zu wissen, dass alles andere noch schlimmer sein würde. April öffnete die Tür und huschte hinaus.
 

„Oh oh“, kommentierte ausgerechnet Saber Aprils Gesichtsausdruck, als sie aus dem Büro trat und sich zwischen den Jungs durchdrängte.

Als Alex ihr sofort hinterher wollte, hielt Martin den am Arm fest und warnte ihn: „Kumpel, keine Schnellschüsse mehr, verstanden?“

Der Italiener nickte grimmig. Zumindest ging er April nach und nicht ins Büro zurück, um den Stöpsel aus dem Fenster zu werfen. Martin sollte sich mal mit etwas zufrieden geben! Alex würde sich dennoch damit begnügen, April lediglich zuzuhören und nicht herum zu schimpfen. Das würde seiner Freundin im Augenblick ohnehin nicht wirklich helfen.

Wider Erwarten verschwanden gleich darauf auch Oliver und Stan. Der Schwede versicherte Martin noch nach einem Blick auf die Uhr: „Klärt mal noch, was ihr klären könnt oder müsst, wir werden zusehen, dass euch solange niemand hier stört.“

Der Hüne und Stan waren sich darüber einig, dass sie hier vorerst nichts mehr tun konnten, deshalb würden sie im Hangar unten für Betriebsamkeit sorgen. Der wohlverdiente Mittag war inzwischen auch für alle anderen rum, irgendwann würden auch die anderen Piloten darauf kommen, dass ihr Captain im Stock über ihnen verweilte. Der große Kroate war wie gesagt ein eher ruhiger Zeitgenosse, aber nicht blöd. Oliver hoffte lediglich, dass alle bei Zeiten wieder auf dem Damm waren. Er hatte an Aprils Mimik erkannt, dass auch dieses Gespräch bitter geendet hatte. In der nächsten Zeit galt es also ein Auge auf die Spezialeinheit namens Ramrod zu haben, soweit das von seinem Posten als fix stationierter Pilot überhaupt ging und das andere Auge auf ihren Chef zu werfen.

Von unten konnten die drei verbliebenen Männer Stans Stimme durch den Hangar lachen hören: „So, ich hoffe ihr hattet eine ordentliche Mahlzeit, die werdet ihr nämlich jetzt wieder abarbeiten. Schöne Grüße von Babyboy, wir dürfen unsere Gleiter inspizieren und zur Reparatur schicken!“
 

Martin hatte seinen beiden Freunden noch nachgesehen, auch noch abgewartet, welch glorreiche Idee Stan wohl gehabt hatte um die Kollegen auf Trab zu halten, dann widmete er seine Aufmerksamkeit Saber und Colt. Er musterte die beiden ungleichen Freunde wieder einmal. Wenn er nun auch noch April und Fireball dazu packte, wurde das Gespann noch unterschiedlicher. Martin zog sich einen Stuhl heran und setzte sich darauf. Er verschränkte die Arme vor der Brust und wollte unvermittelt wissen: „Sagt mal, was war eigentlich vor eurer Mission anders?“

„Ich kann dir sagen, was nach unserer Mission anders ist“, entgegnete Colt wie aus der Pistole geschossen. Er hatte sofort kombiniert, dass Martin die letzte Mission mit Fireball zusammen gemeint hatte. Alles andere war schließlich hinreichend bekannt und dementsprechend unspektakulär.

Als Martin auch Sabers verschlossene Miene bemerkte, senkte er die Stimme und erklärte den beiden verbliebenen Star Sheriffs: „Ich weiß von eurem Sprung durch die Zeit. Aber keine Sorge“, versicherte er umgehend: „von mir erfährt keiner ein Sterbenswörtchen.“

Saber nickte zwar, verschränkte allerdings die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen die Wand. Er wollte nicht hier in aller Öffentlichkeit über etwas reden, das noch weitaus größere Ausmaße annehmen konnte, als er es sich vorstellen konnte. Saber war nicht auf den Kopf gefallen. Wenn jemand falsches mitbekam, dass die vier mit Ramrod zwei Mal durch die Zeit gesprungen waren, würde das in den nächsten Monaten ziemlichen Aufruhr verursachen. Irgendjemandem würde schnell klar werden, dass zumindest einer der vier wissen musste, wie man durch die Zeit reisen konnte und ehrlich gestanden, Saber hatte keine große Lust, so etwas noch einmal zu erleben. Einmal in einer Zeit zu landen, wo man nicht hingehörte, genügte.

Colt nickte in Richtung Bürotür, als Saber Rider das Zeichen zum Aufbruch gab. Seit April heraus gekommen war, hatte sich dort nichts mehr gerührt und Colt machte sich Sorgen. Das gefiel ihm nicht. Doch Saber schüttelte den Kopf und meinte leise: „Lassen wir ihn. Er wird schon klarkommen.“

Martin begleitete die beiden Star Sheriffs zu Ramrod. Der Brasilianer durfte zum ersten Mal den großen Cowboy betreten. Nicht ohne Stolz präsentierten Saber und Colt ihr Arbeitsgerät, ehe sie in den Aufenthaltsraum gingen, wo sie ungestört sprechen konnten.
 

Als sich die Tür zu seinem Büro endgültig geschlossen hatte, legte Fireball den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Ein seufzender Laut verließ seine Kehle trotz geschlossener Lippen. Einen Moment lang stand er so da, unschlüssig darüber, ob er sich über die gewonnene Ruhe freuen sollte, oder aber todunglücklich darüber sein sollte.

Es dauerte einige Atemzüge, bis sich sein Herzschlag normalisiert hatte und die Gänsehaut den endgültigen Rückzug angetreten hatte. Zum zweiten Mal an diesem Tag hatte ihm jemand, der ihm sehr nahe stand gesagt, dass er Angst hatte. Fireball öffnete die Augen und sah sich aufmerksam und mit frischen Augen in seinem Büro um. Hatte er wirklich solche Angst? Und selbst wenn es so war, wovor hatte er Bammel? Leise ließ er sich in seinen Bürostuhl fallen. Hatte er Angst zu versagen, etwas zu verlieren? Er hatte April bereits verloren, zumindest was seine Beziehung zu ihr betraf, aber für ihre Freundschaft hatte er immer noch Hoffnung. Ja, so seltsam es vielleicht klang, er glaubte nach wie vor fest daran, dass er und April irgendwann mal wieder gute Freunde sein würden. Der Pilot hatte nicht das Gefühl, dass es eine endgültige Trennung gewesen war. Abschiede für immer fühlten sich anders an, irgendwie gewisser.

Aber was war es dann? Fireball schloss abermals die Augen, lehnte sich zurück und versuchte in sich zu gehen. Wovor fürchtete er sich? April hatte gesagt, er solle sein Trauma verarbeiten. Aber war das des Rätsels Lösung? Hatte er von ihrer Reise in die Vergangenheit tatsächlich einen solch gravierenden Schaden davon getragen, dass er sich hier auf sein Leben auswirkte? Er war im Streit und mit Misstrauen mit seinem Vater auseinander gegangen. So vieles hatte er ihm noch sagen wollen, hätte die Zeit mit ihm intensiver nutzen wollen. Doch durch diese auferlegte Schweigepflicht war es nie zu einer Aussprache zwischen ihm und seinem Vater gekommen. Fireball dachte daran, dass er sich die Seele mit seinem Vater teilte, nicht zuletzt so manche Erfahrung, die sein Vater gemacht hatte, und ihn manchmal des Nachts heimsuchte, bewiesen, dass es so war. Aber konnte er dann nicht Frieden mit seiner Bestimmung finden?

Tiefe, ruhige Atemzüge verlangsamten seinen Puls, ließen seine Gedanken klar werden und fortfliegen…

The sun will shine tomorrow

Den Sonnenaufgang verbrachte Fireball an diesem Morgen auf dem Militärfriedhof. So schnell war die Zeit vergangen, wieder jährte sich der erste Angriff der Outrider in der menschlichen Dimension ein weiteres Mal. Wie im Jahr davor war es ein herrlicher Sommermorgen, die aufgehende Sonne tauchte alles in rot-oranges Licht. Fireball legte ein paar Blumen an das Kriegerdenkmal und setzte sich anschließend auf die Bank daneben.

In diesem Jahr hatte sich viel für den Wirbelwind geändert. Er war in eine andere Einheit versetzt worden, hatte neue Bekannte und Freunde gefunden, war umgezogen und hatte Altes hinter sich gelassen. Gedanklich zog Fireball Bilanz. Hart und steinig war der Weg im letzten Jahr vermehrt gewesen, aber er hatte selbst in Zeiten größter Not immer jemanden an seiner Seite gehabt, der ihn unterstützt hatte. Oder ihm auch mal einen Tritt in den Allerwertesten verpasst hatte, wenn es die Lage erforderte. Dafür war er dankbar. Große Veränderungen waren es gewesen, manches hatte Fireball schwer akzeptieren können, aber das hatte er mittlerweile. Ein dreiviertel Jahr hatte es gedauert, bis er endlich eingesehen hatte, dass er den Namen nicht zu Unrecht trug und dass er der Aufgabe gewachsen war, in die ihn Commander Eagle mit der Versetzung zur Air Strike Base 1 gestoßen hatte. Fireball hatte sich diesbezüglich in sein Schicksal gefügt und kam damit gut klar. Nur leider hatte er auch etwas in diesem Jahr verloren. Fireball strich sich nachdenklich die Haare aus der Stirn, während er an April dachte. Ihre Beziehung hatte realistisch betrachtet nie eine Chance gehabt, aber was half Realismus dem Herzen? Fireball war klar, dass die Beziehung zu April unter den falschen Voraussetzungen begonnen hatte, zur falschen Zeit. Das hatte sie nicht nur ihre Liebe, sondern auch ihre Freundschaft gekostet. April hatte seit jenem Tag im Büro, als sie sich für eine Trennung entschieden hatten und Fireball es Saber erzählt hatte, um Abbruch des Kontakts gebeten. Er hatte sich taktvoll daran gehalten, auch wenn er sie nach wie vor vermisste. Zeit würde auch diese Wunden heilen, ganz bestimmt auch bei April irgendwann.

Der Japaner blickte zum Hangar hinab. Unmittelbar stahl sich ein leichtes Lächeln über seine Lippen. Der Chaotenhaufen da unten! Und er war mittendrin. Oder besser: vorne dran. Der Oberchaot der Chaoten! Amüsiert über seine Gedanken schüttelte Fireball den Kopf. Da war er ordentlich wo reingeraten, oh Mann. In ein Wolfsrudel, das sagten zumindest seine Leute. Aber manchmal waren sie doch eher ein Kindergarten, mehr nicht. Fireball grinste vor sich hin, als er daran dachte, dass er Stan beinahe ein halbes Jahr mit der Anmeldung zu den Militärflugbewerben hatte hinhalten können. Für diesen Spaß hatte er danach noch bitter bezahlen müssen. Stanley hatte ihn, als er endlich mit der gültigen Anmeldung rausgerückt war, zum Trainingspartner zwangsverpflichtet. Aber, entgegen aller Behauptungen und Befürchtungen von offizieller Seite hatte sich Stan bei den Bewerben auffällig gut verhalten und auch die eine oder andere Auszeichnung nachhause gebracht. In diesem Jahr hatte Fireball seinem Schwedenbrot die Anmeldung schon frühzeitig bestätigt, er brauchte immerhin kein Druckmittel mehr um Stan zur Pünktlichkeit zu bewegen.

Jaja, der gute Stan. Fireballs Lächeln wurde milde. So unterkühlt und provokant die Begrüßung seitens des Schwedens zu Beginn auch ausgefallen war, umso herzlicher war der Umgang nun. Nach der Trennung von April hatte Stan ihn öfters mit auf die Piste genommen. Er hatte gemeint, Fireball solle sich gleich wieder in den Sattel schwingen, ein Beziehungsende sei kein Weltuntergang und abgesehen davon war die Zeit viel zu schade, um sie mit nur einer Frau zu verbringen! So manchen Abend hatten sie in einer Bar verbracht, mit hübschen, aber zugegeben ziemlich leicht zu beeindruckenden, Frauen. Sie waren nicht mehr als ein netter Zeitvertreib gewesen, aber nichts von Dauer. Bis auf ein oder zwei Mal waren sie noch nicht einmal etwas für eine gemeinsame Nacht gewesen. Tatsächlich hatte sich Fireball nur ein oder zwei Mal darauf eingelassen, ein Mädchen mit zu sich nachhause zu nehmen. Sein Blick ging Richtung Stadt hinaus. Hatte er eine der Damen überhaupt mal wie versprochen angerufen? Er runzelte die Stirn. Wohl eher weniger.

Fireball stand wieder auf. Es war Zeit, in die Arbeit zu gehen. Er hatte bei seinem Vater vorbeigeschaut, und auch bei den anderen Piloten, denen hier ein Denkmal gesetzt worden war. Wobei er seinen Vater nicht besuchen müsste, immerhin trug er ihn immer bei sich. Sein Dad war ein Teil von ihm, gehörte zu seinem Leben wie alles andere in seiner Vergangenheit auch. Mit einem wohlwissenden Blick machte er sich auf den Weg ins Büro. Fireball brauchte noch einen schnellen Kaffee, bevor er sich in die Arbeit stürzte.

Aus dem in die Arbeit stürzen wurde nichts. Denn als Fireball mit der randvollen großen Kaffeetasse in sein Büro kam, stand dort etwas auf dem Tisch. Verwundert stellte der Japaner seine Tasse ab und begutachtete sein Geschenk. Jemand hatte ihm einen leckeren Cupcake auf den Tisch gestellt. Das schwarze Gebäckstück duftete herrlich frisch nach dunkler Schokolade, auf der hellblauen Zuckerglasur grinste ihm ein Flugzeug entgegen. Fireball grübelte, wer ihm diese kleine Nervennahrung wohl da gelassen haben könnte. Der sah zum Hineinbeißen aus, war aber eigentlich viel zu schade dafür. Sein Blick fiel auf einen Umschlag, auf dem der Cupcake gestanden hatte. Ob der wohl einen Hinweis auf den Gönner dieser Köstlichkeit enthielt? Fireball setzte sich, während er neugierig das Kuvert öffnete. Er zog eine schlichte Karte heraus. „Für jemand Besonderen“ stand dort aufgedruckt. Im Inneren hatte jemand seine Widmung mit den Worten „Happy Birthday, Turbo“ hinterlassen. Drei kleine Worte waren es, doch er wusste sofort, wer hier die gute Fee gewesen war. Nur eine ganz bestimmte Person nannte ihn Turbo.

Sofort sprang er auf und rannte aus dem Büro. Diese Aufforderung nützte er, solange sie es sich noch nicht anders überlegt hatte. So lange hatte Funkstille geherrscht, auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin und er hatte sich daran gehalten. Nun gab sie ihm das Zeichen, sich wieder zu melden und das würde der Hitzkopf auch machen. Fireball wusste, wie April diese Karte gemeint hatte, er kannte sie. Zu seinem Geburtstag hatte sie sich dieses Jahr nicht gemeldet, aufgrund ihres Kontaktabbruchs, aber an diesem besonderen Tag hinterließ sie ihm eine Botschaft. Er lief so schnell über das Gelände des Oberkommandos, dass er nicht einmal die Zeit hatte, bekannte Gesichter zu grüßen. Schnaubend kam er schließlich auf Ramrod an. Fireball stürzte in die Küche: „Ist sie da?“

„Was ist denn das für eine Art, einen Raum zu betreten?“, Saber sah verwirrt und auch ein wenig empört von seinem Frühstück auf. Er hatte sich so mühsam an die ruhigen Morgen ohne Fireball gewöhnt und nun polterte der Geist hier ohne Vorankündigung herein. Nicht einmal klopfen konnte er.

Colt hob kurz den Hut vom Kopf, ehe er verschwörerisch zu Alessandro zwinkerte: „Piloten haben überhaupt keinen Funken Anstand.“

Alessandro hob lediglich beiläufig die Hand, Colts Pilotensprüche prallten an dem Italiener ab, wie Wasser an einer Lotusblüte. „Dir auch einen guten Morgen, Shinji!“, begrüßte er den Neuankömmling.

„Ja, guten Morgen allerseits“, brummte Fireball ungeduldig eine Begrüßung. Er wollte nicht zu seinen Kumpels, er musste unbedingt zu April, deswegen erkundigte er sich nochmal: „Ist April da?“

Colt schüttelte den Kopf: „Du siehst doch, dass sie nicht da ist. Also kannst du dich ruhig setzen und mit uns frühstücken.“

In den seltensten Fällen war Fireball seit ihrer Trennung zu Ramrod gekommen, weil er April aus dem Weg gehen wollte. Deswegen kam Colt auch nicht im Geringsten auf die Idee, dass sein kleiner Hombre an diesem Tag unbedingt zu April wollte. Er bot ihm einen freien Platz an und schob die Kaffeekanne hinüber: „Tassen sind im Schrank, wo sie immer waren.“

Ungeduldig wippte Fireball im Türrahmen vor und zurück: „Nein, nein! Ich will nicht zu euch. Ich muss zu April! Wo ist sie?“

„Ich halte das für keine gute Idee“, Saber stand die Skepsis ins Gesicht geschrieben. Trotzdem gab er dem Japaner Auskunft. Er hatte das Gefühl, es wäre für die Zukunft wichtig.

Ohne Gruß stob der Pilot auch schon wieder davon, kaum hatte er den genauen Aufenthaltsort von April. Colt und Alex sahen sich kopfschüttelnd an, während Saber die Augen rollte: „Manchmal ist er einfach nur wie ein Wirbelsturm. Fegt herein ohne Vorankündigung, richtet Chaos an und verschwindet mindestens ebenso schnell, wie er aufgetaucht ist“, der Schotte schüttelte ungläubig den Kopf: „Man fasst es nicht.“
 

Ungeduldig und zappelig klopfte er an ihre Zimmertür. Ständig wechselte er das Standbein, sein Herz pochte wie wild vor lauter Anspannung, was gleich passieren würde. Aber Fireball war nicht unangenehm nervös. Nein, es war schlicht und ergreifend Vorfreude, die ihn hibbelig werden ließ. Er wusste, es war ein guter Tag, immerhin hatte er schon gut und mit leuchtend rotem Himmel über Yuma begonnen. Alles würde sich einrenken.

„April? Bist du da?“, wieder klopfte er gegen die geschlossene Tür.

Als sie ihm nicht antwortete, öffnete er die Tür und steckte den Kopf ins Zimmer: „Kann ich reinkommen?“

Offenbar war April nicht mehr im Zimmer, aber Saber und die anderen beiden hatten ihm doch gesagt, sie wäre sich fertig machen gegangen. Fireball verbannte die nervigen Haare aus der Stirn und schloss nach dem Eintreten die Tür. Vielleicht war sie ihm Bad und hatte sein Klopfen nicht gehört. Taktvoller wäre es sicherlich gewesen, wenn er April später noch einmal aufgesucht hätte, aber bis dahin wäre er wahrscheinlich geplatzt. Geplatzt deswegen, weil er ihr so viel erzählen wollte, und sie wiedersehen wollte. Fireball wollte doch nur zu ihr!

Angezogen, allerdings mit den Haaren in ein Handtuch gewickelt, erschien April kurz darauf in ihrem Zimmer. Wie vermutet war sie im Bad gewesen. Leise war sie eingetreten und beobachtete nun Fireball. Lange hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Und seit ihrem letzten Zusammentreffen hatte sich einiges geändert. Auch für April. Sie war reifer geworden, hatte wieder zu sich selbst gefunden. Die Beziehung zu Fireball war reines Gift für sie gewesen. Die junge Frau war in den letzten Monaten wieder fröhlicher geworden, aber dennoch hatte sie stetig bemerkt, dass ihr etwas immer fehlte. Der Abstand zu Fireball hatte ihr gut getan, diese konsequente Trennung war heilend gewesen. Aber nun begann die Distanz wieder ins Gegenteil umzuschlagen.

April musterte Fireball mit offenen, wachen Augen. Es war an der Zeit, alles zu klären und eventuell die Zukunft wieder gemeinsam zu gestalten. Sie sah auf seine Gestalt, wie er unruhig wieder in den Raum hinein nach ihr fragte. April entschied sich dafür, ihn zu erlösen. Leise trat sie ebenfalls in das Zimmer. Mit verschränkten Armen begrüßte sie ihn: „Anstand hast du immer noch keinen, Shinji.“

Augenblicklich fuhr er zu ihr herum und stammelte: „Ja… Nein… Ich meine, ist gar nicht wahr. Ich hab geklopft!“, verteidigte er sich sogleich. Seine Augen blieben an April haften, auch wenn ihm Aprils Begrüßung kurzfristig den Wind aus den Segeln genommen hatte. Wollte sie ihn gar nicht sehen?

„Ich hab’s nicht gehört“, nun lächelte April. Es war ihr nicht unangenehm, mit Fireball in einem Raum zu sein. Das war vor einigen Monaten noch anders gewesen. Das Versteckspiel, die Schwierigkeiten und offenbar auch die Missverständnisse zwischen ihnen hatten der Vertrautheit schwer zugesetzt. April ging an Fireball vorbei und setzte sich aufs Bett. Sie entknotete das Handtuch und begann, ihre Haare trocken zu kneten. Dabei wollte sie leise von Fireball wissen: „Hast du den kleinen Gruß schon verdrückt? Hat er dir geschmeckt?“

Fireball hatte Recht behalten. Es war April gewesen, die ihm zum ‚Geburtstag‘ gratuliert hatte. Nur eine Person nannte ihn Turbo. Und diese saß vor ihm, so schön wie eh und je und doch war alles anders. Er fühlte sich zu ihr hingezogen, mehr noch als je zuvor. Leicht schüttelte Fireball den Kopf: „Nein, er ist noch ganz. Aber danke für die Aufmerksamkeit. Ich hab mich darüber gefreut“, leise fügte er hinzu: „Kann ich mit dir reden?“

April sah von ihrem Tun auf, direkt in seine braunen Augen. Unweigerlich umspielte ihre Lippen ein zärtliches Lächeln. Es war kaum mehr als ein Hauch, aber genug, um genau diesen einen Mann um den Verstand zu bringen. Unachtsam ließ sie das Handtuch auf den Boden fallen. Ihre noch nassen Haare umspielten strähnig ihr Gesicht. Mit einer einzigen Handbewegung streifte sie ihre langen blonden Haare hinter die rechte Schulter. April zog ihre Beine auf das Bett. Sie musterte Fireball und ihr Lächeln wurde zärtlicher. Versonnen und warm. So hatte sie Fireball schon lange nicht mehr erlebt. Nichts ließ den unterkühlten Hitzkopf des vergangenen Jahres vermuten. Im Gegenteil. April bemerkte die alte Ungeduld und sein loderndes Feuer der Leidenschaft in ihm. Die Ungeduld hätte wohl auch jeder andere bemerkt, immerhin tänzelte der Japaner seit geraumer Zeit von einen Fuß auf den anderen. Das Feuer lag da schon besser verborgen.

April neigte den Kopf zur Seite, blickte nun offensichtlich auf seine Füße und wollte wissen: „Holst du grad deinen Morgenspaziergang nach, oder willst du mir Furchen in den Boden hier ziehen?“

„Nein… äh“, augenblicklich zwang sich Fireball dazu, still zu stehen. Das sollte ihm eigentlich nicht so schwer fallen, immerhin musste er mit seiner Crew öfters in Reih und Glied stehen. Aber da war nie jemand anwesend, der ihn beinahe um den Verstand brachte. Er wusste nicht, wo er beginnen sollte, alles erschien ihm gleich wichtig, weil er es ohnehin schon zu lange aufgeschoben hatte. Bis ihm die nüchterne Erkenntnis betroffen den Blick senken ließ: „Egal, wo ich jetzt anfange. Ich habe nicht genug Zeit, um über alles mit dir zu reden“, genervt fuhr er sich durch die Haare und sah wieder auf. Sein Seufzen war kaum zu überhören: „Dabei wollte ich es dieses Mal richtig anstellen.“

April klopfte mit der rechten Hand sachte auf das Bett, dirigierte so den Wuschelkopf neben sich. Milde lächelnd legte sie ihre Hand auf seinen Oberschenkel, nachdem er sich gesetzt hatte: „Du denkst manchmal nicht bis zum Ende. Grade die wichtigen Sachen offenbar nicht.“

Kaum saß der Pilot auf ihrem Bett, ließ er sich rittlings nach hinten sinken und brummte: „Ich weiß. Ich bin schon so ein selten dämlicher Hornochse.“

„Das kann schon sein“, April hatte nicht vor ihm zu widersprechen. Schließlich hielt sie den Captain selbst so manches Mal für einen Idioten. Wie oft hatte sie ihn im vergangenen Jahr verflucht und ihn gehasst? Und wie oft hatte sie geweint, hatte von Alex getröstet werden müssen, nur weil sie die Zuneigung, die sie sich von Fireball gewünscht hatte, nie erhalten hatte? April lehnte sich nach hinten, damit sie Fireballs Mimik weiterhin beobachten konnte. Offenbar hatte ihm der Abstand zur Vergangenheit nun gut getan. April hatte irgendwann bemerkt, dass niemand sich auf eine Beziehung einlassen konnte, wenn er mit sich selbst nicht im Reinen war.

Schließlich zog April den Japaner wieder vom Bett hoch und ermahnte ihn: „Das ist immer noch mein Bett, Turbo. Und darin schlafe nur ich.“

Fireball warf noch einen Blick zurück. Das war einmal anders gewesen. Bevor Ramrod wieder im Jahr 2086 gelandet war, hatten sie zusammen eine Nacht in diesem Bett verbracht. Das war vor ziemlich genau einundzwanzig Jahren gewesen, oder auch vor einem Jahr. Über seine eigenen Gedanken verwirrt, runzelte Fireball die Stirn. Danach sah er wieder in Aprils Gesicht. Ihr schelmischer und auch tadelnder Blick erinnerte ihn schlagartig wieder daran, weshalb er denn eigentlich hier war. Es war ein guter Tag. Es war sein eigentlicher Geburtstag. Fireball fasste sich ein Herz und stand auf: „Ja, das ist dein Bett. Hör mal. Ich wollte dich sehen, mit dir reden. Aber ich sollte zum Dienst. Diesbezüglich gibt es jetzt nur zwei Optionen“, er begann an der Hand aufzuzählen: „Option A: Du kommst heute Abend zu mir. Ich lade dich zuhause zum Essen ein. Wir trinken ein Glas Wein zusammen und wir reden. Oder Option B: Ich nehme mir frei und wir gehen frühstücken.“

Verwundert verzog nun April das Gesicht. Würde er wirklich die Arbeit liegen lassen, wenn sie es wollte? Tatsächlich spielte April mit dem Gedanken, es ihm abzuverlangen. Sie spürte selbst, wie wichtig eine Aussprache für ihre Freundschaft war. Auch, wenn sie als Paar kläglich gescheitert waren, so wollte sie doch nicht glauben, dass sie als Freunde deshalb auch keine Chance mehr hatten. April legte es kurzerhand darauf an, als sie zu keinem brauchbaren Gedanken mehr finden konnte: „Und du zahlst das Frühstück?“

Sein Herz machte einen Sprung und noch ehe April eine Antwort bekam, kramte er sein Telefon heraus und tippte eine Nachricht. Er hatte Martin wissen lassen, dass er sich kurzfristig frei genommen hatte. Mit einem erleichterten Lächeln ließ er April dann wissen: „Ich bezahle, ja.“

April ging noch einmal ins Bad um sich fertig zu machen. Der Pilot gesellte sich währenddessen zu den anderen Jungs in die Küche.
 

Als sich die Tür dieses Mal öffnete, trat ein versonnen lächelnder Japaner hindurch und begrüßte die anderen: „Hey, Leute! Habt ihr was dagegen, wenn ich mich noch ein wenig zu euch setze?“

Während Colt die Kaffeekanne über den Tisch schob und Alex lediglich die Schultern zuckte, wollte Saber nach einem Blick auf die Uhr wissen: „Musst du heute nicht arbeiten?“

„Heute ist ein besonderer Tag. Ich hab mir frei genommen.“

Stirnrunzelnd warf Saber einen weiteren Blick auf seine Uhr, die auch über eine Datumsanzeige verfügte, ehe er verstehend nickte. Es war der Todestag seines Vaters. Der Schotte hatte schon mitfühlend etwas erwidern wollen, doch die Art und Weise, wie Fireball bei ihnen am Tisch saß passte nicht zu diesem besonderen Tag.

Colt allerdings klopfte seinem Freund auf die Schulter: „Denk nicht zu viel darüber nach, Hombre. Das bringt sie nicht wieder.“

„Wen bringt es nicht wieder?“, warf Alex nun verständnislos ein. Oh, er hasste es! Jedes Mal, wenn der junge Captain seiner alten Einheit in der Nähe war, verlor er den Faden vollends. Die ehemalige Ramrodcrew unterhielt sich dann über Dinge, die er nicht verstehen konnte, so sehr er sich auch anstrengte. Oft hatte er versucht, seinen Kollegen und mittlerweile auch Freunden dieses Geheimnis zu entlocken. Doch sie schwiegen eisern. Bis heute.

Fireball rührte seinen Kaffee um, dabei sah er Alex eindringlich an: „Heute jährt sich der erste Angriff der Outrider zum einundzwanzigsten Mal. Viele tapfere Piloten sind an diesem Tag gestorben, auch mein Vater. Aber es ist auch neue Hoffnung entstanden.“

Saber und Colt blieb beinahe das Herz stehen, als Fireball von sich auch zu erzählen begonnen hatte. Alex war zwar einer von ihnen, vor allem weil er mit April inzwischen sehr gut befreundet war, aber dass gerade Fireball neben ihm über ein solches Thema sprach, verwunderte die beiden enorm. Bisher hatte er selten darüber gesprochen, bis heute noch kein einziges Mal darüber, was an jenem Tag damals auf Ramrod passiert war, als Saber und Colt Jesse Blue einkassiert hatten. Umso verdutzter starrten sie den Piloten mit dem roten Shirt gerade an.

Alex jedoch hatte die Bedeutung der Worte erwartungsgemäß nicht verstanden. Ihm war lediglich eines klar: „Manchmal glaub ich wirklich, dass ihr in der Vergangenheit feststeckt.“

Diesen Eindruck bekam der Italiener häufiger. Er war schon einige Male in Gespräche geplatzt, in denen es um den ersten Angriff damals gegangen war und jedes Mal, wenn seine Freunde ihn bemerkt hatten, hatten sie schnell das Thema gewechselt. Manchmal hatte es verdammt nach Verschwörung gerochen.

Während sich Colt und Saber erschrocken ansahen, wurde Fireballs Lächeln unendlich milde. Es war an der Zeit, wichtigen Personen in ihrem Umfeld Einblick zu gewähren. Für die Ramrodcrew war dies auch extrem wichtig. Kaum eine Mannschaft arbeitete und lebte so eng zusammen, wie die vier. Sie sollten einander vertrauen können. Nur war das für Alex manchmal nicht so einfach, weil er instinktiv spürte, dass sie ihn nicht in alle Geheimnisse einweihten. Fireball beschloss, dem nun ein Ende zu bereiten: „Du triffst beinahe so zielsicher ins Schwarze, wie Colt“, er sah zu Saber und Colt hinüber, nickte ihnen entschlossen zu, ehe er fortfuhr: „Wir sollten dir mal erzählen, was wirklich passiert ist, als wir für tot erklärt wurden. Aber du musst uns versprechen, dass du es nicht rumtratscht.“

Alex konnte sich nicht in seinen kühnsten Träumen ausmalen, was er gleich zu hören bekommen würde. Wie denn auch? Abwartend lehnte sich der Italiener zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Abschätzig gab er vor: „Was soll denn schon gewesen sein? Ihr wart auf einem Planeten, von dem ihr nicht wegkonntet. Und dabei hast du“, er betonte dieses Wort schärfer als die anderen und bedachte dabei vor allem Fireball mit einem bösen Blick: „etwas mit der süßen Prinzessin angefangen.“

Fireball atmete tief durch, vergewisserte sich unnötigerweise auch noch einmal bei Saber und Colt, ehe er begann, Alex ihre unglaubliche Geschichte zu erzählen. Währenddessen kam auch April zu den Jungs in die Küche. Als sie die andächtige Stimmung wahrnahm und begriff, wovon hier gesprochen wurde, setzte sich die junge Ingenieurin leise an den Tisch und schmiegte sich an Colt. Aufmerksam hörte sie den Ausführungen des Rennfahrers zu und beobachtete dabei jeden einzelnen ihrer Jungs.

Alessandro konnte kaum glauben, was ihm da aufgetischt wurde. Gebannt, überwältigt und auch ungläubig lauschte er der Geschichte. Immer wieder suchte er Aprils Blick, damit sie ihm bestätigte, dass der Bonsai die Wahrheit sagte. Das war doch schwachsinnig!

Colts Anspannung bei der Erzählung konnte April sehr gut fühlen, sprang sie doch manchmal auch auf sie über, so dicht saß sie bei ihrem Scharfschützen. Colt wurde zeitweise richtig steif, er hatte es gehasst, untätig auf Ramrod herum zu sitzen und zu hoffen, dass jemand eine Lösung für das Problem fand. Daran wurde er nur ungern erinnert. Und ehrlich gestanden, so hilf- und auch nutzlos wollte sich Colt nie wieder fühlen müssen. Was hatte er zu diesem Abenteuer schon großartiges beizutragen gehabt? Er hatte den Haushalt in Schwung gehalten, was für eine Leistung! Sarkastisch schnaubte Colt bei dem Gedanken. Gleichzeitig hielt er sich aber vor Augen, was er noch damals getan hatte. Nämlich das, was er gerade wieder tat. Er hatte April beigestanden und sich um sie gekümmert. Er blinzelte zu seiner Kollegin hinab. Obwohl sie zwischendurch viel an Alessandro gehangen hatte, kam sie nun des Öfteren auch wieder zu ihm. Das erfüllte Colt irgendwie dann doch wieder mit Stolz.

Je weiter Fireballs Erzählung zu der Stelle fortschritt, an dem es pikant wurde, desto öfter warf April einen besorgten Blick zu Saber. Nie hatte er es gesagt, nie hatte er es zugegeben, wenn man ihn darauf angesprochen hatte, aber Saber gab sich die Schuld an Fireballs zeitweisen Verschwinden. Eben jene Gewissensbisse zeichneten Sabers Gesichtsausdruck jetzt wieder. Der Schotte senkte oft den Blick, und linste alle heiligen Zeiten zu Fireball hinüber, ihn stumm um Verzeihung bittend.

An dieser Stelle griff April sanft nach Sabers Hand. Sie wollte ihm zeigen, dass niemand ihm die Schuld an den Geschehnissen vor einem Jahr gab, er sollte sich selbst auch keine daran geben. Doch Saber versteckte augenblicklich seine Hände unter dem Tisch. Er sank zusammen und schloss kurz die Augen. So sehr hatte er sich gewünscht, vergessen zu können, aber er bemerkte, dass er lediglich verdrängt hatte. Diese Wochen waren mitunter die schlimmste Belastungsprobe für Saber gewesen, der er sich jemals hatte stellen müssen. Fireballs Worte verdeutlichtem ihm nun, dass er die Verantwortung für jedes einzelne Crewmitglied auf Ramrod trug. Saber unterdrückte seine Ängste und Gewissensbisse so gut er konnte und sah wieder zu seinen Freunden auf.

April atmete schwer aus, sie konnte Sabers Gefühle nachvollziehen. Anschließend suchten ihre Augen die beiden anderen Jungs auf. Immer wieder sprang ihr Blick zwischen Fireball und Alessandro hin und her. Während dem Italiener die Verwirrung ins Gesicht geschrieben stand und der sich ständig bei seinen Teamkollegen stumme Bestätigung für das Gesagte holte, war der letzte in der Runde erstaunlich ruhig. Bis zu dem Punkt, als die erste Schlacht ausgebrochen war.

Fireball legte die Hände um seine Kaffeetasse und senkte nun zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs die Augen zum Tisch. Etwas leiser als noch zuvor, erzählte er: „Wir haben mitangesehen, wie die erste Schlacht geschlagen wurde. Und ich habe tatenlos dabei zugesehen, wie mein Vater in den Tod geflogen ist“, er atmete tief durch und sah zu seinen Freunden auf: „War nicht ruhmreich, aber wichtig für die weitere Geschichte. Er hat uns die Zeit und den fünfzehn Jahre währenden Frieden verschafft. Jetzt sind wir an der Reihe unser Schicksal zu erfüllen.“

Alex sackte an der Lehne hinab. Völlig überwältigt keuchte er: „Wo ist der Schnaps?“

Er hatte das Gefühl, er säße im falschen Film. Der Rennfahrer für Zwischendurch hatte ihm doch gerade nur irgendwas erzählt. Das alles konnte schlichtweg nicht wahr sein! Er wollte und konnte es teilweise nicht glauben. Seine blauen Augen blickten zu Saber, seinem Boss: „Wer kann mir die Märchenstunde jetzt bestätigen?“

Alle drei nickten, Fireball jedoch deutete nach draußen, ungefähr in die Richtung, in der die Base lag: „Frag in einer ruhigen Minute Martin. Dem hab ich es auch erzählt und der hat die Bestätigung für die Geschichte aus erster Hand. Von einem Zeitzeugen nämlich.“

Der kleingewachsene Japaner stellte seine leere Tasse in die Spüle. Irgendwie fühlte er sich erleichtert, die Ramrodcrew würde in Zukunft mindestens so gut und vertraut zusammen arbeiten, wie sie es damals unter anderer Besetzung gemacht hatten. Er hatte Alex nicht erzählen müssen, dass er die Seele seines Vaters in sich trug. Das hatte er schließlich den anderen dreien so auch noch nie gesagt. Mit einem gelösten Gesichtsausdruck blickte er zum Tisch hinüber. Irgendwann einmal. Irgendwann, wenn es passte und die Situation die richtige war, würde er ihnen sagen, was ihn verändert hatte.

Fireball neigte den Kopf zur Tür und forderte April leicht lächelnd auf: „Na, was ist, Süße? Hast du es dir anders überlegt?“

Die Angesprochene sprang auf, griff im Vorbeigehen nach ihrer Handtasche und verabschiedete sich von ihren Jungs. Gefolgt von Fireball verließ sie Ramrod.
 

Colt und Saber waren bislang ruhig geblieben. Jetzt allerdings brach es aus Colt heraus: „What the hell?! Was war das denn eben?“

Saber verschränkte die Arme vor der Brust. Das kurze Zusammensitzen hatte alte Wunden wieder aufgerissen, bei allen. Der Schotte fixierte mit seinem Blick die geschlossene Tür und dachte angestrengt nach. Auch er fühlte sich, wie Colt oder bestimmt auch Alex, vor den Kopf gestoßen, so unvermittelt mit der letzten gemeinsamen Mission wieder konfrontiert worden zu sein. Saber hatte das Gespräch mit Martin vor einigen Monaten noch im Kopf, der Brasilianer hatte viel gewusst. Wesentlich mehr, als Fireball Alessandro gerade erzählt hatte. Aber das war verständlich. Alex arbeitete mit Colt, April und ihm zusammen, nur bedingt mit der Base, da musste er nicht alles haarklein wissen. Und der Schotte wusste ebenfalls, dass Fireball und Alex keinen sonderlich kameradschaftlichen Draht zueinander hatten. Die beiden Männer gaben sich lediglich miteinander ab, weil sie es mussten.

Schließlich rang sich Saber zu einem wohl überlegten Statement durch. Dabei sah er sowohl zu Colt als auch zu Alex: „Fireball hat uns gerade das Zusammenleben auf Ramrod immens erleichtert“, entschuldigend fügte er für Alessandro hinzu: „Unsere Geheimniskrämerei tut uns leid. Es war eine prekäre Mission und obendrein noch sehr persönlich.“

„Sagt mal, wie muss ich das eigentlich verstehen“, wollte Alex von seinen beiden Freunden nun wissen: „Ihr hattet die Chance, den Krieg zwischen Menschen und Outridern zu beenden, habt es aber nicht getan. Wieso macht man denn sowas bitteschön?!“

Alessandro war in diesem Punkt schwer verständnislos. Hätte er die Chance dazu gehabt, er hätte sie mehr als schamlos ausgenutzt. Definitiv wäre das ein Dienst an der Menschheit gewesen. Alex war felsenfest davon überzeugt, bis ausgerechnet Colt ihm erklärte, welche Auswirkungen bereits ihre bloße Anwesenheit in der Vergangenheit gehabt hatte. Der Italiener schluckte schwer.
 

„Ich hab’s mir anders überlegt, Turbo“, April blinzelte in die Frühsommersonne, als sie gemeinsam mit Fireball Ramrod verlassen hatte und nun auf dem Rollfeld stand: „Ich möchte mir doch ganz gerne mal deine neue Wohnung ansehen.“

Mit dieser Planänderung konnte Fireball leben. Während er nickte, griff er in die Hosentaschen, um seine Wagenschlüssel heraus zu holen. Aber dort war nichts. Er hatte den Schlüsselbund im Büro liegen lassen! Entschuldigend hob der Japaner die Schultern: „Wir müssen noch einen Boxenstopp in der Base einlegen. Meine Schlüssel sind mir nicht nachgelaufen.“

April schüttelte den Kopf, musste jedoch schmunzeln. Wie zum Geier konnte er eine Crew mit dreißig Mann befehligen und managen, wenn er nicht einmal in der Lage war, seine sieben Sachen mit zu haben? Sie begleitete den Japaner bis auf das Rollfeld, dort blieb sie stehen und wartete auf ihn. April scheute sich nach wie vor etwas, in die Base zu gehen. Zumindest drei von Fireballs Freunden wussten, was vor einigen Monaten zwischen ihrem Captain und April gewesen war. Schlicht und ergreifend hatte die blonde Frau etwas Bammel davor, mit Fireball an seinem spontan frei genommenen Tag gesehen zu werden.

Mit einem ziemlichen Schwung fegte der japanische Wirbelwind durch die Fliegerhallen hinauf in sein Büro. Dieser Schwung kam nicht von ungefähr. Es war dieses Gefühl, das er am frühen Morgen schon verspürt hatte, der Beginn von etwas Neuem lag in der Luft, und es beflügelte den jungen Mann enorm. Zwinkernd grüßte er die ungläubigen Gesichter seiner Crew, die ihm auf seinem Weg ins Büro begegneten. Oben angekommen riss er die Tür auf, schnappte sich seine Wagenschlüssel und machte bereits wieder auf dem Absatz kehrt, als Martin ihm den Weg zurück versperrte.

Skeptisch neigte der Brasilianer den Kopf zur Seite, als er wissen wollte: „Ich dachte, du hast dir frei genommen?“

„Hab ich auch“, lachte Fireball munter auf. Er wollte eigentlich schon wieder an Martin vorbei, doch der stand immer noch in der Tür. Also bat Fireball höflich um Durchlass: „Darf ich mal? Ich hab’s eilig.“

„Mooooment mal“, zog Martin seine Worte lang. Irgendwas war zwischen dem letzten Abend und heute Morgen wieder mal passiert, von dem der Brasilianer nichts mitbekommen hatte. Er hatte kurz nach Dienstbeginn eine Nachricht von seinem Boss bekommen, dass er an diesem Tag nicht arbeiten kommen würde. Martin hatte das hingenommen, er war es inzwischen gewohnt, dass Fireball seinen freien Tag in der Woche meistens ganz spontan nahm. Was der große Dunkelhaarige allerdings nicht verstand war, weshalb der Naseweis offenbar an diesem Tag schon im Büro gewesen war und sich erst danach frei genommen hatte. Martin musterte seinen Freund deswegen auch unverhohlen.

Nach der Trennung von April waren aus Martin und Fireball dicke Freunde geworden. Der Japaner hatte an jenem Tag das nötige Vertrauen in Martin endlich gefunden. Die harte Arbeit und die Geduld des Brasilianers hatten sich diesbezüglich bezahlt gemacht. Seither hatte er viel von Fireball mitbekommen. Sie gingen regelmäßig abends zusammen zum Judo, trafen sich auch in der Freizeit öfter. Das wichtigste jedoch für Martin war, dass der junge Japaner nun eher zu reden begann. Was Martin allerdings immer wieder mal aufgefallen war, war dieses ausgeglichene Gemüt, das in den letzten Monaten immer mehr zum Vorschein gekommen war. Die Stimmung des Japaners schwankte nicht mehr von einen Tag auf den anderen, eigentlich war seine Laune mit jedem Tag ein bisschen mehr angestiegen, und es war nicht gespielt. Martin kannte inzwischen den Unterschied zwischen einem aufgesetzten Lächeln und der sagenhaft guten Laune seines Chefs.

Martin lehnte sich also gegen den Türrahmen und versperrte Fireball nach wie vor den Weg: „Muss ich mir Sorgen machen?“

Auch der Brasilianer hatte an diesem Tag schon einen Blick zum Datum riskiert, spätestens, als Fireball ihm die Nachricht geschickt hatte, hatte er auf den Kalender geschielt. Deswegen machte er sich auch etwas Sorgen.

Doch Fireball schüttelte lachend den Kopf: „Nö. Ich bring grad alles in Ordnung.“

Nun wurde der Wuschelkopf doch ungeduldig. Er zog den Bauch ein und zwängte sich zwischen Martin und der Tür durch. Schelmisch klopfte er seinem Kumpel auf den Bauch: „Mach dich schlank, Marty. Ich hab noch ne Verabredung“, etwas leiser fügte er hinzu: „Mit April.“

Martins Augenbrauen wanderten augenblicklich in die Höhe und er verstand. Er machte seinem Freund endgültig Platz und klopfte ihm auf die Schulter: „Mach einen Haken drunter, Babyboy.“

„Mindestens!“, lachte Fireball, ehe er die Stufen hinunter rannte.
 

Schweigend waren April und Fireball nebeneinander zur Tiefgarage des KOKs geschlendert. April folgte der Gestalt ihres ehemaligen Kollegen. Sie musterte ihn immer wieder. So unangenehm dieses Schweigen auch hätte sein können, zumindest April empfand es nicht so. Sie genoss die Ruhe, die höchstwahrscheinlich wieder einmal vor dem Sturm kam. Die letzten Monate hatte sich stetig alles in Wohlgefallen aufgelöst, zumindest für sie. Dennoch hatte sie oft auch an den Wildfang denken müssen. Colt und Saber waren einfühlsamer und aufmerksamer geworden, nachdem sie von der gescheiterten Beziehung erfahren hatten. Die Blondine hatte nicht mehr nur Alex an Board, auf den sie sich verlassen konnte, auch ihre beiden engsten Freunde konnte sie wieder uneingeschränkt an ihrem Leben teilhaben lassen. Das hatte sie in den nächsten Wochen allerdings auch bitter nötig gehabt. Es war ihr schlecht gegangen. Phasenweise hatte April die gesamte Männerwelt verflucht und sich selbst gleich mit, weil sie auf so jemanden wie Fireball hereingefallen war. Aber das hatte sich stetig gebessert. Der Abstand hatte ihr gut getan, hatte sie ein Stück weit vergessen lassen können, wie schmerzhaft Abschiede und auch Wiedersehen sein konnten. An diesem Tag war sie endlich so weit gewesen, den Kontakt zu Fireball wieder zu suchen. Nachdem sie seinen Geburtstag völlig ignoriert hatte, hatte sie diesen Tag heute nicht vergessen können. Je näher er gerückt war, desto öfter hatte sie von damals geträumt und die Geschehnisse waren wieder in ihr Gedächtnis zurück gekehrt. April hatte sich dabei ertappt, wie sie danach oft an Fireball gedacht hatte und wie er sich wohl fühlen musste, jetzt wo dieser besondere Tag wieder näher kam. Sie hatte gedacht, sie wäre die einzige, die wüsste, was in der Vergangenheit genau passiert war, deswegen hatte sie sich dazu entschieden, ihm eine kleine Aufmerksamkeit zu schicken. April hatte Fireball mit dem Cupcake und der Karte lediglich zeigen wollen, dass sie an ihn dachte und er nicht alleine war. Ehrlich gestanden hatte sie nicht damit gerechnet, dass er gleich zu Ramrod gestürmt kommen würde, wenn er sein Geschenk sah. Aber auch April bemerkte einmal mehr, dass man seinem Schicksal nicht davon laufen konnte. Es verfolgte einen regelrecht.

Als Fireball vor seinem Wagen stehen blieb und April aufforderte, Platz zu nehmen, staunte sie nicht schlecht. Nachdem sie auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte und Fireball ihr gentlemanlike die Tür geschlossen hatte, sah sie sich im Innenraum des roten Geschosses um. Die Sitze und das Lenkrad waren aus feinstem schwarzen Leder, die Armaturen leuchteten rot auf, als Fireball das Auto startete. Eines war April ziemlich schnell klar. Während Fireball aus der Parklücke fuhr, stellte sie fest: „Der ist neu, oder?“

„Neu ist relativ, Süße. Aber ja, ich hab den Wagen erst seit etwas über einem halben Jahr“, Fireball kniff die Augen zusammen, als das Auto ins Freie gelangte und ihm die Sonne ins Gesicht schien. Er konnte kaum etwas von der Straße erkennen, deswegen blieb er kurzerhand vor der Ausfahrt des Oberkommandos stehen. Sein Blick ging zur Mittelkonsole, dort hatte er doch eigentlich seine Sonnenbrille zwischengeparkt. Als er sie endlich auf der Nase trug und er wieder sah, wohin er steuerte, legte er den ersten Gang wieder ein und fuhr weiter.

April linste neugierig auf die Anzeigen. Vor allem aber wollte sie sehen, mit wie viel km/h der Tacho angeschrieben war. Das hätte sie mal lieber gelassen. April blieb die Luft weg: „Der geht ja dreihundert Sachen!“*

„Keine Sorge“, dieses Mal musste Fireball wirklich lachen. Er fühlte sich gelöst, alles an diesem Tag fühlte sich einfach nur gut und richtig an, deswegen kannte er auch keine Scheu, was seine Scherzchen betraf: „Der riegelt bei zweihundertfünfzig ab!“

„Sehr beruhigend“, entmutigt ließ sich April in ihren Sitz zurück fallen. Unnötigerweise überprüfte sie noch einmal, ob sie angeschnallt war. Angesicht der Geschwindigkeiten, die der Wagen erreichen konnte, erschien es April allerdings als unpassende Sicherung, lediglich angeschnallt zu sein. Ihrer Meinung nach sollten hier andere Sicherheitsmaßstäbe gelten: „Das Ding gehört auf eine Rennstrecke und nicht in den Straßenverkehr.“

Fireball grinste unverhohlen: „Ja, das ist wohl wahr. Auf der Rennstrecke kann er besser zeigen, was er kann.“

„Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, Fireball?!“, April richtete sich wieder auf und sah zu ihrem Fahrer hinüber. „Diese Höllenmaschine hat eine Rennzulassung?“

„Umgekehrt: Dieser Rennwagen hat auch eine Straßenzulassung. So wie mein alter Red Fury.“

„Du wirst es nie lernen, oder?“, völlig verständnislos kräuselte April die Nase. Dieser fast schon zwanghafte Hang zu schnellen und vor allem gefährlichen Maschinen war nicht normal. Sie würde seinen Fahrstil auf alle Fälle im Auge behalten. April wollte schließlich heil dort ankommen, wo auch immer Fireballs neue Bleibe lag.

Entgegen ihrer Befürchtung benahm sich der Japaner im Straßenverkehr äußerst vernünftig und vorschriftsmäßig. Erst in den Vororten von Yuma City endete ihre Reise. Fireball bog von der Hauptstraße ab und parkte nun doch wieder schwungvoller vor einem Mehrparteienhaus. Mit funkelnden Augen stellte er den Motor ab und stieg aus. April tat es ihm gleich. Sie war wirklich gespannt auf die Wohnung. Die blonde Frau folgte Fireball ins Gebäude und stand kurze Zeit später im Flur der Wohnung.

Fireball bat April galant herein, schloss hinter ihnen die Tür und schlüpfte ohne sich zu bücken aus seinen Schuhen heraus. Den Schlüsselbund legte er auf die Kommode. April sah sich aufmerksam um. Sofort stach ihr ins Auge, dass ihr nichts ins Auge fiel. Im Flur fanden sich keine Umzugskartons mehr, alles schien bereits ausgepackt und verstaut worden zu sein. Das war in der Wohnung auf dem Gelände anders gewesen. Monate nach seiner Versetzung war man noch beinahe über die Kartons gefallen, wenn man eingetreten war. Einladend hatte das verständlicherweise nie gewirkt. April schauderte, als sie daran dachte, wie unbehaglich sie sich dort immer gefühlt hatte. Sie fragte sich, ob sich Fireball dort wohl gefühlt hatte.

„Kommst du, oder willst du im Flur übernachten?“, als April ihm nicht in die Küche gefolgt war und auch nicht nachgekommen war, hatte Fireball sich wieder auf den Rückweg gemacht um nach ihr zu sehen. Plötzlich hatte ihn doch ein ungutes Gefühl beschlichen. Bei ihren letzten Treffen bei ihm zuhause war April oft gleich wieder gegangen. Ob sie nun auch wieder weg wollte?

Verwirrt, weil er sie aus ihren Gedanken gerissen hatte, blinzelte April. Sie schüttelte ihren Kopf und setzte sich in Bewegung. Ihre blauen Augen blieben allerdings aufmerksam. Die Wände waren alle weiß, es hingen keine Fotos oder Bilder dort. In der großen Küche, an die das Wohnzimmer unmittelbar anschloss, sah es ähnlich kahl an den Wänden aus. Blumen fanden sich hier ebenso wenig wie mal eine Kerze oder andere Dekorationsartikel. Während sie sich an den Esstisch setzte, fielen ihr plötzlich Martins Worte wieder ein. Der letzte Schliff würde diesen vier Wänden fehlen. Und das tat es ihrer Meinung nach auch. April bedankte sich still bei Fireball für das Gedeck und das Glas, danach wollte sie von ihm wissen: „Willst du hier drinnen eine Operation am offenen Herzen machen?“

Er verstand kein Wort. Mit einer Packung von Colts geliebten Guavensaft setzte sich Fireball an den Tisch. Seine Stirn hatte er in fragende Falten gelegt, weil er absolut nicht wusste, worauf April hinaus wollte.

Sie erklärte ihm leicht lächelnd schließlich: „Deinen Innenarchitekten solltest du verklagen, Fireball. Wo ist da denn die persönliche Note? Ich sehe keine Bilder an den Wänden, keine Pokale oder ähnliches. Es wirkt alles furchtbar steril.“

Ah, okay. Jetzt verstand auch Fireball. Er schob den Stuhl zurück, um wieder aufzustehen. Während er ins Wohnzimmer hinüber ging, rechtfertigte er sich: „Hab ich doch alles aufgestellt! Nur, weil du wieder Häkeldeckchen überall auslegen würdest, muss ich das nicht auch machen, Süße.“

Fireball war bei weitem nicht so entrüstet, wie er sich anhörte. Er öffnete die Balkontür, damit ein wenig frische Luft herein kam. Eigentlich war es eine Schande, an einem Vormittag wie heute in der Küche sitzen zu bleiben. Es roch so herrlich nach taufrischem Gras und Blumen. Wenn sie sich schon nicht raus setzten, so wollte er doch wenigstens etwas vom Sommer in der Küche haben. Lächelnd drehte er sich zu ihr um: „Außerdem wohn ich hier ganz alleine, da muss es auch nur mir gefallen.“

April stand ebenfalls auf. Ihr Brunch war zur Nebensache verkommen. Denn obwohl er sie angelächelt hatte, hatte sie den Vorwurf heraus gehört. Nie zuvor wäre ihr in den Sinn gekommen, dass er seine Freunde von Ramrod vermissen könnte. April trat auf ihn zu und musterte seinen Gesichtsausdruck. Jetzt endlich verstand sie. Wie vom Blitz getroffen murmelte sie: „Du warst viel alleine!“

„Mhm“, er nickte und begann mit April zu sprechen, wie er es vor seiner Versetzung zur Base hunderte Male getan hatte. Ruhig, ehrlich und zuweilen auch schonungslos: „Ich war sehr einsam in den ersten Monaten. Nichts hat funktioniert, ich hab nichts auf die Reihe gekriegt. Keiner in der Base wollte mit mir zusammen arbeiten. Kein Wunder, so wie sie vor den Kopf gestoßen worden sind. Die Jungs haben von Mandys Kündigung erfahren, als sie ihren letzten Arbeitstag dort hatte und schon von mir abgelöst wurde. Dem kleinen verzogenen Bengel, der nur dank seines großen Namens überhaupt Captain wurde.“

April nickte langsam. Es war also nicht gerade auf Begeisterung gestoßen, dass Mandarin gegangen war. Zu allem Überfluss hatten es ihre eigenen Angestellten erst an jenem Tag erfahren, als der junge Wilde zu ihnen gekommen war. Die blonde Navigatorin bekam allmählich eine Idee von den Nettigkeiten, die dort mit Sicherheit ausgetauscht worden waren. Immerhin wusste sie noch von den ersten Monaten mit Alex, wie Colt garstig geworden war. Das in dreißigfacher Ausführung nach den Erlebnissen in der Vergangenheit. Ihre Sorgen damals waren also berechtigt gewesen. April sah entschuldigend in seine dunklen Augen, ehe sie an ihm vorbei auf den Balkon hinausging.

Er hatte ihren Blick deuten können. Deswegen folgte er ihr und lehnte sich mit den Oberarmen gegen die Brüstung. Gedankenverloren blickte er in die Ferne, als er ihr endlich, viel zu spät, sein damals so schwer beladenes Herz ausschüttete.

Auch April begann zu erzählen. Die beiden standen lange auf dem Balkon in der warmen Frühsommersonne und sprachen sich aus. Lange schon hatten sie kein solch intimes Gespräch mehr geführt. Für beide war es eine Wohltat und endlich schien sich der Knoten zu lösen.

Aus der Vormittagsjause wurde schließlich ein gemeinsam gekochtes Mittagessen. April und Fireball hatten nach ihrer Affäre nun abschließen können und standen wieder da, wo sie vor der Reise durch die Zeit gestanden waren. Beide fühlten es. Während Fireball Musik zum Mitswingen einlegte, lachte er ungehalten: „Fehlen eigentlich nur noch Colt und Saber, dann wär das alte Dreamteam wieder komplett!“

„Die dürfen schon kommen, aber nur, wenn sie uns beim Kochen helfen!“, auch April lachte unbeschwert auf. Oh ja, gekocht hatten sie auf Ramrod meistens zusammen. Auch, wenn nur einer oder zwei am Herd gestanden hatten, die anderen waren immer zur Unterhaltung in der Küche gewesen und hatten kluge Ratschläge gegeben.

April erinnerte sich gerne an die Zeit zurück. Damals waren ihnen andere Widrigkeiten entgegengestanden, aber nichts, was ihre Freundschaft nicht hätte bewältigen können. Die teils erbitterten Angriffe der Outrider hatten sie erst zusammen geschweißt. Nun war vieles anders. Gefühle füreinander waren ihnen in die Quere gekommen, eine Versetzung, und irgendwo auch ein eigenständiges Privatleben, das sich außerhalb von Ramrod abspielte. Colt zum Beispiel packte seine Laufschuhe noch während der Landung aus, um so schnell wie möglich zu Robin und seiner kleinen Tochter zu gelangen. Saber hielt es da schon etwas länger auf Ramrod auf, doch auch den Highlander zog es zusehends nachhause.

Beim Essen erzählte April allerhand Neuigkeiten von Ramrod, was sich alles geändert hatte. Fireball hörte geduldig und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen zu. Ja, auf Ramrod herrschte nun ein anderes Regiment. Aber das tat es auch in der Base. Nach dem Essen war es an der Zeit, das Spiel umzudrehen. Fireball erzählte ihr, wie es in der Base wirklich zuging und welche Chaoten er da durchschleuste. Er gab die Geschichte zum Besten, wie er Stan monatelang in dem Glauben gelassen hatte, dass er die Anmeldung für die Flugwettbewerbe nicht gemacht hatte. Er beendete seine Geschichte mit den Worten: „Das war die Strafe für seinen Aufnahmetest, den er mit mir durchgezogen hat.“

Irritiert zog April die Augenbrauen nach oben und blickte Fireball an. Ihr stummes „Welcher Test?“ hatte der Pilot auf Anhieb richtig verstanden: „Er hat mich eines Abends in die Mangel genommen, gleich nachdem ich versetzt worden war. Mein Knäckebrot hat einen verdammt guten Riecher, was Schwächen betrifft und da hatte ich reichlich. Die Versetzung in die Base meines alten Herren, meinen Dad selbst, meine engsten Freunde, die ich plötzlich nicht mehr um mich hatte… Tja, Stan hat ziemlich alles unschön zur Sprache gebracht, woran ich schwer zu knabbern hatte. Er wollte sehen, ob ich es wert bin, in der Base zu bleiben.“

„Und jetzt?“, April war gespannt auf die Antwort von Fireball. Sie verstand so vieles endlich besser und wer wusste schon, ob sich an ihrer Beziehung zueinander nicht etwas geändert hätte, wenn sie diese Geschichten alle gleich gehört hätte? Allerdings machte es keinen Sinn über die verschüttete Milch zu weinen, es war schließlich längst passiert.

Fireball stand auf und brachte das gebrauchte Geschirr zur Spüle hinüber. Dabei lächelte er versonnen: „Ich bin immer noch dort, also glaube ich, dass ich bestanden habe.“

April stand ebenfalls auf. Sie folgte ihm in die Küche, mit den leeren Salattellern. Aufmerksam beobachtete sie, wie er den Geschirrspüler befüllte. Die Navigatorin lehnte sich mit dem Becken gegen die Anrichte und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie überlegte. Sollte sie ihn nun darauf ansprechen? Sie hatten den halben Tag zusammen verbracht, als wäre nie etwas geschehen. Die Sprache war dabei kein einziges Mal auf ihre Beziehung gefallen oder was nun aus ihnen beiden wurde. April wollte es ein für alle Mal geklärt haben. Schließlich suchte sie all ihren Mut zusammen und fragte ganz unverblümt: „Wie soll’s mit uns beiden eigentlich weitergehen? Hast du da irgendeine Vorstellung?“

Behäbig schloss der Pilot den Geschirrspüler. Das hatte er sich in der Tat oft gefragt und war nie zu einer Antwort gekommen. Heute würde sich das ändern. Er spürte es bereits den ganzen Tag über. Irgendetwas lag in der Luft. Es hatte was von einem reinigenden Regenschauer gehabt. Da standen sie nun also, wieder bei null. Es war dieses Mal an Fireball, den ersten Schritt zu wagen, dank Aprils ersten Schritt standen sie schließlich hier. Er nahm ihre Hand, umschloss sie zärtlich. Gedämpft offenbarte er: „Egal, was ich gleich sagen werde, April. Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich dich nach wie vor sehr gerne habe und mir auch deine Freundschaft wichtig ist. Ich will dir nicht mehr weh tun. Deswegen glaube ich, wir sollten wirklich nur noch Freunde bleiben.“

„Nur noch“, wiederholte April leise. Sie verschränkte ihre Finger fester in seine. Ihr Blick senkte sich auf die Hände, die sich gegenseitig fest hielten. April musste doch schlucken, denn entgegen der letzten Monate, in denen sie sich eingeredet hatte, sie würde nichts mehr für ihn empfinden, vermeldete nun doch ihr Herz, dass da noch Ansprüche waren. Nicht zuletzt seine Versicherung, er würde sie immer noch sehr gerne haben, hatte in ihr wieder Gefühle hervor gerufen. April hatte Fireball trotz allem ebenfalls immer noch lieb. Mehr als einen Freund.

Beide schwiegen plötzlich betreten. Bis April ihre Hand aus seiner löste und sich an ihn kuschelte. Die blonde Frau schlang die Arme um ihn und drängte sich an seinen Körper. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, so wie sie es schon oft zuvor getan hatte und hauchte: „Nur noch Freunde. Das klingt, als wäre das nichts wert, Turbo. Mir wäre es lieber, wenn wir wieder so gute Freunde sein könnten, wie damals. Ich vermisse die alten Zeiten unheimlich.“

Die alten Zeiten. Beklommen schloss Fireball April in die Arme. Sie hatte ihn falsch verstanden. Mal wieder. Sanft streichelte er ihre blonde Mähne entlang über ihren Rücken. Sein Kopf senkte sich zu ihrem hinab. So eng umschlungen hatten sie schon lange nicht mehr da gestanden. Instinktiv wurde Fireballs Umarmung fester, er wollte sie so nahe an sich spüren, wie er konnte. Ach verdammt, er würde sie immer auf irgendeine Art und Weise lieben! Er flüsterte an ihr Ohr: „Ich bin stolz auf die tolle Freundschaft, die wir damals hatten, Süße. Und es wäre fantastisch, wenn wir wieder so zusammenwachsen könnten.“

Seine Worte waren ehrlich gemeint, seine Umarmung ebenso. April genoss seine Zärtlichkeiten und suchte seine Nähe noch bewusster. So hätte es sein müssen, schoss es ihr durch den Kopf. Sie hatte sich während ihrer Beziehung selten so geborgen gefühlt, wie in diesem Moment. Mehr hatte sie nie von ihm verlangt, aber nicht bekommen. Nach einer kleinen Ewigkeit schälte sich April aus der Umarmung. Sie sah zu Fireball auf, in seine dunklen Augen, sein freundliches Antlitz. April seufzte leise. Sachte strich sie seine braune Wuschelmähne aus der Stirn nach hinten. Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Nasenspitze und war zuversichtlich: „Es wird schon werden.“
 

Plötzlich öffnete sich die Wohnungstür und Schritte waren vom Flur her zu hören. Fireball zwinkerte April tröstlich zu, ehe er sie losließ. Voller Zuversicht, endlich mit April wieder vertraut umgehen zu können, stieß sich der Wuschelkopf ab. Er hatte die Schritte erkannt. Deswegen erklärte er April: „Das klingt nach meiner Nachbarin und ihrer Tochter. Erschrick bitte nicht, wenn du sie gleich siehst. Es ist absolut nicht so…“

Weiter kam der Japaner allerdings nicht, denn ein kleines Mädchen stieß wie selbstverständlich die Wohnzimmertür auf und stürmte auf den Hausherren zu. Sie warf die Arme nach oben und lachte quietschvergnügt auf, als sie Fireball entdeckte und er sie hochhob. Gleich hinter ihr betrat die Mutter des schwarzhaarigen Mädchens das Wohnzimmer. Als sie den Besuch hinter Fireball bemerkte, entschuldigte sie sich sofort: „Oh, du hast einen Gast hier. Komm, Ran, wir gehen besser wieder.“

Fireball schüttelte lächelnd den Kopf, das kleine Mädchen hatte er inzwischen schon auf den Schultern sitzen. Er begrüßte sie: „Nein, bleibt ruhig“, er drehte sich zu April um und stellte die beiden Damen vor: „April? Das sind meine Nachbarin Mai und ihre Tochter Ran. Mädels? Das ist April, eine sehr gute Freundin.“

April hatte beim ersten Anblick des kleinen Mädchens sofort begriffen, was Fireball ihr noch hatte vermitteln wollen. Mai und ihre Tochter waren Asiatinnen und vor allem das kleine Mädchen hatte verdammt viel Ähnlichkeit mit Fireball. Fast schwarze Augen, ebenholzschwarze Haare. Wer es nicht wusste, konnte wirklich glauben, da stünde eine Familie vor ihm. April schluckte ihr Erstaunen so gut es ging hinunter und gab Mai die Hand: „Freut mich, dich kennen zu lernen. Bleibst du zum Kaffee?“

„Wenn wir euch nicht stören“, lächelte die zierliche Japanerin in Aprils nettes Gesicht. Die beiden Frauen waren sich auf Anhieb sympathisch. April war zwar generell nicht der Typ, der Fremden gegenüber skeptisch war, aber die Geschichte hatte gezeigt, dass April vor allem bei anderen Frauen, die augenscheinlich einen Draht zu Fireball haben könnten, irgendwie eifersüchtig war. Dieses Mal war es anders. April hatte zwar sofort bemerkt, dass sich die drei gut verstanden, aber es war für sie kein Problem.

Mai hingegen hatte sich von April gleich aufgenommen gefühlt. Sie mochte die blonde Frau bereits jetzt, obwohl ihr Fireball nie von ihr erzählt hatte. Und eines war ganz sicher. April war noch nie hier gewesen, das hätte Mai irgendwann mitbekommen. Die Asiatin war kurz nach Fireball hier eingezogen, gleich in die Wohnung nebenan. Die Möbelpacker hatten sie mit dem Aufbau allein gelassen, sie wären nur für den Transport von A nach B verantwortlich, aber nicht für das Aufstellen der Möbel. In ihrem Dilemma, völlig alleine eine komplette Wohnung möblieren zu müssen, war am Abend ihr Ritter in der – in seinem Fall – roten Rüstung mit einem seiner Freunde vor ihrer Wohnungstür stehen geblieben und hatte sich ihrer erbarmt. Fireball hatte mit Martin damals noch ein paar Jungs zusammen getrommelt, die ihnen beim Aufbau der Möbel geholfen hatten. Seither waren sich Mai und ihr Nachbar immer wieder mal gegenseitig eine große Hilfe.

Fireball hatte Ran inzwischen wieder auf ihre eigenen Beine gelassen und die beiden Frauen einen Moment lang beobachtet. Als er das Schweigen bemerkte, erklärte er April lachend: „Mai hilft mir mit meinem Männerhaushalt, darum sieht’s hier auch aus wie geleckt. Dafür erledige ich für sie ein paar Hausmeistertätigkeiten.“

April kicherte: „Und ich hab mich schon gefragt, wann du gelernt hast, wie man Hemden bügelt! Ich hätt’s wissen müssen.“

Demonstrativ zupfte April nun an seinem T-Shirt und betrachtete es auffallend kritisch. Hausmänner hatte es nie an Bord von Ramrod gegeben. Einzig Colt war in der Vergangenheit zu einem degradiert worden, weil sie nicht zu oft in der Öffentlichkeit gesehen werden durften. Wie sehr er es gehasst hatte, hatte man nach ihrer Rückkehr noch bemerkt. Colt weigerte sich vehement, Wäsche zu waschen oder zu putzen. Er hatte laut seinen eigenen Aussagen für die nächsten fünf Dienstjahre genug Hausarbeit erledigt. Auch Saber war kein guter Hausmann, obwohl er sehr ordentlich war. Und der ehemalige Pilot von Ramrod? Der war haushaltstechnisch eine absolute Katastrophe gewesen. Alles, was über die Küche und das Geschirrspülen hinausgegangen war, war ein völliges Desaster gewesen. Lachend wandte sie sich nun Mai zu: „Ist er dir wenigstens unendlich dankbar dafür, dass du ihn nicht wie den letzten Menschen herumlaufen lässt? Wenn nicht, dann stell deine Hilfe augenblicklich wieder ein.“

Lachend verteidigte sich Fireball, während er sein Shirt unter Aprils prüfenden Fingern hervor zog: „Nur zur Information, Süße. Das hier hab ich selbst gebügelt. Mai ist doch nicht meine Putze!“

„Eine Putzfrau müsstest du auch bezahlen, mein Lieber!“, Mai verschränkte die Arme vor der Brust. Demonstrativ stellte sie eine ernste Miene zur Schau, konnte diese aber nicht lange aufrechterhalten. Schon beim nächsten Atemzug lachte die Japanerin ungezwungen auf. Keine Frage, sie fühlte sich hier unglaublich wohl. Ebenso wie ihre Tochter. Mai riskierte einen Blick auf das spielende Mädchen. Ran hatte sich gleich einen Kugelschreiber und Papier vom Tisch gemopst und zeichnete nun munter drauf los.

„Oho, so genau will ich es gar nicht wissen“, lachte April munter auf. Fireballs Nachbarin hatte Humor, das war in diesem Moment klar geworden. Ramrods Navigatorin konnte sich gut vorstellen, wie heiter es werden konnte, wenn auch noch jemand wie Colt zu dieser Runde stoßen würde. April sah zu dem kleinen schwarzhaarigen Mädchen hinunter. Sie wusste augenblicklich, womit Colt ihren Kumpel aufziehen würde. Ihre Augen wanderten wieder zum Piloten hinauf, dabei schmunzelte sie. Ihre Gedanken brachten sie zum Lächeln. Der Kindskopf hatte schon immer ein Händchen für Kinder gehabt. Das war nicht erst bei ihrem Abenteuer mit Miss Sincia aufgefallen.

Schließlich entschlossen sich die drei Erwachsenen sich selbst und dem Kind etwas Gutes zu tun. Sie bereiteten sich eine große Thermoskanne Kaffee vor, packten einige Becher und auch etwas zu trinken für Ran ein und gingen in den Garten hinunter. Das Mädchen sollte die wärmenden Sonnenstrahlen genießen können. Wo die Großen ihren Kaffee tranken, war in diesem Fall nicht so wichtig. Lustig war es auch so. Und auch für Ran war es auf dem kleinen Spielplatz vor dem Haus nicht langweilig. Einige Nachbarskinder waren ohnehin auch dort und sie hatte schnell einen Spielkameraden für die Sandkiste gefunden.
 

Aus dem gemütlichen Nachmittag war schließlich ein lauer Abend geworden. Mai und Ran hatten sich noch vor Sonnenuntergang von ihrem Nachbarn und seiner Freundin verabschiedet, dafür war nicht allzu viel später Martin aufgetaucht.

Der Brasilianer hatte den ganzen Tag nichts von seinem Boss gehört. Gut, das war zwar nicht ungewöhnlich, wenn der Hitzkopf seinen freien Tag hatte, allerdings in diesem Fall doch, weil eben April hier war. Martin hoffte, dass sich nun endlich mal alles halbwegs einrenken würde. Er und auch seine besser Hälfte, Alessa, wünschten es sich. Nicht etwa, weil ihnen dann eine Menge erspart bliebe, sondern weil sie dem Freund nur das Beste wünschten. Und dazu gehörte schließlich auch, dass der sein junges Leben genoss.

„Störe ich die traute Zweisamkeit?“, nach einem leisen Klopfen trat er ins Wohnzimmer. April und Fireball saßen gerade auf dem Sofa und unterhielten sich. Nach diesem Tag hatten sie irgendwann beim Abendessen beschlossen, alte Geschichten von Ramrod aufzuwärmen. Die guten alten Zeiten, alle vermissten sie manchmal.

Während April ertappt verstummte, nickte der Rennfahrer in Martins Richtung: „Nö, gar nicht! Komm rein und hol dir was zu trinken. Wir geben grad ein paar Ramrodklassiker zum Besten.“

Der Brasilianer verschwand in der Küche und tat wie ihm geheißen. Mit einem kühlen Getränk fand er schließlich zu seinem Boss und dessen Freundin aufs Sofa. Martin setzte sich auf die Lehne, sein Getränk stellte er vor sich auf den niedrigen Tisch ab. Einen Moment lang beobachtete er noch April und Fireball, ehe er ohne gehässige Hintergedanken wissen wollte: „Darf man fragen, wie’s aussieht?“

Während April begann, sich plötzlich unwohl zu fühlen, kratzte sich der Pilot etwas verlegen am Hinterkopf. Die Navigatorin rutschte auf ihrem Platz herum, wusste nicht mehr so recht, wie sie sitzen sollte. Martins Frage war ihr ganz offensichtlich unangenehm. Fireball jedoch wusste, was er fühlte, wusste, wie sich sein weiteres Schicksal in den Kreislauf des Lebens fügen würde. Alles war vorherbestimmt, und nach dem Regen kam wieder der Sonnenschein. Der Wuschelkopf warf April einen kurzen Blick zu, dann stichelte er in Martins Richtung: „Geht’s dich was an, Rubario?“

„Na, hör mal!“, beschwerte sich der Angesprochene auch prompt. Da kam er sich doch gleich wieder von Fireball veräppelt vor. Martin hatte gedacht, dass sich in den letzten Wochen und Monaten alles in freundschaftliche Gefilde entwickelt hatte. Da hatte er die Rechnung wohl ohne den Wirt gemacht, denn offenbar sollte der Brasilianer wieder von den Ereignissen ausgeschlossen werden. Seine Augen verfinsterten sich enttäuscht.

Fireball lachte munter auf, als er Martins Reaktion beobachten konnte. Gelöst ließ er sich nach hinten sinken. Ihm ging es so unglaublich gut an diesem Tag, und das ohne Grund. Fireball hatte es beim Aufstehen schon bemerkt, heute war sein Tag. Alles fügte sich, rückte sich selbst wieder zurecht und war einfach nur wunderbar. Er blinzelte Martin an: „Sei doch nicht beleidigt, Marty. April und ich haben uns ausgesprochen“, nun ruhten seine warmen braunen Augen auf ihr, seine Hand wanderte zu ihrer hinüber: „Wir sind Freunde. Hoffentlich irgendwann wieder so gute Freunde wie vor meiner Versetzung, aber wichtig ist, dass wir uns wieder verstehen.“

Der größere Pilot schielte zu April hinüber. Irgendwie war er immer noch enttäuscht. Aber das würde er niemals offen zugeben. Er und Alessa hatten lange und viel über das Gespann, das vor ihm saß, gesprochen. Sie hätten ihrer Ansicht nach gut zueinander gepasst, die Umstände waren nur leider nicht entsprechend gewesen. Martin bedauerte es irgendwie. Aber zumindest lächelten beide. Sie schienen mit dem momentanen Status zufrieden zu sein. Immerhin war es mehr, als in den letzten Monaten, da hatte niemand gewagt, die beiden überhaupt noch als Freunde zu titulieren. Ein mildes Lächeln erschien auf Martins Lippen, als er verständnisvoll nickte. Eine Freundschaft war mehr wert als eine Beziehung es manchmal sein konnte. Seine Aufmerksamkeit wanderte zu seinem Boss hinüber. Der schien mit sich völlig im Reinen zu sein. Eine tolle Entwicklung, wenn man ihn mit dem Häufchen Elend verglich, das er vor kurzem noch gewesen war.

„Das ist doch schon mal was“, war sich Martin sicher. Er prostete den beiden zu. Als schließlich auch Alessa direkt von der Arbeit zu Fireball nachhause fand, war das der Beginn eines netten und lustigen Abends. Es wurde gespielt, geplaudert und sich näher kennen gelernt. Martins rothaarige Verlobte freute sich über die Gelegenheit, auch April endlich besser kennen lernen zu können. Sie hatte bisher nicht viel mit dem weiblichen Star Sheriff zu tun gehabt. Alessa war es deswegen oft schwer gefallen, mit Martin über das Beziehungsdesaster zu sprechen, immerhin kannte sie anfangs nur eine Seite und die auch nur aus zweiter Hand, nämlich von ihrem Freund. Aber nun, so schien es der sensiblen Frau, stand neuen gemeinsamen Abenteuern nichts mehr im Weg.

Aufbruch

Als April am nächsten Morgen wieder zu Ramrod zurückkam, saßen ihre drei Männer bereits beim Frühstück und unterhielten sich. Fireball hatte die Navigatorin kurz nach Mitternacht in ihre Wohnung gebracht, gleich nachdem auch Martin und Alessa nachhause gefahren waren. Nach einer kurzen Nacht und einer kleinen Katzenwäsche zuhause hatte sie sich auf den Weg zur Arbeit gemacht. Fröhlich ging sie den Flur zur Küche entlang, bis sie die Stimmen ihrer Freunde und Kollegen vernehmen konnte. Irritiert blieb April vor der Tür stehen. Weshalb waren die drei so ungewöhnlich laut? Worüber sprachen sie bloß? Sie wollte nicht in ein Gespräch platzen, weshalb April nahe der automatischen Tür stehen blieb und erst einmal auszumachen versuchte, worum es in dem Gespräch der Jungs ging. Gespannt spitzte sie die Ohren.

Während Saber pflichtbewusst bereits um kurz vor acht Uhr an Bord gewesen war, hatten Colt und dieses Mal auch Alessandro wesentlich länger gebraucht um zur Arbeit zu kommen. Der Cowboy war ganz einfach nicht aus dem Bett gekommen, der Italiener jedoch war bei seinen alten Mannschaftskameraden auf Besuch gewesen. Konkret hatte er Martin in aller Herrgottsfrühe aufgesucht, am Vortag war er zu verwirrt gewesen, um sich die unglaubliche Geschichte bestätigen zu lassen. Weil er aber nicht nach der Beantwortung seiner dringlichen Frage einfach so hatte gehen können, war er für die Länge eines guten Kaffees geblieben. Irgendwie hatte den Italiener nun zum ersten Mal doch so etwas wie Heimweh ereilt. Gleich nach seiner Versetzung hatte er sich oft zu seiner alten Crew zurück gewünscht, weil Colt ein Ekelpaket erster Güte gewesen war. Aber das hatte sich im Laufe der Monate relativiert. Der dunkelblonde Mann war eigentlich gerne auf Ramrod, nicht nur, weil er in den anderen Teammitgliedern zu guter Letzt auch Freunde gefunden hatte. Vor allem ein Grund hatte Alessandro dazu bewogen, auf Ramrod bleiben zu wollen. Nach der Geschichte gestern allerdings hatte er Magenschmerzen bekommen. Alex hatte sich alles zusammen gezogen, als er von Ramrods Panoramafenster aus zugesehen hatte, wie April mit Fireball weggefahren war. Da hatte sich zum ersten Mal ein Gefühl in ihm breit gemacht, das er nicht verstanden hatte. Alex hatte darüber nachgedacht, dass er den verwöhnten Stoppel in den ersten Wochen nicht ungerne gemocht hatte. Als er von der heimlichen Beziehung erfahren hatte, war die Stimmung zwischen den beiden Männern allerdings gekippt. Seither kam er nicht umhin, dem Captain jedes Mal verächtliche Blicke zuzuwerfen, wenn sie sich begegneten. Beide waren allerdings bisher erwachsen genug gewesen, um sich zu tolerieren wenn sie es mussten, unterschwellig ihrem Unmut Luft zu machen und sich ansonsten aus dem Weg zu gehen. Nun allerdings hatte Alessandro am Vortag zum ersten Mal gesehen, wie es wirklich war, wenn Fireball und April etwas zusammen unternahmen. Bisher hatte er es nicht gewusst, denn er hatte die beiden nie miteinander gesehen. Das alles war seiner Fantasie überlassen gewesen. Wie gesagt, er hatte den beiden jüngeren am Vortag nachgesehen, und irgendwie hatte es ihm nicht gefallen. Weil April zudem bis zum Dienstschluss nicht zurückgekommen war, hatte bei dem Italiener wieder einiges zu schwelen angefangen. Ihm gefiel nach wie vor nicht, was er sah. Die Hintergrundinformation machte es nicht besser.

Als er an diesem Morgen von seinem Abstecher bei Martin zurückkam, hatte Saber natürlich wissen wollen, wo er gewesen war. Das hatte Alessandro nur leider nicht sonderlich geschmeckt, denn April war schließlich auch noch nicht da und hatte sich zu allem Überfluss auch seit fast einem Tag nicht mehr bei ihnen gemeldet. Ehe er sich versehen hatte, fand sich Ramrods Pilot in einem Disput mit Colt und Saber wieder. Schnell ging es dabei nicht mehr um das fehlende Pflichtbewusstsein der Ramrodcrew.

Saber fuhr dazwischen, als Colt den Piloten zum wiederholten Mal beleidigt hatte: „Schluss jetzt, ihr beiden! Kriegt euch ein!“

Doch das Gemüt eines aufgeregten Südländers war noch schwerer zu zügeln, als das eines Scharfschützen, der sich völlig im Recht sah. Saber bekam von Alex einen vernichtenden Blick zugeworfen, ehe er mit einer Handbewegung alles bisher Gesagte vom Tisch wischte: „Ihr beide könnt euch die Heiligenscheine wieder abmontieren. Mit der Vorgeschichte lasst ihr Babyboy auf April los! Dem Jungen sollte man mal Respekt eintröten. Ich wette, er hat unserer süßen Prinzessin wieder irgendwas vom Himmel herunter gelogen, damit er sie flachlegen kann.“

„Jetzt mach aber mal einen Punkt, Pate!“, angekratzt sprang Colt von seinem Platz auf. Er war kurz davor, seinem neu gewonnen Freund eine zu scheuern. Nicht nur, weil er so abfällig von seinem kleinen Bruder sprach, sondern auch, weil er April keinerlei Selbstbestimmung in diesem Punkt ließ. Für den Hutträger ungewöhnlich weit denkend maulte er Alex über Saber hinweg an: „Punkt eins. Nur weil du gestern von unserem Abenteuer vor dem ersten Angriff gehört hast, brauchst du dir nicht einzubilden, dass du irgendwas von dem weißt, was wirklich dort los war! Und Punkt zwei. Von wem sich unsere Prinzessin“ Colt betonte die beiden Worte unmissverständlich: „um den Finger wickeln lässt, überlässt du ihr gefälligst selbst. Dazu gehören immer zwei. Und nachdem die ganze Sache sowieso ordentlich in die Hose gegangen ist, sollten wir froh sein, dass sie zumindest an ihrer Freundschaft arbeiten. So, wie’s das letzte Jahr war, war es einfach nur scheiße!“

Alex krallte die Finger in die Tischplatte und funkelte Colt bitterböse an. Er fauchte: „Ist ja auch kein Wunder! Schaut euch Hampelmänner doch mal an! Blind seid ihr gewesen, beide! Keiner von euch beiden hat irgendwann mal mitgekriegt, dass April heimlich weint. Wenn das Jahr für dich schon scheiße war, dann frag ich mich, wie es erst für April gewesen sein muss?! Mit einem Kerl zusammen zu sein, der sich einen Dreck darum kümmert, wie es ihr geht. Der nimmt ihre Zuneigung als selbstverständlich hin und verschwendet keinen Gedanken daran, ihr welche entgegen zu bringen.“

„Kannst du mal eben fünf Minuten für mich abzweigen, Sandro?“, an diesem Punkt hatte sich April dazu entschlossen, einzugreifen. Hier ging es um sie und Fireball. Aber die drei Sturköpfe in der Küche hatten über sie gesprochen, wie über zwei entmündigte Kinder. April sah Saber und Colt jeweils vorwurfsvoll an, danach blieben ihre zwei blauen Augen auf Alessandro ruhen. Der Italiener war ein guter Freund geworden. Hatte sie gestern noch gedacht, das Lüften ihres Geheimnisses würde für Alex Klarheit bringen, so war sie noch vor dem ersten richtigen Schluck Kaffee eines Besseren belehrt worden. Alex hatte wohl noch weniger verstanden, als sie es gehofft hatte.

Weil der Italiener sie aber nur erschrocken anstarrte, griff sie nach seiner Hand und zog ihn kurzerhand mit sich mit. An Colt und Saber gewandt meinte sie: „Ihr entschuldigt uns mal eben?“
 

„Es ist schön, dass du dir Sorgen machst“, begann April, nachdem sie mit Alessandro im Kontrollraum angekommen war. Unmissverständlich ließ sie ihn aber auch wissen: „aber ich bin kein kleines Kind mehr. Sandro, ich bin froh um den Trost, den du mir seit jeher gespendet hast. Aber ich glaube, ich sollte dir da etwas erzählen.“

Die blonde Navigatorin ging zum Panoramafenster vor. Sie blickte auf das geräumige Flugfeld, das vor Ramrod lag, hinunter. An diesem Morgen herrschte wieder mehr Betriebsamkeit, da zumindest eine Flugstaffel in den Himmel aufgescheucht worden war.

Ohne sich umzuwenden, begann April ihrem Vertrauten zu erklären: „Ich hab irgendwie das Gefühl, dass Turbo zumindest bei dir gestern mehr Verwirrung als Klarheit gestiftet hat.“

Der Italiener hatte sich völlig überrumpelt von April mitziehen lassen. Nun stand er neben seiner Satteleinheit und musterte die Freundin aufmerksam. Was sie wohl alles von seinem Streit mit Colt und Saber gehört hatte? Sein Blut kochte nach wie vor, bei dem Thema kam es ohnehin seit geraumer Zeit immer in Wallung. Alessandro glaubte nach allem, was er bisher über Fireball wusste und was er selbst erlebt hatte, nicht, dass es der kurzgeratene Captain ehrlich meinte. Etwas ruppig unterbrach er April: „Das gestern hat mir nur eines bestätigt, süße Prinzessin.“

Fragend eiste April ihren Blick vom Gebäudekomplex der Air Strike Base 1 ab und ihrem Gesprächspartner zu. Die Blondine ließ einen Arm locker hinab hängen, während sie sich mit dem zweiten am Ellbogen festhielt. So hatte sie die Arme nicht verschränkt, stand allerdings dennoch nicht ganz schutzlos vor ihrem neuen Beschützer.

Alex lehnte sich gegen seine Satteleinheit, kreuzte die Beine und musterte die blonde Frau unverhohlen. Seine Kollegin war hübsch. Darüber hinaus auch noch intelligent, aber in Herzensangelegenheiten blind. Das zumindest glaubte der Italiener. Schließlich kannte er sich damit aus. Er war selbst einmal naiv gewesen und hatte geglaubt, seine Freundin würde für immer an seiner Seite bleiben. Blöd nur, dass sie das während ihrer Beziehung einem anderen versprochen hatte. Er seufzte bei dem Gedanken daran. Seither hatte er keine Beziehung mehr haben wollen. Verraten und verkauft hatte er sich anfangs gefühlt, tat es insgeheim immer noch. Der Schmerz über den Betrug saß bei dem dunkelblonden Mann unglaublich tief. Er ging davon aus, dass es zwangsläufig nicht funktionieren konnte, wenn man sich kaum sah. Alex glaubte auch, dass im Laufe der Zeit auch Saber und Colt sein Schicksal teilen würden. Männer in Uniform hatten auf Frauen anfangs immer einen gewissen Reiz, erst mit dem Zusammenleben zeigten sich die Kehrseiten. Soldaten lebten gefährlich, waren kaum zuhause. Keiner würde ewig auf seinen Partner warten.

Alex knurrte: „Er macht, was er will. Passt was nicht in sein Konzept, macht er es sich passend. Das macht er mit der Base. …Und auch mit dir. Jetzt, nach Monaten kommt er wieder angekrochen, nachdem er dich vorher abserviert hat!“

Aprils Gesichtsausdruck verfinsterte sich bei Alex‘ Worten. Doch sie erkannte auch die Sorgen, die sich hinter seiner rüden Ausdrucksweise verbargen. Der Italiener meinte es gut mit ihr, machte sich Gedanken um ihr Seelenheil. Ein Bisschen ärgerlicher, weil auch sie lange nicht gesehen hatte, was mit ihrem Freund wirklich los war, wischte sie Alex‘ Argumente von sich: „Shinji hat sich genauso zu fügen, wie wir alle. Hätte er eine Wahl gehabt, wäre er bei Ramrod geblieben“, wieder beherrschter, aber auch resignierter fuhr April fort: „Es gibt da etwas, das du wissen solltest, Sandro. Vielleicht verstehst du ihn und mich dann besser.“

„Was gibt’s da noch besser zu verstehen?“, ungläubig richtete sich Alessandro wieder auf. Er verlieh seiner Fassungslosigkeit Ausdruck: „Er macht mit dir, was er will!“
 

Auf Fireball hatte an diesem Morgen wieder eine Überraschung gewartet. Noch vor Dienstbeginn sollte er sich bei Commander Eagle melden. Das hatte der Wirbelwind auch getan. Nun stand er in voller Montur seit geschlagenen fünfzehn Minuten bei Eagles Sekretärin am Empfang und wartete darauf, dass der Commander für ihn Zeit hatte. Er hatte mit seinen Jungs zu einem Trainingsflug aufbrechen wollen, doch nachdem es dringlich gewesen war, hatten an diesem Morgen Olli und Stan das Kommando für ihre beiden Trainingsgruppen übernommen.

„Wartest du schon lange, Shinji?“, lächelnd trat der Commander neben seinen persönlichen Schützling. „Entschuldige, ich habe gerade noch das Telefonat beenden müssen.“

„Schon okay. Wenn der Chef ruft, muss man spurten!“, er lächelte leicht, während er Commander Eagles Sekretärin zum Abschied zuwinkte. Schnellen Schrittes folgte er seinem Boss in dessen Büro. Commander Eagle hatte wie immer viele Termine und noch mehr zu tun, Fireball erkannte, dass die Besprechung mit ihm hastig zwischen zwei Termine geschoben worden war.

Kaum hatte Fireball die Tür hinter sich zugezogen, fiel Commander Eagle schon mit der Tür ins Haus. Er wollte von Fireball wissen: „Deine Crew hast du soweit im Griff?“

Aprils Vater fragte das lediglich aus Routine heraus. In den ersten Monaten hatte er diese Frage lieber gar nicht gestellt, er hatte die Antwort ohnehin gekannt. Charles hatte sogar Angst gehabt, den jungen Spund wieder von dem Posten abziehen zu müssen, weil es ganz nach einem Fehlschlag ausgesehen hatte. Gerade noch in letzter Minute hatte Shinji die Kurve gekratzt. Seither allerdings stieg das Ansehen der Base wieder steil an und das Vertrauen in seinen persönlichen Schützling war berechtigt gewesen. Seither stellte der bärtige Kommandant die Frage jedes Mal, wenn er Fireball traf.

Fireball klemmte seinen Helm besser unter dem linken Arm fest, während er schmunzelte: „Noch hat keiner gemeutert.“

„Sehr gut“, lächelte auch der Commander. Da seine Zeit leider begrenzt war, kam er ohne Umschweife zum Thema: „Traust du dich mit ihnen mal vom heimatlichen Hafen weg?“

„Wohin sollen wir?“, etwas überrascht verzog Fireball nun doch das Gesicht. Auf Manöver war er im Augenblick nicht eingestellt. Gerade jetzt, da endlich mal alles halbwegs in geordneten Bahnen verlief. Aber er würde den Marschbefehl befolgen, egal wohin die Reise ging.

Commander Eagle reichte dem jungen Captain ein Memo und erklärte ohne Umschweife: „Ich möchte dich und deine Jungs ins Königreich Jarr schicken. Es wird Zeit, die damals erworbene Koalition zu festigen. Wie wichtig dieses Manöver ist, brauche ich dir wohl nicht zu erklären.“

Shinji schluckte kaum merklich, als er auf das Papier linste. Die Base würde drei Monate nicht in Yuma sein. Vorerst. Eine Option, den Austausch zu verlängern hatten sich sowohl der Commander auch als König Jarred behalten. Das waren ja schöne Aussichten. Fireball faltete das Papier, währenddessen antwortete er mit einem kurzen Nicken: „König Jarred wird das Bündnis erneut aufkündigen, wenn etwas schief läuft“, etwas nachdenklicher wollte er von Commander Eagle wissen: „Weiß der König, wer ihn besuchen kommt?“

Der Commander hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt und noch schnell einige Unterlagen für das nächste Meeting herausgesucht, mit einem Ohr war er bei seinem Captain. Mit einem sanften Lächeln bestätigte er: „Jarred weiß, dass die berühmt berüchtigte Air Strike Base 1 zu ihm kommt. Er hat extra um die beste Einheit gebeten.“

„Toll! Da hab ich glatt noch einen Ruf zu verlieren“, lächelnd, aber doch auch etwas überfordert, kommentierte Fireball das blinde Vertrauen, das ihm Commander Eagle seit geraumer Zeit wieder entgegen brachte. Es gipfelte seit dem ersten Angriff, den er in der Base geflogen hatte, neuerdings in der Bezeichnung, die Base sei wieder die beste Einheit.

Fireball salutierte, er hatte bereits beim Eintreten bemerkt, dass Commander Eagle kaum Zeit hatte, und verabschiedete sich: „Dann pack ich meinen Welpenstall mal zusammen und fackel zur Abwechslung das Königreich ab.“

Commander Eagle sah auf. Wie er so da stand, der junge Captain Hikari, da war er seinem Vater schon sehr ähnlich. Kopfschüttelnd tat der Commander diesen Gedanken ab. Fireball ging seinen eigenen Weg, das war gut so. Er würde seine Aufgabe gut erledigen. Das wusste der Befehlshaber der Sektion West bereits.
 

„Kumpel, dein Navi lässt dich neuerdings verdächtig oft im Stich. Du bist da hinten schon wieder falsch abgebogen“, Colt lachte ausgelassen auf, als Fireball den zweiten Morgen in Folge auf Ramrod eintrudelte.

Auch Saber ließ sich zu einem schelmischen Spruch hinreißen: „Ist dein Heimweh nach uns wirklich so groß geworden?“

Colt und Saber waren gerade damit beschäftigt gewesen, dem Kontrollraum nicht zu nahe zu kommen und hatten sich deshalb mit Haushaltsarbeiten abgelenkt. April und Alessandro hatten sich schon über eine halbe Stunde dort verschanzt. Vor allem Colt fand das bedenklich, doch Sabers Argumente hatten ihn bisher davon abhalten können, einfach hinein zu stürmen.

Fireball legte seinen Helm auf der Anrichte ab. Seine Augen beobachteten genau, was sich im Raum tat. Auf Colts dämlichen Spruch hatte er eine passable Antwort: „Keine Angst, Cowboy. Mein Navi funktioniert. Ihr seid nur die Ausweichroute, weil meine Jungs noch nicht mit ihrem Training fertig sind.“

Irritiert ließ Saber seinen Lappen in die Spüle sinken und wandte sich zu Fireball um. Er betrachtete den Piloten. Er stand in voller Montur dort, sogar seinen Helm hatte er mit gehabt. Wenn seine Crew noch beim Trainingsflug war, weshalb war der Rennfahrer nicht mit in den Himmel aufgestiegen? Oh, Saber ahnte dabei nichts Gutes. Er lotste sowohl Colt als auch Fireball zum Küchentisch hinüber. Dabei sprach er seine Vermutung aus: „Korrigier mich, wenn ich mich irre. Aber normalerweise sind die Captains mit der Crew in der Luft. Wieso du nicht? Gibt’s Ärger?“

Fireball verdrehte die Augen. War ja klar gewesen, dass Saber nach all den Strapazen und Hindernissen wieder glaubte, er hätte Ärger an der Backe. Das verlangte nach Rache. Also packte der Japaner das Memo, das er von Commander Eagle bekommen hatte, auf den Tisch und ließ seine Freunde wissen: „Ich wollte mit meiner Crew gerade raus, als Aprils Dad mich ganz dringlich sprechen wollte. …Tja, eine halbe Stunde später sitz‘ ich nun hier und darf euch sagen, dass ich wieder wegversetzt werde“, er machte eine kunstvolle Pause um die Reaktionen seiner Freunde zu beobachten. Tatsächlich guckten die beiden etwas bedröppelt aus der Wäsche. Fireball schob den Zettel zu Saber hinüber: „Und zwar gleich mit der gesamten Mannschaft ins Königreich Jarr. Für zumindest drei Monate. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob es eine Ehre ist, oder ein böses Omen.“

Colt stieß sich den Hut aus der Stirn und pfiff kurz. Das war definitiv wieder mal eine Überraschung mit ungewissem Ausgang. Der Cowboy sah von dem Zettel auf und zu seinem Hombre hinüber. Er war sich nicht sicher, ob das Manöver eine so gute Idee von Commander Eagle war. Der Knirps da drüben hatte es doch erst vor einigen Wochen geschafft, ein richtiger Captain zu werden und sein Leben in den Griff zu kriegen, da standen wieder Veränderungen ins Haus.

Saber schien ähnliche Gedanken zu haben. Denn er nickte sorgenvoll: „Da kann man nur hoffen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. …Siehst du dich der Sache gewachsen, Fireball?“

„Muss ich wohl, ansonsten geht das Bündnis mit König und Prinzenröllchen wieder den Bach runter. Daran möchte ich dann nur ungern schuld sein.“

Colt verzog die Augenbrauen. Sabers Worte hatten ihn sehr verwundert. Der Schotte war umsichtig, das war er immer gewesen, aber die Befürchtungen, die er nun hegte, machten auch Colt nervös. An diesem Morgen war schon einiges auf Ramrod los gewesen, seit gestern war stetig wieder mehr Unruhe in das Schiff gekommen. Und daran war der kleine Wirbelwind nicht unschuldig. Colt griff nach dem Zettel, den Saber endlich frei gab. Er wollte es selbst sehen. Vielleicht zerschlugen sich dann zumindest seine Bedenken. Die von Saber waren mit dem Wisch erst einmal ordentlich angeschwollen.

Fireball rieb sich über seine Handgelenke, unnötigerweise. Seine Augen blickten kurz auf Colt, ehe er Saber ansah. Seine beiden Freunde. Oft und lange waren sie mit Ramrod unterwegs. Anfangs hatte er sich von ihnen verlassen gefühlt. Den Draht zu Saber hatte er zwar nie völlig verloren, aber der Kontakt zum Schwertschwinger war im letzten Jahr auch kontinuierlich weniger geworden. Mit Colt hatte sich Fireball im letzten Jahr so gut wie nie außerhalb des Oberkommandos getroffen. Er hatte nie die Zeit für einen Abstecher bei seinem Kumpel und seiner Freundin gefunden. Eine Schande eigentlich. Aber vielleicht wurde es jetzt endlich wieder besser. Er brauchte keine Angst mehr zu haben, denn es gab keine heimliche Beziehung mehr, die hätte auffliegen können. Fireball lehnte sich in die Lehne. Er versicherte seinen Freunden, als er ihre steigende Besorgnis wahrnahm: „Keine Angst, Leute. Unkraut vergeht nicht. Das Manöver wird schon schief gehen.“

Der Scharfschütze reichte endlich das Dokument wieder an seinen Besitzer weiter. Er musterte seinen Kumpel, ehe er sich selbst und auch den edlen Schotten aufheitern wollte: „Sag mal, täuschen mich meine Äuglein, oder bist du am Ende doch noch mal groß geworden?“

„Das macht der Keks auf der Brust, Cowboy!“, Fireball zwinkerte, dabei wies er auf das Emblem der Air Strike Base, das doch noch irgendwie auf seinen roten Kampfanzug gefunden hatte und ihn als Boss der Einheit identifizierte.

„Na, mir ist lieber, du nimmst deine Hundemarke mit zu dem Manöver“, leicht schmunzelnd antwortete Colt seinem Freund. Sie konnten über diverse Knackpunkte ihrer Reise in die Vergangenheit endlich lachen. Der Hundewitz und auch das Keks- und Krümeldesaster waren für alle Beteiligten lustig geworden. Nun stand der Lockenkopf unvermittelt auf und langte über den Tisch. Er strubbelte Fireball durch die immer noch wilde Mähne und lachte: „Nicht, dass du dort ausbüchst und sie dich einsperren, weil du keine Marke hast, Welpe!“

Lachend schlug der Hitzkopf die Hand vom seinem Kopf. Er ließ Colt wissen: „Selbst wenn ich verloren gehe, bleib ich nicht lange im Heim. Der Welpenblick zieht ungemein.“

„Soso“, nachdenklich rieb sich Saber das Kinn, ehe er in den Spaß mit einstieg. Mit seinem ihm eigenen kühlen Humor: „Davon habe ich nichts gemerkt. Der zieht wohl nur bei April, ansonsten hätten wir schon mal anderes von Stan über eure Abstecher ins Nachtleben zu hören bekommen.“

„Stan ist nicht immer dabei, wenn ich unterwegs bin“, verschwörerisch zwinkernd konterte der ehemalige Rennfahrer. Er wollte sich nicht sofort in die Karten schauen lassen, was die Frauengeschichten betraf. Saber und Colt würden ohnehin ziemlich schnell merken, dass sich seit Ramrod da nicht wirklich viel verändert hatte.

Wie angenommen, kam die Erkenntnis bei Colt schneller als einem lieb sein konnte. Er ging zum Kühlschrank hinüber, weil er sich und seine Kumpels mit etwas zu trinken versorgen wollte. Dabei grinste er vor sich hin: „Du wirst immer ein Naivchen bleiben, Turbofreak. Ich hab schon gehört, dass du die Chancen, die sich dir bieten, nicht mal siehst. Stans Unterricht nützt bei dir augenscheinlich überhaupt nicht.“

Fireball versuchte sich zu verteidigen. Aber das war wie immer nicht so einfach, schließlich hatte Colt den berüchtigten Nagel wieder einmal auf den Kopf getroffen. Er war in dieser Hinsicht naiv ohne Ende. Und so lange eine gewisse Blondine einen so großen Platz in seinem Herzen einnahm, wie sie es auch jetzt noch tat, würde er nie ernsthaft auf die Pirsch gehen. Aber das musste hier niemand wissen. Er grinste, schielte dabei aber mit leicht roten Ohren zur Decke: „Ich hab’s vorhin schon mal gesagt, Stan ist nicht immer dabei. Und dabei schon gleich gar nicht.“

Während Colt Fireballs Reaktion nicht sehen konnte, bekam Saber das sehr wohl mit. Ein leichtes Lächeln stahl sich davon. Eigentlich wäre es schon mal ganz interessant zu wissen, wie es bei Fireball und April zugegangen war. Bei seinen Gedanken wurde selbst Saber plötzlich verlegen. Das ging niemanden etwas an, schimpfte er sich in Gedanken. Trotzdem blieb es eine interessante Vorstellung.

„Das war mir schon klar, dass Stan da nicht dabei ist!“, unverhohlen lachte Colt auf. Oh, er liebte es, Fireball so aufzustacheln. Schwungvoll kam er mit den Getränken wieder an den Tisch und trieb dem jungen Japaner gleich die dunkelste Röte ins Gesicht: „Aber vergiss beim Blümchensex nicht das Licht auszumachen.“

Fireballs Kopf ging bei der Hitze, die ihm gerade aufstieg, gleich in Flammen auf. Colt und auch Saber lachten nun lauthals. Das war doch zu komisch. Gemein, wie Colt nun sein konnte, setzte er beim Anblick von Fireballs hochrotem Kopf noch eins drauf: „Au backe!“, er stieß Saber leicht in die Seite: „Ich merke, wir hätten unserem Hombre irgendwann mal doch das mit den Bienchen und den Blümchen erklären sollen. Er steht ja total daneben. Kein Wunder hat das mit unserer Prinzessin nicht geklappt!“

Mit dem letzten Satz hatte Colt allerdings eine unsichtbare Grenze überschritten. Fireball ließ sich viel gefallen, vor allem in Bezug auf seine Naivität dem weiblichen Geschlecht gegenüber, aber über die Beziehung zwischen April und ihm durfte niemand urteilen. Weder in Bezug auf deren Intimität oder deren Leidenschaft oder sonst noch etwas. Fireballs Gesicht verfinsterte sich, er biss wütend die Zähne aufeinander. Ungeheuerlich ruhig hakte er das Thema ab: „Was zwischen April und mir war, geht niemanden etwas an! Sag so etwas nie wieder, Colt.“

Colt und auch Saber blieb bei dieser Reaktion das Lachen im Halse stecken. Es war wohl noch zu frisch, um darüber Scherze zu machen. Das merkte Colt nicht nur an Fireballs Worten, sondern auch daran, dass der Pilot Anstalten machte, zu gehen. Nun war es Saber, der Colt anstieß. Mit einem eindeutigen Auftrag im Blick wies der Schotte seinen Freund an, das augenblicklich wieder gerade zu biegen. Nur wie er das anstellen sollte, besagte der stumme Befehl nicht. Colt schluckte unbehaglich. Au weia! Er hatte sich so darüber gefreut, mit Fireball wieder einmal zu kabbeln, dass er dabei meilenweit über das Ziel hinaus geschossen war. Der Hutträger stand ebenfalls wieder auf. Er entschuldigte sich aufrichtig: „Ich hab es nicht so gemeint, Fireball. Du kennst mich doch, ich rede immer bevor ich denke!“

„Das ist mir auch schon aufgefallen!“, April und Alessandro waren gerade gemeinsam eingetreten. Sie hatten nicht gehört, worum es gerade gegangen war, was wohl auch besser war. Der Italiener hatte auch so einen Kommentar abgeben können. Dabei hatte er Fireball unbewusst unterstützt.

Grimmig, weil er von Colts Worten ziemlich getroffen worden war, nickte er Alex zu: „Dauert auch nicht wirklich lange, bis er das erste Mal Blödsinn verzapft!“

Alles andere schluckte Fireball hinunter. Es war ohnehin schon an der Zeit zu gehen. Fireball griff nach seinem Helm, ehe er die rechte Hand zum Gruß hob und einigermaßen versöhnlich lächelte: „Ich muss dann mal weiter. Eventuell sehen wir uns heute Mittag in der Kantine.“

Kaum schloss sich die Tür hinter Fireball, zeigte April mit dem Finger auf Colt und forderte von Saber eine Antwort ein: „Will ich wissen, welchen Bock der da grad geschossen hat?“

Alessandro hatte sich noch kurz nach dem Captain umgewandt und sah nun auf die verbliebene Runde. Er und April hatten die drei doch vorhin bis in den Kontrollraum lachen gehört. Was hatte die Stimmung innerhalb weniger Minuten zum Kippen gebracht?

Saber murmelte beinahe: „Du willst es nicht wissen.“

Colt kratzte sich an der Stirn. Er konnte das Gesagte nicht einfach so stehen lassen. Colt würde sich auf immer und ewig schlecht fühlen, wenn Ramrod wieder zu einer Mission aufbrach, bevor er sich mit seinem Kumpel wieder vertrug. Nein, da nahm er lieber gleich die Beine in die Hände: „Hey, ähm… Ich komm gleich wieder!“
 

„Fireball! Warte mal einen Augenblick!“, Colt kam gerade an Ramrods Rampe an, als er Fireball am Fuß der Rampe erspähte. Wie wild fuchtelte er mit den Händen in der Luft herum und hoffte, dass sein kleiner Hombre ihm noch schnell zuhörte.

Schwungvoll machte Fireball am Absatz kehrt. Eigentlich hatte er nicht sauer sein wollen, aber Colt war ihm zu nahe getreten. Er knurrte die Rampe hinauf: „Was ist denn noch?!“

Noch schneller als vom Aufenthaltsraum fand er nun von Ramrod runter. Colt rannte die Rampe hinunter zu seinem Kumpel. Sein Scherz war ordentlich daneben gegangen. Das war eigentlich nie seine Absicht gewesen. Der Scharfschütze hatte gedacht, der junge Captain würde das dumme Geschwätz leicht ertragen und mitlachen können. Aber er hatte sich mächtig geirrt. Er gestand sich ein, dass er sich nach den letzten Monaten einfach zu sehr darüber gefreut hatte, dass wieder alles halbwegs im Lot war und auch der Reifenschänder wieder öfters zu Ramrod fand. Aber anscheinend war da nicht wieder alles in Butter. Colt musterte seinen kleinen Bruder. Wenn er es nun falsch anpackte, würde der kleine Fuji vor ihm nicht nur heiße Luft spucken, sondern auch Lava. In Fireballs Gesichtszügen erkannte Colt die Anspannung und auch den Zorn, den er mit seinem Scherz heraufbeschworen hatte.

„Ich wollte mich für vorhin noch einmal entschuldigen. Ehrlich, Hombre, ich dachte, es wäre schon okay für dich.“

Fireballs Griff um den Helm wurde fester, seine Augen verdunkelten sich und schimmerten einen winzigen Augenblick. So schnell würde es wohl nicht in Ordnung für ihn sein. Gefühle für April waren immer noch da, die konnte er einfach nicht wegrationalisieren. Fireball schluckte den Knoten, der sich auf seine Brust legen wollte, hinunter und nickte Colt grimmig zu: „Ich mach über deine offenbar nicht folgenlosen Abende mit Robin auch keine Witze. Das hat was mit Anstand zu tun, Cowboy.“

Colt zog den Hut verlegen tiefer ins Gesicht. Den Spiegel vorgehalten zu bekommen, war auch ihm unangenehm. Aber es war heilsam. Brüderlich klopfte er Fireball auf die Schulter, er hatte durchaus erkannt, wie schwer ihm bei April tatsächlich ums Herz zumute war. Er zwinkerte ihm verschwörerisch zu: „Anstand ist mir neu. Aber ich glaub ja, dass du, wenn du dann mal ein bisschen mehr Wolf als Schaf bist, das mit dem einen weiblichen Geschlecht sicher hinkriegst.“

Fireball duckte sich unter dem Arm hindurch. Ertappt stotterte er: „Das war schon. Und wie du siehst…“

„Ich rede ja davon, dass du noch ein wenig mehr Wolf als Schaf werden sollst, rede ich ja“, Colt ließ keinen Zweifel daran, dass es später vielleicht mal besser passen würde. Wer sollte das besser wissen, als er selbst. Jeder wurde älter, jeder lernte dazu und manchmal änderten sich die Umstände. Team Ramrod war genauso wenig in Stein gemeißelt, wie die Zusammensetzung der Base oder der Krieg gegen die Outrider. Der musste irgendwann mal zu Ende sein.

Colt meinte es definitiv nur gut mit ihm, das wusste Fireball. Schon wieder ganz versöhnlich verabschiedete er sich endlich von seinem Freund: „Noch mehr Wolf wäre schon zu viel des Guten. Bin ja schon Leitwolf“, Fireball wandte sich ab: „Ich muss, Colt. Wir sehen uns heute Mittag!“

Colt blieb noch so lange stehen, bis Fireball nicht mehr zu sehen war. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den hydraulischen Pfeiler, der die Rampe öffnete und wieder verschloss. Es mochte sich viel im letzten Jahr verändert haben, einige Dinge allerdings waren gleich geblieben. Und einige würden sich so schnell auch nicht ändern. Colt dachte an April, während er Fireball hinterher sah. Die erste Liebe würde man nie vergessen, er hatte seine erste Freundin schließlich auch bis heute nicht vergessen. Ein mildes Lächeln huschte über Colts Lippen. Nichts war in Stein gemeißelt. Vor allem ihre Zukunft nicht. Das wusste Colt ganz sicher. Sie hatten es immerhin geschafft, ihre Gegenwart zu verändern, wie leicht konnte man da seine Zukunft beeinflussen? Noch viel leichter! Grinsend stieß sich Colt ab und ging zu seinen Kameraden zurück. Er ließ die Zeit arbeiten und würde mal beobachten.
 

Der Leitwolf hatte ein Händchen für Timing. Kaum hatte er den Hangar betreten, trudelte auch seine Crew nach und nach ein. Er schickte sie, wie sie waren, in den Besprechungsraum hinunter, Stan und Oliver zog er sich gleich zur Seite. In knappen Worten beschrieben sie, wie sich ihre Gruppen beim Trainingsflug geschlagen hatten. Fireball nickte zufrieden. Beruflich lief endlich alles wie am Schnürchen. Er hatte eine eingeschworene Mannschaft, die nun auch mit ihm zusammen arbeitete. Eingeschworen waren sie auch davor gewesen. Als der letzte seiner Piloten zum Besprechungsraum aufgebrochen war, gingen auch Fireball, Stan und Oliver hinein. Der große Kroate schloss die Tür und blieb daneben stehen. Stan lehnte sich neben ihn und Martin, der ebenfalls hinten stehen geblieben war.

Wenig gelassen hatten die Piloten zur Kenntnis genommen, was ziemlich bald auf sie zukommen würde. Shinji blickte in eine ganze Reihe von Gesichtern, die empört und überrumpelt zumindest den stummen Protest ausdrückten. Leise seufzend legte er das Memo zu seinem Helm und den Handschuhen seiner Rüstung auf den Tisch. Mit dieser Reaktion hatte er durchaus gerechnet. In den letzten Jahren hatte die beste Kampfjeteinheit als einzige das Privileg genossen, fix auf Yuma stationiert gewesen zu sein. Es würde schwer werden, ihnen einen mehrmonatigen Aufenthalt im Königreich Jarr doch noch schmackhaft zu machen.

Besonnen begann er zu argumentieren, als aus dem stummen Protest allmählich ein lauter wurde: „Wir befinden uns nach wie vor im Krieg, das Bündnis zum Königreich Jarr ist ziemlich wackelig. Wir können es uns nicht leisten, aus Bequemlichkeit in Yuma zu bleiben“, verständnisvoll fügte Fireball hinzu: „Ihr habt Freunde und Familie hier, das weich ich. Keiner wird die vollen drei Monate bei Jarred verbringen, das verspreche ich euch. Es wird sich eine Möglichkeit finden, damit ihr regelmäßig Heimaturlaub bekommt.“

Martin sank indes innerlich zusammen. Er würde Alessa eine ganze Weile nicht sehen, das sagte ihm nicht zu. Aber zumindest war die Zeit der Trennung überschaubar. Der Brasilianer stieß sich von der Wand ab. Er und seine beiden Kollegen mussten nun mit gutem Beispiel voran gehen. Ansonsten hätten sie gleich eine ganz grausame Diskussion.

Als Fireball offener Protest um die Ohren wehte, hielt Martin plötzlich inne. Er war bereit gewesen, für Ruhe zu sorgen, doch stattdessen blieb er erstaunt stehen und lauschte der Reaktion. Fireball Tonfall wurde mit einem Mal scharf und duldete keinerlei Widerspruch mehr: „Das war keine Einladung zu einer Kaffeefahrt, sondern ein Marschbefehl! Wer ein Problem damit hat, kann gerne zuhause bleiben und sich um einen neuen Job kümmern. Ich brauche in meiner Crew niemanden, der nicht bereit ist, für den Frieden zumindest zu reisen. Da seid ihr bei mir wirklich an der falschen Adresse.“

Oli nickte grimmig und entschlossen. Diese Worte hatten dem Kroaten genügt. Er würde zusammen mit Stan und Martin die nötige Rückendeckung stellen. Nüchtern wollte er nur noch wissen: „Wann geht’s los, Captain?“

Manchmal hatte auch der Kroate das Gefühl, dass seinen Kameraden der Ruhm der Einheit das Gehirn vernebelt hatte. Sie waren doch hier nicht beim Wunschkonzert! Er warf Stan und Martin einen Blick zu, wenn nötig, wäre es schön zu wissen, dass auch die beiden seiner Meinung waren. Während er Stan die Vorfreude bereits an der Nasenspitze ansehen konnte, nahm er bei Martin ein Zögern wahr. Kopfschüttelnd stieß er ihm den Ellbogen in die Rippen und versuchte, Martin aufzuheitern: „Deine kleine Hexe stiehlt dir in der Zeit schon keiner.“

Martin verzog mürrisch das Gesicht. Das alleine war es nicht. Seine Alessa würde sich schon von niemandem stehlen lassen. Dafür kannte er sein Herzblatt zu gut. Aber drei Monate war verdammt lange und der Ort fürs Manöver geschichtlich negativ vorbelastet. Man konnte Fireball im Moment zwar nicht ansehen, welche Meinung er zum Manöver hatte, aber der Brasilianer ahnte dabei nichts Gutes. Über zwanzig Jahre war das letzte Manöver im Königreich her und es hatte übel geendet. Martin sah noch einmal zu seinem Boss vor und schluckte. Die nächste Bewehrungsprobe, ganz klar. Schließlich aber nickte Martin auf Olivers Feststellung hin: „Das will ich auch hoffen. Ist schließlich mein Herzblatt.“

Nun begann sich die Crew aufzulösen. Alles war besprochen worden, die Details zu Abflug und Unterkunft würden in den nächsten Tagen folgen. Die drei Männer blieben schließlich übrig, bis als letzter Fireball zu ihnen stieß. Er verzog die Lippen zu einem verunglückten Lächeln: „Na, meine Damen? Wartet ihr auf eine Extraeinladung?“

„Nope“, Stan holte Kaugummi aus seiner Brusttasche hervor. Er hielt dem Captain die Packung hin und grinste unverhohlen: „Mach dich mal wieder locker.“

Martin schüttelte missbilligend den Kopf: „Er meint, das war schon okay, so wie du’s gemacht hast.“

Ohne zu zögern bediente sich Fireball an Stanleys Kaugummi und gab die Packung anschließend an Oliver weiter. Nachdem auch der Kaugummi im Mund verschwunden war, blitzten seine Augen schelmisch auf. Er konterte: „Wenn ich noch lockerer werde, hab ich Urlaub.“

„Ist dann aber ein ziemlich steifer Urlaub!“, Stan lachte. Er zwinkerte Fireball zu und verabschiedete sich vorläufig. Auch Oliver ging zurück an seine Arbeit.

Stan hatte den Nagel wieder mal zielgenau auf den Kopf getroffen. In Windeseile hatte er Fireball die Anspannung angesehen. Deswegen hatte er auch versucht, ihn mit seiner Bemerkung wieder auf den Boden zu bringen. Nachdem Stan von der Beziehung zwischen April und Fireball erfahren hatte, war ihm einiges klar geworden. Genau genommen wunderte ihn seit diesem Tag gar nichts mehr. Aber er hatte sich auch einmal mehr für seine Prüfung am Anfang geschämt. Inzwischen kannten sich Crew und Captain besser. Stan, Oliver und vor allem aber Martin noch ein Stückchen besser als der Rest. Aus den beiden ärgsten Widersachern in der Einheit waren starke Befürworter geworden. Und auch Freunde. Der Schwede nahm Fireball inzwischen gerne auf seine Touren durch die Bars mit. Es war mehr als nur heiter, wenn die beiden zusammen unterwegs waren.
 

Kaum zwei Wochen später stand der Abreisetermin für die Ari Strike Base fest und rückte in greifbare Nähe. Die Unterkünfte waren ebenso fixiert worden, wie die Aufgaben, die die Piloten im Königreich zu erfüllen hatten. Wo immer es ihm möglich gewesen war, hatte Fireball seiner Mannschaft Zugeständnisse gemacht, bei einigen Dingen allerdings war er stur und hartnäckig geblieben. Absichtlich hatte er sich um Appartements für seine Crew gekümmert. Eine Militärbaracke kam für ein langes Manöver wie dieses nicht in Frage und Hotelzimmer befand der Captain für zu luxuriös. Auch er würde da keine Ausnahme bilden, wie einige anfangs gezetert hatten. Zwei Tage vor Abreise hatte Fireball dann auch noch seine Crew dienstfrei stellen lassen. Sie sollten sich in Ruhe auf die Abreise vorbereiten und sich verabschieden.

Fireball saß am vorletzten Nachmittag in seinem Büro und traf die letzten Vorbereitungen. Er segnete alle Berichte ab, arbeitete den letzten Papierkram auf und versuchte, einen ordentlichen Arbeitsplatz zu hinterlassen. Der junge Wuschelkopf wusste nicht, weshalb er es tat, aber es kam ihm so vor, als wäre ein sauberer Schreibtisch wichtig. Er sortierte sogar Unbrauchbares und Unnützes aus, stellte die wirklich persönlichen Dinge auf einem Eckchen zusammen. Skeptisch besah er schließlich sein Tun. Er war doch nur einige Monate nicht hier, aber er sortierte seinen Arbeitsplatz aus, als würde er gar nicht mehr zurück kommen! Fireball kratzte sich an der Stirn. Unfassbar! Das ging gar nicht. Fireball ließ alles stehen und liegen und flüchtete erst einmal vor seiner Arbeit. Vielleicht war eine Pause im Moment ganz hilfreich um wieder klar im Kopf zu werden. Offenbar hatte ihn die Erinnerung seines Vaters unbewusst wieder heimgesucht.

Auch auf Ramrod war bald zu allen Mitgliedern vorgedrungen, dass die Base ausrückte. Für ein persönliches Goodbye war leider mal wieder keine Zeit geblieben. Colt und Saber waren sich einig, das Manöver durchaus kritisch zu beäugen. Es war eine großartige Gelegenheit, sein Können unter Beweis zu stellen, aber auf der anderen Seite nagte auch der Schatten der Vergangenheit unerbittlich düster an der neuen Aufgabe. April hatte Fireball noch am gleichen Tag, als sie davon erfahren hatte, die Leviten gelesen und ihn über Hypercom stundenlang belehrt. Alles, was ihre erste große Liebe zu dem Thema zu sagen hatte, war zwar durchwegs ein Kompliment für die Crew von Ramrod gewesen, aber das beruhigte Aprils Nerven dennoch kaum. Sie hatte ihn stattdessen sofort getadelt, er könne sich nicht blind darauf verlassen, dass Ramrod im Notfall helfen könne. Aber da hatte April auf japanischen Granit gebissen. Mal wieder.

Alex hatte die darauf folgenden Tage alles sacken lassen, was passiert war. Dabei hatte er vermehrt angefangen, seine Kollegen zu beobachten. Positiv war dem italienischen Hitzkopf aufgefallen, wie seine drei Freunde nicht mehr abrupt das Thema wechselten, wenn er den Raum betrat. Kaum zu glauben, aber tatsächlich hatte ihm der kurzgeratene Stoppel das Leben an Bord erheblich erleichtert. Alessandro saß nun abends öfters mit Colt am Fuß von Ramrods Rampe und unterhielt sich mit ihm. Die beiden Männer krachten zwar nach wie vor immer mal wieder zusammen und befetzten sich, aber alles in Allem konnten sie sich gut leiden. Wenn sie sich unbeobachtet glaubten, machten sie sogar heimlich gemeinsame Sache. Ihr Sinn für Humor verband Colt und Alex dann doch mehr, als alles andere sie hätte trennen können. Das freute nicht nur den Piloten. Alessandro fühlte sich endlich völlig akzeptiert. Der Italiener hatte aber auch begriffen, dass er sich auch mit Babyboy befassen musste. Manche Fäden und Verbindungen liefen bei ihm zusammen. Wollte Alessandro nicht nur gute Kollegen, sondern ebenso verlässliche Freunde auf Ramrod haben, musste er den Japaner akzeptieren und auch verstehen. Bei nächster Gelegenheit würde er ein Bier ausgeben müssen.

Sommergewitter

Er hatte die Unterkunft gehütet wie seinen Augapfel. Bis zum bitteren Ende. Für die verdutzten Gesichter hatte es sich allemal gelohnt. Nach dem ersten inoffiziellen Empfang wurden die Piloten zu ihren Unterkünften gebracht.

Oliver stand etwas unschlüssig in der offenen Tür, seine Tasche hatte er geschultert. Mindestens drei Monate musste er sich eine Wohnung mit drei anderen Piloten teilen. Die waren bereits vor ihm in die Wohnung getreten. Oli lebte schon länger alleine, er hatte sich an ein selbständiges und ungebundenes Leben bereits früh gewöhnt. Zuhause musste er auf niemanden Rücksicht nehmen, konnte tun und lassen, was er wollte. Niemand störte ihn und auch er störte niemanden. Aber hier was das anders. Er teilte sich eine Wohnung mit drei Menschen, mit denen er zwar arbeitete, die ihm privat aber ziemlich fremd waren. Das konnte heiter werden.

„Mist! Ich hab verloren!“, Stans lachender Fluch ließ Oliver aus seinen Gedanken fahren und endlich in die Wohnung treten. Als der Schwede den irritierten Gesichtsausdruck von Oliver bemerkte, packte er den großen und schob ihn in eines der beiden Schlafzimmer. Dabei erklärte er ihm lachend: „Tut mir leid, Dicker. Ich hab beim Knobeln um das größere Schlafzimmer den Kürzeren gezogen.“

Mit einem schmalen Lächeln erwiderte Oli, während er seine Tasche auf dem Bett abstellte: „Und warum muss ich trotzdem mit dir mein Zimmer teilen? Hast du etwa auch da verloren?“

Der Schwede hielt gerade nicht viel davon, seine Tasche auszupacken. Das konnte er später immer noch erledigen. Also kickte er seine Tasche auf dem Fußboden Richtung Bettende und ließ sich in die Kissen fallen. Erst einmal war für den blonden Mann ausspannen angesagt. Während seine Augen prüfend durch das Zimmer wanderten, erklärte er seinem Kumpel: „Das hat Martin einfach so entschieden. Er hat wohl immer noch Angst, dass einer von uns nachts gerne kuscheln kommt.“

Nun musste Oliver grinsen: „Ja genau!“ Ein Kleidungsstück nach dem anderen folgte aus der Tasche in den Schrank. Ganz bestimmt hatte Martin das aus einem anderen Grund beschlossen. Oliver konnte sich auch in etwa vorstellen, weshalb der Brasilianer mit ihrem Captain das Zimmer teilen wollte. Mit einem neckischen Augenzwinkern wandte er sich an Stan: „Der will doch bloß als erster wissen, wen Babyboy so mit nachhause bringt.“

„Und es sofort an Ramrod ausplaudern“, ergänzte Stan nicht weniger lächelnd. Seit der Trennung von Babyboy und seinem Babygirl hatte sich auch für Oliver und Stan so manches geändert. Für die beiden Männer war es Ehrensache, niemandem etwas davon zu erzählen, aber sie achteten auch auf respektvolleren Umgang mit der Crew und vor allem mit April. Stan war zwar selten für sein Taktgefühl bekannt, aber in diesem Fall bewies er mehr als genug davon.

Martin und Fireball hatten ihr Gepäck lediglich im Zimmer abgestellt und waren schnurstracks auf die Terrasse der Erdgeschosswohnung gegangen. Sie saßen in den Gartenstühlen, lehnten sich zufrieden zurück und genossen die Strahlen der Abendsonne. Fireball schloss die Augen. Völlig entspannt rutschte er noch tiefer in den Stuhl. Er wusste es, die nächsten drei Monaten waren für ihn sowas wie Urlaub.

Der Brasilianer genoss die vorübergehende Ruhe und sah sich aufmerksam in der Umgebung um. Die Wohnung war modern eingerichtet und lag inmitten eines Wohngebiets. Der Rest ihrer Einheit war wahrscheinlich ähnlich untergebracht worden. Er wusste genau, dass sich Fireball dabei etwas gedacht hatte, aber er kam nicht auf Anhieb dahinter. Martin hatte selbst erst hier bei König Jarred erfahren, dass sie jeweils zu viert zusammen wohnen würden. Martin musterte den Japaner, der ihm gegenüber saß. Nein, so sehr er sich auch anstrengte, Martin fand des Rätsels Lösung nicht. Deshalb brach er schließlich das Schweigen: „Wer hat dich eigentlich auf die Idee gebracht?“

Fireball öffnete die Augen wieder. Fragend zog er die Augenbrauen hoch. Als Martin seine Frage präziser formuliert hatte, konnte auch Fireball ihm folgen und antworten: „Auf die Idee bin ich ausnahmsweise mal von ganz alleine gekommen. Wer sich kennt, arbeitet auch gut zusammen. Das Prinzip ist hier dasselbe, wie auf Ramrod. Weil ich uns dreißig aber schlecht in eine Wohnung bekommen hätte, hab ich auf jeweils vier runtergebrochen. Das ist ´ne gute Größe.“

Martin hob erstaunt die Augenbrauen. Fireballs Idee klang im Grunde recht umsichtig. Leider konnte aus Martin auch manchmal ein Schwarzseher werden. Er legte seine Zweifel diesbezüglich offen und begann eine recht tiefschürfende Diskussion mit seinem Freund. Wenn sich die Kameraden nicht vertrugen, konnten drei Monate unendlich lange sein und im schlimmsten Fall konnten sie sich die Köpfe einschlagen. Doch Fireball hatte auch dafür plausible Einwände parat und beendete ihr Gespräch schließlich recht simpel: „Ich hab jedem hier seinen Wingman mit in die WG gegeben. Sie sollten sich besser kennen lernen, damit sie aufeinander Acht geben können. Und wenn das hier wirklich in die Hose geht, tja dann… War’s meine Entscheidung und wird’s auch mein Problem nachher sein.“

Martin gab sich damit nun zufrieden. Sie würden diese drei Monate hoffentlich alle unbeschadet überstehen. Etwas entspannter lehnte sich der Brasilianer zurück. Vor seiner Abreise hatte er viel Zeit mit seiner Alessa verbracht. In ihren Gesprächen war es nicht nur um ihre räumliche Trennung auf Zeit gegangen. Diskussionsthema waren auch immer wieder der mögliche Verlauf des Manövers und seine geschichtliche Bedeutung gewesen. Martin war nicht auf den Kopf gefallen, klar hatte er recht bald herausgefunden, dass bei diesem Manöver eigentlich gar nichts schief gehen durfte, weil das Bündnis zum Königreich Jarr nach wie vor auf wackeligen Beinen stand. Zum einen das und zum anderen natürlich, weil keiner eine Wiederholung der Geschichte brauchen konnte.

Der braunhaarige Pilot hatte für sich beschlossen, solche Gedanken während des Aufenthalts im Königreich so gut als möglich zur Seite zu schieben. Aber so einfach würde es nicht gehen. Seine Einberufung hier her hatte auch bei seinen Eltern für Aufruhr gesorgt. Vor allem bei seinem Vater waren alte Erinnerungen wieder hochgekommen. Unangenehme und schwere Erinnerungen. Emilio hatte so viele Jahre über verdrängt, wie viele Freunde er in dem Kampf verloren hatte. Mit dem Aufbruch seines Sohnes in das Königreich waren bei ihm auch wieder die Gesichter der toten Freunde präsenter geworden. Und auch, wenn er es Martin nicht gesagt hatte, die Angst war bei ihrem Abschied voneinander deutlich gewesen. Martin hatte seinen Vater nie übertrieben besorgt erlebt, aber dieses Mal hatte er seinen einzigen Sohn nur ungerne ziehen lassen. Die nächsten paar Wochen würden zeigen, ob die Geister der Vergangenheit noch in der Gegenwart herumspukten.
 

Innerhalb der ersten paar Tage hatte sich die Crew bereits eingelebt und bisher hatte es noch keine Beschwerden wegen der Unterbringung gegeben. Die Zusammenarbeit zwischen der Base und der Kampfjeteinheit des Königs funktionierte ziemlich bald. Natürlich hatte man in der ersten Woche erst mal viel Zeit darin investiert, sich gegenseitig kennen zu lernen und sein Gegenüber richtig einzuschätzen. Aber das hatte sehr bald disziplinierter Zusammenarbeit Platz gemacht.

Eines Nachts war ein heftiges Sommergewitter über das Königreich hinweg gefegt. Es hatte geblitzt und gedonnert, manchmal schien der Blitz direkt neben einem eingeschlagen zu sein. Aber nicht nur das Gewitter hatte Fireball aus seinem Schlaf gerissen. Er war müde gewesen und deswegen noch vor seinem einstweiligen Zimmergenossen ins Bett geschlichen. Als Martin irgendwann in der Nacht nachgekommen war, war der Brasilianer im Halbdunkel gegen das Bett gelaufen und hatte sich den Zeh übel angestoßen. Davon war Fireball zum ersten Mal aufgewacht. Zum nächsten Mal wegen des Gewitters. Und danach hatte er nicht mehr richtig einschlafen können. Irgendwie hatte sich der junge Captain seltsam gefühlt, aufgewühlt und unruhig war er gewesen. Deswegen war er kurz vor Morgendämmerung aufgestanden und in die Küche gegangen.

Mit den ersten Sonnenstrahlen hatte er sich auch nach draußen gestohlen. Mit einer großen Tasse Kaffee setzte er sich in einen Gartenstuhl. Fireball schloss die Augen und sog den Duft der Luft intensiv ein. Die Luft war nach einem Gewitter wie frisch gewaschen. Sie war rein. In den letzten Tagen war es heiß und schwül im Königreich Jarr gewesen. Aber nicht nur die Hitze hatte das Arbeiten erschwert. Auch die Arbeit selbst war mitunter schweißtreibend. Aber ganz besonders setzte es Fireball zu, dass er das Gefühl hatte, jeder seiner Schritte würde beobachtet werden. Als würde er auf einem Prüfstand stehen. Das beschwor das Gefühl von Druck in ihm herauf. Er wusste selbst, dass sich die Base keine Fehler leisten durfte, weil der König absolute Perfektion erwartete, aber dauernd jemanden im Nacken sitzen zu haben, der einem bei allem, was man tat, über die Schulter lugte, ging dem Rennfahrer tierisch gegen den Strich.

Zumindest aber war nun erst mal wieder Wochenende. Zwei Tage mal kein ständiges „Sehen Sie mal“ und „Kommen Sie bitte schnell“. Überhaupt! Fireball schüttelte den Kopf. Er wurde gesiezt. Wo kamen sie denn da hin?! Wenigstens hielten seine Jungs und Mädels sich tapfer. Wenn sie alleine waren, blieben sie bei Babyboy und immer recht fröhlich, aber wenn jemand aus dem Königreich in der Nähe war, nannten sie ihn höflich Captain. Sie wussten sich also zu benehmen.

„Guten Morgen, Bettflüchter! Hab ich geschnarcht?“, mit einem leichten Lächeln setzte sich Martin zu Fireball auf die Terrasse. Die beiden Männer besahen sich einen Moment, ehe sie schweigend ihren Kaffee tranken. Fireball war generell ein kleiner Morgenmuffel und Martin genoss die Ruhe. Er hatte kein Problem damit, eine Zeitung zu lesen oder Löcher in die Luft zu starren, wenn er nicht mit seiner langjährigen Freundin frühstücken konnte. Nach der ersten Tasse jedoch verließ der Brasilianer seinen Kumpel wieder: „Ich geh eine Runde Laufen. Kommst du mit?“

Demonstrativ streckte Fireball alle viere von sich und gähnte: „Nein. Ich hab Wochenende.“
 

Während Martin unterwegs war, kam immer mehr Leben in die Wohnung der Jungs. Auch Oliver und Stan fanden schließlich aus ihren Federn und freuten sich über ein üppiges Frühstück auf der Terrasse, während Fireball sich auf eine erfrischende Dusche freute.

„Babyboy! Das musst du dir ansehen!“, aufgescheucht riss plötzlich Oliver die Badezimmertür auf. Martin war eben von seinem Rundlauf zurückgekommen und hatte jemanden mitgebracht. Selbst kreidebleich im Gesicht hatte er Oli nach Fireball geschickt.

Genervt verdrehte Fireball die Augen. Nicht mal am Samstag konnte er in Ruhe seine Zähne putzen und sich fertig machen. Er spuckte die Reste der Zahnpasta ins Waschbecken, wischte sich mit dem Handtuch über den Mund und folgte Oliver. Fireball war noch nicht angezogen, von gekämmt war er noch meilenweit an diesem Morgen entfernt, aber in der illustren Männer-WG war es ihm ziemlich egal, wie er rumlief. Was sollte es denn schon Großartiges zu sehen geben? Vielleicht ein paar hübsche Mädels und Stans jämmerlicher Versuch, die Damen zu sich einzuladen.

Oliver ging voraus durch die offene Türe, machte danach gleich einen Schritt zur Seite, damit Fireball sehen konnte, was genau los war. Olivers breite Schultern gaben den Blick auf Martin und einen Gast frei. Beide saßen in den Gartenstühlen. Der Fremde drehte sich um. Als er Fireball sah, erhellte sich sein Gesichtsausdruck.

Der Japaner allerdings erstarrte und wurde mit einem Mal kreidebleich. Mit trockener Kehle presste er hervor: „Captain!“

Martin stand erleichtert auf. Er hatte gedacht, der fremde Mann hätte ihm einen Bären aufgebunden, aber nach Fireballs Reaktion war dem Brasilianer sofort klar gewesen, dass es sich hier wirklich um einen Verwandten von Fireball handelte. Martin schickte Oliver vorsorglich zu Stan, der mit den Nachbarinnen flirtete, hinüber: „Großer? Gib uns mal eben fünf Minuten, ja?“

Oliver nickte kaum merklich und verschwand auf die Nachbarterrasse. Was immer es zu bereden gab, vorläufig sollten nicht allzu viele davon etwas mitbekommen. Das akzeptierte der große Kroate. Wenn die Zeit reif dafür war, würden sie eingeweiht werden, das war für ihn selbstverständlich.
 

Martin bemerkte erleichtert, dass Oliver ihnen den Rücken kehrte und tatsächlich auf die nachbarschaftliche Terrasse hinüber ging. Mit einem tiefen Atemzug deutete er zu seinem Mitbringsel: „Er stand ganz plötzlich vor mir. Hat mir was von einem Blitz erzählt und dass er dein Dad wär.“

Fireballs Blick hing an Martins Lippen, er hörte ihm aufmerksam zu und schien schneller zu begreifen, was los war, als ihm selbst lieb war. Verzagt fuhr er sich durch seine zerzauste Mähne. Es klang wie ein Unfall, für den jungen Japaner war das aber mehr. Hatten sie am Ende was durcheinander gebracht? Er kratzte sich am Kopf und wollte schließlich wissen: „Wie seid ihr auf das Gesprächsthema gekommen, ich wär sein Sohn?“

Nun verzog Martin das Gesicht. Ja, wie eigentlich? Er warf einen Blick zu Captain Hikari und musterte denjenigen noch einmal. Seltsam war das alles schon.

Als Shinji merkte, dass Martin keine Antwort darauf wusste, stand er schließlich auf. Er zupfte leicht am Shirt des Brasilianers und gestand seinem Sohn zu: „Der Argwohn ist berechtigt, Kurzer. Ich würde mir das selbst kaum glauben, wenn’s mir nicht grade passiert wäre. Ich war im Schloßpark bei Jarred, einige Tage vor dem Angriff. Plötzlich hat es geblitzt und das nächste, woran ich mich erinnern kann ist, dass ich in diesem Wohngebiet stehe und an der Informationssäule einer Bank das Jahr 2087 lese. Kurz darauf hab ich deinen Freund beim Joggen gesehen. Ich wusste, dass er dich kennen muss. Der Aufdruck auf dem Shirt hat es mir verraten.“

„Ooookay“, gedehnt antwortete Fireball. Definitiv war in der Vergangenheit durch ihre Anwesenheit irgendwas gehörig schief gegangen. Er ließ die beiden kurzerhand wortlos auf der Terrasse zurück und ging in die Küche. Wenig später kam er mit drei Tassen Kaffee zurück. Fireball stellte seinem Vater eine Tasse vor die Nase und fragte unverblümt: „Woher soll ich wissen, dass du es wirklich bist? Du sagst, es wäre einige Tage vor dem ersten Angriff passiert. Beweise, dass du kein Hochstapler bist.“

Shinji schluckte merklich. Sein Sohn hatte bisher noch keine Reaktion auf sein Erscheinen gezeigt, er wirkte sogar hart auf ihn. Aber das war berechtigt. Die Geschehnisse in der Vergangenheit waren schmerzlich für den jungen Spund gewesen. Ach Quatsch! Shinji verzog düster das Gesicht. Letzten Endes waren sie für seinen Sohn, seine Freunde und auch ihn selbst schmerzlich gewesen. Shinji war doch nur in den Park geschlichen, weil er nicht hatte schlafen können. Die Gedanken an seinen Sohn, der nicht existieren würde, hatten ihn um den Schlaf gebracht. Und plötzlich saß er hier, in der Zukunft bei einer Tasse Kaffee mit seinem Sohn! Shinji begriff, dass es geklappt hatte. Seine Hoffnungen hatten sich zu guter Letzt noch erfüllt. Ai würde nicht alleine bleiben. Er beobachtete seinen Sohn, wie der sich neben Martin in einen Gartenstuhl setzte. Mit einem warmen Lächeln berichtete er: „Erinnerst du dich an unser letztes Zusammentreffen, Shinichi? Du wurdest von mir im Büro ordentlich in die Mangel genommen, weil du mich angelogen hattest. Ich dachte nach dem Angriff von Jesse Blue wirklich, dass du für die falsche Seite kämpfst. Während des Angriffs bist du schließlich verschwunden. Saber hat mir, als ich endlich Ramrod entdeckt hatte, alles erzählt. Ich weiß, dass du mein Sohn bist, Fireball.“

Fireball hatte zum Trinken angesetzt, als sein Vater allerdings zu erzählen begonnen hatte, ließ er die Tasse wieder zurück auf den Tisch sinken. Das war der Beweis. Tatsächlich waren bei diesem Gespräch nur er und sein Vater im Büro gewesen. Er hatte es nie jemandem erzählt. Fireball glaubte dem Japaner jedes Wort. Unauffällig nickte er Martin zu.

Der verstand den Wink sofort. Der Mann, den er mitgebracht hatte, war vertrauenswürdig und er sagte die Wahrheit. Martin schluckte kaum merklich. Das war heikel, bestätigte ihm aber auch Fireballs Geschichte endgültig. Nicht, dass er jemals daran gezweifelt hätte, aber seltsam hatte es doch allemal geklungen. Martin selbst war Shinji vom ersten Augenblick an vertraut vorgekommen. Kein Wunder, Captain Shinji Hikari war derjenige, den Martin mit sechs zum letzten Mal gesehen hatte. Ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken. Genau genommen saßen Fireball und er mit einem Toten beim Kaffee. Er murmelte: „Was machen wir nun?“

Auch Fireballs Stimme blieb bei der Antwort eher gedämpft: „Sicher kein Klassentreffen oder ähnliches. Dein Dad fällt tot um, wenn er den Captain noch mal sieht.“

Verwirrt blinzelte Shinji zu Martin hinüber: „Sein Vater?“

Fireball nickte zur Bestätigung: „Ja. Sein Dad. Milo kippt um, wenn er dich trifft. Genauso wie Commander Eagle und König Jarred. Von Ai mal ganz abgesehen“ er machte eine Pause, überlegte offensichtlich, was sie als nächstes tun sollten: „Klar ist, dass du wieder zurück musst. Noch klarer ist mir dummerweise nur, dass ich es nicht kann.“

Wieder stand der Hitzkopf auf und verschwand. Shinji hingegen wandte sich an Martin: „Emilio Rubario ist dein Vater? Bist du etwa Martin?“

Überfahren nickte Martin. Es war irgendwie immer noch seltsam, Fireballs Vater hier zu haben. Unbehaglich riskierte er einen Blick in den Wohnbereich hinein. Sein Captain war einfach aufgestanden und wieder gegangen. Die Reaktion gefiel Martin überhaupt nicht.

Auch Shinji fühlte sich nicht übertrieben behaglich. Er war von einem Moment auf den anderen hier gelandet und sah sich den erwachsenen Kindern seiner Kameraden gegenüber, seinem erwachsenen Sohn. Entweder wurde er langsam verrückt oder das alles passierte gerade wirklich. Shinji neigte den Kopf etwas zur Seite, während er Martin beobachtete. Irgendwie musste er ein Gespräch in Gang bringen: „Bist du in die Fußstapfen deines Vaters getreten, Martin? Ich glaube, du bist bestimmt ein hervorragender Pilot.“

Der Brasilianer dachte einen Augenblick über die Worte nach, ehe sich ein Schmunzeln auf seinen Lippen bildete. Er lehnte sich zu Shinji vor und erklärte: „Ja, das bin ich tatsächlich. Als Babyboy im vorigen Jahr bei uns gelandet ist, bin ich zur rechten Hand des Captains geworden. Unfreiwillig zwar, aber es ist okay.“

„Babyboy?“, Shinji zog die Augenbrauen fragend zusammen. Das war eindeutig zu viel Information auf einmal für den Piloten gewesen. Er stieß mit den Fingerknöcheln gegen die Kaffeetasse. Für ihn passte gerade einiges nicht zusammen. Und überhaupt! Weshalb traf er Fireball hier an, seine Freunde und Kollegen von Ramrod jedoch nicht? Skeptisch schielte Shinji zum jungen Rubario hinüber: „Sag mal. Wo sind eigentlich Fireballs Freunde?“

Als Martin gerade zu einer Antwort ansetzen wollte, stand Fireball wieder auf der Terrasse und übernahm es für den dunkelhaarigen Brasilianer: „Meine Freunde kommen so bald wie möglich“, er wandte sich Martin zu und sprach mit ihm, als würde sein Vater nicht neben ihnen sitzen: „Was erklär ich jetzt bitte König Jarred? Ramrod kommt her, weil ich grad Sehnsüchte habe, oder was?“

„Kannst du nicht Commander Eagle einweihen?“, warf Martin eine Frage zurück. Tatsächlich waren beide mehr als ratlos. Und da fiel ihm noch etwas ein: „Wieso kommt eigentlich Ramrod her?“

Fireball lehnte sich gegen die Mauer, er war immer noch nicht ordentlich angezogen und erklärte brummig: „Weil ich nicht weiß, wie man eine Zeitreise veranstaltet. Wir brauchen zumindest Saber und April hier.“

Es wurde mit jedem Wort deutlicher, dass Fireball keine Freude mit seinem überraschenden Besuch hatte. Tatsächlich war wieder einiges durcheinander geraten. Alleine, beziehungsweise mit seiner Crew alleine, konnte er diese Herausforderung nicht bewältigen. Er brauchte die Ramrodcrew und er hoffte auch inständig, dass April und Saber das schnell in Ordnung bringen konnten. Es würde schwer werden, einen alten Bekannten des Königs versteckt zu halten. Ein neuer Eiertanz, wie erfreulich. Fireball raufte sich die Haare. Dabei riskierte er doch einen Blick auf seinen Vater. Es war klar, dass der wusste, dass sie miteinander verwandt waren. Sie trafen sich also unter anderen Voraussetzungen wieder. Aber waren das die besseren? Fireball bezweifelte zumindest nicht, dass die nächsten Tage wieder spannend wurden.

Wie er seinen Vater so in Gedanken vertieft betrachtete, fiel ihm auf, dass dieser barfuß und ziemlich leger hier saß. Er fragte unvermittelt: „Wie läufst du eigentlich bei Jarred im Garten herum?“

Shinji schüttelte lächelnd den Kopf und zeigte auf sein jüngeres Pendant: „Und wie läufst du rum, wenn du unangemeldeten Besuch bekommst?“

Fireball schnaubte. Er bekam wohl immer auf eine Frage eine Gegenfrage als Antwort. Wieder stieß sich der Wuschelkopf ab und wandte sich zum Gehen. So schnell würde sich an der Situation hier nichts ändern. Deswegen versuchte er das Beste daraus zu machen. Im Weggehen erklärte er noch kurz angebunden: „Weil ich gerade im Bad war, als ich hier her gerufen wurde. Und dahin werde ich wieder zurück gehen.“ Er warf Martin noch einen kurzen Blick zu: „Erzähl dem Captain bitte nichts von der Zukunft.“
 

Martin runzelte die Stirn. Sein Captain war einem Pingpongball gerade sehr ähnlich gewesen. Raus, rein, raus und zu guter Letzt wieder rein und weg. Das behagte dem Brasilianer eher weniger. Überhaupt hatte er seinen Kumpel schon einige Zeit nicht mehr derart wortkarg erlebt. Das letzte Mal, bevor seine Beziehung zu April völlig in die Brüche gegangen war. Haareraufend drehte sich Martin seinem Gast wieder zu. Er musterte den Vater, den er selbst nur noch sehr dunkel in Erinnerung hatte. Für ihn war Captain Hikari als Kind kein Idol gewesen, was aber daran liegen könnte, weil er ein Arbeitskollege seines eigenen Vaters gewesen war. Martin hatte immer genauso wie sein Vater werden wollen, er war sein Vorbild gewesen. Auf die Kollegen von Emilio hatte der kleine Knirps damals nicht geachtet. Martin beobachtete den Mann in den Mittdreißigern aufmerksam. Er war ihm auf eine Art und Weise schon ziemlich vertraut. Wie er so dasaß. Überfahren von der Reaktion seines Sohnes. Da könnte in Martins Augen ebenso gut der jüngere Hikari sitzen.

Martin räusperte sich. Er sollte nichts von der Zukunft erzählen? Aber musste er nicht einiges richtig stellen? Er hatte schon bemerkt, dass Shinji offenbar keinen Anschluss an seine Worte hatte finden können. Ohne weitere Gedanken an Fireballs Anweisung zu verschwenden, erklärte Martin: „Shinji arbeitet nicht mehr auf Ramrod. Kurz nach der Wiederkehr wurde er versetzt. Er…“

Nun hielt er inne. Plötzlich wusste Martin nicht, wie er Shinji erklären wollte, dass er in der Base gelandet war? Doch Shinji nickte verstehend und zeigte wieder auf das Emblem des Shirts. Er hatte sofort verstanden. Der Kurze war nicht mehr auf Ramrod, dafür war er in die Base gekommen. Shinji lehnte sich in die Stuhllehne zurück. Er überdachte die Informationen, die er von Saber erst vor kurzem bekommen hatte. Der Schotte hatte ihm erzählt, dass sie aus dem Jahr 2086 gekommen waren, er hatte aber an diesem Morgen das Jahr 2087 an der Säule gelesen. Also war ein weiteres Jahr ins Land gezogen. Shinji verglich es mit Martins Worten. Allmählich verstand er, dass sich nach der Rückkehr der vier jungen Soldaten gehörig was geändert hatte. Leise glaubte er richtig verstanden zu haben: „Der Kurze fliegt mit dir in der Base.“

Zögerlich nickte Martin: „Ja, …mit, …oder so.“

Die Situation behagte dem Brasilianer nicht. Er forderte deshalb kurzerhand seinen Gast auf: „Hören Sie. Sie sollten mit Babyboy reden. Mir gefällt nicht, dass er so schnell das Weite gesucht hat.“

Wieder nickte Shinji. Er ließ sich von Martin den Weg ins Bad zeigen. Nachdem er geklopft hatte, trat er ein und räusperte sich: „Hast du zwei Minuten für mich, Kurzer?“

Fireball war noch nicht ganz fertig, aber zumindest war er angezogen. Mit einem Kopfnicken deutete er auf Wäsche, die auf der Waschmaschine lag. Er fuhr sich durch die Haare: „Ist nix Besonderes, aber es sollte dir passen. Zumindest hast du dann Socken an.“

Shinji schmunzelte, nickte dabei dankbar. Er besah sich die Kleidungsstücke. Sie waren eindeutig von Fireball. Der Captain wusste nicht, wie er ein Gespräch beginnen sollte, also beobachtete er seinen Sohn genau. Recht viel schien sich nun doch nicht verändert zu haben, zumindest fiel Shinji auf den ersten Blick nichts Gravierendes auf. Leicht schmunzelnd zog er sich das Shirt über den Kopf: „Mir ist klar, dass du dich nicht sonderlich freust, mich zu sehen.“

„Das ist es nicht“, er wandte sich seinem Spiegelbild zu, um endlich eine vernünftige Frisur zustande zu bringen. Fireball war sich auch ohne seinen Vater ansehen zu müssen, ziemlich sicher, dass er dessen Aufmerksamkeit besaß. Er überdachte seine nächsten Worte sehr genau, klang dabei allerdings nach wie vor unterkühlt: „Ich befürchte, dass du hier einiges durcheinander bringen könntest.“

Shinji nickte, während er die Hosen wechselte. Die Stoffhose war bequemer, als sie zunächst ausgesehen hatte. Der Captain schnallte den Gürtel um, dabei warf er wieder einen Blick zu seinem Sohn. Der war irgendwie seltsam und tatsächlich wurde Shinji das Gefühl nicht los, dass er bei seinem Sohn unerwünscht war. Leise seufzte er: „Ich bin bestimmt nicht freiwillig hier.“

„Weiß ich“, antwortete Fireball monoton. Er wandte sich seinem Vater nun zu: „Wie lange ist es noch bis zur großen Schlacht?“

Irritiert zog der ältere die Augenbrauen zusammen: „Saber hat als Datum den 27. Juli genannt. Ausgehend davon, dass dein Freund nicht lügt, hab ich eine Schonfrist von vier Tagen.“

Dabei schluckte Shinji kaum merklich. Es war seltsam zu wissen, wann der Tag kommen würde, an dem er von Yama geholt wurde. Er hatte sich selbst dazu entschieden, den Kindern der nächsten Generation zu helfen, ihm war durchaus klar gewesen, dass er mit seinem Tod der Menschheit einen großen Dienst erweisen würde. Er würde nicht umsonst sterben. Aber wenn er an seine Frau dachte, an sein ungeborenes Kind, von dem er nie erfahren hätte, da wurde dem harten Mann ganz anders zumute.

„Dann sollten wir zusehen, dass wir dich vier Tage vor der Schlacht auch wieder dort absetzen. Ich hoffe, April und Saber kriegen das zielsicher hin“, dieses Mal sah der junge Captain seinem Vater in die Augen und bekam dabei beinahe selbst einen Schrecken. ‚Rasier ihn, schneid ihm die Haare ab und dein Zwillingsbruder steht vor dir!‘ Fireball zog sich alles zusammen. Er konnte sich die Kommentare von Stan und Oli schon ausmalen! Oh Hilfe, hoffentlich zog das plötzliche Auftauchen seines Vater nicht noch größere Kreise! Der Japaner hatte sich gerade erst an die neuen Umstände gewöhnt, fühlte sich angekommen, da brauchte er keine weitreichenden Veränderungen und Konsequenzen!

Fireball atmete tief durch und hielt seinen Vater an: „Eins noch. Rede mit niemandem über die Vergangenheit, oder wie wir beide zusammen gehören. Du bleibst in dieser Wohnung, bis Ramrod eingetroffen ist, hast du mich verstanden…“, leiser murmelte er: „Vater?“

Er verstand zwar, was er machen musste, der Ton missfiel ihm allerdings etwas. Klar, Shinji war Fireballs Captain gewesen, aber nun klang das, als wäre es verkehrt herum. Im nächsten Moment jedoch empfand er Stolz. Lächelnd, aber völlig unprofessionell salutierte er: „Jo. …Du klingst beinahe wie ein richtiger Captain, Kurzer!“

Fireball öffnete die Badezimmertür und trat einige Schritte aus dem stickigen Bad heraus. Er warf seinem Vater einen schmerzlichen Blick zu und berichtigte ihn: „Ich bin der Captain.“

Ehe Shinji etwas darauf erwidern konnte, hatte sein Sohn die Badezimmertür auch schon geschlossen und hatte ihm seinem Schicksal überlassen. Der ältere Hikari schlüpfte in die Socken, besah sich schließlich im Spiegel und stellte fest, dass ihm die Morgentoilette nicht schaden würde. Unterdrückt seufzte Shinji. Er wusste nicht, ob er sich freuen sollte, seinen Sohn noch einmal sehen zu dürfen oder vor Angst einfach in das nächste Loch verschwinden sollte. Er hielt Zeitreisen für eine völlig verrückte Angelegenheit, hätte selbst niemals daran geglaubt, wenn ihm nicht vor einigen Monaten die vier Kinder in die Arme gelaufen wären. Aber jetzt stand er in einer völlig fremden Zeit! Shinji hatte ohne sein eigenes Zutun einen Zeitsprung von mehr als zwanzig Jahren gemacht, von einer Sekunde auf die andere war alles völlig verändert. Es war beängstigend, aber das würde er niemals zugeben. Shinji war zumindest froh, in der Nähe von Bekannten gelandet zu sein. Nicht auszumalen, wie es sein musste, sich in einer völlig fremden Zeit und Umgebung zurecht finden zu müssen!
 

Als Fireball wieder aus dem Bad gekommen war, saßen Oliver und auch Stan bereits wieder auf der eigenen Terrasse und genossen die Sonne. Der Schwede grinste seinem Kumpel entgegen: „Wen hat Martin denn da aufgegabelt, Babyboy?“

„Einen…“, Fireball zögerte mit seiner Antwort. Was sollte er ihnen bloß sagen? Die Ähnlichkeit würde ihnen auffallen, er kannte Stan und Oli dementsprechend lange. Fireball ließ die Schultern hängen, als er flunkerte: „Er ist… mein äh Onkel.“

Amüsiert zog Stan seine Augenbrauen in die Höhe und zeigte in die Wohnung: „Schämst du dich für die Verwandtschaft oder was ist los? Dein Onkel scheint ganz okay zu sein, kein Grund so herumzustottern, Babyboy.“

Martin ging vorsorglich dazwischen. Im Augenblick jedenfalls war es nicht klug, irgendjemandem auch nur irgendwas zu erzählen. Der Brasilianer wollte zuerst ausloten, wie sehr Fireball vom Auftauchen seines Vaters mitgenommen war und wie er ihm beistehen konnte. Da nervte ihn Stan mit seiner neugierigen und treffsicheren Nase gerade nur. Kurzerhand entschied er deswegen: „Seid ihr zwei nicht mit einkaufen dran, Snörrebröd? Ich würde vorschlagen, du und Oli geht gleich, dann habt ihr es hinter euch.“

Nun verzog Stanley irritiert das Gesicht. Ganz offenbar waren er und Oliver immer noch unerwünscht. Er warf seinem Captain einen fragenden Blick zu, stand dann allerdings gehorsam auf und ging mit Oliver. Er hatte auch in Fireballs Gesten erkennen können, dass sie momentan fehl am Platz waren. Mit dem Onkel war was faul. Aber für den Augenblick ließ Stan fünfe grade sein und verschwand mit dem Kroaten, der ohnehin seltsam ruhig und gelassen dem ganzen Theater gegenüber stand.

Als die beiden Piloten die Wohnung verlassen hatten, und Fireball glaubte, sie wären endlich allein, brach es aus dem jungen Mann unvermittelt hervor. Er war lange beherrscht und für seine Verhältnisse stoisch ruhig geblieben. Nun aber konnte Martin sehen und hören, was er befürchtet hatte. Einen mit der Situation völlig überforderten Captain. Fireball sah Martin hilfesuchend an: „Kannst du mir verraten, wie ich das hinkriegen soll, Marty?! Wie soll ich meinen Vater wieder in seine Zeit zurückbringen und wo soll ich ihn solange lassen, bis ich weiß, wie? Ich kann ihn doch nicht zum Sterben zurückschicken?!“

„Atme erst mal tief durch, Shinji“, Martin drückte den jungen Spund auf einen Stuhl und versuchte, ihn so gut als möglich zu beruhigen. Er konnte sehr gut verstehen, was dieser Kauderwelsch an Worten hatte bedeuten sollen. Erst einmal versuchte Martin Plan und Organisation in die Lage zu bringen. Er wollte von Fireball wissen: „Wann kommen Saber und die anderen? Hast du ihnen vorhin überhaupt erzählt, weshalb du sie brauchst?“

Fireball schüttelte den Kopf. Das hatte er nicht. Er hatte seine Freunde lediglich angerufen und Saber gebeten, so schnell wie möglich nach Jarr zu kommen. Der Schotte hatte ihm zugenickt und erwidert, er sähe zu, was sich machen ließe. De facto war bei ihrem kurzen Telefonat gar nichts zur Sprache gekommen.

Martin verstand. Er holte Fireballs Telefon und legte es ihm in die Hand: „Dann ruf sie bitte gleich noch mal an. Erzähl ihnen, was los ist, was sie eventuell auf ihrer Reise hierher bereits vorbereiten können und frag sie, ob sie vielleicht eine Idee haben, was wir Jarred und Commander Eagle auf die Nase binden.“

Nickend wählte Fireball wieder einen seiner Freunde auf Ramrod an. Dieses Mal war es Aprils Nummer. Ihm war danach, mit ihr zu sprechen. Unbewusst hatte er deshalb nun ihre Nummer gewählt.

Martin stand daneben und beobachtete das Gespräch. Dass sich Fireballs Vater zu ihnen gesellte, bemerkten die beiden nicht, weil Shinji sich im Hintergrund aufhielt.

Aprils Stimme klang verwundert, als sei abhob: „Turbo? Hast du nicht gerade mit Saber telefoniert?“

„Ja. Ich hab ihn gebeten, dass ihr herkommt“, er nickte, bemerkte aber, wie Aprils Anblick ihn augenblicklich wieder ruhiger werden ließ. Ihre Bindung war in den letzten Wochen wieder merklich besser geworden, sie hatten oft miteinander telefoniert und allmählich standen sie freundschaftlich wieder in etwa da, wo sie vor ihrer Beziehung gewesen waren. Er erklärte April mit einem schmerzlichen Blick: „Süße, ich brauche eure Hilfe. Bitte sag mir, dass du das mit den Sprüngen durch die Zeit präzise hinkriegst.“

April verstand nicht ganz, allerdings hatte sie schon bemerkt, dass auch die anderen zuhören sollten, weshalb sie während des Gespräches ihr Telefon mit Ramrod verband und auf die großen Schirme im Kontrollraum legte. Sie erwiderte: „Ich hoffe nicht, dass ich überhaupt noch mal durch die Zeit springen muss.“

„Mein… Vater ist hier, Süße. Er braucht ein Shuttle zurück. Ich hatte gehofft, ihr könntet der Escort-Service zurück sein.“

Augenblicklich erstarrte April. Ihr Blick wurde für Sekunden leer, ganz offenbar kamen schlechte Erinnerungen wieder zurück. Die Navigatorin von Ramrod musste einige Male tief durchatmen, bis sie sich gefangen hatte. Sie überschlug schnell, was das alles zu bedeuten haben könnte. Fireballs Vater war also im Königreich Jarr gelandet, ohne Vorwarnung. Das war extrem seltsam. Hatten sie vielleicht doch etwas im Raum-Zeit-Verhältnis durcheinander gebracht? Waren sie überhaupt in der Lage, Captain Hikari dort abzuliefern, wo er hinsollte? April verschränkte grübelnd die Arme vor der Brust und verfiel kurzfristig in dumpfes Brüten.

Da April das Telefonat auf die großen Schirme gelegt hatte, hatten auch ihre männlichen Kollegen Gelegenheit, die wichtigsten Dinge zu hören. Auf Fireballs Display erschien plötzlich Alessandro neben April, der ihr in diesem Augenblick wohl Halt zu geben versuchte. Merklich presste Fireball die Zähne aufeinander und wandte den Blick kurz von dem kleinen Bildschirm ab. Dieser Anblick, aber auch die eingetretene Stille behagte ihm ganz und gar nicht.

Colt meldete sich plötzlich zu Wort: „Nur `ne Frage zum Verständnis, Fireball. Wer weiß denn von der Anwesenheit des Captains und naja… Was weiß der gute Bruchpilot eigentlich alles?“

Über Colts Worte war Fireball im Moment dankbar. Zum einen, weil sie ihn ablenkten und zum anderen, weil er sich so wieder auf sein eigentliches Thema konzentrieren musste. Er ließ seine Freunde von Ramrod wissen: „Marty weiß, dass er mein Vater ist. Stan und Oli hab ich grad noch Blödsinn aufgetischt. Ist die Frage wie lange es dauert, bis sie mich durchschauen. Und was den Captain betrifft. Der ist voll im Bilde“, nun fand sogar der Galgenhumor seinen Weg an die Oberfläche: „Er war zwar nicht gut angezogen, als er hier ankam, aber er kennt uns alle. Bleibt nur die Frage, ob das was helfen wird.“

Colt schob seine Unterlippe unentschlossen nach vor und hob seine Schultern. Der Cowboy war sich nicht sicher, ob das ihre neue Aufgabe leichter machen würde. Der Schuss konnte auch nach hinten los gehen. Der Senior mochte über sein Schicksal Bescheid wissen, aber was sollten sie machen, wenn er alte Bekannte noch einmal sehen wollte, wissen wollte, wie sich alles entwickelt hatte? Colt verstand von Zeitreisen nichts, das gab er auch gerne zu. Aber er überlegte, was er wissen wollen würde, wenn er in Captain Hikaris Haut steckte und plötzlich in der Zukunft landen würde. Er würde sofort wissen wollen, was aus seinen Freunden, seiner Frau und seinem Kind geworden war, wie es ihnen ergangen war. Gut möglich, dass auch der Captain das wollte. Okay, er war zufällig gleich bei seinem Sohn gelandet, aber genau das könnte der Punkt sein, der die Angelegenheit ungemütlich machte. Wenn er mit seinem Sohn engere Bande knüpfte und von dessen Werdegang allzu viel erfuhr, war es gut möglich, dass sich Shinji gegen sein frühzeitiges Ableben entscheiden könnte und somit ihre Zukunft noch gehöriger durcheinander wirbelte.

Während Colt vor sich hingrübelte, bekam Fireball von Saber einen Rat und ein Versprechen: „Versuch den Kreis der Mitwisser so klein als möglich zu halten. Wir sehen zu, wie schnell wir die Mission hier beenden können und kommen sofort zu Jarred.“

Fireball nickte dankbar. Bevor er das Telefonat jedoch beendete, erkundigte er sich noch: „Hey, Superschwert? Du hast nicht zufällig eine plausible Erklärung für Jarred und Eagle parat, weshalb ihr plötzlich kommt? Urlaub klingt sofort verdächtig und dass ich mich der Situation nicht gewachsen sehe, klingt nach einem Versetzungsgrund.“

Ausgerechnet von Colt kam eine brauchbare Idee. Er schnippte mit den Fingern: „Du brauchst einen Übungsrenegade. Ramrod ist ja im Prinzip auch einer. Wie wollt ihr denn einen realistischen Outriderangriff üben, wenn ihr keinen übermächtigen Renegade habt?“

Anerkennend nickte Saber: „Die Idee hätte glatt von mir sein können.“

„Du bist nicht der einzige Klugscheißer in der Runde hier“, sofort verteidigte sich Colt. Wäre doch eine ausgemachte Frechheit, wenn die guten Ideen nur von Saber oder April kommen würden! Er war mindestens genauso einfallsreich, wie die beiden Genies, eben ein bisschen unkonventioneller.

Saber überging den Kommentar und versicherte Fireball ein weiteres Mal, dass sie so bald wie möglich ins Königreich aufbrechen würden. Solange würden sie an einer neuerlichen Zeitreise feilen.
 

Fireball legte sein Telefon zur Seite. Tatsächlich fühlte er sich nun besser. Seine Freunde waren eingeweiht und würden ihm helfen. Er sah zu Martin hinüber. Es war ein gutes Gefühl, sich auf seine Freunde verlassen zu können. Der Kreis seiner engsten Freunde war inzwischen um einen größer geworden. Fireball ertappte sich bei der Frage, was er wohl ohne Martin machen würde.

Der Brasilianer lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Rahmen der Terrassentür und nickte zuversichtlich. Solange Ramrod nicht hier war, konnten sie nicht viel unternehmen, aber er nahm sich vor, in dieser Zeit verstärkt ein Auge auf seinen jungen Freund zu werfen. Martin konnte sich nicht im Geringsten vorstellen, wie es sich anfühlen musste, plötzlich mit seinem Vater zusammen leben zu müssen, den man, wenn es nach dem eigentlich Lauf der Geschichte gegangen wäre, niemals kennen gelernt hätte. Das musste für beide Hikaris ein harter Brocken sein.

Martin stieß sich ab und munterte Fireball nochmal auf: „Glaub mir, Babyboy. Schnell ist bei Ramrod immer ziemlich schnell.“

Nun grinste Fireball: „Solange ich der Pilot war, hat das vielleicht gestimmt, aber jetzt sind sie zum Bummelzug abgestiegen!“, er stand ebenfalls auf. Sein Blick suchte Martins Augen, also hob er den Kopf leicht und lachte diesem schließlich tapfer entgegen: „Die werden schon herfinden. Wozu haben sie sonst so einen hübschen Navigator an Bord?“

Martin stieß Fireball leicht gegen die Schulter und grinste: „Glaubst du, sie hat Sehnsucht?“

Der Brasilianer war der einzige, der Fireball damit aufziehen durfte. Colt war vor der Mission zu Jarred her noch gehörig damit eingefahren. Saber, Alex und auch Stan und Oli hielten sich lieber noch zurück. Vor allem bei Fireball. Colt hatte seinen beiden Freunden auf Ramrod natürlich gebeichtet, wie empfindlich getroffen Fireball deswegen gewesen war. Für Saber hatte das nur einen Schluss zugelassen. Er war in diesem Fall Colts Meinung. Alex hielt sich ganz einfach deswegen zurück, weil er auf Aprils Seite stand und weil er nach wie vor nicht viel mit dem Captain der Base zu tun hatte. Aber irgendwann, nach der momentanen Lage zu urteilen, würde er ziemlich bald mit ihm zusammen arbeiten müssen und so auch mehr mit ihm zu tun haben. Dann würde er sich selbst ein Bild darüber machen. Stan und Oli versuchten eher, den abgeworfenen Reiter wieder aufs Pferd zu bekommen. Vor allem Stan schleifte seinen Chef ständig auf die Piste.

„Eher weniger“, gestand der Japaner, lächelte dabei aber immer noch leicht. Er klopfte Martin seinerseits auf die Schulter, und ließ seinen Freund wissen: „Aber sie ist die beste im Karten lesen. …Ich schau jetzt mal, ob’s der Captain aus dem Bad geschafft hat.“
 

Shinji hatte sowohl das Telefonat als auch das folgende Gespräch verfolgt. Er hatte alles gehört. Gleich war ihm dabei aufgefallen, dass Ramrod innerhalb des Oberkommandos wohl einen Sonderstatus hatte. Als Martin von April gesprochen hatte, hatte sich ein breites Lächeln davon gestohlen. Soso, sein Kleiner traute sich immer noch nicht unter die Bettdecke von Charles` Tochter!
 

Oliver und Stan hatten erwartungsgemäß nicht lange gebraucht, bis ihnen aufgefallen war, dass etwas nicht stimmen konnte. Dieses Mal hatte Oliver angefangen, nachzubohren, als er bemerkt hatte, dass Fireballs Onkel bei ihnen bleiben würde. Lang und breit hatte er deswegen noch am Abend mit Stanley im Bett wach gelegen und diskutiert. Sie hatten die Daten zusammengetragen und Fakten ausgewertet, bis sie zu dem Schluss gekommen waren, dass an der Geschichte etwas faul war und sie lieber eingeweiht werden wollten.

Darum begann am reich gedeckten Sonntagsfrühstückstisch auch ein neuerliches Gespräch. Die fünf Männer saßen zusammen bei Kaffee und Brötchen, als Stan unverfänglich mit Captain Hikari zu reden begann: „Mal `ne Frage am Rande. Bist du nicht stolz auf unseren Babyboy? Steuert mehr als zwei Jahre erfolgreich Ramrod und beerbt dann mit zwanzig seinen Papa in der Base.“

Shinji sah Stan mit großen Augen an: „Beerbt?“

Fireball indes knurrte Stan über den Tisch hinweg an: „Stan!“

Doch Stan ignorierte Fireballs Warnung geflissentlich. Der Onkel schien da nicht wirklich Bescheid zu wissen. Deswegen fuhr er ungerührt fort: „Ja. Wir nennen’s beerbt. Weil sein alter Herr doch vor zwanzig Jahren der Captain in der Einser war und er just vor dem runden Jahrestag der Angriffe unser Captain geworden ist. Hat auf der Gedenkfeier eine sehr schöne Szene abgegeben, als der jetzige Captain das Bild vom damaligen hochgehalten hat“, Stan musterte nun den ungewöhnlichen Besucher genauer. Der Mann sah dem alten Captain Hikari von dem Foto schon ziemlich ähnlich. Der blonde Schwede zeigte auf dessen Gesicht: „Wenn ich mir dich allerdings genauer ansehe, siehst du seinem Vater eh zum Verwechseln ähnlich. Wieso hab ich dich da auf der Gedenkfeier eigentlich nicht gesehen? Babyboys Mama war da, da hätte sich doch sein Onkel auch blicken lassen können.“

Betroffen senkte Shinji bei der Vorstellung daran, wie sein Sohn als Captain der Einser das Bild seines toten Vaters ehren hatte müssen, die Augen, nachdem er Fireball kurz angesehen hatte. Stans Worte hatten keinen Zweifel daran lassen, dass es eine ziemliche Tortur gewesen sein musste. Nicht nur für die Piloten der Air Strike Base. Er murmelte bekümmert: „Das muss meiner Ai das Herz aus der Brust gerissen haben.“

„Deiner Ai?“, nun hob Stan irritiert die Augenbrauen in die Höhe. Mit der Wortmeldung konnte der Schwede nicht wirklich viel anfangen. Auch Oliver hatte nun die Ohren gespitzt, bisher hatte er dem Gespräch keine Aufmerksamkeit entgegen gebracht.

„Mann, Stan!“, grollte es von der anderen Seite des Tisches herüber: „Noch pietätloser geht’s grad nicht!“

Der blonde Mann nickte zu seinem Captain hinüber: „Wieso pietätlos? Ich hab doch bloß erzählt, wie du zu uns gekommen bist.“

„Du hast dich eher grad darüber lustig gemacht, wie originell die Gedenkfeier zum zwanzigsten Todestag war“, Fireball sah seinen Vater entschuldigend dabei an. Für seinen Kumpanen auf der anderen Seite des Tisches hatte er allerdings keine netten Blicke mehr übrig. Er fuhr Stan abermals an: „Spar dir endlich die verdammten Vergleiche mit Captain Hikari! Reicht’s dir nicht, dass du mir damit auf die Nerven gehst?“

Stan verteidigte sich. Dabei zog er am Ärmel von Shinji und ihn somit ungewollt auf seine Seite: „Du bist der einzige, der auf seinen Vater allergisch reagiert.“

Als die einzige Antwort darauf ein unangenehmes Schweigen und unbehagliche Blicke des Betroffenen waren, fuhr Stan fort. Der Schwede kam nicht im Entferntesten auf die Idee, dass er hier gleich Colt als Fettnäpfchenkaiser ablösen würde. Wie hätte er auch ahnen können, wer wirklich vor ihm stand?

Martin drückte seinen Freund auf seine vier Buchstaben und warf Oliver einen Blick zu, Stan konnte er wortlos nicht mehr aufhalten. Er hätte früher etwas unternehmen sollen, hatte aber darauf gebaut, dass sich dieses Gesprächsthema von selbst aufhörte.

„In der Beziehung versteh ich dich echt überhaupt nicht“, er deutete auf seinen Boss: „Bei dem kleinen Test damals war dir alles in Bezug auf deinen Dad völlig egal. Zumindest hast du so getan. Hör mal, Babyboy, dein Dad war ein Held, da gehört der ganze Tamtam dazu und auch, dass man über ihn redet.“

Fireball knurrte von seinem Platz aus hinüber: „Schon mal gehört, dass Helden nur dann welche werden, wenn sie sterben?!“

Irritiert von dem Wortgefecht zwischen Stan und Fireball, wollte Shinji schlichten, bevor hier mehr als nur Worte durch die Luft flogen. Er hatte sehr wohl gemerkt, dass Fireball nicht über all diese Dinge sprechen wollte und dass Stan ihm da einfach kein Gehör schenkte. Er tippte dem Schweden auf die Schulter: „Du, Stan? Lass gut sein, ich weiß schon, was du sagen willst.“

Der Angesprochene wandte sich seinem neuen Kumpel zu. Zufrieden nickte er schließlich wieder in Fireballs Richtung: „Siehst du, Babyboy? Dein Onkel versteht mich. Du kannst deine Wurzeln nicht wegdiskutierten. Im Oberkommando wirst du immer der Sohn von Captain Hikari bleiben. Unser Babyboy eben.“

„Ja, ganz toll!“, Fireball sah ein, dass er nichts erreichen würde, wenn er bei Stans Worten immer ärgerlicher wurde. Also atmete er tief durch und musterte den blonden Querulanten noch einmal eingehend. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er vermuten, dass der Schwede bereits Lunte gerochen hatte. Verdammt schnell. Seine Augen glitten aufmerksam zu Oliver hinüber. Der hatte sich in der ganzen Diskussion noch nicht einmal zu Wort gemeldet. Da war was faul. Fireball stand schließlich auf. Er wusste, Stan würde die nächsten Tage und sogar Wochen mit solchen Gesprächen aufwarten, bis er wusste, was er wissen wollte. Das würde der Rennfahrer nicht aushalten. Niemals. Fireball beäugte kurz Martin, dann sah er seinen Vater wieder entschuldigend an und begann umher zu tigern. Der Japaner raufte sich die Haare. Er murmelte geschlagen: „Okay, Knäckebrot. Du und Oliver wisst, dass hier etwas nicht stimmt. Das merke ich an deiner verbissenen Art, mir auf die Nerven zu gehen. Ihr beide haltet die Klappe, verstanden? Wenn nicht, habt ihr gehörige Probleme an der Backe“, er blieb abrupt stehen und zeigte auf den älteren Japaner: „Der gute Mann da ist nicht mein Onkel.“

„War mir gleich klar“, kam die zu erwartende Wortmeldung von Stan. Fireballs Worte ließen ihn bisher noch ziemlich unbeeindruckt. Er und Oli hatten sich sowas schon gedacht. Den Befehl hatte er bisweilen einfach mal zur Kenntnis, aber nicht unbedingt ernst genommen.

„Dann versuch zu erraten, wer unser Besuch wirklich ist“, forderte Fireball ihn heraus.

Der Schwede gehörte zu den Menschen, die sich einer Herausforderung immer mit Feuereifer stellten, sei sie auch noch so gering. Diese hier nahm er ohne zu zögern an. Er besah sich die momentane Situation noch einmal genauer. Martin wusste bescheid, das war ihm vom ersten Augenblick an klar gewesen. Der kleine Verräter da! Stan bemerkte einmal mehr, dass der Brasilianer einen ziemlich guten Draht zum kleinen Japaner haben musste, immerhin wurde die rechte Hand des Captains immer sofort eingeweiht. Manchmal war das schon nervig. Besonders in diesem Fall. Stan wusste nicht weshalb, aber er meinte zu spüren, dass sie hier den Zusammenhalt dringend brauchen würden und dass deswegen auch die Nummer drei und die Nummer vier der Base eingeweiht werden sollten. Er sah zu Fireball, anschließend zu ihrem Gast hinüber. Grübelnd verzog Stan das Gesicht. Sie waren sich schon ziemlich ähnlich, die beiden Männer. Ihr Vulkan köchelte auf niedriger Flamme vor sich hin, der ältere Japaner schien ebenfalls nichts Gutes zu ahnen. Der Mann war sehr höflich, aber Stan war schon am Vortag aufgefallen, dass er Fireball besser zu kennen schien. Er musterte die Statur von Shinji eingehend. Vor allem die Gesichtszüge. Hatte er sich eben auf des Rätsels Lösung gebracht? Nein, der Schwede glaubte nicht daran. Verdammt, es sah so aus, als würde er dieses Mal verlieren. Er sprach seine Gedanken offen aus: „Wenn ich nicht wüsste, dass es sowieso völliger Quatsch ist, hätte ich jetzt mal ins Blaue geraten und behauptet, der nette Onkel da ist geradliniger mit dir verwandt. Er sieht dem alten Captain der Einser irgendwie ähnlich. Das Foto, das da bei dir im Büro steht…“

Shinji schluckte. Ihm war die Situation gerade mehr als unangenehm. Er fing erst jetzt zu begreifen an, was sein Auftauchen heraufbeschwören könnte. Die Kinder hatten niemandem erzählt, was sie erlebt hatten. Offenbar waren Zeitreisen wirklich mehr ein Hoppala des Universums als alltägliche Praxis. Leider war Shinji bis dato nur klar, dass er hier gerade nichts ausrichten konnte und es seinem Sohn überlassen musste, wie es weiterging. Shinji sah fragend zu seinem Sohn hinüber: „Kurzer?“

Martin und Oliver hatten inzwischen ebenfalls aufgehört, sich am Frühstück zu schaffen zu machen. Während der Brasilianer die schlimmsten Befürchtungen über den weiteren Verlauf auspackte, war bei Oliver die Neugierde geweckt. Er hatte gewusst, dass er Stan das Fragen überlassen konnte. Sein Kumpel war in der Hinsicht wesentlich erbarmungsloser als er selbst. Mit verschränkten Armen lehnte er sich erwartungsvoll zurück. Welches Geheimnis würde der Schwede zu Tage befördern?

Ihm schien es, als wären alle Blicke auf ihn gerichtet. Fireball war selten jemand, der eher die Flucht als den Kampf suchte, aber in diesem Fall wäre er lieber ein kleines scheues Rehlein als ein Pitbull gewesen. Leider blieb ihm dieses Mal nichts erspart. Mit nicht übertrieben viel Begeisterung umrundete er den Tisch, stellte sich direkt vor Stan und spannte die Muskeln. Fireball drückte den Rücken durch, um Stan halbwegs gerade in die Augen sehen zu können. Mit einem schweren Seufzen allerdings deutete er hinter sich: „Also, ich fang mal ganz hinten an. Er wird nicht ewig dableiben. Sobald Ramrod hier ist, werden sie ihn wieder nachhause bringen. In seine… Zeit“, Fireball senkte kummervoll die Augen. Stan und auch niemand sonst sollte sehen können, wie ihm tatsächlich zumute war: „Meinen… Vater.“

Fügung

Es war schwierig, sich an Abmachungen zu halten, auch wenn sie wichtig waren. Das bemerkten in den nächsten Tagen alle. Für Stan, Oliver und auch Martin war es schwierig, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie jemanden beherbergten, der gar nicht hier sein dürfte. Nachdem Oliver und Stanley alle Fragen bei ihrem schrägen Frühstück beantwortet bekommen hatten, stand für die beiden fest, das Beste aus der Situation zu machen und offen für Neues zu sein. Für die beiden Männer war es gar keine Frage gewesen, Shinji bei sich zu beherbergen. Sie hatten mit Fireballs Vater keine Schwierigkeiten und auch Martin war die Anwesenheit nicht unangenehm. Für die beiden Hikari war es ungleich schwerer unter einem Dach zu wohnen. Zwar hielt sich Shinji daran, das Haus nicht zu verlassen und sich nicht mit den Nachbarn zu unterhalten, aber das führte lediglich dazu, dass langsam der Frust in ihm empor kroch. Sein Sohn hielt ihn von allem fern, was einen Einblick auf die Zukunft hätte geben können.

Eines allerdings hatte Fireball seinem Vater nicht verbieten können. Er war so klug gewesen, ihn von der Umwelt abzuschotten, hatte aber nicht bedacht, dass Shinji auch über Nachrichten erfahren könnte, wie es in der Welt zugehen würde. Shinji nützte diese Schwachstelle in ihrer Vereinbarung gnadenlos aus. Als er erst einmal begriffen hatte, wie die Technik in zwanzig Jahren so funktionierte und woher er die gewünschten Informationen bekam, war er bald im Bilde. Manchmal erschrak der ältere Hikari über die Brutalität, die tagtäglich dort draußen vorherrschte. Es gab wohl keinen Flecken Erde, auf dem nicht zumindest ein Bürgerkrieg wütete. Sein Tod würde Menschen zwar die Zeit verschaffen, sich etwas gegen die Outrider einfallen zu lassen, aber ein friedlicherer Ort wurde daraus dennoch nicht. Als er wieder einmal einen Bericht über eine völlig zerstörte Stadt gesehen hatte, machte er erschüttert den Fernseher aus und stand auf.

Shinji musste sich ablenken und begann deswegen für die jungen Männer Essen zu kochen. Die würden wie immer kurz nach Feierabend nachhause kommen. Während Stan oftmals abends noch ausging und auch Oliver seine freie Zeit außerhalb der vier Wände genoss, blieben Martin und Fireball eher zuhause. Der Brasilianer zog sich manchmal in das Schlafzimmer zurück um ungestört mit seiner Freundin telefonieren zu können. Shinji hatte schnell bemerkt, dass die Liebe dort ziemlich groß war.
 

An diesem Abend duftete es bereits nach Essen, als Fireball mit den anderen dreien die Tür aufschloss. Stan steckte die Nase in die Wohnung und nahm förmlich Witterung auf. Er folgte der verlockenden Duftspur und mutmaßte: „Boah, was riecht denn da so lecker? Ist das eine japanische Spezialität?“

Fireball jedoch blieb am Eingang stehen. Er wusste, wonach es roch. Einen Moment lang sog er den Duft von Ramen ein. Es roch wie zuhause. Zumindest für die Länge des Abendessens vergaß der junge Captain, wie schwierig ihre Situation war und welche Herausforderung es noch zu bestehen galt. Weil an diesem Abend ausnahmsweise gleich nach dem Abendessen alle die Flucht ergriffen und ins Kino ausflogen, blieb an Fireball der Abwasch hängen.
 

Während er schweigend das gebrauchte Geschirr in den Geschirrspüler stapelte, blieb sein Vater am Küchentisch sitzen und beobachtete ihn, ebenso schweigend. Dem älteren Japaner wog das Herz in letzter Zeit schwer. Zum einen weil er wusste, dass er bald sterben würde und zum anderen, weil er die letzten Tage aufmerksam durch die Wohnung gegangen war und seinen Sohn unentwegt beobachtet hatte.

Fireball setzte sich schließlich wieder an den Küchentisch. Er schob seinem Vater eine Flasche Bier vor die Nase, seine öffnete er danach mit dem Flaschenöffner. Danach wanderte auch der Öffner zu seinem Vater hinüber. Fireball nahm einen Schluck von dem kalten Getränk und seufzte leise. Sein Blick haftete an dem Etikett der braunen Flasche, das er abzuziehen begann. Der Japaner konnte sich immer noch nicht richtig darüber freuen, seinen Vater bei sich zu haben. Es lastete schwer auf ihm, denn er alleine hatte die Entscheidung getroffen, seinen Vater so schnell wie möglich wieder zurück zu schicken. Er hatte das Schicksal seines Vaters in Windeseile besiegelt. Und dann rang er auch schon seit Tagen mit sich. Immer wieder hatte er sein Telefon in Händen gehalten und hatte sie anrufen wollen, doch er hatte nie gewusst, was er ihr sagen sollte. Die Wahrheit hätte sie nicht verstanden. Fireball sah schließlich zu seinem Vater auf und murmelte: „Ich wollte Ai anrufen und sie herbitten.“

Erstaunt, aber dennoch aufmerksam sah Shinji seinem Sohn ins Gesicht. Er hatte bereits am ersten Tag gemerkt, dass Fireball mit der Verantwortung und der Situation seine Kämpfe ausfocht, aber weshalb er Ai nun hier haben wollte, erschloss sich dem Vater nicht sofort. Shinji rückte seinen Stuhl zurück, dabei streckte er seine Beine unter dem Tisch durch. Unbewusst begann der ältere Hikari nun ebenfalls am Etikett der Bierflasche zu pulen. Er fragte seinen Jungen leise: „Weshalb willst du deine Mutter hier haben, Kurzer?“

„Nicht wegen mir“, kam die gemurmelte Antwort prompt. Für die nächsten Worte brauchte der Wildfang schon wieder wesentlich länger. Fireball hatte die letzten Nächte nicht viel geschlafen, Gedanken hatten ihn gequält und auch viele Fragen hatten ihn wach gehalten. Das ein oder andere Mal hatten sich auch Gedanken über seine Familie dazwischen gesellt und das epische Wort ‚Schicksal‘ hatte mit gemischt. Fireball fragte sich, ob es Schicksal war, dass sein Vater genau hier, genau zu dieser Zeit gelandet war. Vielleicht durfte sein Vater Abschied nehmen und Fireball glaubte, dass auch seiner Mutter dieses Recht zustand. Fireballs Blick ging an seinem Vater vorbei, als er ihm gestand: „Ich denke, Ai hat einen ordentlichen Abschied von dir verdient. Ja, meinetwegen kommt der zwanzig Jahre zu spät, aber das ändert nichts. Du bist mit dem Wissen zu dem Manöver aufgebrochen, dass du nie wieder zurückkommen würdest. Du konntest dich darauf einstellen, Ai nicht.“

Shinjis Schultern hingen nach unten. Sein Sohn hatte Recht. Dank Saber und den anderen Kindern hatte er gewusst, was auf ihn zukommen würde. Seiner Ai hatte er nichts davon erzählen können. Er hatte, in seinem krampfhaften Versuch, sich nichts anmerken zu lassen, ihr noch nicht einmal gesagt, wie sehr er sie liebte. Mit dem Gedanken daran, begann sich das Herz des Piloten zusammen zu ziehen. Er war zehn Jahre mit Ai verheiratet gewesen, gekannt hatten sie sich beinahe noch mal so lange. Solange er sich zurück erinnern konnte, war seine Ai für ihn da gewesen, hatte ihm in guten und auch schlechten Zeiten beigestanden. Die letzten Monate ganz besonders. Shinji sah zu seinem Sohn hinüber. Als der junge Wirbelwind zu ihm in die Einheit gespült worden war, waren Ai und er sich einig gewesen, gerne so ein Kind wie ihn zu haben. Shinjis Augen wurden wehmütig. Er dachte an den letzten Tag in Yuma zurück, als er sich von Ramrod verabschiedet hatte und er geglaubt hatte, niemals Vater zu werden. Shinji wusste nun, was die mit Abstand schlimmste Erfahrung in seinem Leben für ihn gewesen war. Es war schon unerträglich, jahrelang zu versuchen, ein Kind zu bekommen. Aber ungleich schrecklicher war es zu erfahren, dass der Sohn, den man unter normalen Umständen niemals kennen gelernt hätte, niemals existieren würde. Shinji blickte zu seinem jüngeren Pendant hinüber. Er musste dem Schicksal mit seinem Tod einen wahrlich großen Dienst erweisen, wenn es ihm weitere Zeit mit seinem Sohn gewährte.

Schließlich antwortete Shinji: „Versteh mich nicht falsch, aber ich glaube nicht, dass du Ai herholen solltest. Es ist zwanzig Jahre her, wie du gesagt hast. Es wäre nicht richtig.“

Fireball verstand diese Reaktion nicht. Für ihn war klar, dass es einen Grund geben musste, weshalb sein Vater in der Gegenwart gelandet war und es kam nur in Frage, dass er sich von seiner Frau verabschieden sollte. Er dachte nicht eine Millisekunde daran, dass dieses Treffen einen anderen Grund haben könnte. Ein wenig verbohrt begehrte er auf: „Aber weshalb solltest du sonst hier sein?!“

Ein väterliches Lächeln stahl sich über Shinjis Lippen. Er stand auf, seine leere Bierflasche stellte er neben das Spülbecken. Während er für Nachschub sorgte, begann er zu argumentieren: „Ich denke, dass der Grund hier am Tisch sitzt. Yama will mich belohnen und gibt mir noch etwas Zeit, bevor er mich holt. Anders kann ich es mir nicht erklären.“

„Verschont mich mit eurem Aberglauben! Der wird leider nur allzu gerne Realität“, Fireball sank in seinem Stuhl hinab. Seine Mutter sprach in einer Tour von Wiedergeburt und Reinkarnation, die Geschichte vom Gott des Todes wollte er nicht auch noch auswendig können. Er hatte sich knappe zwanzig Jahre gegen die Geschichten gesträubt und nur, weil sie kein Hokuspokus waren, bedeutete das für den Sturkopf noch lange nicht, dass er sich noch weitere anhören würde. Fireball fuhr sich durch die Haare. Er war recht froh, dass seine Kollegen das Weite gesucht hatten, er wusste für sich selbst, dass er ein vertrauliches Gespräch mit seinem Vater brauchte. Als sich Shinji wieder zu ihm an den Tisch gesetzt hatte, kam auch Fireball aus seiner lungernden Haltung wieder empor. Er sah seinen Vater an und widersprach ihm ganz offen: „Ich glaube kaum, dass man fürs Sterben heutzutage noch belohnt wird und dass das alles hier was mit Yama oder sonst einem Dämon zu tun hat. Viel eher haben wir mit unserer unabsichtlichen Zeitreise was durcheinander gebracht. Saber hat eine solche Befürchtung vom ersten Tag an gehegt.“

Shinji öffnete sein Bier, den Deckel drehte er auf der Tischplatte einige Male, bevor er ihn wegschnippte. Er ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. Er verstand zwar, dass die vier zufällig in seiner Zeit gelandet waren, aber alles andere war ihm zu hoch. Deshalb begann der ältere Hikari, das Thema möglichst schnell wieder zu beenden. Weder er noch sein Sohn konnten offenbar etwas daran ändern, weshalb sollten sie es dann zerreden? Shinji musterte seinen Sohn und ertappte sich dabei, wie er ihm immer wieder einen Stempel aufdrückte. Wieder einmal stand für ihn fest, dass er eindeutig zu wenig über seinen Jungen wusste.

Fireball hörte sich die Argumente seines Vaters geduldig an, dabei trank er sein Bier aus. Sie würden tatsächlich zum Warten verdammt sein, bis Ramrod hier eintraf. Bei seinem Glück konnte das noch Wochen dauern! Ob seine Geduld so lange reichen würde, war mehr als fraglich.

Er hatte sich auch nach Tagen noch nicht an die Anwesenheit seines Vaters gewöhnt. Er fühlte sich nicht wirklich wohl in dessen Umgebung. Hauptsächlich lag das an seinem schlechten Gewissen. Fireball warf einen Blick zu seinem Vater hinüber und machte plötzlich Anstalten, den Raum zu verlassen. Im Türrahmen blieb er stehen und murmelte: „Ich wollte dich niemals enttäuschen …und auch nicht belügen.“

„Wie meinen?“, der ältere reckte den Kopf in Richtung der Tür. Diesen Tonfall hatte er bereits einmal bei Fireball vernommen, damals hatte es wegen seiner nächtlichen Touren Ärger mit seinen Freunden gegeben. Shinji schob den Stuhl zurück und stand auf. Er begriff nicht sofort, was ihm Fireball sagen wollte, er wusste aber sehr wohl, dass er das Gesagte so nicht stehen lassen konnte. Shinji ging auf den jungen Captain zu, blieb hinter ihm stehen und murmelte ebenfalls: „Dass du mich belogen hast, ist nur allzu verständlich“, milde lächelnd klopfte er seinem Sohn auf die Schulter: „Himmel! Ich hätte dir sowieso nicht geglaubt, wenn du mir gleich zu Beginn die Wahrheit aufgetischt hättest.“

Shinji wurde selbst wieder ernster. Für ihn waren die Geschehnisse nicht so weit weg, wie für seinen Sohn. Manchmal war er immer noch verwirrt über die letzten Wochen, konnte kaum begreifen, was alles um ihn herum passiert war, was noch passieren würde. Sein Druck auf die Schulter seines Sohnes verstärkte sich unmerklich. Wieder wurde ihm das Herz schwer. Er würde seinen Sohn nie aufwachsen sehen.

Fireball spürte die Hand seines Vaters nur allzu deutlich. Wer in diesen Stunden wohl mehr Halt brauchte? Er oder sein Vater? Fireball schoss durch den Kopf, dass sie nun in seiner Zeit waren, er derjenige war, der sich hier zurecht fand. Er musste die Stärke für sie beide aufbringen. Langsam wandte er sich zu seinem älteren Spiegelbild um, streifte dabei dessen Hand ab, nur um ihm seine auf die Schulter zu legen. Mit einem missglückten Lächeln wollte er wissen: „Wie ist das eigentlich, wenn man seinen Sohn als erwachsenen kennen lernt, bevor die eigene Frau schwanger ist? Muss praktisch sein, wenn man sich das Windelwechseln spart.“

Wehmütig senkte der Japaner den Blick. Ihm steckte ein Kloß im Hals: „Ich würde dich gerne aufwachsen sehen, Kurzer. Ich möchte wissen, was dich zu dem Menschen macht, der du bist.“

Nun blieb Fireball sein Lächeln im Halse stecken. Er hatte gehofft, seinem Vater die trüben Gedanken verscheuchen zu können, aber das war offenbar nach hinten losgegangen. Langsam sank seine Hand am Arm seines Vaters herab, er zog sich förmlich vor ihm zurück. Was sollte er seinem Vater nur sagen? Jedes Mal, wenn er ihm in die Augen sah, kamen die Erinnerungen wieder hoch, wie er ihn belogen hatte. Und noch schlimmer. Fireball musste wieder daran denken, wie er Shinji in seinem Büro einfach nur angeschwiegen hatte, nichts auf dessen Vermutungen hatte erwidern können. Er schluckte und wandte sich ab. Fadenscheinig klang seine Begründung: „Ich muss morgen wieder recht früh raus, ich sollte ins Bett. Schlaf gut.“

Shinji ließ den Jungen ziehen, hatte nur zu deutlich die Mauer gesehen, die Fireball diesbezüglich aufgezogen hatte. Aber der ältere Hikari hatte auch bemerkt, wie die vergangenen Ereignisse an seinem Sohn nagten. In Fireballs Fall immer noch. Für ihn waren die Geschehnisse bereits über ein Jahr her, und dennoch schienen sie ihn manchmal noch zu belasten. Seufzend wandte sich Shinji von der offenen Wohnzimmertür ab. Er ließ Fireball seine Ruhe. War immerhin gerade wieder eine besondere Situation, die so bestimmt nicht viele Menschen erlebten.

Shinji ging zum Küchentisch, nahm seine Bierflasche und setzte sich auf die Terrasse. Er konnte sich nach wie vor keinen Reim darauf machen, wie er hierher gekommen war, aber vielleicht war es kein Zufall gewesen. Für Shinji fühlte es sich beinahe so an, als hätte er noch etwas Entscheidendes zu erledigen. Vielleicht sollte er aber auch nur den Abschied nachholen. Oder aber er sollte der Zukunft noch einen Schubs in die richtige Richtung mitgeben. Egal, was es war, sein Aufenthalt hier hatte bestimmt seine Berechtigung und einen Sinn.

Er sah in den Himmel auf. Wie lange Ramrod wohl brauchen würde? Shinji hatte keine Vorstellung davon, wie gut der große Cowboy im Vergleich zu den Transportmitteln seiner Zeit war und er wusste auch nicht, auf welcher Mission sich die Freunde seines Sohnes gerade befanden. Aber er hoffte, die drei gesund und munter begrüßen zu dürfen. Die Kinder waren ihm in der kurzen Zeit sehr ans Herz gewachsen, nicht zuletzt, weil sie alle mit einer großen Bürde lebten. Saber hatte Shinji viel von ihrem Leben erzählt. Obwohl sie Zweifels ohne alle so unterschiedlich wie Tag und Nacht waren, verband sie doch die Liebe zum neuen Grenzland und dem Frieden.

Shinji senkte mit einem leichten Lächeln den Kopf. In Fireballs und Aprils Fall verband die beiden auch noch etwas anderes. Ach ja, die erste Liebe. Seit er das Telefonat zwischen April und Fireball neulich belauscht hatte, hatte er seinen Sohn nie gefragt, wie es nun eigentlich um die beiden stand. Manchmal fragte sich der ältere, ob der jüngere überhaupt schon begriffen hatte, dass sich April sein Herz genommen hatte. Wenn sein Junge nur ein bisschen so war, wie er selbst, dann hatte er es noch nicht einmal gemerkt. Amüsiert nahm Shinji einen Schluck von seinem Bier und versuchte, den lauen Sommerabend auf der Terrasse zu genießen. Ewig würde es ohnehin nicht mehr dauern, bis Fireballs Freunde von ihrem Kinobesuch zurückkamen.
 

Wieso nur fühlte er sich so mies? Fireball saß auf dem Bettrand und raufte sich die Haare. Das Gespräch eben war ganz und gar nicht gut verlaufen und das auch nur, weil er solchen Mist daher geschwafelt hatte. Seufzend richtete er sich auf und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. Dabei zählte er im Gedanken die Fakten zusammen. Kopfschüttelnd kam er zu dem einzigen Schluss, zu dem er bisher jeden Abend seit dem Auftauchen seines Vaters gekommen war. „Scheiß drauf!“, hörte sich der Japaner sagen, bevor er kehrt machte und aus dem Zimmer trat.

Als er seinen Vater im Wohnzimmer nicht sehen konnte, sehr wohl aber die offene Terrassentür bemerkte, holte er nochmal zwei Getränke aus dem Kühlschrank und trat in den Garten hinaus. Shinji starrte in den Nachthimmel hinauf und schien ihn noch nicht bemerkt zu haben. Fireball setzte sich leise neben ihn. Er riskierte selbst einen Blick in den Himmel. Die Sterne funkelten mit dem Halbmond um die Wette, hin und wieder schob sich eine Föhnwolke vor die herrliche Stimmung.

„Ich glaub, die Sterne sind bei dir zuhause dieselben“, leise machte Fireball auf sich aufmerksam.

Shinji senkte endlich den Blick. Er hatte Fireballs Anwesenheit längst bemerkt. Er hatte lediglich ihr Zusammensein genossen. So viel Gelegenheit hatten sie dazu leider nicht. Shinji sah zu ihm hinüber und lächelte wehmütig: „Die Sterne bringen Hoffnung und manchmal ist eine Sternschnuppe in der Lage, die Zukunft zu verändern.“

Fireball boxte seinem Vater leicht gegen die Schulter, als er ihn ebenfalls anlächelte: „Wir sollten diesen Wink des Schicksals nützen“, nun beinahe schüchtern fuhr er fort: „Ich möchte es dieses Mal richtig machen. Wäre es nach dem normalen Verlauf der Geschichte gegangen, hätte ich dich nie kennengelernt, …Vater.“

Shinji nickte zustimmend. Dabei rutschte er etwas näher und legte einen Arm um Fireball. Leise begann er zu erzählen: „Ich mochte dich irgendwie von Anfang an, Kurzer. Du hast mich sehr an mich selbst erinnert, ohne dass ich auch nur geahnt hätte, wer du bist. Und ich hab auch gemerkt, dass es dir schwer zu schaffen macht, ohne Vater aufgewachsen zu sein“, ein Seufzen verließ Shinjis Mund: „Ich war ohne es zu wissen der denkbar schlechteste Gesprächspartner und hab alles noch schlimmer gemacht.“

„Ich konnte mit der ganzen Situation überhaupt nicht umgehen. Du warst instinktiv das, was du niemals hättest sein können. Ich hab gemerkt, wie viel Vertrauen du mir entgegen gebracht hast. Das hat das Lügen zusätzlich noch schwerer gemacht.“

„Es muss wirklich Schicksal gewesen sein, dass wir uns kennen gelernt haben“, Shinji zwinkerte verstohlen. Er wollte seinen Sohn nicht sehen lassen, dass er mit den Tränen kämpfte. Der Captain war schon dankbar gewesen, überhaupt zu erfahren, dass Fireball sein Sohn sein würde. Nun hatte er abermals die Gelegenheit, ihm zur Seite zu stehen, ihn ein Stück seines Weges zu begleiten und ihn natürlich näher kennen zu lernen. Shinji ertappte sich immer wieder dabei, wie er sein eigen Fleisch und Blut beobachtete und musterte. Es gab so vieles, das ihm seit jenem Tag, an dem er erfahren hatte, dass der Wildfang sein Sohn war, wissen wollte. Natürlich war Shinji neugierig, was die Zukunft bereit hielt, aber ihm war auch bewusst, dass zuviel Wissen großes Unheil und Chaos über alle Beteiligten bringen konnte.

Fireball zog seinen Fuß auf die Sitzfläche und umschlang ihn mit den Armen. Er linste zu seinem Vater hinüber. Wie oft hatte er sich im letzten Jahr gewünscht, mit ihm reden zu können, ihm die Meinung ins Gesicht zu schreien, weil er ihm eine solche Last aufgebürdet hatte? Fireball schloss die Augen. Er hatte unzählige Stunden damit verbracht, das Kriegerdenkmal im Oberkommando anzukeifen und allen anderen in seiner Umgebung etwas vorzumachen. Das alles war vergangen. Schließlich hatte er zu sich selbst gefunden und seine Geschichte akzeptiert. Mit Galgenhumor ließ er Shinji wissen: „Ich hab wohl einen Fluch zu viel gegen dein Denkmal geschrien. Anders kann ich mir nicht erklären, dass du hier bist!“

Irritiert richtete sich Shinji etwas auf: „Flüche gegen welches Denkmal?“

Amüsiert wandte sich Fireball um. Ungeniert erzählte er seinem Vater von der Wut und der Überforderung, die nach ihrer Rückkehr in ihm gehaust hatten. Ohne etwas von dem Geschehenen preis zu geben, schilderte er dem älteren Japaner wie schlecht er mit dem Erlebten hatte umgehen können, dass er sich niemanden hatte anvertrauen können und dadurch so einsam wie niemals zuvor geworden war.

Shinji hörte aufmerksam zu, verstand aber nicht alles, weil ihm der Zusammenhang zu den Ereignissen, die Fireball bewusst ausgelassen hatte, fehlte. Shinji erinnerte sich an Martins Angaben und die Erklärung, dass Fireball nicht mehr bei Ramrod arbeitete. Als er bemerkte, dass der jüngere sich alles von der Seele geredet hatte, ergriff er das Wort. Shinji ging sehr umsichtig an das heran, was er wissen wollte: „Für dich war die Reise in die Vergangenheit also kein Glücksfall. Es hat dir mehr Probleme gemacht.“

Fireball blickte in die Sterne hinauf: „Ich schätze, sie war für niemanden eine Wohltat. Meine Freunde haben sehr darunter gelitten. Auch Colt und Saber, obwohl sie es nie zugeben würden. Als wir dachten, wir hätten das Schlimmste überstanden und wir endlich wieder zuhause waren, kam die nächste Keule.“

Shinji meinte zu verstehen: „Du bist bald darauf zur Base versetzt worden, nicht wahr?“

Noch während Fireball nickte, biss er sich auf die Lippen. Immer noch erinnerte er sich an Sabers Worte von damals, dass sie die Zukunft nicht verändern durften. Fireball sah seinem Vater in die Augen, er glaubte nicht, dass dieser wegen eines Gespräches sein Schicksal nicht erfüllen würde. Im Gegenteil, für seinen Vater schien seine Anwesenheit ein Geschenk für das Opfer, das er bringen würde, zu sein. Shinji wusste ganz genau, wo sein Platz war. Deswegen erzählte Fireball: „Wir hatten eine Woche Urlaub, den haben wir auf der Quarantänestation verbracht. Danach hat mir Eagle angeboten, zur Einser zu wechseln“, er hielt kurz inne und wog ab, wie er es verpacken sollte. Wenn er schon mit seinem Vater sprach, wollte er dieses Mal ehrlich sein. Das war er ihm und sich selbst schuldig: „…als Captain.“

Shinji blieb das Wort im Halse stecken. Damit hatte er nicht gerechnet. Fireball war der Captain seiner alten Einheit?! Kein Wunder, dass er in seinem Alter damit überfordert gewesen war.

Fireball schmunzelte, als er die Reaktion seines Vaters bemerkte. Mit einer guten Portion Humor rieb er ihm unter die Nase: „Du bist nicht der einzige Captain Hikari, nur damit wir uns verstehen“, etwas ernster, aber nicht ohne Stolz, fügte er noch hinzu: „Ich war bereits auf Ramrod Captain. Richard hat mich gut angelernt.“

„Richard?“, Shinji standen die Fragezeichen auf die Stirn geschrieben. Auf Ramrod hatte doch niemand Richard geheißen. Nachdenklich kratzte sich Shinji am Hinterkopf und sah Fireball offen an. Er kam gerade gar nicht mehr mit.

Als Fireball der fragende Blick auffiel, begann er abermals zu erzählen. Der Japaner hatte ziemlich bald nach ihrer Rückkehr schon vergessen, dass es vor ihrer Reise anders gewesen war. Saber hatte ihm manchmal von ihren Erinnerungen erzählt und auch Colt hatte dem Hitzkopf oft genug andere Details ihrer Vergangenheit erzählt. Das war mitunter für alle verwirrend gewesen. Deswegen nahm sich Fireball die Zeit auch darüber zu sprechen.

Die beiden Asiaten saßen bis weit nach Mitternacht zusammen ohne zu bemerken, dass auch die restlichen Bewohner nachhause gekommen waren und das Königreich Jarr Besuch bekommen hatte.
 

„Das ist also Jarr“, übertrieben begeistert zeigte sich Alessandro nicht von ihrem neuen Einsatzort, als sie sich im Landeanflug befanden. Der Palast schien das einzig Sehenswerte auf diesem Planeten zu sein.

Colt saß in seiner Satteleinheit und stupste sich beiläufig den Hut aus der Stirn. Lässig stützte er ein Bein auf die Seitenverstrebung seiner Satteleinheit. Sein Blick galt den vielen Lichtern unter ihnen. Ja, das war das Königreich Jarr. Schmunzelnd erinnerte sich Colt an den Regenten und seinen Sohn. Das war damals schon eine amüsante Mission gewesen. Colt konnte nicht sagen, weshalb er sich auf diesen Abstecher so sehr freute. Der Grund für ihre Anwesenheit war immerhin eine mittelschwere Katastrophe, wenn es überhaupt reichte. Aber irgendwie freute er sich auf den schnöseligen Akzent von Roland, auf Fireballs Vater und vor allem auf ihren Flüchtling. Colt hatte sich mühsam daran gewöhnt, Fireball nur noch alle paar Wochen bei ihren Zwischenstopps auf Yuma zu sehen und nun war er auch schon wieder weg. Die letzten beiden Landungen im KOK waren allesamt unspektakulär gewesen. Kein Begrüßungskommitee und vor allem kein Welcome-Drink! Naja, Colt würde beides morgen Früh von Fireball einfordern. Seine Lippen verzogen sich zu einem fiesen, verschmitzten Grinsen.

Saber gab Alessandro noch einige Anweisungen zum Anflug und erzählte ihm auch von den besonderen Umgangsformen im Königshaus. Der Highlander war mit Alex durchaus zufrieden. Auch noch nach dem Telefonat von Fireball vor einigen Tagen, als er um ihre Hilfe gebeten hatte. Der Italiener hatte die damals entstandene Stille gebrochen. Mit einem zuversichtlichen Kopfnicken hatte er gemeint: „Also, worauf warten wir noch? Einen Freund lässt man nicht im Stich!“ Saber war von dieser Haltung sehr beeindruckt gewesen. Immerhin wussten sie alle, wie gern sich Fireball und Alessandro mochten. Ja, der Highlander war begeistert von Alessandros Haltung. Er passte gut auf Ramrod. Nicht nur fachlich, sondern auch menschlich war der Italiener einer von ihnen. Auch, wenn sein Scharfschütze das anfangs nicht so gesehen hatte.

April saß ebenfalls in ihrer Satteleinheit. Mit einem Ohr war sie bei Saber und Alex, das andere hatte sie auf Durchzug gestellt. Sie fragte sich, welche Situation sie in Jarr erwarten würde. Fireball hatte sie nicht wieder angerufen. Aufgrund ihrer Vorgeschichte war es nichts Ungewöhnliches, da aber auch Saber und Colt seither eher weniger vom gemeinsamen Freund gehört hatten, machte sich April Sorgen. Normalerweise war das bei Fireball kein gutes Zeichen. Hoffentlich hatte ihn dieser außergewöhnliche Umstand nicht wieder völlig aus der Bahn geworden.

Alex landete Ramrod leise auf dem Rollfeld und parkte den Friedenswächter. Am nächsten Morgen würden sie sich ordnungsgemäß anmelden und die aktuelle Lage auskundschaften.
 

Am Morgen wussten schon alle, dass es kein gewöhnlicher Tag sein würde. Hätte Shinji die Jungs nicht geweckt, wären sie vor Mittag wohl kaum aus den Federn gekommen, und das an einem Arbeitstag. Beim Frühstück und auch im Badezimmer der vier jungen Männer herrschte zum einen Hochbetrieb und zum anderen das pure Chaos.

Mit der Toastscheibe im Mund schob Fireball seine Kollegen schließlich zur Wohnungstür raus und murmelte hastig einen Gruß. Er konnte es sich nicht erlauben, auch nur eine Minute zu spät zum Dienst zu erscheinen, er stand auch ohne Ausrutscher jederzeit unter Beobachtung. Zum Glück war der Stützpunkt nicht weit von ihrem Quartier entfernt, trotzdem waren sie an diesem Morgen die letzten. Zu allem Überfluss war auch noch richtig was los und sogar Prinz Roland und König Jarred waren schon da. Das war nicht gerade nach dem Geschmack des Rennfahrers. Er wollte sich noch heimlich vorbeimogeln, doch Jarred hatte ihn schon längst entdeckt: „Guten Morgen, Junge!“

Oh man, Fireball hielt in seiner Bewegung inne und kniff die Augen zusammen. Er wusste, dass er gemeint war. Schnell wandte er sich um und salutierte: „Guten Morgen, Eure Hoheit! Was führt Euch schon frühmorgens zu uns?“

Milde lächelte der König, während sich Roland einen spitzen, aber dennoch freundschaftlichen Seitenhieb nicht verkneifen konnte: „Mir scheint, du ast disch eute verspätet. Isch ätte disch angerufen.“

„Ja, echt?“, verblüfft griff Fireball in seine Brusttasche und fand… nichts! Mist, das Telefon lag noch in der Wohnung. Fireball überspielte seine Verlegenheit: „Ja, weißt du, ich telefoniere nicht, wenn ich fahre. Lenkt zu sehr vom Verkehr ab.“

„Verschlafen offenbar auch! Und blind macht es auch noch!“, Colt trat lauthals lachend zwischen den Piloten hervor. Ramrods Crew hatte sich zwischen ihnen versteckt, nun begrüßten sie den überrumpelten Freund lächelnd.

Überfahren umarmte er seine Freunde kurz und reichte Alex die Hand: „Yeah, ihr seid schon da? Wieso habt ihr nicht angerufen?“

Wieder war es Colt, der lachend antwortete: „Wer weiß bei dir schon, wo du dich rumtreibst, vor allem abends! Da hätten wir doch nur gestört, hätten wir doch.“

Nun war es an Stan dem Lockenkopf einen vielsagenden Blick zuzuwerfen. Der blonde Mann hatte sofort verstanden, was Colt gemeint hatte. Zu komisch einfach, aber da waren sich Colt und Stanley extrem ähnlich.

Währenddessen wurde Fireball immer verlegener. Wie fand er aus dieser Situation bloß wieder raus? Ihm war klar, wie weit es gehen würde, wenn die beiden Spaßvögel weiter Gelegenheit hatten, schlüpfriges auszutauschen.

Saber erhörte den stummen Hilferuf, indem er vor den König trat und ihn höflich fragte: „Da nun alle hier sind, Eure Hoheit, schlage ich vor, wir klären das weitere Manöver.“

Dankbar über den Themenwechsel nickte Jarred. Der Schotte fuhr fort: „Wer hat denn eigentlich das Kommando über das Manöver?“

Gleichzeitig streckten Prinz Roland und Fireball den Arm aus um auf den jeweils anderen zu zeigen: „Er!“

Sabers Augenbraue zuckte irritiert nach oben. Wenn er bedachte, weshalb sie wirklich hier waren, sah er schon das blanke Chaos ausbrechen. Na, das konnte heiter werden. Der Schotte schenkte seinem Freund einen tadelnden, aber nicht wirklich strengen, Blick, ehe er seine Haltung straffte. Aus Reflex wollte Saber schon die Hand auf seinen Säbel legen, doch diesen trug er gerade nicht. Deswegen stützte er seine Hand kurzentschlossen in die Hüfte. Wieder wandte er sich mit einem höflichen Gesichtsausdruck und einem angemessenen Tonfall an König Jarred: „Eure Hoheit. Ich schlage vor, Ihr, Prinz Roland, Fireball und ich setzen uns zusammen und besprechen den weiteren Verlauf der Übungen.“

Nun meldete sich Roland noch einmal fröhlich zu Wort: „Eine fantastische Idee, Saber. Dann at Shinji nosch Gelegeneit sein petit dejeuner nachzuolen.“

König Jarred bat sie, ihm zu folgen. Saber hatte bemerkt, dass der Umgangston im Königreich Jarr wesentlich freundlicher geworden war. Beinahe schon wie unter alten Freunden. Offenbar war die Übung bisher wirklich gut gelaufen und Fireball hatte sich noch keine Fehler geleistet. Saber folgte dem König und dem Prinzen, der Rennfahrer lief neben ihm her. Der Schotte beobachtete seinen langjährigen Teamkollegen und Freund. Er schien seinen Platz gefunden zu haben. Saber huschte ein Schmunzeln über die Lippen. Es hatte ja auch lange genug gedauert, bis der Sturkopf es eingesehen hatte. Obwohl wieder ein Berg unangenehmer Aufgaben vor ihnen lag, schien es allen Beteiligten nun besser damit zu gehen. Saber war gespannt, wie es wohl Captain Hikari mit der aktuellen Situation ging. Zunächst konzentrierte er sich allerdings auf das Gespräch mit dem König und Roland. Obwohl ihre Tarnung darin bestand, Trainingspartner für die Monarch Supreme und die Jetpiloten zu sein, so war Saber sehr darauf bedacht, dass Ramrod genügend freie Zeit übrig blieb. April und er mussten noch etliche Konfigurationen vornehmen, Berechnungen anstellen und überlegten sogar, ob sie einen Probesprung versuchen sollten.
 

Da gingen die wichtigen Menschen von Dannen. Die Crews des Königreichs und des Oberkommandos warteten noch ab, bis die vier außer Sichtweite waren und gingen dann diszipliniert ihrer Arbeit nach. Natürlich mit dem nötigen Spaß und Frohmut an der Sache. Das erleichterte das Arbeiten immerhin ungemein.

Auf dem Platz vor dem Palast blieb nur noch ein kleines Grüppchen übrig. Es war der Rest der Ramrodcrew und die Nummer zwei der Base. Martin hatte mit einem Augenzwinkern Stan und Oli dazu auserkoren, den Laden am Laufen zu halten, bis die Chefitäten wieder vor Ort waren, er würde sich um die Neuankömmlinge kümmern. Der Brasilianer besah sich die drei Freunde genauer. Seit Alessandro gewechselt hatte, sahen sich die beiden ziemlich selten. Nur einmal war Alex für ein intensiveres Gespräch zu ihm gekommen, das war an jenem Morgen gewesen, nachdem sich April und Fireball ausgesöhnt hatten. Martin konnte nicht genau sagen, wie er seither über den Freund dachte. Einerseits fand er den Argwohn, den Alessandro Fireball und seiner Geschichte gegenüber hegte, berechtigt, andererseits glaubte er aber auch Eifersucht in Alex‘ Gesten und Worten zu erkennen. Ob da nicht doch noch was anderes mit im Spiel war als die Sorge um eine gute Freundin?

Seine braunen Augen glitten über die Gestalt der einzigen Frau an Bord von Ramrod. Ja, April kannte er besser, als er eigentlich sollte. Er hatte nie viel mit April zu tun gehabt, dennoch glaubte er ziemlich genau zu wissen, wie die junge Frau in mancherlei Hinsicht tickte. Von alleine wäre er nie auf die Idee gekommen, dass auch April manchmal das Herz schwer wog, aber seine Alessa hatte ihm da schnell Feuer unterm Hintern gemacht. Schade, so dachte Martin zu sich selbst, dass Alessa nicht hier war. Sie hätte April in den nächsten Tagen bestimmt eine Freundin sein können und hätte den Männerüberschuss etwas reduziert. Aber seine Freundin wartete zuhause auf seine Wiederkehr. Zwar telefonierten sie jeden Tag, aber das war nicht das selbe, wie sie bei sich zu haben. Er würde lieber mit ihr sein Zimmer teilen, als mit seinem Captain.

Colt stand neben April und war der letzte in der Runde, den Martin musterte. Der ungehobelte Klotz konnte vielleicht anderen den harten Macker vorgaukeln, aber der Brasilianer wusste es besser. Der Hutträger kochte erstens auch nur mit Wasser und dann auch noch auf Sparflamme. Er wusste von Fireball, dass Colt zwar Risiken einging, aber diese in der Regel gut einschätzen konnte. Naja, zumindest solange, bis er seinen Kopf auf stur schaltete. Der Lockenkopf war ein Familienmensch, der auch seine Freunde zur Familie zählte. Geriet jemand aus dieser Familie in Gefahr, er würde sich was abhacken um demjenigen helfen zu können.

Allesamt gute und loyale Freunde, wie sie hier standen. Das konnte Martin keinem abschlagen. Wenn Alessandro erst einmal wirklich begriff, welche Ausmaße ihr Aufenthalt hier wirklich hatte, würde auch der Italiener an einem Strang ziehen, vorbehaltlos. Martin war sich sicher, dass Alessandro allerspätestens dann katholisch wurde, wenn er Captain Hikari kennen lernen würde.
 

Nun standen sie also hier, wie bestellt und nicht abgeholt. April fühlte sich in Martins Gegenwart nach wie vor nicht übertrieben wohl. Mit Fireball an ihrer Seite wäre das vielleicht etwas anderes gewesen, aber mit Sandro und Colt dabei? April hatte irgendwie immer das Gefühl, Martin würde sie durchleuchten. Der Brasilianer war ein guter Freund von Fireball geworden, aber sie hatte mit Martin zu wenig zu tun, um ihn richtig einschätzen zu können. Er hatte sich nie darüber geäußert, wie er zu ihrer Affäre stand, auch nicht, was er generell von ihr hielt. Von Stan und Oliver hatte sie wenigstens zu hören bekommen, dass sie von ihnen Rückendeckung bekommen würden, wenn sie die Kraft aufgebracht hätten, ihre Beziehung weiter zu führen. So etwas hatte sie von Martin nie gehört. April sah an Martin hinab. An seinem linken Ringfinger saß ein unscheinbarer kleiner goldener Ring. Das Gegenstück dazu trug dessen Freundin Alessa. Martin hatte selbst eine ernsthafte Beziehung, aber würde er sich dennoch in fremde einmischen?
 

Colt riskierte einen Blick in die Runde. Er verstand nicht genau, weshalb sich die anderen drei beschnupperten. Sie kannten sich doch schon alle!? Nachdem er von Saber gehört hatte und auch selbst mitbekommen hatte, dass Martin ein Freund von Fireball war, hatte er keinerlei Bedenken, dass dem Brasilianer nicht zu trauen war. Fireball wählte seine Freunde wie sie alle sehr kritisch aus. Bekannte hatte jeder von ihnen schnell mal, aber Freunde, richtige Freunde, die suchten sie sehr bedacht aus.

Colt klopfte Martin deswegen auf die Schulter: „Was haltet ihr von Kaffee? Fireball ist nicht der einzige, der ein zweites Frühstück brauchen kann.“

Nun verschwanden auch die letzten vier von dem großen Platz.
 

Ramrod hatte im Gegensatz zur Crew der Air Strike Base 1 diesen Tag noch frei bekommen. Die Freunde hatten sich, nachdem Saber von ihrer Besprechung zurück gekehrt war, noch einmal zusammen gesetzt und das wichtigste besprochen. Der Schotte hatte von Fireball die genaue Adresse bekommen und die vier zum Abendessen eingeladen. Dort würden sie mit dem Captain und den anderen überlegen, wie sie die Zeitreise am besten anstellten und wie sie die Zeit bis zum Sprung unauffällig überstehen würden.

Gut gelaunt machten sich die vier zum vereinbarten Treffpunkt auf. Sie waren gespannt, wie die Base hier wohnte. Fireball hatte ihnen nur verraten, dass er für alle seine Crewmitglieder kleine Appartements gewollt hatte. Um halb acht standen die Freunde vor einem Mehrparteienhaus inmitten der Hauptstadt und sahen sich die Klingelschilder an. Wo sollten sie klingeln? Alessandro hatte keine großartige Lust, nach dem Namensschild zu suchen, er war sich ohnehin sicher, dass sie für einen dreimonatigen Aufenthalt hier keine neuen Namen anbringen würden. Der Italiener klingelte einfach bei drei verschiedenen Wohnungen und hoffte, dass wenigstens einer ihnen die verschlossene Eingangstür öffnen würde. Saber wusste ja zumindest, wo sich die Wohnung in dem Haus befand, wenn ihnen jemand öffnete, würden sie schon hinfinden. Tatsächlich ertönte bald darauf das Surren des Türöffners und die vier drückten sich schnell ins Stiegenhaus. Bis zur Wohnung war es nur noch ein Katzensprung. Dort wurden sie schon sehnsüchtig erwartet.

Die beiden Shinji öffneten ihnen die Tür, als sie die richtige Wohnung gefunden hatten und dort noch einmal klopften. Der ältere Hikari stand etwas versetzt hinter seinem Sohn, dennoch konnte man auf einen Blick erkennen, dass die beiden miteinander verwandt waren. Schaudernd drängte sich Colt an ihnen vorbei. Er begrüßte die zwei Asiaten kaum: „Ist beinahe wie in einem Horrorfilm.“

Kopfschüttelnd, aber lächelnd, trat Fireball zur Seite und ließ auch die anderen in die Wohnung. Saber begrüßte Fireball mit einem Nicken, Captain Hikari bekam die Hand gereicht. Da es im Eingangsbereich ziemlich beengt war, zog der Schotte es vor, mit Colt seiner Nase zu folgen und Richtung Wohn- und Essraum zu gehen.

April murmelte ein „Hi“, ehe sie Captain Hikari nur einen Blick zuwarf. Sie hatte schon vergessen gehabt, wie der Pilot aussah. Nun warf sein Anblick ihre Gefühlswelt abermals durcheinander. Sie wusste mit einem Mal wieder, wie niedergeschlagen sie alle gewesen waren. Als sie Captain Hikari das letzte Mal gesehen hatte, hatte er sich von ihnen verabschiedet und war zu dem Manöver aufgebrochen. Damals hatten sie gedacht, Fireball für immer verloren zu haben. April blinzelte, ehe sie Saber folgte.

Shinji hatte April sehr genau beobachtet. Sie hatte ihren Sohn nicht überschwänglich begrüßt, das verwunderte ihn. Er linste zu Fireball. Der Feigling hatte ihr bestimmt noch immer nicht gestanden, dass er in sie verliebt war. Shinji verzog die Augenbrauen, bei seinem Sohn war wohl wirklich Hopfen und Malz verloren.

Als letzter war Alessandro eingetreten. Er stand vor den beiden Hikari und legte die Stirn in Falten. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Eigentlich war er mehr als platt, Sandro hätte niemals geglaubt, den legendären Captain der Einser jemals kennen zu lernen. Abwartend sah er zu dem älteren Hikari hinüber.

Fireball schloss noch die Tür, dann galt auch seine Aufmerksamkeit dem Italiener. Er mochte Alessandro eigentlich nicht ungerne, aber das Verhältnis zwischen ihnen war angespannt. Der Italiener hatte entschieden, Aprils Beschützer zu sein und Fireball war nicht einmal gefragt worden, ob der Job denn überhaupt zu vergeben war. Als er Alessandros starren Blick bemerkte, räusperte er sich und stellte die beiden vor: „Alessandro, das ist mein Vater Shinji. Vater, Alessandro ist Ramrods neuer Pilot.“

Shinji war von seinem Sohn mit dem nötigen Wissen versorgt worden, so wusste der ältere Captain ziemlich genau, wen er vor sich hatte. Er war sogar so schlau gewesen, auch noch die anderen drei Mitbewohner nach ihrem ehemaligen Kollegen zu fragen um ein möglichst genaues Bild von Alessandro zu bekommen. Shinji reichte dem überfahrenen Italiener also die Hand und versuchte ihm die Verwirrung zu nehmen: „Freut mich, dich kennen zu lernen, Alessandro. Glaub um Himmels Willen nicht alles, was dir Minime so von mir erzählt hat. Ich bin weder ein Geist noch ein Dämon.“

Dabei lächelte er auffallend fröhlich. Shinji hatte viele Abende mit Beobachten verbracht und war bald darauf zu dem Schluss gekommen, dass ihm sein Sohn unheimlich ähnelte. Nun galt seine Aufmerksamkeit aber dem einzig neuen Gesicht für ihn in der Runde. Der Captain konnte es nicht genau erklären, aber so fremd schien ihm Alessandro nicht zu sein. Der junge Italiener ähnelte jemandem in seiner Umgebung ungemein.

Beinahe erstarrt hatte sich Alessandro von Captain Hikari die Hand schütteln lassen, seine Augen hingen an dem älteren Mann. Das war ein Traum! Garantiert veräppelten ihn seine Freunde hier nach Strich und Faden. Das konnte doch gar nicht wahr sein. Die wollten ihm doch mit der Geschichte einen Streich spielen. Am liebsten hätte er Fireball gebeten, ihn zu kneifen, aber da hätte er Angst haben müssen, dass er statt einem Kniff in die Backe gleich einen Kinnhaken verpasst bekam. So viele Abende hatte er seinem Vater gelauscht, während er ihm von seinem Onkel und den anderen großartigen Piloten erzählt hatte. Einer dieser Männer war Martins Vater Emilio gewesen, der einzig lebende Beweis in seiner Umgebung für all die unglaublichen Erzählungen. Nun stand eine – Alessandro konnte es nicht anders ausdrücken – tote Ausgabe dieser Ausnahmemenschen vor ihm. Alex kniff kurz die Augen zusammen, dann packte er die Hand von Captain Hikari auch mit seiner zweiten, umschloss diese fest und schüttelte sie euphorisch. Ein kleiner italienischer Wortschwall verließ Alessandros Mund, ehe er wieder ins Englische fiel: „Ich kann’s nicht glauben! Sie sind wirklich Captain Hikari. Das ist kein Scherz gewesen. Sagen Sie“, überfiel er ihn: „Kennen Sie einen Mario oder Salvatore Ferro?“

Shinjis Gesichtsausdruck hellte sich nach dieser Frage merklich auf. Nun wusste er wohin der neue Pilot von Ramrod gehörte. Noch ein Kind seiner Kollegen, das den Weg ins Oberkommando eingeschlagen hatte. Es erfüllte ihn mit unsagbarem Stolz, dass die nächste Generation an Piloten mit eben so viel Eifer bei der Sache war. Shinji nickte: „Ja, Salvatore ist meine Nummer drei. Ein irrsinnig guter Schütze.“

Bei Alessandro ging jegliches Vorurteil und Unbehagen flöten. Er textete Shinji gnadenlos und mit Feuereifer zu. Salvatore war sein Onkel gewesen und wie Shinji schon gesagt hatte, die Nummer drei in der Base damals gewesen. Alex erzählte dem älteren Hikari von all den Geschichten, die in seiner Familie nach dem Tod seines Onkels erzählt worden waren. Dabei vergaß Alessandro allerdings, dass all diese Dinge erst nach dem Tod von Captain Hikari passiert waren und er so die Zukunft vorweg nahm.

Aufmerksam, aber schweigsam verfolgte Fireball das Gespräch zwischen seinem Vater und Alessandro. Also war auch in Alessandros Familie jemand wegen des ersten Outriderangriffs damals gestorben. Und noch etwas fiel dem Hitzkopf auf, während er dem Redefluss des Italieners zuhörte. Für Alex waren sie alle Helden, er verehrte all jene, die damals so mutig und selbstlos für das Neue Grenzland gekämpft hatten. Seinen Onkel Salvatore schien er dabei beinahe zu vergöttern.

Während Alex immer lockerer wurde und allerhand von seinem Onkel erzählte, und auch von Captain Hikari bestätigt haben wollte, ob Salvatore denn wirklich so ein toller Schütze gewesen war, wie es in seiner Familie immer hieß, konnte Fireball beobachten, wie seinem Vater offenbar immer schwerer ums Herz wurde. Er hatte nicht gewusst, wie viele tatsächlich bei dem Angriff gestorben waren. Fireball entschied sich kurzerhand, die beiden ins Wohnzimmer zu führen, wenn noch jemand anderes dabei war, würden die Gespräche wohl wieder etwas erfreulicher für seinen Vater werden: „Lasst uns mal essen gehen. Ich hab die schwere Befürchtung, die futtern uns sonst alles weg.“

Von diesem Einwurf ließen sich die beiden Männer nicht unterbrechen, wohl aber folgten sie dem Gastgeber ins Wohnzimmer. Die anderen hatten sich schon am Esstisch eingefunden, den Oli und Stan so gut als möglich zu vergrößern versucht hatten. Trotzdem wirkte die Situation am Esstisch etwas beengt. Als endlich alle einen Platz gefunden hatten, servierte der blonde Schwede das Essen. Er stellte einen riesigen Topf mit faschierten Fleischbällchen in die Mitte des Tisches und verkündete: „Ist `ne Spezialität aus Schweden! Greift zu!“

Freudig griffen die Bewohner des Hauses als erste zu, die Gäste warteten verhalten ab. Sowas hatte bisher nicht auf ihrem Speiseplan gestanden, obwohl sie weit gereist waren. Erst als Stan erklärte, was er ihnen da vor die Nase gesetzt hatte, bedienten sich auch die anderen. Colt musste es natürlich kommentieren. Er nahm einen Schöpflöffel voll dieser für ihn undefinierbaren Fleischbällchen und beförderte ihn auf seinen Teller: „Und jetzt noch mal für die Steakesser unter uns. Was soll das sein? Elcheier?“

„Köttbullar!“, berichtigte ihn Stan umgehend. Noch ehe Colt das Gesicht verziehen konnte, zählte ihm Stanley die Bestandteile des Essens auf und wie es gekocht wurde. Er hatte von unzähligen Feierabendpläuschchen mit Alex schon gewusst, dass sich Colt gegen alles auf dem Teller wehrte, das er nicht kannte. Diesbezüglich war der Schwede im Vorteil, denn er wusste ganz genau, wen er da zum Abendessen eingeladen hatte.

Entgegen der anfänglichen Befürchtungen verstanden sich alle am Tisch ausgezeichnet. Sie besprachen vieles, lernten sich gegenseitig besser kennen, wenn sie sich noch nicht gut genug kannten und genossen einen gemütlichen Abend.

Nach dem Abendessen wurden alle noch nicht wissenden in den weiteren Plan eingeweiht, es galt die Vergangenheit nicht zu verändern und nebenbei noch möglichst unauffällig und diszipliniert das Manöver über die Bühne zu bringen. Obwohl Saber gedacht hatte, von Stan und Oli Protest oder wenig Konstruktives zu hören, waren die beiden ebenso auf ihrer Seite, wie die anderen auch. Alle zogen an einem Strang.
 

In den nächsten Tagen hielt sich Fireball notgedrungen wieder mehr auf Ramrod als im Appartement auf. Er war unendlich dankbar, dass seine Freunde im Königreich waren und ihm zur Seite standen. Während sie tagsüber professionell diverse Übungen mit den Soldaten des Königreiches durchführten, warteten abends oftmals vor allem auf Saber und Fireball auch gesellschaftliche Verpflichtungen. Das hielt die beiden davon ab, mit April und den anderen zusammen an einem Rückfahrticket für Shinji zu arbeiten, weshalb manchmal doch eine Nachtschicht eingelegt wurde.

Der Schotte hatte bei diversen Abendveranstaltungen schnell bemerkt, weshalb der Umgangston zwischen König Jarred und dem Oberkommando wieder wärmer geworden war. Es war ihm schon bei ihrer Ankunft aufgefallen, denn da hatte sich Roland einen freundschaftlichen Scherz mit Fireball erlaubt. Der Monarch war hauptsächlich deswegen so positiv dem Manöver gegenüber gestimmt, weil sein Nachfolger Prinz Roland sich mit dem jungen Captain der Einser gut verstand. Frischer Wind wehte durch die angestaubten Bündnispläne. Es freute Saber, zumindest hatten sie von dieser Seite nichts zu befürchten. Ob sie es allerdings schaffen würden, Fireballs Vater zurück in seine Zeit zu bringen, das stand in den Sternen. Und zwar buchstäblich. Sie hatten dank April herausgefunden, dass für einen perfekten Sprung alles stimmen musste, vor allem die Sternenkonstellation.

An den freien Abenden war dieser Tage viel auf Ramrod los. Nicht nur Fireball schneite vorbei, auch dessen Mitbewohner und Shinji ließen es sich nicht nehmen, den Friedenswächter unsicher zu machen und so gut es ging zu helfen. Wirklich konzentriert konnten die Freunde aber maximal zwei Stunden arbeiten, denn dann schweiften die Gedanken meistens in andere, viel angenehmere, Sphären ab.

Alessandro begann neben seinen alten Kollegen förmlich aufzublühen, durch den engen Kontakt kam der ehemalige Pilot in ihm wieder zum Vorschein. Oft erzählten er und Stan von waghalsigen Manövern, die sie gemeinsam ausgeführt hatten. Langsam bekam auch der letzte in der Runde eine Vorstellung davon, weshalb Alessandro zu Ramrod versetzt worden war und nicht irgendein x-beliebiger Pilot aus der Einser.

Colt wurde dieser Tage genauso eingespannt, wie auch Fireballs Vater. Es galt alles auf dem Schiff zu warten, wenn Saber dem König wieder einmal vorgegaukelt hatte, Ramrod hätte kleinere Reparaturen nötig und könnte deswegen nicht mit den anderen ins Feld ziehen. Bisher hatte noch niemand Verdacht geschöpft. Zwar bekam König Jarred langsam den Eindruck, Ramrod wäre mehr als reparaturanfällig, aber hier heiligte der Zweck alle Mittel.
 

Der Tag des Abflugs rückte immer näher, es wurden die letzten Kalibrierungen an Ramrod durchgeführt und die letzten Berechnungen nochmals überprüft. Saber wollte dieses Mal nichts dem Zufall überlassen, das könnte in einer Katastrophe enden. Der Schotte war irgendwann in den vergangenen Tagen über den Gedanken gestolpert, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt, an den sie Captain Hikari zurückbringen mussten, bereits befanden. Ramrod war längst Teil der Geschichte der Vergangenheit geworden. Zwar eine heimliche und unbemerkte Geschichte, aber Ramrod befand sich schon im Orbit des Königreichs Jarr. Saber wollte sich selbst ungerne begegnen. Er wusste noch, wie schräg das alles damals ohnehin gewesen war, wenn sein ein Jahr jüngeres Ich einen anderen Ramrod sehen würde, sie würden an Bord alle den Verstand verlieren. Es würde schwierig werden, Captain Hikari im Garten von König Jarred abzusetzen, zumal das bedeutete, dass sie auf dem Planeten in der Nähe des Palastes landen mussten.

Nachdem Saber mit April diesen Fakt besprochen hatte, hätte diese sich gerne daran gemacht noch schnell eine Tarnvorrichtung für Ramrod zu entwickeln. Leider allerdings fehlten der Ingenieurin die Mittel und das nötige Wissen dazu. Ein Tarnkappenbomber war schließlich nur für das Radar beinahe unsichtbar, für das freie Auge ab einer gewissen Bodennähe aber sehr wohl sichtbar. Diese herkömmliche Technik hätte ihnen also nichts genützt. Die Zettelwirtschaft war auf Ramrod wieder explosionsartig angestiegen, in so ziemlich jedem Raum lagen mittlerweile seitenweise Aufzeichnungen über ihren ersten geplanten Zeitsprung herum.

Colt war dieses Mal ebenso in die Pflicht genommen worden. Sie konnten sich schlampige Arbeit nicht leisten, Ramrod musste tiptop und vor allem voll funktionstüchtig sein. Colt hätte es sich ohnehin dieses Mal nicht nehmen lassen, den beiden technischen Genies an Bord nicht zu helfen. Er verbrachte nun seine Tage damit die Waffensysteme in einen Eins-A-Zustand zu bringen und verpflichtete zum frühen Abend hin immer noch Alessandro, ihm mit der Mechanik auf Ramrod behilflich zu sein. Alex war zwar mit dem Flugsystem eine große Hilfe, sobald Fireball aber nach Feierabend auf Ramrod vorbeischneite, leider ziemlich überflüssig. Das gefiel dem Italiener gleich noch weniger. Ihm war klar, dass sie Fireballs Vater helfen mussten, aber Alex fand es dreist von dem jungen Captain, dass sich dieser jeden Abend wie selbstverständlich in seine Satteleinheit warf und den aktuellen Stand der Arbeiten abhorchte. Aprils Exfreund mochte das Sagen in der Einser haben, das bestritt Alessandro auch gar nicht, aber auf Ramrod war er noch nicht einmal mehr ein kleines Licht. Auf dem Platz des Piloten hatte nach Alessandros Meinung der Japaner nichts mehr zu suchen. Deshalb sorgte Colt für Ablenkung und Konfliktumgehung, wenn Fireball wieder einmal vorbeikam.
 

An diesem Abend standen die letzten Vorbereitungen für den Rückflug an. Captain Hikari hatte sich bereits von Stan, Oliver und auch von Martin verabschiedet und sich für die Gastfreundschaft der letzten Wochen bedankt.

Die beiden Hikari schritten schweigend durch die Nacht. Fireball hatte es sich nicht nehmen lassen, seinen Vater zu Ramrod zu bringen und sich dort auch von seinen Freunden zu verabschieden. Seit sein Vater aufgetaucht war und in späterer Folge auch Ramrod im Königreich Jarr aufgeschlagen war, hatte sich jeden Tag einiges getan. Fireball hatte zwar einige Tage gebraucht um für sich selbst herauszufinden, weshalb sein Vater ausgerechnet hier gelandet war, aber auch er hatte sich nach etlichen Gesprächen davon überzeugen lassen, dass so etwas wie Schicksal und Vorsehung daran schuld sein mussten. Er hatte sich damit abgefunden und sogar angefangen, es positiv zu sehen. Der Rennfahrer hatte sich immer gewünscht, seinen Vater kennen zu lernen, dies war seine Chance gewesen. Hier waren sie in seiner Zeit, Shinji hatte gewusst wer er war. Fireball hatte sich nicht mehr verstellen müssen. Bald schon hatten sie einen guten Draht zueinander gehabt. Er würde es niemals zugeben, aber Fireball hatte sich viele Ratschläge von seinem Vater geben lassen und sie hatten auch über ihre persönlichen Vorlieben gesprochen. Es hatte nicht mehr weh getan, wenn sein Vater ihn wieder Kurzer nannte. Nur eines hatte Fireball nicht getan. Er hatte ihm nichts von sich und April erzählt. Er wollte ihm den Kummer ersparen, dass sein Sohn nicht fähig war, eine Beziehung mit der Frau zu führen, die ihm den Kopf verdreht hatte.

Nun aber war der Moment des Abschieds gekommen. Viel zu früh wie Fireball fand. Seufzend steckte er die Hände in die Hosentaschen und lief neben seinem Vater durch die leeren Straßen. Er hatte verdrängt, dass er sich wieder von seinem Vater trennen musste. Nun aber würde der unausweichliche Moment kommen und das schlug Fireball auf den Magen. Er würde seinen Vater unendlich vermissen. Fireball sah auf. Er hatte sich immer gewünscht, seinen Vater kennen zu lernen. Für dieses Geschenk war er unendlich dankbar, auch wenn ihm der Abschied das Herz brach. Er hatte in den letzten Wochen viel Zeit mit seinem Vater verbracht, seine Freunde hatten ihnen schweigend den Freiraum gegeben. Sein Vater war nicht mehr der übermächtige Schatten, an dem er gemessen wurde. Er war ein guter Freund.

Sie kamen Ramrod immer näher, weshalb Fireball die trüben Gedanken verscheuchen wollte. Mit einem schiefen Grinsen erkundigte er sich: „Tja… Deine Schonfrist ist nun also abgelaufen.“

Shinji hatte den ganzen Weg über ein Auge auf seinen Sohn gehabt. Das Schweigen hatte ihm nicht gefallen, ebenso wenig wie der Gesichtsausdruck seines Jungen. Er hatte ihm das Unbehagen und vor allem auch die Sorge angesehen. Wahrscheinlich hätte Fireball gerne selbst seinen Vater zurück gebracht, aber das ging nicht. Sein Sohn musste bei seiner Einheit bleiben, er würde ohnehin genug Schwierigkeiten haben, wenn auf Ramrods Reise etwas schief ging, von den eigenen Vorwürfen ganz abgesehen.

Ihm war selbst schwer zumute, dass er von seinem Sohn Abschied nehmen musste, aber er war sich so sicher wie nie, dass sein Opfer wichtig für die Zukunft war. Er konnte die Kinder nicht hängen lassen. Er würde nicht zulassen, dass die Outrider eine Chance bekamen den Krieg für sich zu entscheiden. Auch, wenn im Moment noch Krieg im Neuen Grenzland herrschte, mehr als zwanzig Jahre nach seinem Tod, so wusste Shinji, dass sein Sohn eines Tages ein Leben in Frieden führen konnte. Er und seine Freunde würden beenden, was vor so langer Zeit begonnen hatte. Stolz glitten seine Augen über die Gestalt seines Sohnes: „So ist es wohl. Da kommt jetzt nichts, was ich nicht schon einmal erlebt hätte“, versuchte er Ruhe und Sicherheit auszustrahlen.

Nun blieb Fireball stehen. Er hatte im vergangenen Jahr eines gelernt. Auch wenn es ihm in der Seele weh tat und er sich am liebsten irgendwo mutterseelenalleine verkrochen hätte, Schweigen machte es niemals besser. Sein verbohrtes Schweigen April gegenüber hatte ihn ihre Zuneigung gekostet. Es hatte ihn dazu gebracht, sich von seinen Freunden zu entfernen und Freundschaften gar nicht erst zuzulassen. Es war der falsche Weg. Fireball lächelte seinen Vater verhalten an: „Sieh’s positiv. Wenigstens kommst du nicht barfuß und in Trainingsklamotten heim“, wäre er damals nicht so geschockt gewesen, hätte er sich über den Anblick seines Vaters wahrscheinlich krumm gelacht. Er war barfuß mit Martin auf der Terrasse gestanden. Nun aber war ihm nach lachen gar nicht zumute. Bedrückt flüsterte er: „Dad?“

„Ja“, Shinji spürte, wie sich seine Kehle plötzlich trocken anfühlte. Er wusste, nun war der Augenblick des Abschieds gekommen. Der Captain fragte sich, ob sein Sohn diese Gefühle auch aussprechen konnte, die ihm sowieso alle ins Gesicht geschrieben standen.

Etliche Empfindungen schwirrten ihm gerade durch den Kopf. Fireball sah seinem Vater geradewegs in die Augen, starrte ihn beinahe an, unfähig einen weiteren Ton herauszubringen, so schien es jedenfalls. Aber er würde sich ein Leben lang mit diesen Gedanken quälen, das wusste er, wenn er sie nicht aussprach. Immerhin hatte es ihn in der Vergangenheit wahnsinnig gemacht, sich nicht von seinem Vater verabschieden zu können. Nun hatte er Gelegenheit dazu, und dennoch tat er sich schwer mit Worten. Schließlich murmelte er erstickt: „Ich werde dich vermissen.“

Sofort waren die wenigen Schritte, die sie getrennt waren, überwunden. Shinji nahm seinen Sohn fest in die Arme, er herzte ihn. Tränen standen ihm in den Augen. Einerseits war Shinji traurig, weil er so wenig von seinem Sohn wusste, auf der anderen Seite platzte er aber beinahe vor Stolz, nach alldem, was er gesehen und erlebt hatte. Der Captain konnte den Schmerz verstehen und war gleichzeitig heilfroh, dass er seinen Kurzen nicht lange vermissen würde. Wenn alles klappte, würden ihn die Gedanken an die Zukunft nur noch drei Tage quälen. Er würde keine Zeit haben, seinen Sohn zu vermissen und diesen Schmerz zuzulassen.

Schon beinahe stürmisch erwiderte Fireball die Umarmung seines Vaters. Er drückte sich an ihn. Hätte er eine andere Wahl gehabt, er hätte seinen Vater niemals gehen lassen. Aber das konnte er nicht, er durfte es nicht. Fireball schniefte leise: „Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit. Ich wünschte, du wärst hier, würdest bleiben!“

Ein dicker Kloß steckte Shinji im Hals, ein Stein lag auf seiner Brust. Er wusste noch, wie Fireball darunter gelitten hatte, ohne Vater aufgewachsen zu sein. Shinji hatte gedacht, er würde seiner Familie so etwas nie antun. Wie sehr er sich vor einigen Wochen noch getäuscht hatte. Seine Umarmung wurde fester, ehe er sich entschied, diesen Abschied nicht noch schmerzhafter für Fireball zu machen. Shinji schob seinen Sohn auf Armlänge von sich, betrachtete ihn ganz offen und voller Stolz in seinem Blick. Er nickte zufrieden und neigte schließlich demütig den Kopf: „Die größte Ehre ist, dich zum Sohn zu haben. Greif nach den Sternen und vergiss nie, ich werde immer bei dir sein.“

Perplex starrte Fireball seinen Vater an. Er wusste nicht, was er sagen sollte, weshalb er nur stammelnd hervor brachte: „Dad… ich…“

Lächelnd schüttelte Shinji den Kopf, dabei ließ er seine Arme sinken. Es war an der Zeit, die trübsinnigen Gedanken zu vertreiben, weshalb er Fireball neckte: „Du musst nicht immer das letzte Wort haben, Kurzer!“

Er verstand. Während er seinem Vater leicht auf die Schulter klopfte, setzte er sich wieder in Bewegung. Ja, er würde seinen Vater vermissen, aber er würde ihn in guter Erinnerung behalten. Nicht nur Shinji, sondern auch er hatte – wenn es Yama wirklich gab – ein Geschenk von ihm erhalten. Fireball atmete tief durch, wischte sich noch schnell verstohlen über die Augen und ließ seine Frohnatur wieder zum Vorschein kommen. Sie konnten nichts daran ändern, der Lauf der Geschichte musste gewahrt werden, weshalb sollten sie länger als nötig darüber traurig sein? Schon wieder verschmitzt lächelnd wies er Shinji an: „Tritt Nemesis ordentlich in den Hintern.“
 

Auf Ramrod war bereits alles für den nächtlichen Abflug vorbereitet. Die Crew hatte sich vorsorglich in ihre Kampfanzüge gepackt und überprüfte gerade ein letztes Mal alle Details, als Fireball und sein Vater eintraten.

„Na, habt ihr den Vogel vollgetankt?“, begrüßte Fireball seine Freunde. Er wollte niemanden merken lassen, dass er keinen von ihnen gehen lassen wollte. Tja, er wollte nicht einmal mehr Alessandro durch die Zeit schicken und dennoch waren ihm die Hände gebunden. Also blieb ihm nichts anderes, als sein breitestes Lächeln und eine große unbeschwerte Klappe zur Schau zu stellen.

Selbst wenn er einen Freudentanz aufgeführt hätte, hätte Colt gesehen, wie Fireball tatsächlich zumute war. Sorgen standen dem jungen Japaner selten ins Gesicht geschrieben, dieses Mal allerdings waren sie kaum zu übersehen. Ein Grund mehr für Colt heitere Stimmung zu verbreiten. Er ließ Fireball wissen: „Jupp. Getankt, gewaschen und sogar poliert, aber das wird dir sicherlich aufgefallen sein.“

Saber hielt es ebenfalls für ratsam den Abschied nicht unnötig schwermütig werden zu lassen. Er hatte mit April noch einmal alle nötigen Daten besprochen. Die beiden Tüftler waren schlussendlich auch darüber überein gekommen, dass, sollten sie den Sprung in die Vergangenheit tatsächlich präzise schaffen, sie auch den Heimweg so exakt timen konnten. Sie würden also nicht länger als vielleicht ein paar Stunden unterwegs sein. Saber war in der Hinsicht ziemlich optimistisch, bisher sah alles vielversprechend aus. Er schmunzelte den beiden Hikari entgegen: „Wir haben sogar Pausenbrote für alle geschmiert.“

April trat auf Fireball zu. Sie blieb vor ihm stehen, ehe sie ihn in eine innige Umarmung schloss und flüsterte: „Wir kommen heil wieder, versprochen Turbo. Plan uns für das Frühstück ein.“

Dankbar erwiderte Fireball die Umarmung. Sein Vater war hier in den besten Händen. Seine Freunde waren die einzigen, denen er dieses Unterfangen zutrauen würde. Nun machte der Schwermut des Abschieds doch einem guten Gefühl Platz. April und auch Saber und Colt hatten ihm neuen Mut gegeben. Fireball drückte April kurz, ehe er sie zuversichtlich anzwinkerte: „Wehe ihr seid nicht pünktlich!“

Nach einem tiefen Atemzug straffte er seine Haltung und verabschiedete sich endgültig von seinen Freunden. Es würde nichts helfen, wenn er sie ewig aufhielt.
 

Vom Stützpunkt aus sah er Ramrod nach, wie der große Cowboy in der Nacht verschwand. Noch lange starrte Fireball in den Nachthimmel. Ihr aller Schicksal stand in den Sternen geschrieben. Den Japaner beschlich einmal mehr das Gefühl, dass er dort oben im Himmel alles finden würde, wonach er suchte. Seit sein Vater in seiner Zeit aufgetaucht war, war sich Fireball sicher, dass es so etwas wie Schicksal geben musste. Irgendjemand oder irgendetwas zog die unsichtbaren Fäden, eines jeden Leben war vorher bestimmt. Und alles, wirklich alles, geschah aus gutem Grund. Sogar die schlimmsten Dinge.

Mit den Händen in den Hosentaschen wanderte Fireball schließlich durch den Park des Königs. Er wollte noch nicht nachhause zurück. Seine Kollegen und Freunde würden krampfhaft versuchen, ihn aufzuheitern. Doch er brauchte keinen Trost. Tief in sich verspürte Fireball so etwas wie Zufriedenheit und Genugtuung. Er konnte es nicht beschreiben, aber er wusste für sich selbst, dass alles gut war.

Seelenreise

Gut war manchmal ein ziemlich dehnbarer Begriff, wie die Star Sheriffs wieder einmal feststellten. Ramrod war vom Stützpunkt unbemerkt abgehoben und hatte es zielsicher zu den Sprungkoordinaten geschafft. Ihr Flug verlief bisher reibungslos und noch eher fröhlich. Die Männer hatten jede Menge Sprüche auf Lager und auch April war um keinen Konter verlegen. Als der Sprung näher rückte, wichen die Späßchen dem konzentrierten Arbeiten.

Alex hielt Ramrod zielstrebig auf die gewünschten Koordinaten zu und hielt ihn in der richtigen Geschwindigkeit, April unterstützte ihn, indem sie ihm immer wieder die aktuellen Werte gab und die Korrekturdaten zur Verfügung stellte. Saber kalibrierte ein weiteres Mal seinen Rechner, kontrollierte die Geschichtsdaten zum hundertsten Mal, während Colt seine Waffen auf ein Minimum herunter fuhr. Jede nicht benötigte Energie leiteten sie für den Sprung um und da im Moment keine Gefahr vor dem Königreich Jarr auf sie lauerte, konnte er die nicht lebensnotwendigen schweren Geschütze abschalten.

Shinji hatte sich nicht in den Aufenthaltsraum verbannen lassen, auch wenn der Flug auf der Brücke für ihn dadurch etwas holpriger war. Er hielt sich an Sabers Satteleinheit fest und linste immer wieder über dessen Schulter. Die Professionalität und die Ruhe, die alle Beteiligten ausstrahlten, ließen auch ihn ruhiger werden. Seine Jahre des Sturm und Drangs lagen eigentlich schon lange zurück. Dunkle Augen richteten sich auf das Universum vor ihnen. Shinji fragte sich, wie sie ausgerechnet von hier aus in die Vergangenheit zurück springen können sollten, hier war nichts weiter als leerer Raum.

Saber brach die entstandene Stille: „Wir sind da“, er sah zu Shinji auf: „Es ist Zeit, Shinji. Bitte such dir jetzt einen sicheren Platz.“

Stumm nickte der ältere Hikari und wandte sich zur Tür. Colt sprang aus seiner Satteleinheit und rief quer durch den Raum: „Ich bring den Senior rüber, muss sowieso noch die Kopfschmerztabletten einbunkern!“

Während sich ein irritiert drein blickender Shinji von Colt hinaus begleiten ließ, saß auch ein anderes Teammitglied mit einem fragenden Gesichtsausdruck in seiner Satteleinheit. Ein dicker Kloß saß Alessandro im Hals, ihm schwante nichts Gutes bei Colts Worten. Er bohrte bei den anderen beiden nach, als sich die Tür zischend wieder geschlossen hatte: „Habt ihr mir über den Sprung durch die Zeit irgendwas verschwiegen, Leute?“

„Man wird ziemlich durchgerüttelt“, begann Saber vorsichtig. Tatsächlich hatten sie Alessandro nicht alles gesagt, aber das war keine böse Absicht gewesen. Sie hatten es schlicht und ergreifend verdrängt. Auch ihnen war erst durch Colts Schmerzmittelscherz wieder eingefallen, wie übel ihnen nach den beiden Zeitreisen gewesen war. Offenbar war es für den Lockenkopf ein einprägendes Erlebnis gewesen. Saber konnte sich noch gut daran erinnern, wie Colt nach ihrer Heimkehr geschworen hatte, das nächste Mal die Schmerzmittel gleich in seine Satteleinheit zu packen. Bei Colts manchmal überhand nehmender Fürsorglichkeit konnte es sogar passieren, dass er vorsorglich an jeden eine Tablette austeilte.

Das war ihm auch klar gewesen! Der Italiener hatte sich schon vorstellen können, dass sie bei diesem Himmelfahrtskommando durchgeschüttelt wurden, aber er hätte lieber gehört, was ihm tatsächlich bevor stand. Unsinnigerweise griff er links und rechts in seine Satteleinheit und murmelte: „Colt hat doch auch was von Kotztüten erwähnt, oder? Wo haben wir die versteckt?“

„Brauchst du nicht, Mafiosi!“, Colt war wieder eingetreten und klopfte dem Piloten mit dem grünen Kampfanzug sacht auf den Helm: „Du hast nicht die Zeit, dir über Übelkeit den Kopf zu zerbrechen“, der Lockenkopf präsentierte noch mal für alle offensichtlich die Packung mit den Tabletten und schwang sich anschließend in seine Satteleinheit. Sein Blick ging starr nach draußen: „Dann wollen wir mal! Unser Paket ist gut verschnürt und ich bin auch so weit.“

Die Freunde nickten einander entschlossen zu, danach begann Saber den Countdown. Alex hielt das Schiff auf Position, der Schotte gab schließlich das Zeichen, den Sprung einzuleiten. April initiierte den Prozess und plötzlich wurde es hell…
 

„War’s das?“, Alessandro musste sich zusammenreißen um nicht sofort aus der Satteleinheit zu springen. Als Saber jedoch bestätigte, dass sie den Sprung geschafft hatten, gab es für den Italiener kein Halten mehr. Er hechtete schier aus seiner Sitzgelegenheit, pfefferte den Helm weg und lief so schnell ihn seine Beine tragen konnten, von der Brücke. Er hätte die Kotztüten in der Satteleinheit dringend gebrauchen können, sein Magen fuhr noch immer Achterbahn und der Inhalt wollte unbedingt wieder an die frische Luft!

Erstaunt, aber nicht sprachlos sahen die drei ihrem Piloten hinterher. Colt nahm ebenfalls seinen Helm ab. Er deutete hinter sich und sah Saber dabei an: „Oh, ich fürchte, da hat das Pilotentraining keine Früchte getragen.“

Saber fuhr sich durch die Haare, ihm war ebenfalls ein wenig übel, aber noch verspürte er nicht den Drang, Alessandro zu folgen. Dafür fielen ihm Fireballs Worte wieder ein, die der junge Hitzkopf nach ihrer Rückkehr benutzt hatte. ‚Ich mach sowas freiwillig nicht noch mal!‘ Tja, Recht hatte er damit behalten.

April strich sich ihren Pony zurecht, ehe sie aus ihrer Satteleinheit aufsah. Sie blickte hinaus, unter ihnen lag das Königreich Jarr, dunkel und schlafend. Friedlich wirkte es, nur die wenigen Lichter der Stadt erhellten den Planeten und verkündeten, dass er bewohnt war. Einen Moment lang genoss sie den Anblick, danach holte sie ihre Arbeit wieder ein. Sie blickte zu Saber: „Kannst du Steed für seinen großen Auftritt vorbereiten? Ich werde mal nach Captain Hikari sehen.“
 

Saber war mit Aprils Vorschlag einverstanden gewesen. Bevor er jedoch die Brücke verließ, wies er Colt an, ein Auge auf die Sensoren zu haben, er wollte um keinen Preis entdeckt werden. Schnellen Schrittes entschwand er zu seinem Streitross.

Ein wenig verhalten lugte April in den Aufenthaltsraum zu Captain Hikari. Der saß kreidebleich an seinem Platz und atmete schwer. Die blonde Frau trat ein und stellte Shinji schließlich ein Glas Wasser hin. Es würde wohl noch ein paar Minuten dauern, bis sich der Captain gefangen hatte und das letzte Stück seiner verrückten Reise antreten konnte. April setzte sich ihm gegenüber und sprach ihn schließlich mit einem sanften Lächeln an: „Der Sprung in unsere Zeit war wohl nicht so schrecklich.“

Diese Feststellung klang fast wie Hohn, doch Shinji nahm das nicht wahr. Es war weniger die Übelkeit, die ihm zu schaffen machte, als das Herzrasen und die Bilder, die vor ihm aufflammten. Schweißperlen bildeten sich auf Shinjis Stirn, sein Herz schlug viel zu schnell und unregelmäßig. Immer wieder wurde ihm schwarz vor Augen bis ihm schließlich klar wurde, was gerade mit ihm geschah. Was er vor einigen Wochen mit seinem Sohn unter dem Sternenhimmel besprochen hatte, erwachte vor seinen Augen zum Leben. Er durchlebte die Erfahrungen, die sein Sohn gemacht hatte, als wären es seine eigenen. Alles ging blitzschnell, war zuviel für den Verstand und doch fühlte es sich real an. Als es endlich vorbei war, fuhr er sich keuchend über die Augen und die Stirn.

Mit zunehmender Besorgnis hatte April beobachtet, wie dem Captain der Schweiß auf die Stirn getreten war und dessen Atmung immer unregelmäßiger geworden war. Irgendwann hatte sie das alles zu sehr an die Erlebnisse der ersten Schlacht erinnert und was damals mit Fireball passiert war. Schließlich warf sie alle Bedenken über Bord und griff nach der Hand des Captains. Sie zwang ihn, sie anzusehen: „Shinji?! Captain, sieh mich an! Ich bin es, April.“

„April…“, Shinji keuchte und rang immer noch nach Luft: „Ja… ich weiß.“

Endlich konnte er wieder die Umgebung klar ausmachen und auch das Mädchen, das vor ihm saß und sich Sorgen machte. Shinji drückte ihre Hand, sein Blick wurde dabei unendlich traurig. Als er wieder normal atmen konnte, seufzte er unterdrückt: „Ich bin so ein Esel…“

Mit Fireballs Erinnerungen waren nun auch die wahren Gefühle und die Geschichte zwischen ihm und April aufgekommen. Shinji merkte, dass sich sein Sohn eher was abgehackt hätte, als ihm zu erzählen, wie sehr er die Beziehung mit April gegen die Wand gefahren hatte. Da hatte er ihn lieber in dem Glauben gelassen, er hätte noch nicht einmal begriffen, was April ihm bedeutete. Nun, wahrscheinlich hatte auch Fireball nicht damit gerechnet, dass der Seelentausch auch in die andere Richtung funktionierte und Shinji gerade mit voller Wucht umgehauen hatte. Als er Aprils verwirrtes Gesicht wahrnahm, schüttelte Shinji langsam den Kopf und berichtigte sich: „Er… Er ist ein Esel. Wie kann er nur so dumm sein?“

April traute sich kaum zu fragen: „Wer?... Er?“

Sie konnte sich schon vorstellen, wen Shinji meinte, allerdings war es ihr nicht geheuer. Im Gegensatz zu Fireball damals war Shinji ziemlich gesprächig. Offensichtlich lernte ein Hikari das erst mit zunehmendem Alter. Bei dem Gedanken daran, was Shinji wohl gerade alles erlebt hatte, bekam sie feuerrote Ohren. Verschämt zog sie deswegen ihre Hand zurück, versteckte sie mit der anderen unter dem Tisch und fixierte den Tisch vor sich.

„Mein… Kurzer!“, Shinjis Stimme gewann wieder an Volumen. Sein Verstand klärte sich zunehmend auf und er konnte wieder vernünftige Gedanken fassen. Shinji würde nicht mit der Brechstange ins Haus fallen, er hatte auch so im Handumdrehen erkannt, dass April ganz bestimmte Gedanken hegte. Kurz biss er sich auf die Lippen, es hatte ihr also durchaus gefallen, schoss es ihm durch den Kopf. Shinji wusste, wenn er April nun lapidar schilderte, dass Fireball es mindestens ebenso genossen hatte, versank sie vor Scham im Boden. Ihre schimmernden Wangen brachten den älteren Hikari unsanft wieder zu bodenständigeren Themen. Das körperliche mochte eine Sache sein, aber noch wichtiger als das war das Gefühl. Leise versicherte er April: „Er braucht dich wie die Luft zum Atmen und kriegt’s einfach nicht gebacken.“

Aprils Hände verkrampften sich. Es war ihr einerseits so peinlich, was Shinji alles wusste und andererseits so unangenehm, ausgerechnet mit seinem Vater ein solches Gespräch zu führen. Sie wollte Shinji deswegen abwimmeln. Sie schüttelte den Kopf: „Nein… Bitte nicht, Captain. Das… das ist vorbei… Wir sind Freunde… Du musst ihn nicht in Schutz nehmen, ich… hab ihm verziehen.“

Shinji leerte sein Glas, beobachtete dabei allerdings mit Argusaugen, wie sich April verhielt. Es war ihm klar, dass auch April nicht darüber reden wollte. Die vergangenen Monate waren sowohl für seinen Sohn als auch für das blonde Mädchen eine Tortur gewesen. Eine unnötige Qual, wie Shinji fand. Aber er hatte leicht reden, steckte er doch nicht in der Haut der Kinder! Bei dem Gedanken daran blieb dem Captain das Lachen im Halse stecken. Irgendwie steckte er ja doch mit drin. Seine Augen suchten wieder Aprils Antlitz. Das Urteil blieb das gleiche. Sein Sohn war einfach nur dumm.

„Es mag sein, dass du ihm verziehen hast“, räumte Shinji ein: „aber das entschuldigt sein Verhalten nicht. Der Kurze hat was Entscheidendes vergessen. Der Verstand hat nichts zu melden, wenn es um die Liebe geht.“

Nun schüttelte April den Kopf und unterbrach Fireballs Vater von neuem: „Bitte, Shinji. Turbo und ich… wir sind froh, dass wir Freunde sind“, bei den nächsten Worten wurde sie zunehmend heiser: „Ich will nicht mehr aber auch nicht weniger.“

Er hatte sie kaum verstanden, dennoch zeichnete sich ein warmes Lächeln in Shinjis Gesicht ab. Der Japaner hatte kapiert, dass er im Augenblick nichts ausrichten konnte. Er musste es den Kindern überlassen und vielleicht würde es irgendwann einmal anders sein.

Nach einem tiefen Atemzug stand er auf und erkundigte sich: „Ist alles bereit für meine letzte Reise, April?“

Die blonde Frau nickte, ehe sie ebenfalls aufstand. Sie begleitete Shinji zum Hangar hinunter, wo bereits die anderen auf sie warteten. Unten angekommen gesellte sich April zu Alessandro, der nach seinem unfreiwilligen Zwischenstopp im Bad wieder besser aussah. Sie suchte bewusst die Nähe des Italieners, Colt und auch Saber waren im Augenblick kein richtiger Halt für sie.

Saber trat mit den Zügeln für Steed in der Hand nach vorne und legte sie Shinji in die offene Handfläche. Er nickte dem Vater seines Freundes höflich zu. Ein Freund verließ die vier auf Ramrod, kein Fremder.

Dankbar nahm Shinji die Zügel, besah sich sein Taxi in Form eines Roboterpferdes noch einmal ganz genau, dann verabschiedete er sich endgültig. Shinji verbeugte sich tief vor den vieren und schloss die Augen: „Ich danke euch für alles, Kinder. Bleibt wie ihr seid!“
 

Ergriffen nahm Colt seinen Hut vom Kopf und drückte ihn auf seine Brust. Es war eine Geste des Vertrauens und des Respekts. Er murmelte: „Mach’s gut, alter Haudegen!“

Saber neigte den Kopf respektvoll und verabschiedete sich stumm von Shinji. Es fiel ihm irgendwie schwer. Aber das hatte es auch damals, bevor der Captain zum Manöver aufgebrochen war. Nur waren sich dieses Mal alle sicher, dass die Geschichte ihren Lauf nehmen würde. Saber hatte nicht mit Gewissensbissen zu kämpfen. Er wusste, dass alles seiner Wege ging.

April wollte sich gerade zu Alessandro stecken, als sich dieser von ihr löste und auf den Captain zuging. Er packte Shinjis Hand und schüttelte diese. Dabei sah er ihm ehrfurchtsvoll in die Augen: „Danke, Captain. Wir werden dich nicht vergessen!“

Shinji klopfte Alessandro auf die Schulter: „Du bist schon in Ordnung, Sandro.“

Dann kehrte er den Kindern den Rücken zu und ging.
 

Die vier warteten schweigend darauf, dass Steed alleine zu Ramrod zurück kam. Alle hingen ihren Gedanken nach und brauchten einige Momente um für sich zu begreifen, dass sie einen lieb gewordenen Freund nie wieder sehen würden. Obwohl es für die Stammbesatzung von Ramrod nichts Neues mehr sein sollte, taten auch sie sich schwer, diesen Gedanken zu akzeptieren.

Alessandro brach schließlich das Schweigen: „Auf die Gefahr hin, dass ich mich jetzt unbeliebt mache, aber: Wieso sollen wir ihnen nicht helfen, wenn wir schon mal hier sind? So wie ich das von Babyboy verstanden hab, habt ihr mit dem Aufenthalt damals sowieso schon gehörig was durcheinander gebracht. Wenn wir jetzt eingreifen, kann das nicht so gravierend sein.“

„Das wissen wir nicht“, zerschlug Saber Alessandros aufkeimenden Ehrgeiz gleich wieder. Er lehnte sich gegen seine Satteleinheit und erklärte: „Wir wissen nicht, was sich verändern wird und ob sich unser aller Leben zum Guten wendet, wenn wir die erste Schlacht gegen die Outrider gewinnen. Wenn Fireballs Vater und all die anderen überleben würden, es würde sich immens viel ändern. Und es ist die Frage, ob wir Menschen in fünfzehn Jahren dann so gut gerüstet wären, um den Outridern wieder in den Hintern zu treten. Vielleicht würden sie Ramrod nie entwickeln, weil sie keine Notwendigkeit darin sehen. Man weiß es einfach nicht, Alessandro“, Saber fuhr sich nachdenklich mit den Fingerspitzen über den Nasenrücken: „Unser Werdegang hat sich durch den Aufenthalt damals schon geändert, ohne dass wir in die Geschichte eingegriffen hätten. Es ist viel zu riskant, niemand kann die Folgen abschätzen.“

Alessandro ließ sich jedoch nicht so einfach ins Bockshorn jagen. Er war ein gerechtigkeitsliebender Geist, Logik hin oder her, er empfand ihren Aufenthalt hier als Chance, viele Menschenleben zu retten. Wenn sie schon nicht selbst eingreifen konnten, konnten sie den Menschen nicht einen Hinweis hier lassen: „Können wir dem KOK nicht eine winzige Nachricht schicken, dass die Outrider Jarr angreifen werden? Nur zwei Sätze oder so? Dann greifen wir doch auch nicht direkt ein.“

„Aber sie wären gewarnt“, ergänzte Colt. In diesem einen speziellen Fall war der Lockenkopf uneingeschränkt auf Alessandros Seite. Er hatte sich nie wieder so hilflos fühlen wollen, wie vor einem Jahr und dennoch standen sie wieder hier. Es musste doch etwas zu bedeuten haben, weshalb sie ausgerechnet wieder hier her zurück kehren sollten. „Es bliebe ihnen überlassen, darauf zu reagieren.“

Saber schüttelte entschlossen den Kopf: „Nein, auch keine Nachricht. Wir werden nichts unternehmen. Es muss so passieren.“ Natürlich hätte auch Saber lieber eine Warnung ans Oberkommando geschickt, aber er hatte auch Sorge, welche Konsequenzen sich daraus ergeben könnten. Dass er nun gegen zwei Sturköpfe argumentieren musste, ärgerte ihn ein wenig. Er spielte seinen Trumpf nur ungerne aus, aber er wollte die Diskussion endgültig abwürgen. Saber stieß sich ab und gab den Befehl: „Wir brechen nachhause auf. Packt die Kotztüten und die Schmerzmittel ein und dann ab in unsere Zeit.“

„Aber Säbelschwinger!“, Colt setzte zu Protest an. Er wollte den Menschen helfen, so wie auch Alessandro.

Doch Saber blieb streng. Wieder verneinte er, gab den beiden Jungs allerdings einen Hoffnungsschimmer: „Hikari senior hat ebenfalls die Chance, alle zu warnen. Er weiß um seine Zukunft. Wenn er sich dazu entschließt, kann er die Geschichte verändern.“

Damit mussten sich Alessandro und Colt zufrieden geben. Ergeben nickten sie und machten sich an die Arbeit. Alessandro warf noch einen Blick auf die Kotztüte, die er sicherheitshalber in die Satteleinheit gepackt hatte und folgte dann Aprils vorgegebenen Kurs.
 

In dieser Nacht hatte er nicht nachhause gefunden. Stattdessen war Fireball irgendwann in König Jarreds Garten gelandet und hatte sich auf ein steinernes Bänkchen nieder gelassen. Er stützte die Arme auf der Sitzfläche ab, streckte die Beine von sich und sah in die Morgendämmerung. Langsam verschwanden die Sterne und der dunkle Nachthimmel, die feuerrote Kugel drängte alles dunkle zurück und hauchte dem herannahenden Tag neues Leben ein. Fireball seufzte leise. Entgegen seinem Versprechen machte er sich doch Sorgen um seine Freunde. Was, wenn etwas nicht geklappt hatte und sie sonst wo in der Zeit wieder auftauchten?

„Es ist gewöhnlich kein gutes Zeichen, wenn ein Hikari sich zu dieser Uhrzeit in meinen Garten verirrt“, mit diesen Worten setzte sich König Jarred neben Fireball. Er war bei seinem morgendlichen Spaziergang auf den ungewöhnlichen Gast aufmerksam geworden.

Fireball neigte den Kopf: „Entschuldigt die Störung, eure Majestät.“

Jarred schmunzelte leicht. Das Manöver war bisher zur Zufriedenheit aller verlaufen, niemand hatte Grund für Beanstandungen. Vor allem der alternde König nicht. Er hatte im Laufe der Übungen bemerkt, dass er sich bald ruhigen Gewissens von Aufgaben trennen konnte. Sein Sohn hatte sich bisher tapfer geschlagen, arbeitete im Sinne des Monarchen und zeigte auch diplomatisches Geschick. Es wehte ein jugendlicher Wind in den alt ehrwürdigen Hallen des Palastes.

„Dein Vater hat auch mal hier gesessen“, stellte der König leise fest.

Fireball nickte verstehend: „Ist auch ein schönes Plätzchen hier, eure Hoheit. Ihre Gärtner machen Ihre Arbeit hervorragend.“

Die beiden Männer unterhielten sich über alles Mögliche, bis plötzlich ein Diener auf sie zu gerannt kam und ihnen mitteilte, dass das Königreich angegriffen wurde. Entschlossen sprang Fireball auf und eilte dem Befehl des Königs voraus: „Ich trommle meine Jungs zusammen und werde Ihnen helfen!“

Noch während er quer über den englischen Rasen in Richtung des Hangars lief, rief er seine Mannschaft zusammen. Sobald alle versammelt waren, würden sie in den Himmel aufsteigen und das Königreich Jarr verteidigen.
 

Zeitnahe erhoben sich die Gleiter des Oberkommandos und die des Königreichs. Sie flogen Seite an Seite auf die Angreifer zu. Keiner der Piloten würde zurückweichen. Sie waren entschlossen, das Königreich um jeden Preis zu verteidigen.

Martin war mit einem mulmigen Gefühl gestartet. Ihm gefiel nicht, dass die Outrider ausgerechnet jetzt angriffen. Als ob sie geahnt hätten, dass sie verwundbarer als sonst waren. Als ob sie beobachtet hätten, dass Ramrod in der Nacht den Planeten verlassen hatte. Grimmig hatte er sich noch während des Starts vorgenommen, den Schurken den Garaus zu machen. Der Brasilianer flog im Windschatten seines Captains in den Wulst aus Angreifern. Er befolgte die Befehle, achtete auf die Schüsse der Outrider und wich ihnen immer wieder konzentriert aus. In einer Schlacht war kein Platz für andere Gedanken. Martin wusste, dass einem fehlende Konzentration das Leben kosten konnte.

Die Schlacht tobte erbittert und es gab Verluste auf beiden Seiten. Für jeden abgeschossenen Jumper schienen zwei neue in ihrer Dimension zu landen. Fireball und Roland versuchten den Überblick über das Kampfgeschehen so gut wie möglich zu behalten und ihre eigenen Verluste so gering wie möglich zu halten. Es half, dass sich die beiden Truppen bereits kannten, dennoch wurden manche Gleiter abgeschossen. Schließlich forderte Fireball unkonventionell Verstärkung an, als er merkte, dass sie es nicht schaffen würden: „Charles! Commander Eagle. Hier ist Fireball! Das Königreich Jarr wird angegriffen. Wir brauchen hier Verstärkung! Schick uns die schnelle Eingreiftruppe vorbei. Da ist doch sicher jemand in der Nähe!“

Die Verteidiger schafften es zumindest, die Outrider zurück zu drängen und das Kampfgeschehen in unbewohntes Gebiet zu verlagern. Dennoch wurde die Situation nicht besser.

Fireball wich einem größeren Outriderschiff aus, das ihn ins Visier genommen hatte. Der Schuss verfehlte ihn um Haaresbreite und der Japaner wusste, welches Glück er gerade gehabt hatte. Wütend, weil er langsam die Geduld verlor, riss er seine Maschine in den Sturzflug, nachdem er hoch über den anderen einen Looping gedreht hatte. Verbissen richtete er die Zielvorrichtung auf das Schiff aus: „Na warte! Das machst du kein zweites Mal mit mir! Fahr heim in die Phantomzone, Freundchen!“

Sein Schuss traf ins Schwarze und aus dem Outriderschiff wurde in sekundenbruchteilen Schrott.

„Pass auf deinen Rücken auf, Babyboy!“, mahnte Martin hektisch. Er hatte einen Angreifer abgewehrt, der Fireball von hinten hatte abschießen wollen.

Fireball quakte in den Funkverkehr: „Das ist dein Job, Marty!“

Nun erledigte Fireball einen Angreifer, der Martin abschießen wollte: „Ich kümmere mich dafür um deinen Allerwertesten!“

Mit viel Geschick und auch Glück manövrierten sich die beiden durch das Kampfgeschehen. Bis die Zeit für einen Augenblick stillzustehen schien. Ein grelles Licht nahm allen die Sicht.

Fireball glaubte einen schwarzen Schatten nach dem Blitz ausmachen zu können. Erleichtert murmelte er: „Ramrod!“

In diesem kurzen Augenblick, in dem Fireball unaufmerksam gewesen war, traf ihn ein Schuss. Er hatte keine Chance mehr auszuweichen und sein Jet stürzte ab.
 

Tatsächlich war Ramrod wieder in der richtigen Zeit gelandet. Sie waren ziemlich durchgeschüttelt worden, doch als sie den Tumult um sie herum richtig einordnen konnten, waren ihre körperlichen Wehwehchen schnell vergessen. Sie begriffen den Ernst der Lage schnell und kümmerten sich darum, dass die Guten siegreich blieben. Nur mit Ramrods Hilfe gelang es schließlich, die Horde Outrider zurück zu drängen und größere Schäden zu verhindern. Die Staffel des Oberkommandos und die Einheiten von König Jarred hatten bestens zusammen gearbeitet, dennoch waren sie der Übermacht nicht gewachsen gewesen.

Jede Einheit hatte Verluste zu verzeichnen, bis endlich Ramrod über dem Horizont erschienen war und den Schmeißfliegen den kurzen Prozess gemacht hatte. Etliche Jets waren abgeschossen worden, wie durch ein Wunder waren alle Piloten mit dem Leben davon gekommen. Trotzdem ging die Notaufnahme in König Jarreds Krankenhaus bereits über.

Ramrod fand sich ebenfalls kurz nach seiner Landung bei der Anmeldung im Krankenhaus ein. Sie hatten keinen Kontakt zu Fireball aufnehmen können, keiner seiner engsten Vertrauten der Staffel war erreichbar gewesen und die unversehrt gebliebenen Piloten hatten keine Ahnung, wo Fireball zu finden war. Sorgen breiteten sich in den Freunden leider schneller aus, als ihnen lieb gewesen war.

Saber und Colt standen am Tisch, während April und Alessandro versuchten, bei den bereits Verarzteten und den anderen Wartenden Auskunft zu bekommen. Offenbar war Fireball während des Kampfes abgeschossen worden und seither hatte niemand mehr Kontakt zu ihm gehabt. In April stieg eine böse Vorahnung auf. Unbewusst griff sie nach Alessandros Hand, als ihr eine Kollegin von Fireball das alles erzählte.

Der Italiener hörte seinen ehemaligen Kollegen aufmerksam zu. Auch ihnen hörte man die Sorgen um den Captain, aber auch um die anderen Verletzten an. Es war das erste Mal, dass die Air Strike Base im Kampf solche Verluste hatte wegstecken müssen. Klar, immer wieder mal gab ein Jet bei einer Auseinandersetzung mit den Outridern den Geist auf, aber bisher hatten sie alle heil wieder in den heimatlichen Hafen gebracht. Mit diesem Kampf sollte ihre Strähne abgerissen sein.

Alessandro drückte Aprils Hand zuversichtlich. Nach all den Widrigkeiten und Kuriositäten wäre ein Verlust von Fireball wohl die völlige Ironie des Schicksals. Er sah sich nach Colt und Saber um, er erhoffte an ihrer Mimik auszumachen, ob sie gute Nachrichten zu verzeichnen hatten. Ihm war selbst nicht wohl, und das nicht nur, weil ihm vom typischen Krankenhausgeruch übel wurde.

April bedankte sich bei der Kollegin für die Auskunft und wandte sich ab. Sie blinzelte zu Alex hinauf: „Er muss einfach hier sein und in dem Tumult untergegangen sein. Er muss.“

Auch Colt und Saber stießen wieder zu ihnen. Der Schotte schüttelte den Kopf, er hatte Aprils fragende Blicke sofort zu deuten gewusst: „Der Schwester hier ist nichts bekannt. Er ist also nicht als Patient hier.“

Als Colt Aprils enttäuschtes Gesicht sah, wollte er ihr sofort neue Hoffnung geben. Das kleine Unkraut verging nicht so einfach. Er trat an April heran und lächelte ihr tapfer entgegen: „Keine Sorge, Prinzessin. Fire ist wie eine Katze, der hat mindestens neun Leben. Sobald es wieder ruhiger wird, kommt er aus seinem Versteck schon hervor.“

Alessandro rutschte ein unüberlegter Kommentar raus: „Eins hat er schon verbraucht, wie ich anmerken will.“

„Der war nicht konstruiert, Pate!“, der Cowboy sah mit weit aufgerissenen Augen zu Alessandro, hatte eigentlich konstruktiv gemeint, aber in der Hitze des Gefechts war ihm wieder mal was durcheinander gekommen. Es half ihnen gerade wenig, wenn sie so düstere Gedanken aussprachen. Lieber redete sich Colt da in eine Welt voller kleiner rosa Ponys und Zuckerwattewölkchen.

Entschuldigend hob der Italiener daraufhin die Schultern, er hatte es bestimmt nicht so gemeint. Just, als er es ausgesprochen hatte, war ihm selbst aufgefallen, welchen Mist er da verzapft hatte.

Den vieren blieb nun nichts anderes übrig, als auf Nachricht zu warten. Sie beschlossen bald, sich aufzuteilen. Colt und Saber würden hier im Krankenhaus bleiben und zusehen, ob Fireball nicht vielleicht doch hier eincheckte, solange sollten April und Alessandro zurück zum Palast fahren und dort auf den Piloten warten.

Der Schotte sah sich immer wieder im Warteraum der Notaufnahme um, er hoffte hier vielleicht Martin, oder Stan und Oliver anzutreffen. Bisher hatte niemand, den sie gefragt hatten, die vier gesehen, es war nicht nur Fireball verschwunden.
 

„Verdammt, das Funkgerät ist auch tot!“, laut fluchend hieb Oliver auf die Konsolen des Jets, die die zärtliche Behandlung sofort mit Funkenschlag quittierten. Sie waren von einer Horde Outrider abgedrängt und separiert worden. Ihr Ausflug hatte mit vier völlig zerstörten Jets, drei leicht mitgenommenen und einem schwer Verletzten mitten im Nirgendwo geendet. Sie hatten gehofft, dass zumindest in einem der Jets noch ein Notsignal oder der Funk noch funktionierten, aber da hatten sie falsch gelegen. Oliver kletterte aus dem letzten rauchenden Jet und gestand seinen Kollegen: „Tja, wenn nicht einer auf die glorreiche Idee kommt uns zu suchen, dann sind wir auf uns alleine gestellt.“

Stan reckte den Kopf nach oben und erkundete den Himmel um sie herum. Es war wieder ruhig geworden, es war kein Flugzeug mehr zu sehen. Sowohl die Outrider als auch ihre Leute waren abgezogen. Längst schon hatten sie alle ihre Helme von den Köpfen gezogen, in der Wüstenhitze hätten sie sonst einen Hitzschlag bekommen. Stan fuhr sich durch die nassen, blonden Haare, dabei sah er zum Kleinsten in der Runde: „Sag mal, Babyboy. Wie gut ist es um deine Orientierung bestellt? Ich hoffe, da hast du in der Akademie nicht auch gefehlt.“

„Doch“, kam die trockene Antwort: „Aber ich hab `ne Menge von April gelernt.“ Fireball kam aus dem wohltuenden Schatten des Jets und sah sich um. April hatte ihm tatsächlich eine Menge über Navigation und Orientierung beibringen können und außerdem war er nicht zum ersten Mal im Königreich Jarr. Er warf einen Blick auf seine Uhr, danach suchte er die Richtung, in der die Sonne am Himmel stand. Die Hauptstadt lag im Norden, genau hinter den Felsen, wie Fireball bemerkte. Sorgenvoll senkte er den Blick auf seinen Freund, während er Oliver und Stan erklärte: „Wir haben einen guten halben Tag Fußmarsch vor uns. Es dürfte schwer werden, das mit Marty zu schaffen.“

Auch die anderen beiden Piloten richteten ihren Blick auf den verletzten Freund, ehe sie nickten. Martin war beim Absturz nicht so glimpflich davon gekommen, wie die anderen drei. Bis auf paar kleine Schrammen, fehlte ihnen nichts. Aber Martin hatte sich am Bein verletzt, nach den ersten groben und hastigen Blicken seiner Kollegen zu urteilen, hatte er sich was gebrochen. Wie dem auch sei, Martin war außer Stande, selbst zu gehen, er benötigte die Hilfe der anderen. Sie hatten ihn vorsichtig in den Schatten des Jets gesetzt und versucht, ihm behelfsmäßig eine Schiene anzulegen. Nun diskutierten die drei, als wäre er bewusstlos. Es gefiel dem Brasilianer nicht, er war die Last für eine schnelle Heimkehr geworden. Trotz der Schmerzen brachte er hervor: „Wie klug ist es überhaupt, bei der Affenhitze loslaufen zu wollen?“

Erstaunt wandten sich alle nach unten auf Martin. Sie hatten gedacht, er würde sich ausruhen wollen, immerhin war sein Bein ordentlich verdreht gewesen, als sie ihn aus dem Jet gezogen hatten. Doch der braunhaarige Mann dachte nicht daran, sich zu schonen.

Stan kniff ein weiteres Mal die Augen zusammen und sah sich in der Gegend um. Fireball hatte ihnen die grobe Richtung beschrieben, in die sie mussten. Dort war weit und breit kein einziges Schattenplätzchen zu sehen, von einer Wasserquelle erst recht nicht. Martin hatte Recht. Sie würden wahrscheinlich auf halben Weg umfallen und liegen bleiben. Das passte dem Schweden überhaupt nicht. Sie saßen hier zumindest bis zum frühen Abend, wenn die Sonne hinter dem Horizont versinken würde, fest. Missmutig ließ er sich neben Martin in den Sand fallen: „So ein Mist!“

Oliver beobachtete, wie sogar Strahlemann Stan die positiven Gedanken abhanden kamen, das beunruhigte den Hünen enorm. Bisher hatte Stanley niemals die Flinte ins Korn geworfen, egal wie aussichtslos die Situation im Kampf auch gewesen sein mochte. Aber das hier schien etwas anderes zu sein. In ihren Jets fühlten sie sich sicher, dort hatten sie das Gefühl, immer Herr der Lage zu sein, aber nun saßen sie ohne Maschine hier fest. Sein Blick glitt zu Fireball hinüber. Es war seine Entscheidung, was sie weiter tun sollten. Insgeheim hoffte der Kroate auch, dass ihr Captain ihnen hier raus helfen würde.

Fireballs Augen suchten die nähere Umgebung ab. Sie standen hier neben Martins Jet, der von Oliver war nur einige Schritte daneben, Stans und sein eigener Jet waren schon etwas weiter entfernt über den Boden geschlittert. Hätte der Schwede ihn nicht todesmutig abgefangen, hätten sie hier nicht nur Martin schwer verletzt liegen. Fireball war unglücklich getroffen worden, noch in der Luft war ihm eine Tragfläche abhanden gekommen. Er war im Sturzflug auf den Wüstenboden zugerast, nur dank Stan hatte er seinem Vogel noch eine halbwegs stabile Flugbahn geben können, bevor sie aufgeschlagen waren.

In Gedanken versunken setzte er sich in Bewegung, dabei zog er die Handschuhe seines Kampfanzuges aus. Fireball hielt an Olivers Jet an, umrundete das verbeulte Etwas, dann begann er an einer Abdeckung zu zerren. Egal, was sie machten, ob sie bis zum Einbruch der Dunkelheit hier blieben oder versuchten zur Hauptstadt aufzubrechen, sie brauchten Wasser. Die Behälter der Jets waren nicht übermäßig groß, aber im Normalfall hatte jeder Jet zumindest zwei Liter Wasser an Bord. Vergebens rüttelte der ehemalige Rennfahrer an der Verkleidung, sie war zu sehr verbeult. Fireball schlug ein paar Mal dagegen, nichts tat sich. Also rief er nach Oliver: „Hey, Großer! Komm mal rüber und montier die Verkleidung ab. Wir checken die Wasservorräte. Egal wo wir uns in der nächsten Stunde befinden werden, wir werden durstig sein.“

Mit viel Kraftaufwand schafften es die beiden schließlich, die Wasservorräte der Jets zu bergen. Fireball entschied sich dafür, mit ihrer Wanderung bis zum Einbruch der Nacht zu warten, er wollte keinen unnötig in Gefahr bringen. Also setzten sich alle vier in den Schatten eines Jets und sammelten ihre Kräfte, immer auch darauf bedacht, einer eventuell vorbei kommenden Patrouille Zeichen zu schicken.
 

Im Thronsaal standen April und Alessandro bei Prinz Roland und dem König. Die vier unterhielten sich, brachten sich auf den aktuellen Stand und versuchten, die Lage richtig einzuschätzen. Auch dem Monarchen war nicht wohl, dass vier Piloten noch nicht aufgetaucht waren. Von seinen Jungs waren alle irgendwo gelandet, entweder im heimatlichen Hangar oder in der Notaufnahme. Doch dass bei seinem Bündnispartner ausgerechnet der Captain und drei weitere Piloten verschwunden waren, beunruhigte den bärtigen Mann offensichtlich. Prinz Roland zwang Jarred immer wieder stehen zu bleiben, wenn er begann, in dem riesigen Saal auf und ab zu laufen.

Hilflos sah Alessandro zwischen König Jarred und Prinz Roland hin und her. Die Stimme seiner Kollegin riss ihn schließlich aus seinen Gedanken.

„Eure Hoheit. Ich bitte Sie darum, nach den vieren suchen zu dürfen. Wir bleiben mit Ramrod selbstverständlich in Kontakt.“

Es war für April die einzig logische Schlussfolgerung. Von alleine, so hatte sie die Befürchtung, würden die vier jedenfalls nicht wieder hier auftauchen. April spürte, dass ihnen etwas widerfahren war, sonst wären sie schon längst wieder zurück. Aber sie weigerte sich auch zu glauben, dass sie gestorben waren. Sie glaubte, es würde sich anders anfühlen, wenn Fireball sein Leben verloren hätte. Die blonde Frau vertraute da auf ihr Bauchgefühl, das betrog sie normalerweise niemals.

Erstaunt hielt der Monarch inne und blickte April fest in die Augen. Dann nickte er entschlossen. Er schickte April und Alessandro fort: „Macht das. Haltet mich auf dem Laufenden. Ich werde Commander Eagle solange wissen lassen, was geschehen ist.“

April nickte ebenfalls, ehe sie mit Alessandro an der Hand das Gebäude verließ. Die beiden sammelten Colt und Saber auf, die ebenfalls keinen der Freunde gefunden hatten und machten sich auf den Weg.

Kurz nach dem Start rief Saber die Koordinaten der Schlacht auf und betrachtete sie auf dem Bildschirm. Grüblerisch fuhr er sich über das Kinn. Waren sie in der Nähe abgestürzt? Saber konnte sich nicht daran erinnern, bei ihrem Eintreffen etwas derartiges ausgemacht zu haben, aber ehrlich gestanden, war allen vieren an Bord ziemlich übel nach ihrem Sprung gewesen. Colts Notfallration an Kopfschmerztabletten war ziemlich schnell aufgebraucht gewesen. Ihm wäre nicht aufgefallen, wenn der Jet mit der Nummer eins direkt vor ihren Augen abgeschossen worden wäre. Also ging der Recke auf Nummer sicher. Er wies Alex an: „Bring uns noch mal zum Schlachtfeld, Sandro. Mal sehen, welche Hinweise wir dort finden.“

Alessandro nickte zur Bestätigung, ehe er Ramrod in die Richtung abheben ließ. Einige Minuten herrschte Schweigen auf dem Kampfschiff. Es war ein ungemütliches, seltsames Schweigen.

Das fiel auch Colt auf. Er beobachtete seine Freunde immer wieder abwechselnd und stellte dabei fest, dass es den Freunden nicht nur wegen Fireballs Verschwindetrick die Sprache verschlagen hatte. Vor ihrem Sprung zurück in ihre Zeit hatten sie noch diskutiert, ob sie den Menschen in der Vergangenheit eine Nachricht zukommen lassen sollten. Saber hatte sich dagegen entschieden. Offenbar hatten sie mit ihrem neuerlichen Sprung keine neue Realität erschaffen, denn niemand hier schien neue Erinnerungen zu haben. Dennoch blieb ein schaler Beigeschmack. Wie schon beim letzten Mal. Colt schluckte schwer, er empfand es immer noch als nicht richtig, den Menschen dort nicht zu geholfen zu haben.

Auf dem Schlachtfeld angekommen, scannte Saber sofort die Umgebung nach Lebenszeichen ab. Ihnen bot sich ein grässliches Bild. Überall lagen Trümmer von abgestürzten Jets und rauchte es. Die Star Sheriffs kamen normalerweise niemals nach einer Schlacht zum Ort des Geschehens zurück, es blieb die Ausnahme. Der Schotte blickte bekümmert von seinem Bildschirm auf und durch das Panoramafenster in die Umgebung hinaus. Es bot sich ihnen ein Bild der Verwüstung. Er murmelte: „Ich beneide die Aufräumtrupps nicht um ihre Arbeit.“

Colt verstand Sabers Gedanken, aber er wollte nun keinen Trübsal blasen. Er bemerkte, wie ihre Angst ihnen sonst die Hoffnung nahm. Mit einem schelmischen Grinsen ließ er Saber wissen: „Ist klar, dass du keinem hinterher räumen willst. Das bist du als Blaublütiger doch auch gar nicht gewöhnt!“

Saber lächelte leicht. Das war wieder typisch für Colt. Er stieg auf die Stichelei ein: „Du doch auch nicht!“

„Stimmt“, kam die knappe und rotzfreche Antwort vom Lockenkopf: „Hab dafür quasi auch Personal.“ Ein verschwörerisches Zwinkern verriet sofort, dass er damit seine Freundin meinte. Neben Robin hätte er sicherlich nicht so große Töne gespuckt und er musste hier an Bord auch niemanden gestehen, dass er zuhause die Wäsche machte oder auch mal kochte. Der harte Kerl war er nur außer Haus. Zuhause genoss er es, sich die Aufgaben mit seiner Freundin zu teilen, sich um seine Familie zu kümmern und den Blaster so lange wie möglich im Safe verschwinden zu lassen. Wenn seine Freunde jemals von seinem braven Leben erfuhren, würden sie ihn ständig damit aufziehen.

Leider wurde er schneller überführt, als ihm lieb war. April drehte sich zu Colt um und grinste ihn herausfordernd an: „Ach, wirklich? Deine Herzallerliebste hat mir da was anderes erzählt.“

Sofort dementierte Colt: „Alles Lügen!“
 

Ihre Suche nach den Freunden verlief leider ergebnislos. Nachdem sie das Schlachtfeld unverrichteter Dinge wieder verlassen hatten und weiter nach Norden geflogen waren, fehlte noch immer jede Spur von den vier Jets der Einser Base. Doch Ramrod gab nicht auf. Die Freunde gingen davon aus, dass die Jets nicht sehr weit vom eigentlichen Ort des Geschehens weg sein konnten, es hatte bei diesem Angriff keinerlei Nebenschauplätze gegeben. Bestimmt schon zum dreißigsten Mal rief Saber die Daten seit ihrer Ankunft ab. Er zählte die grünen Punkte, die in der Schlacht mitgemischt hatten. Die Punkte waren mit Nummern versehen, sie kennzeichneten jeden Jet der Air Strike Base 1, nur leider konnte Saber keinen einzigen finden, der die Ziffern der verschwundenen Jets beinhaltete.

Nach der nächsten Schleife, die Alessandro über das Gebiet flog, seufzte der Schotte hörbar: „Sie müssen abgeschossen worden sein, noch bevor wir wieder hier waren.“ Er begann zu grübeln, ihnen fehlte die Aufzeichnung der Schlacht bis zu ihrem Eintreffen. Doch genau das schien der Schlüssel zu sein. Saber kratzte sich an der Stirn, während er zu April hinüber sah: „Haben wir eine Möglichkeit, auf Flugschreiber der Einser zuzugreifen, April?“

Wie gewohnt begriff April schnell, worauf ihr Anführer hinaus wollte. Sie nickte und bestätigte dem Schotten: „Wir haben normalerweise Zugriff auf das gesamte Netzwerk. Ich sollte theoretisch sogar auf die Aufzeichnungen von Fireballs Jet zugreifen können. Gebt mir ein paar Minuten, ich versuch das schnell.“

Colt zog die Augenbrauen hoch. Er wusste schon, dass jedes Fluggerät beim Oberkommando mit einem Flugschreiber und dergleichen ausgestattet war, aber wie das genau funktionierte und wie das mit einem Netzwerk zusammen hing, hatte sich ihm bisher noch nicht erschlossen. Er murmelte: „Ich dachte, die kann man erst auswerten, wenn man die Black Box hat?“

Nun mischte sich Alessandro ein. Er wollte April und Saber daran arbeiten lassen und wenn Colt nicht ständig dazwischen fragte, ging das mit Sicherheit schneller. Er brachte Ramrod in eine stabile Flugbahn, ehe er Colt erklärte: „In welchem Jahrhundert lebst du denn? Das war vielleicht mal so, heutzutage sind alle Jets des Oberkommandos mit der Zentrale verbunden. Die Daten der Flugschreiber werden auf einem Server geparkt, eben für solche Fälle.“

„Super“, Colt hob breit grinsend beide Daumen nach oben, fügte allerdings sarkastisch hinzu: „Klugscheißer!“

„Ich sag nur, wie’s ist!“, rechtfertigte sich Alessandro. Er war dankbar für Colts Frage, sie lockerte die bedrückende Stimmung an Bord wieder etwas auf. Sie machten sich alle Sorgen um die vier Freunde. Mittlerweile glaubte niemand mehr daran, dass die vier abgedrängt worden waren, sie waren sich ziemlich sicher, dass sie abgeschossen worden waren. Es wusste nur niemand, wo sie abgestürzt waren und wie es ihnen ging. Sandro war sich allerdings sicher, je schneller sie gefunden wurden, desto besser war das für alle Beteiligten.
 

Mit Einbruch der Dämmerung setzten sich die vier in Bewegung. Enttäuscht hatten sie zur Kenntnis nehmen müssen, dass bisher niemand zu ihnen gefunden hatte. Oliver war sogar kurz davor gewesen, einen der Jets in Brand zu setzen, dann wäre die Rauchsäule wenigstens ewig weit zu sehen gewesen, doch Fireball hatte es ihm verboten. Er wollte kein unkontrollierbares Feuer im Nirgendwo riskieren.

Sie hatten sich die Wasservorräte gut eingeteilt und als die Sonne endlich hinter dem Horizont untergegangen war, waren sie in Richtung der Hauptstadt aufgebrochen. Stan und Fireball stützten Martin, Oliver ging hinter ihnen. Der starke Kroate hatte Martin eigentlich auch gleich stützen wollen, doch dieses Mal hatten sich alle drei gegen ihn verschworen. Während Fireball noch höflich gewesen war und dem Kroaten davon Rückenschmerzen prophezeit hatte, war Stan schon frech gewesen und hatte behauptet, dass er das nicht lange durchhalten würde. So hatte sich Oliver geschlagen gegeben. Allerdings würde er Stan und Fireball ablösen, wenn es zu schwer für sie werden sollte.

Er stapfte hinter den dreien durch den Sand. Jeder hatte noch seinen Kampfanzug an, zumindest den größten Teil. Ihre Helme hatten sie zurück gelassen, sie hatten sowieso keine Verbindung zu irgendjemandem herstellen können. Stanley und Martin trugen einen grünen Kampfanzug, so wie er selbst, der Captain steckte immer noch in seinem roten, den er von Ramrod mitgebracht hatte. Damit stach er in der Masse seiner Piloten heraus wie ein bunter Hund, man konnte ihn jederzeit finden. Oliver schmunzelte bei dem Gedanken, dass man Fireball ohne Kampfanzug durchaus übersehen würde, bei seiner Körpergröße.

Martin war dankbar um die Stütze seiner beiden Freunde, er könnte ohne sie keinen einzigen Schritt machen. Sein Bein tat höllisch weh. Die Stunden bis Sonnenuntergang hatte er versucht, Kraft zu tanken. Er verabscheute es, die Last für ihre schnelle Heimkehr zu sein. Außer ihm war niemand ernsthaft verletzt, sie hätten schon längst in der Hauptstadt ankommen können, wäre er mit seinem verletzten Bein nicht gewesen.

Sie kamen nur langsam voran, aber Stan dachte nicht daran, aufzugeben. Besser langsam ans Ziel als gar nicht. Er war immer noch heilfroh, dass sie alle lebend aus ihren Jets rausgekommen waren. Als er gesehen hatte, wie Fireballs Flieger getroffen worden war, hatte er den Japaner schon leblos in seinem Jet liegen gesehen. Ihm war einen Moment das Herz in die Hose gerutscht, bis er reagiert hatte. Stan hatte alles aus seiner Maschine rausgeholt, hatte dabei Kontakt zu seinem Captain gesucht und versucht, ihn und sich so sanft wie möglich zum Boden zu bringen. Stan wusste, alle anderen wären bei einem solchen Manöver verunglückt und es hätte nicht nur einen Piloten, sondern beide erwischt. Aber er hatte Vertrauen in Fireball gehabt, sie hatten schon viele Flugstunden zusammen absolviert, trainierten oft zusammen, sonst hätte er es auch nicht gemacht. Ihre Maschinen waren Schrott, aber sie waren alle noch am Leben und das zählte.

Fireball griff fester um die Hand von Martin, die er um seine Schulter gelegt hatte. Er schwieg, wie auch seine Freunde, aber seine Gedanken schlugen noch immer Purzelbäume. Er wusste nicht, wie die Schlacht ausgegangen war, ob Verstärkung gekommen war und wie es seinen anderen Piloten ging. Wenn sie es zurück schafften, würde der Vorfall gehörige Konsequenzen für ihn haben, Fireball atmete schwer aus.

Sie hatten die Hälfte des Weges bereits geschafft, als sie eine ungewollte Pause einlegen mussten. Martin verließen die Kräfte. Stöhnend sank er auf den Boden. Dabei zog er auch Fireball und Stan zu Boden, die neben ihm in die Knie gingen. Fireball sah mit wachsendem Unbehagen, wie sich Martins Zustand verschlechtert hatte. Der Brasilianer war am Ende seiner Kräfte. Und auch Stan und Oliver standen an ihren Grenzen. Er hörte den Schweden keuchend in den Sand sacken. Man, es wurde langsam Zeit, dass sie jemand fand! Wie schwer konnte es schon sein, so einen Haufen wie sie vier mitten in der Wüste nicht zu finden?! Als Fireball bemerkte, dass Martin im Begriff war, das Bewusstsein zu verlieren, begann er seinen Freund anzusprechen: „Hey, Marty! Sieh mich an und bleib bei uns! Das kannst du nicht bringen. Deine Alessa macht mich sowieso schon einen Kopf kürzer, weil ich dich so zugerichtet nachhause bringe.“

„Du…“, Martins Lippen waren trocken, er brachte kaum noch einen Ton hervor. Seine Wahrnehmung war verschwommen, aber wenigstens verhinderte Fireballs Stimme, dass er das Bewusstsein verlor.

Fireball stupste ihn an der Schulter: „Ja, ich! Ich musste vor unserer Abreise deiner kleinen Hexe versprechen, dass ich dich heil wieder zurück bringe. Sie rammt mich unangespitzt in den Boden, wenn sie dein Bein sieht.“

Martin schmunzelte und murmelte erschöpft: „Der Dampfhammer war deiner, Babyboy…“

Trotz der Erschöpfung konnte sich Martin noch an den Kosenamen von April erinnern. Colt und Saber hatten bei einem ihrer Abendessen einmal die Geschichte dazu erzählt. Es war erst wenige Tage her. Martin war dankbar um die Pause. Eigentlich wollte er einfach die Augen zumachen und schlafen, aber Fireball hielt ihn wach.

Fireball hatte so etwas auf Ramrod schon ein paar Mal mitgemacht, er wusste, dass sie Martin vielleicht nicht mehr ins Bewusstsein zurück holen könnten, wenn sie ihn jetzt die Augen schließen ließen. Er war selbst schon das ein oder andere Mal an Martins Stelle gewesen und auch Colt und Saber waren schon einmal verletzt gewesen. Martin durfte gerade alles, nur nicht die Augen schließen und aufgeben! Deshalb versuchte Fireball alles, um Martin wach zu halten. Auch wenn das hieß, dass er vielleicht wieder über April reden musste. Er warf noch einen kurzen Blick zu Stan und Oliver, die sich beide ebenfalls in den Sand gesetzt hatten und rasteten, ehe er Martin angrinste: „Der Dampfhammer wird im Vergleich zu deiner eine Schmusekatze sein, wenn mich Alessa in die Finger bekommt. Man, Marty, sie wird mich lynchen!“

„Wird sie nicht, sie… mag dich.“, das wusste Martin ziemlich sicher. Alessa hatte ein großes Herz und für gewöhnlich war dort Platz für jeden. Für den kleinen Captain war da von Anfang an einer gewesen und auch das Verständnis, das nicht alle gehabt hatten.

Fireball stichelte: „Weiß ich. Was glaubst du, wo sie ist, wenn sie nicht bei dir ist?“

Wieder fielen Martin die Augen zu, doch Fireball tätschelte seine Wange: „Hey, bei mir bleiben, Martin!“

Er schlug die Augen wieder auf. Sie kamen nicht mehr vom Fleck, weil er nicht mehr weiter konnte. Martin wollte seine Freunde fort schicken: „Geht schon mal vor.“

Fireballs Schultern sanken nach unten. Das sah nicht gut aus. Wenn sie hier blieben, würde Martin vielleicht umkommen, aber sie kamen mit dem Verletzten nicht vom Fleck. Sie hatten Martin zu viel zugemutet. Nach einem weiteren Blick zu seinem Kumpel, wies er Stan und Oliver an: „Marty hat Recht. Stan? Oliver? Macht euch auf den Weg und holt Hilfe. Wir werden uns hier nicht vom Fleck bewegen.“

Oliver stand wieder auf, er warf seinem Captain noch einen Beutel Wasser in die Hände und nickte grimmig: „Wir beeilen uns!“

Er hatte erkannt, dass sie sich nun trennen mussten. Stanley und er waren ohne Martin sicherlich schnell in der Stadt, die Sorge um den Freund würde sie sicherlich antreiben. Er nickte dem Schweden zu, dann brachen sie auf und verschwanden in der Nacht.
 

„Es funktioniert!“, jubelte April, während sie den Downloadbalken auf ihrem Display verfolgte. Der Prozess hatte sich starten lassen und April hatte nun Zugriff auf alle Daten der Flugschreiber. Als sie beim ersten Download die Rückmeldung bekommen hatte, dass es funktionierte, hatte sie gleich parallel dazu noch drei gestartet, sollten die vier Jets nicht im selben Gebiet abgestürzt sein.

Saber sprang bei diesen Worten aus seiner Satteleinheit und kam zu Aprils nach hinten. Er saß wie auf Nadeln. Er hatte beobachtet, wie die Nacht über sie hereingebrochen war. Niemand von ihnen wusste, welche Gefahren in der Wildnis hier draußen lauerten und ohne Tageslicht waren die Freunde noch schwieriger auszumachen.

Auch Colt und Alessandro versammelten sich um Aprils Satteleinheit und warteten gespannt auf die Ergebnisse. Zwischenzeitlich hatten sie von König Jarred die Rückmeldung bekommen, dass alle anderen Piloten versorgt worden waren und keiner ernsthaft verletzt war. Die Aufräumarbeiten wären noch in vollem Gange.

Colt deutete auf das blinkende Signal: „Sind sie das?“

April schüttelte den Kopf: „Nein, das ist unser Signal.“, sie wollte Colt gerade erklären, dass der Download noch nicht abgeschlossen war, da öffnete sich ein neues Fenster auf ihrem Display. Die Daten waren fertig auf ihren Rechner kopiert worden und starteten automatisch. Sie ließ ihre Jungs wissen: „Gleich sehen wir, wo zumindest Fire runtergegangen ist.“

Gebannt starrten alle auf den kleinen Bildschirm in Aprils Satteleinheit. Sie beobachteten die Bewegungen des kleinen Punktes, bemerkten ein kurzes Flackern und wie sich der Punkt dann blinkend weiterbewegte, bis er schließlich erlosch. April klopfte das Herz bis zum Hals, der Treffer war offenbar so heftig gewesen, dass die Systeme einen Augenblick völlig ausgesetzt hatten, sonst hätte der Positionspunkt des Flugschreibers nicht geflackert. Hektisch versuchte sie, die Position des Absturzortes zu lokalisieren. Ihre Atemwege schnürten sich zu, bei dem Gedanken daran, dass sie vielleicht schon längst zu spät kommen könnten. Sie schickte die drei auf ihre Plätze zurück: „Jungs, schwingt euch in die Sättel. Wir müssen uns beeilen! Sandro, die Koordinaten sind gleich bei dir.“

Alessandro nickte entschlossen und rannte zu seiner Satteleinheit zurück. April hatte mit keinem Wort erwähnt, was die Auswertung der Flugschreiber zu bedeuten hatte, aber ihrem Tonfall und ihrer Gesichtsfarbe nach hatte er entnehmen können, dass Feuer am Dach war. Es war höchste Eile geboten. Seine beiden Kumpels hatten kaum Platz genommen, da startete Ramrod auch schon voll durch.

Sie flogen ziemlich weit von der Stadt und dem Schlachtfeld weg, das war merkwürdig. Als sie die Koordinaten erreichten, scannte Saber die Umgebung. Keine Lebenszeichen und keine Übertragungssignale von Jets. Sie konnten in der Finsternis nichts unter sich erkennen, weshalb Saber die Scheinwerfer einschaltete. Der Schotte erstarrte beim Anblick der vier völlig zerstörten Jets.

Colt allerdings schnellte aus seiner Satteleinheit wieder heraus. Er lief von der Brücke und wollte von Alessandro: „Geh runter, ich seh mir das aus der Nähe an!“

Schon war der Lockenkopf weg, doch niemand hielt ihn auf. Saber wusste, Colt war genau der richtige Mann für den Job. Abgesehen davon hätte sich Colt hier auf der Brücke nicht einsperren lassen. Am Tonfall hatte er bereits erkannt, dass auch er besorgt war.

Wenig später trat Colt wieder auf die Brücke, alleine. Erwartungsvoll blickten die anderen hinter ihn, doch es kam niemand mehr. Colt schüttelte den Kopf und erklärte: „Die gute Nachricht ist, sie sind nicht mehr in den Jets. Die schlechte, sie sind auch sonst nirgends zu finden.“

Colt klang zuversichtlich. Er war eine Spürnase, mit Haut und Haaren. Dass er dort unten niemanden hatte finden können, bedeutete, dass es alle vier aus den Wracks geschafft hatten. Dass sie auch in der näheren Umgebung nicht zu finden waren und er auch keine Kampfspuren entdecken hatte können, bedeutete für Colt, dass sich die vier in die nächste Stadt aufgemacht hatten. Er ließ April die Landkarte auf den großen Bildschirm legen, während er die am Unfallort aufgelesenen Helme verstaute und überlegte mit seinen Freunden laut, wo sie als nächstes suchen sollten. Er tippte auf die nächste Stadt: „Wir sind in einer Kurve hierher geflogen und befinden uns ziemlich im Süden des Landes. Noch weiter im Süden ist nichts, der Palast befindet sich hier im Norden…“

Saber unterbrach die Gedanken des Scharfschützen und fuhr mit dem Zeigefinger eine Linie nach: „Unsere Freunde werden sich Richtung Hauptstadt auf den Weg gemacht haben. Lasst uns die Gegend großräumig absuchen, wir werden sie bestimmt finden.“

Neue Hoffnung keimte in den Freunden auf. Als April bei Colts Ankunft gehört hatte, dass er niemanden gefunden hatte, waren ihr kurzfristig die Tränen in die Augen gestiegen. Nun aber fasste sie neuen Mut. Das Gelände, das sie absuchen würden, war hauptsächlich freie Fläche, Wüstenboden. Sie sollten die vier finden können.

Alessandro blieb mit Ramrod dicht über dem Boden, die Scheinwerfer leuchteten den Boden unter ihnen aus. Saber beobachtete seine Sensoren, die Abtaster konnten auch weiter entfernte Signale aufnehmen, was sie in der Dunkelheit nicht mehr ausmachen konnten. Sie arbeiteten konzentriert, solange sie ihre Freunde nicht gefunden hatten, verspürte keiner von ihnen Müdigkeit oder Hunger.
 

„Sag Alessa…“, Martin hob schwach die Hand und streckte sie nach Fireball aus. Er war am Ende mit seinen Kräften und wollte eigentlich seine letzten Worte an seinen Kameraden richten. Martin gab nicht schnell auf, aber es schien ihm, als wäre seine Zeit auf dieser Welt nun vorbei.

Fireball griff nach der Hand, die ihm Martin entgegenreckte. Energisch schüttelte er den Kopf und versuchte den Brasilianer positiv zu beeinflussen. Er musste seinen Freund ablenken: „Kannst du ihr selbst sagen. Ich bin nicht deine Sekreteuse.“

Fireballs Blick ging zu den Sternen hinauf. Sie saßen in der Wüste, um sie herum nichts als Sand und über ihnen der sternenklare Nachthimmel. Er ordnete seine Gedanken. Martin durfte nicht aufgeben, er selbst glaubte nach wie vor fest daran, dass sie jemand finden würde. Jesse Blue hatte ihm einmal ins Gesicht gesagt, dass er immer auf die Butterseite des Lebens fallen würde, dass er immer Glück hätte. Daran glaubte auch er jetzt. Er war ein kleines Glücksschweinchen, sie würden es überleben.

Seine braunen Augen musterten Martin aufmerksam und wieder begann er mit seinem Freund zu reden. Um sicher zu gehen, dass Martin sich auf ihn konzentrierte, erzählte er seinem Freund einige lustige Geschichten von Ramrod. Bei jeder Pointe hörte er den Brasilianer leise lachen, das war ein gutes Zeichen. Irgendwann hörte er sich schließlich von seiner Zeit in der Akademie und von Jesse Blue erzählen.

Martin war schwach, verstand aber, weshalb ihn Fireball so gnadenlos zutextete. Er wollte nicht, dass er einschlief und vielleicht nicht mehr aufwachte. Er lachte immer wieder leise, der jüngere Japaner hatte etliche Geschichten zu erzählen. Martin konnte ihm nicht immer folgen, weil er sich aufgrund der Schmerzen nicht gut konzentrieren konnte, aber er drehte zumindest nicht den Kopf zur Seite und schlief ein.
 

Saber dirigierte Alessandro in eine bestimmte Richtung, seine Sensoren hatten Lebenszeichen aufgefangen. Dieser Spur wollten sie folgen. Nachdem der Schotte die Koordinaten ziemlich genau bestimmte, flog der Italiener das große Kampfschiff zügig dorthin. Colt lehnte sich in seiner Satteleinheit so weit nach vor, wie er mit dem Gurt nur konnte, vielleicht konnte er jemanden unter sich ausfindig machen.

Die Signale wurden stärker auf Sabers Bildschirm. Er murmelte leise: „Wir sollten gleich Sichtkontakt haben.“

Kurz darauf rief Alessandro aus: „Bestätige, Boss. Wir haben sie gefunden! Dort unten sind sie!“

Colt schnallte sich noch im Flug ab, dabei wäre er beinahe vornüber aus der Satteleinheit gefallen. Er spähte während des Landeanfluges hinunter und stellte fest: „Das sieht übel aus!“

Sie hatten zwei Personen gefunden, eine davon bewegte sich nicht mehr viel. Kaum hatte Ramrod aufgesetzt, schnappte er sich Alessandro und holte mit ihm den Sanitätskoffer und eine Trage. April und Saber folgten ihnen.
 

Als sich der Sand gelegt hatte, richtete sich Fireball wieder auf. Er hatte sich schützend über Martin gebeugt und das Sandgestöber, das Ramrod bei seiner Landung verursacht hatte, abgedeckt. Ihm fiel ein Stein von Herzen als er Martin sagen konnte: „Die Star Sheriffs sind da. Wir haben ein Taxi, Marty.“

Colt rannte mit dem Erste-Hilfe-Koffer unter dem Arm bereits auf sie zu und schrie: „Geht’s euch gut?“

Gleich hinter ihm zog Alessandro die Trage die Rampe hinunter, April und Saber rannten am Italiener vorbei. Zusammen bargen sie die beiden, Fireball schilderte ihnen solange, was mit Martin geschehen war und wo Stan und Oliver waren. Noch hatten sie es also nicht geschafft. Während April bei Martin und Fireball im Krankenzimmer von Ramrod blieb, begannen die anderen drei weiter nach den verbliebenen beiden Piloten zu suchen.
 

April beobachtete, wie Fireball erschöpft an der Wand hinuntersank und einfach auf dem Boden sitzen blieb, während sie Martin die provisorische Schiene abnahm und auch den Schutzanzug entfernte. Während sie die Wunde untersuchte, sprach sie mit dem Brasilianer: „Sobald wir Stan und Olli gefunden haben, bringen wir euch alle in ein Krankenhaus. Du musst noch ein bisschen durchhalten, Martin.“

Der braunhaarige Mann nickte, er war einfach zu erschöpft um etwas zu sagen. April machte sich daran, die offensichtlichen Wunden von Martin zu desinfizieren, sie achtete darauf, behutsam vorzugehen und immer wieder sprach sie mit ihm um sicher zu gehen, dass er das Bewusstsein nicht verlor.

Der blonden Frau fiel es schwer, sich nicht auch um Fireball kümmern zu können, doch Martin brauchte ihre Hilfe viel mehr. Fireballs Freund war schwer verletzt, dem Japaner hingegen schien es den Umständen entsprechend gut zu gehen.

Wenige Minuten später stand Fireball allerdings wieder auf und verdrückte sich, er sagte April lediglich kurz, er müsse ein gewisses Örtchen aufsuchen. Ihm war übel geworden, weshalb er gleich in Richtung Toilette aufgebrochen war. Flugkrank war er normalerweise nicht, aber manchmal war Ramrod hin und her geschwankt, wobei sich ihm der Magen umgedreht hatte. Während sich Fireball nun den Mund im Badezimmer ausspülte und sich das eiskalte Wasser zusätzlich noch ins Gesicht spritzte, merkte er, wie Ramrod wieder zur Landung ansetzte. Sie hatten Stan und Olli also schon gefunden. Gott sei Dank. Er trocknete sich in dem pinken Handtuch der Navigatorin noch das Gesicht, ehe er vorsichtshalber noch in die Küche huschte. Ihm war nicht nur übel geworden, er hatte auch Kopfschmerzen bekommen. Er wollte noch schnell ein Schmerzmittel nehmen, denn er hatte keine Nerven über Nacht vielleicht auch noch im Krankenhaus bleiben zu müssen. Fireball war mit dem Kopf schon bei dem Tohuwabohu, das er nach dieser Schlacht aufarbeiten musste, er konnte es sich nicht leisten, eine Nacht zur Beobachtung im Spital zu bleiben.
 

Fireball griff gerade nach den Schmerzmitteln, als Alessandro neben ihm stand und ihn ansprach: „Was machst du da?“

Erschrocken fuhr Fireball herum, er hatte nicht damit gerechnet, dass sich jemand in die Küche verirrte. Er hatte gedacht, dass sie alle zu Stan und Oliver gelaufen waren. Doch der Pilot war an Bord geblieben. Verwirrt schüttelte Fireball den Kopf und rechtfertigte sich: „Ich hab nach Kopfwehtabletten gesucht. Mir brummt der Kopf ein wenig.“

Der Italiener zog sich kopfschüttelnd auf die Anrichte und setzte sich darauf. Fireball ging hier immer noch ein und aus, als wäre er hier zuhause. Unglaublich, aber das war wirklich so. Sein Blick glitt über die Gestalt des Japaners. Er fragte sich manchmal immer noch, was April an Fireball bloß gefunden hatte. Seiner Meinung nach machte er nicht viel her, der Junge war eher schmächtig, obwohl er gut im Training stand. Fireball war nicht besonders groß und so gar nicht der Inbegriff eines Anführers. Aber zumindest wollte er ihm nicht mehr sofort an die Gurgel, wenn sie sich trafen. Dazu hatte Fireballs Vater viel beigetragen und auch April. Alessandro hätte von sich aus niemals eingelenkt und der Sturschädel vor ihm hätte sich niemals die Mühe gemacht, sich zu erklären.

Kurzentschlossen verweigerte Alessandro Fireball die Kopfschmerzmittel. Er hatte kein gutes Gefühl dabei, immerhin war Fireball mit den anderen dreien vom Himmel geschossen worden. Ein Arzt würde sich darum kümmern und ihm die richtigen Medikamente verschreiben. Der Italiener nahm Fireball die Schachtel ab und warf sie unbedacht wieder in die Schublade. Er nahm den kleineren an der Schulter und dirigierte ihn hinaus: „Lass das mal. Wir haben jetzt Dick und Doof aufgegabelt und sind im Null komma nix im Krankenhaus. In spätestens einer halben Stunde kriegst du die passenden Mittelchen.“

Unwillig lehnte sich Fireball gegen die schiebende Hand. Gerade das wollte er doch verhindern! Noch einmal drehte sich Fireball zu dem Piloten um und wollte ihm erklären: „Hör mal, das Theater kann ich mir gleich sparen. Ich hab nur ein wenig Kopfschmerzen, was soll ein Arzt schon finden?“

Doch Alessandro ließ sich auf keine weitere Diskussion mehr ein. Er gab den Wuschelkopf wieder in die Obhut ihrer Navigatorin und kurzfristig zur Krankenschwester abgestellten April. Bei ihr im Krankenzimmer des großen Cowboys waren inzwischen auch Oliver und Stanley eingetrudelt.
 

Weit nach Mitternacht war erst alles im Krankenhaus erledigt. Martin hatte sich eine komplizierte Fraktur des Unterschenkels zugezogen und zu allem Unglück auch noch die Kniescheibe bei seinem Absturz demoliert. Er war bald nach ihrer Ankunft für eine OP vorbereitet worden. Dick und Doof, wie Alessandro Oli und Stan vorhin noch genannt hatte, waren auch verletzt worden, allerdings bei weitem nicht so schwer, wie ihr Freund. Die Ärzte hatten die beiden für mindestens diese Nacht einchecken lassen, um nicht sichtbare Verletzungen ausschließen zu können. Dankbar hatten die beiden ein schönes weiches Bett angenommen, ihnen war herzlich egal, wo sie in dieser Nacht schlafen würden. Fireball hatte die Einladung des Arztes in den Wind geschlagen. Er wollte zurück in den Hangar und nach seiner Staffel sehen. Der Arzt hatte ihm nichts entlocken können und so hatte Ramrod ihn mit zum Stützpunkt nehmen dürfen.
 

Am Frühstückstisch war es an diesem Morgen außergewöhnlich ruhig. Allen hing der letzte Tag noch in den Knochen. Die Besatzung von Ramrod hatte sich geschlossen dafür entschieden, nicht in der Offiziersmesse zu frühstücken, sondern in ihrer Küche. Sie waren spät ins Bett gekommen und jeder hatte einige Momente noch gebraucht, bis er hatte einschlafen können. Trotzdem waren sie zur üblichen Zeit aufgestanden. Dementsprechend klein waren die Augen. Dafür waren die Ringe unter den Augen umso größer und dunkler. Mit fahrigen Bewegungen brachte Colt die Kaffeekanne an den Tisch. Man, er war immer noch müde für zwei.

Der letzte Tag hatte es wirklich in sich gehabt. Zuerst ihr Zeitsprung, der mehr als planmäßig geklappt hatte und dann waren sie mitten in eine Schlacht geraten und hatten vier ihrer Freunde suchen müssen. So viel Spannung brauchte Colt eigentlich nicht mehr um sagen zu können, der Tag wäre gelungen gewesen. Schweigend setzte er sich zu den anderen an den Tisch und sah sich um. Ihnen schien es ähnlich zu gehen, wie ihm. Colt bereitete seinen Kaffee zu, rührte ihn bedächtig um, ehe er die Tasse mit beiden Händen umschloss und sich gähnend zurück lehnte. Er war immer noch hundemüde.

Saber saß bereits mit der Tageszeitung an seinem Platz. Ein Thema beherrschte die Presse von Jarr seit diesem Angriff. Die Meldungen überschlugen sich und die halbe Zeitung war voll mit Berichten darüber. Die Spekulationen um eine neuerliche Aufkündigung des Bündnisses kamen dabei auch nicht zu kurz. Die Bürger des Königreiches hatten niemals vergessen, was vor über zwanzig Jahren passiert war und welche Konsequenzen es gehabt hatte. Schaudernd schlug Saber die Zeitung wieder zu. Er wollte gar nicht daran denken, was weiter auf sie zukam. Zumindest schien König Jarred das Bündnis nicht neuerlich aufkündigen zu wollen. Sonst hätte er die Leute vom Oberkommando schon längst alle zurück nach Yuma geschickt. Auch Saber gähnte verstohlen.

Sandro war letzte Nacht noch zu April ins Zimmer geschlichen. Ihm war aufgefallen, dass sie ihre Reise ziemlich mitgenommen hatte. Es war ihm nach dem Zeitsprung schon aufgefallen. Nochmal, dieses Mal sogar noch deutlicher war es ihm aufgefallen, als April Fireball ins Gewissen reden hatte wollen, er solle doch im Krankenhaus bleiben. Der Sturkopf hatte sich geweigert und April war besorgt an Bord zurück geblieben. Dankbar hatte sich April an Alessandro gekuschelt, nachdem er zu ihr unter die Decke gekrabbelt war. Er hatte einen Arm um sie gelegt und ihre Haare gestreichelt, bis sie eingeschlafen gewesen war. Alessandro genoss Aprils Gegenwart sehr, besonders wenn sie sich an ihn schmiegte. Ihre Haut duftete nach Rosen und ihre Haare nach einem Hauch Vanille. Sandro hatte während seines Aufenthalts hier gelernt, dass April bei Kummer die körperliche Nähe suchte und überhaupt in der Hinsicht ganz unbedarft war. Es hatte nichts zu bedeuten, wenn April sich dicht an ihn kuschelte und den Kopf auf seine Brust legte. Sie hatte keine Absichten, keine Hintergedanken. Das war für einen Mann mitunter schwer einzuordnen. Alessandro selbst hatte erst vor einiger Zeit begriffen, dass keine romantischen Gefühle bei April im Spiel waren. Aber er konnte sich auch mit der Rolle des Freundes zufrieden geben.

Auch April lungerte mehr beim Frühstückstisch als sie saß. Sie machte sich Sorgen und hatte deshalb nicht viel geschlafen. Ihr war nicht wohl gewesen, Fireball wieder mitzunehmen, aber der Sturkopf in Person hatte es vorgezogen, sich in den eigenen vier Wänden auszuschlafen. April wettete, dass er es nicht getan hatte, viel wahrscheinlicher war, dass er sich die Nacht damit um die Ohren geschlagen hatte, herauszufinden, wie es seiner Mannschaft ergangen war und was den Männern von König Jarred passiert war. Sie war froh gewesen, als Alessandro noch vorbei geschaut hatte. So war sie mit ihren Gedanken nicht alleine gewesen. Sie würde Fireball nach dem Frühstück einen Besuch abstatten.
 

Es blieb auf Ramrod den Vormittag über vergleichsweise ruhig. Die Crew hatte wenig bis gar nichts mit den Nachbesprechungen und Nacharbeiten zu tun. Ganz offenbar hatte das die Crew der Einser Base übernommen.

Ihr Captain saß in dem Büro, das er seit dem Beginn des Manövers nutzen durfte. Vor ihm stand ein Glas Wasser, in dem sich eine Schmerztablette auflöste. Bereits die zweite an diesem Vormittag. Die Tablette gab zischende Laute von sich und sprudelte wild im Wasserglas hin und her. Fireball rieb sich über die Schläfen und anschließend über den steifen Nacken. Er fühlte sich schrecklich nach diesen Ereignissen, davon abgesehen war ihm immer noch ein wenig übel. Gleich nach seiner Ankunft hier hatte er sich einen Überblick verschafft, geschaut, welcher seiner Jungs verletzt worden war, welche Maschinen das Zeitliche gesegnet hatten und wie es bei Jarreds Jungs ausgegangen war. Zum Frühstück war Fireball bei Jarred und Roland aufgeschlagen und hatte mit ihnen eine Mahlzeit zu sich genommen. Der Monarch war heilfroh, dass auch bei der Air Strike Base wieder alle vollzählig waren. Die drei Männer hatten sich ausgetauscht, sich gegenseitig die Neuigkeiten erzählt.

Fireball hatte vor diesem Treffen ein wenig Angst gehabt, weil dieser Angriff aus dem Ruder gelaufen war. Er hatte sehr wohl in den Morgenstunden die Nachrichten gelesen und auch, dass Jarred das Bündnis eventuell wieder aufkündigen könnte. Hätte der Monarch das wirklich getan, wäre es Fireballs Verfehlung gewesen. Gott sei Dank musste er das aber nicht verantworten. König Jarred dachte nicht im Traum daran.

Zwischendurch hatte ihn auch das Krankenhaus angerufen und ihm mitgeteilt, dass Martins OP gut verlaufen war und es dem Piloten den Umständen entsprechend gut ging. Fireball fiel ein Stein vom Herzen. Er hätte es sich nicht verzeihen können, wenn Martin bleibende Schäden davon getragen hatte. Die beiden Männer waren mittlerweile gute Freunde und Fireball hatte sich große Sorgen gemacht. Er und seine beiden Freunde hatten Martin nicht ausreichend versorgen können, nachdem sie ihn aus dem Wrack geborgen hatten. Fireball schob sein Telefon zur Seite, er würde Martin so bald wie möglich besuchen gehen. Nun musste er aber erst noch Reparaturaufträge und Bestellungen erledigen.
 

Alessandro hatte es sich nicht nehmen lassen und April zum Rennfahrer begleitet. Skeptisch beobachtete er, wie sich die Kopfschmerztablette in dem Wasserglas auflöste und sich der Pilot über die Schläfen fuhr. Nachdem Fireball sie offenbar nicht bemerkte, klopfte der Italiener gegen den Türrahmen: „Immer noch einen Brummschädel, Babyboy?“

April blickte verwirrt zu Alessandro, dann auf den blassen Rennfahrer. Weshalb hatte Alessandro ihr das nicht gestern schon gesagt? Sie spürte, wie sie ein mulmiges Gefühl überkam. April trat in den Raum und wartete auf eine Begrüßung.

Verwundert sah Fireball zur Tür hinüber und direkt in das Gesicht von Alessandro. Dann glitt sein Blick zu April. Sie sah ihn besorgt und auch überrascht an. Die Freunde auf Ramrod hatten am Vorabend wohl nicht mehr alles besprochen. Fireball schluckte bei dem Gedanken. Vor einigen Monaten noch hatte ihn jedes Mal die Eifersucht geplagt, wenn er daran gedacht hatte, wie gut sich April und Alessandro verstanden. Und nun fand er es plötzlich merkwürdig, dass ihr Alessandro nicht erzählte, dass sie sich am Vortag unterhalten hatten.

Fireball kniff die Augen etwas zusammen, er hatte so lange auf die Unterlagen vor sich gestarrt, dass er auf die Ferne kaum mehr scharf sehen konnte. Lächelnd bat er die beiden herein: „Hey, ihr. Kommt ruhig rein.“

April trat zum Schreibtisch, Alessandro schloss noch die Tür und ging dann ebenfalls in den Raum hinein. Der Schreibtisch des jungen Captains war wirklich so chaotisch, wie Stan das mal beschrieben hatte. Ein Wunder, dass der überhaupt irgendwas dort fand. Die blauen Augen huschten wieder über die Gestalt des Rennfahrers. Der hatte gestern Abend schon nicht übertrieben gut ausgesehen, im Moment sah er noch schlechter aus. Alessandro sah zu April hinüber. Sie machte sich offenbar Sorgen.

Die blonde Frau blieb vor dem Schreibtisch stehen und sah Fireball beinahe schon bittend an: „Hattest du schon Kopfschmerzen, als wir euch gestern Abend gefunden haben?“

Konnte er sie jetzt anlügen? Seufzend sank Fireball in seinem Stuhl zurück. Er wollte sie nicht beunruhigen, immerhin kannte er sie lange genug. Sie würde sich nicht abwimmeln lassen, zumal Alessandro sie auf eine Spur gebracht hatte und das Wasserglas quasi die Antwort gab. Fireball strich sich die Haare aus der Stirn: „Ein wenig. Ich habe einfach zu wenig getrunken, deswegen hab ich ein bisschen Druck im Kopf. Ist nicht schlimm, Süße, mach dir keine Sorgen.“

Wirklich besser waren Aprils Bedenken dadurch nicht geworden. Sie blickte auf das sprudelnde Wasserglas hinab und seufzte unterdrückt. April wusste, egal was sie nun sagen würde, Fireball würde tausende Gründe finden, weshalb er keinen Arzt brauchte. Es machte sie traurig.

Als Fireball ihren Blick deuten konnte, stand er auf. Einen Moment hielt er inne und schloss die Augen, er war wohl zu schnell aufgestanden. Als er die Augen öffnete und April wieder klar ausmachen konnte, umrundete er den Schreibtisch. Er lehnte sich dagegen und versicherte April in einem ruhigen Tonfall: „Sobald ich hier alles erledigt habe, fahr ich in die Wohnung und ruhe mich aus“, er hob ihren Kopf leicht an, damit er ihr in die Augen sehen konnte: „Versprochen, Süße.“

Auch das konnte April nicht besänftigen. Sie zog sich vor ihm zurück und näherte sich Alessandro, der wie ein Schatten neben ihr stand und zu der Debatte schwieg. April versuchte, tapfer zu lächeln: „Ich hoffe, du tust es auch wirklich.“

Mit einem Lächeln im Gesicht hob Fireball die rechte Hand nach oben: „Hoch und heilig versprochen!“

Versöhnlich fügte er hinzu: „Mach dir keine Sorgen, April. So leicht haut mich nichts um. Ich hab schon ganz andere Abstürze unbeschadet überstanden.“

April wusste, dass sie auf verlorenem Posten stand. Aber zumindest hatte sie nach ihrem Freund gesehen. Kopfschüttelnd resignierte die Navigatorin vor so viel Sturheit. Zumindest hatte sie ihm ein Versprechen abgerungen, normalerweise hielt sich Fireball an das, was er versprach.

Alessandro hatte still beobachtet. So wie er es die letzten Wochen bereits getan hatte. Seit ihm Fireballs Vater vorgestellt worden war und die Freunde zwangsläufig wieder mehr miteinander zu tun gehabt hatten, hatte er Gelegenheit dazu gehabt, seine Meinung zu ändern. Alessandro war seit jeher auf Aprils Seite gewesen, was diese tragische Liebesgeschichte betraf. Was verständlich gewesen war. Immerhin hatte er Fireball nicht gut gekannt und auch von seinen Kumpels aus der Base am Anfang immer nur negatives über deren neues Oberhaupt gehört. Und den Groll über den Schlussstrich in seiner Beziehung hatte er ebenfalls noch auf die unglückliche Beziehung übertragen. Alles in allem hatte der Japaner von vornherein nur durchfallen können.

Seit sie allerdings hier in Jarr waren, hatte Alessandro zunehmend bestaunen können, wie der junge Captain tatsächlich tickte. Der Italiener hatte doch nie ahnen können, dass das, was Fireball da bei dem Frühstück vor einigen Monaten erzählt hatte, wirklich so war! In den letzten Wochen hatte er auch von Colt, sowie von Saber und April etliche Geschichten über den Ausflug in die Zeit vor dem ersten Angriff präsentiert bekommen und war nun endgültig Teil des exklusiven Ramrod-Freundeskreises. So wie auch Martin, Oliver und Stan. Und da musste man sich zwangsläufig auch mit denen befassen, die man nicht allzu gerne mochte. Aber Alessandro hatte festgestellt, dass Fireball und er sich in mancherlei Hinsicht sogar recht ähnlich waren. Und gerade eben bekam er noch den Beweis für die Vertrautheit zwischen April und Fireball präsentiert.
 

Fireball lehnte seine Stirn an Aprils, hielt ihren Kopf mit der rechten im Nacken fest und flüsterte: „Sei nicht beunruhigt, Süße. Wenn dir wohler ist, werde ich mich ansehen lassen, wenn ich zu Marty ins Krankenhaus fahre.“

April schloss die Augen und nickte. Sie spürte seine Hand in ihrem Nacken, seinen warmen Atem auf ihrer Haut. Seine Finger zitterten ein wenig, dennoch war sein Halt unglaublich stark. Sie merkte, wie sie ruhiger wurde, für sie stand fest, dass er sich noch untersuchen ließ und das nahm ihr jegliches Unbehagen.

Sie waren zwar kein Paar mehr, dafür aber endlich wieder gute Freunde. Und seit sich Fireball nicht mehr selbst im Weg stand, scheute er sich nicht m

ehr davor, sich in der Öffentlichkeit so zu verhalten, wie er es damals auf Ramrod auch getan hatte. Sie waren Freunde. Nicht mehr und nicht weniger, aber damit zufrieden. Sie hätten auch ihre Freundschaft verlieren können.

April dachte an Shinjis Worte, bevor er nachhause aufgebrochen war. Sie sah dem Wirbelwind in die braunen Augen und wusste, dass Fireballs Vater nicht gelogen hatte. Er empfand nach wie vor mehr für April, aber würde es für sich behalten.

Die Blondine folgte einem Impuls und gab dem Japaner einen kleinen Kuss auf die Nasenspitze.
 

Solche Szenen hatten Seltenheitswert. Und sie bewiesen Alessandro, dass der Captain was dazu gelernt hatte. Dem hatte der Aufenthalt mit seinem älteren Pendant sichtlich gut getan. Mit einem Lächeln im Gesicht trennte er die beiden schließlich: „Arbeite erstmal dein Chaos auf, bevor du versuchst, April um den Finger zu wickeln.“

„Das tue ich doch nur, damit du sie dann nicht beschwichtigen musst, Kumpel“, ebenfalls lächelnd ging Fireball zurück an seine Arbeit. Er fasste Alessandros Bemerkung absolut nicht als Anfeindung auf. Sie klang wie jede andere Neckerei von Colt. Ihre Freunde wussten Bescheid, was gewesen war, und das fühlte sich für Fireball in erste Linie befreiend an. Er hatte keine Geheimnisse mehr vor seinen engsten Freunden, vor seinen Kumpels in der Base und auch nicht vor Aprils neuem Bodyguard. Es ließ ihn wieder unbeschwerter durch die Welt gehen.

April stemmte die Arme in die Hüften und stellte postwendend klar: „Erstens lasse ich mich von niemanden um den Finger wickeln und zweitens muss mich auch niemand beschwichtigen! Ist euch beiden das klar, sonst trichter ich euch das gerne noch mal bei einem Judotraining ein.“

Die beiden Männer sahen sich an und bissen sich auf die Lippen. Wenn sie jetzt loslachten, war jedem eine Kopfnuss sicher. Fireball nickte lediglich und wandte sich seiner Arbeit wieder zu, Alessandro nahm Aprils Hand und führte sie nach draußen. Sie sollten auf Ramrod zur Hand gehen, denn auch die Crew hatte eine ziemlich lange Liste, was alles noch erledigt werden musste.
 

Am Nachmittag hatte er es endlich geschafft und das Büro hinter sich lassen können. Fireball hatte, nachdem ihn immer noch Kopfschmerzen quälten und er sich benommen fühlte, vorsichtshalber bei Ramrod um eine Mitfahrgelegenheit ins Krankenhaus gebeten. Saber hatte sich gerne dazu bereit erklärt und nun saßen die beiden Männer im Wagen Richtung Krankenhaus.

Saber steuerte den Leihwagen sicher durch den Stadtverkehr des Königreiches. Sein Fahrgast saß auf der Beifahrerseite, hatte beide Beine leicht angewinkelt und die Augen geschlossen. Saber linste immer wieder zu Fireball hinüber, wenn er es nicht besser wüsste, würde er glauben, der Freund war eingeschlafen.

Nach einer Weile jedoch brach Fireball das Schweigen. Erschöpft ließ er sich vernehmen: „Eins ist klar. Wenn ich erst wieder zuhause bin, beantrage ich zwei Wochen Urlaub.“

Auf Sabers Lippen zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab: „Was? War es so schlimm?“

Fireball verzog das Gesicht und öffnete endlich wieder seine Augen: „Veranschlagt waren für das Manöver zwei Monate. Mittlerweile sind wir schon fast vier hier, wir haben einen ziemlich heiklen Angriff hinter uns und irgendwann bin ich auch mal urlaubsreif.“

Das Lächeln des Schotten wurde größer. Er hatte von Alessandro und April beim Mittagessen schon gehört, dass der Japaner ein wenig angeschlagen war. An einer roten Ampel musste er anhalten und hatte somit genug Gelegenheit, seinen Freund noch einmal näher zu betrachten. Er formulierte es anders: „Soso, urlaubsreif also. Ist Krankenstand für dich immer noch ein Fremdwort?“

„Gibt’s nicht, bin der Chef“, wie aus der Pistole kam der Konter von Fireball. Er machte es sich auf seinem Beifahrersitz noch bequemer. Obwohl er sonst niemals freiwillig Beifahrer sein würde, war er an diesem Tag ganz froh, nicht hinter dem Steuer zu sitzen. Müde umriss er Saber, wie das Meeting gelaufen war, wie es um seine restlichen Befehlsverweigerer stand und wie es in den nächsten Tagen weiter gehen würde. Mit einem Augenzwinkern ließ er Saber wissen: „Und bilde dir nicht ein, dass sich Ramrod da jetzt verkrümeln kann. Ihr dürft Minimum noch drei Wochen hier anhängen.“

„Das war mir klar“, Saber nickte, konnte aber dennoch nicht anders, als Fireball noch ein wenig zu necken: „Einer muss schließlich auf dich aufpassen. Wir haben ja gesehen, was passiert, wenn wir nicht da sind.“

Fireball verdrehte die Augen. War ja klar gewesen, dass auch von Saber mal so ein Spruch kommen musste. Er lächelte seinen Freund gespielt an und meinte sarkastisch: „Wieso? Sind doch alle vom Himmel runter gekommen. Auf die eine oder andere Weise.“

Saber hielt auf dem Krankenhausparkplatz. Er schüttelte leicht den Kopf. Humor hatte der junge Captain offensichtlich noch. Das beruhigte den Schotten ungemein. Saber drehte den Zündschlüssel herum und stellte den Wagen ab. Die beiden Männer hatten endlich ein paar Momente alleine. Saber nützte die Gunst der Stunde. Er fragte sich seit dem letzten Abend, was denn eigentlich genau passiert war. Niemand in der Base hatte genau gewusst, wo die Jets verschwunden waren, was mit ihnen passiert war und in der Hektik hatten sie bisher noch keine Zeit gefunden, darüber zu sprechen.

Noch einmal sah Saber zu seinem Kumpel hinüber. Er hatte am Abend vor dem Angriff neuerlich seinen Vater verabschieden müssen. Saber fragte sich, ob Fireball das wegstecken hatte können. Immerhin war es ihm beim ersten Abschied alles andere als leicht gefallen, obwohl Vater und Sohn damals keine gute Beziehung zueinander gehabt hatten. Nun hatten sie wochenlang gemeinsam in einem Haushalt gelebt, jeder hatte gewusst, wer der andere war, das war etwas ganz anderes gewesen. Saber begann vorsichtig: „Ist bei dir alles ok, Shinji?“

Wenn Saber ihn bei seinem richtigen Namen nannte, war es meistens an der Zeit für ein ernstes Gespräch. Da sich Fireball sicher sein konnte, dass er von Saber keine Kritik oder Zurechtweisung zu erwarten hatte, blinzelte er skeptisch.

„Du hast in den letzten Tagen viel mitgemacht“, äußerte Saber seine Gedanken: „Beim letzten Abschied von deinem Vater hast du das nur schwer verwunden. Ich frage mich, ob dein Absturz gestern etwas damit zu tun hat.“

„Nur indirekt“, gab Fireball zu. Er stellte allerdings sofort klar: „Es war nicht schön, Vater wieder zu verlieren, aber jetzt kann ich damit leben. Und der Absturz… naja“, Fireball fuhr sich durch die Haare und gestand Saber: „Ich war einen Augenblick lang abgelenkt. In der Ferne gab es einen grellen Blitz. Ich dachte, ihr seid wieder zurück und ich hab kurz nicht aufgepasst. Schon hatten sie mich erwischt. Wäre Stan nicht sein waghalsiges Manöver geflogen, wäre ich mit der Nase voran in den Erdboden geflogen. Ich hatte verdammtes Glück gestern.“

Saber nickte. Das genügte ihm als Antwort. Er wusste, wie Fireball log. Am liebsten sagte er dann gar nichts und wenn er doch log, dann so schlecht, dass man es sofort wusste, wenn man ihn lange genug kannte. Er wusste für sich, dass Fireball es dieses Mal schneller verarbeiten würde, seinen Vater verloren zu haben. Das erkannte er an Fireballs Haltung.

Die beiden Männer stiegen aus dem Wagen. Als sie Seite an Seite zum Haupteingang schritten, klopfte Saber seinem Freund noch auf die Schulter: „Dein Vater wäre vor Stolz geplatzt, wenn er dich gestern gesehen hätte.“

Fireballs Lippen umspielte ein kleines Lächeln, als er nickte. Leise versicherte er Saber: „Ein Teil von ihm ist immer da. Ich bin schließlich sein Sohn.“

Das war die richtige Einstellung. Während Saber voraus zur Unfallstation ging, auf der Martin sein Zimmer bezogen hatte, schlug Fireball noch schnell den Weg zu dem Arzt ein, der ihn am Vorabend untersucht hatte. Fireball konnte seine Symptome selbst recht gut einordnen, immerhin war er schon einige Male verletzt gewesen. Und nachdem seine Kopfschmerzen mit den üblichen Mittelchen nicht besser geworden waren, musste er doch einen Arzt drüber sehen lassen.

Er schilderte dem Arzt, der ihn freundlicherweise als Notfall dazwischen geschoben hatte, seine Wehwehchen. Und nach einem CT stand die Diagnose auch fest. Von den Worten des Arztes zeigte sich Fireball wenig beeindruckt: „War mir ziemlich klar. Das ist nicht meine erste Gehirnerschütterung.“

Der Arzt tadelte ihn: „Dann sollten Sie auch wissen, dass Sie sich sofort schonen sollten und nicht erst, wenn Sie Zeit haben.“

Geständig nickte Fireball um den Arzt zu beruhigen. Er stand auf, bedankte sich und fragte noch: „Danke für die Zeit, Doc. Können Sie mir noch ein Rezept für die Kopfschmerzen mit auf den Weg geben? Oder vielleicht was für den erholsamen Schlaf?“

Fireball hatte Bedenken, dass er ruhig in dieser Nacht schlafen würde. Bei seiner letzten Gehirnerschütterung hatte er alle Zustände im Bett bekommen, alles hatte sich gedreht. Das wollte der Japaner dieses Mal nicht mitmachen müssen, zumal er nicht wusste, ob im Notfall jemand da sein würde. Doch der Arzt enttäuschte ihn. Die Mittelchen für die Kopfschmerzen bekam er zwar, aber für den Schlaf verweigerte der Mediziner.
 

Saber klopfte kurz bevor er eintrat. Leise spähte er in das Krankenzimmer. Als er Martin im Bett liegen sah, erhellte sich sein Gesichtsausdruck. Der Brasilianer war wach und lächelte ihm schon entgegen. Sein Bein war dick mit einem Liegegips eingehüllt worden und auch die anderen Blessuren waren versorgt. Die OP war gut verlaufen, das bemerkte der Schotte schon beim Eintreten. Er setzte sich auf den Besucherstuhl und begann sich mit dem Piloten zu unterhalten. Wie er schnell bemerkte, hatte Martin niemand informiert, denn der wollte alles auf einmal wissen. Saber überwand seine Verwunderung darüber schnell, es war klar, dass Martin nichts wusste, war schließlich noch niemand hier gewesen. In der Base war die Hölle los.

Martin fragte nach seinen Mitabgestürzten Freunden, er war neugierig und auch besorgt. Er war immerhin gut versorgt worden, von den anderen dreien hatte er nichts mehr gehört. Fireball war zwar kurz mal so frei gewesen, ihn anzurufen, aber erzählt hatte ihm der Hitzkopf auch nichts. So löcherte er Saber mit diversen Fragen.

Geduldig beantwortete Saber alle Fragen. Er hätte es selbst nicht anders gemacht. Der Schotte lehnte sich in den Stuhl zurück. Als Martin im Bilde war und er sich zum hundertsten Mal vergewissert hatte, dass man sein Herzblatt nicht zu sehr beunruhigt hatte, begann Saber den Spieß umzudrehen. Es interessierte ihn brennend, was am Vortag tatsächlich noch so passiert war. All zu viel wusste Saber schließlich nicht über den Kampf.

Martin erzählte bereitwillig und nicht ohne Stolz. Er wusste, dass sie sich alle gut geschlagen hatten, bei einer Überzahl an Outridern wäre auch einer anderen Einheit der Hintern auf Grundeis gelaufen.

Wenig später klopfte es ein weiteres Mal an der Zimmertür und Martins Captain steckte den Kopf herein. Er grüßte leicht lächelnd: „Hey, du Bruchpilot.“

Grinsend setzte sich Martin in seinem Bett auf: „Du bist selber ein Bruchpilot, Babyboy“, er winkte seinen Freund ans Bett und wollte wissen: „Wieso lässt du dich erst jetzt hier blicken?“

Da der Besucherstuhl besetzt war, schob Fireball seinen Hintern behutsam auf das Bett seines Kumpels. Er betrachtete aufmerksam das operierte Bein und den dazugehörigen Freund. Mann, er hatte Angst um Martin gehabt. Nun sah der wieder besser aus und er hatte auch schon wieder die Kraft, Fireball zu nerven. Er wollte Martin nicht beunruhigen, weshalb er log: „War viel los, du weißt ja. …Chef und so Kram.“

Oh, dieses Verhalten kannte Saber. Und so, wie er Martins Blick deuten konnte, auch der. Da wurde es gleich spannend. Der Schotte lächelte in sich hinein.

Martin boxte ihm leicht gegen die Schulter: „Trotzdem hättest du eher mal vorbeschauen können. Sogar Saber hat es vor dir hier her geschafft.“

Er hätte den Säbelschwinger doch in der Ambulanz auf ihn warten lassen sollen. Ein Blick zu Martin genügte, der Schlauberger wusste genau, dass sie zusammen hergefahren waren. Fireball hatte einfach keine Lust, sich neue Ausreden einfallen zu lassen. Also gestand er so halb: „Hätt ich auch vorgehabt. War noch mal zur Kontrolle beim Doc“, noch bevor sein Freund besorgt schauen konnte oder gar fragen konnte, wiegelte Fireball ab: „Keine Sorge, alles ok. Alle Knochen noch heil. Wir sind nur alle ein wenig ausgezehrt.“

Martin nickte lediglich leicht. Das klang für den Moment so in Ordnung, immerhin konnte er keine Verbände oder ähnliches an Fireball ausmachen. Der kleine Kampfschlumpf hatte ja noch nicht mal irgendwo ein Pflaster kleben! Martin lehnte sich in seine Kissen. Erst langsam begann er zu realisieren, welches Glück sie alle gehabt hatten. Und noch etwas anderes fiel ihm ein. Ramrod hatte einen Auftrag zu erfüllen gehabt, es hatte sich bisher keine Gelegenheit ergeben, sich danach zu erkundigen. Und da nur Saber und Fireball in seinem Zimmer saßen, fragte er behutsam nach dem Verbleib von Fireballs Vater: „Wie ist es euch gestern ergangen, Saber?“

Fireball nahm dem Schotten die Antwort vorweg. Er stützte die Arme hinter sich auf und lehnte sich etwas nach hinten. Sein Blick richtete sich zum Fenster hinaus. Leise ließ er Martin wissen: „Sie sind zu viert wieder gekommen, ich befinde mich in keinem emotionalen Chaos also schätze ich mal, es ist wie geschmiert gelaufen.“

Ungläubig schüttelte Saber den Kopf. So klare Worte hatte er von Fireball nicht erwartet, immerhin hatte er bisher eher zu dem Thema geschwiegen. Klar, dem Schotten war aufgefallen, dass der Aufenthalt von Fireballs Vater in dieser Zeit etwas bewirkt hatte, aber das hatte nur am Rande etwas mit dessen Person zu tun gehabt. Beinahe explosionsartig hatte sich durch Shinjis Ankunft der Kreis der Mitwisser beinahe verdoppelt. Und das hatte dem Japaner seltsamerweise sogar gut getan. Bei Fireball schienen sich damit auch die letzten Verkrampfungen gelöst zu haben. Er war als Captain in der Base endgültig angekommen und stand offenbar auch als Mensch dort, wo er sich sicher fühlte. Das freute Saber sehr. Die persönliche Entwicklung hätte auch ein katastrophales Ende nehmen können, wie Saber nicht nur einmal befürchtet hatte. Nichts desto trotz ergänzte er Fireballs Aussage: „Es ist alles gut gelaufen. Und nur, damit hier niemand auf dumme Ideen kommt, es war der definitiv letzte Sprung! Ich weiß nämlich noch nicht, wie wir die teilweise Abwesenheit während des Angriffs erklären sollen.“

Die Männer sahen sich einen Moment erstaunt an. Saber hatte Recht. Ramrod war nicht lange weg gewesen, einen halben Tag vielleicht und es hätte unter normalen Umständen auch niemanden interessiert, weil es niemandem aufgefallen wäre, aber durch den Angriff war das anders. Martin legte die Stirn in Falten: „Was zeichnet der Flugschreiber denn in so einem Fall auf?“

„Nichts!“, wie aus einem Mund antworteten Fireball und Saber auf die Frage hin. Immerhin wussten beide vom ersten Sprung noch, was so einem Flugschreiber nicht schmeckte. In diesem Fall waren es ein blonder Major und eine blonde Navigatorin, die die Daten manipulieren konnten, ohne Spuren zu hinterlassen. Da hatte wohl ein weiteres Mal das Datenloch gerade Ramrods Systeme erwischt und gleich noch die Sicherungskopie mitgefressen!
 

Die beiden Freunde blieben nicht mehr allzu lange bei Martin. Einerseits war der Brasilianer nach seiner OP dann doch noch nicht so fit und andererseits schlich sich auch die Müdigkeit bei Fireball ein.

Er war dankbar, mit Saber den Nachhauseweg antreten zu können. Es dämmerte bereits, als die beiden Männer den Weg zurück zum Hangar einschlugen. Fireball spürte nur allzu deutlich, dass er endlich in ein Bett sollte. Er hatte an diesem Tag lediglich ein paar Minuten im Büro gedöst, richtige Erholung war das keine gewesen und auch die Kopfschmerzen machten ihm zu schaffen. Weil er die Schmerzmittel vom Arzt sofort ausgehändigt bekommen hatte, mussten sie zumindest keinen Umweg über eine Apotheke machen.

Sie schwiegen die Fahrt über, aber es war keine unangenehme Stille. Für Fireball war es eine Wohltat, sich auf nichts konzentrieren zu müssen und Saber empfand es als ausgeglichen. Sie mussten nicht dauernd sprechen, auch Schweigen war ab und an das richtige.

Nachdem Saber den Wagen abgestellt hatte und er sich an der Rampe von Fireball verabschieden wollte, wurde Fireball doch wieder gesprächig. Er hatte sich eigentlich fest vorgenommen, sich die Ruhe dann zu gönnen, wenn er konnte, aber er hatte doch auch so etwas wie Vernunft in den letzten Monaten entwickelt. Vorsichtshalber bat er Saber: „Säbelschwinger, kannst du mich eventuell ein paar Tage vertreten? Es ist bei dem Absturz doch ein wenig was durcheinander gekommen. Es sollte die nächsten Tage sowieso ruhig sein…“

Bedächtig nickte der Schotte: „Klar, ist sicherlich kein Problem. Sag nur auch deinen Jungs Bescheid, dass du dir eine Auszeit gönnst.“

Für Saber stand außer Frage, dass er sich in den nächsten paar Tagen auch um die restlichen Mitglieder der Base kümmern würde. Die meisten waren ohnehin im Krankenstand, die paar, die noch flugtauglich waren, sollten in den nächsten Tagen einfach ihren Papierkram erledigen und selbst ein wenig ausspannen. Ihm war aber auch klar, dass er sich in Fireballs Namen mit König Jarred und Commander Eagle auseinander setzen musste. Er sah seinem Freund noch einmal ins Gesicht und musste feststellen, dass er ein paar Tage Ruhe wirklich gebrauchen konnte. Fireball war blass und nachdem, was Alessandro und auch April erzählt hatten, war der Schotte besorgt: „Was fehlt dir?“

Verlegen strich sich Fireball den Pony aus der Stirn. Ja, er hätte beinahe vergessen, seinen Bruchpiloten mitzuteilen, dass Saber ein paar Tage die Führung übernahm. Saber dachte wie immer einen Schritt voraus. Mit einem kleinen Lächeln ließ er seinen Freund wissen: „Ich hab eine kleine Gehirnerschütterung ausgefasst. Ist nicht weiter tragisch, aber nachdem es nicht meine erste ist, weiß ich inzwischen, dass nur Schlaf hilft.“

Verständnisvoll nickte Saber. Und um sicher zu gehen, dass Fireball auch in der Wohnung ankam, brachte er ihn selbst dort hin.
 

Wie zu erwarten blieb es die nächsten paar Tage zumindest flugtechnisch ruhig. Es gab keine weiteren Übergriffe der Outrider, alle Beteiligten konnten sich erholen. Nicht einmal zwei Tage nach dem Angriff landete Commander Eagle im Königreich Jarr und machte sich selbst ein Bild der Lage. Er hatte die Air Strike Base zwei vorgeschickt, als Absicherung für die angeschlagene Flotte. Der Kommandant der Sektion West war mit der Arbeit aller Beteiligten äußerst zufrieden, auch der Monarch fand noch immer keinen Grund zu nörgeln. Alle waren mehr als heilfroh, dass alle mit dem Leben davon gekommen waren.

Für Saber standen etliche Besprechungen auf dem Plan, nachdem er sich auch offiziell dazu bereit erklärt hatte, Fireball bis auf weiteres zu vertreten, fielen auch die repräsentativen Aufgaben darunter. Stan und Oliver unterstützten den Interimscaptain so gut als möglich. Die beiden hatten Fireball an jenem Abend in der Wohnung in Empfang genommen und nachdem dieser sich sofort geständig gezeigt hatte, war er gleich in sein Bett kommandiert worden. Sie würden alles weitere übernehmen und sich mit Saber die Scharmützel liefern.

So blieb Ramrod tatsächlich noch eine Weile im Königreich Jarr. Nachdem der große Cowboy nicht gebraucht wurde, teilten sich die verbliebenen drei Freunde die Aufgaben. Alessandro beehrte so die Base wieder mal aus beruflichen Gründen und agierte als rechte Hand von Saber. Dieser nahm die Hilfe dankbar an. Obwohl ihm auch Stan und Oliver halfen, verstand er nicht immer, was ihm die Piloten mitteilen wollten und das Bindeglied zwischen Air Strike Base und Ramrod in Form von Alessandro war in diesem Fall ein echte Erleichterung.

Colt und April teilten sich die verbleibenden Aufgaben auf Ramrod auf, halfen auch den anderen wo immer sie konnten. Sie behielten sich aber das Recht vor, alle paar Takte auch Krankenbesuche zu erledigen. Vor allem April war das ein Bedürfnis, da Fireball sonst alleine zuhause gewesen wäre.

Da sich die Kopfschmerzen nach der ersten Nacht nicht sichtlich gebessert hatten, hatte der Wuschelkopf rigoros für sich entschieden, wirklich ein paar Tage zuhause zu bleiben und auch kein Telefon anzunehmen. In Absprache mit Stan und Oli und auch Ramrod hatte er das Telefon ins Wohnzimmer gelegt und war wieder ins Bett gegangen. Die Welt würde schon nicht untergehen, solange er sich erholte.
 

An diesem Nachmittag standen Colt und April mit einigen Einkäufen vor der Wohnungstür. Während Colt umständlich versuchte, den Schlüssel, den sie sich von Oliver hatten geben lassen, ins Schlüsselloch zu manövrieren, ging es April nicht leise genug. Sie zischte ihren Kumpel an: „Psst. Mach nicht so einen Lärm!“

„Mach ich doch gar nicht!“, schmollte Colt und schloss damit endlich die Tür auf. Er rollte gespielt genervt die Augen und bat April herein. Aber wirklich verstimmt war der Texaner nicht. Er wusste schließlich, wie April so war. Und mittlerweile wusste er sogar schon mitunter, weshalb sie so drauf war. Ihre beengte Arbeit ließ wenig Spielraum für Spekulationen. Den Gesichtsausdruck von April hatte er schon einige Male zuvor gesehen. Er streckte der Freundin die Zunge heraus und mokierte sich: „Wenn ich Kopfschmerzen hätte, wär dir das völlig egal. Aber weil es ja der Herr von und zu ist, darf ich nicht mal mehr pupsen.“

April bekam rote Ohren, obwohl sie das nicht wollte. Hatte sich am Ende wieder etwas geändert?! Sie selbst hatte für sich selbst bemerkt, dass sie seit dem Gespräch mit Fireballs Vater wieder vermehrt versuchte, herauszufinden, in welche Richtung sich alles entwickeln würde. Eigentlich hatte sie gedacht, sie wäre mit einer Freundschaft mehr als zufrieden. Aber war sie das wirklich? Colts dämlicher Spruch hatte sie nun daran erinnert, wo der Ursprung für ihre tieferen Gefühle bei ihrem ersten Versuch gelegen war. Das war ihr irgendwie peinlich. Deswegen versuchte sie abzulenken und schoss auf Colt zurück: „Du darfst aus einem anderen Grund nicht mehr pupsen, Bohnenfresser!“

Sie ließ damit keinen Zweifel, was sie meinte. Ihr verschmitztes Lächeln tat ihr Übriges. Sie konnte einem verdutzten Colt die Tüte in die Hände drücken und die Schuhe ausziehen. Als sie barfuß im Flur stand, ermahnte sie Colt noch mal im Flüsterton: „Sei bitte leise, Cowboy. Er soll sich erholen und nicht noch mehr Kopfschmerzen bekommen.“

„Ihr müsst nicht leise sein, ich bin wach“, Fireball steckte den Kopf aus der Badezimmertür und lächelte freundlich in die Gesichter seiner beiden Gäste: „Hi ihr zwei!“

Nun sah sich Colt in ihrem freundschaftlichen Disput angesichts dieser Tatsache völlig im Recht. Er stemmte eine Hand in die Hüften und beschwerte sich grinsend bei April: „Siehst du, Fire ist fit. Der hätte sich auch selbst um Brötchen gehen können. Nur er wird so von dir verwöhnt. Deine armen Kollegen kriegen keine solche Zuwendung.“

Ja, ein bisschen dunkler konnte das Rot ihrer Ohren noch werden, wie April feststellte. Was sollte sie dazu denn bloß noch sagen? Sie streckte Colt die Zunge heraus, entriss ihm die Tüte und stapfte wie selbstverständlich in die Küche.

Während Fireball irritiert die Augenbrauen nach oben zog, kickte Colt die Schuhe in eine Ecke. Er ließ April die paar Momente, bis sie wieder Normaltemperatur hatte. Er erkundigte sich lieber nach Fireball. Aber eben auf seine Art: „Na, wie lange willst du ihre Fürsorge noch ausnützen und dich vor der Arbeit drücken, Matchbox? Du siehst schon wieder verdächtig gesund aus.“

„Danke der Nachfrage, mir geht es besser“, damit kam Fireball aus dem Bad. Tatsächlich ging es ihm endlich besser. Die ersten drei Tage hatte er halb schlafend halb dösend im Bett verbracht, bis sich endlich die Symptome gebessert hatten. An diesem Tag hatte er Stan und Oliver zur Arbeit verabschieden können und hatte am Vormittag sogar schon einige liegen gebliebene Arbeiten erledigt. Gerade hatte er sich frisch gemacht und eigentlich nicht so zeitig mit Besuch gerechnet. Aber das waren eben seine Freunde. Schmunzelnd dachte er daran, dass sie immer da waren, wenn man sie brauchte.

Die beiden Männer folgten April schließlich in die Küche und setzten sich zusammen. Sie unterhielten sich, machten Scherze und wärmten alte Geschichten wieder auf. Als Fireballs vorübergehende Mitbewohner von ihrem Dienst nachhause kamen und auch Saber mitgebracht hatten, kochten die Freunde zusammen und freuten sich ihres Daseins. Sie bedachten auch ihren gemeinsamen Freund mit wohlwollenden Gedanken und ließen den Tag ausklingen.
 

Commander Eagle saß mit König Jarred beim Abendessen und genoss es durchaus, dass er einige Tage nicht im Kavallary Oberkommando zubrachte. So hatte er sich selbst einen Eindruck von den Verhältnissen schaffen können und auch selbst einschätzen können, wo die Bündnispartner standen. Für Charles stand fest, das Bündnis zum Königreich Jarr hatte sich gefestigt. Er hatte während des Aufenthalts der Base immer wieder auch König Jarred persönlich angerufen und sich erkundigt, ob denn alles zur Zufriedenheit verlaufe. Dank der Generation, die bald die Ruder übernehmen würde, war das Verhältnis zwischen Yuma und dem Königreich wärmer und freundschaftlicher geworden. Die Basis war gelegt, vielleicht folgte auf ein militärisches Bündnis ein wirtschaftliches.

Aber auch intern hatte sich etwas geändert. Das fiel Charles erst jetzt auf, da Saber wie selbstverständlich das Kommando über die Air Strike Base übernommen hatte und diese es ohne zu meutern akzeptierte. Durch den Wechsel im letzten Jahr war Ramrod nun näher zu den Einheiten der Luftwaffe gerückt. Die Verbindung war die Freundschaft der ehemaligen Ramrodcrew und Alessandros zu seiner ehemaligen Kampfeinheit. Es erfüllte Charles mit Stolz, dass sich alles gut entwickelt hatte, schließlich hatte es kurz nach Fireballs Versetzung nach einem absoluten Fehlgriff ausgesehen. Nun war alles im Lot und Charles konnte sich vorläufig zurücklehnen und beobachten.



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Kommentare zu dieser Fanfic (33)
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Von:  Kittykate
2019-02-10T15:52:50+00:00 10.02.2019 16:52
Hallo :-),
wow zu Ende. Und was für ein Abschluss. Zum Glück gehts allen gut, sie haben sich wieder gefunden und dürfen vorerst eine friedliche Zeit verleben.
Auch Shinji ist wieder zuhause und es ist alles gut gegangen mit der Hin und Rückreise.
Schade, dass es aus ist und ich hoffe sehr irgendwann wieder was von dir zu lesen :-)
Ganz liebe Grüße
Kittykate (ehemals Sunshine)
Von:  Reblaus
2016-08-27T12:01:56+00:00 27.08.2016 14:01
Wie kannst Du nur denken, daß sich niemand mehr an Deine toll FF erinnert. Wie oft habe ich nachgesehen ,ob es weitergeht!
Schade, daß dies nun das letzte Kapitel war. Aber klar irgendwann endet ja jede FF.

Wer weiß vielleicht bekommst Du eines Tages einen Rappel und schreibst einen dritten Teil? Ich mag Deinen Stil und auch Deine Umsetzung der Charaktere sehr. Sie sind menschlich , nicht nur Phantasie. Der Spagat zwischen Sci-fi und 'realer' Welt ist gut gelungen.

Zwar kein fulminantes Ende, aber Eines, daß nicht mehr Fragen als Antworten hinterläßt.

Deine Ff werde ich immer wieder lesen!

Toll gemacht!

LG reblaus
Von:  Sury
2016-07-28T20:59:23+00:00 28.07.2016 22:59
Deine fantastische Art der Schreibweise Text bildlich zu veranschaulichen ist grandios! ( Bevorzug von mir Shinji/April) Deine FFs lesen zu dürfen, beflügelt meine kindlich versteckte Lebensweise, die sich vertieft in deine so fantastisch geschriebenen Stories!
Einfach phänomenal verfasst und so wunderbar realistisch geschrieben!
Ich verneige mich vor dieser Leistung, eine Geschichte so bildlich beschrieben zum Leben zu erwecken!
Hoffentlich darf ich durch deine gigantische Gabe noch viele, viele weitere FFs von Saber Rider and the Starsherriffs lesen!
Ein Stück meiner Kindheit wird durch deine so wundervollen gedanklichen Ideen, die dieser Story weiter ein Gesicht und Herz gibt, wieder ein Geschenk glückliches Kopfkino!
Vielen Dank für deine Mühe und Hingabe!
Ein Meisterwerk!
LG Sury
Von:  Kittykate
2014-12-15T23:00:26+00:00 16.12.2014 00:00
Hui, wow, jetzt gehts also nach Hause für Fires Papa... Irgendwie schade, aber wenn er nicht rechtzeitig zurück kommt, dann würden ja die Outrider vermutlich gewinnen... Man ist das kompliziert mit diesem Hin und her reisen in der Zeit ^^.
hoffentlich klappt alles und Team Ramrod kommt schnell, gesund und ohne Probleme wieder zurück.

Freu mich auf Fortsetzung.
Viele Grüße
Von:  Kittykate
2014-11-21T21:26:04+00:00 21.11.2014 22:26
Hi :),
wow, so ein tolles Kapitel.
Also erst reisen unsere Helden in die Vergangenheit und jetzt plötzlich kommt Fires Dad in die Zukunft... Hat da irgendwer seine Finger im Spiel? Die Outrider? Können die die Zeit manipulieren?

Boah, jetzt bin ich mal gespannt wie es weiter geht. Kommt Ramrod bald? Schaffen sie es denn den alten Hikari in seine Zeit zurückzubringen, ehe der Kampf ausbricht? Nicht auszudenken wie sich alles verändern würde, wenn er sich nicht im alten Krieg opfert. Gäbe es dann das Neue Grenzland so wie es in dieser Zeitlinie ist überhaupt? Hätte sich dann überhaupt das Team Ramrod kennen gelernt? Gäbe es dann überhaupt Ramrod?

Oh, oh, oh... Mal abwarten wie es weiter geht.

Viele Grüße
Von:  Sannyerd
2014-05-04T15:08:13+00:00 04.05.2014 17:08
Danke für das tolle kapitel <3
Von:  Reblaus
2014-04-30T15:09:25+00:00 30.04.2014 17:09
Juhuu!!! Ein neues Kapitel!
Wie heißt es doch so schön : "Gut Ding will Weile haben!"
Es hat sich mal wieder gelohnt auf ein neues Kapitel von Dir zu warten, meine jährlichen Highlights. Danke. Das Du Deine FF weiter schreibst, finde ich herrlich.

Zu diesem Kapitel:

Ein kleinwenig Kritik gleich zum ersten Absatz: wer ist ER? Fireball oder Oliver, je nachdem wie man es liest wäre beides möglich und das verwirrt. Ist es Olivers Unterkunft zu Hause oder ist es Fireballs Geheimnis über die Art der Unterkünfte in Jarr ? Ich tendiere nach mehrmaligem Lesen zu der zweiten Variante. Aber dennoch liest sich der erste Satz nicht richtig rund..Ich habe mal etwas herumgespielt ;-) ." Nach dem ersten inoffiziellen Empfang wurden die Piloten zu ihren Unterkünften gebracht. Er hatte das Wissen über die Art der Unterkunft gehütet wie seinen Augapfel. Für die verdutzten Gesichter seiner 'Airwolfs' (Flug/Luftwölfe klingt komisch...aber ich fand die Episode in der Bar nicht schlecht und da könnte man ja drauf anspielen) hatte es sich allemal gelohnt.
( Randbemerkung : im Kapitel zuvor heißt es zwar :"Auch er würde da keine Ausnahme bilden, wie einige anfangs gezetert hatten." in also ob sie davon wüßten, Betreff der Unterkünfte hingehend... aber ich verbuche das mal als Crewklatsch :-)

Deine Idee diesmal den Papa auf eine Zeitreise zu schicken finde ich spitze, bezieht es sich doch auch wieder auf Deine vorhergehende FF.
Ob das diesmal der zweite Versuch ist von Jesse Blue, die Tat von Papa Hikari und die Entstehung von Fireball zu verhindern und somit positiv für die Outrider in die Geschichte reinzupfuschen? Bringt der Vater aus der alten Zeit April und Shinji wieder zusammen oder ändert sich alles wieder, in Richtung wie es vor dem ersten Zeitsprung war. Oder kommt es zur Wiederholung der Geschichte, muß Captain Hikari Senior sich ein zweites Mal opfern oder gar Fireball oder Martin...verläuft die Lebensgeschichte der beiden Protagonisten versetzt parallel? Wird Alessa Ais Rolle übernehmen müssen....Fireball Eagles Rolle?
Oder kommt es noch ganz anders?

Werden Stan und Oliver dichthalten? Oder macht der alte Captain unvorhersehbare Kapriolen? Finden April und Saber eine Lösung?

An Spannung fehlt es schon jetzt nicht und bestimmt wird sich der Bogen noch mehr spannen im Verlauf der nächsten Kapitel.

Ich freue mich jetzt schon riesig auf Deine Fortsetzung.

Liebe Grüße Deine reblaus


Von:  Reblaus
2013-10-11T21:43:32+00:00 11.10.2013 23:43
Wahnsinn, die Wartepausen lohnen sich immer wirklich, ich bin immer noch hin und weg von der/den Storys. Auch bleibst Du Deinem Schreibstil treu, das können nur wenige über einen so langen Zeitraum, zwar verbessern sich die meisten , aber Du hast schon auf hohen Niveau angefangen... Ich bleibe Dir erhalten und werde mich weiter bemühen die versprochenen Kommentare nach und nach abzuliefern.

hier in diesem Kapitel gefällt mir besonders, wie April erwachsener geworden ist. Von Alessandro hat sie sich nicht einfangen lassen, aber was sie ihm sonst noch erzählt, kann ich mir leider im Moment nicht denken. Ich freue mich , daß sie sich mit Fireball wieder langsam besser versteht.
Der Einsatz in Jarr ist der Hammereinfall, schlechthin. Ich bin so gespannt was da alles auf Fire zukommt und ob vielleicht da noch die ein oder andere Situation kommt die mit dem ersten Teil Deiner Geschichte korreliert. In Jarr gibt es bestimmt auch noch den ein oder anderen, der auf der Base zu Zeiten des Vaters von Fireball dort dienst getan hat.
Von Colts Familie, die er ja nun hat , erfährt man leider zu wenig. Und zu Saber könnte es auch noch etwas mehr sein, aber , wie immer bei Deinen Kapiteln , ist das Jammern auf hohem Niveau.
Von:  AnnaBorni
2013-09-27T13:18:21+00:00 27.09.2013 15:18
Endlich geht es weiter!
Ich hab irgendwie das Gefühl, dass bald was schlimmes passiert!?
Von:  Sannyerd
2013-09-24T21:07:34+00:00 24.09.2013 23:07
Juhuu es geht weiter *jubel*


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