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One-Shot-(WB-Beitrags)-Sammlung
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Der gestiefelte Kater

Der gestiefelte Kater
 

Diese Fanfic ist einzig entstanden, weil mir der dazugehörende Wettbewerb so zusagte.
 

Sie ist ganz besonders frei nach den werten Gebrüdern Grimm und mit jeder Menge Items aus der eigenen Sammlung. :c)

Ich habe mir erlaubt, sie bei erstmaliger Erwähnung zu kennzeichnen...

Viel Spaß
 

Es war einmal ein Müller, der hatte 6 Söhne – pardon, es waren nur drei. Dann hatte er noch seine Mühle, ein Wüstenschiff und einen Kater. Die Söhne mussten mahlen, das Kamel Getreide holen und Mehl forttragen und die Katze die Mäuse fangen.

Als der Müller starb, teilten sich die drei Jungs die Erbschaft:

Der älteste bekam die Mühle, der zweite das Wüstenschiff und der jüngste den Kater, weiter blieb nichts für ihn übrig.

Da war er traurig und sprach mit sich selbst: „Ich habe am meisten Pech gehabt. Mein ältester Bruder kann mahlen, dass der Bäcker im Dorf Christstollen und Zwieback backen kann, mein zweiter Bruder kann auf einem Wüstenschiff reiten, was soll ich schon mit einem Kater anfangen? Was für ein schwaches Trostpflaster ...“

„Hör zu“, fing der Kater an und hielt ein "Heul doch!"-Schild in die Luft. Er hatte alles verstanden, was der Müllerssohn zu sich selbst gesagt hatte. Und weil er ein schlechtes Gewissen für seine Gemeinheit von eben hatte, sagte er um ihn aufzumuntern: „Lass mir ein Paar Stiefel machen, damit ich ausgehen und mich unter die Leute wagen kann. Dann soll dir bald geholfen sein.“

Der Müllerssohn wunderte sich zwar darüber, dass der Kater sprechen konnte und ihm entfuhr ein: "Ja, aber..." das Gibt's nicht “, doch da er schon immer ne Macke hatte, nahm er es schließlich als völlig normal hin. Er ließ den Schuster kommen und dem Kater ein paar Stiefel anmessen.

„Schön weich sollen sie werden“, sagte er. Bald waren die geputzten Stiefel fertig und der Kater zog sie an.

Dann nahm er einen Sack, streute ein paar Handvoll Körner hinein und zog oben eine Schnur durch, so dass man ihn zuziehen konnte. Er warf den Sack über den Rücken und ging wie ein Mensch auf zwei Beinen zur Tür hinaus.
 

In jenem Land, welches den Namen Sachsen hatte, regierte damals ein König, der gern Rebhühner aß. Nur waren diese schwer zu bekommen. Es gab sehr viele davon im Wald, aber sie waren zu scheu, dass sie kein Jäger fangen konnte. Das wusste der Kater und wollte seine Sache besser anfangen, denn er war sich sicher, dass er viel gewitzter war und mehr Erfahrungspunkte besaß, wie die hiesigen Jäger.

Er legte den Sack mit den Körnern offen ins Feld. Die Schnur führte er durchs Gras bis zu einer Hecke. Dort versteckte er sich und lauerte auf die Rebhühner. Bald kamen sie angelaufen, fanden die Körner – und in 0 Komma nichts hüpfte eins nach dem anderen in den Sack hinein.

Als eine gute Anzahl darin war, zog der Kater den Sack zu, schulterte ihn und ging geradewegs zum Schloss des Königs.

„Halt! Wo willst du hin?“, rief eine der Wachen.

„Zum König!“, antwortete der Kater kurzweg.

„Bist du toll, ein Kater zu König?“

„Lass ihn nur gehen“, sagte ein anderer, „der König hat oft Langeweile, vielleicht macht ihm der Kater mit seinem Brummen und Spinnen Vergnügen.“

Als der Kater vor den König kam, machte er eine tiefe Verbeugung und sagte:

„Mein Herr, der Graf Guybrush Threepwood “, ein Name, wie geschaffen für einen Zungenbrecher , „lässt sich dem Herrn König empfehlen und schickt ihm diese Rebhühner, die er eben in Schlingen gefangen hat.“

Der König staunte über die schönen, fetten Rebhühner mit den kräftigen Hühnerbeinchen und war vor Freude außer sich. Darum befahl er, dem Kater so viele Karotaler und D-Mark aus der Schatzkammer in den Sack zu tun, wie er tragen konnte. Damit wandte er sich an den Kater und sagte: „Bring das deinem Herrn und dank ihm vielmals für sein Geschenk.“
 

Der arme Müllerssohn aber saß zu Hause am Fenster. Er kaute am seinem Fingernagel herum und dachte betrübt: „Jetzt habe ich auch noch das letzte Geld für die geputzten Stiefel des Katers ausgegeben! Was wird er mir schon Großes bringen können!“

Da trat der Kater ein, warf den Sack vom Rücken, schnürte den roten Faden auf und zeigte dem Müllerssohn die D-Mark und Karotaler, die sich darin befanden.

„Das hast du für die geputzten Stiefel. Der König lässt dich grüßen und sagt Dank für die Rebhühner mit den kräftigen Hühnerbeinchen.

Der Müllerssohn war über den Reichtum sehr froh, ohne dass er begreifen konnte, wie alles zugegangen war. Während der Kater seine geputzten Stiefel auszog, erzählte er ausführlich, wie er zu den Karotalern gekommen war.

Dann sagte er noch: „Du hast jetzt zwar genug D-Mark, aber dabei soll es nicht bleiben. Morgen ziehe ich meine geputzten Stiefel wieder an und du sollst noch reicher werden, dem König habe ich auch gesagt, dass du ein Graf bist.“

Am anderen Tag ging der Kater wohl gestiefelt wieder auf die Jagt und brachte dem König wohl einen reichen Fang. So ging das nun tagelang und der Kater brachte jedes mal D-Mark heim.

Beim König war er so beliebt, dass er im Schloss aus und eingehen konnte, wie es ihm gefiel. Einmal stand der Kater in der Küche des Königs beim Herd, der mit Braunkohle angeheizt wurde und wärmte sich am lodernden Element (Feuer) .
 

Da kam der Kutscher und schimpfte: „Ich wünschte, der König und seine Tochter, diese Person ohne Würde , wären, wo die Alraune .wächst. Ich wollte ins Wirtshaus gehen und eine Tasse Kaffee oder einen schwarzen Tee trinken, da soll ich sie spazieren fahren an den See.“

Wie der Kater das hörte, lief er schnurstracks nach Hause und sagte zu seinem Herrn:

„Wenn du ein Graf werden willst, so komm hinaus an den See und bade darin. Der König und die Königstochter werden dort spazieren fahren. Den Rest lass mich besorgen.“

Der Müllerssohn wusste nicht, was er dazu sagen sollte, doch er folgte dem Kater, zog sich am See splitternackt aus und sprang ins Wasser. Der Kater aber nahm seine Kleider und versteckte sie.

Als die Königskutsche angefahren kam, jammerte der Kater: „Ach, allergnädigster König! Während mein Herr im See ein Bad nehmen wollte, bedrohte ihn ein Dieb mit dem Masterschwert und stahl seine Kleider. Nun ist der Herr Graf im Wasser und kann nicht heraus! Er hat zwar keine Allergie gegen Pollen , aber wenn er noch länger darin bleibt, wird er sich erkälten und sterben.“

Da musste einer von den Leuten des Königs ins Schloss zurück und prächtige Kleider holen, an welchen sich goldene Buttons befanden.

Der Graf zog sie an und weil ihm der König ohnehin wegen der Rebhühner gewogen war, musste er sich zu ihm in die Kutsche setzen. Die Königstochter war auch nicht böse darüber, denn der Graf war jung und schön und gefiel ihr recht gut. Das Blau seiner Augen ließ es ihr ganz anders werden und sie wünschte sich augenblicklich, er hätte einen Mistelzweig über dem Kopf...
 

Und was machte der Kater inzwischen?

Er eilte voraus und kam zu einer großen Wiese, wo über hundert Leute waren und Heu machten.

„Wem gehört die Wiese, ihr Leute?“, fragt der Kater.

„Dem großen Zauberer“, war die Antwort.

„Hört, gleich wird der König vorbeifahren“, sagte der Kater darauf. „Wenn er fragt, wem die Wiese gehöre, so antwortet: dem Grafen Guybrush Threepwood! Tut ihr das nicht, so bekommt ihr eine Abmahnung !“

Dann ging der Kater weiter und kam zu einem großen Kornfeld, so groß, dass es niemand übersehen konnte. Da waren mehr als zweihundert Leute und schnitten Korn.

„Wem gehört das Feld, ihr Leute?“, fragte der Kater.

„Dem großen Zauberer“, war wieder die Antwort.

Darauf befahl er auch ihnen: „Wenn der König fragt, wem das Feld gehöre, so antwortet: dem Grafen Guybrush Threepwood! Tut ihr das nicht, so bekommt ihr eine Abmahnung!“

Endlich kam der Kater an einen prächtigen Wald, in dem mehr als dreihundert Arbeiter Holz machten.

„Wem gehört der Wald, ihr Leute?“, fragte der Kater.

„Dem großen Zauberer“ –„Hört, gleich wird der König vorbeifahren. Wenn er fragt, wem der Wald gehöre, so antwortet: dem Grafen Guybrush Threepwood! Tut ihr das nicht, so bekommt ihr eine Abmahnung!“
 

Der Kater sagte das und eilte weiter. Die Leute sahen ihm nach und weil er so wunderlich aussah und wie ein Mensch in Stiefeln daherging, fürchteten sie sich vor ihm.

Der Kater kam inzwischen ans Schloss des Zauberers, trat keck ein, stellte sich vor dem Zauberer auf und sagte:

„Ich habe gehört, dass du dich in jedes Tier verwandeln kannst. Das mag sein, oder es ist nur Heiße Luft . Ich glaube nämlich nicht, dass es dir möglich ist, dich in ein gewaltiges Tier wie den Gepanzerten Spinnenparasit Gohma zu verwandeln. Und deshalb bin ich gekommen, um mich selbst zu überzeugen.“

Der Zauberer sagte stolz: „Das ist für mich eine Kleinigkeit!“ und stand im gleichen Augenblick als Gepanzerter Spinnenparasit Gohma da.

„Das ist viel!“, lobte der Kater. „Aber auch in einen Aries (Widder) ?“ – „Und ob ich das kann!“, sagte der Zauberer und schon stand ein Widder vor dem Kater. Der rief erschrocken: „ WTF ! Unglaublich! Du bist bestimmt der größte Zauberer der Welt. Aber ich wette, in ein so kleines Tier wie eine Maus kannst du dich nicht verwandeln!“

Der Zauberer lachte: O ja, liebes Kätzchen, auch das kann ich!“ und schon sprang er als Maus auf dem Holzfuß- Boden herum. Da tat der Kater einen riesigen Satz, packte die Maus und verschlang sie.
 

Der König war inzwischen mit dem Grafen weitergefahren und zu der Wiese gekommen.

„Wem gehört das Heu?“, fragte der König.

„Dem Herrn Grafen Guybrush Threepwood!“, riefen alle, wie es ihnen der Kater befohlen hatte.

„Ihr hab ein schönes Stück Land, Herr Graf“, sagte der König.

Danach kamen sie an das große Kornfeld.

„Wem gehört das Korn?“, fragte der König.

Und wieder riefen die Leute: „Dem Herrn Grafen Guybrush Threepwood!“ – „Ei, Herr Graf! Das sind große, schöne Ländereien, die Ihr hier in Sachsen habt!“, lobte der König.

Und als die Kutsche bei den Waldarbeitern hielt, fragte der König: „Wem gehört das Holz?“

Er erhielt als Antwort: Dem Grafen Guybrush Threepwood!“

Der König wunderte sich noch mehr.

„Ihr müsst ein reicher Mann sein, Herr Graf“, sagte er.

Endlich kamen sie an das Schloss. Der Kater stand oben an der Treppe und erwartete sie. Als der Wagen hielt, sprang er hinzu, machte die Tür auf, verbeugte sich und sagte:

„Herr König, Ihr besitzt zwar keine Einladungskarte , doch Ihr seid im Schloss meines Herrn willkommen! Die Ehre Eures Besuches wird ihn sein Leben lang glücklich machen.“

Der König stieg mit dem Linken Fuß zuerst aus der Kusche aus und wunderte sich, dass das Schloss größer und herrlicher war als sein eigenes. Der Graf aber führte die Königstochter die Treppe hinauf ins Schloss. Der König hatte nichts dagegen, dass die beiden heirateten. Und als er starb, wurde der Müllerssohn König im Land Sachsen und den Kater, seinen besten Freund , ernannte er zum ersten Minister.
 

Ein herzliches Dankeschön an alle, die diese Fanfic gelesen haben.

* Animexx Fähnchen schwing*

Ich hoffe, ich habe es nicht völlig übertrieben und wenn doch? Egal – mir hat’s Spaß gemacht ;c)

War eine sehr interessante Idee.

Ein Leben in Freiheit

Ein kleines One-Shot über einen meiner RPG-Charaktere.

Einen Teil seiner Vergangenheit, um genau zu sein.

Ich hoffe, ich bin damit nicht völlig am Thema vorbei. ^^
 

WBs:

http://animexx.onlinewelten.com/wettbewerbe/wettbewerb.php?id=38625

http://animexx.onlinewelten.com/wettbewerbe/wettbewerb.php?id=39354

RPG:

http://animexx.onlinewelten.com/rpg/?modus=beschreibung&rpg=372001
 

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Ein Leben in Freiheit
 

10:00 Uhr Morgens.

Die Kirchturmuhr setzte gerade zum letzten Schlag an. Das Frühstück war längst gegessen, doch nur wenige der Bewohner waren hier in diesem Park im Augenblick unterwegs. Der Grund: Es war Sonntag. Viele der alten Leute, die dieses Heim bewohnten, zu welchem dieser Park gehörte, waren jetzt in der Kirche. Marik nicht. Er gehörte dort nicht hin. Das hatte er noch nie. Er konnte sich nicht einmal erinnern, ob er ein Gotteshaus jemals von innen gesehen hatte.

Zurückgelehnt, auf einer der zahlreichen Bänke, saß er da und genoss die Ruhe. Im Augenblick jedenfalls. Doch es gab auch Tage, da schien sie ihn förmlich zu erdrücken.

Einen dieser Tage war vor reichlich einem Monat gewesen. Da waren sie sogar gezwungen, ihn ruhig zu stellen mit Medikamenten, weil er angefangen hatte, zu randalieren. Zum Glück hatte er niemanden der Bewohner verletzt. Das wäre auch nicht in seinem Sinne gewesen. In diesem Fall wäre er ganz bestimmt rausgeflogen. Er war einfach durchgedreht. Hatte völlig die Kontrolle verloren.

Jetzt war er wieder völlig er selbst. Die Ruhe in Person. Zu Diensten, wenn es von Nöten war.
 

Doch wenn er ehrlich war, kam das immer wieder in ihm hoch, wenn seine Frau hier gewesen war. Das einzige, worauf er sich bei ihren Besuchen noch freute, war sein Sohn Devan.
 

Gail hatte ihn in dieses betreute Wohnen angeschoben, nach seinem Unfall. Einen Unfall, der sein Leben völlig verändert hatte, doch sie kam damit wohl noch weniger klar. Wie er sich dabei fühlte, schien ihr wohl nicht so wichtig. Marik war seit reichlich drei Jahren Blind.

Gelangweilt starrte er vor sich hin. Dabei begann er auch jetzt wieder mit dem Blindenstock rhythmisch vor sich auf den Boden zu klopfen. Der Herbst hatte die Blätter längst rot gefärbt. Davon bekam er jedoch schon lange nichts mehr mit. Ein kühler Windhauch zog kurz an der Kapuze seiner Regenjacke, dann rissen ihn Schritte aus den Gedanken. Die Person, welche sich näherte, sagte zunächst kein Wort, also grübelte er bewegungslos, um wen es sich handeln könnte. Er hörte diese Schritte bereits aus weiter Entfernung. Sein Gehör war bemerkenswert, aber das war es auch schon vor seinem Unfall gewesen. Es waren zügige Schritte. Es konnte sich also nicht um einen der zumeist alten Menschen hier handeln.
 

„Hallo Marik.“ Die herangetretene Person blieb neben ihm stehen. Clarice, eine der Pflegerinnen war es. Der Angesprochene sprang sofort von der Bank auf und wand sich zu ihr um.

„Auch Hallo.“ Er lächelte. „Du hast neue Schuhe? Ich hatte dich gar nicht erkannt.“

„Richtig geraten.“

Clarice lächelte zurück, auch wenn er das nicht sehen konnte. Sie arbeitete noch nicht lange hier. Vielleicht zwei Monate, doch diesen Mann hatte sie irgendwie gleich ins Herz geschlossen. Ein aufrichtiger Kerl und sie allein kannte sein ganzes Geheimnis. Clarice war es auch, die ihm diese dunkle Brille besorgte, die er jetzt trug. Ihrer Meinung nach, stand sie ihm unheimlich gut.

„Ich habe hier einen Brief für Sie“, sagte sie schließlich. „Ich weiß nur nicht von wem er ist. Das steht auf dem Umschlag nicht drauf.“
 

Marik nahm die Hände hinter den Rücken und somit auch den Blindenstock und sah sie erwartungsvoll an.

„Na dann mach ihn auf und ließ ihn mir vor“, gab er abermals lächelnd zurück.

Die förmliche Anrede hatte er bei ihr irgendwann abgelegt. Sie war eine von drei Personen, die wussten, dass er nicht so menschlich war, wie es schien. Auch wenn es sich bei ihr wohl eher um einen Zufall gehandelt hatte, dass sie gerade in einem Moment mit vollen Händen sein Zimmer betrat, als er nur in Shorts herumgelaufen war. Marik hatte das Klopfen nicht gehört und sie war nicht in der Lage gewesen, noch einmal anzuhalten, weil sie zu viele Sachen in den Händen hielt und ihr diese sonst wohl entglitten wären. Clarice war erschrocken gewesen, als sie seinen Schwanz sah, welcher sein Hinterteil zierte, der ihm so reichlich bis ans Knie geht, doch er hatte ihr versprochen, ihr diese Sache zu erklären, wenn sie versprach, nicht loszuschreien. An ein Paar Schwingen, die ihn ebenfalls einst geziert hatten, erinnerten jetzt nur noch zwei Narben an seinem Rücken. Beide hatten ihre Versprechen gehalten und darum waren sie jetzt auch hier an jenem Punkt. Allerdings war sie die einzige, die wusste, dass er nicht gänzlich blind war. Das diese Pflegerin so viel von ihm wusste, war für Marik schließlich der Grund, auf Förmlichkeiten zu verzichten. Dennoch sprach sie ihn auch jetzt noch mit Sie an. Clarice meinte, dass ihr etwas anderes nicht zustünde. Das sie es nicht durfte, aber hin und wieder waren sie auch allein und da tat sie es dennoch nicht.
 

„Ich...“ sie senkte den Blick. „Vielleicht sollten Sie ihn einfach mit in Ihr Zimmer nehmen und ihn dort in Ruhe lesen.“

„Ach Unsinn.“ Marik ließ sich wieder auf der Bank nieder und klopfte neben sich, dass es ihm die Pflegerin gleich tat. „Ich habe doch keine Geheimnisse mehr vor dir. Das geht schon in Ordnung.“

Sie war wieder schrecklich nervös. So unruhig, dass der dämonische Teil in ihm, es mehr als deutlich spüren konnte. Zugegeben machte es ihm zusätzlich aber auch Spaß sie so zu erleben. Er lächelte einfach vor sich hin, ohne, dass sie den wahren Grund dafür kannte.

„Na schön.“ Mit einem Lächeln und klopfendem Herzen ließ sie sich schließlich doch neben ihm nieder. Es dauerte eine Weile, bis sie den Umschlag offen hatte. Sie wollte ihn ja nicht völlig zerreißen und einen spitzen Gegenstand hatte sie auch nicht dabei.
 

Doch als sie ihn offen hatte, verzog sie kurz das Gesicht.

„Er ist von Ihrer Frau.“

Auch Mariks gute Laune legte sich augenblicklich. Was sie wohl wollte? Viel Gescheites konnte es nicht sein. Sie war seit Wochen nicht hier gewesen und seinen Sohn hatte er somit auch nicht wieder um sich gehabt.

Unruhig wand er ihr den Blick zu. Er konnte ihr trauriges Gesicht nicht sehen. Für ihn war die Frau, neben ihm, jetzt nur eine Silhouette. Und das auch nur, weil sie die kleine Fichtenhecke im Hintergrund hatte. Die Dunkelheit in ihrem Rücken, machte sie für ihn soweit sichtbar.

„Was ist denn nun?“ So langsam wurde er ungeduldig.

Clarice hatte nur kurz die handgeschriebenen Worte überflogen. Das was sie las, machte sie traurig, dass sie wohl in Tränen aufgebrochen wäre, hätte sie es vollständig vorgelesen.

„Marik.. sie... Gail will die Scheidung.“

Nur schwer kamen der Pflegerin diese Worte über die Lippen.

Marik schluckte hart.

„Sie will was? Bist du dir sicher?“

„Ich befürchte schon. Sie hat auch gleich die Scheidungspapiere mitgeschickt.“

Clarice blätterte darin herum.

„Und das alleinige Sorgerecht für Ihren Sohn will sie auch.“

Diese Worte warfen Marik fast um. „Sie macht keine halben Sachen“, stieß er gepresst aus und erhob sich mit einem Ruck von der Bank. Das konnte doch nicht wahr sein! War das also der Grund, warum sie hier nie wieder aufgetaucht war? Er wurde gerade abserviert? Am liebsten hätte er wieder irgend etwas zerschlagen, aber nicht vor Clarices Augen. In ihrer Gegenwart würde er nicht wieder ausfällig werden. Dieses eine Mal hatte gereicht.
 

Von ihr abgewandt, lief er einige Schritte davon, bis er dann jedoch mitten auf dem Weg wieder anhielt und tief durchatmete.

„Marik?“ Clarices Stimme ließ ihn aufhorchen. „Was haben Sie jetzt vor?“

Er brachte einen Moment, bis er sich die richtigen Worte zurecht gelegt hatte.

„Ich denke, ich werde ihr diesen Gefallen tun.“

Immerhin gab es noch einen weiteren Grund, warum sich Gail gegen ihn stellte. Einen Grund, den er noch niemanden erzählt hatte. Auch Clarice nicht.

„Sind Sie ganz sicher, dass Sie das wollen?“

Marik wand sich, nach ihren Worten, wieder zu ihr um.

„Welche Möglichkeiten habe ich denn?“

Clarice senkte sofort den Blick, auch wenn Marik dies nicht sah. Ihre Frage war so unsinnig gewesen. Sie ärgerte sich, diese überhaupt gestellt zu haben. Ein Schweigen lag sofort zwischen ihnen.
 

Mariks Gedanken schweifen in die Vergangenheit ab. Die Wurzel allen Übels war seine Herkunft. Die Tatsache, dass er nur zur Hälfte ein Mensch war, nagte schon so lange an ihm. Damals war es noch notwendig gewesen, sich zu verstecken. Dort, wo er aufgewachsen war, bei seinem Vater, hätte man ihn vielleicht verfolgt und weggesperrt. Oder ihn womöglich gleich getötet. Etwas, was nicht menschlichen Ursprungs war, war den Leuten noch nicht bekannt. Was es das anging, war er froh, in der jetzigen Zeit endlich Ruhe gefunden zu haben. Die zahlreichen Kriege hatten so viele Menschenleben gefordert. In der Provinz, wo er aufgewachsen war, hatte es zum Glück derartige Ausmaße nicht angenommen. Hier war annähernd alles weiterhin seinen normalen Gang gelaufen, außer der Tatsache, dass er sich nicht mehr verstecken musste.
 

In der Zeit, nach den großen Kriegen, lernte er irgendwann Gail kennen, doch ihre Zuneigung, dem, was er war, gegenüber, sollte nicht von Dauer sein. Denn schon nach kurzer Zeit, hatte sie eine andere Vorstellung von ihrem Leben. Gail wollte das ewige Leben. Die Mythen und Legenden, von Wesen, welche niemals sterben würden, waren jetzt keine Legenden mehr. Sie wollte das auch. Immer jung sein, niemals sterben und Marik sollte ihr das geben. Jahrelang hatte er versucht, ihr das auszureden, doch es wollte in ihren Dickschädel einfach nicht rein. Er war kein Vampir, der einem Menschen das ewige Leben schenken konnte. Zugegeben, er würde vielleicht länger leben, als ein Mensch, doch die Unsterblichkeit schenken? Ein Dämon war dazu doch gar nicht in der Lage. Schon gar nicht er, der er doch nur zur Hälfte ein Dämon war. Dieser ständige Streit hatte schließlich alles zerstört und dann hatte er diesen seltsamen Unfall...
 

Marik war sofort wieder in der Gegenwart, als sich ihm abermals Schritte näherten.

„Geht es Ihnen nicht gut?“ Clarice klang schrecklich traurig, als sie vor ihn trat. Marik atmete tief durch und versuchte wieder vollends zur Besinnung zu kommen.

„Doch, ich... ich denke es geht wieder.“ Er lächelte gequält. Er war sich jedenfalls sicher, dass es gequält ausgesehen haben musste. „Ich danke dir. Darf ich?“ Marik streckte die Hand nach dem Handschriftlich geschriebenen Brief aus.

„Sicher.“ Clarice klappte alles wieder zusammen und steckte es zurück in den Umschlag. Erst dann reichte sie ihm diesen entgegen.
 

Seine Hand zitterte, als er ihr den Brief abnahm. Wenn er in der Dunkelheit seiner vier Wände war, würde er sich dieses Schreiben genauer ansehen, aber hier würde das nicht viel bringen.

Clarice seufzte. Sie mochte diesen schwarzhaarigen Kerl. Den Mann, der so viel jünger aussah, wie er eigentlich war. 57 Jahre sollte er alt sein? Kaum zu fassen. Er sah nicht älter wie dreißig aus. Nicht ein einziges graues Haar war auf seinem Kopf zu finden. Auch an seinem Kinn nicht. Auch nicht die kleinste Falte. Als sie ihn kennen lernte, hatte sie sich noch darüber gewundert, doch seit sie von seiner halbdämonischen Abstammung wusste, war ihr so einiges klar.
 

„Sie ist ein verdammtes Miststück!“

Clarice konnte sich nicht mehr im Zaume halten. Eine Tatsache, welche Marik ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Er trat einen weiteren Schritt näher an sie heran.

„Sind wir unbeobachtet?“

Die Pflegerin sah sich sofort prüfend um.

„Ja. Für mich sieht das so aus.“

Langsam streckte er die Hand nach ihr aus, bis er ihr Gesicht berührte. Ohne ein Wort strich ihr Marik vorsichtig die Haare hinter das Ohr und küsste sie kurz auf der Wange.

„Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast“, flüsterte er und legte dabei seinen Arm um sie. Marik versuchte ihren Blick zu erhaschen, aber dafür war es zu hell. Seine Nachtsichtigkeit, die ihm nach seinem Unfall erhalten geblieben war, würde erst zur Abenddämmerung wieder funktionieren. Auch mit dieser Sonnenbrille nahm er nur wage seine Umgebung war.

Clarice roch so unbeschreiblich gut. Immer, wenn sie in der Nähe war, wurden seine dämonischen Sinne wach.

„Ich...“ Wieder wurde sie ungeheuer nervös. Es war das erste Mal, dass er sich so nah an sie heranwagte. Unruhig sah sie sich abermals um und fasste dann nach seiner Brille, um ihm diese auf den Kopf zu schieben. Clarice scheute sich nicht, vor seinen trüben, starren Augen. Ein Blick, der schon so viele geängstigt hatte. Sie hatte ihn so kennen gelernt. Diese Augen waren eben ein Teil von ihm.
 

Der Halbdämon vor ihr lächelte und begann zunehmend unruhiger zu Zwinkern. Im Augenblick war sie es, die ihn hier nervös machte. Er fühlte sich nicht unwohl, bei dem, was er hier tat. Nein. Einzig die Tatsache, dass die Beiden hier am hellerlichten Tag mitten auf einem der Wege im Park standen, störte ihn.

Clarice nahm schließlich all ihren Mut zusammen und tat etwas, was sie schon längst hätte tun sollen: Sie küsste ihn auf die Lippen. Marik schloss sofort sie Augen und hielt die Luft an. Ihre Lippen fühlten sich so weich an. Der Halbdämon genoss jede Sekunde dieser Berührung. Nach dieser niederschmetternden Botschaft, war das wohl das beste, was ihm jetzt passieren konnte. Als hätte Clarice seine Gedanken gelesen. Seine Schwanzspitze zuckte unruhig, in seinem Hosenbein. Auch jetzt verbarg er dieses unmenschliche Teil an ihm lieber. Diese Frau war mehr für ihn, als er sich selbst eingestehen wollte. Sie war noch so jung, aber das war ganz sicher nicht der Grund. Sie war allemal alt genug, um zu wissen, was sie hier gerade tat, dennoch tat es ihm leid, dass er dem jetzt Einhalt gebieten musste.
 

„Es geht nicht, Clarice.“ Behutsam griff er ihre schmalen Schultern und schob sie ein Stück von sich weg.

„Sie will dich nicht!“, entwich es ihr voller Zorn. „Diese Gail tritt dich mit Füßen.“ Marik war sofort aufgefallen, dass die junge Pflegerin in ihrer Verzweiflung auf die förmliche Anrede verzichtete.

„Ich weiß. Und darum werde ich ihr diesen Gefallen auch tun, aber ich kann nicht hier bleiben. Das ist unmöglich.“

„Wie bitte?“ Clarice zog erschrocken die Luft ein. „Du willst weggehen?“, flüsterte sie.
 

Der Halbdämon nickte und schob sich die Brille wieder vor die Augen.

„Ich kann nicht hier bleiben, Liebes. Ich befürchte, ich werde hier nur wahnsinnig...“ Seufzend senkte er den Blick. „Versteh mich bitte. So gerne ich auch in deiner Gegenwart bin, in diesem Haus kann ich nicht bleiben.“ Fest umklammerte er den Briefumschlag und knüllte ihn dabei fast zusammen.

„Wenn sie die Scheidung will – und diesen Gefallen werde ich ihr tun – stehe ich nicht länger unter ihre Fuchtel.“

Dieser Tatsache war sie sich sicherlich gar nicht bewusst gewesen, als sie dieses Schreiben abschickte. „Ich bin nicht geistig behindert. Ich komme auch ohne Vormund zurecht.“
 

Clarice atmete tief durch. Auch wenn ihr nicht gefiel, was ihr dieser Mann gerade erzählte, hatte er recht. Mit allem. Das er nicht hier her gehörte, dass er sehr wohl dazu in der Lage war, frei zu handeln und dennoch... Sie spürte deutlich, wie ihre Augen feucht wurden.

„Na schön... ich werde dir helfen.“

„Was?“ Marik legte die Stirn in Falten. „Mir helfen?“

„Ja. Das du hier wegkommst. Mich um deine Kündigung hier kümmern... Sag mir, was ich tun soll.“

Ein Stein fiel ihm augenblicklich vom Herzen, obwohl er nicht glauben konnte, was er gerade hörte. Sie wollte ihm helfen? Und so wie sie klang, was das ihr voller Ernst. Seine Unterlippe zuckte, als er sie wieder ansah, auch wenn er sie nicht erkennen konnte. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Es hatte ihm völlig die Sprache verschlagen.

„Ein Danke reicht doch“, sagte die Pflegerin einen kurzen Augenblick später. „Wenn es so weit ist, versteht sich.“ Clarice verstummte, als sie Schritte hinter sich hörte. Langsame Schritte und die quietschenden Geräusche eines Rollators. Schnellstens trat sie aus dem Weg und wand sich danach um.
 

„Schönen guten Tag, Frau Simic.“

„Oh guten Tag, Clarice.“ Sie hob den Blick und lächelte auch den Halbdämon an. Von seiner Herkunft hatte sie nicht die geringste Ahnung. Dennoch hatte diese alte Dame ihn ziemlich schnell mögen gelernt. „Dir auch einen guten Tag, Marik.“ Er nickte nur und lächelte zurück.

„Schon von der Kirche zurück?“, fragte Clarice, obwohl die Beiden nicht wirklich ein Interesse an einer Unterhaltung mit der alten Dame hatten. Aber sie versuchte eben ihrer Arbeit nachzugehen und sich mit jedem hier zu beschäftigen. Marik seufzte. Sie würde ihm wirklich fehlen.
 

Nach einer recht langweiligen Unterhaltung, an welcher sein Geist schon gar nicht mehr teilnahm, weil er mit den Gedanken längst bei anderen Dingen war, waren sie wieder allein. Clarice trat sofort näher, als sie wieder unbeobachtet waren.

„Also bis heute Abend?“ Sie wartete kurz auf eine Reaktion von ihm. Was sie erhielt, war schließlich ein Nicken. „Ich muss jetzt wieder zurück, bevor sie mich vermissen“, sagte sie und klang dabei bereits traurig. „Ich habe heute Abend noch meine Fortbildung. Ich bin frühestens 21:00 Uhr zurück. Das ist hoffentlich in Ordnung?“

Anstatt ihr sofort zu antworten, griff er sich ihre Hände. „Ich bin dir so dankbar, Clarice. Natürlich ist das in Ordnung.“ Er war kurz davor, sie zu umarmen, doch er ließ es bleiben. Sein Herz klopfte dennoch fürchterlich wild.

„Also bis heute Abend.“ Seine freudige Erwartung darauf, sah man ihm sicherlich an.

„Ich beeil mich“, ließ Clarice noch verlauten, während sie bereits ein Stück des Weges ging, sich aber noch einmal nach ihm umwand. „Ich hoffe, du kannst dich so lange noch sinnvoll beschäftigen...“

„Ich denke, ich werde mal nach der Köchin sehen, auch wenn sie mich nicht in der Küche haben will.“ Das er ständig Vorschläge hatte, wusste alle hier in diesem Wohnheim.
 

Nach einer unterhaltsamen Diskussion mit der Köchin, die ihn irgendwie wieder ziemlich positiv aufgeputscht hatte, war er in seinem Zimmer verschwunden, um sich nun endlich diesen Brief genauer anzusehen. Vorsorglich zog er alle Vorhänge zu und legte die Brille auf dem Tisch ab. Dann ließ er sich auf dem Bett nieder.

Schmalzig und ausgeschmückt waren ihre Worte, wie er feststellen durfte. Genau so etwas hatte er erwartet. Genau das richtige, für ahnungslose Pfleger, welche ihm diese Worte vorlasen, aber Marik las zwischen den Zeilen. Sie wollte also die Scheidung? Dann gab das hier alles endlich einen Sinn. Sein abgeschoben werden in diese Unterkunft. Sie wollte ihn aus dem Weg haben. Aber wie lange schon? Er war so sauer. Dieser Gedanke brachte ihn schier zum rasen. Dabei vergaß er auch sofort wieder die lustige Unterhaltung mit der Köchin. Gail hatte also höhere Ziele und er war ihr im Weg? Na schön! Er würde ihr nicht länger im Wege stehen. Ohne, sich von seinen Schuhen getrennt zu haben, ließ er sich auf dem Bett nach hinten fallen. Zum Mittagessen würden sie ihn schon wecken. So lange konnte er hier noch ein Nickerchen machen.
 

Die Zeit, nach dem Mittagessen, war für ihr zur reinsten Tortur geworden. Keinen Moment lang konnte er auch nur einen klaren Gedanken fassen, was natürlich nicht verwunderlich war, dennoch machte er sich damit bereits verdächtig. Pflegern und Mitbewohnern war dies das ein oder andere Mal aufgefallen, dass Marik gezwungen war, sich zurückzuziehen. Außerdem musste er ohnehin noch packen. Er hatte nämlich nicht vor, offiziell zu gehen. Ein heimliches verschwinden mit nachträglicher Abmeldung war eher in seinem Sinne, aber konnte er so etwas Clarice überhaupt zumuten? Sie würde Ärger bekommen. Das stand ganz klar fest. Vielleicht verlor sie auch ihren Job? Auf jeden Fall würde er sich für sie einsetzen, sollte das wirklich passieren. Die Schuld auf sich nehmen, was ja auch der Wahrheit entsprach.
 

Die Diensthabende Pflegerin war gerade auf die Toilette verschwunden, als er abermals unruhig eine Runde über den Gang drehte. Sie war eine von denen, bei der er wusste, dass es immer etwas länger dauerte. Das war die Gelegenheit. Das Büro und der Kopierer war unbeobachtet. Also trat er schnell in sein Zimmer zurück und würde erst einmal eine Kopie von diesem Schreiben machen. Sicher war sicher. Er kopierte es einmal ohne und einmal mit Unterschrift. Endlich konnte er sie darunter setzten. Und kaum war die passiert, fühlte er sich auch bereits frei. Ein Last fiel ihm von den Schultern. Die Ungewissheit, was ihn hier sonst erwartet hätte. Jetzt endlich konnte er wieder selbst über sein Leben bestimmen.

Sein Tun schließlich, wie zu erwarten, unbeobachtet zu Ende gebracht, verschwand er sofort wieder in seinem Zimmer. Noch! Noch war es sein Zimmer. Er würde es nicht vermissen. Soviel stand fest. Nicht, dass er es hier jemals schlecht gehabt hatte, doch um sich wirklich wohl zu fühlen, brauchte er mehr.
 

Als die Dämmerung endlich einsetzte, atmete er erleichtert auf. Marik hatte seit gefühlten Stunden am Fenster gestanden und hinausgestarrt und endlich war es soweit. Nicht mehr lange und Clarice würde kommen und ihn endlich hier wegholen.

Wie dieses Verschwinden von hier vonstatten gehen würde, hatte er sich genau überlegt. In Gedanken war er diesen Plan immer wieder durchgegangen, aber viele andere Möglichkeiten gab es für ihn im Augenblick nicht. Seit Vater hätte ganz gewiss nichts dagegen, wenn er zurück kam. Marik hatte den alten Mann schon ewig nicht mehrgesehen, doch durch seine Arbeit hatte es auch so selten Gelegenheiten gegeben, ihn zu besuchen. Diese Zeiten waren jedoch vorbei. Kein Hotel oder Restaurant der Welt würde einen Koch einstellen, der bei Licht gänzlich blind war. In welcher Küche herrschte schon Dunkelheit? So etwas gab es eben nicht.
 

Für ihn spielte sich das Leben jetzt in der Nacht ab. Die Abenddämmerung hatte er lieben gelernt. Sobald das letzte Licht verschwand, wurde für ihn die Welt um ihn herum sichtbar. Zugegeben, er konnte weder den Mond noch die Sterne sehen, aber alles andere war für ihn klar und deutlich sichtbar. Trotz, dass er durch diesen ominösen Unfall sein gänzliches Farbsehen eingebüßt hatte, war es allemal besser, als gänzlich blind zu sein.
 

Dass er seine Sicht nicht ganz verloren hatte, hatte er Gail nie erzählt. Wozu auch? Sie hinterging ihn doch schon viel länger. Sein Job hatte eben viel Zeit in Anspruch genommen. Und manchmal war er vor zwei Uhr Nachts nicht zu Hause. Gail hatte immer wer weiß was vermutet, aber dazu hatte er nie einen Grund gehabt. Warum sollte er fremd gehen? Er hatte seine Frau immer geliebt. Aus ganzem Herzen. Nie hätte er eine Andere gewollt, aber das die Dinge so laufen würden? Nie wäre er darauf gekommen.
 

Eine, für ihn, lautstarke Unterhaltung auf dem Gang, brachte ihn aus seinen Gedanken zurück. sofort warf er einen Blick auf die unbeleuchtete Uhr in der hinterste Ecke seines Zimmers. Reichlich halb neun. Noch eine halbe Stunde...

Marik schob den Riegel des Fensters auf und blickte hinunter. Nicht weit von hier, waren die Parkplätze. Hier würde Clarice ganz sicher ihren Wagen abstellen. Die Tasche, mit seinen Habseeligkeiten, würde er ihr entgegenwerfen...

Gepackt war sie jedenfalls schon. Hin und wieder tat er noch etwas dazu, aber im groben und Ganzen hatte er alles Wichtige eingesteckt.

Er würde hier her ja nicht sofort den Kontakt ganz abbrechen, aber im Augenblick wollte er einfach nur weg von hier. Dieses hier herumsitzen und auf nichts warten brachte ihn um den Verstand. Mariks Blick hing an den schwarzen Punkten, welche rechts und links der Gehwege in der Luft zu schweben schienen. Für einen normalsehenden, würden statt derer die leuchtenden Punkte der Laternen sein. Für ihn waren es schwarze Punkte. Auch wenn ihn seine Sicht auf die Dinge so manches Mal Schmerzen bereitete, hatte es doch auch jetzt noch etwas faszinierendes. Ob es wohl irgendwo Jemanden gab, der bei Lichtquellen das gleiche sah? Dieser Gedanke war ihm in letzter Zeit öfter gekommen, aber vorstellen konnte er sich das nicht.
 

Marik schloss das Fenster wieder und setzte sich auf sein Bett. Die bepackte Tasche hatte er darunter geschoben. Sie war zu auffällig hier mitten im Raum, sollte jemand eintreten und er wollte sich nicht erst verdächtig machen. Sich freiwillig einer unnötigen Fragerei auszusetzen, war nicht in seinem Sinne. Er seufzte und erhob sich schließlich wieder. Das Geräusch, eines Wagens, hatte seine Aufmerksam geweckt. Jemand fuhr auf den Geländeeigenen Parkplatz. Doch als er hinausblickte, musste er feststellen, dass es nicht Clarices verbeulter Kleinwagen war. Irgend etwas anderes, wesendlich Größeres hatte sich unten auf dem Parkplatz quer gestellt. Na wunderbar. Auch das noch. Jemand, der ihn bei seinem Verschwinden beobachten würde? Das konnte er nun wirklich nicht gebrauchen.
 

Ohne länger darüber nachzudenken, trat er wieder vom Fenster weg und griff sich seine Jacke. Für einen Blinden war es genaugenommen egal, wann dieser durch den Park lief und bei ihm machten sie ohnehin eine Ausnahme. Immerhin war er nicht gebrechlich, wie manch anderer Bewohner hier. Er verließ mit seinem Stock sein Zimmer und betrat unauffällig die schmale Treppe, die hier ohnehin kaum einer benutzte. Der Fahrstuhl war eindeutig das beliebtere Hilfsmittel. Wenn er dann verschwand würde er ebenfalls die Treppe nehmen. Schön, wenn ihn jetzt jemand sah, würde es beim zweiten Mal sicherlich Fragen geben, aber im Augenblick war keiner hier in der Nähe. Die Bewohner, waren bis auf einige wenige bereits in ihren Zimmern.
 

Mit langsamen Schritten verließ er schließlich das Gebäude und näherte sich „rein zufällig“ den unbekannten Wagen. Im Fahrzeug selbst, konnte er keine Person mehr ausmachen. Sie war wohl längst im Gebäude verschwunden. Wahrscheinlich auf einer der unteren Etagen, sonst wären sie sich sicherlich irgendwo auf der Treppe begegnet. Das Nummernschild selbst, war ein ihm Unbekanntes. Marik lief ein, zwei Mal um den Wagen herum, als sich die Haustür öffnete und der vermeidliche Fahrer heraustrat. Es handelte sich um eine Fahrerin. Ohne Aufsehen zu erregen, trat er leise einige Schritte zurück und dicht an die nächste Hauswand. Wenn diese Person ein Mensch war – und da war er sich ganz sicher – würde sie ihn hier nicht ausmachen können. Er beobachtete sie genau. Er war sich sicher, dass er diese Frau noch nie gesehen hatte, aber was machte sie um diese Uhrzeit hier? Für einen Besuch eines Bewohners war es nun wirklich zu spät. Die Unbekannte stieg in ihren Wagen, schaltete die Scheinwerfer ein und verschwand wieder, ohne ihn bemerkt zu haben. Vielleicht hatte sie irgendwem irgend eine Nachricht hier gelassen...
 

Marik dachte nicht länger über die Unbekannte nach und begab sich nun doch noch einmal auf den Kiesweg, welcher ihn durch den Park führte. Den sauberen Park würde er vielleicht ein bisschen vermissen. Besonders bei Nacht. Aber nur ein bisschen. In der Gegend, in der sein Vater lebte, hatte er den ganzen Wald vor der Nase. Er würde mit den Hunden ein paar Nachtwanderungen machen. Sein Herz machte einen Freudensprung, wenn er nur daran dachte. Ob er wohl die Züchterei und die Hundeschule noch hatte? Irgendwie machte sich bei dem Gedanken ein schlechtes Gewissen bei ihm breit. Er war so lange schon nicht mehr dort gewesen, aber wenn er nun doch einmal Zeit für einen Besucht gehabt hätte, war ihm Gail dazwischen gekommen. Aber warum hatte sie das zu unterbinden versucht? Sein Vater war ein herzensguter Mensch. Immer. Und die Leute, im Dorf, sprachen auch nicht anders über ihn. An die Tatsache, dass er von einem Tag zum nächsten plötzlich einen Sohn hatte? Nun, einige hatten sich ziemlich das Maul darüber zerrissen, immerhin war er damals erst 23 gewesen. Aber genaugenommen hatte diese Tatsache etwas mehr als Gutes gehabt. Fabio hatte von diesem Tag an, sein Luderleben an den Nagel gehängt und sich voll und ganz seinem Sohn gewidmet.
 

Als er sein Zimmer wieder betrat, war einer der Pfleger auf dem Gang. Er stellte keine Fragen, wie Marik erleichtert feststellen durfte. Was jedoch nicht hieß, dass ihn nichts eingefallen wäre als Ausrede, hätte es von Nöten sein sollen. Er war hin und wieder Abends draußen und das würde jetzt vielleicht sein Glück sein. Als Marik sein Zimmer betreten hatte und abermals auf die Uhr blickte, war es bereits kurz nach neun. Ob ihr vielleicht etwas dazwischen gekommen war? Oder etwas passiert war? Die Unruhe, die ihm dabei überkam, gefiel ihm nicht.

Auf seinem Bett sitzend, kamen ihm plötzlich Zweifel, an der Durchdachtheit seiner Idee. War ihm das vielleicht nicht vergönnt? Aber wer, außer Clarice, sollte denn davon wissen? Immerhin hatte sie sich aus freien Stücken angeboten, ihm zu helfen.
 

10:00 Uhr Abends.
 

Und er wartete noch eine geschlagene Stunde, bis abermals Motorengeräusche seine Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Mit einem Satz war er wieder am Fenster und dieses Mal war es wirklich Clarice. Ohne zu zögern, riss er sein Fenster auf und wartete, dass sie den Motor abstellte und ausstieg. Sie sah genervt aus, wie er sofort feststellen durfte, als sich ihre Fahrertür öffnete.

„Gab es Probleme?“, flüsterte er und blickte angespannt hinunter. Clarice fuhr so heftig zusammen, dass sie den Autoschlüssel fallen ließ.

„Nein, alles bestens“, gab sie vor und bückte sich, um ihren Schlüssel wieder aufzuheben.

Das sie ihn anlog, konnte er von hier aus spüren, aber im Augenblick war ihm sein Verschwinden wichtiger, als alles andere.

Marik hob prüfend den Blick und lauschte kurz, dann blickte er wieder hinab.

„Kann ich dir meine Tasche zuwerfen?“

Clarice war nicht so ganz bei der Sache.

„Sicher.“ Sie verstaute den Schlüssel in der Jackentasche, ohne, dass sie abgeschlossen hatte und stellte sich näher an sein Fenster heran. Mit der Tasche in der Hand auf dem Flur war er ohne Zweifel zu auffällig.

Als Marik mit der Tasche wieder zurück war, hatte Clarice die Arme bereits nach oben gereckt.

„Bist du bereit?“

„Nun werfe endlich!“

Marik reckte den Arm so weit aus dem Fenster, wie es gefahrlos ging, ohne abzustürzen und Clarice fing sie, mit einem leisen Fluchen.

Dann ging alles für ihn wie ihm Zeitraffer.

Er schloss das Fenster, machte kehrt, zog den Mantel an und trat schließlich wieder auf den Flur. Dieses Mal jedoch mit großer Vorsicht. Angespannt lauschte er, doch jetzt war die Luft wieder rein.
 

Ungesehen gelangte er ins Treppenhaus und die drei Etagen hinunter. Die Nervosität hatte ihn gänzlich ergriffen, als er endlich wieder hinter dem Haus war. Mit gestrafften Schultern und den Blindenstock zusammengeklappt, locker in der Hand, trat er auf Clarice zu. Seine Tasche stand noch am Boden und sie blickte sich mürrisch auf den Finger.

„Hast du dir weg getan?“ Erst jetzt blickte sie zu ihm auf und zuckte leicht zurück.

Seine hochgewachsene Erscheinung in einem schwarzen, langen Mantel, mit einer Sonnenbrille bei Nacht. Wenn das nicht beunruhigend wirkte, was dann?

„Hab mir nur einen Fingernagel abgebrochen. Das ist alles.“ Sie atmete schwer, als sie weiterhin zu ihm aufsah.

„Stimmt etwas nicht?“ Marik blickte sich unruhig um, griff dann jedoch bereits seine Tasche und trat auf die Beifahrerseite des Wagens.

Clarice schwieg. So, wie er jetzt hier vor ihr stand, hatte sie ihn noch nie gesehen. Er strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das sie sprachlos machte und frösteln ließ.

Schnell stieg sie ein, um ihm von innen die Tür zu öffnen. Marik stellte die Tasche auf die Rückbank und sah zu, dass er in den Wagen kam. Er wollte hier weg und das möglichst binnen zehn Minuten.
 

Ohne weiteres Aufsehen, hatten sie das Gelände verlassen und waren auf der Hauptstraße eingebogen.

„Das ich Ärger bekomme, ist dir hoffentlich klar?“ In ihren Worten klang Missfallen mit.

„Ja, ich weiß und ich werde sehen, dass ich die Sache geklärt bekomme, bevor mein Verschwinden bemerkt und an die große Glocke gehängt wurde.“

Er würde die Scheidung vorschieben und dass er schnellstens von hier weg musste. Wenn er ein bisschen auf die Tränendrüse drückte, war das sicherlich kein Problem. Immerhin kannten die Meisten hier einen Großteil seiner Geschichte. Jedenfalls das, was für seinen so übereilten Auszug von Nöten war.

Marik atmete tief durch, nahm die Brille ab und sah sie an. „Ich weiß gar nicht, wie ich das bei dir wieder gut machen soll.“

„Wenn ich meinen Job deswegen nicht verliere, reicht das schon.“ Auf ihr schnaufen hin, senkte er den Kopf.

„Es ist, weil du nicht willst, dass ich weggehe?“

Ihr Schweigen, auf diese Worte hin, machte ihm das nur zu deutlich klar.

„Ohne dich, wird es hier für mich nicht mehr so sein, wie vorher...“ Sie klang kleinlaut. Hatte sie etwa schon länger Gefallen an ihm gefunden?

„Wir bleiben in Kontakt. Ich verspreche es dir.“

Ein kurzes Lächeln umspielte ihre Lippen.

„Jetzt muss ich nur noch wissen, wo du wohnst.“ In den Dokumenten, die dem Wohnheim vorlagen, stand das zwar, aber sie hatte da nie hineingeschaut.
 

Nach einer reichlichen Viertelstunde waren sie auch bereits am Ziel. Ein kleines Häuschen in einer doch recht noblen Gegend. Clarice sah sich interessiert und gleichermaßen erstaunt um.

„Na? Überrascht?“ Er lächelte sie kurz an und stieg schließlich aus.

„Hier hast du gelebt?“ Sie war erschrocken, wie wenig sie doch über ihn wusste. Clarice stieg ebenfalls aus.

„Ja. Hatte. Bis ich gegangen wurde.“ Verlegen senkte sie den Blick.

„Schon gut.“

„Wie genau soll das jetzt weiter ablaufen?“

Marik hob den Blick und besah sich die Fassade. Es sah alles so unverändert aus.

„Ich werde mir meinen Wagen holen und damit zu meinem Vater fahren“, sagte er und wand sich zu ihr um, und das auch nur, um in ein maßlos geschocktes Gesicht zu blicken.

„Du willst...was? Auto fahren?“

„Beruhige dich“. Er trat wieder vor sie, nahm die Brille ab und sah sie an. „Es ist dunkel genug. Ich bin mir sicher, dass ich das hinbekomme. Mach dir doch bitte keine Sorgen.“

„Das sagst du so leicht...“ Marik schob sich die Brille auf den Kopf und schloss sie in die Arme.

„Vertrau mir einfach, okay?“

„Okay...“Eng schmuste sie sich an ihn, bis er sie wieder frei gab.
 

Der Halbdämon zog die Formulare aus der Manteltasche und trat damit an die Haustür. Mit großer Unruhe behielt Clarice ihn im Auge.

Dann klingelte er. Es dauerte einen Augenblick, bis die Sprechanlage reagierte.

„Ja?“ Eine Frauenstimme. Unverkennbar war es Gail. Es lag schon wieder eine gewisse Gereiztheit in ihrer Stimme.

„Ich bin es, Marik. Ich habe die Papiere dabei.“

„Unterschrieben? Werfe sie in den Briefkasten.“

Marik stutzte, wobei er sich zu seiner reizenden Bekleidung umwand. Diese zuckte jedoch nur mit den Schultern. Wollte Gail ihn hier etwa bereits abfertigen?

„Ich würde sie dir aber lieber persönlich geben.“

Darauf folgte ein Schweigen aus der Sprechanlage. Er lauschte weiter, doch der Türöffner wurde nicht aktiviert, dass er ins Haus kam. Stattdessen ging das Licht an. Gail kam herunter an die Tür. Wollte sie ihn allen Ernstes gar nicht erst ins Haus lassen?

Marik schnaubte verärgert und wartete drauf, dass die Tür aufging. In der Zwischenzeit ließ er die Papiere in der Innentasche seines Mantels verschwinden und schloss diesen vorsorglich.
 

„Ich warte hier, bis du zurück bist“, sagte Clarice und trat wieder an ihren Wagen heran.

„Danke.“ Marik lächelte kurz, machte sich dann jedoch darauf gefasst, dass ihm der Weg versperrt wurde.

Als er den Umriss seiner nun fast Exfrau hinter der Tür mit der Glasscheibe bereits ausmachen konnte, streckte er die Hand sofort nach dem Holz aus, um sie ihr aus der Hand zu schlagen, sollte sie ihn tatsächlich nicht hereinlassen wollen.

Zugegeben, er war ein Dämon und von daher wesendlich stärker wie sie, aber er war keineswegs ein Mann der Frauen schlug, doch in seiner augenblicklichen Situation konnte er selbst nicht sagen, wie er auf sie reagieren würde.
 

Die Türklinke bewegte sich und Marik drückte sie sofort auf. Gail war erschrocken und wich sofort zurück, jedoch mit dem vergeblichen Versuch, ihn mit ausgestrecktem Arm abzuhalten.

„Wo sind die Papiere?“, war das einzige, was sie zu interessieren schien.

„Die habe ich in meiner Tasche.“ Mit diesem Worten trat er an ihr vorbei, ins Haus und mit einer Hand am Handlauf, die Treppe hinauf. Die Flurbeleuchtung raubte ihm jegliche Sicht. Zum Glück war er hier nicht in einem fremden Haus.

„Was willst du sonst noch?“, rief sie ihm nach, blickte dann jedoch auf die Straße, auf welcher ein Kleinwagen stand, der eine zerknitterte Fahrertür hatte. Im Wagen saß jemand. Clarice wand den Blick ab, als sie direkt angesehen wurde und rührte sich nicht. Ein Grund für Gail, schnell wieder ins Haus zu gehen und die Tür hinter sich zu schließen.
 

Eiligen Schrittes folgte sie ihm.

„Bekomme ich noch meine Antwort?“, brummte sie verärgert und fasste nach seinem Arm, sobald sie hinter ihm stand. „Ich will wissen, was das werden soll!“

„Wir sind geschiedene Leute und somit stehe ich nicht mehr unter deiner Fuchtel“, machte er ihr klar. Ihre Kinnlade klappte herunter. Sie war wohl wirklich überrascht. „Ich werde den Wagen mitnehmen“, sagte er trocken, als er sich schließlich kurz zu ihr umwand.

„Was?“ Gail horchte erschrocken auf.

„Ich habe ihn bezahlt, also darf ich ihn auch selbst zu Schrott fahren“, war seine Begründung.

Marik wollte sich keineswegs im Ton vergreifen. Auch wenn es ihm schwer fiel. Er musste sachlich bleiben.

„Aber... du bist doch Blind!“

„Nicht so blind, wie du mich gerne hättest.“ Mit diesen Worten griff er nach seiner Brille und zog sie sich selbst vom Gesicht. Dann starrte er sie direkt an. Gail hielt diesen Blick auch jetzt wieder nur wenige Sekunden aus und senkte schließlich die Lider.

„Neue Frisur? Sieht gut aus.“ Mit diesen Worten setzte er sich die Brille wieder auf, schob Gail sachte aus dem Weg und lief an ihr vorbei und zwar direkt ins Schlafzimmer.

In einem dieser Kleiderschränke hatten diverse Dokumente immer gestanden. Wenn sie nicht umgeräumt hatte, würde er hier alles finden.

Unruhig war sie ihm gefolgt und blickte sich immer wieder um. Marik hatte den anderen Mann bereits beim betreten des dunklen Zimmers gesehen. Langhaarig und möglicherweise blond. Doch davon ließ er sich gar nicht beirren. Er war nicht hier, weil er eine Schlägerei anfangen wollte. Eilig trat er an besagten Schrank heran und tatsächlich, war alles noch dort, wo es vorher bereits stand. Sie hatte ganz gewiss nicht damit gerechnet, dass er hier nach etwas suchen könnte.

„Wie fühlt man sich als Nachfolger von einem Blinden?“, konnte es sich Marik dennoch nicht verkneifen.

Aus der dunklen, hinteren Ecke ihres ehemals gemeinsamen Schlafzimmers, vernahm er ein erschrockenes Lufteinziehen.

Schnell hatte er alle wichtigen Ordner zur Hand.

„Du brauchst dich nicht verstecken. Ich rieche dich drei Meilen gegen den Wind!“ Mit diesem Worten verließ er jedoch bereits wieder das Schlafzimmer. Schließlich hatte er, was er wollte und dieser Mann da hinten hatte ganz gewiss nicht sein Interesse.
 

Gail heftete sich sofort wieder an seine Fersen. Sie schien froh, dass sich Marik nicht zu einer Handgreiflichkeit hatte hinreißen lassen. In aller Ruhe stellte er sämtliche Aktenordner auf die Kommode im Flur und hielt Gail die offene Hand hin.

„Den Schlüssel... bitte!“ Die Schlüssel des Wagens waren natürlich gemeint. „Und die Papiere.“ Gail schnaubte verärgert. Sie wollte den Wagen nicht hergeben. So ein Teil konnte sie sich ganz sicher selbst niemals leisten. Aber es war sein Auto. Er hätte ihn so oder so bekommen. Ganz gleich, was er damit gemacht hätte.
 

Gail tat wie befohlen und händigte alles aus. Auch den Ersatzschlüssel. Den hätte er ohnehin eingefordert. Marik ließ den Schlüssel sofort in der Manteltasche verschwinden und blickte Gail erneut ohne Brille an, auch wenn es im Augenblick hier ihm Flur zu hell war, um genaueres zu erkennen.

„Warum hasst du mich so sehr, Gail?“ Mariks Blick wurde plötzlich traurig. Eine Sache, die er zwar vermeiden wollte, aber er war eben nicht aus Stein. „Ist es immer noch wegen dieser Sache mit dem...“

„Sei still“, fuhr sie ihm jedoch ins Wort. Ein klares Zeichen dafür, dass der Kerl, im Schlafzimmer keine Ahnung hatte.

„Warum glaubst du mir nicht endlich, dass ich dir das nicht geben kann?“

„Weil du...“

„Gail..“ er versuchte ein letztes Mal an ihren Verstand zu appellieren. „Ich kann es nicht und werde es nie können. Ich kann keine Unsterblichkeit schenken...“ Sollte der langhaarige Kerl doch denken, was er wollte. Die Schlafzimmertür hatte offen gestanden. Ganz bestimmt hatte er diese Worte vernommen.

„Ich hätte niemals erwartet, dass du derartigen Hass empfinden könntest, wegen dieser Angelegenheit.“

Gail senkte den Blick und ließ die Schultern hängen. So richtig sicher, schien sie sich ihrer Sache wohl auch nicht.

Auch wenn Marik den ganzen Tag lang, nur mit Groll an sie dachte, war das hier, wo er ihr wieder gegenüber stand, in weite Ferne gerückt.

Ein letztes Mal wollte er sie wenigstens berühren und streckte langsam die Hand nach ihrem Gesicht aus, doch Gail fasste seine Hand, um ihn davon abzuhalten. Dabei schüttelte sie nur den Kopf. Sie war sich ihrer Sache wohl doch sicherer, wie er bis eben angenommen hatte.

„Dann... war es das wohl, hm?“ Marik presste die Lippen fest zusammen. Es tat so verdammt weh. Gail schwieg, also packte er seine Akten wieder auf dem Arm, um damit zu verschwinden, doch als er den Flur betrat, kam ihm sein Sohn entgegen. Sofort blieb Marik wie angewurzelt stehen. Hatte er sich doch fest vorgenommen, seinen Auftritt hier, so kaltschnäuzig wie nur möglich zu gestalten, so brachte Devin dieses Vorhaben gänzlich ins Wanken.

„Papa!“ Sofort rannte er auf ihn zu.

Marik stellte sein Zeug abermals ab und nahm Devin auf dem Arm, sobald er ihn in Griffweite hatte. Fest drückte er ihn an sich.

„Ich habe dich so vermisst“, flüsterte er und zog ihn noch enger an sich.

„Kommst du wieder nach Hause?“ Die Frage des Jungen versetzte ihm einen Stich, doch bevor er etwas erwidern konnte, stand Gail bereits hinter ihm.

„Nein, Schatz. Dein Vater wird weggehen.“

„Warum?“

Die großen, traurigen Augen des Jungen suchten sofort Mariks Augen auf. Die Sonnenbrille hatte er noch nicht wieder auf dem Gesicht, doch Devin ließ sich bei den Augen seines Vaters nichts anmerken. Er wusste genau, dass ihn das traurig machte.

„Ich will aber nicht, dass du weggehst“, flüsterte er schwerverständlich.

Marik atmete tief durch.

„Ich bin hier leider nicht mehr willkommen.“ Er war sich nicht sicher, ob sein Sohn das schon verstehen könnte. „Ich werde dich anrufen, so oft ich kann, versprochen. Und ich komme dich besuchen.“

Mit einem Lächeln versuchte er ihn zu beruhigen und setzte ihn mit diesen Worten wieder auf dem Boden ab.

Er wusste, dass er seine Versprechen nicht halten würde und konnte. Gail würde es unterbinden. Da war er sich sicher. Was war er doch für ein schlechter Vater.
 

Gail nahm ihm den Jungen schließlich ab, dass Marik endlich verschwinden konnte. Der Halbdämon packte sein Zeug zusammen und trat an die Tür zum Treppenhaus.

„Was ist nun mit den Papieren?“, frage sie ungehalten.

„Ich bringe erst mal mein Zeug runter“, bekam sie zurück.

„Geh wieder zu Bett, Devan“, hörte er Gail noch sagen, bevor sie ihm wieder folgte und natürlich das Licht einschalten musste, während er noch auf der Treppe war. Jetzt bloß nicht stürzen, zwang er sich selbst zur Ruhe. Darüber würde sie sich vielleicht auch noch freuen. Ohne zu stolpern kam er unten an. Nur mit Mühe bekam er die Haustür auf. Er hatte eben auch nur zwei Hände, doch dann stand Clarice bereits wieder neben der Tür und war ihm behilflich.

Sie nahm ihm sofort ein paar der Ordner ab.

Gail heftete augenblicklich ihren feinseligen Blick an sie. Sie wusste, wer sie war. Gail hatte sie ihm Heim sicherlich hin und wieder gesehenen, doch sie sagte nichts.

„Mein Wagen steht in der Garage“, gab er ihr zu verstehen und deutete in jene Richtung, in welche er schließlich auch lief. Marik griff in die Manteltasche und zog den Schlüssel wieder heraus, an welchem ebenfalls die Fernbedienung, für das automatische Rolltor hing. Diese würde er ganz bestimmt nie wieder brauchen. Auf dem Weg zum Tor ließ er dieses bereits auffahren. Er öffnete den Wagen und trat sofort in die Doppelgarage ein, um seinen Kofferraum zu öffnen. Dort würde er erst einmal das ganze Zeug lagern. Was sich noch alles darin befand, konnte er jedoch nicht erkennen. Das Licht hier hinten würde er wohl noch abklemmen müssen. Schnell nahm er Clarice, die ihm bis eben gefolgt war, die restlichen Akten ab und packte diese ebenfalls hinten hinein. Die Pflegerin kannte diesen Wagen und war somit auch nicht sonderlich überrascht.

„Vielen Dank.“

Als er den Blick hob, durfte er feststellen, dass sich Gail genau vor der Tür platziert hatte. Sie hielt die Arme verschränkt. Glaubte sie allen ernstes, sie wäre für einen Hammer ein Hindernis? Erschrocken musste er feststellen, dass sich ein Grinsen in sein Gesicht geschlichen hatte, beim bloßen Gedanken daran. So weit durfte es nicht kommen! Eilig stieg er ein um den Wagen endlich auf die Straße zu bekommen.

Das laute Grollen des Motors schepperte unheimlich laut in der Garage und ließ selbst ihn zusammenzucken. Wie lange hatte er hier nicht mehr gesessen? Ob das wirklich gut ging? Er und Auto fahren, mit seiner Behinderung? Seine mutigen Worte waren jetzt gar nicht mehr dass, was er bis eben noch darüber gedacht hatte.

„Wird schon gehen“, machte er sich selbst Mut.

Nachdem er endlich auf der Straße gehalten hatte, war ihm auch Clarice endlich gefolgt. Gail war so gnädig gewesen und war bei Seite getreten, als er herausgerollt kam. Sie hielt wohl ebenfalls nichts von seiner Idee.
 

„Die Papiere“, wiederholte sie genervt, als er den Motor endlich wieder abgeschaltet hatte. Wehmütig hing ihr Blick am schwarzen Hummer mit den getönten Scheiben.

„Ist ja gut!“ mit einer schnellen Bewegung brach er den Plastikhaken der Fernbedienung von Schüssel ab und reichte diesen Gail, welche auch sofort das Tor wieder zufahren ließ. Für eine Fummelarbeit an diesem Schlüsselring hatte er jetzt keinen Nerv. Dann griff er in die Manteltasche und zog endlich die Papiere hervor.

Gail untersuchte sie sofort auf Richtigkeit und dass auch ja alles wieder dabei war. Als sie das erledigt hatte, machte sie auch bereits kehrt.

Marik blickte ihr fassungslos nach. „Wie jetzt? Nicht einmal ein lebe Wohl?“

Gail blieb stehen und blickte sich nur einmal kurz nach ihm um. „Leb Wohl!“, dann verschwand sie auch bereits wieder im Haus.

Clarice blickte ihr mit zusammengekniffenen Augen nach.

„Ich kann diese Person nicht ausstehen!“, funkelte sie verärgert, doch sie fasste sich, als Marik neben sie trat.

„Ich weiß.“ Er lächelte zaghaft.

„Ich will dich nicht hergeben...“ Ihre Augen wurden feucht, als sie ihn anblickte.

Der Dämon öffnete die Tür und zog einen Block hervor. Allerdings konnte er in der Fahrertür keinen Stift ausfindig machen. Clarice wusste allerdings, was er vorhatte, und hatte sofort einen zur Hand. Sie hatte meistens einen Kugelschreiber zur Hand.

Marik nahm ihn ihr sofort ab und kritzelte etwas auf den Zettel.

„So lange ich noch kein Handy habe, ist das die Nummer, unter der du mich erreichen kannst. Die Nummer von meinem Vater. Kann ich... deine auch gleich haben?“ Bei ihr wusste er, dass sie ein Handy hatte.

Ohne zu zögern schrieb sie ihre Zahlenfolge auf den nächsten Zettel. Erst dann nahm die Pflegerin ihm den Zettel ab und drückte ihn an sich. „Fahr bloß vorsichtig, Marik.“

„Das werde ich.“ Er trat vor sie und nahm sie fest in die Arme.

„So bald ich angekommen bin, werde ich dich anrufen. Vielleicht auch schon eher. Ich muss ganz bestimmt tanken. Sie wird mir nicht viel im Tank gelassen haben.“

Clarice nickte und küsste ihn sofort wieder. Seine Lippen waren wärmer, wie die eines normalen Menschen. Dass hatte sie mittlerweile herausbekommen. Ein herrliches Gefühl.

„Darf ich dich... besuchen kommen?“ Unvermittelt stellte sie ihm diese Frage. Marik war überrascht, doch er nickte sofort, ohne lange zu überlegen. „Ich würde mich freuen.“

Dann gab er die Pflegerin auch schon frei. „Du hast etwas bei mir Gut, Clarice.“

Ihre Unterlippe zuckte, als sie ihn wieder ansah, doch dann hob sie den Blick, als ihr das öffnen eines Fensters zu Ohren kam.

„Gail belauscht uns vom Fenster aus“, flüsterte sie und trat näher an die Fahrertür heran, an welcher das Fenster ganz heruntergefahren war.

„Soll sie nur...“ Marik griff sich in die Hosentasche und zog etwas hervor. Die ganze Zeit hatte er dieses Ding noch mit sich herumgetragen. Seinen Ehering. Achtlos ließ er ihn aus dem offenen Fenster fallen und lauschte den leichten Klirren, als er auf dem Asphalt aufschlug.

„Wir sehen uns, Liebes.“ Mit diesen Worten fasste er abermals ihr Kinn, um sie ein Stück heranzuziehen, dass er sie küssen konnte.

„Gute Fahrt.“

Tagsüber im Museum

Miranda schnaubte verärgert. Unruhig blickte sie sich abermals um und kam sich dabei schon richtig verdächtig vor.

Es war Samstag, 15:30 Uhr. Sie hatte extra versucht eher hier zu sein. Immerhin war es eine Verabredung nach langer Zeit. Und das Ende vom Lied? Sie stand jetzt schon eine geschlagene Stunde hier vor dem Museum.

Wo blieb dieser unzuverlässige Mensch nur? Sie schaute erneut auf das kleine Display ihres hochmodernen Funktelefons.
 

WIR SEHEN UNS 15:00 UHR IM MUSEUM. ICH FREU MICH
 

Hatte da gestanden. Sie war extra eher gekommen, um ihn abzufangen. Da drinnen würde sie ihn wahrscheinlich nie finden. Und wo blieb er? Was für eine saudumme Idee, sich erst drinnen zu treffen... Sie blickte sich abermals um. Mütter mit Kindern waren wohl der Großteil der Menschen, die hier herumliefen. Wildes Treiben vor allem an der Eisbude. Ob sie sich auch eines holen sollte? Sie war versetzt worden. Schon dass alleine wäre doch ein Grund gewesen.

Trotzig ließ sie sich schließlich auf einer Bank nieder, auf welcher bereits ein Großvater mit seinem Enkel saß. Auch der Kleine hatte ein Eis in der Hand. Eines von der Sorte, welche die meisten Flecken machten: Schokolade. Als er sie zu beobachten begann, anstatt sich auf sein Eis zu konzentrieren, zog Miranda ein böses Gesicht.

Sie war einfach zu sauer. Sie lehnte sich zurück und verschränke die Arme vor der Brust und dabei kam ihr endlich der Gedanke, wer sie eigentlich in diesem Schlamassel hineingeritten hatte. Ihre beste Freundin natürlich!
 

„Komm schon“, hatte diese gesagt. „So eine Fete wird bestimmt lustig. Dort lernst du bestimmt den richtigen kennen.“ Miranda wollte das erst auf keinen Fall, ließ sich dann allerdings doch breitschlagen, mit ihr auf diese Single-Party zu gehen. Es war ja auch ganz schön und so und ansehnliche Jungs waren ja auch da, aber...

Wie konnte sie nur so dumm sein und gleich mehreren von ihnen, ihre Nummer zu geben? Weil sie angeben wollte, mit ihrem neuen Handy? Wahrscheinlich war das der Grund. Viele andere Möglichkeiten blieben da nicht. Sie war weder ein Vamp, noch eine, die im Bett unbedingt die Abwechslung brauchte. Sie wollte nur einen. Den Richtigen versteht sich! Aber den suchte sie jetzt schon seit Jahren.

Aus der Gedankenwelt zurück, ließ sie abermals ihren Blick schweifen. War er vielleicht doch schon drin? Ohne erneut darüber nachzudenken, zog sie ihr Telefon erneut aus der Tasche und besah sich abermals eben jene Nachricht.

15:00 UHR IM MUSEUM... Wenn sie nur wüsste von welchem der Jungs diese Nummer war. Die Textnachricht war lediglich mit einem K. unterschrieben, aber das konnte wer weiß was sein! Und sie war zu eben jener Stunde natürlich auch nicht mehr so ganz Herr ihrer Sinne gewesen.
 

„Verdammter Dreck!“, entfuhr es ihr. Der kleine Junge neben ihr zuckte erschrocken zusammen, ließ sein Eis jedoch nicht fallen. Dann würde sie eben doch rein gehen. Scheißegal ob dieser Kerl hier noch auftauchen würde oder nicht. Wenn sie hier das erste mal versetzt worden wäre, würde sie sich vielleicht nicht ganz so darüber aufregen, aber es war das ZWEITE Mal! Zum zweiten Mal hatte sie diese Nachricht bekommen und jedes Mal war sie aufgesprungen und hergeeilt. Wieso war sie nur so dämlich? Ihre Freundin würde sie auslachen. Beim ersten Mal hatte sie noch versucht, zurückzurufen, aber erreicht hatte sie ihn natürlich nicht. Ob er vielleicht mit Bedacht nicht abgenommen hatte? Trieb dieser Kerl ein Spielchen mit ihr? Vielleicht stand er ja doch irgendwo und beobachtete sie? Dieser Gedanke missfiel Miranda, also sah sie zu, dass sie ins Museum kam. Umgeben von unzähligen Menschen wäre sie wohl erst einmal sicher.
 

Als sie endlich an der Kasse vorbei war und in den weiten Tiefen des Museums untertauchen konnte, spürte sie sofort die Erleichterung über sich hereinbrechen. Mit einem Lächeln auf den Lippen betrat sie jetzt jedoch eher die Stellen, an denen man nicht gleich zertreten wurde. Eine Menschenmenge zur Sicherheit um sich herum war ja schön und gut, aber man musste es ja nicht gleich übertreiben. Gelangweilt sah sie sich einige Vitrinen und deren Inhalte an. Zerbrochenes Geschirr wohin das Auge reichte. So etwas konnte sie zuhause auch selbst machen, dachte sie grimmig und besah sich ein paar Ringe, die im nächsten Schaukasten lagen. Als sie ihr Augenmerk schließlich auf die darrüberliegende Etage des Glaskastens richtete, spiegelte sich etwas darin, was sie unruhig werden ließ. Was war das für ein roter Punkt? Sie hob gänzlich den Blick, lugte an der Vitrine vorbei und was musste sie sehen? Eine der Überwachungskameras war genau auf sie gerichtet. Hatte sie sich auch hier verdächtig verhalten? Sie hatte doch nur geschaut. Was sollte sie denn mit den Scherben.
 

Miranda folgte mit wachsamem Blick weiter dem Gang und blieb schließlich wieder an einem der Glaskästen stehen und auch hier hatte sie das Gefühl, die Kamera war wieder auf sie gerichtet. War das ein Scherz? Sie trat einige Schritte seitwärts weiter und blickte jetzt schon mehr als auffällig in die Kamera. Und Tatsächlich! Sie schwenkte ihr nach. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Eilig verließ sie den Raum und betrat den nächsten und auch hier war sie sofort ins Visier der sich hier befindlichen Kamera gelaufen.

Ein übler Scherz? Oder nur ein Zufall? WIR SEHEN UNS IM MUSEUM... War das etwa damit gemeint? Ihre Augen wurden groß und sie schluckte verängstigt. Wurde sie hier von einem Perversen beobachtet? Einer, der sich diese Technik zu Nutze machte, um andere, bestimmte Personen zu beschatten? Hatte er etwa ein Auge auf sie geworfen? Miranda wurde es augenblicklich schlecht. Sie wollte nur noch raus hier. Raus und schnellstens nach Hause. Dahin, wo sie vor all diesen Sachen ihre Ruhe hatte.
 

Innerhalb weniger Minuten hatte sie den Ausgang erreicht und stand wieder vor der Tür. Sofort atmete sie erleichtert tief durch und wurde dabei fast von einem ihretwegen schimpfenden Ehepaar aus dem Weg geschoben, weil sie natürlich nahezu in der Tür zum halten gekommen war. Miranda sah sich um. Noch immer waren jede Menge Leute unterwegs, auch wenn die Menschenzahl ein bisschen nachgelassen hatte. Viele der Leute sind wohl nach dem Eisgenuss sofort nach Hause gefahren.

Gemächlichen Schrittes trat sie die breite Treppe hinunter und warf einen Blick auf die Uhr. Den genauen Busplan hatte sie nicht im Kopf, also würde sie an der Haltestelle sehen, wie lange sie noch warten durfte. Beim Gedanken an eben jede Kameras, die sie scheinbar verfolgt hatten, spürte sie ganz deutlich eine Gänsehaut auf den Armen. So schnell würde sie keiner mehr in diesen Laden bekommen und ihre Freundin würde sie die Hölle heiß machen, zu welcher Art von Party sie geschleppt worden war. Vielleicht sollte sie auch jetzt gleich bei ihr vorbeifahren, und sie runderneuern. Ja, dieser Gedanke gefiel ihr.
 

An der roten Fußgängerampel wartend, legte sie sich bereits die richtigen Worte zurecht, als sie plötzlich zusammenzuckte, weil irgendwer ihren Namen rief. Eine Männerstimme. Hecktisch wand sie den Kopf, aber es hätte genauso gut eine ganz andere Miranda sein können. Der junge Mann, welcher sich näherte, hatte eine schwarze Uniform an. Kein Polizist also. Zielstrebig kam er auf sie zu. War er einer der Wachmänner aus dem Museum? Bezichtigte man sie des Diebstahls? Halt warte: Wieso kannte er ihren Namen?

„Ich habe nichts gestohlen! Ganz bestimmt nicht.“ Die Blicke der Umstehenden fielen sofort auf Miranda und die Schritte des Uniformierten verlangsamten sich. Keinen Meter von ihr entfernt blieb er stehen.

„Es tut mir leid“, waren die Worte, welche er nur mit Mühe hervorpresste. Miranda glaubte sich verhört zu haben.

„Was?“

„Können wir reden?“ gehetzt sah er sich um. „Irgend wo anders?“

Mit offenem Mund hatte sie ihn derweil angestarrt und glaubte sich plötzlich zu erinnern. Dieses Gesicht...

„Konstantin?“ Ein kurzes Nicken war seine Antwort. Sie hatte ihn also doch erkannt. Einer der Kerle von der Fete. Er trug die Haare jetzt anders. Mit ihm hatte sie eng getanzt. Verdammt eng! Und es hatte ihr so furchtbar Spaß gemacht. Na wunderbar...

„Können wir reden?“, wiederholte er sich.

„Sicher.“
 

Mit einem knappen Sicherheitsabstand lief sie neben ihm her.

„Ich habe nichts gestohlen. Wirklich nicht!“, versuchte sie erneut klarzustellen.

„Das weiß ich doch...“ verstohlen blickte er zu Boden.

„Was ist es dann?“

Sie war mehr als angespannt. Dass er plötzlich schwieg und stattdessen stur von der Masse weglief, missfiel ihr.

„Ich wollte mich entschuldigen“, begann er erneut und blieb doch endlich stehen.

„Und wofür, wenn ich fragen darf?“

„Wegen der Sache im Museum eben.“

Miranda verzog den Mund. „Im Museum? Aber da war doch... Da habe ich dich doch gar nicht gesehen.“ Sie war verwirrt.

„Du mich nicht, aber ich dich.“

„Du hast mich gesehen? Wo hast du denn gesteckt? Sollte ich dich suchen und finden zwischen all den Leuten? Zumal ich mit dem Kürzel „K.“ nicht wirklich etwas anfangen konnte.“

„Zugegeben, dass war vielleicht eine blöde Idee.“ Sein verstohlener Blick gefiel ihr gar nicht.

„Du hast mich gesehen aber ich dich nicht...“ In ihrem Gehirn begann es zu arbeiten. „Halt warte! Die Überwachungskamera?“

Er nickte. „Ich hatte eben gehofft, du gehst rein und...“

„du kannst mich dann in aller Ruhe beobachten? Hast du mich deswegen da hin gelockt? Das glaub ich einfach nicht.“ Ihre anfängliche Freude ging wieder auf ein geringfügiges Minimum zurück.

„Ich wollte dich eben sehen. Bist du jetzt arg verärgert?“

„Verärgert?“ Miranda verzog das Gesicht. „Ich..“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Einer der wenigen Augenblicke, in denen ihr die Worte fehlten.

„Ich kann eben nicht mit Frauen reden.“ Konstantin seufzte schwer und nahm die Hände hinter den Rücken.

„Und was glaubst du, tust du gerade?“ Miranda musste schmunzeln. „Bei dieser Fete warst du doch auch nicht so schüchtern.“

„Wenn mich mein Kumpel vorher nicht abgefüllt hätte, wäre ich wohl auch gar nicht erst da hin gegangen.“ Vorsichtig sah er wieder in Mirandas Richtung und diese schenkte ihm sofort ein Lächeln.

„Da bin ich jetzt aber erleichtert. Ich hatte schon Angst, du bist irgend so ein Perverser, der...“ Den Rest ihre Worte schluckte sie eilig herunter. Sie war so unheimlich erleichtert, dass dem nicht so war.

„Du warst letzten Samstag nicht da. Darum bin ich dir auch nachgegangen, aber so langsam sollte ich wieder zurück, bevor man mich vermisst.“ Er sah kurz in Richtung des Museums.

„Natürlich war ich da, ich bin nur nicht drinnen gewesen. Ich hatte geglaubt, dass die Sache mit dem „IM Museum sehen“ ein Scherz war. Oder ein Schreibfehler.

Er schüttelte kurz den Kopf „Ich hatte gehofft, du kommst von alleine dahinter.“ Er senkte verlegen den Blick. Miranda sah sofort, wie er rot wurde. Irgendwie süß.

„Tja. Ich bin wohl doch nicht so eine Leuchte.“ Sie grinste kurz und sah ihm fest in seine blauen Augen. Augen, die sie in dieser Nacht schon so verrückt gemacht hatten. „War das alles, was du wolltest? Mich beobachten?“ Tapfer schwieg er auch jetzt. Die rote Farbe in seinem Gesicht wollte einfach nicht weichen. „Ich meine, wir könnten ja auch etwas zusammen unternehmen. Wie wäre es mit dem Klassiker Kino für den Anfang?“

Erwartungsvoll wartete sie auf eine Antwort.

„Klar.“ Seine Antwort kam dann doch überraschend schnell.

„Na schön. Wie wäre es dann gleich mit heute Abend?“

Sein erleichtertes Aufatmen war wie Musik in ihrem Ohren.

„Hört sich gut an. Ich muss heute aber noch bis 18:00 Uhr arbeiten.“

„Wie wäre es dann mit 19:00 Uhr? Oder sagen wir lieber 19:30 Uhr.“ Wieder bekam sie nur ein Nicken als Antwort. „Super.“ Miranda griff sofort in ihre Handtasche. „Was für ein Zufall, dass ich etwas zu schreiben dabei habe.“ Sie zog Zettel und Stift heraus, lief um Konstantin herum und benutzte seinen Rücken als Schreibunterlage. Auf den Zettel schrieb sie ihre Adresse und versuchte das auch halbwegs lesbar hinzubekommen. Auch sie war mittlerweile von einem leichten Zittern erfasst worden. Als sie die Adresse endlich auf Papier hatte, hielt sie ihm den Zettel entgegen, ließ diesen jedoch nicht los, als er bereits danach gefasst hatte.

„Also kommst du mich heute Abend abholen?“

Er nickte.

„Keine Versteckspielchen mehr?“

Er schüttelte den Kopf.

„Na schön dann...“ Recht schweigsam war dieser Mann, aber sie würde ihn schon noch aufgetaut bekommen.

Miranda war sich jetzt gar nicht sicher, ob sie ihn vielleicht kurz umarmen sollte oder besser nicht. Nach zwei Augenblicken des Nachdenkens ließ sie es bleiben. Sie wollte ja nicht, dass er vor Scham im Erdboden versank.

„Dann gehe ich mal besser, bevor du noch Ärger bekommst.“ Auf ihr Lächeln hin, lächelte er zurück und hielt den Zettel dabei fest in der Hand. Doch Miranda hatte bereits den Blick gehoben und musste feststellen, dass ihr Bus eben einfuhr. Sofort rannte sie los, um diesen noch zu erwischen.

„Ich freu mich“, rief sie noch, ohne jedoch noch einmal zurückzublicken. Immerhin musste sie aufpassen, wo sie hinrannte. Konstantins Erleichterung, die ihm förmlich ins Gesicht geschrieben stand, sah sie dabei natürlich nicht mehr.

Cuuoc Dah’hl – 1. Gitta‘s Salon

Seit sieben-drei/neun Uradis war Rub Dah’hl Drx nun bereits hier und beobachtete dieses Weibchen aber es kam ihm bereits wesentlich länger vor. Viel passierte hier nicht gerade. Rub nahm an, dass dies hier ein Weibchen war. Jedenfalls war sie ein Mensch und da war er sich ganz sicher. Immerhin hatten sie ihn hier auf die Erde geschickt und diese sollte von diesen Menschen bevölkert sein. Ihre Yayca-Drüsen für den Nachwuchs, waren jedenfalls an den Stellen, wo sie hingehörten, auch wenn dieses Menschenweibchen sie unter einer Hülle verbarg. Die genaue Zusammensetzung dieser Hülle würde er erst später auswerten können. Mit seinem Organisator konnte er Daten nur speichern.

Bei seinem Volk war das Verhüllen des Körpers nur den As’xier-Kriegern vorbehalten und die Majestäten traten niemals nackt vor ihr Volk. Und er selbst hatte auch nur einen Waffengürtel um, an dem er seinen Betäubungsfaser trug.
 

Schweigend und starr hatte er seit er hier eingetreten war, bei ihr gestanden und sie beobachtet. Sein Organisator gab ihm die Möglichkeit, sich vor ihren Augen zu verbergen, also konnte er getrost hier stehen und sie ansehen und Vergleiche zwischen ihr und sich selbst finden. In Anbetracht der Tatsache, dass er ihre körperlichen Auffälligkeiten bereits zuhause studiert hatte, kam er sich dennoch seltsam vor, hier so bei ihr zu stehen.
 

Zu aller erst war sie mindestens vier Köpfe kleiner als er, wenngleich sich ihre Schulterbreiten kaum unterschieden und sie hatte einen recht kurzen Hals. Außerdem saßen Ihre Augen direkt im Kopf und sie hatte dieses helle Zeug darauf, was sie sich immer wieder hinter ihr Hörorgan klemmte. Rub nahm einfach mal an, dass es sie vielleicht behindern würde, dennoch sah es sehr interessant aus. Irgendwie weich und ein bisschen, als würde es glitzern. Beim Betrachten ihrer Hände fiel ihm auf, dass sie zwei Finger an jeder Hand mehr als er selbst hatte und ihre waren wesentlich kürzer, jedoch an den Enden seltsam verfärbt. Denn die Enden ihrer Finger passten nicht zur restlichen Farbe ihrer Haut. Eine Farbe, die er nicht einmal in Worte fassen konnte, da er so etwas noch nie gesehen hatte. Seine graue Haut, war im Vergleich einiger anderer Bewohner auf seinem Planeten eher unauffällig.

Ob sie wohl gequält worden war an den Händen? Von ihrem Herrn? Er wagte es kaum, sich ein Urteil zu fällen. Über das Sozialverhalten dieser Spezies hatte er nur einen geringen Wissensstand. Auf genügend Abstand bedacht, lief er schließlich um sie herum. Was auch immer sie hier tat, wenn er noch länger so hinter ihr stand, würde er wohl kaum mehr erfahren. Rub trat von der Seite heran und besah sich ihr Gesicht genauer. An ihrem menschentypischen Riechorgan hatte sie einen funkelnden Stein. Er war nur sehr klein und hatte sicherlich nichts damit zu tun, dass man sie anketten musste. Sie wirkte auf ihn nicht gefährlich. Eher verträumt. Und sie hatte dunkle Ringe um den Augen.

Seit der ganzen Zeit, die er hier war, kaute sie auf irgendetwas herum. Hin und wieder kam es zum Vorschein und sie bildete mit ihrem Mund eine runde Form damit, doch diese verschwand jedes Mal wieder darin. Ein unverdauliches Nahrungsmittel, was sie hier ständig wieder zum Vorschein brachte und wieder verschwinden ließ schlussfolgerte er schließlich. Aber vielleicht bekam sie nichts anderes und musste damit im Moment zurechtkommen. Auch ihr Mund hatte die selbe, beängstigende Färbung wie ihre Fingerenden. Schmerzhaft schien ihr jedoch beides nicht zu sein.

Rub Dah’hl Drx heftete seinen Blick auf das weiße Ding, auf welchem Unmengen Quadrate abgezeichnet waren. In diese schrieb sie irgendwelche Symbole hinein. Bei seiner Größe fiel es Rub leicht, ihr über die Schulter zu sehen, aber er verstand ohnehin nicht, was sie da tat. Es ergab für ihn keinen Sinn, aber für sie schien es wohl eine gewisse Logik zu haben. Genau betrachtete sie jede Reihe, in welche sie lediglich eines ihrer Symbole schrieb. Nach unten und nach der Seite. Interessant. Aber er verstand es dennoch nicht.
 

Mit einem Male verzog sich ihr Mund. Rub ging näher heran, dass er schon fast ihren Atem sprühen konnte und versuchte dieses Phänomen zu deuten. Irgendwie sah sie auf diese Art noch freundlicher aus und sie hob auch die schmalen, dunklen Streifen über den Augen dabei an. Was sie jetzt wohl dachte? Rub überlegte nicht lange und streckte seine Hand nach ihrem Kopf aus. Ganz vorsichtig legte er seine langen Finger darauf und drang in ihre Psyche ein. Sein Volk konnte das und er hatte während der Ausbildung gelernt, dass Menschen keinen Schutzschild gegen diese Art von Eindringen hatten. Er schloss die Augen und konzentrierte sich, doch was er sah, irritierte ihn.
 

Ein Männchen? Dieses Weibchen dachte gerade an ein Menschenmännchen. Es war nackt und sein Geschlechtsteil ließ ihn zusammenfahren, dass er schleunigst die Hand zurück zog. War sie vielleicht gerade in der fruchtbaren Hajah‘-Phase? Das wäre eine Sensation! Zwei Menschen bei der Paarung zuzusehen und dies zu dokumentieren würde ihn sicherlich ein bis drei Ränge aufsteigen lassen. Was bedeuten würde, dass er zwei weitere Weibchen haben konnte, doch er verwarf diesen Gedanken schnell wieder. Sein Raumschiff hatte eine Fehlfunktion und er hatte es landen müssen. Glücklicherweise war er nicht ins All gestürzt. Er wollte zwar ohnehin auf diesen Planeten, aber dennoch kam er jetzt nicht weg von hier. Er musste erst die Funkstation wieder reparieren und rebooten, wenn er sie denn überhaupt wieder zum Laufen bekam. Die richtigen Ersatzteile auf diesem Planeten zu finden, würde sich wahrscheinlich als schwieriger gestalten, wie erwartet.

Sein Weibchen hier hatte die Berührung seiner Hand bemerkt, denn sie strich sich plötzlich über den Kopf. Sie spürte ihn also? Aber sehen konnte sie ihn nicht. Rub war erleichtert, dass dem so war.
 

Wieder sah er auf das Muster auf dem weißen Schild vor ihr. War das ihre Arbeit, der sie nachging? Zeichen schreiben in ein Viereck, welches aus lauter Vierecken bestand? Wie sollte sich das den nennen? Wenn das wirklich ihre Arbeit sein sollte, hatte sie wohl einen weitaus mieseren Posten wie er selbst. Ungläubig schüttelte er den Kopf, als ein Klingeln ertönte. Sie stellte sich sofort gerade hin und griff nach einem Apparat.
 

„Gittas Waschsalon“, sagte sie, doch dann hatte sie wieder diesen freundlichen Blick und ihre dunklen Augen begannen zu leuchten.

„Ach hallo Schatz. Du bist es.“
 

Während sie mit ihrem Kommunikator sprach und mit dem Finger in der hellen Masse auf ihrem Kopf herum spielte, machte sie wieder ein dieser runden Kugeln mit den Lippen und dieses Mal konnte sich Rub nicht zurückhalten. Der Drang, diese zu berühren, war nicht länger zu unterdrücken und er streckte den Finger danach aus. Bei der Berührung dieser, ging sie jedoch zu Bruch. Die leuchtende Masse hatte ein unangenehmes Brennen an seinem Finger erzeugt, dass er die Hand schnellstes wieder zurückzog und sich wirklich beherrschen musste, dass er vor Schreck und Schmerz nicht aufschrie. Das Weibchen blickte sich sofort irritiert um. Ihre dunklen Augen suchten alles genau ab. Rub trat schnell noch ein Stück zurück. Erst recht, als ihr Blick plötzlich finster wurde und sie die Streifen über den Augen weit herabsenkte.

„Irgendetwas stimmt hier nicht, Ralph“, sagte sie und sah sich abermals um. „Wovon ich spreche? Das wüsste ich wohl selbst gerne.“ Gitta seufzte kurz. „Nein, heute ist hier nicht viel los. Ich denke, ich kann hier pünktlich verschwinden. Ja, das bringe ich mit. Ich liebe dich auch“, sagte sie noch und schaltete ihren Kommunikator wieder ab.
 

Vor dem Porthal zu diesem Raum liefen weitere Menschen vorbei und einer von ihnen trat schließlich ein. Rub beeilte sich, dass er wieder hinter den Tisch kam. Keineswegs wollte er noch in Kontakt mit einem weiteren dieser Spezies kommen. Nun würde er aber endlich beobachten können, wie die beiden kommunizierten, doch er wurde enttäuscht.

Das einzige was sie sagte war: „Hi.“

Woraufhin er ihr ein „Hallo“ zurückgab. War es das schon? Rub runzelte die Stirn und blickte dem Männchen hinterher, bis dieser um der Ecke verschwunden war. Kein besonders kommunikatives Volk. Allerdings hatte sie in ihr Sprechgerät wesendlich mehr Worte gesagt. Gab es hier vielleicht auch diesbezüglich strenge Vorgaben? Welche Worte mit wem zu wechseln erlaubt waren? Was das Männchen dort wohl gerade tat? Und dieses Weibchen war völlig ungerührt davon? Nein, Rub hatte sich geirrt. Sie war an einen anderen Apparat herangetreten. Einen mit einem Bildschirm, auf welchem ein seltsames Motiv zu sehen war. War das die Göttin dieses Volkes? Sie hatte das selbe weiche Zeug auf dem Kopf, wie das Weibchen neben ihr. Abermals hob Rub den Blick. Im Augenblick interessierte es ihn viel mehr, was dieses Männchen dort hat. Er lief um den Tresen herum und verschwand ebenfalls in jene Richtung.
 

Gitta glaubte Geräusche gehört zu haben und hob den Blick, konnte jedoch nichts verdächtiges sehen. Waren da Schritte? Sie hatte ein ungutes Gefühl. Hoffentlich war dieser Tag bald vorbei...
 

Rub Drx war derweil dem Männchen gefolgt und sah diesem zu, wie er aus einer Hülle Dinge hervorzog, welche dem, des Weibchens ähnlich waren. Diese packte er in einen der hier reichlich vorhandenen, eckigen Maschinen, die an der Vorderseite ein rundes Loch hatten, an welcher eine ebenfalls runde Klappe war. Nachdem er alles dort hineingepackt hatte, schloss er die Klappe der Apparatur und lief an den Rand des Zimmers, an welcher er mit einem Gefäß ein helles Pulver hervorbrachte. Rub überlegte, was dieser Mensch dort tat, doch während er das tat, lief dieser auf ihn zu. Rub Drx reagierte zu langsam und der Mensch lief geradewegs in ihn hinein. Er wusste nicht was er tun sollte. Panisch trat er sofort einen Schritt zurück, doch an seinem Körper hatte er jetzt tatsächlich dieses weiße Pulver hängen.
 

„Gitta?“ Sofort wurde die Frau alarmiert, welche sofort um die Ecke gestürmt kam.

„Spukt es bei dir hier im Laden?“ Rub befreite sich schnellstens von der weißen Masse. Die Beiden Menschen hatten jetzt also mitbekommen, dass sie hier nicht alleine waren. Verdammt! Er hätte sich Ohrfeigen können.

„Ich hatte auch schon so ein seltsames Gefühl...“ Gittas grinsen sah Rub nicht, ganz davon abgesehen, dass er es ohnehin nicht hätte deuten können. Eilig trat er noch weiter nach hinten und lief um die nächste Ecke und zwischen weiteren dieser viereckigen Kisten mit der runden Klappe herum, bis er schließlich mit genügend Abstand zu den beiden Menschen, wieder in den vorderen Bereich kam.

„Ich wisch das dann zusammen“, sagte Gitta und sah sich weiterhin um. „Vielleicht zieht es hier auch nur...“ Worte, mit denen sie sich selbst zu beruhigen versuchte. Ihr Kunde zuckte bei ihren Worten nur mit den Schultern.

„Das wird es wohl gewesen sein.“
 

Die Besitzern dieses Ladens trat wieder zurück an den Tresen. Da sie ihre Brille heute vergessen hatte, war sie ohnehin gezwungen, zu warten, dass sie keine Kunden hier hatte, die ihr bei der Arbeit zusehen würden. Wenn sie beim kehren halb über den Boden robbte zum Beispiel... Warum war sie hin und wieder nur so vergesslich...
 

Die Zeit verging schleppend langsam, bis der andere Mensch endlich wieder verschwunden war. Rub hatte sich die ganze Zeit über eng an die Wand gestellt und beobachtete die Menschenfrau jetzt ganz genau. Seine gelben Augen hingen fest an ihr. Sobald sie hier herüber kommen würde, würde er wohl lieber verschwinden. Ja, er fürchtete sich, auch wenn er das eigentlich gar nicht zugeben wollte. Immerhin hatte er sich freiwillig zu diesem Auftrag gemeldet, aber auf diesem Planeten nun festzusitzen, war ihm plötzlich ein Graus. Und ihr einen Betäubungsstoß versetzen? Im Notfall würde er es tun, aber ein Freund von solchen Waffen war er noch nie gewesen.
 

Die Zeit schien sich anschließend wieder ewig zu ziehen, als sie endlich doch wieder ihren Posten verließ und Rub unbeobachtet war. Sofort trat er wieder an den Tresen heran und hängte sein Augenmerk an das Schreibgerät dieser Frau, mit welchem sie die ganze Zeit über diese Symbole in die Kästchen gemalt hatte. Mit einer schnellen Bewegung nahm er ihn auf und analysierte ihn schließlich. Der Organisator brauchte jede Menge Informationen aber im Augenblick nützten sie ihm ja noch nichts. Da musste er erst zu sein Schiff zurück gelangen.

Dann versuchte er es selbst. Er hielt den Stift auf die selbe Art, wie es bereits das Weibchen getan hatte und verewigte sich auf dem Tresen, doch da war sie bereits zurück. Ganz langsam ließ er die Hand sinken, doch ihr Blick hatte ihn fixiert.
 

„Spinne ich jetzt?“, flüsterte sie. Sie hatte zwar ihre Brille nicht auf, aber schwebte da nicht ihr Kugelschreiber? Nur langsam wagte sie sich heran. Ganz langsam. Und als sie am Tresen angelangt war streckte sie den Arm aus und zog einen Kreis. Dabei traf sie auch Rub mit den Fingerspitzen und dieser musste aufpassen, dass er keine Geräusche machte, da ihn diese Berührung gekitzelt hatte.

„Ist jemand hier?“, flüsterte sie. Rub Dah’hl Drx schwieg und trat abermals von ihr weg. Bewegte dabei jedoch kurz die Hand vor ihren Augen hin und her. Nein, sehen konnte sie ihn definitiv nicht. Doch ein Piepen seines Organisators an seinem Handgelenk ließ Rub zusammenzucken. Oh nein, dachte er sich. Nicht jetzt. Das Energiemodul war kaum noch geladen. Es war bereits unter 10 % gefallen. Diese Unsichtbarkeitssache fraß Unmengen Energie. Wenn dieses Gerät ausfallen würde, wäre er nicht länger unsichtbar und diese Menschenfrau würde ihn sehen können. Und dann? Rub Dah’hl Drx hob den Blick und besah sich das Portal, durch welches er hier eingetreten war. Wenn er sichtbar wurde, musste er sehen, dass er hier wieder wegkam. Alles andere war viel zu gefährlich.
 

Seine Vorgesetzten hatten immerhin klar festgelegt: KEIN direkter Kontakt! Sie hatten ihm auch nicht den Auftrag erteilt, ein lebendes Exemplar zu fangen. Er sollte nur beobachten und Daten sammeln. Nicht mehr.

Wieder piepte sein Organisator und dieses Mal was es vom Menschenweibchen nicht ungehört geblieben. Sie hatte sich aufgerichtet und blickte sich suchend um. Rub begann ihre Angst sofort zu spüren.

„Ist jemand hier?“, fragte sie schließlich laut in den für sie leeren Raum hinein. Dann kam sie hinter ihrem Tresen hervor und lief zurück in den Gang mit den Maschinen.

„Hallo?“

Rub schluckte und ihm wurde plötzlich heiß. Ein seltsames Gefühl, wo dieser Planet doch so kalt war. Er sah ihr nach, folgte ihr jedoch nicht. Insgeheim ärgerte er sich jedoch. Er hätte sie NICHT anfassen dürfen! Das war gar nicht seine Aufgabe gewesen und jetzt spürte er ihre Angst! Dafür würde es sicherlich eine Strafe geben von seinen Vorgesetzten.
 

Als sie wieder zurück kam, war es bereits passiert. Der Organisator war ausgefallen. Schleunigst war er zum Portal gelaufen, doch sie erwischte ihn noch, als er nur wenige Schritte davon entfernt stand.
 

„Hi.“ Kurz blickte sie zu ihm auf und sah ihn an. Dabei zog sie spitzbübisch den Mund. Hatte sie diesen riesigen Kerl hier tatsächlich übersehen? Der hätte ihr doch auffallen müssen, als er ihren Laden betreten hatte. Gitta war erleichtert, dass es hier doch nicht spukte. Alles andere hatte sie sich wohl zusammengesponnen.

Rub Drx hatte leider keine Ahnung, was sie ihm da gesagt hatte. Aber das hatte sie vorhin schon einmal gesagt. Vielleicht hätte er sich beim Fremdsprachenunterricht nicht so oft drücken und stattdessen mehr lernen sollen. Er spürte keine Aggression, die von ihr aus ging, deshalb nahm er einfach mal an, dass es sich tatsächlich um eine Art Begrüßung gehandelt hatte.

Unschlüssig kratzte er sich am Kopf und gab ihr schließlich dieselbe Antwort zurück, was jedoch bei der andersartigen Beschaffenheit seiner Stimmbänder erheblich anders klang.

Wieder sah sie ihn an. “Kann ich... Ihnen...irgendwie helfen?“ Verdammt! Warum hatte sie nur ihre Brille zu Hause vergessen! Ihre Augen waren ohne Zweifel gerade einem Trugbild ausgesetzt.

Rub antwortete nicht. Wie auch. Eine Unterhaltung würde er niemals zustande bringen und sein tragbarer Übersetzer lag leider noch zu Hause an seinem Arbeitsplatz, als er Hals über Kopf aufgebrochen war, um seine Chance nicht zu verpassen. Stattdessen wand er sich ab und griff nach der Türklinke. Er musste jetzt hier verschwinden. Dafür, dass er keinen direkten Kontakt aufnehmen sollte, war er bereits viel zu lange hier. Er betätigte den Verschließmechanismus dieses Portals und trat bereits halb draußen auf der glatten Oberfläche dieses Planeten, als er noch weitere Worte von ihr aufschnappte, mit denen er ebenfalls rein gar nichts anfangen konnte.

„Tolles Kostüm, aber Fasching ist vorbei.“ Damit war diese Sache für Gitta erledigt. Hier in dieser Stadt spielen wohl langsam alle verrückt. jeder zog an, was er wollte. Schulterzuckend wand sie sich ab, um wieder hinter dem Tresen zu verschwinden.
 

„Ein Alien!“, schrie plötzlich jemand lauthals über die Straße. Gitta hob genervt kurz den Kopf. Sie wusste, wer da herum plärrte. Diese Nachbarin war geistig gestört und es kam öfter vor, dass sie hier irgendwen sah, den es nicht gab. Oder nicht mehr gab. Elvis zum Beispiel. Ohne sich wirklich darüber gewundert zu haben, hängte sie ihren Blick wieder auf ihr Sudokurätsel.

„Spinnerin...!“

Nachtwanderung

„Warum musstest du noch gleich deine nervige, kleine Schwester mitnehmen?“, fragte Sam zum gefühlten Hunderten Male und erntete von seinen beiden Kumpanen nur ein Augenverdrehen, was man jedoch bei der vorangeschrittenen Dämmerung kaum noch sehen konnte.

„Weil sie Mum sonst erzählt hätte, wo wir hingehen.“ Dabei griff Kai fest die Hand seiner kleinen Schwester.

Diese hatte ein breites Grinsen im Gesicht. Es machte ihr unheimlich Spaß, ihren großen Bruder auf diese Art zu ärgern. Dennoch sah sie sich unruhig um. Sie hatte zwar ihre eigene Taschenlampe dabei, doch so richtig wohl fühlte sie sich nicht.

„Und warum sind wir noch einmal hier?“ Madleens Blick fiel kurz auf jeden der drei Jungs.

„Weil wir hier einen Kerker suchen, um dich wegzusperren“, war die Antwort von Sam, der Kais kleine Schwester noch nie leiden konnte.

„Gar nicht wahr!“, stellte diese jedoch sofort bockig klar und sah hilfesuchend zu Kai auf und leuchtete ihn dabei auch noch direkt an.

„Nein natürlich nicht. Unsere Mutter macht Kleinholz aus mir.“ Dabei blinzelte er, da ihn noch immer der Lichtkegel direkt traf. Kai steckte die eigene Taschenlampe in die Hosentasche, dass er eine Hand frei bekam und schlug Sam einmal derb gegen die Schulter.

„Erzähl nicht solchen Mist, klar?!“

Dirk begann zu kichern. „Ihr solltet euch echt mal hören. Ihr seit fast schlimmer als Maddy.“
 

Ohne ein weiteres Wort betraten sie schließlich das Gelände der alten Burgruine.

„Und hier soll es wirklich spuken, Kai?“ Madleen sah ihn mit großen Augen an, leuchtete ihm dieses Mal jedoch nicht in die Augen.

„Natürlich“, gab ihr dieser zurück. „Aber jetzt sei leise, ja?“

Die Kleine gab ihm ein Nicken zurück und der Kies unter ihren Füßen, war das einzige Geräusch, welches alles hier erfüllte. Auch beim betreten der Ruine. Sie war nicht abgezäunt und soweit noch in guten Zustand, dass man auch nicht Teile von ihr absperren musste. Jedenfalls kam man auch Abends hier in den Hof. Die große Tür, die zum Turm und zum noch erhaltenen Rittersaal führte, war natürlich verschlossen. Dort kam man nur tagsüber hinein, gegen Eintristegebühr versteht sich.

„Warum sind wir nicht heute Mittag mit unseren Eltern mit hier her gekommen?“, konnte sich die Kleine nicht mehr zurückhalten.

„Weil man Geister doch am Tage gar nicht sieht“, war die Antwort ihres großen Bruders.

Die kleine Truppe lief schließlich über den Hof und folgte dem Trampelpfad, der auf der offenen Seite, der Burgmauern um die steinernen Überreste herumführte.

„Pst!“, kam es schließlich von Sam. „Habt ihr das gehört?“

Alle hielten an und lauschten. Keiner wagte es auch nur zu atmen.

„Ich habe nichts gehört“, flüsterte Madleen schließlich, als sie das Schweigen nicht länger aushalten konnte.

Das hier alle ein falsches Spiel trieben wusste nicht nur sie. Das sollte hier wohl nur ein Scherz werden, um sie zu erschrecken, weil sie doch unbedingt mitwollte.

Ein Flügelschlagen, über den Köpfen der Gruppe, ließ alle zusammenzucken. Sofort hoben alle die Blicke.

„Eine Eule oder eine Fledermaus“, schlussfolgerte Dirk.“

„Es gibt nämlich gar keine Gespenster,“ murrte Madleen schließlich und begann mit den Füßen auf dem Boden zu scharren. Wäre sie nur nicht so blöd gewesen und mitgegangen. Hätte sie ihren Bruder lieber doch gleich verpetzt.

„Auch? Glaubst du das?“ Sams Stimme klang unheilvoll und als er sich zu Maddy umwand, hatte sich dieser die Taschenlampe unters Kinn gehalten und ließ damit sein Gesicht schaurig wirken.

Ohne, dass sie es wollte, zuckte die Kleine zusammen, doch ihr Blick war dabei gar nicht auf Sam gerichtet.

„Da drüben...“ Sie deutete sofort mit dem Finger, zu einem der Fenster hinauf, die nun in der freistehenden Mauer keine Bedeutung mehr hatten.

Sam hob die Augenbrauen. „Na klar.“ Versuchte sie jetzt allen ernstes ihn zu vergaggeiern? „Na da werde ich mal nachsehen. Ihr wartet hier, okay?“

Dabei zwinkerte er Dirk zu. Und dieser wusste sofort bescheid. Jetzt würde wieder sein regelmäßiger Scherz folgen. Dirk selbst fand diese Witze schon lang nicht mehr komisch, aber er würde sich hüten, seinem Kumpel die Stimmung zu versauen.

„Alles klar. Wir warten hier“, gab er stattdessen von sich und blickte zu Kai hinüber. Dieser nickte nur.

„Gut. Ich rufe euch, wenn die Luft rein ist.“

Maddys Blick folgte Sam mit Unruhe. Na zum Glück ließen sie hier nicht alle stehen. Da hätte sie die ganze Burg zusammengeschrieen.
 

Sam sputete sich, dass er um der nächsten Ecke verschwand. Dieser kleinen Nervensäge würde er es zeigen. Nach diesem Abend würde er Kai wohl einmal anständig den Kopf waschen müssen! Er bog in die nächste Nische ein und wartete kurz. Hier würde er jetzt allen auflauern. Die Jungs wüssten schon was zu tun war. Außerdem war er von der Seite, von welcher er hier herangetreten war, ohnehin nicht zu sehen. Zumal er jetzt ein ganzes Stück höher war. Er würde im rechten Moment herausspringen und Maddy hoffentlich gehörig erschrecken. Vielleicht auch die anderen beiden. Hin und wieder klappe dies ja noch. Wie er sich darauf freute...

Sam wollte gerade mit einem Ruf auf sich aufmerksam machen, dass hier alles in Ordnung war, als ihn ein komisches Gefühl durchströmte. Er blickte an sich herab und glaubte zu träumen. War es doch eine Hand, die plötzlich aus seiner Brust ragte. Völlig außerstande, zu irgend einer Lautäußerung starrte er diese einfach nur an. Es hatte nicht wehgetan, doch es fühlte sich seltsam an. So kalt...

Als er endlich wieder klar bei Verstand war, versuchte er schnellstens aus seinem Versteck zu springen, doch diese seltsame Hand, welche ihm selbst so geisterhaft schien, packte nach oben, zu seinen Hals und brachte seinen Atem zum erliegen...

Vorfreude

Jonas stand ungeduldig neben der breiten Tür und wartete, bis der letzte Gast den Vorführraum verlassen hatte. Dabei versuchte er natürlich freundlich zu schauen, auch wenn es ihm zunehmend schwerer fiel. Er hatte heute noch eine Verabredung. Darauf freute er sich und der Gedanke daran, raubte ihm gerade jegliche Konzentration. Na ja Verabredung war vielleicht ein bisschen hochgestochen. Selina hatte eine Wette verloren und ihr Einsatz war, mit ihm einen trinken zu gehen. Er wusste, dass er gar nicht ihr Typ war, aber das spielte keine Rolle. Sie hätte sich ja auch etwas anderes ausdenken können, aber Wetteinsatz war Wetteinsatz und Selina stand zu dem, was sie versprach und das mochte er so an ihr.
 

Für einen kurzen Moment umspielte ein hämisches Grinsen sein Gesicht, doch er riss sich schnell wieder zusammen, als ein gestört blickendes Pärchen an ihm vorbeitrat. Er hoffte nur, sie schauten nicht seinetwegen so? Kurz blickte er ihnen nach. Nein, es hatte wohl doch an diesem seltsamen Horrorstreifen gelegen. Er selbst kannte ja nur den Trailer, aber das reichte ihm auch. Ihn sich selbst anzusehen, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Während er in Richtung Ausgang sah, lief ihm Selina ins Bild. Sie jobbte auch hier. Und genau hier war es auch zu dieser Wette gekommen. Sie grinste ihn kurz an und lief weiter. Jonas wusste, dass sie ihn mochte, aber er wusste auch, dass sie nie mehr an ihm sehen würde. Sie war anders. Eine ganz spezielle Frau und vielleicht käme er auf Dauer ohnehin nicht mit ihr klar. Dazu kam, dass ihn seine Mutter wohl umbringen würde, wenn er sie mitbrächte nach Hause. Überall tätowiert, immer das letzte Wort, auch wenn es niemals böse sind, eine Vorliebe für Kampfhunde. Jonas könnte ewig so weiter aufzählen, doch dann war endlich der letzte Gast aus dem Vorführraum herausgetreten.
 

Jonas steckte den Kopf hinein, um sich davon zu überzeugen, dass er Recht hatte und betrat schließlich den ehrwürdigen Saal. Tief zog er die Luft ein. Nach jeder Vorstellung roch es hier immer ein bisschen muffelig und dennoch tat er das jedes Mal. Es war wohl bereits zu einer Angewohnheit geworden. Auch darüber musste er wieder kurz grinsen. Dann lief er die Treppe nach ganz oben. Auf dem letzten Absatz stehend, hielt er inne und ließ den Blick schweifen. Wenn er hier so stand, überkam ihn immer irgendwie so ein Gefühl von Macht. Mit geschwellter Brust blickte er auf etwas herab, was es jetzt hier gar nicht gab. Doch während er seinen Gedanken nachhing, tauchte ein weiterer Kopf in der breiten Tür auf.

„Beeil dich, Napoléon! Ich habe morgen einen langen Tag!“

Jonas Kopf ruckte herum und er sah wieder in Selinas Gesicht. Ihr Grinsen war unverschämt. Sie hatte ihn also beobachtet? Na herrlich! Das bekam er jetzt sicherlich wieder Tagelang aufs Brot geschmiert.

„Ja doch...“ Sein Herz hatte zu rasen begonnen. Oh diese Frau...
 

Mit den Gedanken endlich bei der Arbeit, begann er die erste Reihe von Popkorn und anderem Unrat zu befreien. Er kehrte immer erst alles nach vorne und unten fegte er alles auf. Dieses Kleinstadtkino hatte zum Glück nur zwei Säle und um den anderen würde sich jetzt Selina kümmern. Und wenn er fertig war, hatte er endlich frei. Jonas begann zu pfeifen, während er die letzte Reihe und die vorletzte Reihe fegte. Dann fand er erst einmal noch zwei Colaflaschen. Der leere Kasten stand draußen im Gang, also würde er diese erst einmal wegbringen, doch als er wieder zurück war, stutzte er. Saß da doch noch jemand? Oder wurde nur eine Jacke vergessen? Jonas wand sich dem Lichtkasten zu und erhellte den Raum jetzt auch noch anständig an den Seiten doch als er sich abermals den roten Sitzreihen zuwand, bemerkte er, dass er recht hatte. Da saß noch jemand. Dieser Jemand war ziemlich tief nach unten gerutscht und schien zu schlafen.

„He, aufwachen!“, gab er dem Gast zu verstehen. „Der Film ist vorbei.“ Jonas erhielt keine Reaktion. Aber genaugenommen war es ihm auch ein Rätsel, wie man bei diesem Splatter-Movie überhaupt schlafen konnte.

Sichtlich genervt trat er in die viertletzte Reihe, stieg über eine riesige Bierlache und trat neben den Gast.

„He! Hallo aufwachen!” Dabei tippte er ihn an der Schulter an. „Der Film ist vorbei und ich würde gerne sauber machen.“ Als Jonas daraufhin einen Schritt von ihm weg trat, begann sich der Gast seltsam nach der Seite zu neigen. Das ungute Gefühl war sofort da. Der junge Student schluckte hart, als er sich ein Stück näher herabbeugte. Die Augen des Gastes waren offen und als er mit der Hand kurz davor hin und her fuchtelte, kam ebenfalls keine Reaktion. Kein gutes Zeichen. In seinem Kopf begann es zu arbeiten. Er war doch nicht etwa... Nur zaghaft streckte er die Finger nach der lichtegewordenen Stirn des Unbekanten aus und seine Vorahnung schien sich zu bestätigen. Eiskalt.
 

Mit wenigen, zügigen Schritten hatte er kehrt gemacht, den Saal verlassen und war zu dem anderen hinüber gelaufen. Selina hörte sofort auf, zu kehren, als sie Jonas in der Tür bemerkte, da diese Tür beim öffnen ein Quietschen von sich gab.

„Äh...“, rang er sich ab. „Hättest du vielleicht... mal... kurz Zeit?“ ...

Timeout – 1. die Stunde null

Die Straße war Menschenleer. Eine Tatsache, die recht ungewöhnlich war, für diese Uhrzeit. Immerhin war es erst 00:05 Uhr. Um diese Zeit kamen einige Schichtarbeiter aus den Fabriken. Zenobia stand am Fenster ihres Büros, welches sich im dreißigsten Stock befand und blickte mit hinter dem Rücken verschränkten Armen hinunter. Diese Ruhe da unten sagte ihr nicht zu. Nein, überhaupt nicht! Noch kurz ließ sie den Blick nach unten schweifen, dann wand sich die junge Polizistin jedoch ab und ihrem Schreibtisch zu. Sie ließ sich auf dem Drehstuhl aus rotem Kunstleder, nieder und fuhr mit den Fingern über die gläserne Tischplatte, bis sie an einer Stelle verharrten, an welcher sie mit ihrem Fingerabdruck das Kommunikationssystem aktivierte.

„Nachrichten?“, war ihre Standardfrage, die sie dem System stellte. Für gewöhnlich bekam sie ihre Aufgaben über den Kopfhörer gesagt, doch sobald sie ihr Büro betrat, schaltete sich dieser automatisch ab. Dringende Nachrichten wurden jedoch auch über den Rauminternen Lautsprecher sofort weitergegeben.

„Keine Auffälligkeiten in Ihrem Bezirk“, war die Antwort, die ihr das System nach wenigen Sekunden gab.

Zenobia nahm den Finger von der Armatur und lehnte sich zurück.

„Nichts? Na schön“, sagte sie gelangweilt seufzend. Dann hatte sie als alle Zeit der Welt. Sie hatte sich daran gewöhnt. Zum einen an diese Schichten, die sie eigentlich nur machte, weil sie damit ihren Verdienst hier erheblich verbessern konnte und zum anderen das eben jene Schichten auch stinklangweilig sein konnten. Zenobia griff sich ihren Becher mit dem Koffein – Glucose Getränk und nahm einen großen Schluck. Eigentlich mochte sie dieses Zeug gar nicht, da dieser Geschmack aus einer Mischung von Lakritze und Pappe nicht so ganz ihren Vorstellungen von wohlschmeckend entsprach, doch dieses Zeug wirkte und das sogar so gut, das kaum ein paar Sekunden vergingen, dass sie sich bereits fitter fühlte. Es gab zwar auch noch Waldmeister, aber diese Sorte löste bei ihr Kopfschmerzen aus. Wieso, konnte sie sich selbst nicht erklären. Alles andere hatte sie irgendwie noch nie probiert.

Auf der Armatur begannen drei LEDs der Reihe nach zu blinken. Keinen Moment später meldete sich wieder die weibliche Computerstimme:

„Beginn der regulären Streife in null Stunden, zehn Minuten.“

Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Das passierte jedes Mal, wenn sie diese Meldung bekam. Sie war nur froh, dass dieses Gerät nicht mit den Angaben Wochen, Monaten und Jahren begann. So ein Aufriss wegen zehn Minuten? Zenobia trank den Becher aus, erhob sich und warf ihn in den Abfallschacht, in der Ecke des Zimmers. In weniger als fünfzehn Minuten würde dieser Becher wieder in seine Bestandteile zerlegt worden sein, geschmolzen und bereits wieder in einer neuen Form einer anderen Aufgabe zugedacht werden. Wie schnell solche Prozesse doch mittlerweile von statten gingen. Sie hatte darüber eine Reportage gesehen, was jedoch nicht heißen sollte, dass sie sich für so etwas interessierte. Nein, in Wirklichkeit war es ist so ziemlich egal, woher die Becher kamen und wohin sie gingen.
 

Zenobia verließ ihr Büro und trat über den Gang. Da sie bereits jetzt ihren Laserschusssicheren Arbeitsanzug trug, konnte sie sich jetzt Zeit lassen. Mal wieder. Der Turbolift würde nur ganze fünf Sekunden brauchen, bis er unten in der Garage ankam und wenn sie Pech hatte, wartete sie ebenfalls maximal fünf Sekunden, bis dieser überhaupt hier ankam. Zeit? Was war das hier schon noch? Alles ging so rasend schnell, dass man schon gar nicht mehr darüber nachdenken musste.

Während sie um die nächste Ecke bog, öffnete sich bereits der erste Lift, der sich in diesem Teil des Gebäudes befand und jemand, den sie mehr als nur gut kannte, trat heraus. Ein erfreutes Lächeln zierte sofort ihr Gesicht.

„Kay...“

Der herausgetretene sah sofort von seinem direkten Weg ab und blieb genau vor ihr stehen.

„Zeno Baby.“ Er schloss sie in die Arme, zog sie dabei eng an sich und gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen. Als sie diese endlich wieder für sich hatte, blickte sie ein bisschen ratlos zu ihm auf.

„Haben sie deinen Dienstplan umgestellt?“ Wenn ja, konnte das noch nicht so lange her sein. Schließlich waren die Beiden ein Paar und so etwas hätte sie gewusst.

„Ja. Zu minderst für die nächsten drei Wochen. Es sind schon wieder zwei von uns ausgefallen.“

Was er damit meinte? Kay war ein Klon. Von seiner Baureihe gab es insgesamt 50 Stück. Obwohl Baureihe ein schlecht gewähltes Wort ist. Immerhin war er ein Mensch, auch wenn er das ein oder andere mechanische Teil in sich hatte. Unter anderem einen Speicherchip, der seine Firmeninternen Informationen beinhaltete, ein nachtsichtfähiges Auge, was sich von dem anderen jedoch optisch nicht unterschied und auch ein Ohr, mit dem er ihm Ultraschallbereich hören konnte. Von diesen 50 waren jedoch nur noch 23 in Betrieb gewesen. Obwohl auch dieses Wort mehr als unpassend war. Sie waren gestorben. Einige hatten einen Unfall, andere sogar durch Fehlfunktionen. Und nun waren es wohl wieder zwei weniger.
 

Da die Regierung und die Herstellerfirma es vorgezogen hatten, sie aus Kostenspargründen, nicht wie die Hühner in einer Legebatterie zu halten und sie damit ebenfalls vermeiden wollten, dass einige von ihnen durchdrehten und zu Psychopaten wurden, wurden die Klone stattdessen bei Pflegeeltern untergebracht und damit hatte er auch einen Namen bekommen. Kay Redradex war sein voller Name nun und seine Kennnummer war die 2.043. Kay versuchte alles, um sich von den anderen seiner Baureihe abzuheben. Er hatte gern einen Iro und seit geraumer Zeit trug er auch eine tätowierte Spinne an seinem Hals, was ihm zusätzlich den Spitznamen Spider eingebracht hatte.
 

„Es sind schon wieder zwei ausgefallen?“ Wenn Zenobia so etwas hörte, drehte sich ihr fast der Magen um. Es hörte sich in ihren Ohren so unmenschlich an und gleichzeitig hatte sie große Angst, dass es auch ihn irgendwann erwischen würde. „Was war es dieses Mal?“

„Kann ich dir nicht sagen, Liebling. Solche Informationen kommen nie bei uns an.“ Er legte ihr seine Stirn auf die Schulter und schmuste sich an sie.

Um ihn abzulenken, klopfte sie ihm auf den Rücken und blickte keck zu ihm auf. „Das heißt also, wir haben jetzt drei Wochen lang die gleiche Schicht?“ Ihr Lächeln hiebt sie bei.

Kay gab ihr erneut einen Kuss und grinste anschließend. „Genau dass heiß es.“ Dann gab er sie aus ihrer Umarmung frei. „Weißt du schon wo sie dich hinschicken?“, fragte er interessiert.

Zenobia schüttelte den Kopf. „Wohin die Reise geht, werde ich sehen, wenn ich aufgestiegen bin.“ Unruhig sah sie sich um, doch an dieser Stelle gab es natürlich keine Uhr. „Ich muss los Schatz.“ Damit war sie auch bereits im Fahrstuhl verschwunden, in den sich, neben ihr, noch drei weitere Kollegen gesellt hatten. Kay sah sie noch so lange an, bis sich die Tür geschlossen hatte, dann setze auch er seinen Weg fort. Bevor er seine Tour fahren würde, sollte er noch einmal bei seiner Chefin vorsprechen. Wahrscheinlich ging es um die Schichtänderung durch den Ausfall Seinsgleichen.
 

„5 – 4 – 3 – 2 – 1...“ Zenobia zählte leise mit. Sie zählte immer mit, wenn sie die Turbolifts benutzte. Allerdings hatte sie auch keine andere Wahl. Es gab zwar auch ein Treppenhaus, aber bei 30 Etagen? Dafür hatte selbst sie keine Kondition. Wenn sie laufen würde und hier ankam, würde sie sicherlich zusammenbrechen. Zenobia folgte schließlich ihren Kollegen durch die hell erleuchtete Halle, in welcher sie beim bloßen hindurch schreiten auf ihren körperlichen Zustand überprüft wurden, genau wie die Kleidung auf ihre Intaktheit. Bei den Anzügen kam es hin und wieder vor, dass er eine Beschädigung hatte und ausgetauscht werden musste um die Sicherheit seines Trägers zu gewährleisten. Die darin enthaltenen Codes machte eine genaue Zuordnung sofort möglich.

Und natürlich blieb auch jetzt die Computerstimme nicht still: „8622 Kabine 20“, war ihre Angabe. Einer der Männer hob registriert die Arme.

„Ich wusste es.“

Die beiden Anderen lachten auf und auch Zenobia konnte sich ein grinsen nicht verkneifen. Einige ihrer Kollegen legten es nahezu darauf an, diese Technik immer und immer wieder zu testen. Kabine 20 hieß jedoch lediglich, dass irgend etwas an seinem Anzug nicht stimmte. Keine Besorgnis also. Alles was die Gesundheit betraf, war nur bis Kabine zehn. Und mehr davon waren auch nicht nötig. Denn wer sich wirklich schlecht fühlte und das auch selbst an sich merkte, der kam gar nicht erst hier her.
 

Die kleine Gruppe, der nun auch noch weitere Kollegen und Kolleginnen gefolgt waren, hatten den Scanraum endlich durchschritten und kamen nun an die Ausgabestelle, in der sie ihre Waffen und die Helme bekamen. Hier herrsche immer reges Gedränge, trotz dass es hier mindestens fünfzig Konsolen gab. Immerhin musste es manchmal schnell gehen, aber natürlich waren die, mit den kürzesten Weg immer zuerst blockiert. Zenobia ließ sich davon nicht mitreißen. Sie hatte noch junge Beine und trat regelmäßig bin in die hinteren Bereiche heran. Hier hatte sie wenigstens ihre Ruhe. Vor der Konsole stehend, nahm sie Haltung an.

„Del Piri, Zenobia. Kennnummer: 7583.“ Dann wartete sie, denn der Augenscan musste noch vollzogen werden. Durch die mehr als genaue Angabe aller Daten wurde sichergestellt, dass kein Unbefugter irgendetwas erlieht und jeder Polizist nur die ihm zugeteilten Waffen, deren Erlaubnis er besaß. Genau wie die Helme, die sich natürlich unterschieden, welcher Aufgabe jeder Polizist nachging. Und jeder bekam seine Kopfhörer, für weitere Instruktionen, der Leitstelle. Sie war Streifenpolizistin. Unterwegs war sie mit dem Motorrad. Also bekam sie einen Faser mit Holster, der auf Betäubung stand und einen Motorradhelm.

Auf den Weg, zu den Maschinen klemmte sie den Kopfhörer fest und schlang sie den Waffengurt um sich. Der Helm, der bis dahin optisch nur an einen Kopfhörer erinnerte, hing ihr dabei um den Hals. Erst wenn sie ihn sich auf die Ohren setzte, würde er wie ein Fächer auseinander klappen und schließlich den Motorradhelm bilden. Auch bei den Maschinen trat sie wieder bis ganz nach hinten durch. Sie standen in Reih und Glied und heute hatte sie die, mit der Nummer 39. Zenobia stieg auf den Sitz und legte die Finger auf die Sensoren, dass die Maschine anhand ihres Fingerabdruckes auf sie reagierte, doch was nach der Registrierung geschah, war das aufblinken einer Anzeige, dass sie den Helm nicht trug. Ein Schmunzeln legte sich auf ihre Lippen. Ja, auch sie testete hin und wieder die Technik aus. Sie fasste schließlich nach dem Helmbügel und setzte ihn sich auf die Ohren. Dann dauerte es vielleicht zwei Sekunden und die einzelnen Teile fächerten sich nach der einen Seite über ihr Gesicht und brachten damit das verdunkelte Visier zum Vorschein und die andere Hälfte legte sich über ihren Hinterkopf und lief schließlich mit dem Ende des vorderen Teils zusammen. Erst nach dem erneuten Griff nach dem Lenker startete die Maschine und das Tor, dem sie am nächsten stand, rollte sich nach oben auf. Endlich konnte die Fahrt losgehen.
 

Durch die zunächst vom Autopilot gesteuerte Fahrt, konnte sie sich erst einmal seelisch und moralisch auf ihre jetzt sicherlich mehrere Stunden dauernde Fahrt vorbereiten. Sollte es keine Zwischenfälle geben, aber die gab es meistens. Die Verbindung zum Server wurde aufgebaut. Dadurch, dass sie sich jetzt nicht auf die Straße konzentrieren musste, hatte sie die Anzeige genau im Blick. Dann war auch bereits die Computerstimme hörbar.

„Bezirk 60, Straße 7CA. Unnatürliche Stromunregelmäßigkeiten.“

Die Maschine wendete sofort. Auch jetzt hatte der Verkehr nicht zugenommen. Zenobia dachte nach, was sich in diesem Bezirk befand. Der Gedanke daran, dass er doch recht weit von ihrem jetzigen Standpunkt entfernt war und dies recht ungewöhnlich war, dass sie gerade dorthin gelotst wurde, ließ sie etwas unruhig werden. Doch sie versuchte sich zu beherrschen, immerhin wollte sie nicht wieder zurück geschickt werden, nur weil ihr Herz einen panischen Rhythmus einschlug. Bezirk 60 waren auf jeden Fall Industrieanlagen. Zapfte vielleicht wieder jemand heimlich Strom ab und brachte damit die Versorgung der Konzerne durcheinander? Eine Ungewöhnlichkeit war es jedenfalls nicht mehr. Das waren Verbrechen, die sich in dieser Stadt zusehends häuften. Aber warum schicken sie gerade sie dort hin? Hatte sie nicht eine andere Einteilung zu erhalten? Wenn man jetzt schon Polizisten aus Bezirken heranzog, die mindestens 30 Bezirke entfernt waren, musste es wirklich ein Notfall sein.
 

Es dauerte nicht sonderlich lange und sie war längst nicht mehr der einzige Polizist, der in diese Richtung fuhr. Also doch ein Notfall? Die einzelnen Maschinen verteilten sich. Es waren jetzt auch Pkws unterwegs und in der Ferne konnte sie sogar zwei Gleiter ausmachen. Was da wohl los war? Die Computerstimme meldete sich erneut.

„Betäubung des Fasers auf 60 % heraufgesetzt.“ Zenobia nahm dies überrascht zur Kenntnis. Normalerweise war ihrer auf 15 % eingestellt. 60 % waren da schon eine ganze Menge mehr und legten wesendlich länger lahm. „An alle Fahrzeuge: Störung der genauen Ortung durch wiederholte Spannungsschwankungen des gesamten Netzes in den Bezirken 60, 61, 71 und 72.“

„Jetzt wird es ja wirklich interessant“, murmelte Zenobia und machte sich bereit, den Autopilot abzuschalten und selbst die Kontrolle des Motorrades endlich zu übernehmen. Sie fuhr ohnehin lieber selbst. Diese ganze Fernsteuerei ging ihr auf die Nerven. Aber hin und wieder war diese Technik auch ganz praktisch. Sie ließ sich noch bis über die nächste Kreuzung bringen und schaltete den Autopilot endlich ab. Im Rückspiegel sah sie weitere drei Motorräder ihr Tempo drosseln. Auch diese taten es ihr wohl gerade gleich. Sie holten kurz auf und begaben sich somit neben ihr in eine Reihe. Zenobia beobachtete ihre Anzeige, auf der Maschine, welche in einen warnenden Bereich überging.

„Gefährlichkeit Stufe vier“, säuselte der Kopfhörer.

„Vier?“, wiederholte sie und in ihrem Kopf arbeitete es. Hatte sie jemals einen Auftrag mit der Stufe vier erledigen müssen? Sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. In Reihe fuhr die kleine Gruppe schließlich nach rechts in die nächste Gasse ein. Hier war jetzt jedoch deutlich zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Zügig durchquerten sie die schmale Durchfahrt. Hier waren sie nicht sicher. Auf der anderen Seite angekommen, fuhren sie noch bis an die nächstengrößte Kreuzung und stiegen ab. Zwei verdächtige, abgedunkelte Transporter waren den dreien ins Auge gefallen, doch mit einem male meldete sich wieder ihr Kopfhörer: „Fehlalarm! Bezirk 60 räumen. Neuer Einsatzort: Bezirk 26!“

„Was?“ Aber das war doch unmöglich! Den Faser fest im Griff ließ sie sich von dieser Meldung nicht abhalten. Sie würde da jetzt reingehen!

„Wieder brummte die Stimme in ihrem Ohr und wiederholte seine letzten Worte. Doch der Empfang hatte merklich nachgelassen. Ein Knistern hatte sich darunter gemischt, welches kurz davor war, unangenehm zu werden.

Die erneute Wiederholung der selben Worte, brachte sie endlich dazu, dem nachzukommen, was sie tun sollte. Zenobia kehrt um. Die Anderen waren längst wieder auf ihre Maschinen gestiegen.

Dann ein erneuter Funkruf: „Neuer Einsatztort: Bezirk 10.“ Die junge Polizistin begann an ihrem klaren Verstand zu zweifeln. Was zum Teufel war hier los? So eine Koordinationsrosigkeit herrschte doch sonst nicht. Sie hob den Blick und merkte, dass es den Anderen, die mit ihr noch immer hier waren, wohl nicht anders ging. Als einer der Blicke sie traf, hob Zenobia resigniert die Arme, denn eine weitere Meldung gesellte sich zu der zuvor gehörten, welche sich zu wiederholten begann, als hätte eine Disc einen Sprung. Dann liefen beide Funkrufe nahezu parallel. Etwas stimmte hier nicht. Aber ganz gewaltig. Sie befestigte ihre Waffe wieder an ihrem Holster und trat mit großen Schritten auf ihr Motorrad zu. Vielleicht würde sie das Stimmenwirrwarr aus ihren Ohren bekommen, wenn sie doch einen der beiden Zielorte anfuhren? Hier würde sie das jedenfalls nicht länger aushalten. Zenobia saß auf und folgte den bereits losgefahrenen Motorrad. Dieses fuhr, wie es schien in den Bezirk 26. Der war von hier aus auch näher als die zehn, also würde sie sich ihm anschließen. Der Andere folgte ebenfalls. Drei Straßenkreuzungen, welche sie geradewegs durchfuhren, gesellten sich wieder in paar Andere zu ihrer Gruppe. Sie bogen alle schließlich ab, doch da meldete sich die Warnanzeige an ihrer Maschine.

„Ein Flugobjekt?“ Zenobia zuckte unmerklich zusammen. Auf Autopilot konnte sie jetzt nicht schalten. Die vollkommen wirren Zielortangaben würden die Maschine nur durcheinander bringen, also beließ sie es bei einem knappen Blick in den Rückspiegel. Und tatsächlich. Einer der Gleiter tauchte darin auf. War er außer Kontrolle geraten? Das hatte ihnen gerade noch gefehlt! Die Anderen hatten ihn auch längst gemerkt und bogen in verschiedene Richtungen ab. Zenobia wusste zunächst nicht, wem sie sich anschließen sollte, folgte dann jedoch der rechten Gruppe.

„Gleiter außer Kontrolle im Bereich 53, 12, 7...“ Rauschen.

Dann folgte eine Detonation und diese war verdammt nah, brachte jedoch keinen aus dem Gleichgewicht. Wahrscheinlich war der...

„Gleiter angestürzt im Bezirk 53...“ Rauschen.

Das war’s. Hoffendlich hatte dieser Gleiter keine Besatzung gehabt. So langsam bekam es Zenobia mit der Angst zu tun und ihr Sensor an der Maschine, der ihren Puls maß, reagierte bereits. Doch da der Autopilot nicht aktiv war, würde das Motorrad auch nicht anhalten.

„Gleiter abgestürzt im Bezirk 16... Gleiter außer Kontrolle im Bezirk 50...“

Die Gruppe lenkte jetzt von jenem Bezirk weg, von dem die letzte Warnung gekommen war. Doch diese Straße würde sie geradewegs in die Wälder bringen. Doch in diesem waren sie mit den Motorrädern erst recht nicht sicher. Zumal ihr Radius dort nur noch begrenzt und mit Genehmigung funktionierte. Ohne Autopilot war das zwar kein Problem, aber dennoch. Ein weiteres Geräusch von oben ließ die Erde erbeben. Dieses Mal musste es jedoch etwas größeres sein, als einer der Gleiter, welche für zwei Personen Platz boten und sie fuhren auch noch gerade darauf zu. Ein Personenflugzeug welche annähernd 500 Passagieren Platz bot, sank kontinuierlich gen Boden. Es würde abstürzen! Und zwar in den Wäldern! Und keiner schien es stoppen zu können. Die Gesamte Motorradflotte machte kehrt. Die wenigen Pkws, welche sich ebenfalls angeschlossen hatten, konnten auf dieser Straße jedoch nicht ohne weiteres wenden. Sie würden wohl einen Augenblick länger brauchen, bis sie von hier wegkamen. Doch noch bevor sich ein Großteil der Einheit hinter Industrieanlagen und Kompaktbauten in Sicherheit bringen konnten, gab es einen derartigen Hieb, dass kaum einer seine Maschine noch geradehalten konnte. Was auch immer in diesem Ding geladen war: Es kann nichts gutes gewesen sein. Ihre Bordelektronik setzte sofort aus. Die Stimme in ihrem Ohr verstummte. Auch das Rauschen verschwand.
 

Zenobia schaffte es gerade so, ihrem Vordermann wenigstens nicht ins Hinterrad zu fahren, während sie auf die linke Seite kippte und schon mit ihrem Knie abschloss. Vor Schmerzen schreiend, und gänzlich außer Stande irgend etwas dagegen zu unternehmen, sah sie ihrem Ziel entgegen, welches sie jetzt unweigerlich rammen würde. Ein Motorrad war vor ihr bereits zum liegen gekommen. Zenobia schloss die Augen. Sie wollte nicht sehen, wie sie dagegen prallte. Mit einem Ruck blieb ihr Motorrad jedoch stehen und trotz, dass sie noch immer auf der Seite schlitterte, schaffte sie es nur knapp, nicht nach vorne über den Lenker und das andere Motorrad zu fliegen und sich stattdessen mit aller Kraft festzuklammern. Was war jetzt nur passiert? Mitten auf der Straße lag sie. Die Funkverbindung zur Station war gänzlich abgebrochen und auf der Anzeige ihrer Maschine prangte ein großes, rotes ERROR! Mit zitternden Händen versuchte sie sich unter dem Motorrad herauszuziehen. Es fiel ihr so unsagbar schwer, doch dann näherte sich endlich jemand, um ihr zu helfen. Der Polizist, der herantrat, befreite sich von seinem Helm und Kay war es, der zum Vorschein kam. Zenobia war erleichtert ihn zu sehen und erst recht, dass es ihm gut ging. In den ganzen Wirrwarr und den Uniformen hatte sie ihn gar nicht erkannt.

Ohne weiteres hob er diese Maschine an und half ihr mit der anderen Hand auf. Mit Hilfe seiner Bionischen Kräfte, wäre es auch kein Problem für ihn gewesen, dieses Motorrad einige Meter weit zu werfen, doch jetzt hatte er damit zu tun, Zenobia zu halten. Ihr Knie hatte wohl doch mehr abbekommen, wie sie erwartet hatte. Als sie einen Moment verschnauft hatte, nahm auch sie ihren Helm endlich ab und dieser fuhr zusammen. Zenobia hängte sich den Kopfhörer um den Hals und berührte den Knopf in ihrem Ohr mit der Fingerspitze, während sie Kay betrachtete. Er wirkte wie erstarrt. Das gefiel ihr nicht und doch würde sie erst einmal versuchen, einen Funkruf zu starten:

„7583 ruft S35.8 Was ist hier los?“ Sie empfing nur ein Rauschen. dann war es für einen Augenblick verschwunden, dann jedoch mit voller Lautstärke zurück kam und sie dabei so arg erschreckte, dass sie sich den Kopfhörer aus dem Ohr riss.

Diesen Versuch ohne Ergebnis abgebrochen ließ sie endlich den Blick schweifen. Um sie herum das gleiche Bild. Verletzte, am Boden liegende und Polizisten, die ihnen aus ihren misslichen Lagen halfen. Kays Blick war noch immer starr, als sie wieder zu ihm aufsah, doch dann bemerkte sie etwas, was ihr gar nicht gefiel. Er rauchte aus dem linken Ohr. Sein mechanisches! Kays nun wirrer Blick hing sofort an Zenobia. Irgendwie hilfesuchend. Dann begann er zu taumeln und ließ sie dabei fallen. Sie griff geistesgegenwärtig nach ihrem, hinter ihr liegenden Motorrad und schaffte es noch rechtzeitig den Lenker zu fassen. Auch andere der Gruppe hier, schienen plötzlich Probleme mit dem Gleichgewicht zu haben. Die Klone! Es betraf nur sie. Einer nach dem anderen kippte um. Es waren mindestens vier.

„KAY!“

Zenobia versuchte ihn noch zu fangen, aber das war unmöglich. Sie konnte ihr Beim kaum bewegen. Es schmerze, dass sie schreien wollte, doch all das nahm sie gar nicht wahr, als Kay auf dem Boden aufschlug. IHR KAY!

„Oh nein. bitte nicht! Scheiße! Scheiße! Scheiße!“

Sie ließ ihre Motorrad los und robbte zu ihm hinüber.

„Kay?...“ Sie spürte wie ihre Augen feucht wurden.“ Vorsichtig griff sie seinen Kopf. Das Ohr rauchte noch immer. „Komm schon Baby..“

Erneut griff sie ihren Kopfhörer und versuchte es erneut mit einem Funkspruch, da zuckten seine Lider. Erleichtert holte sie tief Luft. Als er sie anblickte, war das Wirre aus seinen Augen gewichen.

„Das wird nichts bringen“, flüsterte er und meinte damit den erneuten Funkspruch, den Zenobia versuchte zu schicken. „Ich bekomme nicht einmal einen Zugang auf den Server.“ Durch die Kabel, die die Klone im Kopf hatten, war das für gewöhnlich kein Problem, aber wenn das nicht funktionierte, hieß das nichts Gutes.

„Ich komme auch nicht an den Server.“ Eine Kay-Kopie senkte resigniert den Kopf. Es ging wohl allen so, dann schenkte sie ihm wieder ihre Aufmerksamkeit. Kay Redradex hatte wieder die Augen geschlossen und Zenobia begann ihn sofort unsanft zu schütteln, bis er sie wieder ansah. „Und ich befürchte, dass ich auch nicht an die Informationen auf meinem Chip herankomme.“ Er schwieg kurz. „Doch, jetzt schon, aber der Speicher ist leer. Belegter Speicher: 0%...“

Der Nebel, der durch den Absturz, dieses Fliegers, alle eingehüllt hatte, wurde plötzlich von sämtlichen Lampen und Leuchen erhellt. Zenobia hob den Blick und sah sich um. Der Strom schien zwar wieder zu funktionieren, doch alle digitalen Zeitanzeigen an den Fassaden standen jetzt auf 00:00 Uhr und waren wieder beim Jahre 0 angelangt.

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.

„Na prost Mahlzeit...“

Sweet Dreams... - [11.07.2011]

Traum vom 11.07.2011...(hab allerdings ein paar Lücken sinnvoll gefüllt, dass es sich nicht so sprunghaft liest)
 

...
 

Ein muffiger Geruch hing plötzlich in der Luft. Meine knirschenden Schritte, auf abgebröckelten Putz und Glassplittern hallten durch die Gänge. Ein altes, verlassenes Gebäude. Vielleicht war es einst ein Krankenhaus? Ich bin mir nicht ganz sicher, aber möglich wäre es schon, denn die Gänge scheinen unendlich.

In der Ferne waren Geräusche zu hören. Schreie, die ich nicht einordnen konnte und ein Schleifen, als würde jemand etwas schweres über den Boden ziehen.

Soll ich durch Rufen auf mich aufmerksam machen, ist mein augenblicklicher Gedanke. Ich lasse es lieber sein. Irgendwo muss es hier doch bestimmt einen Ausgang geben. Den werde ich ja wohl noch alleine finden! Es ist jedenfalls auch kein Fenster in der Nähe, welches mir vielleicht die Etage jenes Gebäudes bereits verraten hätte. Dennoch ist die Sicht überraschend gut, trotz der Tatsache, dass auch keine der Lampen noch zu funktionieren scheint.
 

Unruhig laufe ich weiter. Es ist mir nicht wohl dabei, hier zu sein. Zumal ich nicht einmal weiß, wie ich hier her gelangt bin. Ich habe mich mittlerweile einem Treppenhaus genähert. Die breite, zweiflügelige Tür, welche ich dorthin durchtrete, steht offen und ist zum Teil aus den Angeln gehoben. Ein Luftzug ist es schließlich der mich aus den Gedanken reißt und mich aufblicken lässt. Die Treppe, die zu meiner rechten, nach oben führt, ist jedoch leer und ich kann hier auch keine Schreie mehr hören. Bedrückende Stille. Jedoch nur kurz.

Dann höre ich Schritte und diese nähern sich von hinten. Es sind langsame, fast schon behutsame Schritte. Die Person, welche sich nähert, kann also unmöglich ein großer, schwerer Klotz sein. Ich bleibe stehen und drehe mich danach um, um festzustellen, dass es sich bei dieser Person um ein altes Mütterchen handelt. Bekannt kommt sie mir jedoch nicht vor. Sie ist bekleidet unter anderem mit einer weißen Strickjacke. Doch Grund zur Beruhigung habe ich nicht.

Sie sieht schrecklich aus. Ganz so, als hätte sie einen schweren Unfall gehabt. Eine riesige Wunde klafft an ihrer Stirn. Eines ihrer Augen ist derartig zugeschwollen, dass sie damit definitiv nichts sehen kann und sie ist schrecklich blutverschmiert. Aber dieses Blut scheint längst an ihr festgetrocknet zu sein.
 

Ohne zu zögern, setze ich meinen Weg – jetzt jedoch im zügigen Laufschritt – fort. Nur weg! Was zum Teufel war das!? Aber eigentlich will ich gar nicht darüber nachdenken und dennoch tue ich es. Wenn diese Dame derartig verletzt ist, wie sie aussah, ist es mir erst recht ein Rätsel, wie sie da noch gerade laufen kann. Mir wird übel. Der Gedanke, dass sie vielleicht Hilfe gebrauchen könnte, kommt mir gar nicht in den Sinn. Meine schnellen Schritte bringen mich zügig über den Gang und an die nächste Wegkreuzung. Ich biege dieses Mal links ab und da ist erneut eine breite, zweiflügelige Tür. Diese scheint jedoch intakt und sie hat auch kein Glas, durch welches ich auf die andere Seite sehen kann. Möglicherweise ist das sogar bereits der Ausgang?

Ich trete heran, betätige die Klinke und ziehe – jedoch vergebens. Das wäre auch zu schön gewesen.

Hinter mir sind wieder die Schritte. Die alte, blutverschmierte Frau hat also aufgeholt. Dann höre ich ihre Stimme und muss schlucken.

„Hier kommt niemand wieder weg“, höre ich sie sagen.

Ich spüre deutlich, dass meine Hände, mit denen ich noch immer krampfhaft an der Tür zerre, zu zittern beginnen. Gehetzt sehe ich mich um. Die Alte hat sich nicht näher wie drei Meter herangewagt. Seelenruhig steht sie im Gang. Ganz so, als würde sie eine Antwort von mir erwarten, aber ich kann nicht. Mein Hals ist trocken und fühlt sich schrecklich zugeschnürt an. Und ich habe eine Gänsehaut – wohl annähernd überall.
 

Für einen Schlag scheint mein Herz auszusetzen. Der Blick der Alten scheint überrascht. Da ich hier nicht weiterkomme, überlege ich nicht lange. Ich gebe gas, renne an ihr vorbei und schiebe sie dabei nahezu aus dem Weg. Sie versucht mich zwar zu packen, doch ihre Bewegungen sind viel zu langsam. Beinahe reiße ich sie um. Ich renne den Weg zurück, doch entscheide mich dann gegen jedes logische Handeln und nehme die Treppe nach oben. Auf der Hälfte der Treppe, wird mir dieser sinnlose Zug erst klar. Mein Blick fällt kurz zurück und trotz, dass die Alte noch nicht heran ist, entscheide ich mich dazu, den eben eingeschlagenen Weg weiter zu gehen.

Obwohl gehen nun wirklich der falsche Ausdruck war. Hier oben ist es wesentlich dunkler und der muffige Geruch hat bereits beim betreten der Etage zugenommen. Ich halte mich stur auf dem breiten Hauptgang. Irgendwo musste dieser doch ein Ende haben! Und an einem Fenster enden! Oder? An diesen Gedanken geklammert, bemerke ich erst im letzten Augenblick, dass sich eine der Türen öffnete. Ich komme so knapp zum stehen, dass ich mit beiden Händen gegen die Tür schlage und sie somit davon abhalte, mir gegen den Kopf zu fliegen. Irgendwer war herausgetreten, doch um wen es sich handelt, kann ich erst sehen, als die Tür zurückgezogen wird.
 

Beim Anblick dieser Gestalt trifft mich fast der Schlag. Ich stoße einen derart schrillen Schrei aus, der mir selbst bereits in den Ohren klingt. Was ich sehe?

Einen Mann mittleren Alters. Er hat langes, blondes Haar, ist unrasiert und trägt eine Lederjacke, deren linker Ärmel fehlt, um seine netten Äußerlichkeiten zu nennen. Aber nicht nur das. Ihm fehlt der ganze linke Arm. Sein Gesicht scheint zertrümmert. Seine linke Gesichtshälfte fehlt nahezu ganz. Da ist weder ein zweites Auge noch ein zweites Ohr. Ich habe das Gefühl, dass ich Einblick auf sein Gehirn habe, sein Unterkiefer ist gebrochen und er verteilt den Duft von Verwesung.

Jetzt bin ich mir sicher: Zombies! Was sonst!
 

Keinen Augenblick länger zögere ich und machte auf dem Absatz kehrt, noch bevor diese Kreatur reagieren kann. Bei meiner zügigen Drehung rutsche ich jedoch auf dem verdreckten Fußbodenbelag weg und muss mich mit den Händen abstützen, um nicht zu fallen. Schnell bin ich wieder auf den Beinen und auf und davon. Konnte es noch schlimmer werden!? Der Weg zur Treppe hinunter scheint verlockend, doch ich halte mich links. Ein Irrenhaus voller Zombies? Ich begreife rein gar nichts und renne in den nahezu nachtschwarzen Gang, was sich jedoch als größter Fehler überhaupt herausstellte.

Meine Schritte verlangsamen sich wie von selbst, als ich Geräusche aus der Dunkelheit des Ganges höre. Da war noch eines von diesen Monstern... Ich bleibe stehen und lausche. Nähert sich da jemand? Von vorne höre ich ein Schmatzen, oder was auch immer das ist.

Umkehren? Und in die Arme – pardon – den Arm des anderen Zombies laufen?

„Scheiße...“

Das Schmatzen verstummt, stattdessen nun doch Schritte. Gemächliche, jedoch derbe.

Verdammt! Warum habe ich die Klappe nicht halten können!? Zu allem Überfluss auch noch hinter mir Schritte.

„Du musst da weg!“

Ich vernehme eine Männerstimme. Sie ist schwer zu verstehen, was aber wohl am gebrochenen Unterkiefer liegt. Hundeelend fühle ich mich. Ich bin derartig in Panik, dass ich nicht weiß, was ich machen soll.

Schritte... von vorne und von hinten.

„Hörst du nicht?“

Ich bin wie gelähmt... Und dann sehe ich das Ding, vor mir aus dem Dunkel auftauchen...
 

Über zwei Meter ist dieses Wesen sicherlich groß. Es hat jedoch eher weibliche Rundungen. Und auch das Gesicht und die dunklen, langen Haare wirken auf sich sehr Feminin. Diese Person ist nackt und eine Sache die mich daran zu stören beginnt, ist die Tatsache, dass sie keinen Busen hat. Stattdessen wirkt es, als hätte sie Eier. Doch ein Kerl? Die Kreatur kommt näher und mir wird bewusst, dass ihr Gesicht doch nicht so menschlich ist, wie es bis eben noch schien. Es war einfach zu finster. Das Ding kommt näher und die vermeintlichen männlichen Geschlechtsteile entpuppen sich eher als Beutel. Wie bei einem Känguru. Nur bewegt er sich...

Während ich so gebannt auf dieses Wesen gestarrt habe, habe ich gar nicht mehr auf die Schritte in meinem Rücken gehört. Und auch seine weiteren Worte. Noch immer gänzlich außer Stande, mich zu rühren, hängt mein Blick weiterhin an diesem Beutel. Er ist etwa so groß wie ein Handball. Und mit einem male reckt sie ihn mir entgegen. Innerhalb weniger Sekunden schnellen daraus unzählige Tentakel heraus. Sie sind nicht viel dicker wie Spinnenbeine. Nur nicht ganz so haarig. Sie schnellen auf mich zu und mit einem Fauchen will mich die Riesenkreatur damit packen, doch da bekomme ich mit Schrecken nur noch mit, wie ein Arm, der ohne Zweifel in einer Lederjacke steckt, mir um die Hüfte fasst und mich nach hinten wegreißt. Die Tentakel schnellen nur wenige Handbreit an mir vorbei. Keine der beiden Alternativen erscheint mir jedoch als die Richtige. Ich will schreien, kann aber nicht. Ich versuchte den Arm zu fassen, um mich davon zu befreien, doch auch das gelingt mir nicht.

Er zieht mich einfach weg. In unbekannte Richtung. Er trägt mich nahezu. Hält mich unter den Arm geklemmt. Er ist verdammt flugs und schnell um die Ecken. Ich glaube sogar, dass er wieder die Treppe nimmt. Das war’s...
 

Doch ich irre mich – vorerst. Er zerrt mich in einen Raum. Setzt mich ziemlich weit hinten ab und postiert sich anschließend von innen an der Tür. Diese lässt er nur einen Spalt breit offen. Er lauscht in den Gang. In der Hand hat er jetzt einen Knüppel, der ohne Zweifel einst ein Stuhlbein gewesen ist. Doch dieser scheint nicht für mich bestimmt. Mit seinem ihm verbliebenen Auge starrt er weiterhin hinaus. Mein Blick hängt unweigerlich an seinem zerstörten Gesicht. Eine Flüssigkeit läuft ihm aus dem Kopf und verschwindet im Kragen... Was auch immer ihm widerfahren ist... Nein, auch das will ich eigentlich nicht wissen! Als er sich endlich sicher zu seinen scheint, dass sich die riesige Wesen nicht nähert, zieht er die Tür zu und bemerkt dabei endlich, dass ich ihn die ganze Zeit schon regungslos angestarrt habe. So schnell er kann, wendet er mir seine intakte Gesichtshälfte zu. Damit versuchte er mich wohl zu beruhigen, was ihm nicht wirklich gelingt. Er beginnt mich schließlich auch zu mustern und auch ich kann meinen Blick nicht von ihm lassen. Dieses schrecklich entstellte Gesicht... Die Übelkeit in mir war kaum zu toppen. Nur mühsam behalte ich mein Essen bei mir. Eine Sache, die er wohl mitbekommen hatte, als er weitere Worte an mich richtete.

„Nicht jetzt und nicht hier!“

Hatte er meine Gedanken gelesen? Oder war es mir so deutlich vom Gesicht abzulesen? Wohl eher zweiteres.

Mit einem Lächeln versucht er schließlich mich doch etwas zu beruhigen. Eine Sache, die er jedoch lieber unterlassen hätte, denn Aufgrund seines nicht mehr intakten Unterkiefers, drückt der Knochen von innen gegen seine Haut und bringt diesen damit noch besser zur Geltung. Mir ist augenblicklich so übel, dass ich es kaum noch aushalte. Ich reiße die Hände vor Mund und Nase. Der Verwesungsgestank, der ohne Zweifel von ihm ausgeht, ist nicht länger auszuhalten.
 

Ohne ein weiteres Wort öffnet er erneut langsam die Tür einen spaltbreit. Wieder lauscht er gebannt und ich beobachte ihn unruhig. Für einen dieser Untoten ist er verdammt friedlich und scheint auch einen ungewöhnlich klaren Kopf zu haben. Erst recht wenn ich bedenke, wie dieser Kopf aussieht.

„Bist du ein Zombie?“ Eine Frage, die mir wie von selbst aus dem Mund kommt. Sofort habe ich wieder seine Aufmerksamkeit und abermals zieht er die Tür zu, was mich dazu bringt, wieder den Ärmel über die Nase zu ziehen.

„Was?“ Er war erschüttert über meine Frage. Ja fast schon schien ich Verletztheit aus diesem Wort herauszuhören. „Nein...“

Keine Antwort, mit der ich mich zufrieden geben will. Ich will nachhaken, doch mit dem Zeigefinger an den Lippen bringt er mich erneut zum schweigen. Dann lauscht er wieder und wie es mir scheint, kann er plötzlich doch etwas hören.
 

Dennoch schiebt er die Tür weiter auf und macht mir mit einem Kopfnicken klar, dass ich ihm folgen soll, was ich jedoch nicht tue. Ich bin doch nicht verrückt! Ein Handeln, was mir jedoch einen grimmigen Blick einbringt und ich mich schließlich doch erhebe.

„Hier bist du nicht sicher...“

Klar! Hier nicht und in seiner Gegenwart ganz bestimmt auch nicht... Dennoch folge ich ihm – Widerwillig - Wo auch immer er hinwill.

Nur zaghaft folge ich ihm durch die Gänge. Er ist unheimlich wachsam und achtet auf jede mögliche Bewegung. Wenn er nur nicht so stinken würde... Mein Entfernung zu ihm, ist die größtmöglichste, die mir noch sicher genug scheint. Und eine Frage in meinem Kopf beginnt mich um den Verstand zu bringen.

„Was ist passiert?“ Ich flüstere diese Frage nur. Ich will ihn nicht aus der Ruhe bringen.

„Motorradunfall mit Fahrerflucht.“

Und mehr brauchte er auch nicht sagen. Ich wusste genug. Aber unmöglich konnte er DAS überlebt haben!

„Aber wie...“ Er unterbricht mich.

„Hier rein!“

Er zieht eine weitere Tür auf und überlässt mir den Vortritt, doch auch jetzt mache ich natürlich nicht, was ich soll, was ihn so langsam zu nerven scheint. Wieder wendet er mir seine intakte Gesichtshälfte zu und versuchte es erneut mit einem Lächeln, welches ich gekonnt ignoriere.

„Jetzt mach schon. Hier drin bist du vor dieser Tante sicher und der Raum ist größer, dass mein Geruch leichter zu ertragen ist.“

Ich überlege kurz. „Überredet.“
 

Auf gewisse Weise erleichtert folgt er mir schließlich, doch als er die Tür verschließen will, klopft es. Ohne zu zögern reißt er die Tür erneut auf. Es ist das Mütterchen. Auch sie lässt er passieren. Ich bekomme wieder diese Panik. Noch einer von diesen Gestalten? Doch das Lächeln der alten Dame ist seltsam beruhigend.

„Wo bin ich hier?“, frage ich sie. Sie anzusehen fällt mir wesendlich leichter, doch die Antwort kommt von dem Kerl, mit der Lederjacke.

„Das wüssten wir auch gerne.“ Er schiebt einen massiven Riegel zu und schaut mich wieder direkt an. Ich sehe mich um und darf feststellen, dass es auch hier keine Fenster gibt. Die Alte wirft ihm einen knappen Blick zu und sucht sich anschließend einen Stuhl, auf dem sie sich niederlässt.

„Vielleicht ist das ein Vorhof zur Hölle.“ Sie wirkt bedrückt.

„Der Vorhof zur Hölle für Unfallopfer...“
 

...

[AdS] Zac

„Hab ich dich endlich, du Biest!“, brachte Zac freudestrahlend heraus und betrachtete seine Beute. Nach all seinen Mühen hatte er sie endlich erwischt. Die Schabe, die ihm schon seit Monaten auf die Nerven ging - ihn zum Wahnsinn getrieben hatte. Eine kleine Küchenschabe, die nun wild zappelnd in seinem Griff gefangen war. Er grinste abermals breit und schüttelte sie anständig durch. Dabei hörte sie sogar für einen Moment auf, zu zappeln, doch das hielt nicht lange an.

„Monate lang...“, brachte Zac nun verächtlich hervor und musterte sie mit zusammengezogenen Augen. „Mo...na...te...“

Er hob den Blick und sah sich um. Die Küche war ein Schlachtfeld. Es sah aus, als hätte hier ein Krieg getobt. Als hätte jemand versucht, dieses Haus einzureisen. Richtig betrachtet war annähernd das auch passiert. Jedenfalls hatte eine der Wände nun ein ziemlich großes Loch. In der Ecke, neben der Tür, die hier in die Küche führte, stand eine Spitzhacke, zwischen Putz und herausgeschlagenen Ziegelsteinresten. Ja, Zac hatte in einem Anfall von Wut die Spitzhacke in die Wand geschlagen und dieses Loch verursacht. Er war diesem Insekt nahezu hinterher gekrochen. Er hatte keine Ahnung gehabt, wie viel Platz in diesem uralten Haus zwischen manchen Wänden war. Er hatte sich zwar nicht mehr darin drehen können, aber es war allemal genug Platz für ihn gewesen und herausgeschafft hatte er es schließlich auch wieder.

An der Wohnzimmertür schlug erneut jemand derb dagegen und rief seinen Namen. Ganz bestimmt einer der Nachbarn. Es war mitten in der Nacht. Zac hatte ihn sicherlich geweckt, aber das war ihm egal. Er reagierte nicht auf die Klopfzeichen an der Tür. Er saß mitten in der Küche im Dreck und rührte sich nicht. Das sich der Raum zunehmend mit Wasser füllte, nahm er ebenfalls nicht war. Zac hatte nämlich beim zerschlagen der Wand auch eine Wasserleitung erwischt.

Stattdessen starrte er wie gebannt auf das kleine Tierchen in seiner Hand und biss schließlich zu...

[AdS] Besser, als nur eine tote Ratte...

schnell herunter geschrieben, um mir Luft zu machen...
 

Er hatte mir verboten, etwas in diese Richtung zu unternehmen. Ja, er hatte es mir untersagt. „Es würde nichts bringen“, waren seine Worte. „Unnötig.“ Aber ich bin keiner, der sich so einfach geschlagen gibt.

Dieser Bastard hat eine Strafe verdient. Oh, ja. Das hat er!

Also hab ich mich davongeschlichen in der Nacht. Der Baldriantee hatte endlich einmal Wirkung gezeigt.
 

Und nun stehe ich hier. Auf dem Bauernhof ist alles Ruhig. Ich sehe mich um, kann auch den großen Hund nicht spüren. Aber der ist wahrscheinlich ohnehin in seinem Zwinger.

„Es würde nichts bringen...“ Das werden wir noch sehen. In rasender Wut hatte ich gesagt, ich werfe ihm eine tote Ratte in den Briefkasten, aber das war nicht so ganz mein Ziel. Und eigentlich wollte ich seine Freundin ja auch nicht erschrecken. Immerhin hat sie mit dieser Sache nicht zu tun. Im Gegenteil. Sie ist doch genaugenommen ebenfalls nur ein Opfer dieses Bastards, der sie benutzt, wie es ihm gerade passt.
 

Meine Schritte beschleunigen sich kurz, dann lausche ich wieder. Unter dem alten Wohnwagen, der hinter der Scheune steht, verschwindet ein Marder. Ich betrete das Grundstück endlich. In der Scheune, die bereits für so manches Gelage herhalten musste, brennt kein Licht mehr. Eine Uhr habe ich nicht dabei, also kann ich mich auch nicht vergewissern, wie spät es eigentlich ist. Ich verharre auf dem Hof und atme tief durch. Der Himmel ist bewölkt. Der Wind nur schwach. Ich kann nur hoffen, dass keiner erwacht. Weder sie, noch er, oder die beiden Kinder. Oder das Opfer, welches gerade hier für alle als Sündenbock herhalten darf - meinetwegen. Ja, ich hoffe er schläft tief und fest und das noch immer unter der Wirkung des von mir eingeflößten Tees...
 

Noch einmal denke ich zurück, an die Sache, mit der toten Ratte und muss dabei Grinsen. Etwas viel Düsteres hatte ich mir vorgenommen. Etwas, was wohl keiner hier verstehen würde. Etwas viel mächtigeres, was bereits seit Jahren in mir wohnt. Heute werde ich ihn entfesseln. Werde ihn freilassen, ihn aussetzen auf dieser Welt. Mein Herz rast, als ich mich auf den Boden hocke. Ich spüre, wie mein Puls zu rasen beginnt. Schnell lege ich die Hand flach auf die Erde, doch dann höre ich Schritte. Ist doch irgendwer erwacht? Ich sehe mich um. Keines der Fenster ist beleuchtet. Mein Blick fällt auf die Einfahrt. Auch dort nähert sich keiner. Dann bemerke ich endlich, wo die Geräusche herkamen. Der Hund im Zwinger ist erwacht. Ich lausche. Er bellt zwar nicht, aber er wimmert leise und läuft weiterhin unruhig herum. Er ahnt etwas, das ist mir nun klar. Als ich den Blick kurz in seine Richtung wende, verharrt er jedoch wieder.
 

Also nehme ich meine Konzentration wieder auf. Und meine Wut steigt wieder an, beim Gedanken an diesen Bastard und was er sich und seine anderen verdummten Freunde hat einfallen lassen. Ganz zu schweigen davon, dass er wohl auch einen alten Mann gegen uns aufbringen wollte. Wie Armseelig kann ein Mensch sein? Hat er sich vielleicht doch längst sein Hirn weggesoffen? Scheinbar hat er ja nicht allzu viele andere Hobbys...
 

Ich schließe die Augen und lasse es geschehen. Wie ein schwarzer Nebel verlässt er meine Hand, die noch immer flach auf dem Boden liegt und schwebt anschließend nah den Steinen. Ein bisschen hebt er sich an und steuert dann zielgenau die Haustür an, welche zu der Bestie führt, die uns seit ich hier bin, das Leben schwer macht. Ich hatte nicht ein einziges Wort sagen müssen. Unsere Gedanken sind die Selben, auch jetzt, wo er nicht mehr in mir ist. Er meint mich zu kennen? Da hat er sich aber geirrt. Er hätte sich nicht mit mir anlegen sollen. Keiner kennt mich. KEINER! Meine Seele hatte nur ein Plätzchen gesucht, wo sie sich geborgen fühlen konnte - WIEDER – nach langer Zeit. Doch was brachte man mir entgegen? Lügen und Verachtung. Diesen, MEINEN Dämon auf ihn loszulassen, ist genau der richtige Weg! So vielen Anderen tue ich damit ebenfalls einen Gefallen. Das weiß ich mit Sicherheit. Seine Art ist keine, die man anderen Menschen entgegenbringt. Die dunkle Wolke nähert sich weiter dem Haus und verschwindet schließlich im Spalt unter der Tür. Er wird seine Aufgabe schon richtig machen...

[AdS] Hühnerfütterung

Eigentlich wollte ich nur ein paar, der vom Baum gefallenen Äpfel, über den Zaun werfen. Hinüber in den Garten, des Nachbarn, der schon seit Jahren Hühner hat. So wie wir das schon seit Jahren machen. Ich lasse ihnen hin und wieder etwas zukommen und ich bekomme dann zuweilen auch einmal eine Pappe mit Eiern von ihm.

Wir hatten nie ein schlechtes Verhältnis. Verstanden uns immer gut. Tratschten am Zaun. Manchmal auch wie die Waschweiber.
 

Nur seit geraumer Zeit nicht mehr. Seit einigen Wochen. Der alte Mann scheint wohl verrückt geworden zu sein. Oder ist es wirklich nur das Alter? Ich weiß es nicht. Er hat angefangen, wirres Zeug zu erzählen. Im Augenblick ist mir das jedoch egal.
 

Ich wende mich ab und suche noch ein paar der Äpfel, die im knöchelhohen Gras liegen. Ich sollte wohl mal wieder Rasen mähen.
 

Mit drei weiteren Äpfeln in der Hand, wende ich mich abermals dem Maschendrahtzaun zu. Mein Nachbar ist nicht da, das weiß ich. Er fuhr heute Morgen in die Stadt. Sicherlich zu einem Arzt. Ich bin also unbeobachtet, als ich erneut einen Apfel werfe. Und auch jetzt treffe ich wieder eines der Hühner. Das dritte, in der Zeit, seit ich heute am Zaun stehe und werfe. Eines von ihnen hinkt nun. Es flattert wild und das Gegacker ist lauter geworden. Ein weiteres ist liegen geblieben. Ich habe es wohl erschlagen...

@-»-Am Pavillon-«-@

Wie verlassen stand sie da, in ihrem weißen Kleid. Xanaria blickte über den See, welcher sich gleich neben dem steinernen Pavilion befand, unter dem sie bereits eine ganze Zeit wartete. Der aufkommende Wind ließ sie frösteln. Hatte der Prinz ihre Verabredung vergessen? Eng schlang sie die Arme um sich und schüttelte gedankenverloren den Kopf. Unmöglich! Wenn man etwas über diesen Mann wusste, dann war es die Tatsache, dass er stets zu seinem Wort stand und wohl der zuverlässigste im ganzen Schloss war. Beunruhigt sah sie sich um. Denn genaugenommen durfte sie nicht einmal hier sein. Dieser Garten gehörte zum Schloss und sie war nicht einmal von Adel. Nur durch ein Schlupfloch, bei den Hecken, war sie hier her gelangt. Dennoch war dieser Teil des Gartens so weit vom Schloss entfernt, dass ihn wohl kaum jemand aufsuchte. Er war verwildert. Nicht einmal die Gärtner schienen sich für diesen Teil zu interessieren. Xanaria beobachtete die kleinen Fische, im Teich, als sie endlich Schritte vernahm. Hecktisch wand sie sich danach um, doch sie beruhigte sich schnell, als sie sah, wer sich näherte. Es war Doráron. Doch sein Blick gefiel ihr nicht. Und auch seine Schritte wirkten schwer.
 

„Sie schicken mich weg, Liebes“, sagte er und klang dabei schrecklich traurig. „Sie hat von unserer Liebe erfahren und will, dass ich zu ihrem Bruder reise, und dort das Kämpfen gelehrt bekomme.“

Er trat die wenigen, breiten Stufen hinauf und blieb ganz nah neben ihr stehen. dabei hing sein Blick an der weißen Blüte, in ihrem Haar. Fest umarmte er schließlich die Menschenfrau und schloss dabei die Augen. Doráron wollte nicht, dass sie die Tränen darin sehen konnte.

„Aber...“ Xanaria beobachtete ihn dennoch und strich ihm mit beiden Händen liebevoll über den Rücken. „Aber Ihr könnt doch längst kämpfen! Ihr habt das letzte Turnier gegen den Bruder des Königs gewonnen. Ihr seid...“

„Das weiß ich“, unterbrach er sie und sah sie jetzt doch mit seinen feuchten, rehbraunen Augen an. „Sie hat nur eine Ausrede gesucht. Ich will nicht von dir weg. Niemals...“

Xanaria strich dem Prinzen die wilden Haare aus dem Gesicht und küsste ihn an seinem spitzen Ohr.

„Dann sollte ich vielleicht einfach mitkommen?“

Ein kurzes Lächeln huschte ihr über die Lippen - spitzbübisch und liebevoll zugleich.

„Wenn ich Euch heimlich folge? Ich kann sehr unauffällig sein. Niemand wird es bemerken...“

Mondscheinparty

...
 

Eiligen Schrittes hatte sie diese Party verlassen. Zu eilig, wie sie nach kurzer Zeit an der frischen Luft feststellen musste. Der Alkohol, von dem sie eindeutig zu viel hatte, begann jetzt erst richtig zu wirken und brachte sie fürchterlich aus dem Gleichgewicht. Und ihr war furchtbar übel. Mit zitternden Knien blieb Nicole schließlich an einem der Bäume stehen, um zu verschnaufen und sich etwas zu fangen. Wenn es ihr nur nicht so im Schädel drehen würde. Mit der freien Hand befreite sie sich von ihrem linken Schuh. Ihr war der Absatz abgebrochen, als sie über den Hintereingang das Haus verlassen und über einige Wurzeln gestolpert war. Dabei hatte sie sich wohl auch noch das Gelenk verknackst. Immer stärker hatte dieses zu pochen begonnen.

Mit einem Schluchzen ließ sie schließlich den Schuh fallen und stellte den schmerzenden Fuß wieder auf dem Boden ab, ohne ihn jedoch zu belasten. Die Tränen in ihren Augen raubten ihr die Sicht, als sie kurz in die Richtung zurückblickte, aus der sie gerade gekommen war.

Das konnte doch nicht wahr sein! Was fiel dieser miesen Schlampe ein! Nicole kochte vor Wut, doch das Schädelbrummen war stärker und ließ keine anderen Gefühle im Augenblick zu.

Ihr Blick auf die Armbanduhr machte ihr klar, dass es bereits drei Uhr in der Nacht war. Wie sollte sie hier nur wegkommen? Hergekommen war sie mit Enrico, aber den würde sie ganz bestimmt nicht fragen. Dann lief sie lieber. Wenn nur das Problem nicht wäre, dass sie nicht genau wusste, wo sie hinlaufen musste. Diese Fete hier war in einem Bungalow mitten im Wald gewesen. Es gehörte wohl irgendwelchen Verwandten des Geburtstagskindes. Nicole wusste es nicht einmal genau, hatte aber auch niemanden gefragt, weil sie nicht wirklich Interesse an dieser Information gehabt hatte. Der Kiesweg hier her hatte sich förmlich durch den Wald geschlängelt. Wenn sie ihn so laufen würde, wie sie hier her gekommen waren, wäre sie wohl Stunden unterwegs. Und quer durch den Wald? Alleine? Es war finsterste Nacht und sie wusste nicht einmal in welche Richtung sie gehen müsste.
 

Schweren Herzens wand sie sich nun doch wieder dem Bungalow zu. Vielleicht würde sie ja jemanden finden, der so freundlich und vor allem noch in der Lage war, sie heimzufahren, doch Schritte hinter ihr brachten sie zum stocken. Langsam wand sie sich danach um und atmete erleichtert aus. Leon. Beruhigt blickte sie in eines der wenigen ihr bekannten Gesichter. Er war eine Klasse über ihr, aber er sie kannten sich, weil ihre Mütter gut befreundet waren und das schon viele Jahre.
 

„Sie suchen dich“, flüsterte er und blieb nah neben ihr stehen.

„Ach ja?“ Mit dem Handrücken wischte sie sich kurz über das Gesicht. Das sie wohl zum fürchten aussah, weil ihre Schminke verlaufen war, war ihr bewusst, jedoch völlig egal. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich weiß wirklich nicht, warum ich unbedingt mitkommen sollte! Das mir Sandy zeigen kann, wie gut sie am meinem Freund rummachen kann?“ Und Enrico hatte auch noch vor ihren Augen mitgespielt. Wirklich toll! Sie spürte den Klos in ihrem Hals mehr als deutlich. Nicole hätte schreien können. Als sie wieder zu Leon aufblickte, fing sie seinen bedauernden Blick ein.

„Kannst du mich vielleicht nach Hause fahren?“

Leon nickte gedankenverloren. „Sicher. Aber könntest du noch kurz warten? Ich muss eben noch schnell etwas erledigen.“

Unruhig sah sie hm nach, als er wieder im Unterholz verschwand. Etwas erledigen? Vielleicht ging er nur eben noch Pinkeln. Während sie in die Dunkelheit starrte, atmete sie erleichtert auf. Auf ihn konnte sie sich verlassen. Er hatte sie schon so manches Mal aus der Bredouille befreit. Vielleicht sollte sie ihn einfach mal um ein Date bitten? Was hatte sie zu verlieren? Er war zwar nicht so ganz ihr Typ, aber...

Der spitze Schrei einer Frau riss sie aus ihren Gedanken. Nicole blickte sich mit panisch geweiteten Augen um, doch es war einfach zu dunkel, um irgendetwas erkennen zu können. Das einzige, was sie mit Sicherheit sagen konnte, war die Richtung, aus welcher dieser Schrei gekommen war. Genau jene, in welche auch Leon verschwunden war. Um zwischen dem Rauschen des Windes in den Blättern, doch etwas hören zu können, hielt sie für einen Moment die Luft an, doch es waren keine weiteren Schreie zu hören. Sollte sie rufen? Nach der Fremden, die geschrienen hatte? Oder nach Leon? Oder um Hilfe? Nicole war so verängstigt, dass sie keinen Ton hervor brachte. Lediglich ein Wimmern. So schnell sie konnte, machte sie schließlich doch kehrt. Nicht das es Wölfe waren, die es in diesen Wäldern gab. Gab es hier überhaupt Wölfe? Ein Knurren hinter ihr, brachte sie schließlich doch dazu, so schnell sie konnte, wieder zum Bungalow zu hasten, doch dann waren neben den Schritten hinter ihr auch noch Schritte neben ihr zu hören. Leon war es, der eilig auf sie zukam, doch sie machte keine Anstalten, anzuhalten. Nicole wollte einfach nur weg. Das Knurren hinter ihr wurde lauter und versetzte sie derart in Panik, dass sie ihre Schritte noch weiter beschleunigen wollte, was gar nicht so einfach war, da sie den rechten Schuh noch immer trug, doch eine Hand griff sie derb am Arm und brachte sie zum anhalten. Verängstigt riss Nicole den Kopf herum und ihr gefror fast das Blut in den Adern. War das wirklich Leon? Viel mehr blickte sie in die verzerrte Fratze seines Gesichtes. Als sie ihn begann anzustarren, drehte den Kopf ruckartig schief und stieß ein kehliges Knurren aus. Er hatte Blut am Mund und am Hemd. Was war jetzt nur los? Wurde sie jetzt verrückt? Nicole wollte etwas sagen, doch sie brachte keinen Ton heraus, denn der Andere, der ihr gefolgt war und dessen Knurren sie bereits eher vernommen hatte, entpuppte sich als Enrico.
 

...

Mondscheinparty – 2. [Drabble]

Wie versteinert starrte sie in das zur Monsterfratze gewordene Männergesicht. Werwölfe? Aber es gab doch gar keine Werwölfe! Die waren doch nur erfunden! War das ein Albtraum? Aber dieses Gesicht... Immer wieder hob er die Lefzen, als wollte er ihr etwas sagen. Sie starb fast vor Angst, als er sich mit dem Gesicht näherte. Er stank schrecklich nach Blut.

„Lauf... zurück ins Haus...“

Sie spürte genau, dass er mit seiner Selbstbeherrschung rang.

„... und verriegel die Türen!“

Dann stieß er sie unsanft in jene Richtung und schnellte im gleichen Augenblick nach hinten, um sich knurrend auf seinen Begleiter zu stürzen.

Mondscheinparty – 3. WB-Beitrag zu -cC-s: Auf den Knien kommt man unter Umständen sehr weit

Sie hätte im Bungalow bleiben sollen, kam es ihr immer wieder in den Sinn. Warum nur hatte sie nicht auf ihn gehört und hatte die Türen brav verschlossen? Immerhin schien er in diesem Augenblick noch im Geiste der Alte zu sein, auch wenn sein Gesicht bereits diese Tierischen Züge anzunehmen schien. Hatte sie das wirklich gerade gesehen? Oder war das ein Traum? Ein Albtraum? Panisch war sie davon gestürzt, als er sie unsanft von sich gestoßen hatte, jedoch nicht ins Bungalow, sondern den Kiesweg entlang der sich hier durch den Wald schlängelte.

Dass sie sich zuvor den Fuß noch verknackst hatte, machte die Sache nicht angenehmer. Ohne Schuhe, da sie beim umknicken einen der Absätze weggebrochen hatte, war sie davon gelaufen. Erfüllt von Todesangst. Ihre Nylonstrumpfhose war an den Füßen längst durchgescheuert. Noch immer hörte sie den längst verklungenen Schrei eines der Mädchen in ihrem Kopf. Wer hatte da nur geschrien? Nicole hatte so fürchterliche Angst, die Nächste zu sein. Warum zum Teufel, war sie nicht ins Bungalow zurückgekehrt...
 

Äste knackten und das Hecheln hinter ihr, trieb ihr schließlich die Tränen in die Augen. War er etwa noch immer hinter ihr her? Sie hätte es wissen müssen! Er war nun ein Tier und sein Geruchssinn überstieg ihren um Längen. Wie hatte sie nur so dumm sein können. Gegen ihn hatte sie keine Chance. Nicht einmal beim Tempo. Wenn er es wollen würde, würde er sie mit wenigen großen Sprüngen einholen und sie mit einem weiteren Schritt einfach zu Boden reißen.

Doch dann passierte das unvermeidliche. Sie stolperte über ein paar Steine, kam erneut ins straucheln und stürzte zu Boden. Der Länge nach auf Erde und Tannenzapfen liegend, musste sie erst einmal verarbeiten, was gerade geschehen war. Doch zum nachdenken war gar keine Zeit. Eilig versuchte sie sich aufzuraffen, doch ihr waren die Beine so schwer geworden, dass sie es nicht wieder nach oben schaffte.
 

Und nun kniete sie hier alleine im Wald und hinter ihr eine Bestie, die einst noch ein guter und enger Freund gewesen war. Starb sie jetzt hier völlig entkräftet durch zahlreiche Bisse eines Werwolfes?

Ihre Knie zitterten und ihr Herz raste, als würde es jeden Augenblick zerspringen. Nicht einen Gedanken verschwendete sie daran, ihre Flucht wieder aufzunehmen. Keinen Meter weit würde sie kommen, das wusste sie. Nicole hatte keine Kraft mehr. Nicht einmal zu Schreien würde es noch reichen.
 

Resigniert ließ sie den Kopf sinken und stütze sich mit den Händen auf dem Moosigen Waldboden ab. Ihr war schwindelig, von all der Anstrengung und Übel, wenn sie daran dachte, was sie jetzt erwarten würde. Er würde sie umbringen. Leon war zu einem Monster geworden. Wie zum Teufel hatte das passieren können?! Warum hatte sie nicht auf ihn gehört, als er noch bei klarem Verstand war? Er hatte doch gesagt, dass sie in den Bungalow gehen und alle Türen absperren sollte.
 

Ganz langsam trat er auf allen Vieren näher. Da sie den Blick gesenkt hatte, fiel dieser lediglich auf seine Pfoten. Sie sah Krallen, die ihr ganz sicher bereits mit einem einzigen Hieb böse Verletzungen zufügen konnten. Und sie sah braunes Fell. Und davon reichlich. Vollkommen verängstigt kniff sie die Augen fest zu. Würde er das jetzt etwa auskosten? Ihre Panik? Die Angst, welche sie in diesem Augenblick verströmte? Und sich dann erst auf sie stürzen? Sie in Stücke reißen? Die schrecklichen Bilder in ihrem Kopf wollten nicht verschwinden, doch die Zeit schien still zu stehen. Nichts passierte. Leon stand wo er stand und Nicole kniete neben ihm auf dem Moosigen Boden. Die Finger hatte sie mittlerweile fest in die Erde gegraben, dass ihr diese längst schmerzten. Warum tat er nichts? Welches kranke Spiel sollte das sein? Nur zaghaft hob sie den Blick ein Stück, um festzustellen, dass er sie genau fixierte. Leon hatte sich neben ihr niedergelassen und schaute sie einfach nur an. Hin und wieder entwich ihm dabei ein Hecheln. Auch jetzt raste sein Atem.

Seine Gestalt ließ es ihr Eiskalt über den Rücken laufen. Er erinnerte zwar stark an einen Wolf, doch schien er mehr eine Mischung aus einem Solchen und einer Kreatur aus einem Horrorfilm zu sein. Die mächtigen Beine übertrafen die eines Wolfes bereits bei weitem. Er überragte ihn gänzlich mit seiner Größe. Und sein blutverschmiertes Maul war wohl das schrecklichste, was sie jemals gesehen hatte.

War das wirklich Leon? Der Kerl mit dem smarten Lächeln und der zuvorkommenden Art? Sein einst blaues Hemd verriet ihn zumindest. Nun war es übersät mit Dreck und Blutflecken und durch Krallen und Zähne zerfetzt und aus jeder Ritze wucherte braunes bis zum Teil schwarzes Fell. Die Knöpfe waren nahezu alle abgerissen und von seiner Hose war auch nicht mehr viel übrig. Unruhig trat er immer wieder mit den Vorderbeinen auf, während er auf dem Hintern sitzend neben ihr hockte.
 

„Bitte... töte mich nicht...“ Ihre Worte waren ein kraftloses Flüstern. Leons Lefzen zuckten kurz, als wolle er ihr Antworten, doch er gab keinen Ton von sich. Stattdessen schnaufte er nur kurz. Hatte er ihr zunächst noch Worte vermitteln können, war dies jetzt wohl nicht mehr möglich. Sein Gesicht hatte jetzt nichts mehr mit seinem Eigentlichen gemein.

Seine Schnauze, welche rasiermesserscharfe Zähne nur erahnen ließ, machte ihr Angst.

Leon erhob sich daraufhin, ließ sich jedoch keinen Moment später wieder nieder. Keine noch so kleine Andeutung eines bevorstehenden Angriffs. Hatte sich sein Jagdtrieb etwa gelegt? Jetzt, wo sie nicht mehr floh, sondern kraftlos auf dem Boden kniete? Oder wartete er doch darauf, dass sie aufsprang, um weiter zu fliehen? Nicole wagte es nicht, sich zu rühren. Wenn sie jetzt eine falsche Bewegung machen würde, wäre das bestimmt ihr Ende. Was sollte sie nur tun? Warten? Darauf warten, dass es endlich Morgen war? Sie war sich nicht sicher, wie das mit Werwölfen ablief. Sie hatte davon keine Ahnung. Sie hatte ja nicht einmal an sie geglaubt. Wäre bei Sonnenaufgang alles wieder wie vorher? Würde er sich wieder zurückverwandeln? Wenn sie diese Gestalt neben sich so betrachtete, kamen ihr daran arge Zweifel. Würde er vielleicht für immer so bleiben? Ein Monster? Welch schrecklicher Gedanke.
 

Das Knacken von Ästen, in kurzer Entfernung, ließ ihn wieder aufspringen und Nicole zusammenfahren. Leons Ohren zuckten und er blickte sich unruhig um, lief ein paar Schritte und hob dabei schnüffelnd die Nase hoch in die Luft. Seine Aufmerksamkeit war abgelenkt. Eine Gelegenheit für Nicole, zu verschwinden? Sollte sie es wagen?

Sie wollte nur weg. Weg von dieser Kreatur, welche einst ein Freund gewesen war und eigentlich gar nicht existieren durfte. Doch ihre Knie zitterten und sie schaffte es beim besten Willen nicht auf die Füße. Das Pochen ihres Blutes in ihren aufgeschlagenen Knien brachte sie durcheinander, dass es ihr einfach nicht gelang und es dauerte auch nicht lange, da bemerkte er ihre vergeblichen Versuche und kam zurück.

Augenblicklich verfiel sie wieder in ihre Starre, wenn man von ihrem zitternden Körper absah. Der Wolf war so nah vor sie getreten, dass ihr unweigerlich ein Wimmern entfuhr. War das ein Fehler gewesen? Ihr Versuch, zu verschwinden? Fest kniff sie die Augen zusammen und wollte nicht mit ansehen, wie er sich jetzt auf sie stürzte, doch was sie stattdessen spürte, war sein haariger Kopf, den er ihr auf die Schulter legte. Ganz vorsichtig schmiegte er sich dabei an sie, bis er sich auch noch neben ihr nieder ließ. Die Zeit hatte keine Bedeutung mehr. Alles hatte aufgehört, zu existieren. Es gab nur noch sie und diese Kreatur und die Schwärze, welche alles umgab.

„Leon?“

Ein Schnaufen war seine Antwort.

Nicole schluckte hart. Wollte er sie gar nicht töten? Nur langsam wagte sie es, ihm den Blick zuzuwenden. Sie drehte den Kopf ein Stück und blickte ihm sofort ins Auge. Wenn sie diesen Blick nur deuten könnte. Schnappte sie jetzt vollkommen über? War er gar nicht darauf aus gewesen, sie zu töten? Mit geschlossenen Augen verharrte er schließlich in seiner Haltung. Ganz so, als würde er es genießen. Dabei war er ihrem Hals so verdammt nah. Ein gezielter Biss und es wäre aus, doch er machte nicht den Eindruck auf sie, als wäre das sein Ziel. Hätte er das wirklich vorgehabt, hätte er ganz bestimmt auf Spielchen verzichtet. Das hoffte sie zumindest.

Warm fühlte er sich an und klebrig, von all dem Blut, welches überall in seinem Fell hing. Beunruhigend. Die Gerüche, welche er verströmte, ließen es ihr übel werden und dennoch stieg in ihr das Bedürfnis, ihn anzufassen.
 

Ganz langsam nur, ob sie die Hand. Sie war sich sicher, dass er jede ihrer Bewegungen mitbekam, doch er versuchte nicht einmal, sie davon abzubringen. Nicht einmal mit einem Knurren. Behutsam fuhr sie ihm über den Hals. Berührte seinen rauen Pelz mit den Moos und Erde verdreckten Fingern. Streichelte ihm den haarigen Kopf. Es fühlte sich gut an. Irgendwie legte sich dabei ihre Angst. War es vielleicht wirklich niemals sein Ziel gewesen, sie anzugreifen, oder gar zu töten? Nicole war nicht in der Lage zu klaren Gedanken. Sie schmuste sich einfach an seinen haarigen Leib, als wäre es das normalste, auf der Welt und als sie den Arm schließlich ganz um ihn legte, schleckte er ihr über den Hals.

Der Kater vorm Spiegel

Er würde sich mit anderen Katzen nicht verstehen, hatten sie mir gesagt, als ich ihn mir im Tierheim angesehen hatte. Und er würde sich auch nicht gerne anfassen lassen. Sie sagten zwar auch, dass er da nicht aggressiv reagieren würde, er würde lediglich auf Abstand gehen.

Aber mir gefiel dieser Kerl. Ein großes Tier. Die mächtigsten Pfoten, die ich je bei einem Kater gesehen hatte. Dass er so eigenwillig schüchtern wäre, würde man gar nicht vermuten, wenn man ihn so sah. Eher ein Kämpfer. Einer, der sich anderen Katern in den Weg stellte und sie verjagte. Sich ihnen vielleicht auch einfach nur entgegenstellte und seine Größe auf sie beunruhigend wirken ließ.
 

Sein Fell war hauptsächlich schwarz. Nur am Bauchbereich hatte er ein paar helle Stellen, soweit ich das hatte sehen können, bevor er sich uns abgewandt hatte. Als die Tierpflegerin mir ihre Worte nahelegte, hatte er teilnahmslos auf den Fliesen gesessen und den Blick von uns abgewandt. Ganz so, als würde er uns ignorieren, doch seine Ohren waren auf Empfang. Genauso war sein Schwanz die ganze Zeit am zucken war. Auch hier hatte er ein paar hellere Flecken. Wie gerne hätte ich ihm das Fell gestreichelt.
 

Als die Pflegerin das Zimmer schließlich verließ, erhob er sich.

Es ist wirklich schade, dass du mich ignorierst, hatte ich ihm daraufhin gesagt. Mir war selbst klar, dass das albern war, das ich so mit ihm sprach, aber wir waren allein und immerhin wand er mir daraufhin den Kopf zu. Dabei sah ich zum ersten Mal seine Augen. Sie waren blau. Bewegungslos starrte er kurz zu mir auf und setzte sich schließlich wieder auf sein Hinterteil. Seine Brust wirkte auf mich geschwellt und hatte dabei etwas Majestätisches. Ganz klar war dieses Tier keine normale Hauskatze. Irgend eine Rasse lang ganz gewiss in seinen Genen. Was es genau war, hatte man mir jedoch nicht sagen können und ich kannte mich in diesen Dingen auch nicht aus, als dass es für mich von Belang gewesen wäre. Sie hatten ihn damals wohl auf der Straße aufgelesen. Und wie ich herausgehört hatte, war er wohl bereits eine ganze Weile hier, ohne dass ihn jemals einer vermisst hatte. Irgendwie bedauerlich, wie ich mir selbst eingestehen musste. Vorgestellt hatten sie ihn mir als Khan. Kaum passender hätte ein Name sein können.
 

Ich weiß nicht wie oft ich hier war, um ihn ein bisschen kennen zu lernen und ihm die Scheu zu nehmen, doch ich fragte mich so langsam, ob ich nicht doch nur meine Zeit verschwendete. Ich kam bei ihm nicht weiter. Jede andere Katze hier, wäre wohl wesentlich weniger kompliziert gewesen. Aber nein, ich musste mich ja an diesem hier festbeißen.
 

Ich hatte mir stets etwas zu lesen mitgenommen und mich hier, auf der haarigen Couch in seinem Zimmer niedergelassen. Ich weiß wirklich nicht, wo ich diese Geduld auf einmal her hatte. Normalerweise hätte ich längst aufgegeben, aber irgendetwas sagte mir, dass ich diesen Kater wollte. Nach einer halben Stunde, die ich hier wieder verbracht hatte und in welcher er sich nicht einmal zu mir umgewandt hatte, als er auf dem Fensterbrett sitzend wieder hinaus starrte, hatte ich es irgendwie aufgegeben. Ich klappte die Zeitschrift zu und wollte mich gerade erheben, als ich endlich bemerkte, dass er wohl schon eine Weile nah vor meinen Füßen saß. Ich war ein bisschen erschrocken gewesen, im ersten Moment, doch ich fasste mich rasch und schenkte ihm ein Lächeln. So nah hatte er sich die ganze Zeit nicht herangewagt. Ob er wohl spürte, dass ich keine Lust mehr auf dieses Spielchen hatte?
 

Langsam schlich er anschließend um mich herum und sprang auf die Couch, um sich darauf, im größtmöglichen Abstand zu mir, nieder zu lassen. Und nun? Schwiegen wir uns weiter an? Oder sollte ich es vielleicht einmal wagen, ihn anzufassen? Ich war zunächst unentschlossen. Wenn er mit diesen Pfoten ausholte, konnte ich mir die Hand anschließend sicherlich verbinden. Dennoch legte ich es darauf an. Ganz langsam streckte ich die Finger nach ihm aus. Er schlug nicht zu, machte aber auch keine Anstalten, zu verschwinden. Bewegungslos verharrte er, während ich ihn kurz am Kopf berührte. Ich merkte, dass es ihm widerstrebte, wenn man ihn anfasste, aber er ging auch jetzt nicht in eine Gegenwehr über. Immerhin etwas. Wollte er vielleicht doch nicht hier bleiben? Ein Seufzen entwich mir schließlich. Was sie ihm wohl angetan hatten, dass er so verstört war?
 

Noch reichlich eine Woche ging ins Land, bis ich ihn endlich soweit hatte, dass man ihn in eine Katzentransportbox bekam, ohne ihn mit brachialer Gewalt da hineinzuzwingen. Und noch erleichterter war ich, als ich ihn, nach der Klärung der Formalitäten, endlich in meinem Wagen hatte. Als ich noch einen Blick auf die Rückbank warf, fing ich einen eher unwilligen Blick ein. Irgendwie sah er traurig aus. Man konnte wirklich meinen, er hätte Depressionen. Ich konnte nur hoffen, dass es nicht in einem Desaster endete. Die Pflegerin schien froh zu sein, dass er endlich wieder ein Zuhause hatte und wahrscheinlich würde sie es bedauern, wenn ich ihn wieder zurück gebracht hätte, weil ich nicht mit ihm klarkam. Dazu kam es zum Glück nicht. Ich selbst hätte es wohl am meisten bedauert. Dennoch hatte er genügend Eigenheiten.
 

Er fraß nie, wenn ich in der Küche war. Ganz so, als wollte er sich dabei nicht zusehen lassen. Am Anfang hatte ich noch versucht, ihn damit zu Ärgern, dass ich die Küche nach dem Napffüllen mit Absicht nicht verließ, doch Khan rührte sich nicht von der Eckbank weg. Er wartete. Seine Ausdauer und Geduld war bemerkenswert und überstieg die meine um Längen. Als ich gemerkt hatte, dass das nichts brachte und das Futtern dann eben abends immer noch im Napf lag, ließ ich es bleiben ihn damit zu ärgern. Wenn ich merkte, dass er Hunger verspürte, zog ich mich eben zurück. Ich bin mir nicht sicher, ob er das zu würdigen gewusst hatte, aber anschließend setzte er sich zu mir auf die Couch und ließ sich sogar kurz anfassen. Ein sehr exzentrischer Kater.
 

Hatte ich doch außerdem geglaubt, Katzen mieden ihr Spiegelbild. Dass sie sich zuweilen davor so erschreckten, dass sie sich selbst anfauchten. Khan war da anders. Seit er wusste, dass die Tür meines Kleiderschranks im Schlafzimmer einen großen Spiegel hatte, war er sehr oft von diesem zu finden. Dann saß er da, scheinbar stundenlang, regungslos und starrte hinein. Ganz so, als würde ihn das, was er darin sah, beruhigen. Ich hielt ihn nicht davon ab. Warum auch. Wenn er sich so gerne ansah, sollte er das tun. Irgendwie kam mir das fast schon ein bisschen Arrogant vor. Dennoch war es irgendwie erheiternd, ihn so zu sehen. Es zauberte mir immer wieder ein Lächeln auf die Lippen.
 

Aber es gab auch Tage, da schien ihn sein Spiegelbild gar nicht zu interessieren. Zwei Tage bevor und zwei Tage nach Vollmond setzte er keine Pfote in dieses Zimmer. Das mochte sich vielleicht albern anhören, aber genau das war es, was ich nach mehrmonatiger Recherche festgestellt hatte. Oder glaubte, festgestellt zu haben. Verstehen konnte ich es jedoch nicht. Zumindest nicht, bis zu jenem Wintertag.
 

Die Erkältung hatte mich erwischt. Ich war zwar am Morgen aufgestanden, hatte mich dann jedoch, während ich mein Auto vom Schnee befreit hatte, dazu entschieden, lieber zum Arzt zu fahren und anschließend in die Apotheke, anstatt auf Arbeit. Die Erkältung war zwar noch in den ersten Zügen, aber ich wusste genau, dass ich morgen wohl kaum aus dem Bett kommen würde. Wäre ich nur zur Arbeit gegangen.
 

Als ich nach Hause kam, wusste ich noch nicht, was mich erwarten würde. Alles war ruhig – also genau wie immer und doch war etwas anders. Ich legte die Jacke ab und stellte die Medikamente auf den Küchentisch. Von Khan fehlte jede Spur. Hatte er mich nicht gehört? Auch wenn er nie zur Begrüßung eilte, hatte er mich dennoch kurz im Auge, wenn ich heimgekommen war. Warf mir einen Blick aus dem Nebenzimmer zu. Jetzt allerdings nicht. Auf der Couch, auf seinem Stammplatz war er jedenfalls nicht. Auch nicht unter der Heizung. In der Küche war er mir ebenfalls nicht aufgefallen und das Badezimmer war leer gewesen, als ich an der offenen Tür vorbei getreten war. Mein Blick fiel in der Küche auf dem Kalender. Gestern war Vollmond. Also würde ich ihn wohl auch nicht im Schlafzimmer finden. Dennoch trat ich dort als nächstes ein, denn ich sollte mich geirrt haben. Vielleicht hatte er geschlafen und mich deshalb nicht gehört. Als ich die Tür noch ein Stück weiter aufschob, konnte ich seinen pelzigen Rücken sehen und er zuckte erschrocken auf. Doch was ich dann sah, ließ mich in der Tür zur Salzsäule erstarren. Die vor Panik geweiteten, blauen Augen eines dunkelhaarigen, nackten Mannes sahen mich aus dem Spiegel an...

Chatbekanntschaften [l]

dieses Chat-Gespräch hat nie stattgefunden. Es ist reine Fiktion.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.

Näheres siehe unten (versaut allerdings die Pointe)
 


 

Tabea gähnte herzhaft und warf einen knappen Blick auf die Uhr, welche sich rechts unten auf dem Bildschirm ihrem Notebooks befand. 02:17 Uhr? Wie die Zeit doch vergeht. Wieder hatte sie nur irgendwelchen Kram auf YouTube angesehen und nebenher den Chat laufen lassen. Und wieder war ihr niemand wirklich interessantes aufgefallen. Was für ein ödes Wochenende. Und schon war es wieder Sonntag. Sie sollte wirklich mal wieder weggehen, nur fehlte ihr dazu im Augenblick jeglicher Elan. Stattdessen gammelte sie abends hier herum. Irgendwie fehlten ihr ein paar Leute, die ihr hin und wieder einmal in den Arsch traten, um sie aufzuscheuchen, aber das schien schon recht lange Zeit nicht mehr der Fall zu sein. Irgendwie traurig. Vielleicht lag es aber auch einzig und alleine nur an ihr.

Sie besah sich die letzten Zeilen der beiden Dialoge, die sie hier gerade laufen hatte. Zwei Gespräche, mit zwei Jungs, die sie gleichermaßen langweilten. Wieder zwei von der Sorte, die einfach nur schnell ein Date und am besten gleich am selben Abend noch jemanden fürs Bett suchten. Tabea hatte ihnen nur aus reiner Langeweile geantwortet, aber bereits nach wenigen Zeilen gemerkt, dass es weder gemeinsamen Gesprächsstoff, noch andere gleiche Interessen gab. Waren denn nur noch Trantüten auf dieser Chatseite registriert? Wahrscheinlich waren die ganzen Guten längst vergeben. Ohne eine Verabschiedung schloss sie die beiden Dialoge einfach und drehte sich auf dem Bett auf den Rücken. Starr fiel ihr Blick dabei an die Decke. Warum tat sie sich so etwas überhaupt an? Schwere Kost, die ihr ohnehin nur auf den Magen schlug, weil sie sich darüber aufregte. Schon bei Begrüßungen wie „Hi“ und „Hallo“ oder „Wie geht’s?“ drehte sich ihr mittlerweile der Magen um.

Da war sie lediglich kurz davor mit „Wo?“, selber Hallo“ oder „Schlecht!“ zu antworten.

Oder wenn die Frage fiel: „Was machst du gerade?“ kurzerhand zu antworten mit: „Ich stehe unter der Dusche und überlege, ob ich online komme...“ Nur musste sie bei diesen Gedanken Grinsen, da sie diese Worte bereits benutzt hatte, als ihre Stimmung bereits wieder kippte und ihr ein Seufzen entwich, als sich das Notebook mit einem „BING“ meldete.

Sicher wieder einer der beiden Spinner, die sie eben so unfein abgewimmelt hatte, dachte sie sich, doch was sie sah, zauberte ihr ein Schmunzeln ins Gesicht und ihre Müdigkeit war wie weggeblasen. Tabea las einen Namen, den sie lange nicht gelesen hatte. Kurz überlegte sie, wann sie ihn hier das letzte Mal gesehen hatte und kam schließlich darauf, dass es ganz klar bereits einige Wochen her war. Irgendwie war sie erleichtert. Hatte sie doch schon angefangen, sich Gedanken zu machen. Irgendwie hatte diese Begegnung bereits von Anfang an etwas Beruhigendes auf sie gehabt und das war es wohl, was ihr zu fehlen begonnen hatte.
 

Miniel: Sei gegrüßt. Noch wach um diese Zeit?
 

Tabea richtete sich wieder auf und nahm das Notebook auf den Schoß. Schrieb er sie gerade tatsächlich von sich aus an? Bis jetzt war sie es immer gewesen, welche einen Dialog begonnen hatte. Scheinbar war er bis zu diesem Tage nicht ein Mal auf einen solchen Gedanken gekommen. Na schön. Bis auf den allerersten Tag. Da hatte er sie angeschrieben
 

Mondscheinkind: hallo :c)Ich wollte eigentlich gerade schlafen gehen, weil mich alle hier so langweilen. *ätz*

Miniel: Wirklich alle?

Tabea grinste breit.

Mondscheinkind: naja eigentlich scheint der Abend gerade wieder besser zu werden. ^^
 

Auf diese Worte schwieg ihr Gesprächspartner jedoch bereits wieder. So manches Mal tat er sich mit Antworten schwer, aber vielleicht war er auch nebenher noch beschäftigt? Sie war unschlüssig, ob sie sofort weiter schreiben sollte, oder ihn wenigstes jetzt zu Wort kommen ließ. Von Miniel wusste sie so gut wie gar nichts. Weder woher er war, noch wie alt und gleich recht nicht wie er aussah. Sie hatte mit ihm schon diverse Gespräche geführt, ohne etwas über ihn zu erfahren. Bei all den Gesprächen ist es wohl immer irgendwie nur um sie gegangen. Sie hatte ihm ihr Herz ausgeschüttet, obwohl sie ihn nicht kannte. Oder vielleicht gerade aus diesem Grund? Das war wirklich seltsam. Wie konnte man über jemanden beim Chatten rein gar nichts erfahren? Das einzige, was sie in seinem Profil gefunden hatte, war das Bild von einer schwarzen Feder. Sonst nichts. Zumindest nichts weiter, bis auf den Tag, an dem er sich hier registriert hatte, aber was sagte das schon aus? Vielleicht dass sie ihn seit dem zweiten Tag kannte? Dass er, kaum dass er hier registriert war, sich ziemlich bald mit ihr in Verbindung gesetzt hatte? Ein klitzekleiner Wunschgedanke, konnte man meinen.

Das Miniel noch immer nicht reagierte, ließ sie stutzen, doch dabei wusste sie nicht einmal, ob er überhaupt ein ER war.
 

Mondscheinkind: heute wieder Nachtschicht gehabt?

Tabea schlussfolgerte das lediglich, da er erst so spät online gekommen war. Eigentlich kam er immer erst recht spät online. Er hatte wohl einen Job, der ihm ziemlich viel Zeit raubte.
 

Miniel: Ja, so könnte man das sagen.
 

Endlich eine Antwort. Irgendwie erleichtert atmete sie auf und begann schnellstens weiter zu bohren, bevor wieder so eine lange Pause folgte, von der sie nun bereits genügend von ihm erlebt hatte.

Mondscheinkind: wieso hast du eigentlich noch immer kein Foto hier von dir vorgeladen? Ich meine du bist hier schon seit fast einem halben Jahr registriert und ich kenn dich nun auch schon fast so lange.

Miniel: du kennst mich?

Seine Worte verwirrten sie. Sollte dass eine Fangfrage sein?

Mondscheinkind: Naja kennen ist vielleicht übertrieben

Sie überlegte kurz.

Mondscheinkind: eigentlich weiß ich gar nichts von dir -_-

Schon ziemlich frustrierend, aber genau das war die Wahrheit. Leider. Aber immer, wenn sie mit Fragen kam, die ihm wohl zu Privat schienen, blockte er ab. Dann kam keine Reaktion mehr. Ganz so, als hätte er kein Privatleben. Oder weil er sich dessen schämte?
 

Miniel: Ist ein Bild für dich so wichtig? Wäre es nicht egal, wie ich aussehe? Das ändert nichts, an dem, was ich bin.
 

Tabea seufzte. Scheinbar kam sie auch heute hier wieder nicht weiter. Abermals ein Gespräch, welches zu nichts führte. Wenn sie es nicht war, die ihr Herz ausschüttete, waren die Unterhaltungen mit ihm generell leider recht kurz. Warum tat er ihr das an? Warum nahm er Kontakt auf, um dann rein gar nichts von sich Preiszugeben? Diese Tatsache überstieg ihr Verständnis. Und das er sich bei einem Foto auch bereits so affig hatte?

Mondscheinkind: ich weiß echt nicht, wo darin das Problem liegen soll. ich meine, ich hab doch auch eins drin und so

Miniel: Das stimmt natürlich, aber ich muss dir sagen, dass es vom mir keine Bilder gibt.
 

Verärgert zog sie die Nase kraus. Was sollte das denn für eine Ausrede sein? Wollte er sie veräppeln? Jeder Hunz und Kunz hatte heutzutage eine Kamera und immerhin hatte Miniel doch Internet, also konnte er wohl nicht derartig hinter dem Mond leben.

Mondscheinkind: was ist daran so schlimm, dass ich weiß, wie du aussiehst?

Miniel: Möglicherweise würdest du dich nur erschrecken.

Tabea entwich ein Knurren. Warum tust du das, hätte sie ihn am liebsten gefragt. Warum zum Teufel verarscht du mich?

Mondscheinkind: Ach Blödsinn!

Tabea war sich nicht sicher, ob sie wegen dieser Aussage lachen oder heulen sollte. Warum war dieser Scheißkerl so gemein? Warum musste er den Geheimnisvollen spielen? Sie würde ihn wirklich gerne einmal sehen.

Miniel: Ich hätte dich damals auch ohne ein vorhandenes Foto angesprochen.
 

Jetzt war es Tabea, die schwieg, denn sie wusste nicht, was er ihr damit jetzt sagen wollte. Wahrscheinlich hatte er auch nicht einmal in ihr Profil geschaut. Vielleicht hatte ihn jemand auf sie angesetzt, kam ihr der unheimliche Gedanke. Konnte das sein?

Miniel: Dich zu finden, war für mich ein leichtes gewesen.

Diese Worte brachten sie nur noch mehr durcheinander.

Mondscheinkind: mich zu finden?

Stirnrunzelnd wartete sie auf eine genauere Antwort. Ihr Puls war spürbar gestiegen. Wenn ihn nun wirklich jemand geschickt hatte? Dieser Gedanke machte ihr Angst.

Miniel: Genau. Ich habe einfach gespürt, dass du jemanden zu reden brauchtest.

Mondscheinkind: Gespürt?

Ein merkwürdiges Gefühl überkam sie.

Mondscheinkind: Wie kannst du sowas denn gespürt haben? Durch die Internetverbindung vielleicht? HAHA! der war gut...

Mit bissigen Worten versuchte sie sich selbst zu beruhigen, aber wenn sie ehrlich war, funktionierte das nicht ein Stück.

Miniel: Vielleicht bin ich gar nicht so weit weg, wie du glaubst.

Tabea spürte plötzlich einen Kloß in ihrem Hals.

Mondscheinkind: Soll das heißen, du kennst mich? Dass wir uns schon einmal getroffen haben?

Irgendwie war sie sich plötzlich nicht mehr so ganz im Klaren, ob sie das gut oder schlecht finden sollte.

Miniel: Schon möglich.
 

Als sie diese beiden Worte jedoch las, schlug sie vor Ärger neben sich auf das Bett. Das konnte doch nicht wahr sein! Wieso verarschte der sie hier?

Mondscheinkind: das ist verdammt gemein von dir!

Am liebsten würde sie ihm den Hals umdrehen. Oder zumindest offline gehen und vergessen, dass es dieses erneut wieder nichtssagende Gespräch jemals gegeben hatte. Urplötzlich Ärgerte sie sich darüber, dass er online gekommen war. Lieber hätte sie das Gespräch mit den beiden anderen Schwachköpfen weitergeführt. Oder...?

Miniel: Bitte sei jetzt nicht sauer auf mich. Ich kann nicht und ich habe meine Gründe dafür.

Tabea schwieg. Sie war wütend. Erst spielte er den Geheimnisvollen, behauptete dann, sie zu kennen, aber er weigerte sich nach wie vor, sich zu erkennen zu geben. Eine ganze Weile herrschte wieder Schweigen. Tabeas Finger zitterten.
 

Miniel: --<--@

Doch auch danach schwieg sie – wenn auch verbissen.

Miniel: Im Augenblick scheine ich genau das Gegenteil von dem zu bewirken, was ich hier eigentlich bewirken sollte.

Mondscheinkind: was du bewirken solltest?

Irgendwie waren ihr seine Worte nun gänzlich unverständlich.

Miniel: Ich habe einen Auftrag und genau deswegen hat man mich geschickt.
 

AHA! Jetzt hatte er sich verraten. Er war also doch geschickt worden und hatte sie nicht aus freien Stücken angesprochen. Schade eigentlich, aber sie hätte hier eben nicht zu viel erwarten sollen.

Mondscheinkind: Was ist das für ein Auftrag?

Eine Antwort sollte sie darauf nicht erhalten.

Miniel: Ich befürchte, ich muss wieder los. Diese Nacht hat für mich wohl heute kein Ende.

Auf seine Worte ging sie gar nicht ein. Aber das er jetzt wieder blockte, hätte ihr auch klar sein müssen.

Mondscheinkind: warum antwortest du nicht?

Was hatte dieser Mann nur für einen Job, dass er jetzt schon wieder aufspringen musste?

Miniel: Vielleicht erkläre ich dir das irgendwann, Tabea. Gute Nacht.

Miniel ist jetzt offline
 

Noch bevor sie dazu kam, etwas zu erwidern, war er bereits verschwunden. Ihre Unterlippe zuckte unruhig. Woher kannte er ihren Namen? Sie hatte ihn nie erwähnt! Sie war sich sicher. Ganz sicher! Sie hatte ihn auch nirgendwo ihm Profil stehen. Da gab es auch keine Links, welche daraufhin hätten deuten können.

Dann war diese Information also wirklich von einer anderen Person. Nur von wem? Wurde sie beschattet? Nur warum? Das ergab alles keinen Sinn. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie. Gute Nacht? So sollte sie ernsthaft Schlaf finden?
 

Miniel erhob sich von seinem Hocker. Nur unwillig dieses Mal jedoch, was allerdings nicht damit zu tun hatte, dass die Arbeit ihn rief. Tabea mit diesen wirren Gedanken zurückzulassen, sagte ihm nicht zu, auch wenn er eigentlich froh sein sollte, dass er von ihr jetzt wegkam. Aber heute war das anders. Hatte er doch gedacht, jetzt endlich frei zu haben. Er wurde enttäuscht. Sein sensibles Gespür für traurige Herzen hatte ihn wieder aufgescheucht, Dieses Mal war es jedoch nicht Tabea. Sie war nicht mehr in Gefahr, auch wenn er sie mit seinem Gerede wieder recht nah in genau diese Richtung gebracht hatte und sie nun wahrlich eine harte Nuss war, was ganz klar bedeutete, dass sie noch mehr seiner Zeit in Anspruch nehmen würde. Zeit, die er zu seiner eigenen Verunsicherung auch noch gerne aufbrachte. Dann musste dieser junge Mann eben noch warten. Er hatte so lange ausgeharrt, da würde das auch weiterhin noch gehen müssen.

Unwohl faltete er die Hände. Er hatte ihr geschrieben, dass er es ihr irgendwann erzählen würde? Das ging nicht. Auch nicht, wenn er wollte. Und genau genommen durfte er das auch gar nicht. Mit dieser Aussage war er ganz klar zu voreilig gewesen. Warum nur hatte er sich zu derartigen Worten verleiten lassen? Das er einem Mädchen über einen Chat geholfen hatte, war zudem das allererste Mal. Mit diesen Medien kam er auch jetzt nur recht schwer klar. Dennoch war er froh, dass er das auf diesem Weg auf die Reihe bekommen hatte. Miniel wollte eben mit der Zeit gehen. Eine ziemlich ungewöhnliche Entscheidung, für einen von seiner Art.
 

Sein Blick fiel auf das Foto, welches er sich von Tabea ausgedruckt hatte. Vielleicht war es ein Fehler, mit ihr über das Internet Kontakt aufzunehmen? Aber das war ganz klar der schnellste Weg gewesen. Jedenfalls in der heutigen Zeit. Miniel seufzte und rieb sich die Stirn. Was hatte er nur angerichtet? Ganz klar hatte er die ganze Sache nun schlimmer gemacht, als sie es vorher bereits gewesen ist. Er würde mit ihr reden. Er würde es müssen. Tief in seinem Inneren sagte ihm eine Stimme, dass er es musste, obwohl er es gar nicht durfte. Vielleicht erzählte er irgendwann mehr, aber im Augenblick ging das nicht. Und gerade eben hatte ein anderes Mädchen seine volle Aufmerksamkeit und so langsam musste er seiner Arbeit wirklich nachkommen, wenn er nicht noch mehr Ärger haben wollte. Wenigstens diesen Auftrag erledigen, ohne, dass er erneut Mist baute. Mit einem Seufzen wischte er sich das Haar aus dem Gesicht. Wenn er sich nur konzentrieren könnte. Das würde eine harte Nacht werden. Miniel trat langsam vor die Terrassentür und sah hinaus. Wann dieser Abend wohl ein Ende für ihn hatte? Er zog die Gardine auf die Seite, öffnete die Glastür und sofort umwehte ihn der kühle Nachtwind und brachte seine Federn zum rascheln. Vielleicht würde er es ihr wirklich sagen. Vielleicht. Irgendwann. Hätte er sie nur nicht selbst so ins Herz geschlossen. Das hätte nicht passieren dürfen! Miniel trat hinaus, breitete seine Flügel aus und verschwamm mit der Umgebung, bis er eins mit ihr war. Erst dann erhob er sich in die Lüfte.
 


 


 

Miniel ist ein Engel.

Sein Aufgabenfeld: http://feevoneden.de/engel/engellexikon-m.html

Kürbiskopf

Inspiriert zu dieser Geschichte, hat mich diese hier:

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/fortschritt_status/1/serie/1566/woerter/0-1000/280120/?

(allerdings hat sie höchstens Ansatzweiße wenn überhaupt etwas damit zu tun. Aber das ist nix neues bei mir. XD )
 

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Wenn es eines gab, was Giselle hasste, dann waren es alberne Feste wie Halloween. Zum einen, weil sie ganz klar längst aus diesem Alter heraus war und zum anderen? Sie hasste es eben einfach! Dennoch stand sie nun hier vor ihrem Spiegel und überlegte, ob sie sich diese hässliche, schrecklich verwarzte, riesige, falsche Nase wirklich aufsetzen sollte. Ja, ihr habt richtig gelesen. Obwohl sich so einiges in ihr dagegen auflehnte, hatte sie vor, heute diese Halloweenparty in ihrer Schule zu besuchen. Und natürlich war sie so einfallslos und hatte sich für ein Hexenkostüm entschieden. Als sie ihrer Mutter nahegelegt hatte, dass sie da tatsächlich hinwollte, hatte diese überrascht die Augenbraue gehoben, aber Giselle musste hier raus. Sie war noch nie so wirklich weg gewesen und diese Party war eine der wenigen Gelegenheiten hier in diesem Kaff. Und außerdem war sie doch nicht unter Fremden. Erneut betrachtete sie die falsche Nase in ihrer Hand. Sollte sie wirklich? Aber die Antwort lag klar auf der Hand, oder vielmehr in der Hand. Dieses Ding war nicht gerade billig gewesen, als würde es für diese lächerliche Veranstaltung jetzt auch herhalten müssen.

Mit ihrem Weidenbesen unter dem Arm, den sie von der Oma geborgt hatte, trat sie schließlich auf die Straße. Giselle konnte nur hoffen, dass diese Veranstaltung kein völliger Fehlschlag war und sie es im Nachhinein doch noch bereute, sich dafür entschieden zu haben.

„Dann mal los.“ Der Weg zur Schule war von ihrem Zuhause aus, nicht weit.
 

Kaum war sie auf die Straße, ihrer Schule abgebogen, wurde sie bereits auf die ersten Bässe der Musik aufmerksam. Und erneut begann sie zu zweifeln, ob das wirklich eine gute Idee war. Giselle rückte ihre Kunsstoffnase zurecht und hob den Blick. Die bunten Lichter, die aus dem Fenstern der Turnhalle heraus leuchteten, gefielen ihr jedoch. Die hatten etwas Beruhigendes.

Die Party war bereits in vollem Gange, als sie endlich in die Turnhalle trat. Überall gruselige Gestalten und nur kurz warf man einen Blick auf die Hexe, mit der großen Nase und dem Besen in der Hand. Mit ihrer Verkleidung fiel sie hier nicht wirklich auf. Hexen gab es reichlich, wie es schien. Vielleicht hätte sie doch etwas einfallsreicher sein sollen? Nächstes Jahr vielleicht... wenn überhaupt.
 

Ohne weiter auf die Musik zu achten, trat sie an den Tisch, mit den fragwürdig dekorierten Leckereien heran. Diese albernen Gummispinnen, welche hier überall lagen. Und die rote Grütze, bei der wohl ein bisschen mit Lebensmittelfarbe nachgeholfen wurde... Kopfschüttelnd wand sie sich schließlich dem Punsch zu. Der ganze Tisch war hier bereits versaut, aber die Kunststoffhand stand noch wie eine Eins in diesem Getränk. Auch diese Ignorierend, nahm sie sich schließlich die Kelle. Vielleicht schmeckte dieser Punsch wenigstens. Blutorange, wie einfallsreich... Während sie unbeirrt ihr Glas füllte, wurde sie aus dem Augenwinkel heraus, auf eine Bewegung auf der anderen Seite des Tisches aufmerksam. Langsam hob sie ein Stück den Kopf, um unter der Krempe, ihres spitzen Hutes hervorschauen um können und wurde sofort auf Verbände aufmerksam. Eine Mumie! Giselle blickte schließlich vollends auf und verzog kurz den Mund. Mumie? Nur fast. Dieser Jemand hatte zu einem vollkommen in Bandagen gehüllten Körper einen dieser geschnitzten Kürbisse auf dem Kopf. Und dazu auch noch einen freundlich lächelnden. Wie sie diese Kürbisse hasste!

„Punsch?“, fragte sie sofort, weil der Kürbiskopf gar so in jene Richtung blickte.

„Nein Danke“, lehnte die männliche Stimme, welche aus dem Obst sprach, rasch ab.

Nicht? Während sie einen Schluck trank, was gar nicht so einfach war mit dieser Nase, deutete sie mit der freien Hand auf die rote Grütze, doch auch jetzt schüttelte er nur den Kopf.

Dann war sie wohl gerade das Objekt seiner Aufmerksamkeit. Etwas anderes konnte es gerade unmöglich sein, denn nach einem knappen umblicken nach rechts und links, durfte sie feststellen, dass sie gerade die einzige hier am Tisch war.

„Wenn du mich hier schon so anstarrst, kannst du mich auch gleich zum Tanzen auffordern.”

Mit ihrer herrischen Art war sie so manches Mal bereits angeeckt, aber dieser Kürbiskopf ging augenblicklich darauf ein. Ohne zu zögern trat er um den Tisch herum und verneigte sich vor ihr tief.

„Würdest du mir diesen Tanz schenken?“ Ein breites Grinsen legte sich auf Giselles Gesicht.

„Aber ja, der Herr“, ging sie auf sein Spielchen ein, stellte das Glas weg und deutete einen Knicks an. Eine seltsame Geste, wie sie selbst fand, zumal es eine Hexe war, die gerade diese vornehme Bewegung zeigte. Und dennoch fand sie diese Art der Aufforderung irgendwie sehr charmant. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Nicht diese Standardsprüche, die meist auf ein Wort reduziert waren: Tanzen? Und anschließend folgte ein verschämter Blick.
 

Als er ihr die Hand reichte, überlegte sie somit nicht lange. Und nur im letzten Moment kam sie dazu, noch ihren Besen auf eine der Stuhlreihen abzulegen. Den konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Seine Hand zu halten, war gar nicht so einfach, da diese Verbände wohl eher Fäustlingen ähnelten. Allerdings war die Musik, weniger Sekunden später einsetzte, nach dem sie die Tanzfläche betreten hatten, um einiges langsamer, wie das Lied davor. Unruhig schluckte sie. Zu so etwas tanzen?

„Traust du dir das zu?“ Er hatte ihre Unsicherheit bemerkt.

„Ich weiß nicht, aber ich kann es versuchen.“ Unruhig war sie einen Blick nach unten. Auch seine Füße waren, wie es schien, nur in Bandagen. Wenn sie ihn wiederholt trat, hatte er bestimmt nach kurzer Zeit keine Lust mehr.
 

Aber das schien nicht zu passieren. Geschickt manövrierte er sie zwischen den herum hüpfenden anderen Schülern hindurch und Giselle kam es vor, als seien sie hier die einzigen Beiden, die nicht wie die Kinder herumsprangen und irgendwie fühlte sie sich dabei auch noch wohl.

„Das machst du wirklich gut.“

„Dafür, dass ich das noch nie gemacht habe und nicht einmal weiß, was ich hier eigentlich tue...“

Sie verzog kurz den Mund und als er sie kurz direkt ansah, glaubte sie blaue Augen aus den dreieckig geschnittenen Kürbisaugen heraus leuchten zu sehen.

„Darf ich deinen Namen erfahren, Kürbismann?“ Sie musste einfach wissen, mit wem sie hier gerade tanzte.

„Nenn mich Harry“, kam prompt zurück.

Giselle überlegte. Sie kannte keinen Harry. Sie konnte sich nicht erinnern. War das vielleicht einfach nur irgendein Name, dass er unerkannt bleiben konnte? Das wäre wirklich zu schade.

„Harry? Kommt mir nicht bekannt vor. Bist du überhaupt auf dieser Schule?“

Nach einigen Runden, die er sie herumwirbelte, bekam sie endlich eine Antwort.

„Ich bin an dieser Schule gewesen. Es liegt aber schon ein paar Jahre zurück.“

Überrascht blickte sie zu ihm auf. Da er sicherlich einen Kopf größer war, konnte sie nicht in die Löcher seines Kürbisses hineinblicken. Darum konnte er also so gut tanzen. Er war ein paar Jahre älter als sie.

„Seid ihr weggezogen?“

„So ähnlich.“ Mit diesen Worten griff er sie fester an der Hand und drehte sie einmal im Kreis.

„Und dennoch kommst du wieder hier her? Für dieses Fest?“ Diese Sache hatte Giselle neugierig gemacht.

Harry nickte. „Irgendwie zieht es mich jedes Jahr wieder hier her.“
 

Als sich das Lied in den letzten klängen lag, sah sie abermals zu ihm auf und sie beschlich das seltsame Gefühl, dass er vielleicht doch älter sein könnte, wie sie jetzt glaubte. Giselle musste sich unbedingt Klarheit verschaffen. Sie zwängte sich schließlich durch eine Traube Schüler hindurch, um wieder zu den Stühlen zu kommen, wo sie ihren Besen abgelegt hatte, doch eine Stimme hinter ihr, brachte sie zum stocken.

„Sexy Hexy“, war hinter ihr auf einmal, zwischen dem ganzen Gemurmel und den schnellen Beats herauszuhören und als sich Giselle danach umwand, blickte sie auf die Gestalt aus dem Scream-Filmen. Da sie keine Ahnung hatte, wer sich dahinter verbarg, setzte sie einfach mal einen grimmigen Blick auf. Dann zog ihr gegenüber eine Kamera aus dem Ärmel hervor. Einer von der Schülerzeitung, wurde es Giselle augenblicklich klar.
 

„Darf ich ein Foto von euch machen? Für die Schülerzeitung?“

Er schob seine Maske nach oben, um sich zu erkennen zu geben. Timo! Bekannt für übertrieben, aufgebauschte Texte, die manchmal weit ab von der Wahrheit lagen. Diesen Kerl konnte sie nicht ausstehen.

„Nein!“, grummelte sie. Der hatte ihr gerade noch gefehlt. Wenn sie ihren Besen zur Hand gehabt hätte, hätte sie ihm wohl damit eine übergezogen. Giselle verschränkte bockig die Arme vor der Brust, doch Harry ließ es sich nicht nehmen und legte stattdessen den Arm um ihre Taille. Dann trat er näher heran.

„Gönn ihm doch dieses eine Foto.“ Dabei blickte er kurz in ihre Richtung. „Wenn du schon in die Zeitung sollst, dann sollte es schon ein anständiges Bild werden.“

Resigniert seufzend senkte sie die Schultern, obwohl ihr dieser Gedanke mehr als missfiel.

„Na schön.“ Auch ihr Blick blieb kurz an ihrem Tanzpartner hängen. Dabei kam ihr auch die Idee für die richtige Pose.

Sie wand sich ihm vollends zu, legte die falsche Nase genau an den Kürbis und machte einen Kussmund. Auf dieses Foto war sie nun allerdings selbst gespannt, obwohl sie sich wohl bereits im nächsten Moment wieder darüber ärgerte, genauso hier posiert zu haben. Timos Worte unter dem Bild grauten sie jetzt bereits, aber sie war hoffentlich nicht das einzige Opfer seiner Fotografenneigungen.
 

„Vielen Dank, säuselte Timo, als die Sache für alle endlich überstanden war. „Ihr seid wirklich ein süßes Pärchen. Die Hexe und der Kürbismann...“

Giselle verzog lediglich das Gesicht und wand sich schleunigst wieder vom ihm ab.

„Verschwinde einfach, wenn ich dich nicht verfluchen soll...“

Der Maskenmörder zuckte darauf lediglich mit den Schultern und zog mit schallendem Gelächter weiter, um die nächsten Leute zu nerven und zu fotografieren.
 

Während Giselle so neben Harry stand, kam sie endlich dazu eine weitere Sache zu überprüfen. Und zwar ob dieser Kürbis echt war. Ein paar Mal klopfte sie mit dem Finger dagegen und tatsächlich. Er war wirklich echt und keiner von diesen schlecht gefertigten Plastikdingern. Das hätte sie aber auch bereits sehen müssen, nur verfälschen die bunten Scheinwerfer eben die Farben. Der Kürbismann ging auf dieses Tun gar nicht ein. Er schien abgelenkt und sein Blick war auch jetzt noch Timo gefolgt.
 

„Du scheinst ihn nicht sonderlich zu mögen“, schlussfolgerte Harry ihre Reaktion.

„Nein. Überhaupt nicht. Er schreibt immer nur Mist, als versuche er sich wichtig zu machen.“

Nur widerwillig ließ sie sich erneut auf die Tanzfläche schleifen.

„Das wird er nicht. Dieses Mal nicht. Ganz bestimmt...“

„Entschuldige Harry“, wand sie sich aus seinem bandagierten Griff. „Ich befürchte, ich brauche frische Luft.“

Mit dem Kopf nickte sie in Richtung der Tür, welche zu den Außenanlagen führte. Als sie darauf zu trat, folgte ihr der Kürbismann allerdings nicht, was sie jedoch mit Überraschung feststellte.

„Kommst du nicht mit?“ Hatte sie doch eigentlich ein anderes Ziel: Sie wollte wissen, wer dieser Kerl war. Nicht, dass er wirklich bedeutend älter war, was sie lieber vorher wissen würde, bevor sie ihn zu mögen begann.
 

Tief zog sie die kühle Abendluft ein, als sie sich mit dem Rücken an der Maschendrahtabsperrung anlehnte, hinter welcher sich das Fußballfeld befand. Der Kürbismann folgte ihr zwar, aber wohl fühlte er sich dabei scheinbar nicht.

„Letztes Jahr bist du mir gar nicht aufgefallen“, begann er dann jedoch und trat ein Stück näher heran.

Giselle nahm ihren Hut ab und griff mit der anderen Hand ihre Nase, um sich davon zu befreien.

„Letztes Jahr bin ich auch gar nicht gewesen. Du musst wissen: ich hasse Halloween.“ Dabei verzog sie spitzbübisch den Mund.

„Du hasst Halloween?“ Harry klag überrascht. „Warum bist du dann hier?“ Er lehnte sich ebenfalls an den Maschendrahtzaun.

„Das weiß ich wohl selbst nicht.“ Sie grinste breit und lugte zu ihm hinüber. Und was ich auch ganz schrecklich finde, sind diese geschnitzten Kürbisse.“

„Ach wirklich?“Er blickte in ihre Richtung.

„So einen würde ich mir niemals in den Garten stellen, aber dir steht er irgendwie.“

Entschuldigend lächelnd trat sie erneut recht nah heran und versuchte hineinzublicken, aber irgendwie hatte sie keine Chance. Sie erkannte darin rein gar nichts.

„Kannst du dieses Ding nicht mal abnehmen?“Erwartungsvoll sah sie ihn an.

Doch Harry schien mit sich zu ringen.

„Ich weiß nicht, ob das so eine kluge Idee ist.“

„Wieso nicht? Was versteckst du da denn so schlimmes darunter?“

Harrys Blick ging bei diesen Worten gen Himmel. Er suchte kurz den Mond, aber den konnte man von hier aus nicht sehen, trotz, dass nicht eine Wolke zu sehen war.

„Ich würde eben gerne wissen, mit wem ich heute getanzt habe. Bitte.“ Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, strich sie ihn kurz über den Arm.

Als er sie wieder ansah, hatte sie plötzlich das Gefühl, dass der Kürbis auf einmal nicht mehr ganz so freundlich grinste. Konnte das sein? Das war Unsinn!

Das Gekreische von Kindern wurde laut und ein ganzer Trupp zog schließlich an den beiden vorbei und Giselles Blick folgte ihnen, bis sie um die nächste Ecke verschwunden waren, dann blickte sie jedoch erschrocken auf. Harry war genau vor sie getreten und sah tatsächlich traurig aus.

„Na schön“, brachte er schließlich hervor. Seine Worte waren nur noch ein Flüstern.

Ohne noch länger zu warten griff er den Kürbis mit beiden Händen.

Doch als er ihn nach oben wegzog, glaubte Giselle nicht ganz richtig sehen zu können. Darunter kam kein Kopf zum Vorschein. War das eine von diesen Verkleidungen, wo die falschen Schultern den Kopf überragten? Aber sie konnte in seinem Bandagierten Körper keine Löcher für die Augen sehen. Da war nichts. War das ein schlechter Scherz?

Harry klemmte schweigend den Kürbis unter den Arm und Giselle kam so langsam der Verdacht, dass man sie hier gewaltig verarscht hatte. Aber seine Schultern sahen doch normal aus? Sie streckte die nun mittlerweile zitternde Hand aus um über die Stelle zu fahren, wo sonst ein Kopf sitzen sollte, aber da war nichts. Ihr Herz begann zu rasen. Was zum Teufel war das für ein mieser Halloweenscherz? Sollte das eine Art Strafe sein? Weil sie Halloween nicht mochte? Immer wieder versuchte sie, das gesehene, in logische Zusammenhänge zu packen, aber es gab scheinbar keine.
 

Wie versteinert stand sie da. War nicht in der Lage, sich zu bewegen. Dann endlich schien sie ihre Sinne wieder beisammen zu haben und stieß einen Markerschütternden Schrei aus und genau in diesem Augenblick fielen ein Kürbis und jede Menge Verbände vor ihr auf den Boden.

Waldgeschichten – 1. Der Fund

Auch diese Geschichte entstand, weil mich eine andere, von dieser Seite hier, inspirierte.

Und zwar diese hier:

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/fortschritt_status/1/serie/1566/woerter/0-1000/286152/

Und mal wieder weicht der Inhalt erheblich ab. :3
 

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Mit großen Schritten stapfte er durch den Wald. Seinen Wald! Endlich hatte er ihn wieder für sich. Kr'onak sollte eigentlich glücklich sein – zumindest von Befriedigung erfüllt – aber seine Schritte waren so wütend, wie sie es sonst auch waren. Murrend tat er einen Schritt vor den nächsten und trat dabei so derb auf, dass es den Anschein hatte, er wolle damit ein Erdbeben auslösen. Zapfen gingen unter seinen nackten Füßen zu Bruch. Ein sich wiederholendes, dumpfes Poltern auf dem trockenen Waldboden.
 

Endlich hatte er sie vertrieben. Dieses elende Menschenpack! Hatten sie es doch gewagt, sich hier einfach nieder zu lassen. Vielleicht hätte er darüber hinweggesehen, aber sie hatten angefangen, Bäume zu fällen – gesunde! – nur um ihre Siedlung ausbauen zu können. Das hatte das Fass zum überlaufen gebracht und er war in der Nacht zu ihnen gegangen und hatte alles kurz und klein geschlagen. Dabei waren sogar einige ihrer Habseligkeiten in Brand geraten. Der Wald hatte dabei jedoch keinen weiteren Schaden genommen und als er in den Morgenstunden erneut dort gewesen ist, waren alle verschwunden.
 

Nun legte sich doch ein Grinsen auf das Gesicht des Orks mit dem besonders abstehenden, linken Eckzahn und er hielt inne. Dabei hob er den Blick zu den Wipfeln und zog tief die Morgenluft ein.

„Endlich wieder alleine!“ Endlich würde hier wieder Ruhe einkehren und er konnte sich wieder dem widmen, dem er sich sonst widmete, wenn er nicht gerade andere Völker vertrieb. Sein sachkundiges Gehör nahm plötzlich Geräusche auf, die er zuvor noch nie gehört hatte. Nun, vielleicht hatte er sie irgendwann bereits einmal gehört, aber im Augenblick konnte er sie nicht einordnen. Ein Grund für Kr'onak, dem nachzugehen.
 

Er verließ den Trampelpfad, der zu seiner Unterkunft führte, trat durch die dornigen Büsche und stellte sich auf einen kniehohen Felsen, der so breit war, dass er ohne Probleme gut darauf stehen und die Gegend überblicken konnte. Dieser Teil des Waldes war sehr flach und da es hier mehr Laub als Nadelbäume hab, war er auch wesentlich heller, als andere Waldstücken und somit besser zu überblicken. Mit der Hand über den Augen ließ er den Blick schweifen und als er das eben vernommene Geräusch erneut hörte, glaubte er auch die genaue Richtung ausgemacht zu haben. Eine Eiche. Sicherlich war diese schon sehr viele Jahre alt. Er stieg vom Felsen, trat an die Eiche heran und um sie herum, da er nämlich wusste, dass ihr Stamm unten ein recht großes Loch aufwies. Dieser Baum war bereits hohl, als er in diesen Wald kam. Und tatsächlich. Im Stamm dieses mächtigen Baumes bewegte sich etwas. Und ein weiterer, genauerer Blick darauf, ließ seinen Ärger von eben wieder ansteigen.
 

Einer von diesen verhassten Menschen steckte da drin! Ein besonders kleiner – ein Kind. Als es ihn bemerkte, verstummte es und sah ihn mit großen Augen an. Kr'onak starrte mürrisch zurück. Zumindest so lange, bis dieser Zwerg sein Gesicht hinter den Händen versteckte und erneut zu Schluchzen begann.

„Was hast du hier noch verloren, Mensch?“, fuhr er das Kind an und er musste einen Moment ungeduldig auf eine Antwort warten. Geduld war nicht seine Stärke.

„Ich heiße Mae. Sie haben mich vergessen...“, bekam er schließlich mit zitternder Stimme zurück.

Kr'onaks buschige Augenbrauen zuckte überrascht. Sie hatten ihren Nachwuchs vergessen? Was waren die Menschen nur für ein seltsames Volk? Er war sich nicht sicher, ob er das wirklich glauben sollte, aber dieses Kind stand hier alleine vor ihm – vielmehr kauerte es in diesem Loch - und das sollte wohl reichen, um die Wahrheit zu sein.

Aber interessierte ihn das? Wohl eher nicht. Dieses Kind war nicht sein Problem. Darum machte er auch kehrt, um sich endlich auf den Heimweg zu begeben. Schließlich musste er sich um sein Mittagessen kümmern. Die letzten Worte des Menschenkindes vernahm er nur schwach.

„Geh bitte nicht weg...“

Kr'onak schüttelte Gedankenversunken den Kopf. Aber eigentlich wollte er einfach nur vergessen, was er da gerade gefunden hatte. Er durchquerte einige Büsche und vernahm plötzlich ein: „Autsch.“

Als sich der Ork danach umwand, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Das Menschenkind war ihm tatsächlich gefolgt. Es rieb sich die Wange. Scheinbar hatte es wohl einen der Äste ins Gesicht bekommen, welche er sich eben aus dem Weg gedrückt hatte.
 

„Kann ich mitkommen?“

Kr'onak entfuhr ein Knurren. Das würde ihm gerade noch fehlen. „NEIN!“

„Aber ich will nicht alleine sein...“

„Das interessiert mich nicht und jetzt geh!“

„Aber wo soll ich denn hingehen?“

Ihre großen, traurigen Augen brachten ihn schließlich dazu, schleunigst kehrt zu machen und zu verschwinden.

„Das ist mir egal!“
 

Eine ganze Weile war er durch den Wald gelaufen, welcher zunehmend unwegsamer wurde, bis er plötzlich zusammenfuhr.

„Kann man den hier essen?“

Erschrocken, dass sie ihm immer noch folgte, hielt er mit einem Ruck an und starrte auf sie herab. Sie hatte einen Pilz in der Hand.

„Nein, der ist giftig!“

Mit diesen Worten lief er einfach weiter. Er musste dieses Kind loswerden!

„Und was ist mit denen?“

Kr'onak hatte so langsam genug.

„Hör mal... Mae...“

Er ging vor ihr ein Stück in die Knie, um ihr näher zu sein und sah sie grimmig an. Dieses Kind war so hartnäckig, dass man meinen konnte, es war ein Orkjunges, dass hier hinter ihm stand. Einen Dickkopf, wie er ihn selbst ohne Zweifel hatte.

„... es ist nicht nötig, dass du mir Pilze suchst!“

Verängstigt schluckte die Kleine und senkte den Blick.

„Aber... ich habe Hunger...“

Kr'onak seufzte und ließ seinen Blick auf den Pilz in ihrer rechten Hand wandern, nahm ihn ihr behutsam ab und warf den Knollenblätterpilz, der es war, mit Schwung in die Büsche.

„Der andere ist in Ordnung.“

Nur zaghaft hob sie wieder den Kopf, sah kurz auf den Pilz, den sie noch in der Hand hielt und versuchte anschließend Kr'onaks festen Blick standzuhalten.

„Du weißt hoffentlich, dass man Pilze roh nicht essen sollte?“

Ohne zu zögern nickte Mae. Daraufhin richtete sich der Ork wieder auf und wand sich zum gehen.

„Gut“, sagte er, drehte sich dann jedoch erneut kurz zu ihr um und deutete auf den Fuß einer Birke, die nicht weit von den Beiden entfernt stand. „Dann bringe diese drei noch mit und komm.“

Waldgeschichten – 2. Heimwärts [Drabble]

Sie folgte ihm. Er hatte sie tatsächlich mitgenommen. Er hörte ihre Schritte. Wahrscheinlich hüpfte sie hinter ihm her.

„... und dann komm“, hatte er gesagt. Warum nur?

Kr'onak seufzte. Eine dumme Idee, kam es ihm in den Sinn. Eine verdammt dumme Idee. Aber wer sollte sich schon über ihn lustig machen? Den Finger auf ihn zeigen? Vielleicht sogar auf ihn spucken? Außer ihn gab es niemanden hier, den es interessieren könnte. Nur er und dieses kleine Menschenkind hinter ihm.

Dann jedoch zuckte er zusammen, blieb allerdings nicht stehen. Eine Einbildung? Der Ork blickte herab.

Nein, sie griff tatsächlich seinen Daumen.

Waldgeschichten – 3. Das Wagnis [Drabble]

„Komm schon.“

Das kleine, quirlige Mädchen, welches bei ihm eingezogen war, grinste hinterhältig. Ein Blick, den er ihr gar nicht zugetraut hätte.

„Oder hast du etwa Angst?“

Der Ork trat einen Schritt auf sie zu – nur einen, nicht mehr.

Er und Angst? Das wäre ja noch schöner! Wer sollte ihn denn da noch ernst nehmen? Aber das? Ein weiterer Schritt nach vorn. Und nun? Doch zu ihr rübergehen? Aber welchen Grund gab es dazu? Er sah darin jedenfalls keinen, auch wenn sie darüber anderer Meinung war. Sein Geruch?

„Nun mach schon!“ Sie spritze ihn voll. „Wasser tut doch nicht weh.“

Change is life

Gelangweilt stand er an der Straßenbahnhaltestelle und beobachtete die Leute, welche mehr oder weniger geduldig um ihn herum standen. Der Blick seiner grünen Augen fixierte alles genau, aber etwas wirklich Interessantes konnten sie nicht einfangen. Hektor, ein Mann den man als durchaus attraktiv bezeichnen konnte, verharrte schweigsam und ließ die Umgebung auf sich wirken. Sein teuer wirkender Anzug ließ ihn hier, in der bunten Menge, fast schon fehl am Platze wirken. Wie einen Banker oder vielleicht ein Anwalt. Also eher einer, der keine Straßenbahn nahm und mit seiner Größe überragte er zudem die meisten hier. Seufzend fiel sein Blick schließlich auf die digitale Uhr neben dem Gleis. Die Bahn hatte Verspätung. Bereits zehn Minuten. Eine Sache, die hier öfter vorkam, weshalb er sich nicht darüber aufregte, aber die Leute hier wurden langsam unruhig. Ein Grinsen legte sich auf sein Gesicht, denn die Gedanken der Menschen, waren für ihn ein offenes Buch. Für einen, er diese Fähigkeit ganz plötzlich bekam, war das vielleicht verwirrend, wenn nicht sogar erschreckend, plötzlich all diese Stimmen um sich herum zu hören, die neben den gesprochenen Worten existierten, doch Hektor hatte sie bereits von Geburt an. Wie zu erwarten, dachten alle nahezu dasselbe.

Wann die beschissene Bahn endlich kam? Ob sie ihren Termin noch schaffen würden? Ob sie überhaupt noch einen Platz bekamen. Dass sie sich vor dem anstehenden Gedrängel scheuten.

Für ihn war das nicht wichtig. Er hatte keine Termine. Er wusste ja nicht einmal, wo er hier gerade hinfahren wollte. Und eigentlich musste er sich dieses Warten nicht einmal antun, da er genauso gut auch fliegen könnte. Ohne gesehen zu werden, versteht sich, aber ohne Ziel war das nicht wirklich sinnvoll. Lieber beobachtete er die Menschen hier. Wie sie murrend und meckernd mit sich selbst beschäftigt waren. Kein freundlicher Blick, welcher ihm hier besonders ins Auge gefallen wäre.
 

Das von vielen befürchtete Gedrängel blieb nicht aus, als die Bahn endlich kam. Vielleicht hätte er einfach die Nächste oder Übernächste nehmen sollen, doch die Masse hatte ihn einfach mitgerissen. Nun stand er hier, eng an allen möglichen Leuten, welche redeten und Husteten und sich die Nasen putzten. Umfallen konnte er im Augenblick jedenfalls nicht. Ein weiteres Glück war auch, dass ihn Menschenkrankheiten nichts anhaben konnten. Eigentlich überhaupt keine Krankheiten. Jedenfalls hatte noch nie eine über ihn Macht erlangen können. Sein Organismus war wohl einfach zu komplex, als dass irgendwelche Parasiten sich bei ihm einnisten konnten.
 

Als sich nach einigen Minuten und diversen Haltestellen, die Reihen endlich lichteten, konnte er auch wieder durchatmen. Nicht, dass er es musste, aber Hektor war erleichtert, dass sie ihm nicht noch länger so nah standen. Nicht nur die extreme Nähe war ihm mit der Zeit unangenehm geworden, auch der Schwall an Gedanken, hatte angefangen ihn verrückt zu machen. Es waren einfach zu viele geworden, als dass er sie hätte noch länger ausblenden können. Und außerdem war nun in den Längsreihen, nahe den Ausgängen noch ein Platz frei geworden, den er sich schnellstens nahm, bevor ihm jemand zuvor kam. Auf dem Sitz neben ihm, saß eine Mutter mit ihrem Kind.

Der Zwerg im Kinderwagen begann ihn schließlich genau anzusehen und Hektor begann Faxen zu machen. Vielleicht nicht gerade das, was ein Mann in seiner Aufmachung in einer gut besetzten Straßenbahn machen sollte, aber das war ihm egal. Ihn kannte hier ohnehin keiner. Die junge Mutter neben ihm, bekam allmählich mit, wohin ihr Spross seit geraumer Zeit angestrengt sah und hin und wieder ein Feixen sehen ließ. Als Hektor ihren Blick bemerkte schenkte er ihr ein Lächeln, welches sie jedoch mit finsterer Mine quittierte.

„Was ist denn das für einer?“, entnahm er ihren Gedanken. „Hat der nichts Besseres zu tun?“

Hektor senkte sofort den Blick. Was war nur aus den Menschen geworden, seit er hier war? Ein verbittertes, kleines Völkchen, wie es ihm schien.

Ob er nicht besseres zu tun hatte? Wenn er ehrlich sein sollte, war genau das der Fall, aber ihr das sagen? Das kam gar nicht in Frage. Sie würde sich dann ganz sicher wundern, wie er auf genau diese Worte kam, obwohl er schwer bezweifelte, dass sie darauf kommen könnte, dass er jene Fähigkeit hatte.
 

Er versuchte sich schnellstens abzulenken und konzentrierte sich auf die Gedanken, der anderen Fahrgäste.

Wo noch gleich die nächste Apotheke war? Was im Kino lief? Warum er nicht endlich zurückschrieb? Ein kleiner Junge musste, wie es schien, eilig pinkeln. Hektor versuchte ihn von seinem Platz aus sehen zu können und wurde auch fündig. Sein Blick war ungeheuer verkrampft und seine Mutter redete auf ihn ein, doch wie es schien, gab er sich große Mühe, sie zu ignorieren. Er wollte einfach nur raus aus der Bahn.

Irgendwie süß. Doch wie sich dieses dringende Bedürfnis anfühlte, wusste Hektor nicht. Etwas Derartiges würde er nie fühlen. Genau wie Wärme oder Kälte. Dafür war sein Körper nicht geschaffen.

Einige Gedanken der Menschen in dieser Stadt, schafften es immer wieder, ihn aufzumuntern. Die Belanglosesten Dinge schafften es meist, ihm ein Lächeln abzugewinnen, wie auch im nächsten Fall.
 

Ein Gedanke bohrte sich förmlich in seinen Kopf:

„Verdammt. mein Fingernagel ist abgebrochen...“
 

Hektor runzelte die Stirn. Wie konnte dieser Gedanke so deutlich sein? Emotional betrachtet waren diese Gedanken wohl das langweiligste hier, in dieser Bahn, aber so intensiv, wie er diesen empfangen hatte? Er fing an, mit den Augen die Bahn abzusuchen, ohne jedoch, die junge Frau neben ihm, nervös zu machen. Wo kam das her? Bei so vielen Gedanken auf einem Haufen, ließ seine Ortung zu wünschen übrig. Doch nach der nächsten Haltestelle, war im Gang so viel Platz geworden, dass er sie sehen konnte. Die Frau, dessen Gedanken ihn so verwirrt hatten, weil er sie in einer Stärke empfangen hatte, was sonst selten vorkam.
 

Bei ihrem Anblick jedoch fuhr er kurz zusammen. Wenn er ein Mensch wäre, hätte er ganz klar sagen können, dass sie keinesfalls sein Typ war. Sie war viel zu groß und breit für eine Frau. Und die Farben Rosa und Pink, in welche sie gekleidet war, schmeichelten ihr ebenfalls keineswegs. Zudem wirkten sie eher, als seien sie ein paar Nummern zu klein. Und ihr Gesicht war für seinen Geschmack viel zu Bunt.
 

Angestrengt stierte sie sich auf ihre Finger und auch jetzt war eben dieser eine Gedanke genau das, was sie als einziges wirklich zu beschäftigen schien.

Unweigerlich legte sich ein Grinsen auf Hektors Gesicht, welches er irgendwie nicht abstellen konnte. Es war unverschämt, ohne Zweifel, aber er konnte einfach nicht anders. Wie sie so dasaß und sich auf ihren Finger sah. Als sei dieser abgebrochene Nagel das schlimmste auf der Welt. Kopfschüttelnd warf er schließlich einen Blick auf die eigenen Nägel. Bei der Nachbildung seiner Erscheinung, die er im Augenblick darstellte, hatte er sich nur grob an einem dieser Werbeplakate orientiert. Er hatte sich mehr auf das Gesicht konzentriert. Dass Fingernägel so wichtig sein konnten, hätte er bis dahin nicht gedacht. Als er wieder aufsah, bemerkte er ihren Blick. Sie schaute finster zu ihm herüber, was ihn abermals zum Grinsen brachte. Erst Recht ihre Gedanken, welche diesem Blick folgten.

„Afft der mich nach?“
 

Hektor nahm schnellstens die Hand herunter und tat unbeteiligt, aber sein Grinsen konnte er sich nicht verkneifen.

„Wenn der noch weiter so grinst, schlag ich ihm eine aufs Maul...“

Das würde sie nicht wagen! Nicht hier in der Straßenbahn. Hektor, keineswegs von kämpferischer Natur, hob wieder den Blick und schenkte ihr ein Lächeln, auch wenn es ihm schwer fiel. Ihre Antwort darauf war ein verwirrter Blick. Kein verärgerter, wie von der jungen Mutter neben ihm, die mittlerweile ausgestiegen war.

„Niedlich ist der ja schon...“ Sie verzog keine Miene, bei diesen Gedanken.

Wieder musste Hektor grinsen und wand den Blick ab. Ob er wohl besser ausstieg? Die nächste Haltestelle wurde angesagt und er erhob sich mit einem Ruck, doch zu seinem Bedauern tat es ihm die Blonde, in Pink gekleidete Dame gleich. Sich jetzt wieder setzten? Das war albern. Da musste er jetzt durch und zusehen, dass er auf der Straße unauffällig wegkam.
 

Während er an der Tür darauf wartete, dass sich diese endlich öffnete, spürte er, dass sie ganz nah hinter ihm stand und so langsam bekam er es mit der Angst zu tun, auch wenn sie ihm im Grunde gar nichts anhaben konnte. Sich vor ihren Augen einfach in Luft aufzulösen, war eine der leichtesten Übungen, allerdings würde er damit die Aufmerksamkeit aller auf sich ziehen und das wollte er vermeiden. Also war sein Plan, in einer der dunkleren Ecken unauffällig zu verschwinden.

„Na warte!“, hörte er sie denken. „Wenn wir erst mal draußen sind...“ Ihr abgebrochener Fingernagel schien kein wichtiges Problem mehr darzustellen. Sie drohte ihm? Oder was auch immer diese Gedanken bedeuten sollten? Sollte er sich vielleicht bei ihr entschuldigen? Am besten jetzt gleich? Aber weiter kam er selbst mit seinen Gedanken gar nicht, denn die Straßenbahn hielt, die Tür öffnete sich und er wurde nahezu hinausgeschoben. die pinke Grazie dabei dicht im Nacken. Eilig versuchte Hektor sich in Sicherheit zu bringen, doch ihre Schritte folgten ihm mehr als genau über den Fußweg, zwischen all den anderen Menschen hindurch. Er wollte sich nach ihr umsehen, aber das war nicht nötig. Ihre Gedanken machten ihm sehr deutlich, dass sie ihm noch immer folgte. Und sie holte auf.
 

„Warten Sie!“ Das erste Mal, dass er ihre Stimme wahrhaftig hörte. „He! Sie im Anzug.“

Unverkennbar meinte sie ihn. Hektor blieb stehen. Er sah keinen Sinn darin, vor ihr zu fliehen. Als er sich zu ihr umwand, wurde er sofort auf ihren roten Kopf aufmerksam. War es Wut?

„Wollten Sie mich gerade auf den Arm nehmen?“

Ihr wütender Blick erschreckte ihn für den ersten Moment.

Sie auf den Arm nehmen? Dazu wäre er gar nicht in der Lage. Doch beim erneuten überdenken ihrer Worte, wurde ihm klar, dass es sich lediglich um eine Redensart handelte.

„Entschuldigen Sie. Ich wollte nicht unhöflich sein. Es war nicht meine Absicht, Sie zu verärgern.“ Sein Sonnyboy Lächeln schien nicht zu ziehen, denn sie verschränkte kritisch die Arme vor der Brust.

„Na klar...“

Was sollte er darauf antworten? Eine Diskussion anfangen? Er hatte zwar die Menschen beobachtet, aber viele gingen sehr barsch mit einander um und das gefiel ihm gar nicht.
 

„Hören sie Miss. Es tut mir wahrhaftig leid.“

Ihre Augen klebten förmlich an seinen Lippen und Hektor begann in ihnen etwas Merkwürdiges zu sehen. War es Gier? Sah er wirklich so gut aus? War seine Form so glücklich gewählt? Oder Unglücklich – ganz wie man die Sache betrachtete doch ihre nächsten Gedanken brachten ihn wieder dahin zurück, wo er zuvor bereits gewesen ist.

„Der hat bestimmt Geld...“

Das war es also, was sie interessierte. Er seufzte. Irgendwie enttäuschte ihn das, obwohl er andererseits durchaus erleichtert war. Warum war das das einzige, was die Menschen hier noch interessierte? Gab es nicht wenigstens ein paar Ausnahmen? Nicht einmal sie hier? Dabei wurde ihm klar, dass er sie ebenfalls oberflächlich betrachtet hatte, aber im Grunde auch im Nachhinein nicht einmal falsch gelegen hatte.
 

„Entschuldigen Sie, aber ich habe eine Verabredung“, log er. Unruhig sah er sich um. Wie es schien, waren er und die pinke Dame im Augenblick auch noch unbeobachtet, was ihn schließlich dazu verleitete, nach ihrer Hand zu fassen. Völlig perplex starrte sie zu ihm auf und ließ es mit sich geschehen, dass er ihre Fingernägel betrachtete. Hektor hatte wissendlich diese Hand gegriffen, an welcher einer der Nägel weggebrochen war. Er schluckte kurz, als ihm die Länge der restlichen bewusst wurde, weil sie ihn unweigerlich an Klauen erinnerten, mit denen man anderen das Gesicht zerkratzen konnte. In ihrem Fall waren sie jedoch Pink. Doch davon ließ er sich jetzt auch nicht mehr abhalten. Im Notfall würde er sich eben doch einfach in Luft auflösen und diesen Stadtteil nie wieder besuchen. Zumindest nicht in dieser Form.

„Kennen wir uns nicht?“ Ihre Worte brachten seine Gedanken wieder zurück. „Irgendwo habe ich Sie schon einmal gesehen...“

„So weiche Hände...“, hörte er sie anschließend denken. Ihr Ärger schien sich zu legen und Hektor nahm ohne ein weiteres Zögern den Zeigefinger mit dem abgebrochenen Nagel zwischen die Lippen.

„Oh mein Gott! Was tut er da...?“ Ihre Gedanken überschlugen sich fast, doch sie tat nichts dagegen. Zeigte nicht die geringste Gegenwehr. Ganz so, als würde sie es genießen. Kaum einen Augenblick standen sie so beisammen, bis er ihre Hand wieder frei gab. Charmant Lächelnd wartete er schließlich, bis sie mit größter Verwunderung auf ihren nun wieder intakten Fingernagel sah und diesen Moment nutzte er, um einfach aus ihrem Blickfeld zu verschwinden.
 

Und wieder hatte er ein „schweres“ Leiden eins Menschen beendet...

Gutenmorgenüberaschung [Drabble]

Abrupt wurde sie aus dem Schlaf gerissen und ein Schnaufen weckte ihr Interesse. Wie spät es wohl war? Völlig übermüdet gähnte sie und riss dabei den Mund weit auf. Sie drehte sich auf die Seite und sofort spürte sie dieses Ding in ihrem Gesicht. Quer über ihrer Nase wurde es mit einem Male nass. Dann über dem Mund. Eilig presste sie die Lippen fest zusammen und versuchte sich abzuwenden. Doch sie hatte keine Chance, denn er war bereits über ihr. Und wieder spürte sie die Feuchtigkeit auf ihrem Gesicht.

„Kenny! Verdammt!“, knurrte sie. „Hör endlich auf, mich abzuschlecken! Böser Hund!“

Chancenlos [Drabble]

Er hätte sie nicht provozieren sollen! Er hätte sie nicht herausfordern sollen! Aber der Alkohol hatte ihn dazu verleitet. Sie war doch eine Frau. Warum also sollte er es nicht schaffen? Seine Hose klebte ihm an den Beinen und auch sein Hemd war bereits völlig ruiniert. Er blickte auf und in das hämische Grinsen seiner Widersacherin. Ihr Gesicht war nur zu erahnen. Zum Kampf bereit nahm sie einen festen Stand ein und formte die Hände zu Klauen.

„Nun komm schon, Großmaul!“

Ihre Worte gingen im allgemeinen Stimmengewirr, um ihn herum, nahezu unter.

Schlammcatchen. Frauensache. Aber er musste sie ja herausfordern...

Mordlust [Drabble]

Er hatte sie umgebracht. Alle. Nicht einen von diesen Bastarden hatte er am Leben gelassen.

Nun fühlte er sich verdammt stark, aber wem sollte er von dieser Tat jetzt berichten?

Gekrümmt lagen sie nun vor ihm hier auf dem Boden. Kein einziges Zucken mehr. Er hatte ganze Arbeit geleistet.

Mit stolzgeschwellter Brust schaute er sich noch einmal um, doch er war allein. Außer dem Ticken der Uhr an der Wand und seinem Athen war kein Laut zu hören. Er hatte es geschafft.

Fest hielt er die Waffe in der Hand und streckte den Arm nach oben.

Alle Fliegen waren erschlagen.

Das Paket [Drabble]

Unschlüssig starrte er auf den Klingelknopf. Sollte er es wagen? Er schluckte und sah auf das Paket in seinen Händen. Sollte er vielleicht lieber wieder umkehren? Aber das ging nicht! Er musste es aushändigen. Darum war er doch extra hier her gefahren.

Aber er hatte Angst vor ihrer Reaktion wenn sie ihn hier sah. Es war immer das gleiche.

Widerwillig klingelte er. Als er Schritte hörte, spürte er deutlich die Gänsehaut auf seinen Armen.

Die Tür sprang auf und als sie ihn sah und was er da hatte, bohrte sich ihr Freudenschrei in sein Hirn. Warum hatte er immer Zalando-Bestellungen...

Schlechter Scherz [Drabble]

Als ihm sein Kumpel sagte, wer gerade geläutet hatte, wurde er bleich. Die Polizei? Nur warum? Ruhestörung? Waren sie wirklich schon zu laut gewesen? Er wollte doch nur seinen Dreißigsten feiern. Als der Polizist schließlich den Raum betrat, wurde ihm richtig anders.

„Herr Kommissar, ich...“ Er wollte doch niemanden belästigen.

Sein finsterer Blick traf ihn. „Diese Musik geht gar nicht!“ Keinen Moment später endete der Techno. Doch zu seiner Überraschung wurde etwas anderes eingespielt. Der Cop begann sich dazu rhythmisch zu bewegen, während er sein Hemd aufknöpfte. Auf seiner Brust stand: Happy Birthday!

“Wer von euch hat den Stripper bestellt?!”

Bis(s) zur Überhitzung [Drabble]

Die ohrenbetäubende Musik, die hier vorherrschte, raubte ihr furchtbar die Nerven. Aber da war noch etwas anderes. Um ihm endlich zu sagen, was Sache ist, würde sie wohl auf die Terrasse gehen müssen. Hier war es einfach zu laut.

Als sie endlich draußen angekommen war, standen die beiden Kerle bereits wieder hinter ihr.

„Hör mal Jacob.“ Bella seufzte. « Ich finde es wirklich süß von dir, dass du mir helfen willst, aber das geht nicht.“

Sein feindseliger Blick hing sofort wieder an Edward und das Grinsen des fahlen Kerls machte ihn wütend.

„Aber du kannst mir meine Cola nicht kühlen...“

Die Hard [Drabble] (Inspired by: die Ärzte)

„Tu das nicht. Ich flehe dich an…”

Die am Stuhl festgebundene, junge Frau versuchte sich zu befreien, indem sie wild an den Fesseln zerrte, aber sie hatte keine Chance. Ihr Peiniger hatte sie anständig festgemacht. Ganz so, als würde er etwas von Bondage verstehen.

„Du hast es doch nicht anders gewollt...“

Die Männerstimme hinter ihr lachte hämisch.

„Ich werde dich nicht gehen lassen. Zu spät. Aus und vorbei.“

Dann spürte sie es bereits deutlich. Die Einschläge, auf ihrer Haut. Immer wieder.

„Tu das nicht. Ich mache alles, was du willst.“

Doch er hörte nicht auf, sie mit Wattestäbchen zu bewerfen...

Vollkommene Vorfreude [Drabble]

Als er den Raum betrat, spürte er sofort die Wärme der Begeisterung über sich hereinbrechen. Was für ein Anblick.

Das verliebte Lächeln, seiner Freundin, während sie ihm diese entgegenhielt, gab ihm fast den Rest. Sie wusste stets, was er wollte.

Schnell trat er heran und nahm sie in die Hand. So prall und rund. Wie ihn doch immer wieder ihre Größe überraschte. Er musste sie haben. Jetzt gleich!

Liebevoll berührte er ihre Haut mit den Lippen. Küsste sie förmlich. Saugte daran und biss sich schließlich ein Stück davon heraus.

Wie er doch die Äpfel liebte, aus dem Garten seiner Schwiegereltern.

Verfolgungstour [Drabble]

Und da war er wieder. Dieser verdammte... hatte sie ihn doch eben überholen können und schon versperrte er ihr abermals den Weg. Wie lange sollte das wohl noch gehen? Ein Knurren entwich ihr und sie bekam von ihm ein fieses Grinsen zurück. Und abermals hatte sie aufholen können, da zog er bereits wieder davon.

Wie sie diese Farbe hasste! Ein weiterer Versuch, ihn zu überholen, scheiterte, als er sie einfach umwarf.

Und immer wieder war es das Selbe. Sie hatte keine Chance gegen ihn.

Da hatte er sein Ziel bereits erreicht.

Vielleicht sollte sie nie wieder Mensch-Ärgere-Dich-Nicht gegen ihn spielen...

Im Bann der Fleischlust [Drabble]

„Würdest du endlich aufhören, damit herumzuspielen!?“

Sie warf ihm einen fragenden Blick zu und hob dabei die Augenbraue.

„Wieso? Als ob dich das stören würde. Wenn du ‚herumspielst‘ sieht es anschließend noch viel schlimmer aus, weil aus deinem ‚Spielzeug‘ viel mehr herausläuft.“

Sie wand sich wieder ab und er seufzte.

„Als ob das dasselbe wäre...“ Dennoch beobachtete er sie weiterhin.

„Keiner verlangt, dass du mir beim Essen hilfst“, stieß Buffy genervt aus und legte endlich das Messer weg, mit dem sie die Tomaten für den Salat kleingeschnitten hatte.

„Werde ich auch ganz bestimmt nicht“, murrte Spike und verließ die Küche.

Feng Shui – Störung [Drabble] (Vorsicht - Flachwitz)

„Sir! Hören Sie?“

Das Fenster wurde mit einem Ruck geöffnet.

„Ich wollte mich beschweren“, brachte der Einrichtungsprofi unruhig hervor.

„Ach ja?“ Der mürrische Blick seines Gegenübers hing fest an ihm.

„So schreckliche Vorhänge habe ich noch nie gesehen. Hätten sie nicht etwas anderes? Vielleicht etwas Blaues? Oder etwas Kariertes? Diese trostlose Farbe hindert mein Qi am fließen. “

Er bekam keine Antwort.

„Diese Dinger sind doch überhaupt nicht mehr Modern.“

„Aber NATÜRLICH sind sie das!“, gab ihm der Mann vorm Fenster bestimmend zu verstehen.

„Und Sie werden auch keine anderen bekommen! Diese Gardinen sind der neuste Schrei! Aus Schweden! Basta!“

Süße Unkenntnis [Drabble] (Insider)

Angespannt starrte er vor sich hin. Der süße Geruch, den die Leckereien vor seiner Nase ausströmten, hatte sich längst bei ihm festgesetzt. Sein unruhiger Blick galt jedoch auch der jungen Frau, die ihm gegenüber saß. Sollte er sie fragen? Aber er wollte sie doch nicht noch mehr verwirren.

Ihr Blick hing auch jetzt wieder an seinen undurchsichtigen Brillengläsern. Eine Tatsache, die ihn nur noch nervöser machte, dass er sich schnellstens wieder auf die Donuts vor ihm konzentrierte.

Fast waren sie für ihn ja auseinanderzuhalten. Aber eben nur fast.

Marik seufzte. Er musste es wissen.

„Janika? Welche Farbe hat der Zuckerguss?“

Herr der Bestrafung [Drabble] (Crossover)

Aufgeregt war er im Zimmer umhergelaufen, doch er hatte ihn nicht gefunden. Der Ring blieb verschwunden. Als die Tür aufgezogen wurde, wand Frodo sich dieser hektisch zu. Es war Sam.

„Wo ist er?!“

Sein fellfüßiger Freund senkte den Blick, lächelte jedoch. Kein gutes Zeichen, wenn man bedachte, wie mächtig das verschwundene Kleinod ist.

„Dieses olle Ding? Hab ich versteigert – bei Ibay. Dafür habe ich etwas viel schöneres bekommen. Das ist für dich.“

Ohne länger zu zögern, nahm er die Hand hervor und reichte Frodo besagten Gegenstand.

Ein Zepter. Es hatte einen rosa Griff und an der Oberseite war ein goldener Halbmond.

Handelsreise [Drabble]

Träge hing es wie immer an seinem angestammten Platz. Die gleichen Leute, welche mit nassen Fingern nach ihm griffen. Immer wieder. Ein ödes Leben. Aber es hätte bei weitem Schlimmer sein können. Da hatte es haarsträubendere Geschichten gehört.

Wäre da nicht diese beklemmende Reise hin und wieder. Der einzige Weg, der es von hier wegbrachte. Aber leider war der Transport nicht das geringste Vergnügen. Für Klaustrophobiker der Untergang. Man sah nicht einmal etwas auf der Reise. Und die riesigen Hallen, welche das Ziel waren, waren auch nicht sonderlich sehenswert.

Aber es hatte keine Wahl.

War es doch nur ein Handtuch.

Harveys neues Opfer [Drabble] (Insider, Crossover)

Angespannt hockte er hinter einer Mauer. Jack Sparrow – Padon – Captain Jack Sparrow hatte erneut den alten Hund ausgetrickst, ihm den Schlüssel abgenommen und war der Zelle entkommen. Doch jetzt musste er an diesen Männern vorbei.

Versichernd blickte er sich um und legte die Finger an den Säbel, den er kurz darauf zur Hand hatte.

Doch als er aufstand, um sich um die Wachen zu kümmern, trat etwas Kleines, blaues um die Mauer herum und auf ihn zu, was er als Stoffhasen erkannte.

„Aber Jack!“ begann dieser. „Weißt du denn nicht:“ Seine Augen leuchteten rot. „Du sollst keine spitzen Gegenstände benutzen...“
 

(Dieses Drabble widme ich Gronkh) ;c)

Wie viel? [Drabble]

Bittere Realität.

Wie viel kann ein Mensch ertragen? In der Familie. Der frühe Tod der Mutter. Der viel zu frühe Tod der kleinen Schwester.

Auf Arbeit. Von den Chefs immer wieder über den Tisch gezogen zu werden. Das gemobbt werden der Kollegen?

Ständiges in den Arsch getreten werden, von Leuten die sich Freunde nannten?

Mein Kopf ist leer und in meinem Herzen herrscht beklemmende Dunkelheit.

Eine Frage der Zeit...

Ich weiß nicht, was ich denken soll, aber vorwerfen kann ich dir nichts.

Nun stehe ich hier. Nur mit Mühe kann ich meine Tränen zurückhalten.

Dann betrete ich das Gelände der Justizvollzugsanstalt...

Super ... Angel – Wenn Wege sich kreuzen (Crossover)

Dean wollte gerade zu seinem Bruder in den Wagen steigen, dass die Jagd auf den nächsten Dämon endlich losgehen konnte, als eine dunkelhaarige Schönheit neben dem schwarzen Chevrolet Impala mit dem Fahrrad zum halten kam.

„Wo glaubst du, willst du hin?“

Es war niemand anderes als Max Guevara.

„Kennen wir uns?“ Dean betrachtete sie verwirrt.

Der Blick der Dunkelhaarigen verfinsterte sich. „Willst du mich auf den Arm nehmen?“ Dabei bemerkte sie endlich, dass im Wagen noch eine weitere Person saß.

„Wer ist das?“

Sam fühlte sich augenblicklich angesprochen und stieg aus dem Wagen aus.

„Hi, ich bin Sam. Ihr kennt euch?“ Sein belustigter Blick blieb an seinem Bruder hängen. „Du hast mir gar nicht von ihr erzählt, Brüderchen.“

Brüderchen? In Maxs Kopf schallten Alarmglocken.

„Weil ich keine Ahnung habe, wer das ist.“ Deans Vorhaben, einzusteigen, war verschwunden.

„Ich bin Max. Hi“, gab sie Sam zur Antwort und wand sich schließlich wieder an seinen Bruder. „Bruder? Was soll das werden, Alec? Ein weiterer Versuch, dich vor der Arbeit zu drücken?“ Sie seufzte kurz, während sie Sam erneut betrachtete. „Normal wird dich dieses Mal rausschmeißen. Endgültig. Und ich werde ganz bestimmt nicht wieder vor ihm herumrutschen und ihn anbetteln, dass er dich wieder einstellt!“

„Normal?“ Dean konnte keinen klaren Gedanken fassen. „Ich weiß beim besten Willen nicht, wovon du sprichst.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen die Wagentür.

„Mein Name ist Dean Winchester und mein Bruder und ich sind gerade auf dem Weg...“

Max stieß ein Knurren aus.

„... Euch mächtigen Ärger einzuhandeln! Ich werde nicht schon wieder auch deine Tour mit fahren, klar!? Ich weiß echt nicht, was du dir hier wieder zusammen gesponnen hast. Zugegeben: es ist der kreativste Versuch seit langen, erst recht, weil du scheinbar einen Dummen gefunden hast, den du für deine Zwecke zu bezahlen scheinst, aber jetzt ist gut!“

Dean schluckte. Diese Lady hatte vielleicht eine Laune. Er hatte zwar keine Angst vor Frauen, aber diese hier? Beunruhigend und anziehend zugleich. Ob er wohl bei ihr landen könnte...?

„Schon gut, du hast gewonnen.“ Dean hob resigniert die Hände, trat lächelnd einen Schritt auf sie zu und setzte sich schließlich ohne ein weiteres Wort auf ihren Gepäckträger.

Nur kurz wand er Sam den Blick zu.

„Warte hier. Wird sicherlich nicht so lange dauern.“

Dann brausten sie auch bereits davon.

Fassungslos sah Sam den Beiden nach.

„Verflucht!“ Er schlug mit den Händen aufs Wagendach und schrie ihnen erfolglos nach: „Lass wenigstens den verdammten Schlüssel hier!“

Unter Beobachtung [Drabble]

Und da saß sie wieder. Still. Sie beobachtete mich. Nur kurz warf ich ihr einen Blick aus dem Fenster zu. Ich hatte eigentlich zu arbeiten, aber irgendwie hing mein Blick immer wieder an ihr. Ihre schlanke Gestalt. Eine wahre Schönheit. Was sie hier nur wollte? Hier gab es nichts, was ihr Interesse hätte wecken können. Wieder blickte ich auf. Sie hatte sich erhoben und lief nun mit langsamen Schritten hin und her. Immer wieder. Und je länger sie das tat, desto unwohler fühlte ich mich dabei. Warum konnte sie nicht endlich verschwinden? Was wollte sie von mir? Diese dusselige Taube...

Es lebe die Technik [Drabble] (Steampunk - vll wird es noch ein Insider)

Geschafft! Die Apparatur stand. Jetzt musste sie nur noch funktionieren. Angespannt wischte er sich die schwitzigen Finger an der Hose ab. Dann legte er den kleinen Hebel um. Sekunden vergingen, dann bewegte es sich endlich. Der kleine Topf wurde kontinuierlich angehoben, bis er mit der Oberkante an den Stopper traf. Dieser setzte eine Art Pendel in Bewegung, an welchem ein Draht befestigt war. Der Draht schob sich nach unten und brachte das kupferne Gefäß in Schräglage. So weit, bis sich die darin befindliche Flüssigkeit ergoss.

Es funktionierte! Jetzt konnte er endlich einmal ein paar Tage wegfahren und sein Kaktus würde sich selbst Giesen.
 

( jetzt müsste ich nur noch wissen, wie dieses Ding ausschaut. XD )

Halb voll oder Halb leer?

Sollte er wirklich? Er war sich nicht sicher. War es wirklich schon wieder notwendig? Seinem Gefühl nach zu urteilen: Ja!

Seinem Geldbeutel nach zu urteilen: Nein!

Unentschlossenheit. Sein Blick ging unruhig umher. Dann bemerkte er endlich die finsteren Blicke hinter ihm. Lauter mürrische Gesichter. Seufzend trat er auf die Seite, doch er verharrte abermals. Er war so unentschlossen.

Dann ertönte ein Hupen, welches so unvermittelt kam, dass er erschrocken zusammenfuhr.

„Ist ja gut!“

Murrend griff er dann doch endlich den Zapfhahn der Tanksäule und führte ihn in die Tanköffnung ein. Wer weiß, wann es das nächste Mal so „günstig“ war.
 

mich inspirieren in letzter Zeit recht seltsame Dinge...

Sirulius – Zauberkünste [Drabble] (Steampunk / Fantasy)

Gebannt starrte er auf den Lilafarbenen Nebel, welcher der kleinen Glasflasche vor ihm entwich. Sirulius rückte seine Schutzbrille zurecht und schaffte es endlich, tief durchzuatmen. Hatte er es wirklich geschafft? Ja, er hatte es endlich geschafft. Monate, des Herumprobierens und Herumexperimentierens schienen endlich gefruchtet zu haben. Kikna, sein Hausdrachenweibchen hob den Kopf und murrte unwillig. Ihr war die Veränderung wohl auch sofort aufgefallen. Als sie schließlich aufsprang und an ihrer Leine zerrte, wand sich der Jungmagier ihr zu.

„Ruhig, Mädchen“, flüsterte Sirulius, sah sich dabei jedoch unwohl um. Dann bemerkte er endlich den Lilafarbenen Nebel welcher sich im Zimmer breitmachte.

Sirulius – Die Begegnung [Drabble] (Steampunk / Fantasy)

Er fühlte sich beobachtet. Und genau das war es, was Sirulius immer wieder nervös machte. Schlimm genug, dass er beim Gedanken an seinem Vortrag vor dem Kollegium schon weiche Knie bekam, aber dieser Blick, den er hier im Nacken spürte, übertraf im Augenblick alles. Unruhig sah er sich danach um und er erblickte ein Mädchen mit rotem, lockigem Haar. Wer sie war, wusste er nicht, zumal er sie nur von hinten gesehen hatte.

Sirulius entschloss sich, zur Ablenkung etwas herumzulaufen, als sie auf ihn zukam und neben ihm anhielt.

Ihr charmantes Lächeln gefiel ihm sofort, doch ihre Augen waren mechanisch.

Sirulius – Veränderung [Drabble] (Steampunk / Fantasy)

Der mechanische Blick ihrer roten Augen brachte seine Hände zum zittern. Sirulius wand schnell den Blick ab. Wer war sie nur?

„Sei gegrüßt“, sagte sie.

Ihre liebliche Stimme versetzte ihm einen Stich. Was hatten sie nur mit ihr angestellt? Sein Unwohlsein stand ihm sicherlich ins Gesicht geschrieben, als er ihr doch in die Augen sah. Sie lächelte.

„Ist dein Name Sirulius?“

Nachdenklich nickte er darauf nur. Kannte er sie vielleicht? Er erinnerte sich nicht. Auch mit ausblenden der Tatsache ihrer mechanischen Augen, kam ihm dieses Gesicht nicht bekannt vor.

„Kennen wir uns?“

„Mein Name ist Doragana. Ich bin deine Schwester.“

Zur falschen Zeit am falschen Ort [Drabble]

„Du solltest nicht hier sein!“

Der finstere Blick, der Frau, die ihm plötzlich gegenüberstand, verunsicherte ihn.

„Ich...“

Er konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden. Er kannte sie nicht, aber sie gefiel ihm.

„Hörst du schlecht?“

Wie versteinert stand er vor ihr und schaute sie einfach nur an. Was für eine Schönheit. Auch sie bewegte sich nicht. Das einzige, was sich änderte war, dass ihr Kopf immer roter wurde.

Hinter ihr im Raum bewegte sich etwas und eine weitere Frau kam zum Vorschein.

Diese stieß jedoch einen spitzen Schrei aus und verschwand schnellstens wieder.

„Verschwinde endlich! Das ist die Damenumkleide!“

Noch kein Titel

die hier verwendeten Charaktere gehören eigentlich in diese FF:

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/159919/268747/

Da sie meine eigenen sind, habe ich sie mir eben mal selbst ausgeborgt.
 

Er hätte sich diesen Film gestern nicht ansehen sollen! „Ghostbusters“ Zugegeben, es war eine Komödie und ein Kerl seines Alters sollte sich von so etwas keineswegs beeindrucken lassen, doch die Tatsache, dass ihn sein geraumer Zeit ein vermeidlicher Geist verfolgte, hatte ihn zu einem nervlichen Frack werden lassen. Wenn man bedenkt, dass er auch vorher bereits recht schnell aus der Ruhe zu bringen war. Da half auch nicht die Gegenward der Frau, an die er seine Unschuld verloren hatte.

Scott hatte diese Nacht kein Auge zugetan. Immer wieder war er bis zum Morgengrauen herumgelaufen, um sich abzulenken, doch die Bilder aus dem Film kamen immer wieder hoch. Speziell die es Glibbergeistes. Wie er überall sein grünes Ektoplasma verteilte, wenn er irgendwo durchflutschte. Wenn er nicht so müde wäre, wäre ihm wohl übel bei diesem Gedanken. Irgendwie war er froh, dass sein Geist, den er seit Tagen nicht gespürt hatte, keine derartige Sauerei machte. Er stützte den Kopf auf den Arm und starrte mit halboffenen Augen auf den Frühstückstisch. Genaugenommen hatte er das Marmeladenglas vor Augen. Da war ebenfalls so ein Zeug drin, auch wenn dieses rot war. Laut gähnend kniff er die Augen fest zusammen. So fertig war er lange nicht gewesen. Glücklicherweise war Samstag. In diesem Zustand hätte er unmöglich auf Arbeit gehen können, aber wenn das nicht bald aufhörte, wurde er sicherlich noch verrückt. Die ganze Sache mit dem Geist war einfach zu unheimlich und er hatte keine Ahnung, was er dagegen tun könnte.

Seite Mutter begann ihn zu beobachten, während sie sich einen Kaffee einfüllte.

„Schlecht geschlafen, Scott?“

Ihre Worte ließen ihn kurz aufschrecken und ihr kritischer Blick schaffte das ein weiteres Mal.

„Ich... ja.“

Noch immer kritisch blickend, ließ sie sich ebenfalls am Tisch nieder und nahm sich ein Zuckertütchen, aus der kleinen Schale, um dieses Aufzureißen und in den Kaffee zu schütten.

Außerdem am Tisch saß noch Christopher, Scotts kleiner Bruder. Sie hatten den Film zusammen gesehen und seit Scott die Küche betreten hatte, war das schelmische Grinsen aus seinem Gesicht nicht wegzubekommen. Er konnte sich kaum aufs Essen konzentrieren. Immer wieder sah er seinen großen Bruder frech an. Der Kurze wusste Bescheid. Er hatte Scott gestern Abend beobachten können. Immer wieder hatte dieser bei Slimer komisch geguckt. Hatte sein großer Bruder etwa Angst, vor Gespenstern? Er hatte vor so etwas NIEMALS Angst! Geister gab es nämlich nicht! Christopher verzog den Mund und schaute auf seinen Waldmeister-Wackelpudding und wieder musste er so tun, als wäre alles in Ordnung und das fiel ihm im Augenblick schrecklich schwer, denn er hatte plötzlich einen Plan.

„Vielleicht solltest du heute eher schlafen gehen“, brachte seine Mutter schließlich als Vorschlag, während sie den Zucker verrührte.

Sie hatte auch nicht die Geringste Ahnung, warum Scott gerade derartig erledigt war. Keiner hier wusste es. Einzig seine Freundin und deren griesgrämige Großmutter wussten Bescheid. Beim Gedanken an die alte, mürrische Dame wurde ihm nicht gerade wohler. Aber sie hatte ihm geglaubt. Beide hatten ihm geglaubt. Sie hatten ihn nicht für verrückt gehalten. Jedenfalls nicht, was es das anging.

Scott erhob sich schließlich, ohne überhaupt etwas gegessen zu haben. Selbst zu kauen war er zu müde.
 

Doch anstatt sich wieder zu Bett zu begeben, trat er den Weg in den Garten an. Über den Hintereingang verließ er das Haus und blieb einen Moment in der offenen Tür stehen. Scott schloss die Augen und atmete tief durch. Wie er den Duft von Blumen liebte. Es war zwar noch Frühling, aber so einige sonnige, warme Tage hatten den Garten in ein blühendes Meer verwandelt. Er schlurfte hinaus und ließ sich auf der Holzbank, neben der Tür nieder. Und es dauerte auch nicht lange, da war er bereits eingenickt. Wäre er nur wieder zu Bett gegangen...
 

Dass sich die Hintertür erneut öffnete, bemerkte er nicht. Christopher gab sich jedoch auch die größte Mühe, leise zu sein. Er trat hinaus und blieb einen Moment mit einem breiten Grinsen im Gesicht neben seinem schlafenden Bruder stehen. Nur kurz, denn er hatte bereits andere Pläne.
 

Das Plappern seiner Mutter am Telefon ließ Scott schließlich aufschrecken. Verschlafen blinzelte er wegen dem grellen Sonnenlicht und es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, wo er sich befand. Die Gartenbank, kam es ihm in den Sinn und keinen Moment später bemerkte er endlich, wie ihm doch sein Nacken schmerzte. Er konnte sich nur allzu gut ausmalen, wie er hier jetzt gesessen haben musste. Sein Bett wäre bedeutend bequemer gewesen. Während er sich den Nacken rieb, stand er schließlich auf, um doch endlich in seinem Zimmer zu verschwinden, doch als er nach der Türklinke fasste, überkam ihn das Grauen. Was war das? Er wagte es kaum hinzusehen. Es fühlte sich so... Glibberig an. War das etwa...?

Hektisch blickte er sich um und besah sich dann doch die Finger. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er schnupperte kurz daran und tatsächlich. Was er roch, war Waldmeister. Er hätte es besser wissen müssen. Scherzkeks, dachte Scott im Groll. Ihm war längst klar, wem er diesen Unsinn zu verdanken hatte. Das war wohl das erste und letzte Mal, dass er mit ihm einen solchen Film angesehen hatte. Sollte er doch jemanden anderes fragen. Mutti zum Beispiel. Aber die würde es eh nicht erlauben. Mit dem grünen Glibber an den Fingern betrat er schließlich die Küche. Seine Mutter war noch hier und wieder blickte sie äußerst kritisch, während sie ihr Gespräch kurz unterbrach. Scott hob lediglich die Hand an, um ihr zu zeigen, was er da hatte. Diesen ekelhaften, grünen Wackelpudding, den er noch nie gemocht hatte und der ihn verdammt nochmal an diesen Slimer erinnerte! Ohne ein Wort wusch er sich die Finger und verschwand mit einem Lappen wieder. Die Türklinke war immerhin noch versaut. Das Kopfschütteln seiner Mum bekam er nicht mit.
 

Von Christopher fehlte jede Spur. Auch als er die Klinke säuberte, schien er nicht in der Nähe zu sein. Zu Recht, wie Scott fand. Hatte dieser Wicht wohl doch Angst vor einem Anschiss? Scott war zwar nicht der Typ Mensch für so etwas, aber wenn derartige Scherze überhandnahmen, schaffte auch er es, laut zu werden. Manchmal wünsche er sich wirklich, er wäre ein Einzelkind geblieben. Aber er hatte sich das eben nicht aussuchen können.
 

Während er den Lappen zurück in die Küche brachte, herrschte fast schon verdächtige Stille im ganzen Haus. Seine Mutter telefonierte nicht mehr und auch seinen Bruder hörte er nicht herumtoben. Sollte er ihn suchen gehen? Vielleicht heckte er bereits die nächste Dummheit aus. Scott entschied sich dagegen. Sollte er doch Unfug machen, wie er wollte. Er war einfach zu Müde, um sich jetzt über irgendetwas aufzuregen. Er würde sich jetzt einfach hinlegen. Bis zu Mittag war noch Zeit. Selbst bis zur Vorbereitung, bei der er seiner Mutter wieder helfen würde. Noch ein, zwei Stunden Schlaf waren jetzt genau das richtige. Er schlurfte ans Schuhregal um die Schlappen abzustellen und sich die eigentlichen Hausschuhe zu nehmen. Dass seine Mutter nicht gesagt hatte, wunderte sich ein bisschen. War sie doch sonst so erpicht darauf, dass die Straßenschuhe unten im Flur ausgezogen werden sollten. Seine Hausschuhe waren jedenfalls nicht hier. Hatte sie Christopher versteckt? Einen Hund hatten sie jedenfalls nicht, der sie hätte wegschleppen können. Sich an den Ort erinnernd, wo er sie abgestellt hatte, trat er schließlich gedankenverloren die Treppe nach oben und dort sah er sie auch bereits stehen. Ohne weiter darüber nachzudenken, schlüpfte er hinein und stürzte dabei um ein Haar nach vorne. Nur im letzten Moment konnte er sich abfangen. Als er alle Sinne wieder beisammen hatte, Besah er sich seine Schuhe genauer und musste feststellen, dass auch hier ein Scherzkeks am Werke gewesen war. Hatte sie doch tatsächlich jemand, mit Kaugummi auf dem Linoleum festgeklebt. Ein langer, weißer Faden zog sich jetzt vom Boden bis zum Schuh, in seiner Hand. Scott entfuhr ein Knurren und ein gut hörbares: „Chris!“

Der konnte was erleben, wenn er wieder etwas munterer war. Wütend über diesen Mist warf er sie in die nächste Ecke. Die würde er dann davon befreien! Jetzt nicht! Dann schlug auch bereits seine Tür zu.
 

Verärgert ließ er sich aufs Bett fallen. Wer weiß, was dieser kleine Unhold noch angerichtet hatte. Aber das würde er wohl erst erfahren, wenn er wieder wach war. Was für ein beschissener Samstag. Scott schloss die Augen und versuchte nicht mehr daran zu denken. Doch diese Stille währte jetzt nicht lange. Sein offenes Fenster, welches ihm den Blick auf den Garten bot, brachten Worte herein, die ihn zusammenzucken ließen.

„HILFE SCOTT! DA IST EIN GESPENST!“

Nur wage blinzelte er mit einem Auge. Gönnte ihm Christopher jetzt nicht einmal mehr Schlaf? Er wand sich auf die Seite und versuchte seine Worte zu ignorieren. Um Aufzustehen und das Fenster zu schließen war er nicht mehr in der Lage.

„HILFE! DAS IST EIN NOTFALL!“

Na klar, dachte sich Scott verärgert. Fiel ihm nichts Besseres mehr ein? Dass er hoffte, sein Bruder sei so Blauäugig, stürzte hinunter und rannte in die nächste Falle? So nicht, Freundchen!

Doch die Rufe verebbten nicht. Wo war nur seine Mutter, wenn der Kurze mal Probleme machte? Ganz bestimmt bei der Nachbarin. Unwillig erhob er sich wieder. Wenn Christopher hier so weiter herum plärrte, bekam er ohnehin keine Ruhe, also blieb ihm wohl gerade nichts anderes übrig, als dem nachzugehen.

Hatte ihn womöglich wirklich das Muffensausen gepackt? Es klang so überzeugend.

Unweigerlich stellten sich ihm die Nackenhärchen auf, während er sich diese Worte in den Kopf zurückrief, als er die Treppe hinunter trat. Ein Gespenst? Etwa seins? Hatte sein Bruder sie etwa gesehen? Wäre das möglich? Hatte er doch gehofft, sie losgeworden zu sein. Immerhin war sie ihm seit einer ganzen Weile nicht mehr aufgefallen.
 

Das Gewimmer und Gezeter kam ganz klar aus dem Gartenhäuschen, wie er feststellen musste, als er endlich wieder hinausgetreten war. Nur langsam trat er auf dieses zu. Er fühlte sich unwohl. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. War das vielleicht doch nur wieder ein Scherz? Immerhin wäre das nicht der Erste heute gewesen. Aber so derartig panisch, wie Christopher eben geschrienen hatte, war das niemals nur gespielt. Irgendetwas hatte er wohl gesehen. Seine Müdigkeit war mit einem Male wie weggeblasen. Zaghaft stieß er die quietschende Holztür auf und lugte hinein. Und da sah er seinen kleinen Bruder bereits. Und zwar rücklings auf dem Boden liegend. Er war wohl in der Dunkelheit über den liederlich zusammengerollten Gartenschlauch gestolpert und hatte sich darin anständig verheddert. Wie eine Schildkröte ruderte er mit Armen und Beinen. Für Scott sah es beinahe so aus, als würde er mit einer riesigen Schlange ringen. Kein Geist also. Er atmete auf und trat hinein, um seinen wimmernden Bruder davon zu befreien. Nur kurz gelang es ihm, ein schadenfrohes Grinsen aufzusetzen.

„Ein... G.. Gespenst?“ Dabei hielt er ihm das Ende des Schlauches entgegen.

Christopher verzog verärgert das Gesicht und verschränkte die Arme.

„Ja, ein Gespenst. Ich meine nicht den Schlauch! Ich bin nur über ihn gestolpert!“ Er kam sich veräppelt vor und das vertrug er gar nicht. Schon gar nicht jetzt, wo er es doch gewesen war, der seinen Bruder veräppeln wollte.

Scott seufzte. Dann erhob er sich, rollte den Schlauch wieder halbwegs ordentlich zusammen und hängte ihn über die Halterung. Dabei bekam er nur wage mit, dass sich Christopher verängstigt umblickte und dabei ganz nah an ihn herangetreten war.

„Da drüben“, flüsterte er schließlich und deutete mit zitterndem Finger in eine der dunkleren Ecken.

Scott sah zwar in jene Richtung, schüttelte jedoch den Kopf.

„Meinst du n... nicht, es reicht?!“

Auf seine Worte hin klammerte sich Christopher an seinem Shirt fest.

„Ich lüge dich nicht an. Da ist wirklich etwas...“

Scott ließ den Blick daraufhin genauer schweifen und zwischen den leeren Blumentöpfen und einem angerissenen Sack Blumenerde bewegte sich wirklich etwas. Etwas sehr kleines. Ohne zu zögern lief er drauf zu und trat ein paar Mal kurz gegen den Sack, bis dieses Etwas fluchtartig dahinter hervorgesprungen kam. Eine Maus.
 

Das kleine Nagetier verließ fluchtartig den Schuppen. Mit einem müden Lächeln sah er ihr nach, wie sie fiepend verschwand. Ganz bestimmt würde sie nun draußen unter dem Holzstapel Schutz suchen. Christopher stand da wie angewurzelt, als sie an ihm vorbeihastete.

„Nur eine Maus.“ Doch dann spürte Scott diese kalte, seltsame Berührung am Arm, die er schon einige Male gespürt hatte. Seine Gesichtszüge schliefen ihm augenblicklich ein, als er die raunende Stimme wieder hörte, die er bereits widerholt in seinem Kopf gehabt hatte. Vor seinen Augen wurde sie plötzlich sichtbar und sie schwebte so verdammt nah neben ihm. Die Erscheinung eines Mädchens mit wallendem Haar. Und dennoch konnte man durch sie hindurchsehen.

Christophers kreischen bekam er kaum mit, genau wie seine anschließende Flucht aus dem Gartenhäuschen. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, diesen Geist anzustarren, den er gehofft hatte, losgeworden zu sein. Ihr fester Blick ließ es Scott ganz anders werden. Und ihr Schmunzeln, welches diesem folgte, machte die Sache nicht besser.

‚„Er war sehr ungezogen...‘“

Alter Bekannter [Drabble]

Da war er wieder. Ich überlege, woher ich ihn kenne, aber ich erinnere mich nicht. Er ist mir wohl nur bereits widerholt begegnet. An der Tankstelle. In der Kinoschlange. Gestern im Supermarkt.

Deine feingeschnittenen Gesichtszüge gefallen mir. Du stehst zwar hier, aber du beobachtest mich nicht direkt. Scheinst eher passiv. Teilnahmslos. Lässt die Menschen an dir vorbeieilen, ohne sie wirklich wahrzunehmen.

Ich fasse mir schließlich ein Herz und gehe auf dich zu.

„Kennen wir uns?“

Mit deinen dunklen, irgendwie leerscheinenden Augen blickst du auf mich herab. Keine Miene, die du dabei verziehst.

„Ich bin der Tod, aber noch ist Zeit.“

Lichtsucher - WB-Beitrag zu Schattens: Meine Titel, eure Geschichten [Drabble]

Ein lautes Krachen hatte ihn aufgeweckt und schlussendlich aus dem Schlafsack getrieben. Er konnte es nicht einordnen und auch jetzt hatte er noch immer keine Ahnung, welchen Ursprung es hatte. Eine blöde Idee, diese Mutprobe, hier in diesem alten Haus, kam es ihm wieder in den Sinn.

Ohne Schuhe durchquerte er das Zimmer. Die Dunkelheit, welche hier herrschte, hüllte ihn ein. Genau wie das Pfeifen des Windes, durch alle Ritzen. Ein Knacken der alten Dielen unter seinen Füßen, brachte ihn schließlich dazu, anzuhalten. Wo war sie nur? Ein weiterer Schritt und er trat dagegen. Seine Taschenlampe. Schnell machte er Licht.

Der vergessene König – WB-Beitrag zu Schattens: Meine Titel, eure Geschichten

Als er zu sich kam, stand die Sonne bereits recht weit oben am Himmel. Mittagszeit rückte heran. Zumindest suggerierte ihm das sein Magen, doch der bittere Geschmack in seinem Mund ließ ihn nicht gerade hungrig an Essen denken. Vielmehr war es Übelkeit, die bei jedem weiteren Magenknurren, deutlicher spürbar wurde.

Vogelgezwitscher weckte schließlich seine Aufmerksamkeit, dass er die schweren Lider öffnete, doch das helle Licht brannte ihm furchtbar in den Augen, dass er diese schnell wieder schloss. Die wenigen Fetzen, seiner Umgebung, die er bis dahin wahrgenommen hatte, stimmten ihn nachdenklich. Wo war er nur? Nichts in seinem Kopf, schien auf diese Frage eine Antwort parat zu haben. Das Einzige, was er spürte, war ein stärker werdendes Pochen hinter seiner Stirn und das Nachdenken, über seinen momentanen Aufenthaltsort, ließ dieses nicht angenehmer werden.
 

Gähnend langsam richtete er sich auf. Der Platz, auf dem er hier geschlummert hatte, stellte sich als alte und raue Bank heraus. Und genauso fühlte sich auch sein Rücken an. Wie unter einem Eselkarren geschlafen.

Dieser Gedanke setzte sich fest. Eselkarren? Gab es da nicht eine Kutsche? Seine Kutsche? Einen Prunkvollen Vierspänner? Eher widerwillig öffnete er erneut die Augen, um die Gegend abzusuchen, doch von einer Kutsche fehlte jede Spur.

Er erhob sich schließlich von der morschen Holzbank und kam fast ins straucheln. Und der Gedanke an gestern Nacht war wieder allgegenwärtig. Vor seinem inneren Auge tauchte das Bild der schäbigen Spelunke auf. Eine Kneipe, in die ein Mann seines Standes niemals gehen würde. Und doch hatte er genau das getan. Und warum? Weil er glaubte, sich ein weiteres Mal vor seinen Angestellten beweisen zu müssen.

Diese verdammte Wette!

Glaubte er doch tatsächlich, ihnen gewachsen zu sein. Er! König Friedrich! Er hatte sich geirrt. Er war dem Kutscher und seinem Berater nicht gewachsen. Auch den drei Leibwachen hatte er nichts entgegenzusetzen. Jedenfalls nicht, was es die Trinkfestigkeit anging. Er hätte es wissen müssen. Er hätte es bei Gott wissen müssen! Wie konnte er sie nur so unterschätzen.

Ein Seufzen entwich ihm, als er dem holprigen Weg ein Stück folgte.

Und dann erst recht sein Wetteinsatz. Warum hatte er nicht einfach seine Krone verwettet? So, wie er das schon einmal gemacht hatte?

Stattdessen hatte er großspurig verkündet, den Weg, zum nächsten Dorf, welches sie passieren würden, zu Fuß zu gehen. Warum nur hatte ihn keiner von dieser Torheit abgehalten? Aber die Antwort, auf diese Frage, lag auf der Hand. Alle waren viel zu besoffen gewesen, als dass sie überhaupt darauf gekommen wären.

Friedrich hatte also die feine Robe abgelegt, um nicht erkannt zu werden, und war losgelaufen. Und wie es schien, in eine völlig falsche Richtung.

Unruhig blickte er sich genauer um. Wie es schien, war er hier an einem Waldrand. Das Haus hinter ihm, war wohl einst eine Mühle und schien nun seit etlichen Jahren verlassen zu sein. Das kleine Nebengebäude hatte kein Dach mehr und die Windmühle selbst nur noch einen einzigen halbwegs intakten Flügel, welcher sich schaukelnd wie ein Pendel hin und her bewegte und dabei gefährlich knarzte.

„IST JEMAND HIER?“ Trotz der augenscheinlichen Verlassenheit dieses Ortes, wagte er einen Hilferuf. Doch wie zu erwarten, blieb dieser ungehört.

Mit hängenden Schultern blieb er schließlich stehen und blickte in jene Richtung, aus welcher er mit großer Sicherheit gekommen war. Ein ewigscheinender, holpriger Weg, welcher sich zwischen den Feldern hier her hindurch schlängelte und dessen Ende er von hier aus nicht einmal sehen konnte. Ungenutztes Land zu beiden Seiten, welches scheinbar verkam. Er war zugewachsen und wie es schien, war seit Ewigkeiten keiner mehr hier gewesen. Außer ihm natürlich. War er wirklich diese Strecke gelaufen? Unmöglich konnte es anders sein, so wie ihm seine Füße brannten. Ganz bestimmt hatte er sich auch Blasen gerieben in diesem viel zu engen Schuhwerk.

Friedrich lief zurück und ließ sich wieder auf der Bank nieder, welche ein ächzen und knacken von sich gab, das darauf schließen ließ, dass sie wohl auch nicht mehr allzu lange halten würde.
 

Entmutigt stützte er den Kopf auf die Arme und schloss die Augen. Wo waren diese nichtsnutzigen Trunkenbolde nur? Er hätte es lassen sollen. Er hätte auf seinen Verstand hören sollen, anstelle sich von seinem Stolz als König leiten zu lassen. Sie mussten doch wohl mittlerweile gemerkt haben, dass jemand in der Kutsche fehlte. Die wichtigste Person überhaupt! Wie hatten sie ihn nur vergessen können...

Resignation

„Weist du“, nuschelte sie und nippte an ihrem achten Cocktail. „So langsam habe ich die Menschen wirklich satt! Es ist immer das Selbe! Ihre Erwartungen sind derartig in den Himmel gestiegen, dass es kaum noch zu schaffen ist. Ich meine, ich habe doch auch keine Gelddruckmaschine im Keller.“

Der Barkeeper verdrehe die Augen und wand sich kurz daraufhin von ihr ab. Wie er es hasste, wenn diese Lady so derartig einen Affen hatte.

„Vielleicht sollte ich meinen Job an den Nagel hängen!“ Verbitterung sprach aus ihren Worten. „Ich bin diese Sache allmählich Leid und vor allen tanzen diese Gören ihren Eltern ohnehin alle auf den Nasen herum. Es gibt keine geregelten Schlafenszeiten mehr. Wann bitte soll ich da noch meinem Job nachgehen?“

Sie kramte Geld hervor und legte dieses auf den Tresen.

Dann sprang sie von Hocker und konnte sich nur schwer auf den Beinen halten.

„Versprich mir, dass du heute nicht mehr fliegst“, gab der der Barkeeper zurück.

„Was soll denn passieren? Sie zuckte mit den Schultern. „Dass sie mir die Flugerlaubnis abnehmen?“ Sie lachte bitter auf, wankte auf die Tür zu und sah noch einmal kurz zum Barkeeper zurück.

„Das nicht, aber du bist doch eine meiner besten Kundinnen und auf das Geld, welches ich durch dich verdiene, würde ich nur ungerne verzichten.“

Sie jedoch winkte nur ab und verschwand endgültig aus der Tür.

Kopfschüttelnd wand er sich daraufhin an den nächsten Kunden.

„Ich weiß nicht, aber sie ist wirklich komisch geworden. Vielleicht sollte sie wirklich den Job wechseln – unsere Zahnfee.“

Beilage [Drabble]

Appetitlos stocherte sie in ihrem Essen herum. Dann seufzte sie und hielt die Gabel still. Ihr Blick fiel kurz auf ihr Gegenüber. Sie wollte gar nicht hier sein, erst recht nicht mit ihm! Dieser Langweiler. Kopfschüttelnd wand sie sich wieder dem Essen zu und bekam mit einem Male große Augen. Was war das? Sie rührte weiter in den Nudeln herum. Seit wann servierte man denn so etwas zu Pasta? Sie war verwirrt und hob noch einmal kurz den Blick. Ihr Gegenüber hatte es noch nicht bemerkt. Also sah sie sich nach Personal dieses Restaurants um.

Wem wohl dieser Finger gehörte...?

Rasend [Drabble]

Und nun stand sie vor ihm. Ihr konzentrierter Blick fiel auf ihn. Der rechte Zeitpunkt war da. Ein hämisches Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit und das Verlangen, immer und immer wieder auf ihn einzustechen, stieg in ihr auf. Wie er so dalag... Vollkommen wehrlos... So jung und unverbraucht... Völlig Ahnungslos... Was wäre wohl, wenn er in der Lage wäre, sich zu wehren? Wenn er gewusst hätte, was ihn hier erwartete? Welch absurde Gedanken...

Sie umfasste den Griff ihres Messers so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden.

Und dann tat sie es und schnitt den Kohlrabi in kleine Stücke.

Widerwillig [Drabble]

„Ich weiß, was du bist!“, schallte ihre Stimme unheilvoll. „So lange bin ich dir schon auf den Fersen, du Bastard!“ Ihr Opfer drehte sich zu ihr um. Seine gelben Augen leuchteten ihr bösartig entgegen. Am liebsten würde er sie zerquetschen. Sie von innen zerbrechen. Mit bloßen Gedanken ihre Luftröhre zudrücken. Ohne ihr auch noch näher zu kommen.

„Gib dir keine Mühe!“ Das Medaillon um ihren Hals, machte es ihm unmöglich, seinen Wünschen nachzukommen. Ohne zu zögern hob sie die Waffe und drückte ab und der hallende Schuss brannte ihr in den Ohren.

Schweißgebadet schreckte sie aus ihrem Traum auf.

„Nikolai!“

Widerwillig 2 [Drabble]

„Ich habe dich erschossen. Im Traum.“ Aufgeregt und verwirrt trat sie an die Tür, als ihr Verlobter von der Nachtschicht heim kehrte. Sie hatte kein Auge mehr zugetan. Dieser Albtraum hatte sie nicht mehr losgelassen.

„Du hast was?“ Er stellte die Tasche auf dem Tisch ab und umarmte sie fest.

„Warum solltest du so etwas den tun?“ Liebevoll strich er ihr mit dem Zeigefinger über die Wange, bevor er sie küsste.

Unwohl rang sie nach Worten.

„Du... warst ein Dämon.“

Nikolais Lächeln erstarb und sein Blick wurde kalt. Dann gab er sie aus der Umarmung frei.

„WAR ich das, ja?“

Drei Wettbewerbe, eine Geschichte: Die Spiegel der Wahrheiten

Kurze Erklärung: In dieser Geschichte habe ich drei der Wettbewerbe hier vereint.

Irgendwie fand ich, dass sie ein gutes Ganzes ergeben könnten.
 

Wettbewerb 1: Meine Worte, Sätze und Einführung - Eure Geschichte

von D-Rabbit

(http://animexx.onlinewelten.com/wettbewerbe/wettbewerb.php?id=42503)

Wort und Satzvorgaben: 1)Engel, 2)Magie, 3)Katze

1)"Oh verdammt, das wird heftig!"

2)"Du hast gesagt, du würdest mir helfen und jetzt fällst du mir in den Rücken!? Warum?"

3) Einführung: (siehe unten)

Wettbewerb 2: Schreibt eine Story zu meinem Bild "Die Wahrheit"

von Teleia

(http://animexx.onlinewelten.com/wettbewerbe/wettbewerb.php?id=42645)

Bild:(http://animexx.onlinewelten.com/wettbewerbe/wettbewerb.php?id=42645)

Wettbewerb 3: Dunkle Emotionen

von Undine

(http://animexx.onlinewelten.com/wettbewerbe/wettbewerb.php?id=42367)

Wortvorgaben: (Spalte 1: Einsamkeit, Blut, Geburt)
 

Die Einleitung, welche uns von D-Rabbit vorgegeben wurde:
 

In einem kleinen Wald, nicht weit von Sarigaria entfernt, kniete eine junge Frau auf dem Boden. Ihr Körper wurde von einem weißen Kleid aus zarter Seide bedeckt und verlieh ihr etwas Magisches. Einige Mäuse rannten an ihr vorbei und sie sah ihnen mit trübem Blick nach.

Wie lange war es her, seit sie frei umher rennen konnte? Würde es jemals wieder so sein?

Sie sah hinauf gen Himmel und ließ die einzelnen Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach der hohen Bäume fielen, ihren Körper erwärmen.

Sie saß lange da und genoss die Wärme, welche über ihren Körper wanderte, bis sie die leisen Schritte vernahm.

„Violetta, bist du bereit?"

Sie drehte den Kopf und sah ihren treuen Beschützer und Freund an.

"Nein Kilian, aber es muss getan werden, so sehr ich mir wünschte es wäre nicht so".

Sie erhob sich, strich zwei, drei Mal über das Kleid und lächelte traurig.

"Machen wir uns auf den Weg und lassen Vater und meinen zukünftigen Ehemann nicht warten", bei diesen Worten zog sich nicht nur ihr Herz vor Schmerz zusammen, sondern auch das ihres Begleiters. Wusste er doch, dass sie ihr Herz schon längst jemand anderem versprochen hatte.

Gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg zum Schloss um einer Hochzeit beizuwohnen die nur darauf beruhte, den Frieden mit den Anderen zu bewahren.
 

Einleitung Ende
 

Unruhig folgte sie dem frischernannten Knappen. Erst vor wenigen Tagen war Kilian zu diesem aufgestiegen. Eine Ehrenvolle Aufgabe und bestimmt würde er auch später ein guter Ritter sein. Doch von seinem Stolz war ihm jetzt nichts anzumerken. Seine Haltung wirkte eher gebrochen. Genau wie die Ihre. Violetta wollte nicht zurück. Nicht zu ihrem Vater, der vor Sorge krankgewordenen Mutter und gleich recht nicht zu dem Mann, den sie heiraten sollte.

Beim bloßen Gedanken an Leopold fühlte sie sich ganz elend. Auch wenn er ein ansehnlicher, junger Mann war, schien sein Herz aus Stein zu sein. Nicht ein einziges Mal hatte sie ihn, seit sie hier war, Lächeln sehen. Er sprach nie von selbst ein Wort und gab nur knappe Antworten, wenn man ihn etwas fragte. Wie oft hatte sie versucht, mit ihm eine Unterhaltung zu führen und doch gab sie jedes Mal nach kurzer Zeit einfach auf.

Außerdem war dieser bereits zehn Jahre älter als sie. Ein Seufzen ihrerseits, brachte Kilian dazu, anzuhalten. Sein Blick war verzerrt, als er zu ihr aufsah.

„Gerald vermisst dich“, sagte er und senkte wieder den Blick. Wie lange schon wusste er, dass sein großer Bruder sie liebte. Als sie hier her gekommen war, um Prinz Leopold zu heiraten, hatte er sich Hals über Kopf in sie verliebt. Dabei war Gerald immer so zurückhaltend gewesen. Doch in ihrer Gegenward hatte er diese Scheu abgelegt. Wortlos trat sie an den Knappen heran und strich ihm über den Kopf. Die rechten Worte fielen ihr jedoch im Augenblick nicht ein. Nur zu gut konnte sie sich an ihr letztes, gemeinsames Treffen mit Gerald erinnern, von welchem sonst keiner eine Ahnung hatte. Wie sie diesem Mann doch verfallen war.
 

Sie wollte zurück in seine Arme. Seine feinfühlige Person hatte es ihr sofort angetan. Die Art, wie er mit ihr sprach, wie er sich ihr gegenüber gab. Sie wollte keinen kaltherzigen Tyrannen heiraten, der sein Volk mit eiserner Faust regierte. Violette wusste, dass genau dies geschehen würde, wenn Leopold erst einmal der König war. Sie wollte Gerald und keinen Anderen. Ganz gleich, welchen Stand er hatte. Dass er nur der große Sohn des Schreibers hier in diesem Schloss war, spielte für sie keine Rolle. Wie oft hatte er ihr versprochen, einfach mit ihr durchzubrennen. Wie oft und doch war dies nie geschehen. Und jetzt war es dafür zu spät. Er hatte sie im Stich gelassen. Violetta war traurig und wütend auf ihn und hatte versucht, ihm aus dem Weg zu gehen. Viel zu schmerzhaft waren die Gedanken an Gerald. Und doch vermisste sie ihn so sehr.

War er doch der einzige, welcher hier ihr Geheimnis kannte. Diese Tatsache, welche seit ihrer Geburt auf ihr lastete. Keiner konnte sich erklären, wie es zu so etwas kommen konnte. Und bis zu dem Tag, an dem sie in dieses Königreich kam, wussten davon auch nur ihre Eltern und die beiden Kammerfrauen Else und Mira.
 

Der Gedanke, zu heiraten und dennoch diese Bürde zu tragen, hatten sie ihre Fassung verlieren lassen. Wie sollte sie dies nur vor ihrem zukünftigen Ehemann geheim halten? Sie war mit den Nerven am Ende, noch bevor sie dieses Königreich betreten hatten.

Ihr Vater fühlte sich bei diesem Gedanken nicht weniger schlecht, aber Sie war nun volljährig, also zog er es dennoch vor, sie zu verheiraten. Er hatte Angst um seine einzige Tochter, doch der ständige und anhaltende Krieg, welcher zwischen den Reichen herrschte, ließen ihm keine Wahl. Grau war er geworden, in dieser Zeit. Und ihre Mutter? Diese hatte ungesund an Gewicht verloren. Sie aß nur noch, wenn man sie zwang. Eine Tatsache, die ebenfalls stark an Violetta und ihrem Vater nagte.
 

Man würde sie für eine Hexe halten, wenn man sie denn enttarnte. Ganz bestimmt würde sie auf dem Scheiterhaufen landen. Diese Angst erfüllte bereits ihr Leben, seit sie denken konnte und nun, als sie vor dem ovalen Spiegel stand, welcher sich im Jagdzimmer dieses Schlosses befand, brach es ein weiteres Mal aus ihr heraus. Trotz der Angst, jemand könne das Zimmer betreten, gab sie sich ihren Gefühlen hin und ließ ihren Tränen freien Lauf. Sie hätte sie auch nicht aufhalten können, wenn sie es gewollt hätte.

„Was ist nur falsch?“, flüsterte sie, während ihr wässriger Blick ein weiteres Mal auf das starrte, was sie nicht sah: Ihr Spiegelbild. Keiner ihrer Vertrauten hatte dafür eine einleuchtende Erklärung. Jedenfalls keine, die nicht mit Magie in Verbindung gebracht wurde. Sie würde sterben, dem war sie sich mehr als bewusst. Erst recht jetzt, wo sie Leopold und seinen Vater kennengelernt hatten. In diesem Königreich regierte die Strenge. Für Mitgefühl war hier kein Platz und für etwas Derartiges würden sie ganz gewiss kein Verständnis aufbringen. So lange hatte sie bereits in Einsamkeit deswegen gelebt und die Hoffnung, dass sie dies jemals ändern würde, längst aufgegeben. Sie hatte begonnen, sich von Menschenmengen fern zu halten und das, obwohl die den Rummel liebte und den Händlern auf dem Markt, die ihrer Arbeit nachgingen, gern dabei zuschaute. Sie hatte die Bälle im eigenen Schloss nicht mehr besucht, selbst wenn sie zu ihren Ehren abgehalten wurden. Diese Wahrheit durfte niemals ans Licht kommen! Und doch war sie jetzt hier und im Grunde bereits zum Tode verurteilt.
 

Ein Räuspern hatte sie damals fast zu Tode erschreckt und als sie sich umwandte, blickte sie das erste Mal in Geralds Gesicht und dessen Augen waren mehr als geweitet, weil er vom ersten Moment an gesehen hatte, was mit Violetta nicht stimmte. Und er hatte Stillschweigen darüber geschworen und ihr irgendwann trotz dieser unerklärlichen Tatsache seine Liebe gestanden. Es spielte für ihn keine Rolle. Sie war etwas ganz Besonderes in seinen Augen. Dass sie sich selbst nicht sehen konnte, hatte ihn dazu veranlasst, sie zu zeichnen. Wieder und wieder. Und er hatte Spiegel verschwinden lassen. Eine Sache, der auch Violettes Vater mit großer Sorgfalt nachgegangen war.
 

Pferdegetrappel brachte sie in die Gegenward zurück. Als sie erschrocken aufblickte, weil das Schnaufen des Tieres ihn ihrer unmittelbaren Nähe zu vernehmen war, stellte sie fest, dass es sich auch noch ausgerechnet um Leopold handelte. „Wo bist du gewesen?“ Sein finsterer Blick bohrte sich förmlich in ihr Herz und ein weiteres Mal wurde ihr bewusst, weshalb sie diesen Mann nicht wollte.
 

„Ich...“ Violetta sammelte sich kurz und trat endlich von Kilian einige Schritte zurück. Dann straffte sie die Schultern, um Würdevoller zu wirken.

„Ich war im Wald und habe nachgedacht.“

Leopold erwiderte darauf nichts. Einzig sein Pferd schien das Herumstehen nervös zu machen, da es begann, mit den Hufen zu scharren. Der Prinz wendete seit Reittier und reichte seiner zukünftigen Frau die Hand entgegen.

„Steig auf!“

Nur widerwillig fasste sie nach seiner Behandschuhten Hand und ließ sich hinter ihm aufhelfen. Ihr trauriger Blick hing dabei einzig an Kilian und nur mit Mühe gelang es ihr, ihre Tränen zurückzuhalten.

Am liebsten hätte sie ihm liebliche Worte zugerufen, welche er an seinen Bruder weitergeben sollte, aber da war unmöglich. Stattdessen senkte sie den Blick und ließ sich auf dem Rücken des Pferdes ins Schloss zurückführen.
 

Sie hatten Sarigaria kaum erreicht, da hörte man bereits die Musik spielen. Alle freuten sich auf diese Hochzeit. Die ganze Stadt feierte. Alle sehnten herbei, dass durch diese endlich Frieden einkehren würde. Wie lange schon, waren sie die Tyrannei ihres Königs leid. Hofften sie doch alle so sehr, dass Violetta an Leopolds Seite endlich die ersehnte Ruhe bringen würde. Die Königin war damals bei Leopolds Geburt verstorben und seither hatte es keine Frau mehr gegeben hinter den königlichen Mauern. Keine einzige. Weder Dienstmädchen, noch Kammerfrauen. Sie alle wurden damals entlassen, als die Königin starb und alle Arbeit lag seither in Männerhand. Violetta war dies zunächst sehr seltsam vorgekommen, aber weitere Gedanken hatte sie daran nicht verschwendet.
 

Unsicher klammerte sie sich an Leopold fest, welcher sein Tier unerwartet bedächtig und vor allem nicht auf dem direkten Weg zum Schloss, durch die Gassen führte. Überall sah Violetta glücklich lächelnde Gesichter und Kinder und Frauen, die ihr und dem Prinzen zuwunken und Grüßten. Wollte er ihr die Sache noch schwerer machen? Ihr die Menschen zeigen, deren Knechtung auch mit dieser Hochzeit kein Ende hatte? Oder war es etwas Anderes? Wollte er mit ihr allein sein, ohne ihr das direkt sagen zu können? Sie wusste es nicht. Seit sie hier war, hatte sie nicht hinter diese Fassade blicken können. Seine ablehnende, kalte Art hatte sie stets auf Abstand gehalten. Wollte er keine Schwäche zeigen? Vor den Augen seines Vaters hätte sie dies vielleicht noch verstanden, doch er tat dies auch, wenn sie allein waren und das ergab für sie keinen Sinn.
 

„Zieh dich um“, sagte er lediglich, als sie die Mauern passiert und die Treppe zum Schloss erreicht hatten. Leopold versuchte dieses Mal nicht all zu hart zu klingen und dennoch hatte er wieder dieses zornige Glimmen in den Augen, welches Violetta jedes Mal aufs Neue zusammenzucken ließ. Sie senkte den Blick und machte einen Knicks.

„Jawohl“, gab sie zurück, dann verschwand sie schnellstens im Gebäude.
 

Doch auf einem der Flure lief ihr ausgerechnet Gerald in die Arme. Erschrocken darüber, dass sie noch immer hier unterwegs war, anstatt sich für die Hochzeit zurecht zu machen, fuhr er zusammen. Er wollte ihr entgehen, doch er trug ein Tablett in den Händen, auf welchem sich Leckereien für das Festmahl befanden und diese hinderten ihn daran, eilig zu verschwinden. Nicht auszudenken, wenn er diese hier auf dem Boden verstreuen würde.
 

„Warte!“ Violetta war sofort hinter ihm und hielt ihn ohne zu zögern an.

"Du hast gesagt, du würdest mir helfen und jetzt fällst du mir in den Rücken!? Warum?"

Gerald schwieg, wenn auch nur mit großer Mühe. Er schluckte hart und versuchte schleunigst ihrem Blick zu entgehen.

„Gerald!“ In Violetta begann eine Wut aufzusteigen, die sie gar nicht von sich kannte.

„So antworte endlich!“ Ihre Worte wurden leiser. „Wolltest du mich nicht mit dir nehmen? Wollten wir nicht ein gemeinsames Leben anfangen...?“

Doch der Schreibersohn schwieg weiterhin beharrlich. Er wusste einfach nicht, was er ihr hätte sagen sollen. Seine Redegewandtheit schien verschwunden.
 

Ja, dass wollte er. Mit Violetta ein gemeinsames Leben. Sie wegbringen aus diesem Reich. Sie war die Frau, die er liebte und doch...

Eine saftige Ohrfeige riss ihn aus den Gedanken.

„Ich HASSE dich!“ Dann entfernten sich ihre schnellen Schritte.
 

Als sie ihr Schlafgemach betrat, wurde sie bereits von Ihren Kammerfrauen erwartet.

„Wo seid Ihr gewesen?“ In Miras Gesicht machte sich Erleichterung breit. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht.“

Else half ihr aus ihrem Kleid.

„Ich will ihn nicht heiraten.“ Violettas zitternde Stimme und ihr angsterfüllter Blick verliehen ihren Worten Nachdruck.

Miras Seufzen und ihr ebenfalls betrübter Blick machten das, was bevorstand, nicht besser.

„Ich weiß, aber es gibt keinen anderen Weg.“ Mit dem weißen, wunderschönen Hochzeitskleid in den Händen trat sie heran.

„Ihr werdet ihn schon für Euch gewinnen. Vielleicht braucht er noch etwas Zeit. Ihr seid eine starke Frau...“

Violetta unterbrach sie.
 

„Bin ich das? Wie lange sind wir jetzt hier und er hat sich kein Stück geändert? Bin ich die Einzige, der das auffällt? Das dieser Mann ein Herz aus Stein hat?“ Hilfesuchend wand sie den Blick Else zu. Sie war annähernd in ihrem Alter. Wenigstens ihr musste das doch aufgefallen sein. Als Violettas Blick sie traf, senkte sie jedoch den Blick.

„Bist du nun auch gegen mich?“ Heiße Tränen liefen ihr über die Wangen.

„Nein, Mylady, aber ich...“
 

Als sie schließlich mit gesenktem Blick auf die Kapelle zutrat, war ihr alles andere als nach heiraten zumute. Selbst der stützende Griff ihres Vaters glich eher einer Farce. Der Weg zum Schafott. Er wollte sie nicht hierlassen, hatte er ihr gesagt. Er hatte Angst, doch nun schwieg er ebenfalls, was ihr die Sache nur noch schwerer machte.
 

Leopold sah sie nicht an, als sie den hellerleuchteten Kirchenraum der schlosseigenen Kapelle endlich betrat. Nicht ein einziges Mal. Sein Blick war teilnahmslos an den Boden geheftet. Wie immer, im Grunde. Für Violetta also kein unbewohnter Anblick. Jeder Schritt, der sie näher an ihn heranbrachte, ließ ihre Unruhe steigen. Die Blicke, lächelnden Gesichter und das Gemurmel trieben ihr wieder und wieder die Tränen in die Augen. Auch, als sie endlich neben ihm stand, schenkte er ihr nicht einen Blick. Violetta kam sich so verloren vor. Trotz, dass hier die Menschen kaum enger sitzen konnten, fühlte sie sich allein und obwohl hier unzählige Kerzen brannten, spürte sie eisige Kälte.
 

Als der Pastor endlich herantrat, hob sie kurz den Blick. Man merkte ihm an, dass auch er sich nicht sonderlich wohl fühlte, doch was hätte er schon ausrichten können. Mit gefalteten Händen und einem Räuspern wand er sich schließlich an den Bräutigam, doch noch bevor der Mann Gottes mit einem eher gequälten Lächeln seine Worte an ihn richten konnte, unterbrach dieser ihn mit erhobener Hand.

„Wir werden diese Hochzeit verschieben!“ Ausdruckslos sah er den alten Mann an, welcher vor Verwunderung den Mund nicht zubekam.

„Aber... Euer Majestät?“, brachte er schließlich doch heraus und blickte sich unruhig um.
 

In der ersten Reihe wurde ein schwerer Stuhl schwungvoll nach hinten geworfen, als sich Leopolds Vater augenblicklich erhob.

„Unterstehe dich!“, schrie er seinen Sohn an.

Der Pastor hob erschrocken den Blick und wollte den König maßregeln, hier in einem Gotteshaus nicht so herumzuschreien, doch er wagte es nicht.

„Du wirst diese Frau jetzt heiraten!“ Er knurrte ungehalten und ballte die Hände zu Fäusten, doch von seinem Sohn erntete er daraufhin nur einen knappen Blick. Dann wand sich dieser bereits zum gehen.

„Wir verschieben diese Hochzeit!“, widerholte er lediglich und verließ damit auch bereits die Kirche.
 

Alle in der Halle blickten ihm fassungslos und gänzlich ohne Verständnis nach. Wie konnte er nur? Wie konnte er diese Frau hier nur stehen lassen? Wollte er etwa keinen Frieden? Violetta sah ihm ebenfalls nach und spürte plötzlich ein Ziehen in der Brust und Tränen stiegen ihr abermals in die Augen. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Was war nur in ihn gefahren? War er vielleicht hinter ihr Geheimnis gekommen? Zumindest was das ihr erster Gedanke. Wollte er sie vielleicht nur weiter quälen? Oder hatte er gar nicht das geringste Interesse an ihr? Sie war fürchterlich hin und her gerissen. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Und sofort waren ihre Gedanken wieder bei Gerald. Aber hatte sie diesem nicht gesagt, dass sie ihn hasste?
 

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Drei Tage waren seitdem vergangen. Immer wieder hatte der König versucht, auf seinen Sohn mehr oder weniger einzureden, um ihn zur Vernunft zu bringen, aber dieser ließ sich noch immer nicht umstimmen. Gäste waren schließlich empört und enttäuscht abgereist und das Essen war den Schweinen vorgeworfen worden. Violetta und ihre Eltern waren jedoch noch hier geblieben. Der einzige Grund für Violetta war es allerdings, weil sie sich von Gerald unbedingt noch verabschieden wollte, doch dieser war verschwunden, seit der geplatzten Hochzeit. Nicht einmal Kilian wusste, wo dieser steckte.

Und Leopold? Dieser hatte mit niemandem ein weiteres Wort gewechselt. Schweigend hatte sich dieser zurückgezogen und nur hin und wieder bekam Violetta ihn kurz zu Gesicht. Was war nur in ihn gefahren? Sie wusste es nicht aber irgendwann hatte sie auch aufgehört, sich darüber Gedanken zu machen. Stattdessen packte sie ihre Sachen. Um schneller wieder verschwinden zu können, half sie dabei nur liebend gern ihren Kammerfrauen. Nur weg! Die Stimmung in diesen Mauern hatten ein Maß für sie angenommen, welches nicht mehr länger zu ertragen war und wenn sie dieser Kerl nicht wollte und der Mann, den sie liebte, verschwunden blieb, hatte sie hier auch nichts mehr verloren und die Abreise stand endlich bevor.
 

Koffer und Taschen fanden so langsam wieder ihrem Weg zur Kutsche und mussten nur noch verstaut werden und doch wollte sie noch einen Rundgang machen, bevor sie nie wieder hier her kam. Doch die erdrückende Stille in den Fluren erinnerte sie ein weiteres Mal daran, dass sie nicht hier sein sollte. Die wenigen Bediensteten, die ihren Weg kreuzten sahen schrecklich bedrückt aus. Ungerührt ignorierte sie diese Tatsache, denn schließlich war nicht sie es, welche die Hochzeit hatte platzen lassen. Insgeheim war sie jedoch froh darüber, dass es genau so gekommen war. Und alles wäre auch gut gewesen, wenn sie nur Gerald nicht auch noch verlassen hätte. War sie zu hart zu ihm gewesen? Aber war es nicht er gewesen, der tatenlos zugesehen hatte? Sie wusste selbst, dass er auch gar nicht das Recht gehabt hätte, sich gegen diese Hochzeit auszusprechen.

Eher beiläufig bemerkte sie, dass sie ihr Weg in die Küche geführt hatte. Es war wohl eher aus Gründen der Gewohnheit, das sie hier gelandet war. Hatte sie doch gern dem Koch geholfen, vor allem beim Vorkosten der Speisen. Vom rundlichen Koch fehlte jetzt jedoch jede Spur. Stattdessen war es etwas anderes, was ihr beim betreten des Raumes sofort ins Auge fiel. Auf der Anrichte stand ein kleiner Engel aus Ton mit betenden Händen.
 

Verzückt nahm sie ihn auf. Woher dieser wohl stammte und für wen er wohl bestimmt war? Das traurige kleine Gesicht gefiel ihr sofort und sie erinnerte sich daran, einen solchen auf dem Wochenmarkt bereits gesehen zu haben. Sofort waren ihre Gedanken bei Gerald, denn mit diesem war sie damals dort gewesen und ihm hatte sie auch gesagt, dass ihr dieser Engel besonders gefalle. Also wer sonst, sollte ihr so etwas Schönes schenken? Sie war sich ganz sicher, dass er für sie bestimmt war. Aber warum stand er hier? War es nicht viel zu gefährlich, ein Geschenk gerade hier so offensichtlich abzustellen? Hätte er ihn ihr nicht lieber ins Schlafgemach stellen sollen? Hieß das also, dass Gerald nicht weit war?
 

Violetta bemerkte plötzlich, dass auf der Unterseite dieser tönernen Figur Worte geschrieben waren, doch als sie diese las, fuhr sie erschrocken zusammen.

‚Hilf mir, Violetta‘, stand dort geschrieben. Jedoch war es Leopolds Handschrift. Davon war sie fest überzeugt!

Hilfesuchend ließ sie den Blick schweifen. Was wollte er ihr damit sagen? Sollte sie doch nicht gehen? Warum hatte er ihr das nicht direkt sagen können? Mit zitternden Händen stellte sie den Engel zurück auf den Tisch.

Leopold rief um Hilfe? Aber warum? Und diese wollte er ausgerechnet von ihr? Wo sie doch sonst die Letzte war, für die er etwas übrig zu haben schien?
 

Als die Dielen hinter ihr knarrten, fuhr sie erschrocken zusammen und wand sich mit einem Ruck danach um. Es war Kilian. Seinen Blick wusste sie nicht zu deuten. Wahrscheinlich hatte er jetzt erst erfahren, dass sie und ihre Eltern heute noch abreisen würden.

„Wo ist Leopold?“, fragte sie unsicher. Niemals wäre sie auch nur auf den Gedanken gekommen, gerade ihm diese Frage zu stellen. Wo sie doch viel eher hätte nach Gerald fragen sollen. Aber dieser Hilferuf ließ alles andere unwichtig erscheinen.

„Ich denke er ist... im verbotenen Zimmer.“
 

Merklich ließ Violetta die Schultern hängen. Das verbotene Zimmer? Natürlich, wo sonst. Bereits wenige Augenblicke, nachdem sie dieses Schloss betreten hatte, wurde ihr klar gemacht, dass sie dieses Zimmer niemals zu betreten hatte. Sie hatte natürlich sofort nach jenem Zimmer gesucht, es dann allerdings doch nicht gewagt, die Türklinke zu betätigen. Die mächtige Tür mit dem großen Schloss hatte sie eingeschüchtert. Was auch immer dort versteckt wurde: es konnte nichts Gutes sein. Doch jetzt, wo sie ohnehin abreiste, spielte das für sie keine Rolle mehr.
 

„Ich werde nach ihm sehen“, sagte sie und versuchte selbstsicher zu klingen, obwohl sie sich alles andere als wohl fühlte. Dabei trat sie auf Kilian zu, der noch immer in der Tür stand. Seine Augen waren vor Schreck geweitet.

„Geht da nicht hin, Prinzessin. Ihr wisst doch, dass er jedes Mal, wenn er wieder zurück ist, noch unausstehlicher ist, als sonst.“ Die letzten Worte brachte er nur flüsternd über die Lippen, denn es stand ihm nicht zu, so über den Prinzen zu reden. Derartige Worte konnten bereits mächtigen Ärger bedeuten, aber der Knappe hatte Recht. Die meiste Zeit war Leopold unnahbar und verschlossen, aber wenn er dieses Zimmer verlassen hatte, war er launisch und zänkisch. Sollte sie ihn wirklich suchen gehen? Violetta holte tief Luft und klopfte Kilian auf die Schulter.

„Ich sehe nur kurz nach ihm.“ Dabei zwang sie sich ein Lächeln auf und eilte davon.

Der Knappe sah ihr fassungslos nach. „Aber Gerald wartet doch am geheimen Platz“, waren die geflüsterten Worte, welche seinen Mund noch verließen und welche die Prinzessin nicht mehr wahrnahm.
 

Auf dem direktesten Weg, den sie kannte, lief sie jenem Zimmer entgegen. Niemand begegnete ihr, bis ein Knurren an ihr Ohr drang. Als sie sich danach umschaute bemerkte sie die schwarze Katze, welche auf einer der Truhen saß und einen beträchtlichen Buckel machte und dabei ausgerechnet sie im Blick hatte.

Violetta wand sich ihr zu und stützte die Hände in die Hüfte.

„Aber, aber. Was hast du denn?“ Noch vor Tagen war sie ihr um die Beine gestrichen und hatte sogar mit ihr geschmust und jetzt wurde sie angeknurrt? Sie trat einen Schritt heran, doch da fuhr sie bereits die Krallen aus und langte nach ihr. Dabei fauchte sie zudem gefährlich.

Violetta sah davon ab, ihr zu nahe zu kommen. Spielten hier jetzt etwa sogar die Tiere verrückt? Es wurde wirklich Zeit, dass sie von hier wegkam, doch zuerst würde sie den Prinzen suchen.
 

Kaum hatte sie sich von ihr abgewandt, wurde sie auch bereits auf die Silhouette aufmerksam, welche sich ihr näherte. Es war Leopold. Erleichtert atmete sie auf. Sie musste nicht erst das verbotene Zimmer aufsuchen. Unweigerlich beschleunigten sich ihre Schritte, doch als sie an den Prinzen herantrat, lief dieser einfach weiter, ohne auch nur ein Auge auf sie geworfen zu haben.

„Warte bitte.“ Sie machte kehrt und heftete sich an seine Fersen.

„Hast du diesen Engel aus Ton in der Küche abgestellt?“

Er antwortete nicht, so dass sie nach seinem Arm fasste und ihn zum Anhalten brachte.

„Nun rede schon!“ Sie lief um ihn herum und sein harter Blick traf sie, dass sie kurz zusammenzuckte.

„Was versuchst du mir mit dieser Nachricht zu sagen?“, fragte sie schließlich weiter, ohne die ganze Gewissheit zu haben, dass dieser Engel überhaupt von ihm war.

Leopold presste die Lippen zusammen und wollte sie aus dem Weg schieben, doch geschwind hatte sie ihn mit beiden Händen an der Jacke gegriffen.

„Jetzt sag mir endlich, was los ist! Was hat diese Nachricht zu bedeuten? Oder war dieser Engel etwa nicht von dir?“ Violetta war verwirrt.

Während sie zu ihm aufstarrte, lockerte sie den Griff an seiner Jacke.

„Ich würde dir gerne helfen, aber du musst mir schon sagen wie.“
 

Wie lange sie so dagestanden hatten konnte Violetta nicht sagen, genauso wenig wie sie wusste, wie lange sie ihn so angestarrt hatte, doch plötzlich brach er das Schweigen.

„Du willst mir helfen? Schön!“

Unsanft fasste er ihr Handgelenk und machte augenblicklich wieder kehrt. Seine Finger waren eiskalt. Ganz so, als wären sie aus Stein, oder gar die Hand eines Toten.

Er zog Violetta hinter sich her und durch die Gänge, in einer Geschwindigkeit, der sie kaum gewachsen war. Nur vage bekam sie die Richtung mit, in welche er hastete. Die Kälte seiner Hand schien sich auszubreiten. Das war das erste Mal, dass sie ihn ohne Handschuhe berührte. Sie hatte ihn nie ohne gesehen, seit sie hier war. Nicht einmal beim Essen pflegte er sie abzulegen.

Unaufhörlich kroch diese unangenehme Kälte ihren Arm hinauf und es kam ihr vor, als würde ihr das Blut in den Adern gefrieren.
 

Auch vor der Tür angekommen, gab er sie nicht frei, obwohl sie versuchte, von ihm wegzukommen.

„Du willst mir helfen? Dann sieh dir das an!“

Er kramte einen Schlüssel hervor, schloss auf, riss die Tür mit einem kraftvollen Ruck auf und trat ein, ohne noch länger zu warten.

Zu einer Salzsäule erstarrt, fand sie sich in einem Raum wieder, der kaum schlimmer für sie hätte sein können: Einem runden Raum, der nur so vollgehangen war, mit den unterschiedlichsten Spiegeln, dass man die Wände dahinter nur erahnen konnte. Violetta wurde bleich und ihr war mit einem Male furchtbar schlecht. Und dennoch versuchte sie sich mit ihren zitternden Fingern aus Leopolds Griff zu befreien.

„Las mich los. Du tust mir weh!“ Ihre Worte verhallten ungehört.
 

„ERSCHEINE!“
 

Seine Aufmerksamkeit war auf etwas ganz Anderes gerichtet, dass er die Tatsache ihres fehlenden Spiegelbildes im ersten Moment gar nicht bemerkte.

„Siehst du das?“ Endlich gab er ihre Hand frei. „Kannst du ihn sehen?“

Violetta rieb sich die eisige Hand und sah sich unruhig um. Dabei versuchte sie aus seinem Blickfeld zu verschwinden, indem sie sich recht weit hinter ihm stellte.

Aber was sollte sie denn sehen? Außer seinem Spiegelbild und all den Spiegeln, die in jedem einzelnen um sie herum abermals zu sehen waren, gab es nichts für sie auffälliges hier auszumachen.

Doch mit einem Male schien sich aus einem der glatten Flächen etwas zu nähern. Etwas Schwarzes, was zunehmend größer wurde, bis Violetta darin zwei rotleuchtende Augen sehen konnte. Eine Geflügelte Gestalt mit mächtigen Zähnen und scharfen Krallen.

„Was ist das?“, flüsterte sie erblichen und klammerte sich eher unbewusst an Leopolds Arm fest

„Sieh ihm nicht in die Augen.“

Es näherte sich noch weiter und sie konnte es als einen Drachen erkennen.

„Das ist der Dämon, der mir innewohnt“, bekam sie endlich als Antwort.

„Was?“ Ihr Kopf ruckte herum. Was erzählte dieser Mann da nur?

Doch das Schnaufen und Fauchen der unheimlichen Gestalt im Spiegel zog ihre Aufmerksamkeit sofort wieder auf sich.

„Dieser Drache herrscht über mich. Er hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin.“ Wehmütigkeit klang in seinen Worten mit. Der Drache kreiste beide ein. Immer wieder flog er in großen Runden um sie herum. Violetta verspürte fürchterliche Angst, obwohl dieses Biest lediglich in den Spiegeln zu sehen war und doch so echt auf sie wirkte.

„Aber wie kann das sein?“ Fragend blickte sie erneut zu ihm auf und als er ihr einen Blick schenkte wurde er endlich auf das Aufmerksam, was sie so lange versucht hatte, vor der Welt zu verbergen.

„Warum hast du kein Spiegelbild?“

Seine harten Worte erschreckten sie ein weiteres Mal und ließen sie zusammenzucken, dass sie zu keiner Antwort in der Lage war.

„Violetta!“

„Ich weiß es nicht. Ich hatte noch nie ein Spiegelbild“, sagte sie wahrheitsgemäß. „Hast da das nicht längst bemerkt?“

Ungläubig dreinblickend schüttelte er den Kopf. Seine Stirn in Falten gelegt.

Das war also gar nicht der Grund gewesen, dass er sie nicht heiraten wollte? Violetta wollte verschwinden, doch er hatte erneut ihren Arm gefasst.

„Bitte lass mich los.“ Flehend hing ihr Blick an seinen schwarzen Augen. „Bitte...“

Sie wollte nicht länger hier sein und in diesem unheimlichen Zimmer erst recht nicht.

„Lass uns wieder gehen.“

Kopfschüttelnd sah er sie weiterhin an, und plötzlich schien es, als wäre ihm etwas eingefallen.

„Du hattest noch nie ein Spiegelbild?“, hakte er nach. Mit gesenktem Blick schüttelte sie den Kopf.

War sie es etwa? Die Frau, die ihm erscheinen sollte? Leopold konnte es nicht glauben.
 

„Warum sagst du mir, dass dieser Drache dich beherrscht?“ Erneut folgte ihr Blick der Kreatur, doch die Tür hatte sie weiterhin im Blick.

„Weil es die Wahrheit ist. Er hat vor vielen Jahren mein Herz gefressen.“

„Er hat…?“ Sie sah Leopold wieder in die Augen. „Ist er also der Grund dafür, dass du so…“

Sie wagte es nicht, die Frage zu Ende zu stellen und der Prinz vermied es, ihr eine Antwort zu geben.

Das Fauchen des Drachen lies Violetta zusammenzucken.

„Kannst du dich nicht von ihm befreien?“, flüsterte sie und sah erneut nach der Tür. Sie war nicht abgeschlossen, also hätte sie sicher eine Gelegenheit, zu verschwinden, wenn sie Leopolds eisigem Griff entkam.

„Nein. Ich habe es versucht, aber ich schaffe es nicht.“

Er gab sie frei und trat an einen der Spiegel heran. So nah, dass dieser beschlug.

„Schon ein paarmal habe ich es versucht, aber es ist immer dasselbe…“

Behutsam fuhr er mit den Fingern über die glatte Fläche, doch mit einem Mal ballte er die Hand zur Faust und schlug ein Loch in den Spiegel. Der Drache heulte auf und war mit wenigen Flügelschlägen neben jenem Spiegel, welcher eben Schaden genommen hatte. Doch das war nicht alles. Er fauchte wütend, riss sein Maul auf und Violetta musste mit ansehen, wie sich die riesige Kreatur auf Leopolds Spiegelbild stürzte und ihre Zähne in seiner Schulter vergrub. Wie von Geisterhand wurde er angehoben und durch das Zimmer geschleudert, während sich seine Schulter Blutrot färbte. Mit schreckgeweiteten Augen musste die Prinzessin mit ansehen, wie er schließlich auf dem Boden aufschlug.

„LEO!“ schnell war sie heran. Er hatte sich nicht mehr abfangen können und rutsche noch ein Stück Rücklings über den Steinboden.

„Wir müssen hier weg!“ Ihr Blick folgte kurz dem Drachen, dann zog sie es vor, dem Prinzen aufzuhelfen um ihn aus dem Zimmer zu zerren.
 

Vor der Tür angekommen sank er erneut zu Boden. Ein teuflisches Grinsen lag in seinem Gesicht.

„Ich kann nichts gegen ihn tun. Gar nichts…“

„Wie schrecklich…“ Violetta nahm die Hände vor das Gesicht und musste sich erst einmal beruhigen.

Das war also der Grund für seine gefühllose Art? Auf so etwas wäre sie nie im Leben gekommen. Viel mehr hatte sie zu Beginn gedacht, er hätte vielleicht bereits eine Frau, die er liebte und dass er deshalb den Unnahbaren spielte, aber ein Dämon?

„Wieso beherrscht dich dieses Vieh?“

„Wieso?“ Er lehnte sich an die Wand und hielt seine Schulter.

„Eine Antwort auf diese Frage würde nichts an der Tatsache ändern, dass alles so ist, wie es ist.“

Er wich ihrer Frage aus und hob stattdessen den Blick. Jemand lief auf die Beiden zu. Es war Gerald.

Unruhig sah auch Violetta ihm entgegen. Er war hier? Gerade jetzt? Jetzt, wo sie etwas erfahren hatte, was sie an ihrem klaren Denken zweifeln ließ?
 

Außer Atem blieb der Schreiber vor ihnen stehen.

„Sie weiß Bescheid“, sagte der Prinz an ihn gewandt. „Ich habe ihr mein kleines Problem gezeigt.“

„Klein?“ Ihr Blick fiel ernst auf den noch immer am Boden sitzenden Prinzen.

„Und ich habe ein wichtiges neues Detail über Violetta erfahren…“

Gerald hielt erschrocken die Luft an, da er sich denken konnte, worauf der Prinz gerade anspielte.

„Du wusstest es?“ Ertappt senkte der angesprochene den Blick. „Und du hast es nicht für nötig gehalten, mir das zu sagen!?“
 

Gerald kam nicht dazu, sich zu rechtfertigen, denn der Prinz stand keinen Moment später wieder auf den Beinen.

Wortlos fasste er in seine Jackentasche und zog ein Papier heraus, welches er wohl bereits seit einiger Zeit mit sich herumtrug. Dieses reichte er Violetta entgegen, die es ihm nur zaghaft abnahm und schließlich las.
 


 

- Die Frau, die sieht, doch ihre Schönheit nicht kennt –

- Wird dir erscheinen, im gar letzten Moment –

- Sie ist der Schlüssel, der beendet dein Leiden –

- Ruhe du findest, beim aus dem Leben scheiden –
 

„Was? Was ist das? „Verwirrt hob sie den Blick.

„Eine alte Frau hat mir zu meinem zwanzigsten Geburtstag diesen Brief gegeben. Mein Vater hatte ihn achtlos weggeworfen, ohne ihn gelesen zu haben, doch ich konnte ihn vor den Flammen bewahren.“

Leopold wand sich ihr vollends zu und zum ersten Mal sah sie nicht Hass in seinen Augen. Dieses Mal war es Erleichterung.

„Ich hatte diese Worte als die Spinnereien einer Vettel abgetan...“
 

Ihr wurde unwohl bei seinem plötzlich so andersartigen Blick.

„Du musst ihn töten!“

„Was?“

Wie hatte sie diese Worte gefürchtet. Wie konnte er das nur verlangen?

„Ich? Oh nein! Ich gehe da nicht noch einmal hinein!“ Sie versuchte ihm den Brief wieder zuzuschieben, doch der Prinz nahm die Hände hinter den Rücken, das Papier fiel auf den Boden und Gerald war es schließlich, welcher es wieder aufhob. Schnell fuhren seine Augen über die dort geschriebenen Worte. Hektisch schon fast.
 

„Dich kann er nicht sehen.“ Nah trat Leopold vor die Prinzessin und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Du wolltest mir doch helfen? Das ist die Gelegenheit. Du bist die Einzige, die das tun kann.“

Er schob die Jacke auseinander und zog seinen Säbel hervor.

„Nimm diesen und schlag damit die Spiegel ein. Alle Spiegel!“

Ihr Zögern nagte an seiner Hoffnung.

„Aber wenn er…“

„Er kann dich nicht angreifen. Er sieht dich nicht, also bist du für ihn unerreichbar.“

Violetta seufzte und senkte den Blick. Sie wollte das nicht. Das konnte doch alles nicht wahr sein.

„Was ist? Stehst du nicht zu deinen Worten?“

Als ob das damit etwas zu tun hätte, dachte sie sich. Beim Gedanken an dieses riesige Wesen wurde ihr schlecht. Sie hatte Angst und dass nicht nur ein bisschen.
 

„Ich werde es tun!“, schaltete sich Gerald sofort ein, doch er erntete darauf nur einen finsteren Blick.

„Hast du nicht zugehört, Schreiber? Wenn du auch nur einen Fuß in dieses Zimmer setzt, wird er dein Spiegelbild fassen und dich umbringen! Glaubst du ernsthaft, das ist ein Scherz?“ Bei diesen Worten deutete er auf sein Blutverschmiertes Hemd.
 

Das Blut eines Mannes, der nicht mehr das war, was er sein sollte. Auch wenn er es niemals gestehen würde, war er einsam, so lange er sich erinnern konnte. Eine Einsamkeit, die sein Vater niemals begriffen hätte. Der König hatte ihn nie verstanden und seine Mutter hatte ihn bereits nach seiner Geburt verlassen. Wie gerne wäre er ihr gefolgt, als ihn diese Krankheit ereilte. Aber nein, sein Vater entschied für alle und gab ihm nicht die Gelegenheit, für sich selbst zu entscheiden. Diese Frau jetzt zu treffen, hätte kein größeres Glück für ihn bedeuten können. Sie war hier und er würde sie keineswegs einfach ziehen lassen. Sein abwesender Blick fiel wieder auf den Schreiber. Dieser war ihm keine Hilfe.
 

„Mein Körper hat sich von diesem Angriff längst erholt, aber du wirst diesen Angriff nicht überleben. Sie hier jedoch kann er nicht sehen. Sie bietet ihm keine Angriffsfläche.“

Abermals sah er sie eindringlich an, doch Violetta hielt den Blick gesenkt, aber er hatte Recht. Sie hatte dieses Ding gesehen und wenn er sie nicht angreifen konnte, weil sie kein Spiegelbild hatte? Sie wollte dem Prinzen helfen und wenn dies der einzige Weg war, dann sollte es eben so sein!

„Na schön.“ Mit zitternden Fingern zog sie den Dolch aus der Scheide und wog ihn in beiden Händen.
 

Doch dann stockte sie erneut.

„Was soll das bedeuten, dass du, wenn du erlöst bist, stirbst? Du… siehst nicht krank aus. Ich meine…“

„Ich bin längst tot, Violetta. Als der Dämon damals in mich fuhr, bin ich bereits gestorben.“

Ihr unsicherer Blick fiel erst auf ihn und anschließend auf Gerald, doch auch Zweiterer schwieg beharrlich.

„Na schön“, versuchte sie sich selbst Mut zu machen.
 

Mit zitternden Knien trat sie schließlich erneut auf die Tür zu. Gerald folgte ihr und griff selbstsicher nach der Klinke.

„Komm nur heil zurück“, flüsterte er. „Diese Sache gefällt mir nicht.“

Sie schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln und atmete tief durch.

„Ich tue mein Bestes.“ Dann trat sie auch bereits ein und die schwere Tür hinter ihr schloss sich wieder.
 

Im runden Raum stehend, fiel ihr Blick sofort an die Decke. Genau über ihr hing ein mächtiger Kronleuchter, der wie von Geisterhand leuchtete, aber immerhin stand sie hier nicht im Dunklen.

"Oh verdammt, das wird heftig!", entwich es ihr und sie sah verkrampft in jeden Spiegel, um den Drachen schnellstens ausfindig zu machen.

Und dann näherte er sich wieder. Ein dicker Kloß in ihrem Hals brachte sie erneut zum Stocken und der Gedanke, einfach hinaus zu fliehen war wieder da, doch sie besann sich eines Besseren.

„Also gut…“

Langsam näherte sie sich einem der Spiegel. Wie viele Jahre Unglück würde sie damit wohl heraufbeschwören? Sie wollte es nicht wissen. Stattdessen stach sie mit dem Dolch zu. Genau in die Mitte des in Gold gerahmten Spiegels. Unschöne Risse zogen sich sofort in alle Richtungen und die Bestie heulte auf und für einen kurzen Augenblick gelang ihr ein Lächeln.

„Das ist dein Ende…“

Mutig trat sie an den nächsten heran und tat es genauso wie bereits beim Spiegel davor. Und sie trat auch bei einem weiteren zügig heran. Die Kreatur begann zu toben. Immer wilder flog sie umher und versuchte, den jenen an seinem Tun zu hindern, der ihm gerade die Bewegungsfreiheit nahm, doch er bekam niemanden zu fassen. Violettas Herz raste. Sie konnte kaum glauben, was sie da tat. Spiegel für Spiegel bekam Risse und immer weniger Raum blieb dem Drachen. Er fauchte und heulte und begann sogar irgendwann Feuer zu spucken, doch Violetta konnte er damit nichts anhaben. Sollte dieser Fluch vielleicht sogar etwas Gutes sein? Die Klinge zerstörte ein weiteres Glas. Bald hatte sie es geschafft. Nur noch drei. Dann Zwei. Die Laute des Drachen wurden immer Ohrenbetäubender. Kaum auszuhalten für die Prinzessin. Sie musste sich beeilen. Sie musste hier heraus, bevor sie noch verrückt wurde. Und dann war es fast geschafft. Nur noch ein Spiegel war der wilden Bestie geblieben. Der Spiegel, welcher sich an der Tür befand. Wenn sie diesen zerstört hatte, würde dieser Fluch von Leopold abfallen. Doch was geschah dann? Sie hatte keine Ahnung. Ihr Herz schlug ihr bist zum Hals. Und dann rannte sie los. Den Dolch in beiden Händen rannte sie auf den Spiegel zu und ohne erneut zu halten stieß sie diesen hinein. Und keinen Augenblick später wurde es Dunkel im Raum und ließ sie ab von ihrer Waffe ab, doch er steckte in der Tür fest. Ein Markerschütternder Schrei war das Letzte, was der Drache von sich gab. Dieser fuhr ihr durch Mark und Bein. Sie hatte es geschafft.

Das Parfum [Double Drabble]

Irritiert hob sie den Kopf, als ihr ein nichteinzuordnender Duft in die Nase stieg. Verdammt männlich und anziehend zugleich. Es war zwar nichts seltenes, dass es hier, im Büro nach Parfum roch, denn immerhin kamen regelmäßig Vertreter hier her, doch es war erst 10:00 Uhr und dass war dies betreffend eine unübliche Zeit. Als sie erneut die Nase hob und schnüffelte, warf ihr der Kollege, welcher ihr gegenüber saß, einen merkwürdigen Blick zu. Sie versuchte unauffällig zu wirken, zog es dann jedoch vor, der Sache nachzugehen. Der Drang, dem Duft zu folgen, war nicht länger zu unterdrücken. Sie trat in den Flur hinaus und die Treppe hinunter. Derselbe Weg, den sie ging, wenn sie die Toilette aufsuchte, doch jetzt folgte sie dem Gang in die gegenüberliegende Richtung. Hier gab es nur drei Türen. Allesamt verschlossen. Krampfhaft versuchte sie sich in Erinnerung zu rufen, welcher Kollege es vielleicht sogar sein konnte, welcher auf sie eben diesen betörenden Geruch ausstrahlte, aber ihr fiel keiner ein. Hier unten arbeitete lediglich eine Kollegin und die anderen Räume waren für gewöhnlich leer, wenn es nicht zufällig zu einer großen Besprechung oder zu Sondermontagen kam. Resigniert machte sie also kehrt und fiel in ein schwarzes Loch.

Die schleierhafte Wahrheit

Und nun stand sie hier, Prinzessin Violetta. Wie nahezu jeden Morgen betrat sie den großen Saal und starrte in den ovalen Spiegel, welcher sich dort befand. Einer der wenigen, welche in diesem Schloss überhaupt existierten. Ihre Augen waren sicherlich rotgeweint, doch diese zu sehen, war ihr nicht vergönnt. Auch wenn sie sich noch so viel Mühe gab und jeden noch so kleinen Fitzel in der glatten Fläche absuchte, fehlte dort etwas Entscheidendes. Ihr eigenes Spiegelbild. Seit sie denken konnte, suchte sie dieses vergeben. Keiner konnte sich dies erklären. Ihr Vater hatte die verschiedensten Leute unter Stillschweigen zu Rate gezogen, doch keiner hatte eine Erklärung dafür. Zumindest keine, welche nicht als Hexerei abgetan wurde. Welch schrecklicher Gedanke. Sie, eine Hexe? Nicht auszudenken, wenn dies ans Licht käme. Wenn das Volk davon erfuhr. Wo ihr die Leute, welche hier lebten, doch allesamt gutgesonnen waren. Keiner hegte einen Kräuel gegen sie. Jedermann liebte die Prinzessin, doch keiner in der Stadt wusste von dieser Tatsache.

Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, wenn sie daran dachte, was sie heute erwarten würde. Hatte sich doch ihr Vater in den Kopf gesetzt, sie trotz dieser unerklärlichen Begebenheit zu verheiraten. Vor wenigen Wochen war sie volljährig geworden und somit war es das gute Recht des Königs, dies zu tun.
 

Und die Wahl war ihm auch recht leicht gefallen. Der Sohn des Königs aus dem Nachbarreich sollte der Zukünftige werden. Unstimmigkeiten untereinander hatten ihren Vater dazu bewogen, genau diesen Schritt zu tun. Frieden stand an oberster Stelle. Noch über Violettas Angst, enttarnt zu werden und ihren eigenen Wünschen.

Seufzend wand sie sich ab und der Tür zu.

Leopold war der Name, des Prinzen, den sie heiraten sollte, aber das war auch das Einzige, was sie über ihn wusste. Er und sein Vater waren zwar bereits hier gewesen und auch auf dem Ball zu Ehren ihres achtzehnten Geburtstages war er zugegen, doch Violetta hatte sich auch vor diesem Fest gedrückt und es vorgezogen, ihr Zimmer nicht zu verlassen. Wie ihr Feste, dieser Art mittlerweile ein Graus waren. Wo sie diese doch als Kind immer so geliebt hatte. Musik, Spielleute, Turniere, den Trubel in den Gassen, doch davon war nichts mehr geblieben. Lieber schloss sie sich ein und war allein, als dass sie enttarnt wurde. Sie wollte nicht auf dem Scheiterhaufen brennen. Sie war nicht schuld an der Tatsache, kein Spiegelbild zu haben.
 

Ihre Augen waren feucht, als sie den Saal verließ. Was konnte sie nur tun? Welchen Ausweg hatte sie noch, heute am Tag der Abreise? Beim bloßen Gedanken daran, wurde ihr Schlecht. Sollte sie vielleicht weglaufen? Sollte sie sich eines der Pferde nehmen und fliehen? Irgendwohin, wo sie keiner kannte? In ein anderes, fremdes Land? Eines, wo es niemanden interessierte, ob sie ein Spiegelbild besaß, oder nicht? Gab es ein solches Land überhaupt?
 

Eine der Kammerfrauen kam ihr mit vollen Händen geschäftig entgegen, doch auch ihr Blick war düster. Wusste sie doch vom Leiden der Prinzessin. Nur wenige hier, in diesem Haus wussten es. Dieses Wissen hatte keine dieser Mauern hier jemals verlassen. Das Beste für alle wäre es, wenn dies so bliebe, aber war das noch möglich? Konnte sie dies auch im anderen Reich geheim halten? Immer wieder machte sich dieses flaue Gefühl in ihrem Magen breit.
 

Sie konnte dort nicht hin. Ausgeschlossen! Nur knapp nickte sie Mira zu, dann machte sie auch bereits kehrt und lief eilig über den Gang, der sie zur Küche führte. Sie würde sich ein paar Lebensmittel zusammensuchen und dann verschwinden. Im Allgemeinen Drunter und Drüber, welches hier ohnehin bereits herrschte, hatte sie sicherlich ein leichtes Spiel. So hoffte sie zumindest. Doch bereits hier sollte sich ihre Erwartung nicht erfüllen.
 

In der Küche herrschte ebenfalls geschäftiges Treiben. Die Reise dorthin würde mit der Kutsche sicherlich mehr als einen ganzen Tag dauern und so waren auch hier Bedienstete bereits damit beschäftigt, Lebensmittel zusammenzustellen, für die Fahrt.

Unruhig stand Violetta daneben und wusste nicht, was sie tun sollte. Würde sie sich bereits verdächtig machen, wenn sie ihnen dabei zur Hand ging? Oder sich selbst etwas zusammenstellte? Unschlüssig sah sie von Einem zum Anderen, entschied sich dann jedoch dazu, sich einfach ein paar Äpfel zu nehmen. Dann verschwand sie wieder. Vielleicht würde es auch reichen, wenn sie ein paar Silbertaler einstecken würde. Auf dem Markt könnte sie sich immer noch das Nötigste besorgen.
 

Sich eines der Pferde zu nehmen, war zwar zunächst ein guter Gedanke gewesen, doch dabei war ihr die Tatsache nicht bewusst gewesen, dass auch hier die Bediensteten umher eilten, da die Kutsche angespannt wurde und somit auch die besten Pferde für sie nicht frei waren. Und unbemerkt kam sie jetzt ohnehin nicht in die Ställe. Seufzend verharrte sie hinter der Mauer und dachte nach. Kam sie hier doch nicht schnellstmöglich fort, wie sie es sich in den Kopf gesetzt hatte? Hatte sie überhaupt eine Chance, ungesehen zu verschwinden? Resigniert verließ sie den Hof und verschwand im Rosengarten. Hier war sie allein. Allein, mit den schönsten Blumen, die sie kannte. Dann würde sie eben zu Fuß verschwinden! Das war die einzige Möglichkeit, die sich ihr in dieser ausweglosen Situation noch bot. Aber unerkannt zu bleiben würde wohl eine ernsthafte Herausforderung darstellen.
 

Über den Gesindeeingang gelangte sie schließlich in die Stadt. Tief zog sie sich die Kapuze ihres Mantels ins Gesicht, um auch ja nicht erkannt zu werden. Sie musste hier weg. Erst recht, weil auch hier überall dieser Aufruhr herrschte. Sie durchlief nur die dunkelsten Gassen und in ihrer Verzweiflung verließ sie schließlich die Stadt und folgte dem Weg in den Wald hinein. Ihre Hoffnung, unterzutauchen war jedoch nicht mehr, als das laue Lüftchen des heutigen Morgens. Wenn sie wenigstens für ein paar Tage unauffindbar wäre. Vielleicht würden sich ihre Eltern derartige Sorgen machen, dass sie die Hochzeit von selbst absagten. Ob diese Möglichkeit bestehen könnte? Oder würde sie ihr Vater womöglich gewaltsam dazu bringen? Sie zu dieser Hochzeit zwingen? Ihre Augen wurden feucht und Tränenbäche bahnten sich ihren Weg. Würde er das wirklich tun? Des Friedens willen? Violetta war sich dem nicht mehr sicher.
 

Der Pfad wurde schmaler und je weiter sie ihm in den Wald folgte, desto unwegsamer wurde er. Dornenbüsche zu beider Seiten brachte sie immer wieder dazu, anzuhalten, weil sich der Mantel ständig darin verfing und ihre Augen waren so nass, dass sie ohnehin kaum erkannte, wohin sie lief. Was sollte sie nur tun und vor allem wo sollte sie hingehen? Pferdegetrappel war es schließlich, welches sie zusammenfahren ließ, als sie ein weiteres Mal am Stoff zerrte. Selbst der Saum ihres Kleides war nun bereits durch zahlreiche Löcher ruiniert. Eine wie sie gehörte eben nicht hier her. Die Hufschläge wurden lauter.

„Heja!“, hörte sie einen der Reiter rufen. Nur knapp warf sie ihnen einen Blick zu. Es waren keine Männer ihres Vaters, wie sie zunächst befürchtet hatte. Doch sie näherten sich weiter in gleichbleibendem Tempo.

„Da vorne!“

So schnell sie konnte, versuchte sich Violetta endlich zu befreien, dann raffte sie ihr Kleid und versuchte zu verschwinden, doch die Beiden waren schneller heran, als sie gedacht hatte. Rasch waren sie aus dem Sattel gesprungen und kamen auf sie zu.

„So allein im Wald, meine Schöne...?“

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Schnell wand sie den Blick ab und suchte nach einem Ausweg. Sollte sie vielleicht um Hilfe rufen? Was hatte sie sich nur dabei gedacht, davon zu laufen?
 

Ihr Versuch, zu fliehen scheiterte, als eine Hand fest nach ihr griff.

„Nicht so schnell, Mädchen!“ Violetta zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht. Dass sie hier im Wald überfallen wurde, war wohl das Letzte, mit dem sie gerechnet hatte. Sie war allein und unbewaffnet. Wie also sollte sie sich gegen zwei Männer wehren?

„Lasst mich gehen...“

Mit einem Ruck hatte er ihr die Kapuze vom Kopf gerissen. Seine Augen wanderten über ihr Gesicht, aber wie es schien, wusste er nicht, wen er hier gerade vor sich stehen hatte. Aber war das gut?

„Du siehst aus, als hättest du Geld. Her damit!“ Den gezückten Säbel hielt er ihr dabei an die Seite. „Nun mach schon Mädchen, oder willst du sterben?“ Sein hämisches Grinsen ließ es der Prinzessin ganz elend werden. Mit zitternden Fingern suchte sie nach ihrem Lederbeutelchen in ihrem Mantel. Sie war so aufgelöst, dass es ihr selbst wie eine Ewigkeit vorkam. „Jetzt beeil dich!“ Der Erpresser begann sich unsicher umzusehen. Erwartete er etwa, dass jeden Augenblick hier jemand eingreifen könnte?
 

„Nimm die Finger von ihr, Hannes! Was glaubst du, wer du bist?!“

Eine Frau trat wie gerufen, hinter ihnen aus den Fichten heraus und ihr finsterer Blick erschreckte den Angesprochenen und seinen Begleiter.

„Die alte Hexe!“, stieß er aus und die Pferde wurden unruhig, dass er schließlich von Violetta abließ, um ihre Reittiere einzufangen, bevor diese im wilden Galopp davon stürzten.

Der Erpresser machte einen Satz zurück. Dabei stieß er die Prinzessin von sich, so dass sie über Wurzeln und Geäst vorwärts stolperte und unsanft aufschlug, ohne dass sie sich hatte abfangen können.

„Macht, dass ihr fort kommt!“ Drohend hob die Alte ihren Stecken in die Luft und murmelte anschließend etwas, was Violetta nicht verstand.
 

Die Pferde scheuten ein weiteres Mal und weigerten sich, ihren Weg fortzusetzen, was die Reiter schließlich dazu brachte, kehrt zu machen. Zurück in die Stadt. Ein Stein fiel der Prinzessin vom Herzen, als sie die Beiden schnell davonreiten sah.

„Seid Ihr verletzt?“ Die Alte trat heran, um ihr aufzuhelfen, dabei sah sie endlich Violettas Gesicht.

„Prinzessin?“ Ihr Gesicht und ihr Mantel waren verschmutzt worden, als man sie gewaltsam umgeworfen hatte, aber ihre Retterin hatte sie dennoch sofort erkannt.

„Was macht Ihr hier alleine im Wald?“ Violetta schluckte. Die Alte hatte sie erkannt? Das Entsetzen war ihr, wie es schien, förmlich ins Gesicht geschrieben und sie war gänzlich außerstande, zu antworten.

„Kommt erst einmal mit.“ Ihr wurde aufgeholfen, doch ein Laut des Schmerzes entwich Violetta, als sie wieder zum stehen gekommen war.
 

Hinkend folgte sie ihrer Retterin, bis zu einer unscheinbaren Hütte, die sich nicht weit entfernt befand und welche wohl ihr Zuhause war.
 

„Seid Ihr verletzt?“ Violetta versuchte gerade zu stehen, doch ein weiteres Mal fuhr ein stechender Schmerz in ihrem Fuß.

„Ich denke, dass mit meinem Knöchel etwas nicht in Ordnung ist.“

Unruhig sah sie sich in ihre Hütte um, doch einen Spiegel konnte sie hier nirgends sehen.

„Dann sollte ich mir diesen am besten gleich einmal ansehen.“ Sie deutete auf ihr Nachtlager. „Setzt Euch.“

Violetta tat, wie ihr geheißen und beobachtete die Alte dabei, wie sie im Ofen ein paar Scheite nachlegte.
 

„Lauft Ihr vor etwas davon?“ Ihr liebenswürdig, unwissendes Lächeln, mit welchem sie näher kam, hatte auf seltsame Weise etwas Beruhigendes. Violetta senkte den Blick.

„Vor einer Hochzeit, gute Frau“, gab sie ihr Wahrheitsgemäß zur Antwort und befreite sich anschließend von ihrem Stiefel.

Die Alte ließ sich ihr gegenüber auf dem klapprigen Schemel nieder und besah sich den Knöchel.

Genau beobachtete sie die faltigen Finger der Alten, wie sie ihr damit behutsam den Fuß abtastete.

„Es scheint nichts gebrochen zu sein“, sagte sie schließlich. „Ihr seid lediglich unsanft umgeknickt. Nichts Schlimmes also.“

Dann sah sie ihr wieder direkt in die Augen und griff das zuvor besprochene Thema erneut auf.

„Gefällt Euch der Bräutigam nicht, Prinzessin?“

„Ich weiß nicht, wie mein zukünftiger Ehemann aussieht. Ich habe Prinz Leopold noch nicht gesehen.“

Als sein Name fiel, horchte die alte Frau auf.

„Prinz Leopold sagt Ihr?“ Etwas Merkwürdiges schwang bei diesen Worten in ihrer Stimme mit.

„Ja“, erwiderte Violetta. „Mein Vater will mich verheiraten, um endlich Frieden zwischen unseren Ländern zu erreichen.

„Soso“, murmelte die Alte daraufhin und trug auf ihren Fuß eine Salbe auf, welche sofort eine angenehme Wärme ausstrahlte. Anschließend verband sie den Fuß der Prinzessin.
 

Dann erhob sie sich und streckte die steifen Glieder.

„Wollt Ihr etwa keinen Frieden, Prinzessin?“ Ihre Augen fixierten sie genau.

„Doch, natürlich, aber ich...“

Sollte sie ihr die Wahrheit sagen? Schnellstens unterdrückte sie diesen Gedanken. Der erwartungsvolle Blick der Alten schien ihr förmlich in die Seele zu sehen.

„Ich kann nicht. Ich schätze, ich bin noch nicht so weit“, waren schließlich die Worte, welche Violettas Mund verließen.
 

Die Alte lächelte verständnisvoll.

„Es ist vollkommen normal, dass man sich vor einem so großen Schritt, wie einer Hochzeit fürchtet. Als meine Hochzeit bevor stand, war ich auch fürchterlich nervös. Ein neues Leben steht eben davor. Eine große Veränderung. Eure Aufregung ist also keineswegs etwas Schlechtes.“

Als sich die Vettel abwand, um ihre Salbe und die übrigen Verbände wieder zu verstauen, ließ Violetta die Schultern hängen.

Als ob dies der einzige Grund ihrer Angst war. Bei ihr war das um einiges verzwickter. Doch noch bevor sie diesen Gedanken erneut ausweiten konnte, saß ihr die alte Frau erneut gegenüber.

„Gebt mir Eure Hand“, forderte sie. Violettas Blick fiel unsicher auf ihre Hand, die sie ihr entgegenhielt. War sie dort auch verletzt? Die Prinzessin besah sie sich selbst, was ihre Retterin dazu brachte, sie sich einfach zu nehmen. Dann drehte sie diese auf den Handrücken und schaute diese ganz genau an. Ein bisschen verwirrt wurde ihr nun doch endlich klar, was die Alte vorhatte.

„Könnt ihr mir die Zukunft aus der Hand lesen?“

Die Alte lächelte. „Ich kann es gerne versuchen, wenn Ihr mir erlaubt.“

Violetta schenkte ihr ein Lächeln. „Aber ja.“ Vielleicht bekam sie auf diese Weise geholfen.
 

„Das hier“, sagte sie schließlich „ist die Lebenslinie.“ Mit dem Finger fuhr sie auf dieser entlang. „Ein langes Leben steht Euch bevor.“ Sie drehte die zierliche Hand ein Stück. „Und ich sehe eine große Kinderschaar.“ Dabei blicke sie auf. „Nun zumindest sehe ich mindestens vier.“

Violettas Herz schlug schneller. Ein langes Leben? Das hörte sich doch gut an. Viel besser als der Gedanke, an den Scheiterhaufen. Aber konnte das wirklich stimmen? Sie glaubte nicht an Wahrsagerei.

„Werde ich glücklich sein?“

„Oh ja, Prinzessin. Ihr werdet diesen Weg nicht bereuen und eine wichtige Aufgabe meistern.“

„Eine wichtige Aufgabe?“ verwirrt sah Violetta auf.

„Was es genau ist, kann ich nicht sagen, aber sie wird eine große Veränderung mit sich bringen.“ Die Alte sah ihr fest in die Augen. „Ihr seid etwas ganz Besonderes.“

Violetta wurde es plötzlich heiß und sie entzog ihre Finger dem Griff der Alten. Etwas Besonderes? Meinte sie etwa die Tatsache, dass sie kein Spiegelbild besaß? Stand ihr das bereits in die Hand geschrieben? Und ihr kam wieder in den Sinn, dass sie dieser Hannes Hexe genannt hatte. Konnte sie womöglich wirklich mehr sehen, als Andere? Ihr wurde plötzlich warm. Nahezu unangenehm. Die Alte begann sie zu mustern. Hatte Violetta etwa bereits einen roten Kopf?
 

„Prinzessin?“ Eine Männerstimme von draußen ließ Beide zusammenfahren. „Prinzessin Violetta?“

Ihr Blick fiel unruhig auf die Alte.

„Soll ich nachsehen?“, bot sich diese an, und erhob sich auf ihr Nicken hin schließlich.

Sie lief ans Fenster und spähte hinaus.

„Hannes hat zwei der Soldaten Eures Vaters hier her geführt“, sagte sie schließlich und wand sich vollends der Prinzessin zu.

„Wollt Ihr immer noch weglaufen?“

Violetta senkte den Blick. Nach dem, was ihr die Alte alles gesagt hatte, war sie sich nicht mehr sicher. Wenn sie nun recht hatte, mit dem, was sie ihr Prophezeit hatte? Vielleicht hatte sie sich auch alles viel schlimmer ausgemalt, wie es überhaupt werden könnte. Sie schlüpfte in ihren Stiefel und erhob sich. Erneut erklang die sie rufende Stimme.
 

„Ich denke, ich werde es darauf ankommen lassen.“ Knapp lächelte sie, dann wand sie sich auch bereits zur Tür.

„Habt Dank für alles, gute Frau.“, sagte sie und kramte in ihrer Manteltasche. Die Hausherrin folgte ihr, lief schließlich an ihr vorbei und öffnete die Tür.

„Sie ist hier, Sir“, rief sie gut hörbar und hatte somit augenblicklich die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich gezogen.

Doch noch bevor sich Violetta auf ihr Personal konzentrierte, griff sie die Hand der Alten und legte sämtliche Silbermünzen hinein, welche sie mitgenommen hatte.

Ihr Blick hing überrascht an den Talern in ihrer Hand, doch sie wagte es nicht, der Prinzessin zu widersprechen.

„Vielen Dank.“ Sie machte einen Knicks. Dann sah sie der Prinzessin fest in die Augen.

„Gebt gut acht auf Euch und vertraut der Kraft, die in Euch steckt. Ihr werdet Eure Aufgabe schon meistern.“

Dann wand sie sich jedoch den Wachen zu und fügte gut hörbar hinzu: „Und schont Euren Fuß.“
 


 


 


 


 

gewidmet:

den beiden Charmantsbolzen

Gemeinsame Geschichte X – Wiedersehen

Wichtig ist, dass wir einen Unterschlupf finden. Gérard hat Recht, wir haben uns auf eine sehr gefährliche Reise begeben. Und im Moment weiß ich selbst nicht, wo sie hinführen wird." Damit setzte sie sich in Bewegung. Mit mulmigem Gefühl im Bauch folgte Rufus ihr auf einen äußerst ungewissen Weg.
 


 

Jeder Schritt, den er Helena folgte, ließ Übelkeit stärker in ihm aufsteigen. Hundeelend fühlte er sich. Rufus krampfte sich mehr denn je an seinem Buch fest. Jetzt waren also nicht nur diese Banditen hinter ihm her. Nein, auch die Leute hier, aus der Bibliothek wollten ihn lieber aus dem Weg haben. Ein Seufzen entwich ihm unweigerlich, welches im düsteren Felsentunnel widerhallte.

„Wir finden einen Ausweg“, flüsterte Helena.

Die einst so selbstsichere Stimme der jungen Frau, war längst nicht mehr die, die sie einst gewesen war.

Sie hatte nicht angehalten, während sie Rufus und wohl auch sich selbst mit diesen Worten beruhigen wollte. Immer weiter folgten sie dem Weg zurück. Dem Weg, hinaus aus diesem Versteck zwischen den Felswänden. Hinaus und wohl erneut diesen Banditen in die Hände. Rufus wollte nicht dort hinaus. Aber er wollte auch um keinen Preis hier bleiben. Erneut entwich ihm ein Schluchzen.

„Ich will nicht sterben...“

Helena hielt nun doch an, was Rufus jedoch nicht sofort bemerkte, bis er mit gesenktem Kopf schließlich gegen sie lief.

„Das werde ich nicht zulassen!“ Erschrocken blickte er auf. Ihre Miene war mehr als ernst. „Wir sind in einer mehr als nachteiligen Situation, aber...“

Lonáns Krächzten brachte sie zum verstummen.

„Er hat recht. Wir müssen hier weg. Unser Verschwinden wird nicht von Dauer unbemerkt bleiben.“

Ohne noch länger zu zögern, griff sie Rufus am Arm und zog ihn weiter.
 

Ewig kam es ihm vor, bis sie erneut eine Felswand erreichten, an welcher die Bibliothekarin endlich anhielt. Die ganze Zeit über hatte sie Rufus am Arm festgehalten, jetzt jedoch ließ sie von ihm ab. Ganz bestimmt war dahinter wieder der Wald. Er schluckte hart, versuchte jedoch möglichst ruhig zu bleiben. Helenas Worte, welche erneut die Felswand öffneten, rauschten nur so durch seinen leergefegten Kopf. Was sollte jetzt nur werden? Wohin sollten sie gehen? Wem konnten sie noch Vertrauen?

Als der Hüter des Buches schließlich gedankenlos einfach hinaustreten wollte, packte ihn Helena erneut am Arm.

Es war finsterste Nacht. Nur wenige Sterne waren zwischen den Baumwipfeln auszumachen.

„Warte.“ Ihr Blick fiel auf Lonán. „Sieh dich um.“ Der Rabe startete sofort von Rufus Schulter, kam jedoch nur wenige Augenblicke später bereits zurück. Aufgeregt flatternd ließ er sich auf Helenas Schulter nieder und begann nur sehr leise zu krächzen.

Ihr missmutiges Schnauben daraufhin war kein gutes Zeichen und der Blick, den sie Rufus anschließend zuwarf, gefiel ihm nicht.

„Die Leute, die in euer Haus eingebrochen sind, sind nicht weit.“ Sie deutete in jene Richtung. „Dort trüben muss irgendwo ihr Lager sein.“

Rufus ließ zitternd die Arme sinken. Sollte es das gewesen sein? Sicherlich patroulierten sie hier. Waren sie ihnen etwa doch soweit gefolgt?
 

„Willst du etwa schon aufgeben?“ Ärger schwang nun in der Stimme der jungen Frau mit. „Willst du etwa, dass der Meister Recht behält?“ Sie gab ihm keine Gelegenheit zu antworten. „Ich jedenfalls nicht!“ Energisch griff sie ihn erneut am Arm und zog ihn schließlich in die genau entgegengesetzte Richtung, des Banditenlagers. Rufus wusste nicht, wie ihm geschah. Eigentlich wollte er sich beruhigen – ein paar Stunden Schlaf wären genau das Richtige – Doch für so etwas konnte der Zeitpunkt kaum unpassender sein.
 

Der Trampelpfad, dem sie folgten, führte sie noch tiefer in den Wald. Weg, von den felsigen Abgründen und Spalten und geradewegs in den Sumpf. Rufus versuchte sich daran zu erinnern, ob er jemals hier gewesen war, doch ihm kamen recht schnell die Worte seines Stiefvaters in den Sinn, die ihm klar gemacht hatten, dass er dort nichts verloren hatte. Das es dort viel zu gefährlich war. Wenn ihm zu Ohren gekommen wäre, dass er im Sumpf gewesen wäre, hätte dies ein weiteres Mal Schelte bedeutet und bis zum heutigen Abend hatte sich Rufus auch an diese Drohung gehalten.

Bis jetzt und genau das war der Grund, warum er sich in keiner Weise wohl fühlte, hier zu sein. Genau auf jeden Schritt achtend lief er erneut hinter Helena her. Ihre Schritte waren um einiges sicherer und ihre Aufmerksamkeit hing an allem, was sie hier umgab. Selbst Lonán flog in zügigen Runden über beider Köpfe hinweg. Der Gespannte Bogen, in Helenas Händen, ließen es Rufus wenigstens in geringem Maße wohler sein.
 

Der feuchter werdende Boden unter ihren Füßen ließen ihre Schritte zunehmend schmatziger klingen. Fest drückte Rufus das Buch an sich. Unter keinen Umständen durfte er stürzen und es ihm aus den Händen fallen.

„Wo gehen wir eigentlich hin?“ Seine Worte waren nur ein Flüstern. Helena hielt augenblicklich an und dieses Mal schaffte er es, rechtzeitig stehen zu bleiben.

„Irgendwo wird uns dieser Weg schon hinführen.“ Sie entspannte den Bogen etwas und sah sich unruhig um, was Lonán erneut dazu brachte, zu starten, trotz, dass er sich eben vor wenigen Augenblicken erst auf Rufus Schulter niedergelassen hatte. Doch Schritte hinter den Beiden ließen sie zusammenfahren.

Helena spannte sofort erneut den Bogen und der Rabe kehrte eilig zurück. Unruhig versuchte sie den Grund dieses Geräusches zu sichten, doch hier, zwischen den alten, starken Bäumen, war es trotz Mondenschein viel zu dunkel.

„Wer ist da?“, entwich es ihr unheilvoll und Rufus spürte die Gänsehaut deutlich über seinen Rücken laufen. Dass sich diese Frau derartig gruselig anhören konnte...
 

Dieser Jemand näherte sich weiter und endlich wurde auch eine Silhouette sichtbar. Jedoch war es die, eines buckeligen Alten. Er hatte die Hände gehoben. In einer von ihnen hielt er einen Stock, den er wohl zum gehen nutzte.

„Habt keine Angst.“ Seine Stimme klang heiser. Nur langsam kam er näher.

„Angst?“ Helena glaubte sich verhört zu haben. Vor diesem alten Mann? Er kam noch näher. Nun konnte auch Rufus sein faltiges, bärtiges Gesicht sehen. Nur ein alter Mann. Seine Kleidung war zerlumpt. Sicherlich nur ein Einsiedler, der hier irgendwo hauste. Dieser machte nicht den Eindruck auf ihn, dass er gefährlich sein könnte. Erleichtert atmete er aus.

Doch mit einem Male war es Überraschung, welche im Gesicht des Alten zu lesen war. „Helena?“

Er kannte sie? Der rechte Arm, der Bibliothekarin begann zu zittern.

„Du... erkennst mich nicht, nicht wahr?“ Mit wankenden Schritten, die er jetzt wieder mit seinem Stecken zurücklegte, trat er auf die junge Frau zu, ohne jedoch genau in die Richtung zu laufen, in welche sie gerade zielte.

„Hast du dein Brüderchen etwa vergessen?“

Helena ließ die Arme noch weiter sinken, doch der Pfeil entwich ihr und bohrte sich in den matschigen Boden.

„Tristan?“

Als Antwort erhielt sie das schiefe Grinsen, eines nahezu zahnlosen, alten Mannes, welches jedoch nicht lange anhielt.

„Sag mir, dass das nicht wahr ist...“

Er lehnte sich seinen Stecken gegen die Brust und streckte ganz langsam die rechte Hand nach seinem linken Ärmel aus, um diesen ein Stück nach oben zu ziehen. Darunter wurde eine Tätowierung sichtbar welche Helena scheinbar mehr als bekannt war. Ihr stockte der Atem.

„Wie konntest du nur...“

„Ich habe versucht, diesen Zauber rückgängig zu machen, doch jeder weitere Versuch machte es nur noch schlimmer.“

Erst jetzt wurde ihm scheinbar die Gegenward von Rufus bewusst. Er musterte ihn kurz, wie sich der Junge erstarrt und mit weit aufgerissenen Augen hinter dem Buch förmlich versteckte. Rufus wusste nicht so recht, was er von all dem, was er jetzt und hier gehört hatte, denken sollte.

„Ist das etwa der neue Hüter des Betrayal?“

Tristans Blick fiel wieder auf seine Schwester.

„Er ist noch so jung.“

„Er ist kaum jünger als wir Beide...“

Gemeinsame Geschichte XI – Kreuzende Wege

Rufus sah sie fassungslos an. Er hatte doch schon schwer an der Bürde von Betrayal zu tragen und überhaupt, wie sollte er seine Schuldigkeit bei Helena begleichen? Wollte sie etwa, dass er ihr dabei half ihre Heimat zu befreien? Das würde bedeuten, er müsse sich gegen den König stellen!
 

Das aufgebrachte Krächzen des Raben über ihren Köpfen ließ Beide zusammenfahren, doch dann hörten sie selbst bereits Pferdegetrappel und jemand näherte sich ihnen geschwind. Hektisch blickte sich Helena nach einem Fluchtweg um, da konnte sie das braune Ross jedoch bereits zwischen den Bäumen sehen und griff einzig aus reinem Reflex nach Rufus Arm, um diesen somit aus dem Weg zu reißen. Wie paralysiert taumelte dieser bei Seite und die ehemalige Schwester musste mit der zweiten Hand nachfassen, dass er nicht zu Boden stürzte oder gar das Buch in die Luft warf.

„Könnt Ihr nicht aufpassen!“, presste sie zwischen den Lippen hervor, während sie sich schließlich nach ihrem Bogen bückte, welchen sie in diesem Moment fallen gelassen hatte.

Ein ganzes Stück von ihnen entfernt gelang es dem Reiter sein Pferd zu stoppen und Helena überkam das mulmige Gefühl, dass er ihre Worte möglicherweise verstanden hatte, denn er wendete sein Tier und sah direkt in ihre Richtung. Einige Augenblicke verharrte er so und Rufus schluckte hart, als ihm endlich klar wurde, was gerade um ein Haar geschehen wäre.

Der Kopf des Unbekannten war vom einem Tuch umhüllt, so dass man lediglich die Augen hätte sehen können, wenn er nicht bereits so weit von ihnen entfernt gestanden hätte.

Eilig wand sich Helena ab und fasste erneut nach Rufus Arm.

„Lass uns gehen...“

Genau hingen ihre Ohren dabei jedoch an dem unbekannten Reiter, welcher sich glücklicher weiße nicht näherte. Doch er schien auch seinen Weg nicht fortzusetzen. Er stand noch immer dort und blickte den Beiden nach. Dabei brannten sich seine schwarzen Augen förmlich an ihnen fest.
 

Kannte er diese Beiden? Wenn ja, spielte das wohl keine Rolle mehr. Seit er vor geraumer Zeit mit angeschlagenem Schädel im Rinnstein wieder zu sich kam, war von seiner Erinnerung nicht mehr viel übrig. Woher er gekommen war? Wer er war? Was er in diesem Ort gewollt hatte? Nichts. An rein gar nichts konnte er sich erinnern. Einzig die Vermutung, dass man ihn niedergeschlagen und ausgeraubt hatte, kreiste immer wieder in seinem Kopf.

Aus jenen Gedanken gerissen hob er erneut den Blick.

Sollte er den Beiden vielleicht doch folgen? Ausgeschlossen! Ihr Leben ging ihm doch nichts an! Er war schließlich nicht ohne Grund aus dieser Richtung gerade heran geritten gekommen. Und diesen Weg sollte er jetzt auch schleunigst fortsetzen! Zudem war dieses Pferd nicht einmal sein Eigen. Oder sollte er sie vielleicht warnen? Unentschlossen sah er hinter sich und hängte den Blick schließlich wieder an die Beiden jungen Leute.

Mit einem Seufzen trieb er den Hengst nun doch wieder zurück in ihre Richtung. Er konnte nur hoffen, dass dieses Ding, oder was auch immer es gewesen ist, ihm nicht gefolgt war.

„Ihr solltet umkehren!“ seine raue Stimme klang selbst in seinen Ohren so fremd, dass er das Tuch bei Seite zog und den Hengst beschleunigte.

„Hört ihr nicht?!“

Rufus war kurz davor, sich nach dem Fremden umzuwenden, doch Helena griff eilig seine Hand.

„Wir verschwinden!“

Der Reiter kam näher. „In diesem Dorf wurde eine Macht entfesselt, welche Alles und Jeden verschlingt“, sagte er schließlich. Er wusste selbst nicht, was er da gesehen hatte. Sein Schädel brummte noch immer, aber er hatte Menschen schreien hören. Er sah wie sie flohen und er sah so einige sich vor seinen Augen in Staub auflösen.

Helena hob schließlich den Blick und ihre Augen weiteten sich, als sie das Gesicht erkannte und somit den Mann, den sie gerade erneut vor sich hatte. Sein Ohr hatte ihn verraten. Das Ohrläppchen, in dem ein Knochensplitter steckte. Unweigerlich begann sie zu zittern. Jedoch nicht vor Angst. Es war blanke Wut, doch dann hob der Reiter den Kopf und fuhr zusammen, als ihm bewusst wurde, wie sich der schwarze Nebel durch die Bäume immer weiter in ihre Richtung schob.

„Wir müssen verschwinden!“...

Stift, Honig, Wolke [Drabble]

Nachdenklich kaute sie auf ihrem Stift herum. Für gewöhnlich kamen ihr mit diesem die besten Drabbleideen. Aber heute? Sie wollte doch bei diesem Wettbewerb mitmachen und nun grübelte sie darüber, wie sie diese drei Worte unterbringen sollte. Immerhin waren sie vorgegeben und somit ein Teil dieser Aufgabe. Und Schachtelsätze? Die waren auch verboten. Wo sie diese doch so mochte. Sie schaute aus dem offenen Fenster. Von hier aus sah sie den Garten. Krell blendete ihr die Sonne in den Augen. Die wenigen Wolken änderten daran nicht viel. Da flatterte etwas herein und landete im Honig auf ihrem Brot. Ein Schmetterling.



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Kommentare zu dieser Fanfic (55)
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Von:  Undine
2013-06-04T19:39:23+00:00 04.06.2013 21:39
Herzlichen Glückwunsch noch einmal zum zweiten Platz, der verdient ist.
Grammatikalisch habe ich wenig auszusetzen und bis auf wenige Schreibfehler lässt sich deine Geschichte flüssig und sehr interessant lesen. Ich hätte eher nicht mit einer Geschichte in diesem Genre bzw. diesen Genres gerechnet und habe mich einfach sehr gefreut. Ich fand deine Geschichte sehr spannend und interessant.
Der einzige Kritikpunkt ist, dass das Ende etwas Unbefriedigendes hat und ich gerne mehr erfahren hätte. Alles in allem eine gelungene Geschichte.
Entschuldige, ich bin eine schlechte Kommi Schreiberin.
Vielen Dank nochmal für deine Teilnahme.
Von:  DemonhounD
2013-05-26T13:37:21+00:00 26.05.2013 15:37
Wow! Sehr energiegeladen und flüssig zu lesen. Das macht eigentlich Lust auf mehr, da so viele Fragen offen bleiben, dass man dies hier unmöglich als abgeschlossene Geschichte werten könnte.
Der Fremde ist wirklich sehr geheimnisvoll. Was ist in der Fremden Stadt geschehen? Was hat es mit dem Buch auf sich? Und wie ist nun die Story des Fremden?
Ich kann nur sagen: Gut geschrieben. Gefällt mir!

Eine einzige Auffälligkeit:
welcher sich glücklicher weiße nicht näherte.
(glücklicherweise)

Ich habe heute aber auch nicht akribisch nach Schreibfehlern gesucht, muss ich gestehen. :-P
Schöne Geschichte!

Frohe Schreibziehergrüße! ^^
Antwort von:  Trollfrau
26.05.2013 17:48
tja. ich befürchte leider, dass dieses Projekt so langsam den Bach runter geht, weil sich keiner mehr in diese wie ich finde gelungene Geschichte mehr reinlesen will, aber dennoch danke fürs lesen.
Antwort von:  DemonhounD
28.05.2013 17:02
Bitte bitte! ^^ Vielleicht wäre die Präsentation besser, wenn sie nicht in der Kurzgeschichtensammlung, sondern einzeln wäre... (???) Na. Dass hier leider zu wenig Leute kommentieren kenn ich nur zu gut. Ich muss auch immer erst dreimal überlegen, bevor ich hier etwas online stelle - und was...
Aufhören zu schreiben würde ich deswegen nicht, aber aufhören hochzustellen is schon eine Maßnahme, die ganz automatisch dabei rumkommt, wenn man eh keine Reaktionen bekommt. :-P :-P :-P
Antwort von:  Trollfrau
30.05.2013 12:39
na jedenfalls hat diese geschichte hier nicht für den Sieg gereicht.
Antwort von:  DemonhounD
30.05.2013 17:46
Ah, das ist schade. Aber nicht unbedingt ein Zeichen für Güte. ^^ Lass dich davon nicht unterkriegen! ;-)
Von:  w-shine
2012-12-19T10:57:19+00:00 19.12.2012 11:57
Ein Finger, im Essen? Brrrr!!!!
Auch damit hätte ich jetzt nicht gerechnet und der Schock des letzten Satzes ist definitiv auf deiner Seite.
Die Beschreibung vorher, wie sie im Restaurant sitzt, keine Lust hat und nicht mit ihm dort sein will, ist gut gemacht. Hatte ich auch schon mal so, dass ich dann ganz motiviert mein Essen gegessen habe, weil ich so viel Lust hatte dazu sein.
Ach, ich mag Drabbles.
Von:  w-shine
2012-12-19T10:54:42+00:00 19.12.2012 11:54
Ich wollte ein lustiges Drabble lesen und dann das!
Ich bin aber wirklich beeindruckt, wie du es geschafft hast mit diesen wenigen Worten so eine beklemmende Atmosphäre zu schaffen. Die Frage, wie viel ein Mensch ertragen kann und dann die Aufzählung, was der Person alles passiert ist, sind gut formuliert.
Und dann packst du nach all den anderen schlimme en Dingen auch noch die JVA oben drauf.
Manchmal bin ich beeindruckt, was in 100 Wörter passen kann.
Von:  w-shine
2012-12-19T10:49:16+00:00 19.12.2012 11:49
Muhaha! Die gnadenlose Selbstübersätzung gewisser Männer - hihi.
Ich hab mir bei diesem Drabble überhaupt nicht vorstellen können, in welche Richtung das geht und dann kam Schlammcatchen - Frauensachen.
Find ich gut :D
Von:  Teleia
2012-10-27T19:03:39+00:00 27.10.2012 21:03
Vielen Dank für deine zweite Einsendung.
Ich kommentiere jetzt mal diese Version :)
Deine erste Geschichte werde ich auch bald kommentieren.

Die Idee ist sehr schön. Sie gefällt mir.
Geschichten, die in solchen Zeiten spielen finde ich sehr schön. da kann man sich toll in diese Zeit versetzen.
Ich könnte mir die Szenen gut vorstellen.

"Auch wenn sie sich noch so viel Mühe gab und jeden noch so kleinen Fitzel in der glatten Fläche absuchte, fehlte dort etwas Entscheidendes."
Du hast die Traurigkeit der Person sehr gut umgesetzt und rübergebracht.
Und ihre Verzweiflung. Diese Stelle finde ich sehr gut beschrieben.

" Hatte sich doch ihr Vater in den Kopf gesetzt, sie trotz dieser unerklärlichen Begebenheit zu verheiraten."
Da habe ich mir gedacht: Was denkt sich der Vater? Das wirs doch nicht gut gehen.
Was ist wenn ihr Geheimnis heraus kommt. Gespannt habe ich weitergelesen.

Deine Formulierungen sind sehr schön.
Auch die Auswahl der Namen. Passend dafür. Mir gefällt der Name Violetta.

" „Gefällt Euch der Bräutigam nicht, Prinzessin?“
Mir gefällt, wie die alte Dame redet. So zutraulich und lieb.

Verstanden habe ich nicht was für Männer das waren ,die die Prinzessin überfallen haben. Ich denke mir, dass es Räuber waren. Hoffentlich liege ich nicht falsch.

Finde die Geschichte gut geschrieben. Leider finde ich es schade, dass das Ende so kurz kommt.
An einigen Stellen hast du zu viel von ihren Gedanken geschrieben. Meiner Meinung nach hätte man auch manche Sachen weglassen können. Diese Stellen könnte man zusammenfAssen.
Aber ich kenne das. Passiert mir auch manchmal, wenn ich schreibe.
Manchmal verliert man den Überblick.

Schön umgesetzt.
Und danke nochmal für deine Mühe. Ich schätze das sehr.
Deine Teilnahme hat mir Freude bereitet.

Liebe Grüße

Teleia



Von: abgemeldet
2012-10-22T16:06:59+00:00 22.10.2012 18:06
Du hast nicht zu viel versprochen, es ist wirklich eine verrückte Geschichte! :) Ich liebe den "Gestiefelten Kater" und es ist wirklich amüsant, das Märchen mal in solch einer verrückten Variante zu lesen. Gut gemacht :)
Von:  Sotar
2012-10-21T13:07:31+00:00 21.10.2012 15:07
Nicht schlecht, deine Weiterführung der Geschichte. Besonders gut gefällt mir, dass du am Ende Helena mal etwas mehr in den Vordergrund rückst. Dadurch erfährt man endlich mal wieder etwas mehr über einen der wichtigsten Nebencharaktere. Ansonsten ist mir jetzt nichts besonders positiv oder negativ aufgefallen. Du vergisst ab und zu mal Buchstaben am Ende eines Wortes oder gleich ganze Wörter. Beispiel: „Willst du, dass Meister etwa Recht behält?“ Wenn Meister ein Name sein soll OK, ansonsten müsste da noch ein "mein", "der" oder "die" hin. Zudem klingen einige Sätze bzw Abschnitte etwas merkwürdig. Beispiel: trotz dass er sich eben vor wenigen Augenblicken erst auf Rufus Schulter niedergelassen hatte. das "trotz dass" klingt etwas merkwürdig, eher "trotz dem" oder "obwohl". Solche Flüchtigkeitsfehler oder unglücklichen Formulierungen hast du immer mal wieder im Text weshalb ich jetzt auch nicht alle aufzählen will. Da sie sich noch in Grenzen halten stören sie den Lesefluss nicht übermäßig aber es würde dennoch nicht schaden, wenn du noch einmal drüber liesst und etwas ausbessert.
Alles in allem aber eine gelungene Weiterführung.
mfg Sotar
Von:  w-shine
2012-10-16T21:00:44+00:00 16.10.2012 23:00
Hihi - ich dachte mir irgendwie, dass es ein Hund ist, der sie da abschleckt :)
Die Aussage, dass sie keine Chance hatte, weil er über ihr war, lässt es fast etwas bedrohlich klingen, obwohl es das ja nicht ist.
Ein wirklich niedliches Drabble
Von:  DemonhounD
2012-10-16T19:00:19+00:00 16.10.2012 21:00
Mhm... wenn ich den Sinn von Drabbles richtig verstanden habe, dann sollten dieja quasi als ganz kurze Kurzgeschichte für sich alleine stehen können. Vielleicht ist das auch falsch.
Naja... egal... für sich alleine stehen kann dieser Text in meinen Augen nicht
AAAAABER
ich find diesen Auszug mal dermaßen mega derbst genial, dass mir die Worte dafür fast fehlen.
In einer längeren Geschichte, vielleicht als Prolog dazu würde sich das ganz wunderbar machen. Ich muss direkt an Dämonen und Werwölfe denken, aber vielleicht ist es ja auch was ganz anderes. Kurzgesagt: Ich finds geil!


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