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Eine Nacht des Unlebens

Die Reisende
von

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*-...-*1*-...-*

Die Sonne versinkt am westlichen Horizont. Dunkelheit legt sich über das Land, doch umso heller erstrahlt der Abendstern. Es ist die Zeit, um die sich Menschen für gewöhnlich schlafen legen. Doch um diese Zeit fängt mein Tag erst an...
 

Gelangweilt schaute ich über die Stadt. Es war wieder derselbe Ort. Ein altes Fabrikgebäude. In diesem Teil des Hauses mussten sich die Büroräume befunden haben. Ein großes Fenster in diesem Zimmer, welches aus vielen einzelnen, kleinen Glasscheiben bestand – und zu einem großen Teil tatsächlich noch vollzählig war – ließ hier sicherlich am Tage genug Sonnenlicht herein. Es gab auch noch einige Schränke hier. Einen Schreibtisch, Papier lag auf dem Boden, Rattendreck, es sah aus wie Sau. In den unteren Räumen, wo sich einst die Produktionshallen befanden, hielten sich hin und wieder Jugendliche illegal auf. Sie benutzten dieses Gebäude wohl als Gang-Treff. Aber das hier war ganz sicher nicht mein Unterschlupf. Ich kam nur her um die Aussicht zu genießen.
 

Wenn es Tag war, verkroch ich mich in einem nicht weit entfernen, verlassenen Wohnhaus. Die zweite Etage hatte zwar schon an einigen Stellen morsche Dielen, aber in den unteren Räumen war es noch recht gemütlich. Die Möbel wurden nie ausgeräumt, auch wenn sie jetzt nicht mehr die besten waren. Zudem funktionierte hier auch noch das Wasser hin und wieder. Es war wohl auch nie abgedreht worden. Ansonsten war die Straße, wo sich dieses Haus befand, nahezu menschenleer. Außer einem alten Ehepaar und noch einer alten Dame, zwei Häuser weiter, lebte hier keiner mehr. Ein totes Viertel. Wie geschaffen, für ein Wesen wie mich. Hier konnte ich ungestört leben. Obwohl Leben nun wirklich das falsche Wort dafür war. Ich vegetierte vor mich hin. Warum ich das tat? Da gab es nur einen vernünftigen Grund. Obwohl auch vernünftig in diesen Zusammenhang nicht das richtige Wort war. Wohl eher hing ich einer Sage nach. Nur aus einem einzigen Grund war ich schließlich nach einer unmöglichen Pilgerfahrt nach Rumänien gekommen. Ich wollte ihm endlich einmal gegenüber stehen. Dem Grafen höchst persönlich. Aber wahrscheinlich war das Bild seiner Existenz von zu vielen falschen Eindrücken getrübt worden. Vielleicht gab es ihn auch gar nicht. Hatte es ihn nie gegeben...
 

Ich hob den Blick und ließ ihn abermals schweifen. Ich kam immer wieder hier her. Auch wenn ich das Licht scheuen musste, waren es doch die letzten roten Farbtöne, welche ich stets noch zu erhaschen versuchte. Dabei stand ich immer an der Schattenseite des verwüsteten Büros und lugte nur ganz vorsichtig um die Ecke. Zum großen Teil wurde in diese Richtung um diese Tageszeit das letzte Licht noch von einem recht breiten Schornstein verdeckt. Auf diese Weise ging ich keine Gefahr ein.

Ich kann mir selbst nicht erklären, warum ich immer noch diesem Farbspiel nachhing, doch das allerletzte rot, bevor die Sonne ganz verschwand, gab mir das Gefühl, hier her zugehören. Ich hatte die Hände tief in den Taschen meines nachtschwarzen Mantels. Für wenig Geld hatte ich ihn mir vor langer Zeit in Ungarn zugelegt. Woher ich das Geld hatte? Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich nicht. Es war mir wohl irgendwie zufällig in die Finger geraten...
 

Ich seufzte. Und mit einem mal fühlte ich mich einsam, aber wie konnte das sein? Ich hatte zwar hin und wieder das Verlangen nach der Nähe eines warmen Menschen aber diese Einsamkeit? Die war mir völlig unbekannt. Zudem brachte meine Nähe den Menschen ohnehin stets den Tot.
 

Ja, ich bin ein Vampir. Ich kann mich nicht erinnern, wie lange schon, aber ich denke dass es mehr als vierzig Jahrzehnte sind. Und mein Name? Als ich noch lebte, war dieser Francesca Maurizio. Dennoch benutze ich diesen Namen auch jetzt noch. Irgend einen musste ich den Menschen schließlich geben, welche vergebens versuchten, mit mir in Kontakt zu treten.

Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Warum ich das tat? Auch das kann ich nicht so recht erklären. Ganz bestimmt nicht, weil ich diesen Sauerstoff benötigte. Aber es beruhigte mich irgendwie.
 

Ein brennen in der Brust machte mir klar, dass es Zeit wurde, für mich zu gehen. Ganz dringend brachte ich jetzt etwas, um meine innere Gier zu stillen. Auch wenn mich dieses Tun so einige Male selbst bereits anwiderte, blieb mir nichts anderes übrig.

Mit einem knarren öffnete sich die Bürotür und ich trat auf einen schmalen Absatz, an welchem die schmale und recht lange Treppe anschloss. Das Murmeln der Jugendlichen, welche sich auch jetzt wieder hier versammelt hatten, verstummte sofort.
 

„Na Süße?“, klang nach einer kurzen Pause eine der mit Stimmenbruch versetzten Stimmen zu mir herüber. Ich kannte diese Stimme. Er war immer mit hier, dennoch hatte es keiner von ihnen je gewagt, mir zu nahe zu kommen.

„Wieder die Aussicht genossen?“

Hatte er heute tatsächlich mehr zu sagen? Ich blieb stehen und musterte den jungen Mann. Augenblicklich stand er Kerzengerade. Und was kam jetzt? Das ich mich auf ihn stürzte und tötete? Vor aller Augen? Soweit ich sehen konnte, waren es mindestens sieben. Das war nun wirklich zu viel. Ich schenkte ihm ein knappes Lächeln. Etwas zu erwidern war nicht in meinem Sinne. Ohne die Gruppe erneut zu beachten, schritt ich geradewegs an ihnen vorbei auf das breite Tor zu. Sie würden mir nicht folgen, da war ich mir sicher. Irgend etwas, im permanenten Schweigen der anderen, verriet mir, dass sie sich fürchteten. Vom Optischen her unterschied ich mich nicht sonderlich von dieser wilden, viel zu hemmungslosen, Generation. Auch ich musste wohl das optische Alter einer höchstens zwanzigjährigen haben. Genau konnte ich das jedoch nicht sagen. Auch ich war nicht im Besitz eines Spiegelbildes.
 

Ohne eine große Kraftanstrengung hatte ich das Tor geöffnet, hinter mir wieder geschossen und doch vernahm ich Stimmen, aus der Halle sehr deutlich.

„Musstest du sie unberingt ansprechen?“

Eine Frauenstimme war es. Sie klang merklich empört.

„Du weißt doch, dass mir diese Mädchen unheimlich ist. Warum musst du sie jedes Mal anquatschen?!“

Als Antwort bekam sie nur ein unwilliges Murren und in meinem faltenlosen und doch betagten Gesicht machte sich ein Grinsen breit.
 

Gleich links neben dem Fabrikgebäude führte eine schmale Straße zu einem wesentlich belebteren Teil dieser Stadt. In dieser nächtlichen Gasse gab es nicht eine einzige Straßenlaterne. Doch eine solche war für mich auch gar nicht von Nöten. Mein Blick bei völliger Finsternis war bemerkenswert. Eine der wenigen Dinge, die ich noch an mir mochte. Das einzige, was es hier gab, war Abfall. Die Leute hatten diesen schmalen Weg wohl zu einer Art Müllkippe auserkoren. Mich störte dieser Geruch sehr, dennoch war es der kürzeste Weg, um auf die andere Straße zu gelangen. Aufgeplatzte Müllsäcke mit Bioabfällen säumten meinen Weg und stanken zum Himmel. Auch wenn ich nicht atmen musste, nahm ich diesen Gestank sehr wohl war. Ich beschleunigte meine Schritte, bevor ich es nicht mehr aushalten konnte.

*-...-*2*-...-*

Auf dem Bürgersteig angekommen, hielt ich inne. Ich vernahm abermals Stimmen. Es waren nur wenige, also näherte ich mich. Meine Unruhe stieg. Das tat sie jedes Mal, wenn ich auf die Jagt ging. Ich folgte dem Fußweg, doch mit einem Male blieb ich stehen. Es war eine Bar. Tatsächlich saßen noch einige Leute hier. Ein junges Pärchen, ein Workaholic. Eine Bedienung wischte bereits unbesetzte Tische ab. Wie spät mochte es wohl sein?

Abermals entfuhr mir ein Seufzen. Wie vermisste ich das zusammensitzen von mir und meinen damaligen Freundinnen. Das muntere Schwatzen über alles und jeden. Einfach nur die Gesellschaft. Das warme Beieinander. Doch wenn ich ehrlich war, verabscheute ich die Gesellschaft jetzt. Sie machte mich nur noch rasend. Sie weckte in mir die altbekannte Gier. Mit einer schnellen Drehung machte ich kehrt um zu verschwinden, doch da rauschte ich bereits mit jemandem zusammen, wobei ich fast das Gleichgewicht verlor - nur fast allerdings. Schon zu lange war es niemandem mehr gelungen, mich aus dem Gleichgewicht zu bringen. Zu gut war für normal meine Reaktionsfähigkeit. Um so überraschter war ich, als ich sah, um wen es sich handelte.
 

Dieser Jemand war männlich, vielleicht Mitte dreißig und hatte augenblicklich sein Handy fallen lassen. Wahrscheinlich war er ebenfalls derartig in Gedanken gewesen, dass er mich nicht wahrgenommen hatte. Genau wie ich, die ihn nicht einmal herantreten hörte.

„Oh entschuldigen Sie bitte, Miss“, brachte er schnellstens hervor und in seiner Stimme klang sehr wohl hörbar der Schrecken mit.

„Ich wollte Sie nicht umrennen.“

Er bückte sich nach seinem Handy. Es war ein knappes Stück über den Bordstein gerutscht und lag jetzt auf der Straße.

„Ich muss mich entschuldigen“, presste ich unruhig hervor. „Immerhin bin ich ohne Vorwarnung einfach stehen geblieben.“

Sein männlicher Duft stieg mir sofort in die Nase. Schleunigstes trat ich einige Schritte zurück. Wie machte mich ein derartiger Geruch nervös.

Meine Hände verkrampften sich in den Manteltaschen als er mir ein charmantes Lächeln schenkte, nachdem er sein Telefon aufgehoben und es kurz auf seine Funktionstüchtigkeit überprüft hatte.

„Alles noch heil“, sagte er erleichtert und blickte mir fest in die Augen. „Bei Ihnen auch?“

„Sicher.“ Meine Hände verkrampften sich noch mehr. Mittlerweile bohrte ich bereits meine Fingernägel in die Handballen. Doch viel merkte ich davon nicht. Wie wenig Schmerz dieser Körper wahrnahm war mir auch jetzt noch nicht begreiflich. Immerhin war er der, einer sehr schlanken, nicht all zu großen, jungen Frau.
 

Sein Blick traf mich auch jetzt noch und er ging tiefer, je länger er mich anschaute. Mit einem mal fühlte ich mich diesen Augen ausgeliefert. Konnte er etwa hinter meine Fassade sehen? Das wäre alles andere als dienlich. Jedoch durchaus denkbar. War es doch nicht das erste Mal. Seine Augen hingen an meinen Lippen. Ich spürte genau, dass sein zuvor noch empfundener Schreck, durch den unfreiwilligen Zusammenstoß, so langsam in Nervosität wechselte. Das unruhige zucken seiner Augen machte mir das nur zu deutlich.

„Hätten Sie vielleicht Lust, mit mir einen Kaffee zu trinken? Als kleine Entschädigung für meine Unachtsamkeit.“

Ich spürte augenblicklich einen Schlag. Und plötzlich war es die Gier, die in mir zu lodern begann. Unruhig senkte ich sofort den Blick. Auf keinen Fall wollte ich, dass er diese in meinen Augen sehen konnte.

„Vielleicht sollte ich besser gehen“, flüsterte ich und wagte es dabei nicht, ihn anzusehen.

„Ach kommen Sie. Nur einen Kaffee. Nicht mehr. Ich hatte ohnehin selbst vor, einen zu trinken. Warum also nicht auch in Gesellschaft.“
 

Gesellschaft...

Dieses Wort hallte sofort in mir wider. War es nicht das, was ich mir schon so lange gewünscht hatte und jetzt jedoch verabscheute? Als ich aufblickte, bemerkte ich die Enttäuschung, die auf seiner Miene lag. Er hatte keine Ahnung davon, was er mir mit diesem Angebot antat, aber dieses charmante Lächeln. Es machte mich plötzlich nervös, doch der Hunger in mir blieb.

Dieser Mann...

Er war hübsch. Er sah verdammt gut aus. Zu gut für meine Zwecke. Braune Augen, ein charmantes Lächeln, dass kaum eines gleichen kannte. Er hatte einen Dreitagebart und sah mit seinem schwarzen Anzug und der Aktentasche sehr Geschäftlich aus. Er wirkte auf mich wichtig.

Warum zum Teufel konnte er nicht wieder einer von den bedauernswerten, armen Tröpfen sein? Zu Leichtsinnig. Zu dumm um zu begreifen, was schließlich mit ihnen geschehen würde. Einer von denen, die niemand vermissen würde.

Wenn ich ihn töten würde, würde ich mich ganz bestimmt wieder so sehr selbst hassen, dass ich gezwungen war, abermals weiter zu ziehen. Aber ich war das herumirren so leid. Ich wollte es eigentlich nicht mehr...

Mein Gegenüber räusperte sich. Er hatte wohl meine Abwesenheit mitbekommen und als ich ihn wieder direkt ansah, hatte er wieder dieses Lächeln auf den Lippen.

„Na schön.“ Ich lächelte zurück. Vielleicht tat mir seine Gegenwart ja doch ein wenig gut und hier unter den anderen Leuten, welche noch in dieser Bar waren, war er auch nicht in Gefahr. Ich musste mich also nur zusammenreißen...
 

Ich ließ mich von dem Unbekannten an einen der kleinen, runden Tische führen, welche einen Fensterplatz hatten. Wohl fühlte ich mich nicht im Geringsten, dennoch war nicht ich es, die sich ängstigen sollte. Die Frau hinter dem Tresen warf mir einen seltsamen Blick zu. Eine gewisse Furcht konnte ich darin wahrnehmen. Sie kannte mich, dass war mir klar. Schließlich war ich nicht zu aller ersten Mal hier. Ich war bereits einige Male hier gewesen. Stets in anderer Gesellschaft. Der letzte Mensch, der mich hier her führte, war wesentlich weniger ansehnlich und auch um einiges ungehobelter. Doch sein Ende war schnell und für mich schmerzlos. Die Welt würde ihn niemals vermissen.

Mein neuer Begleiter stellte seine Aktentasche auf einen der Stühle ab und half mir schließlich aus dem Mantel. Dieses Verhalten überraschte mich sehr. War ich doch bis jetzt der festen Überzeugung gewesen, dass es ein solches bereits gar nicht mehr gäbe.

Ich hatte mich geirrt.
 

Ich ließ mich aus dem Mantel gleiten und beobachtete ihn mit anhaltender Überraschung, wie er ihn ebenfalls zu einem der nächsten Kleiderhaken brachte. Interessiert hing mein Blick an seinen Bewegungen. Ich musste ihn studieren. Wenn ich jetzt schon Kontakt zu ihm aufnahm, musste ich wenigstens ansatzweiße wissen, wie er tickte. Als er wieder auf dem Weg zurück zu mir war, wanderten seine Augen an meinem Körper auf und ab. Was er wohl dachte, bei meinem Anblick? Ich hatte mir darüber nie wirklich Gedanken gemacht, aber in seinem Fall kam dieser Gedanke wohl durch. Auch den Stuhl zog er noch für mich zurück und lies mich sitzen, wobei mein Blick ungläubig an ihm hing. Er sah noch so jung aus, aber dieses Verhalten? War er vielleicht auch älter, wie es mir sein Aussehen vorgaukelte? Hatte ich ihn vielleicht wirklich gefunden? Unmöglich! Das mir plötzlich so viel Glück zu Teil wurde, war einfach nicht denkbar. Außerdem hätte ich dies längst an ihm riechen müssen.
 

Die Frau, welche hinter dem Tresen stand, näherte sich vorsichtig. Sie hatte wohl tatsächlich Angst, dass mein jetziger Begleiter sie ebenfalls mit harten Worten begrüßen würde, so wie es der letzte wohl zu gerne tat, doch ihre Angst war unbegründet.

„Einen schönen guten Abend“, sagte sie äußerst zurückhaltend und zog ihren Block hervor.

„Was darf ich Ihnen bringen?“ Dabei sah sie mich und meinen Begleiter abwechselnd unschlüssig an.

„Guten Abend“, brachte er freundlich hervor und hob die Hand in einladender Geste in meine Richtung.

„Was würden Sie gern trinken, Miss...?“

Er brach ab. Natürlich kannte er meinen Namen noch nicht.

„Maurizio. Francesca Maurizio.” Ich lächelte zurückhaltend.

„Einen Espresso bitte.“ Ich sah die beiden kurz abwechselnd an, wobei die Bedienung ihren Blick bereits meiner charmanten Begegnung zugewandt hatte.

„Dann nehme ich einen Latte Macchiato. Vielleicht noch etwas süßes für die Dame?“

Wieder sah er zu mir.

„Oh nein, Sir. Nur einen Espresso.“

Ich wollte nicht undankbar sein. Ganz sicher nicht. Aber ich dachte dabei eher an mein Wohlergehen, als an eine mögliche Unhöflichkeit. So wollte nur so wenig wie möglich von dieser Flüssigkeit. Ich war zwar in der Lage, eine solche zu mir zu nehmen, doch danach ging es mir immer hundeelend. Es dauerte eine ganze Weile, bis eine solche Flüssigkeit meinen Körper endlich wieder verlassen hatte. Manchmal sogar Wochen – wenn ich nicht nachhalf. Mein Körper konnte damit eben nichts mehr anfangen. Verständlicherweise hasste ich diese mir selbst zugefügte Unpässlichkeit, aber was tat man nicht, um den Schein zu waren.

„Na schön.“ Er gab auf. „Das wäre dann alles.“
 

Als sich das Fräulein wieder entfernte, erhob er sich abermals und reichte mir die Hand quer über dem Tisch entgegen..

„Mein Name ist Corvin Pawlowski.“

Unschlüssig blickte ich erst die Hand, dann ihn an. Was war das nur für ein Mann? War er so besessen darauf, mit mir in Kontakt zu treten? Meine verstockte Reaktion irritierte ihn jedoch.

„Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht gleich erneut überrennen.“ Dabei lächelte er wieder.

Bedauerlicherweise gefiel mir dieses Lächeln zunehmend mehr. Corvin also... Als er die Hand gerade zurückziehen wollte, erhob ich mich schnellstens und kam seiner Bitte nach.

„Sehr erfreut“, murmelte ich und setzte mich wieder. Eigentlich war ich alles andere als das, aber ich wollte ihm eine Chance geben. Wenigstens die, meiner Gegenwart. Und sei es auch nur kurz.
 

„Ich komme gerade von einem Kunden aus Wien mit dem Nachtflieger“, plapperte er plötzlich drauflos. „Mein Gepäck ist natürlich wieder einmal abhanden gekommen.“ Er seufzte schwer. „Bis jetzt habe ich zwar alles wieder irgendwann erhalten, aber das war schon das dritte Mal in einem halben Jahr. Aber ich will Sie nicht langweilen.“ Er warf mir wieder dieses charmante Lächeln zu.

„Und Sie? Was machen Sie hier noch auf der Straße? Wartet denn niemand zu Hause auf Sie?“

Verlegen senkte ich den Blick. Dieser Kerl wollte es aber gleich richtig genau wissen. So ein derart stürmisches Verhalten, war mir schon immer zuwider.

„Eigentlich wollte ich gerade nach Hause gehen“, log ich, ohne rot zu werden – wieder einer der wenigen Vorteile. Ich konnte nicht rot werden. Auch nicht, wenn ich es wollte. Das war die erste Lüge ihm gegenüber, aber ganz sicher nicht die letzte.

„Nein, Zuhause wartet niemand auf mich.“

Ich hob den Blick, um nachzusehen, wo die Bedienung blieb. Diese Fragerei... und dann wieder dieses Lächeln. Beides machte mich gleichermaßen nervös.
 

Endlich kam sie erneut und brachte unsere Getränke. Ich war so unsagbar erleichtert, dass er sich sofort seinem Kaffee widmete. Ohne zu zögern, riss er die beiden Zuckertütchen auf und schüttete sie hinein. Doch während ich meine Tasse zurecht drehte und den Keks hinter ihr verschwinden ließ, dass ich ihn nicht sehen musste, hatte er seine Tasse bereits angehoben.
 

„Auf unsere Bekanntschaft, Miss Maurizio“, sagte er und sein Blick hing an meinen Augen. Lieber nicht, wollte ich erwidern, doch ich unterdrückte diesen Gedanken schnell wieder und hob stattdessen die Tasse.

„Wenn wir schon anstoßen, sollte Sie mich aber Francesca nennen.“ Lächelnd stieß ich mit der kleinen Tasse an seiner um einiges größeren an.

„Na schön, aber dann nennen sie mich Corvin.“

Was für eine Unterhaltung... Mir drehte sich der Magen um, wenn ich bereits etwas darin gehabt hätte... Ich lächelte abermals und schüttete den heißen Schluck schnell in mich hinein. Jetzt konnte der unangenehme Schmerz endlich losgehen...

Corvin trank nur einen großen Schluck und stellte die Tasse wieder ab. Wie es schien hatte er nicht vor, so schnell wieder von hier zu verschwinden. Wahrscheinlich wartete auch auf ihn niemand zu Hause. Interessiert hing sein Blick überraschenderweise plötzlich an meinen beiden Zuckertütchen. Ich nahm nie Zucker. Das machte diese Prozedur nur noch unerträglicher.

„Würden sie mir vielleicht Ihren Zucker überlassen?“, fragte er und sah dabei so bittend aus. „Irgendwie bin ich von diesem Zeug abhängig...“

Interessant, dachte ich mir. Das würde heißen, dass sein Blut besonders süß schmecken würde... Ich verwarf diesen Gedanken jedoch erst einmal und reichte ihm stattdessen die beiden Tütchen.

„Sicher. Ich mag keinen Zucker und den Keks können Sie gerne auch noch haben.“

Auch diesen reichte ich ihm entgegen. Mit überrascht gehobenen Brauen blickte er mich an.

„Mögen sie keine Kekse?“

„Nicht diese Art.“ Das war also die zweite Lüge. Die Wahrheit war jedoch, dass schon der Geruch eines Schokokekses Übelkeit in mir weckte.

Ich reichte ihm alles hinüber und erst dabei fiel mir auf, was er doch für große Hände hatte. Sehr männlich, dachte ich mir. Zu meinen Lebzeiten fand ich Männer mit großen Händen steht’s anziehend.

„Vielen Dank.“ Während er danach fasste, berührte er erneut meine Hand.

„Sie haben wirklich kalte Finger, Francesca“, bemerkte er.

Abermals senkte ich verlegen den Blick und als ich ihm wohl abgelenkt genug schien, fasste er ganz meine Hand.

„Ich leide an niedrigem Blut“, begann ich meinen Lügenmarathon fortzuführen So langsam begann es mir Spaß zu machen, ihn hinters Licht zu führen. Wie lange hatte ich das bereits nicht in diesem Maße gemacht? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Meine letzten Begegnungen wollten einfach nur schnell ein Nümmerchen schieben. Für ausgedehnte Gespräche hatten sie gar kein Interesse gehabt, was mir bis dahin auch ganz recht gewesen war.

Ich sah aus dem Fenster der Bar und musste erschrocken feststellen, dass auch hier mein Spiegelbild fehlte, obwohl es ganz klar dahin gehören sollte. Schnellstens wand ich mich davon ab, um auch ja nicht erst das allgemeine Interesse darauf zu lenken. Ich befreite meine Hand aus seinem Griff und rückte noch ein Stück vom Fenster weg, was jetzt jedoch wohl eher den Eindruck machte, ich würde zu Corvin näher heranrücken.
 

„Sind Sie eigentlich verheiratet?“

Mit diesen Worten wollte ich ihn schnellstens von diesem Gedanken abbringen, dass ich eine Annäherung versucht hatte.

„Nun ja, nein... Ich war verheiratet“, waren jedoch seine Worte darauf. Nach seiner Antwort wirkte er doch tatsächlich traurig. Dann fasste er nach seiner Geldbörse und kramte darin herum. Was er mir dann entgegenreichte, war ein kleines Foto.

„Das hier ist meine Tochter. Sie ist jetzt vier. Ich sehe sie höchstens einmal alle zwei Monate. Ich hatte zwar bereits Berufung dagegen eingelegt, aber ich bin einfach zu selten zu Hause. Mehr ist leider nicht drin.“

Unruhig schaute ich mir das Bildchen an. Die Kleine sah wirklich süß aus. Ich blickte Corvin an und musste feststellen dass sie seine Augen und seine Nase hatte.

„Sie ist wirklich hübsch“, gestand ich laut. „Sie sieht Ihnen sehr ähnlich.

„Ihr Name ist Adriana. Sie ist so ein Wirbelwind.“ Seine Trübsinnigkeit hatte sich etwas gelegt, als er mir abermals genau in die Augen blickte.

War er etwa so froh darüber, jemanden zum reden gefunden zu haben? Dieser Mann war durchaus eine stattliche Erscheinung, auch wenn mein Interesse an ihm jetzt wohl eher ein völlig anderes war. Ganz sicher hatte er keine Probleme, erneut eine Frau zu finden und doch wirkte er auf mich jetzt so alleingelassen.

„Ihr Name, Francesca Maurizio, er klingt nicht gerade typisch für diese Region. Wo kommen Sie ursprünglich her? Ihr Akzent verrät es mir leider nicht.“ Mit diesen Worten packte er das Bild wieder ein, doch erst strich er noch mit dem Finger liebevoll darüber.

„Ich komme aus Italien“, antwortete ich zur Abwechslung einmal wahrheitsgemäß.

Corvin riss auch die anderen beiden Zuckertütchen noch auf und ließ den Inhalt nacheinander in seiner Tasse verschwinden.

„Darf ich fragen, was sie nach Rumänien verschlagen hat?“ Andächtig rührte er seinen Kaffee um.

Unmöglich konnte ich ihm die wahren Gründe erzählen. Dass ich fliehen musste, weil ich gemordet hatte und dass ich hier jemanden suchte, der wohl eher aus einem Märchen stammte.

„Ich bin noch nicht lange hier“, log ich abermals ungeniert. „Ich war auf der Suche nach...“

„Arbeit?“

„Genau.“ Das war doch wenigstens eine Idee und sie kam auch noch von Corvin selbst.

Sein überraschter Blick schien sich in meinen Verstand zu bohren, während er einen weiteren großen Schluck trank.

„Gibt es in Italien denn keine Arbeit? Dass kann ich mir kaum vorstellen.“

Ich seufzte tief. So langsam gingen mir wirklich die Ausreden aus. „Da ist noch die Sache mit meiner Familie. Ich war gezwungen, wegzugehen, aber ich möchte bitte nicht darüber reden, wenn es möglich ist.“

„Sicher.“ Er hatte bemerkt, in welchen Unmut er mich mit dieser Fragerei gestürzt hatte und brach augenblicklich damit ab.

„Ich bin immer schrecklich neugierig“, gestand er stattdessen. „Das war ich schon als kleiner Junge.“ Nach diesen Worten schenkte er mir abermals ein Lächeln.

Mein Verstand begann sich zu drehen. Erst langsam, dann jedoch immer schneller. Oh verdammt! Er war doch ein Mensch. Nur ein Mensch! Er war doch gar nicht der, nach dem ich schon so lange hier suchte...

Ein stechender Schmerz fuhr plötzlich in mich. Der verdammt Kaffee begann zu wirken. Dabei habe ich wohl mein Gesicht auffallend verzogen, denn Corvins Blick war mit einem Male besorgt.

„Geht es Ihnen nicht gut?“

Ich stand stattdessen auf und ging in Richtung der Toiletten.

„Ich bin sofort wieder da.“ Mein vages Lächeln war wohl ebenfalls schmerzdurchzogen, denn sein Blick, der mir folgte, war alles andere als fröhlich.

Schnell betrat ich eine der Kabinen. Ich schloss die Tür ab und lehnte mich kurz dagegen. Mein Blick war fest an die Decke geheftet. Ich musste da jetzt durch, aber ich hatte auch keine Lust, wieder diese Krämpfe durchstehen zu müssen, also hatte ich nur eine Wahl. Ich öffnete den Toilettendeckel und steckte mir den Finger in den Hals...
 

Nach wenigen Minuten, hatte ich diese Prozedur auch bereits hinter mir und ich spürte sofort, dass es mir besser ging. Dieses Unbehagen hatte sich zwar etwas gelegt und würde in kürzester Zeit wieder ganz verschwunden sein, doch dafür war etwas anderes wieder sehr deutlich spürbar geworden – die Gier nach Blut. Wenn ich nicht schnellstens etwas zu trinken bekam, würde ich den nächstbesten auf offener Straße einfach anfallen...

Ich lauschte kurz an der Kabinentür. Weder hier in der Damentoilette noch in unmittelbarer Nähe vor der Tür in diese Sanitäranlagen, konnte ich Geräusche ausmachen. Keiner hatte meine Beschäftigung eben wohl Gehör geschenkt. Vorsichtig trat ich heraus und warf noch einen prüfenden Blick auf die Tür, bevor ich mich an das Waschbecken stellte. Über diesem gab es natürlich einen Spiegel. Sollte jetzt hier jemand hereintreten, würde ich schnellstens davon zurücktreten, doch so blickte ich hinein und sah an die Wand hinter mir. Noch immer war es ein seltsames Gefühl, darin die eigene Person nicht sehen zu können, aber es musste eben auch so gehen. Es blieb mir nichts anderes übrig. Ich drehte den Hahn auf, wusch mir das Gesicht ab und trocknete en anschließend an einem dieser grünen Papiertücher ab. An diese werde ich mich wohl nie gewöhnen. Dann zupfte ich nach besten Wissen und Gewissen noch ein bisschen an mir herum und trat schließlich wieder hinaus.
 

Corvin erhob sich sofort von seinem Platz und blickte mich bedrückt an.

„Geht es Ihnen gut? Sie sehen so bleich aus.“

Mit einem Ruck hielt ich überrascht an. Fiel ihm das jetzt erst auf? Tat ich das nicht schon die ganze Zeit, seit ich ein Vampir war? Seit mich dieses Miststück zu dem gemacht hatte, was ich jetzt war? Dennoch hätte ich am liebsten laut gelacht, seines Kommentars wegen.

„Es geht mir gut. Viel besser.“ Und das war die Wahrheit – aber nur die halbe...

Corvins Blick fiel auf die Bedienung und dann wieder zu mir.

„Vielleicht sollte ich Sie lieber nach Hause bringen“, schlug er vor.

Diese Bar zu verlassen hörte sich zwar gut an, aber mich von ihm heim begleiten lassen, war unmöglich! Aber darüber würde ich mir Gedanken machen, wenn es soweit war.
 

Corvin bezahlte die Rechnung und half mir wieder in den Mantel, bevor wir die Bar verließen. Hier auf der Straße fühlte ich mich augenblicklich besser. Hier war zwar mein Jagdgebiet, doch in seiner Gegenwart war ich irgendwie ruhiger, obwohl ich mich mehr und mehr beherrschen musste, ihn nicht anzufallen. Wieder stieg mir der Duft seines Parfums in die Nase und ich wich einige Schritte zurück. Mit einem recht seltsamen, schiefen Lächeln beobachtete er mein erneutes zurückweichen.

„Haben Sie Angst vor mir?“

Sein Strahlelächeln hätte mich ganz gewiss erröten lassen. Ich und Angst? Ganz gewiss nicht! Ich war nicht in Gefahr. Nicht vor ihm. Höchstens dabei, mein wahres Ich preiszugeben und mein Gesicht zu verlieren...

„Angst? Nein.“ Ich wand mich ab und lief ein Stück die Straße entlang – Jedoch nicht in die Richtung, in welcher sich mein Unterschlupf befand. Corvin folgte mir kurzentschlossen.

„Wir haben den gleichen Weg.“

Wie es schien, war er meiner Gesellschaft noch lange nicht überdrüssig geworden. Während er sein Tempo beschleunigte und schließlich neben mir lief, wagte ich einen weiteren Blick in seine braunen Augen.

„Ich habe mich noch gar nicht für den Espresso bedankt.“ Mein Lächeln bei diesen Worten war ein überraschend aufrichtiges.

„Das war mir eine Freude. Glauben Sie mir.“ Sein Lächeln verzog sich augenblicklich zu einer eher bedrückten Miene. „Aber er schien Ihnen nicht besonders bekommen zu sein...“

Ich hielt an und atmete tief durch, wobei ich die Augen schloss. Auch wenn ich nicht atmen musste, tat ich das immer, wenn ich mich dringend beruhigen musste.

„Hör mal. Ich denke, so langsam sollten wir uns das Sie sparen.“

Ich hob keck den Blick und wartete auf seine Reaktion. Auch wenn ich es eigentlich gar nicht wollte, ließ er mir keine andere Wahl. Viel lieber war er für mich nur ein Fremder.
 

Corvins Augen begannen seltsam zu leuchten.

„Das wird mir eine noch größere Freude sein.

Das er so darauf reagierte, hätte ich allerdings nicht erwartet. Jetzt saß ich so langsam wirklich in de Tinte. Ich nahm die Hände wieder in die Manteltaschen und bog um die nächste Ecke, um dem Fußweg weiter zu folgen.

Ein fauchen und scheppern in einem der Hinterhöfe ließ mich mit einem Ruck anhalten. Etwas kleines, weißes kam keinen Augenblick später über den Lattenzaun gesprungen. Etwas schwarzes war der weißen Katze keinen Moment später gefolgt. Doch wie angewurzelt blieben beide vor mir kurz stehen, bis die erste den Blick auf mich gerichtet zu fauchen begann und beide im Laufschritt über die Straße flitzten. Ohne den Kopf zu drehen, blickte ich ihnen nach. Ich kannte ihre Reaktion auf mich. Diese war mir längst nicht mehr neu.
 

„Was war das denn?“ Corvin drehte den Kopf und schaute ihnen ebenfalls nach.

„Katzen mögen mich nicht“, sagte ich schulterzuckend. Warum das so war, gestand ich ihm allerdings nicht. Sollte er sich jetzt doch seinen Teil denken. Mein Grinsen auf diese Worte hin, war hoffentlich uneindeutig genug.

Er wollte gerade etwas erwidern, als sein Handy zu klingeln begann. Corvin seufzte genervt. Er hatte im Augenblick nicht das geringste Interesse, an einem Telefonat. Viel lieber wollte er seine Zeit jetzt wohl mir widmen. Die kleine Unterbrechung war mir jedoch ganz recht. Er brauchte noch einen Moment, bis er es in der Hand hatte und endlich den Namen des Anrufers lesen konnte.

Sein mürrischer Blick, mit dem er sein Handy daraufhin strafte, weckte sofort mein Interesse.

„Ja?“, war seine recht knapp gehaltene Begrüßung.

„Hallo Corvin.“

Beim Gesprächspartner auf der anderen Seite handelte es sich definitiv um eine Frau. Ich spitzte die Ohren, dass ich auch die andere Hälfte des Gespräches mitbekam.

„Romina…” Bei diesem Namen blickte er zu mir und verzog das Gesicht. „Was gibt’s?“

„Ich weiß ja nicht, wo du im Augenblick steckst“, sagte sie, „Aber ich habe morgen Abend gar keine Zeit, Adriana bei dir vorbei zu bringen, weist du. Ich gebe wieder eine meiner Partys. Dieser Kerl, der das letzte Mal schon Interesse an zwei meiner Bilder hatte, wird da sein. Vielleicht werde ich ihn auch dieses Mal wieder für etwas von mir begeistern können. Das kann ich unmöglich sauen lassen wegen...“

„Ja schon klar. Ich habe dich schon verstanden...“

Sein Unterton begann gereizt zu klingen. „Ich kann sie ja auch holen kommen. Das ist doch kein Problem.“

„Am anderen Ende folgte ein kurzes Schweigen.“

„Komm doch einfach vorbei. Ich lade dich zur Party ein.“

Corvins Miene wurde noch finsterer. Er begann die andere Hand fest um den Griff seiner Aktentasche zu klammern. Was in ihm vorging, war ohne Probleme auch für einen Menschen klar zu sehen.

„Aber natürlich“, gab er dabei jedoch zuckersüß zurück, ohne den grimmigen Blick je abgelegt zu haben. „Ich werde da sein.“ Dann legte er auch sofort auf, ohne sich nur ansatzweise zu verabschieden..

Mit einer ungemein wütenden Handbewegung lies er sein Telefon in der Jackettasche verschwinden.

„Das glaube ich einfach nicht!“

„Was gibt es denn?“ Ich stellte mich dumm. Unmöglich hätte ich jedes Wort der anderen Person so deutlich hören können, wie ich es aber getan habe. Corvin würde es nicht verstehen.

„Dieses Miststück! Das war gerade meine Exfrau. Sie versaut mir jetzt sogar schon die wenigen Treffen mit meiner Tochter, die ich noch mit ihr habe...“ Verbittert ließ er den Kopf sinken.

„Sie hasst mich! Sie hasst mich abgrundtief!“

„Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Obwohl ich jedes Ihrer Worte verstanden hatte, war ich weit davon entfernt, diese einfach zu glauben.“

„Sie will mich bloßstellen. Sie will, dass ich hinkomme und mich vor ihren Leuten zum Idioten mache, aber ich kann auch nicht nicht hingehen. Es ist doch das Wochenende mit meiner Tochter...“

Der Blick, den er mir daraufhin zuwarf, hatte etwas flehendes. Er wirkte wieder so verloren.

Ich war erschüttert darüber, dass er gerade mich mit diesem Blick anschaute. Sah ich vielleicht für ihn aus, wie ein Seelenklempner? War ich nicht eher alles andere als das? Ich seufzte kurz und überlegte, was ich ihm darauf noch sagen könnte. Die Beziehungsprobleme andere interessierte mich, seit ich selbst ständig auf der Flucht war, nicht mehr die Bohne, aber dieser Corvin...

Neben ihm stehend, begann ich auf seine polierten Schuhe zu starren. Seine ganze Erscheinung hatte auf mich von Anfang an sehr wichtig gewirkt. Ein Mann, der ständig mit dem Flieger unterwegs war – beruflich versteht sich. Ein Mann von Welt. Und diese Frau wollte ihn vor aller Augen lächerlich machen? Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte.

„Dann solltest du dieses Wochenende vielleicht aussetzten. Es gibt doch bestimmt wieder eine Gelegenheit, dass du dein Tochter...“

„Nein!“ Er unterbrach mich schroff, doch im nächsten Augenblick tat ihm sein Aufbrausen bereites wieder leid. „Ich kann nicht. Dann hat sie mich genau da, wo sie mich haben will: Auf der Verliererseite.“

Als ich wieder aufsah, hing sein Blick fest an meinen Augen. Er hatte recht. Das wusste er und das wusste jetzt auch ich. Sie wollte ihn erniedrigen. Wenn er da nicht hingehen würde und sein Gesicht zeigte, hatte er verloren. Vielleicht würde sie ihm seine Tochter immer wieder vorenthalten und er konnte sicherlich irgendwann nichts mehr dagegen tun, bis sie wohl selbst alt genug war, zu entscheiden, was sie wollte.
 

Sein Gesicht wirkte plötzlich noch angespannter, als die ganze Zeit bereits, während des Telefonates.

„Begleite mich“, platzte es schließlich aus ihm heraus.

„Was?“ Erschüttert starrte ich ihn an.

„Du musst mitkommen. Ich bitte dich.“ Corvin fasste mich am Arm. „Ich bezahle dich auch dafür. Das ist mein Ernst. Wenn ich dort alleine auftauche, denkst sie doch gleich wieder, sie hat die Oberhand. Ich komme angekrochen, so wie sie es gerne hätte...“

Mein Blick fiel unruhig über die Straße. Was verlangte er da denn von mir.

„Ich kann doch nicht einfach...“

„Ich bitte dich...“

Corvin war ganz nah vor mich getreten und blickte von oben auf mich herab. Behutsam hatte er sich nun meine Hand gegriffen und so wie er mich jetzt anschaute, würde er mich jeden Augenblick...

Ich schälte mich sofort aus seinem Griff.

„Das geht doch nicht.“

„Was spricht denn dagegen? Nur ein bisschen Show. Nicht mehr.“

Seine Verzweiflung ging mir irgendwie nahe, doch ich in einem Haufen fremder Menschen? Ich könnte meine Gier ganz gewiss nicht zügeln und auch jetzt hatte ich große Probleme, sie im Zaun zu halten.

„Es ist besser, ich gehe jetzt.“ Sofort machte ich kehrt.

„Darf ich dich wenigstens wieder sehen?“

Meine Schritte verlangsamten sich und abermals hielt ich an. Was tat dieser Kerl da mit mir? Oder besser: Warum brachte er sich freiwillig selbst in so große Gefahr? Der plötzliche Gedanke, das Blut seiner Exfrau zu trinken, stimmte mich irgendwie ruhiger.

„Na schön. Ich komme mit.“ Erst dann wand ich mich wieder zu ihm um.

„Wann soll denn diese Party steigen?“

„Für gewöhnlich ab 20 Uhr. Allerdings schon morgen. Aber ich würde wirklich nur gern meine Tochter holen und dann wieder von dort verschwinden.“

„Sicher.“ Ein zaghaftes Lächeln kam mir kurz über die Lippen. Das war eine Zeit, in der ich bereits außer Gefahr war.

„Wo wohnst du? Und wann soll ich da sein?“

„Vielleicht 18 Uhr?“, murmelte er nach einer kurzen Überlegung und gab mir schließlich noch seine Adresse.

Als er mir daraufhin jedoch erneut folgen wollte hob ich abwehrend die Hand.

„Ich werde da sein, doch jetzt laufe mir nicht länger nach. Ich habe noch etwas zu erledigen.“

Sein verdutzter Blick ließ mich abermals über meine letzten Worte nachdenken. Sie mussten sich für hin jetzt ziemlich seltsam angehört haben.

„Ich finde den Weg schon nach hause. Ich will nur kein Risiko eingehen“, legte ich schnellstens noch nach. Immerhin war ich doch eine zierliche, junge Frau...
 

Als ich mich abermals von ihm abwand, spürte ich ganz deutlich seinen Blick auf mir haften. Was ging ihm jetzt wohl gerade durch den Kopf? Hatte er wirklich immer noch allen ernstes vor, mich wiederzusehen? Ich beschleunigte meine Schritte, dass ich schnellstes von seiner Person wegkam. Er machte mich im Augenblickderartig nervös, dass ich meine spitzer werdenden Zähne, nicht länger unter Kontrolle hatte. Ich musste erst einmal einen klaren Kopf bekommen.

Was verlangte er da nur von mir? Ich sollte ihn allen Ernstes auf diese Fete begleiten? Als Scheinbeziehung? Das hörte sich vielleicht ganz lustig an, aber nur für einen Menschen! Seufzend zog ich die Hände tiefer in die Taschen.

Sollte ich allen Ernstes auf diese Veranstaltung gehen? Wo es nur wimmelte, von Menschen. Wo mir der Geruch dieser Meute den Verstand rauben würde? Das Pochen all dieser Herzen würde mir in den Ohren nur so rauschen. Ich konnte da unmöglich hingehen!

*-...-*3*-...-*

Als ich wieder aufblickte, war ich abermals nur noch wenige Meter von dem alten Firmensgebäude entfernt. Jemand stand an der Ecke und rauchte. Mit einem Ruck hielt ich an. Kannte ich diesen Kerl nicht? Tief zog ich die Luft ein, doch das einzige was ich wittern konnte, war der Gestank seine Zigarette. Er überdeckte leider alles andere. Ich näherte mich einen weiteren Schritt. Na so was?! Dann endlich erinnerte ich mich. Das war dieser Junge, der zu dieser Gang gehörte und mir stets etwas nachrufen musste. Prüfend blickte ich mich um. Wie es schien, war er allein.

Mit langsamen Schritten trat ich stetig auf ihn zu. Kam ich jetzt etwa doch noch zu einem Häppchen?
 

Der junge Kerl wirkte auf einmal irgendwie verschüchtert, als ich mich näherte. Was sollte ich ihm jetzt sagen?

„Wartest du auf jemanden?“

Er ließ sofort die angerauchte Zigarette fallen und trat diese aus.

„Ja. Auf dich?!“ Er nahm die Hände in die Taschen.

„Spionierst du mir nach?“ Als ich genau vor ihn stand, bemerkte ich, dass er mindestens einen Kopf größer war als ich. Er stank nach Nikotin und Alkohol. Und dennoch verspürte ich Durst. In letzter Zeit war ich einfach zu kurz gekommen.

Anstatt einer Antwort bekam ich jedoch nur ein Grinsen. Wenn er mir nachstellte, konnte er mir durchaus gefährlich werden.

„Wo hast du denn deine Clique?“ Ich sah mich abermals kurz um, doch auch jetzt konnte ich weder jemanden sehen noch hören.

„Die sind nicht hier“, gestand er mir schließlich. „Im Augenblick kann ich keinen von denen gebrauchen.“

Mein überraschter Blick wanderte über sein gänzlich haarloses Gesicht.

„Nicht gebrauchen?“ Ich verstand nicht ganz.

„Na ja, ich... die Anderen finden dich irgendwie unheimlich. Ich aber nicht! Und ich hab auch keine Angst vor dir! Im Gegenteil.“

Er hatte also keine Angst? Das würde sich bestimmt noch ändern...

„Und was willst du von mir?“

„Ich wollte fragen, ob du vielleicht Lust hättest mit mir...?“ Er brach ab und verdrehte stattdessen verheißungsvoll die Augen.

Na super, dachte ich mir. Wieder einer von diesen Witzbolden, der einfach nur mal ein Nümmerchen wollte. Darum also immer die dummen Sprüche. Alles nur Imponiergehabe. Im Augenblick war es jedoch etwas ganz anderes, wonach ich mich sehnte. Dafür war zwar bis jetzt auch nach dem Sex immer noch Zeit gewesen, doch wenn ich mir diesen Jüngling anschaute...

„Wie alt bist du, Kleiner?“, provozierte ich ihn. Er war einer von diesen Hip-Hop-Gestalten und schon von daher gar nicht mein Typ.

Mit seiner Antwort ließ er sich Zeit. Ich verschränke die Arme vor der Brust und wartete.

„Denkst du wirklich, ich will mich strafbar machen, wenn ich es mit einem Minderjährigen treibe?“, zog ich als Ausrede vor.

Er schnaubte gereizt. „Ja, schön. Ich bin erst 17, aber wenn ich dich so ansehe, kannst du auch kaum Älter sein.“

Jetzt war ich es, die ein breites Grinsen im Gesicht hatte. Dabei musste ich jedoch darauf achten, dass es nicht zu breit wurde und ich meine Eckzähne entblößte. Normalerweise waren sie nicht viel anders, wie die der Menschen, aber im Augenblick hatte ich ein solches Verlangen nach Blut, dass sie sicherlich bereits ein Stück gewachsen waren.

„Was habe ich denn davon, wenn ich dich rann lasse?“

Diese Frage überraschte ihn und machte ihn für den Moment sprachlos.

„Na ja, ähm... Spaß?“

Mein Jagdtrieb war geweckt worden. „Na schön. Lass uns Spaß haben...“
 

„Hast du einen Namen?“, fragte ich und hatte auch bereits die eiserne Klinke der Flügeltür in der Hand, welche in die Halle führte.

Dieser Knabe spielte jetzt doch wirklich den Draufgänger. Versuchte er mich mit seinem Verhalten tatsächlich zu täuschen? In seinen Augen lag Angst. Wenn er wüsste, dass er sich diesen Aufwand sparen konnte, da ich diese längst roch...

Ich schob ihn ohne Kraftanstrengung einfach rückwärts durch die Tür.

„Hat es dir die Sprache verschlagen? Du bist doch sonst so Mutig!“

„Dominic.”

„Na es geht doch.“ Triumphierend grinste ich ihn an. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was ihm jetzt bevor stand.

Während ich mit der einen Hand ihn immer noch vor mir her schob, ließ ich mit der Anderen die Tür wieder ins Schloss fallen. Nun konnte mein Spiel beginnen.

Ganz nah baute ich mich vor ihm auf und blickte ihm starr in die Augen. Dominic legte mir die Arme auf die Schulter und setzte sofort zu einem ersten Kuss an.

„Du bist ja doch mutiger, als ich dachte“, gestand ich ihm und brachte ihn zunächst noch mit den Armen auf Abstand, um den Schein noch etwas zu wahren. Hatten sie ihm vielleicht Geld geboten, für das, was er hier jetzt allen Ernstes versuchte? Ich blickte mich kurz um, aber ich konnte auch hier weder jemanden sehen, noch riechen.
 

Mit einer fast schon liebevollen Bewegung strich mir Dominic die Haare hinter mein linkes Ohr und schmuste sich eng an mich.

„Du ist wirklich hübsch...“, flüsterte er.

Noch, fügte ich in Gedanken hinzu und erlaubte ihm diese Umarmung. Es fühlte sich angenehm an, doch mein augenblickliches Anliegen war ja wie bereits erwähnt ein ganz anderes. Ich hatte nicht vor, dieses Spiel hier in die Länge zu ziehen. Ich hatte einfach nur Durst.

Bestimmend fasste ich ihn an der Jacke und gab ihm jetzt doch eine Chance, mich zu küssen. Seine Lippen fühlten sich irgendwie rau an. Ich hatte nun wirklich schon weichere Lippen küssen dürfen. Und Dominic? Er versuchte natürlich sofort, mir seine Zunge in den Hals zu stecken. Wie ich so etwas hasste. Ein kurzer, warnender Biss in seine Zunge, veranlasste ihn sofort zu einem Rückzug. Ich hatte seine Zunge dabei nicht verletzt. Anderenfalls hätte ich mich wohl sofort auf ihn gestürzt, beim Geschmack von warmem Blut. Dennoch spürte ich, wie ein Zittern durch meinen Leib rauschte. Wie ein Mensch auf Drogenentzug musste es sich wohl abfühlen.

„Lass uns nach oben gehen“, flüsterte ich stattdessen und fasste nach seiner Hand.

„Du bist ziemlich kalt“, bemerkt er, doch von seiner Gier auf meinen Körper gänzlich eingenommen, war er wohl jetzt zu keinen so wirklich klaren Gedanken in der Lage. Er folgte mir wie ein Hündchen.
 

Noch fester griff ich seine Hand, als ich ihn die Treppe hinauf, zum ehemaligen Büro hinter mir herschleifte. Ich riss die Tür auf und zog ihm mit einem starken Ruck hinein. Dominic schnappte nach Luft, als wir eingetreten waren. Bekam er es jetzt etwa doch mit der Angst zu tun?

„Hier stinkt es ja erbärmlich“, gab er angewidert von sich und schüttelte sich tatsächlich von meinem Griff frei. „Können wir nicht lieber zu dir gehen?“

Ich hatte nun wirklich schon schlimmer stinkende Orte betreten. Die nächtliche Gasse zum Beispiel, die mir eine Bekanntschaft eingehandelt hatte, die ich wohl besser nicht haben sollte.

Mein überraschter Blick hing sofort an seinem Gesicht. Mit einem hektischen Kopfschütteln lehnte ich seinen Vorschlag jedoch augenblicklich ab. Nicht auszudenken, wer uns jetzt noch auf der Straße begegnen konnte. Ganz zu schweigen davon, dass ich meine Blutgier schon lange nicht mehr unter Kontrolle hatte.

Während ich ihn abermals an der Jacke packte, räumte ich mit der anderen Hand flüchtig Papier und Dreck vom massiven Eichenholzschreibtisch.

„Das ist nicht dein ernst?“

Er schluckte und sah sich abermals angewidert um.

Die Angst, die er plötzlich auszustrahlen begann, setzte mich förmlich in einen Rauschzustand, der mich alles andere vergessen lies.

„Nimm mich, Dominic. Jetzt!“

Als ich ihm diese Worte sagte, weiteten sich seine Augen. Was hatte er nur gesehen?

Er riss sich los und war mit einem Sprung plötzlich wieder an der Tür. Ich musste ihn aufhalten! Ich sprang ebenfalls zur Tür und brachte ihn mit einem derben Stoß zu Fall, bevor er allen ernstes verschwinden konnte. Mit einer weiteren, schnellen und Kraftvollen Bewegung hatte diese Tür keine Klinke mehr. Sein Fluchtweg war abgeschnitten. Ich warf sie achtlos in eine der verdreckten Ecken.

„WAS BIST DU FÜR EIN MONSTER!?“, schrie er mich an.

Seine Stimme, das rasen seines Herzens und der alles übertönende Geruch seiner Angst ließen all meine Hüllen fallen. Sollte er doch wissen, wer oder was ich war. Ich hatte ihn hier, wo ich ihn haben wollte und er konnte mir nicht entkommen.

Schnell war er wieder auf den Beinen und versuchte dennoch irgendwie durch die Tür zu entkommen. Doch es gab keine Möglichkeit mehr, diese zu betätigen.

Zähnefletschend und mit gekräuselter Nase schritt ich auf ihn zu. Ich wollte diese Sache hier so schnell wie möglich zu Ende bringen. Dominic schätzte seinen Fluchtweg ab. Sein Blick blieb schließlich am Mosaikfenster hängen. Sein einziger Weg nach draußen. Hastig spurtete er um den breiten Schreibtisch herum und ich eilte sofort auf der gegenüberliegenden Seite auf ihn zu. Mit einem kräftigen Sprung stand ich vor ihm auf dem Tisch und blick auf ihn herab. Sein Gesicht war mittlerweile so weiß wie es mein eigenes wohl war.

„Gib auf Kleiner!“

Außer dem Fenster gab es für ihn kein entkommen und hier an diesem Ort würde uns weder jemand sehen, noch konnten sie seine Schreie hören.

„Ich habe keine Lust mehr zu spielen!“

Ich sprang auf ihn zu, doch er hatte bereits den Schreibtisch umrundet und nahm Anlauf, um das Fenster zu durchbrechen. Auf diesem Wege würde er sich nicht in den Tod stürzen. Das Dach davor war nicht viel tiefer wie dieses, recht flach und es war auch breit genug, um problemlos dort laufen zu können.

Noch während er mit dem Ellenbogen voraus das Fenster durchbrach, hatte ich ihn an der Kapuze gepackt.

„Ich kann dich nicht gehen lassen, Dominic!“

Ich riss ihn wieder zurück und er prallte mit dem Rücken gegen den Schreibtisch. Dabei ging er ächzend zu Boden. Benommen starrte er zu mir auf. Seine Jackenärmel war zerrissen und ich konnte deutlich Blut riechen.

„Sie hatten recht, dass mit dir etwas nicht stimmt“, begann er mit weinerlicher Stimme. „Sie hatten so recht...“

Er war mit den Kräften und den Nerven am Ende und brach schließlich in Tränen aus. Ich für meinen Teil hätte ja schon damit gerechnet, dass er sich ein bisschen mehr zur Wehr setzen würde, so wie er sich vor seiner Gang immer aufgespielt hat und mich ständig dumm anmachen musste.

„Ich kann dich nicht gehen lassen.“ Meine Stimme kam mir plötzlich selbst seltsam besänftigend vor.

Ich trat vor ihn und packte sein Kinn.

„Ja sie hatten recht, aber deine Einsicht kommt leider viel zu spät.“

Die Angst, die er abstrahlte mischte sich plötzlich wieder mit Wut. Er würde also doch noch einen weiteren Versuch starten zu entfliehen, doch soweit würde ich es nicht kommen lassen.

Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, war er auch schon wieder auf den Beinen und versuchte mich von sich zu schieben, doch während seine Hände fest am meinem Mantel hingen, um mich aus dem Weg zu werfen, griff ich mit beiden Händen nach seinem Kopf und zwang ihm einen blutigen Kuss auf. Ich biss mich an seinem Lippen fest, so gut ich konnte. Auf diese Weise war es ihm auch nicht möglich zu schreien. Dominics Augen waren so weit aufgerissen, dass sie ihm fast aus dem Höhlen sprangen. Kein schöner Anblick, auch für mich nicht. Sein immer hektischer werdender Versuch, mich endlich loszuwerden wurde von mir kurzerhand ausgekontert mit einem anständigen Tritt in seine Genitalien. Wenn ich mit ihm fertig war, würde er diese ohnehin nicht mehr brauchen.

Ich lockerte meinen Griff etwas, dass er zu Boden gehen konnte. Wenn er unten lag, war es für mich ohnehin leichter, ihn festzuhalten.

Schluchzend starrte er mich mit seinen mittlerweile blutverschmierten Gesicht an.

„Warum...?“

„Du warst eben zur falschen Zeit am falschen Ort.“

Dabei strich ich ihm kurz über den Kopf. Ich kniete mich neben ihn in den Dreck und während er sein Genital hielt schloss ich ihn fest in die Arme und bohrte ihm meine Zähne in den Hals...

*-...-*4*-...-*

Als ich wieder zu mir kam, schien der Mond zum bunten Mosaikfenster herein. War ich weg gewesen? Mich überkam sofort Unbehagen. Ich hob den Blick und sah unmittelbar neben mir Dominics leblosen Körper am Boden sitzen. Ich hatte ihn gegen den Schreibtisch gelehnt, als ich schließlich von ihm abließ, doch ich brauchte einen Moment, um wieder ganz zu mir zu finden. Sein starrer Blick war geradeaus gerichtet. Behutsam strich ich ihm über die Wange. Er fühlte sich so kalt an, wie ich wohl die Wirkung auf die Menschen hatte. Ich hatte ihn restlos leer getrunken.

Mit einem Seufzen erhob ich mich und starrte aus dem angebrochenen Fenster. Er hatte es mir schon ein bisschen schwer gemacht, wenn ich jetzt so daran zurück dachte, aber bei so einigen anderen Beutezügen hatte ich dabei mehr Vergnügen gespürt. Wo war nur mein Jagtrieb hin? Begann ich mich jetzt etwa schlecht zu fühlen? Ich schüttelte diesen Gedanken schnellstens ab und streckte mich. Dabei fiel mein Blick an mir herab und ich musste mit entsetzen feststellen, dass ich mich doch ganz schön eingesaut hatte. Auch ein Griff über meinen Mund machte die Angelegenheit nicht besser. Doch anständig entfernen konnte ich es auch dort auf diese Weise nicht. Zu fest war es bereits an mir eingetrocknet. Unmöglich konnte ich so über die Straßen laufen, ganz gleich wie spät es war. Auch um diese Zeit waren noch Menschen unterwegs. Wie spät war es überhaupt? Ich hatte keine Ahnung. Ich hatte ja nicht einmal eine Uhr. Abermals wand ich mich Dominic zu. Er saß da, wie eine Puppe, völlig regungslos und starrte gerade aus. Sein blutverschmiertes Gesicht und sein Hals, machten diesen Gedanken jedoch wieder zu Nichte.
 

Schleunigst wand ich mich wieder von ihm ab. Ich musste jetzt hier verschwinden. Je schneller ich von hier wegkam, um so besser. Also besah ich mir das Glasfenster. Dominic hatte gute Arbeit geleistet, als er mit Schwung hier dagegen rannte. Für mich als kein Problem, mit ein paar richtig gesetzten Tritten das Glas zu entfernen, dass ich ungehindert auf das Flachdach gelangen konnte.

Ohne mich noch einmal zum Toten umzudrehen, sprang ich mit einem geschickten Sprung auf das vielleicht zwei Meter tiefer liegende Dach. Noch in der Hocke, hielt ich einen Augenblick inne.

Mein Körper fühlte sich gut an. Wie neu geboren. Ja fast schon wieder lebendig. Fast so, als hätte ich wieder einen eigenen Puls, aber das war gänzlich unmöglich. Ganz sicher gab ich jetzt ein viel gesünder wirkendes Bild, wenn man von dem verschmierten Blut in meinem Gesicht absah.

Ich erhob mich und lauschte den Autos, die jetzt noch unterwegs waren. Ihre Geräusche wirkten irgendwie dumpf und dann kam mir wieder das Bild der Frau, vor mein inneres Auge, die mich eins zu dem machte, was ich jetzt war.
 

Für sie empfand ich lediglich Abscheu. Sie hatte mich aus meinem ach so frühen Eheleben gerissen. Wir waren keine Woche verheiratet, da stand sie plötzlich neben mir auf dem Balkon. Ich war zwar für den ersten Moment verwirrt, doch die Tatsache, dass wir uns im vierten Stock befanden, ließen mich schleunigst die Flucht ergreifen. Ich konnte ihr nicht entkommen. Ja, ich kam nicht einmal zur Tür. Sie hatte kein Wort gesagt und mein Schrei hallte sicherlich über die ganze Straße. Mein Bewusstsein war so vernebelt, dass ich nichts um mich herum noch mitbekam. Ich wusste nur, ich war allein. Als mein Herz die letzten Schläge machte, war sie schon nicht mehr bei mir. Ich hatte sie zuvor noch nie gesehen und ich habe auch in der Zeit, in der sie bei mir war, ihren Namen nie erfahren. Doch auch jetzt bin ich mir sicher, sollte sie mir irgendwann über den Weg laufen, ich würde sie wiedererkennen.

Mein Mann fand mich schließlich auf dem Balkon, als er von Arbeit kam. Zunächst dachte er, ich sei tot, weil ich so kalt gewesen bin, doch ich war plötzlich wieder bei vollem Bewusstsein. Wie recht er doch damals hatte.
 

Drei Tage hatte ich damals in einem krampfartigen Zustand gelegen. Wie gerne wäre ich dabei bereits gestorben. Die Ärzte konnten nichts finden und schließlich war mein Mann das erste Opfer, welches ich tötete. Er hatte die ganze Zeit an meinem Bett gesessen. Er war seit Tagen nicht auf Arbeit gewesen und schließlich war ich es, die an seinem Arm hing, die Zähne tief in ihn gebohrt, bis auch sein Puls verebbte. Doch er kam nicht zurück. Ich war mir der ganzen Zeit über durchaus bewusst, was ich da tat. Ich fühlte keine Reue und er? Er war wohl nicht in der Lage, sich von mir zu befreien. Wie paralysiert hatte er mich angesehen.

Dieser Blick... Auch jetzt verfolgt er mich noch.
 

Ein kurzer Blick auf den abnehmenden Mond sagte mir, dass ich jetzt schnellstens nach Hause gehen sollte. Und meine nach Blut stinkende Haut und Kleidung sagte mir, dass ich ebenfalls dringend eine Dusche brauchte.

Gemächlichen Schrittes lief ich bin an das Ende des Flachdaches und verharrte schließlich wieder. Von hier aus gelangte ich ohne weiteres auf die Straße, doch so wie ich aussehen musste, war daran gar nicht zu denken. Ich würde meinen Weg noch eine Weile auf Dächern fortsetzen. Rechts neben mir schloss, nach einem breiten Stahltor, welches den Zugang zum Innenhof darstellte, ein weiteres Gebäude an. Dieses war ganz sicher weitere drei Meter höher, wie das Dach, auf dem ich mich jetzt gerade befand, doch so wie ich mich im Augenblick fühlte, sollte das kein Problem darstellen. Eine Feuerleiter war es, welche ich von hier aus anvisierte. Ich nahm kurz Anlauf und sprang an die gewünschte Stelle, ohne die geringste Fehleinschätzung.

Sicher auf dem schmalen Sprossen angelangt riskierte ich wieder einen Blick gen Mond und ein Lächeln zog sich über mein Gesicht. Für derartige körperliche Herausforderungen, war ein normaler Mensch niemals geschaffen. Ich stieg einige der Stufen hinauf und stieg schließlich in das nächste Fenster ein.

Auch dieses Gebäude war nicht bewohnt. Es hatte wohl damals ebenfalls zu dieser Firma gehört. Behutsam schritt ich über beängstigend stark knarrende Dielen. Sehr lange würde dieser Bau wohl nicht mehr stehen. Ich beeilte mich, dass ich wieder von hier wegkam. Auch wenn ich bei einem möglichen Zusammenbruch hier verschüttet werden sollte, würde ich das ganz sicher überleben - es sei denn ich brach mir den Hals. Dennoch war ich nicht scharf darauf, mich aus irgendwelchen Schutt wühlen zu müssen.

Ich verließ das großräumige Zimmer und trat auf den Flur. Eine Ratte flitzte an mir vorbei und verschwand mit einem fiepen in eine der uneinsichtigen Ecken – So dachte sie.

Der schmale Flur wirkte um einiges stabiler. Ich steckte die Hände in die Taschen und ließ meine Schritte langsamer werden, doch dann vernahm ich Geräusche, welche mich zwangen, ganz anzuhalten und zu lauschen.

Seltsam vertraute Laute drangen an mein Ohr. Ich folgte langsam den Gang und warf einen Blick in die nächste Tür, welche nur angelehnt war. Ein kurzes Schmunzeln huschte mir über den Mund. Es war ein Obdachloser. Diesbezüglich war er wie ich. Er hatte keinen festen Wohnsitz. Er lag zusammengerollt auf unzähligen Zeitungen und schnarchte seelenruhig vor sich hin. Das mit dem ohne Wohnsitz zu sein, war jedoch auch schon die einzigste Gemeinsamkeit. Mit allem anderen war er wohl eher das völlige Gegenteil von mir...

Wie er so hier lag, würde er eine äußerst leichte Beute abgeben, doch ich verspürte im Augenblick nicht den geringsten Hunger. Mein Blutdurst war gestillt und jetzt würde ich erst einmal ein bis zwei Tage hinkommen, sollte sich nicht zufällig etwas anderes ergeben.

Als das Schnarchen kurzzeitig verstummte, zog ich schleunigst den Kopf aus der Tür. Ich wollte ihn nicht wecken. Möglicherweise würde er mir auch nur unnötige Fragen stellen. Mit leisen Schritten lief ich an der Tür vorbei und folgte dem Gang noch ein ganzes Stück, bis schließlich ein Treppenhaus meinen Weg nach oben führte.

Von hier aus war es nur noch ein Katzensprung zu mir nach hause. Am geöffneten Fenster ließ ich den Blick schweifen. Auf dem nächsten Dach konnte ich bereits in meine Wohnung sehen. Dieses hier war jedoch um einiges niedriger, wie das, welches unter dem Mosaikfenster lag. Die genaue Entfernung konnte ich jedoch nicht so recht einschätzen. Ein plötzlich aufkommender Wind klatschte mir mein Haar ins Gesicht und ich musste noch einen Augenblick warten, bevor ich zum Sprung ansetzte.
 

Meine Landung war jetzt um einziges weniger so glatt verlaufen, wie zuvor. War ich doch tatsächlich weggerutscht und lag jetzt mit der Nase auf dem Dach. Benommen brauchte ich einen Moment, bis ich wieder alles beisammen hatte. So etwas war mir lange nicht passiert. Wie konnte das nur geschehen!?

Mein Nacken schmerzte, als ich mich erhob. Er knackte kurz, aber er war heil geblieben und auch die Nase hatte ich mir nicht gebrochen.

Ich sah mich um. Von hier aus musste ich jetzt wirklich auf die Straße. Da führte kein Weg daran vorbei. Ich suchte nach einer Möglichkeit, hier hinunter zu klettern. Nach dieser Landung eben, war ich das Springen erst einmal leid.

Natürlich war jetzt eine Leiter oder dergleichen nicht zu finden. Das wäre auch zu schön gewesen. Also hängte ich mich rücklings an die Dachrinne, mit der Hoffnung, sie würde mich eine Weile halten, und ließ mich schließlich nach unten fallen. Ohne weitere Zwischenfälle landete ich auf dem Gehweg. In geduckter Haltung lauschte ich, ob ich jetzt auch wirklich niemanden Aufmerksamkeit auf mich gezogen hatte. Da ich weder etwas verdächtiges hören, noch sehen, noch riechen konnte, setzte ich meinen Weg zu meinem Unterschlupf schließlich fort.

Ich betrat das Grundstück des kleinen Hauses am äußersten Ende, in dem ich über den Zaun hüpfte. Im Garten gelandet, lauschte ich abermals und verschwand schnellstens hinter dem Haus. Hier angelangt, führte mich mein Weg zu einem der Kellerfenster, durch welche ich immer nach innen gelangte. Ich hätte auch die Tür aufbrechen können, doch das würde vielleicht nur zusätzlich ungebetene Gäste herlocken. Bereits dreimal hatten sich Menschen hier hereinverirrt. Zwei davon waren sogar der Meinung gewesen, mich angreifen und ausrauben zu müssen, doch keiner von ihnen hatte das überlebt.

Ihre Reste hatte ich unauffindbar verschwinden lassen.
 

Das nur angelehnte Fenster war zugefallen und ich brauchte jetzt einen Moment, bis ich es offen hatte. Hier war Kraft jetzt nicht gefragt. Ich brauchte Fingerspitzengefühl, doch schließlich bekam ich es wieder auf und verschwand schnellstens im Inneren. Um nun selbst vor ungebetenen Gästen sicher zu sein, schob ich jetzt dein Riegel vor.
 

Das Tropfen von Wasser, welches hier stetig den Keller erfüllte, war auf eine leckgeschlagene Leitung zurückzuführen. Ganz bestimmt würde irgendwann das Rohr platzen und spätestens dann musste ich mir ein neues Heim suchen. Zügig schritt ich die schmale Steintreppe hinauf und betrat meinen Wohnbereich. Das zugeschlagene Fenster hatte mich verunsichert. Ich hob die Nase, doch ich konnte nichts verdächtiges, lebendiges riechen. Ich war also auch jetzt hier allein.

Schnell schlüpfte ich aus den Schuhen und dem Mantel und befreite mich auch bereits von meinem Pullover, als ich das Badezimmer aufsuchte. An einigen Stellen hatte sich der Schimmel breit gemacht, doch ich kämpfte so gut es ging dagegen an. Als ich den Hahn der Dusche einschaltete, war zunächst nur ein trockenes gurgeln zu hören.

„Oh bitte nicht jetzt!“, fluchte ich zu mir selbst. Gerade jetzt, wo ich es wieder einmal geschafft hatte, auszusehen, als hätte ich völlig verlernt zu trinken.

Dann endlich war mit einem starken ruck das Wasser da, doch es war braun vom ganzen Rost. Ich würde es erst einmal eine Weile laufen lassen müssen, also trat ich den Rückweg an und verschwand erst einmal ins Schlafzimmer.

Der Kleiderschrank in diesem Zimmer stand seit ich hier lebte, genau vor dem Fenster. Für mich war es kein Problem gewesen, diesen dahin zu rücken und er deckte das Fenster mehr als genügend ab.

Sobald ich eingetreten war, musste ich wieder an Corvin denken. Ich sollte also auf eine Party gehen, wo die gehobene Gesellschaft zugegen war? Oder jedenfalls Menschen, die sich selbst dazu zählten. Ich konnte nur hoffen, hier etwas zu finden, was diesen Ansprüchen wenigstens etwas entgegen kam. Ein paar der Sachen waren noch hier gewesen und hatten sogar gepasst, auch wenn sie nicht die modischsten waren. Andere waren aus unerfindlichen Gründen irgendwie in meine Finger geraten. Einige hatte ich von gefundenem Geld käuflich erworfen und wieder andere waren mir im Waschsalon zugelaufen. Man tat was man konnte, wenn einem nichts anderes übrig blieb.

Im Grunde kam ich auch damit aus, aber was ich heute wieder für eine Sauerei angerichtet hatte? Dafür könnte ich mich wirklich selbst Ohrfeigen. Ich öffnete zwei der breiten Schranktüren und warf einen Prüfenden Blick hinein. Was sollte ich nur tragen? Schließlich wollte ich Corvin auf keinen Fall bloßstellen. War es doch seine Exfrau, welche bereits dieses Vorhaben hegte.

Ich schob einige der Kleiderbügel hin und her und wurde schließlich auf ein geblümtes Kleid aufmerksam. Halblange Ärmel, schmal geschnitten, in den Farben blau und gelb. Soweit ich mich erinnerte, war dieses bereits hier gewesen, aber vor nicht all zu langer Zeit, waren solche Stücke sogar wieder modern gewesen. Ich nahm es heraus und betrachtete es genauer. Irgendwann hatte ich es wohl bereits einmal getragen, aber ich hatte mich darin nicht sonderlich wohl gefühlt, aber bei einer solchen Gelegenheit? Wenn ich dieses Schauspiel schon durchziehen sollte, wollte ich wenigstens eine gutaussehende Schauspielerin abgeben.
 

Was hatte diese Romina gesagt? Sie wollte auf dieser Party von ihr gemalte Bilder verkaufen? Vielleicht trafen sich dort auch die ganzen Verrückten und Sonderlinge, die die Menschheit hervorgebracht hatte. Vielleicht würde ich damit ja nicht einmal so sehr auffallen.

Ich legte das Kleid samt Bügel auf das breite Bett, als ich abermals an das laufende Wasser dachte. Schnell war ich zurück im Badezimmer. Die trübe Brühe aus dem Hahn war um einiges heller geworden. Dennoch würde es lausig kalt sein. Auch wenn mir Kälte nichts mehr ausmachte, sehnte ich mich jedes Mal, wenn ich unter diesen Eiswasser stand, nach einem heißen Bad.

Schnell schlüpfte ich aus den restlichen Sachen und stieg in die Dusche. Kaum hatte ich einen Fuß hingesetzt, lief auch bereits das erste Blut von mir ab. Wenn ich das hier hinter mich gebracht hatte, würde ich mich wieder um einiges wohler fühlen.

Mit einem der wenigen Handtücher, die es hier noch gab, um den Leib gebunden, ließ ich mich schließlich auf der, an der rechten Seite zersessenen, Couch nieder und streckte die Beine aus. Ich seufzte abermals schwer. Was würde ich jetzt geben, für den warmen Leib eines Menschen. Nur an ihn lehnen. Ich würde ihn nicht töten. Ich war mehr als satt. Etwas anderes, wie menschliche Kontakte hatte ich auch nie genießen können. Außer dem einen Mal, als die Frau auftauchte, die mich zu einem Vampir machte, war mir meinesgleichen nie wieder begegnet. Wie konnte es sein, dass sie alle plötzlich wie von Erdboden verschwunden waren? Hatte ich an den falschen Orten gesucht? Waren mir vielleicht doch welche begegnet und ich hatte sie nicht erkannt?

Eine Maus huschte durch den Raum und verschwand unter einem sich angehobenen Dielenbrett. Diese Maus schien schon ewig hier zu wohnen. So richtige Angst hatte sie vor mir nicht. Mein Blick folgte ihren Bewegungen und als sie verschwunden war, erhob auch ich mich wieder, um endlich schlafen zu gehen.
 

Als ich mich endlich zu Bett begeben hatte und noch keine zehn Minuten an die Decke starrte, musste ich schlagartig wieder an Dominic denken. Warum zum Geier hatte ich ihn überhaupt nach seinem Namen gefragt? Ganz bestimmt würde mich sein Gesicht jetzt noch eine ganze Zeit verfolgen. Ich hätte mich gar nicht erst auf eine Konversation einlassen dürfen. Und in das Lagerhaus konnte ich jetzt auch nicht wieder gehen. Vielleicht hätte ich ihn doch an einen andern Ort verschleppen sollen...

Genervt drehte ich mich auf die Seite. Und wenn ich an den morgigen Abend dachte? Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. Schön, ich war stärker als die meisten Menschen, doch irgendwie würde ich wohl in diesem Moment eine schützende Hand nicht ablehnen. Warum hatte ich Corvin nicht von dieser Idee versucht abzubringen. Doch halt! Ich hatte es versucht, doch sein trauriger Blick hatte mich weich werden lassen.

Weich werden?

Vermenschlichte ich jetzt wieder?

War das gut oder schlecht? In meiner Situation war es wohl eher schlecht. Wenn ich jetzt anfing, jedes einzelne Opfer zu bereuen, trieb mich das sicherlich recht bald in den Wahnsinn.

Ich drehte mich wieder auf den Rücken und starrte erneut auf den Riss an der Decke, der sich stetig verlängerte. Ich brauchte jetzt ganz dringend Schlaf. Ganz bestimmt würde ich sonst morgen den Abend und die Nacht nicht überstehen.

*-...-*5*-...-*

Als ich erwachte, war die Dämmerung in vollem Gange. Ich konnte das zwar nicht sehen, da es hier in diesem Zimmer so dunkel war, wie in einer Gruft, doch ich konnte es ganz deutlich spüren. Ich setzte die Beine auf dem Boden ab und streckte mich, dass meine Wirbel nur so knackten. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Knacken jedes Jahr schlimmer wurde, aber ich konnte mich auch täuschen.

Schließlich erhob ich mich und lief, so nackt, wie ich war, über den Flur. Hier fühlte ich mich sicher. Seit ich diese Behausung gefunden hatte, wagte ich mich das wieder. Als ich noch ständig unhergezogen war, war das natürlich nicht möglich gewesen. Ich war stets auf den Straßen unterwegs und heilfroh, wenn ich einmal ein ruhiges Plätzchen für mich selbst gefunden hatte. Jedes Mal war das so. Jedes Mal, wenn ich gezwungen war, weiterzuziehen. Wenn es irgend eine Unannehmlichkeit gegeben hatte, von der ich mich lieber Meilenweit weg befinden sollte, weil sie mich vielleicht sonst weggesperrt oder gleich ganz getötet hätten. Schön, dann hätte mein Leiden ein Ende gefunden, doch ich war auf der Suche gewesen. Auf der Suche nach Wesen wie mir. Damals jedenfalls noch. Allerdings mit wesendlich mehr Elan, als es jetzt noch der Fall war. Hatte ich eine solche Begegnung vielleicht längst aufgegeben?

Ich trat ins Wohnzimmer, doch ich verharrte in der Bewegung, als das knarren einer Diele meine ganze Aufmerksamkeit weckte.
 

Hinter mir stand ein Mann. Er war ziemlich groß, schmale Schultern. Sein schwarzes Haar, welches ihm bis an die Brust reichte, trug er offen. Gekleidet war er mit einer schwarzen Hose, einem roten Rollkragenpullover und einem ziemlich langen, schwarzen Ledermantel. Ich ging sofort in Angriffsstellung.

„Wie bist du hier herein gekommen?!“, fauchte ich ihn an.

Mein Gegenüber grinste nur und trat einen weiteren Schritt auf mich zu, so dass die Dielen erneut knarrten.

„Ich habe dich beobachtet... Schon eine ganze Weile...“

Ein Knurren entfuhr mir, doch ich musste mich zusammenreisen. Einem Menschen gegenüber sollte ich nicht sofort mein hin und wieder auftretendes, recht tierisches Verhalten an den Tag – oder den Abend – legen. Normalerweise spielte ich zunächst noch die Unschuldige, Schüchterne, doch in diesem Augenblick fühlte ich mich bedroht.

„Du machst mir keine Angst, Schätzchen!“ Seine eisblauen Augen funkelten böse. Er trat noch näher an mich heran und packte mein Handgelenk, sobald er zu greifen bekam. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich noch immer nackt war, doch beim Griff seiner Hand, fuhr mir etwas durch den Leib, was mich erschaudern ließ. Es fühlte sich so fremd an und doch wieder vertraut. Als ich zu ihm aufblickte, War mir plötzlich klar, was mich jetzt so verwirrt hatte.

„Ein Vampir“, flüsterte ich. „Du bist wie ich...“

„Ganz Recht.“ Sein Lächeln begann mich zu beruhigen. „Mein Name ist Sebestyén Kertész.“

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mir fehlten die Worte. Konnte das wirklich sein? Er war nicht der, den ich so lange bereits gesucht hatte, doch sein Anblick übertraf meine Erwartungen.
 

Meine Gedanken waren der Welt einrückt, als mich der dunkelhaarige Vampir erneut ansprach.

„Nicht, dass es mich stören würde, aber Du bist nackt!“

Ich erschrak fürchterlich, doch ich hatte seine Worte verstanden.

Schnell verschwand ich wieder im Schlafzimmer, doch Sebestyén war mir sofort auf den Fersen. Als ich gerade meinen Pulli überziehen wollte, packte er mich an der Hüfte und schob mich unsanft in Richtung des Bettes. Was sollte das denn werden? Ich war erschüttert über sein dreistes Verhalten. Das konnte doch nicht wahr sein!

„Lass mich los, verdammt!“

Ich schlug nach ihm. Um nach ihm zu treten, stand er zu nah hinter mir.

„Du sollst mich loslassen!“

Er lachte dieses seltsame Lachen, als er mich endlich freigab und ich mir schnell den Pullover endlich überzog, wobei ich den Unbekannten jedoch genau im Auge behielt.

„Solche Frechheiten kannst du gleich stecken lassen. Ganz egal was du bist!“

Er musste ja nicht wissen, dass er, neben meiner Erschafferin, der einzige andere Vampir war, den ich bis jetzt kannte.

„Aus welchem Jahrhundert kommst du, das du dich einer Dame gegenüber so verhältst?“

Ich zog meine Jeans fest und starrte ihn weiterhin verächtlich an. Wenn er ein Mensch wäre, hätte ich womöglich mit ihm kurzen Prozess gemacht, doch so hatte ich wohl kaum eine Chance gegen ihn.

„Eine so willensstarke Frau habe ich lange nicht gesehen. Entschuldige meine Barschheit.“ Er verneigte sich kurz und die Arroganz in seinen Augen legte sich etwas.

„Ich habe schon einige Vampire kennergelernt und wie viele von ihnen waren einfach nur geistig verwirrt, oder so willensschwach, dass ich mit ihnen alles hätte tun können. Du gefällst mir.“
 

Ich gefiel ihm also? Ein Lächeln zog sich über mein Gesicht, doch mit einem Mal musste ich wieder an Corvin denken. Ich hatte doch versprochen, ihn zu begleiten, doch dieser Sebestyén, den ich jetzt hier hatte? Was sollte ich jetzt mit ihm anstellen? Ihn wegschicken? Er war doch der einzige, in meiner Gegenwart, der so war wie ich. Das konnte ich nicht tun. Er brachte meinen Plan völlig durcheinander. Plan? Eigentlich hatte ich doch gar keinen Plan.

„Wie spät ist es?“ Fragend blickte ich zu ihm auf und wartete auf eine Antwort.

Sein abschätzender Blick hing noch einige Augenblicke an mir, bevor er auf die Uhr schaute.

„18:12Uhr“

Ein zucken durchfuhr mich. Ich war bereits zu spät. Was sollte ich nur tun? Eigentlich wollte ich dort ja nicht hin, aber Corvin war doch so unwissendlich freundlich zu mir gewesen. Ich fühlte mich dazu verpflichtet, ihm diesen Gefallen zu tun. Eine Ausrede musste her.

„Ich muss leider weg“, tat ich geschäftig und zog meinen Mantel über.

„Was? Wo willst du denn hin?“

Abermals trat er sehr nah neben mich und packte mich grob am Arm.

„Du kannst jetzt nicht gehen! Ich wollte doch...“

„Ich habe eine Verabredung!“ Dabei wand Ich mich aus seinem Griff.

„Eine Verabredung? Womöglich mit einem Mensch?“

Ich senkte ertappt den Blick und schwieg.

„Du ziehst einen Menschen mir vor? Jetzt wo du Deinesgleichen bei dir hast?“

Ich seufzte und wand mich ganz von ihm ab. Was spielte der sich denn jetzt so auf? Mimte er etwa den Eifersüchtigen? Ich kannte ihn doch gar nicht. Er war hier einfach hereingeplatzt und... Sein anfängliches Verhalten mir gegenüber fand ich zudem mehr als unangebracht.

„Es wird nicht lange dauern.“

Mein hinterhältiges Grinsen zu diesen Worten, führte ihn hoffentlich hinters Licht. Schnellen Schrittes steuerte ich den Keller an. Auf der ersten Stufe angekommen, wand ich mich noch einmal zu Sebestyén um.

„Du kannst gerne so lange hier bleiben. Ich werde mich beeilen.“
 

Ich war erleichtert, als ich endlich aus seinem Blickfeld verschwunden war. Ob ich ihn wirklich täuschen konnte? Ich war mir dabei nicht im geringsten sicher. Vielleicht hatte er mich aber auch längst durchschaut.
 

Ich verließ das Haus auf die gleiche Art wie immer, sprang über den Zaun und wechselte sofort die Straßenseite. In die erstbeste Nebenstraße bog ich ein. Das konnte ja heiter werden. Wenn mir dieser Vampir folgen würde, wäre Corvin in echten Schwierigkeiten. Ich wollte sein Leben aber nicht aufs Spiel setzen. Ich konnte nur hoffen, Sebestyén war wirklich der Meinung, ich würde hier nur schnell ein kleines Blutbad anrichten und dann sofort wieder nach Hause kommen. Warum eigentlich? Warum beließ ich es nicht tatsächlich bei einem Blutbad? Vielleicht weil es auf jeden Fall schlechtere Menschen gab, wie Corvin? Ja, ich denke, diese Worte konnte ich mir ruhig erst einmal einreden, bis mir etwas besseres einfallen würde.

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich das Kleid gar nicht angezogen hatte und stattdessen mit einem Pullover, mit hohem Kragen und einer Jeans bekleidet war. Doch wieder zurück gehen? Dann würde er ganz bestimmt Verdacht schöpfen. Es musste also auch so gehen.
 

Geraume Zeit später, war ich endlich an seinem Zuhause angelangt. Durch meine ständigen Streifzüge hatte ich mir eine recht gute Ortskenntnis eingeholt, auch wenn diese Stadt an so einigen Stellen scheinbar planlos errichtet worden war. Die Villa, in der Corvin lebte, strahlte Geld aus. Er war ganz sicher keiner der ärmsten, aber sein Geld war keineswegs mein Ziel.

An der Eingangstür standen vier Namen. Ich musste kurz überlegen, doch dann drückte ich die richtige Klingel.

Einige Augenblicke vergingen, bis sich eine Stimme meldete:

„Ja?“ Corvin klang, als wäre er völlig aufgeregt.

„Ich bin es, Francesca. Ich bin leider zu spät. Entschuldige bitte.“

„Aber das macht doch nichts. Komm rein.“ Keine Sekunde später summte die Tür. Reflexartig drückte ich sie auf, bevor sie wieder zufallen konnte. Er hatte mich hier jetzt bereits hereingebeten, aber würde das ausreichen? Ich war mir nicht sicher. Ich würde es einfach drauf ankommen lassen müssen.
 

Die breiten Stufen rochen angenehm nach altem Holz. Gemächlich schritt ich hinauf. Dieses Treppenhaus strahlte etwas aus, dass ich vor sehr langer Zeit schon einmal gespürt hatte. Diese Villa schien so alt zu sein, wie ich es wohl auch längst war. Ich war so in Gedanken versunken, dass mir die Füße, am Treppenabsatz erst auffielen, als ich unmittelbar davor stand. Erschrocken zuckte ich leicht zurück, doch als mein Blick Corvins Strahlelächeln wahrnahm, war das Wohlbefinden sofort wieder in mich eingekehrt.

„Hi. Ich freue mich so, dich zu sehen“, begrüßte er mich und ich merkte sofort, dass seine Worte wohl kaum aufrichtiger sein konnten. Sebestyéns Auftreten von Anfang an, war barsch und ungehobelt und... Ich erwischte mich dabei, dass ich bereits begann, Vergleiche zu ziehen. Er reichte mir die Hand und zu meiner Überraschung musste ich feststellen, dass auch er eiskalte Finger hatte.
 

Seine Wohnungstür stand offen und die Luft, daraus, die den Flur durchströmte, war angenehm kühl. Ich warf einen zaghaften Blick hinein und Corvin trat an die Seite. Mit einer Einladenden Geste bat er mich einzutreten, aber sollte ich dem bereits nachkommen?

Bis jetzt hatte das eintreten in eine Wohnung immer reibungslos geklappt, auch wenn derartige Worte nur so nebenbei gefallen waren. Aber jetzt? In diesem Augenblick fürchtete ich mich davor.

Ich schloss die Augen und fasste nach dem Türrahmen und ... ja, ich war willkommen. Zügig trat ich ein und lief einige Schritte vor. Seine Wohnung war aufgeräumt. Modern und schnörkellos. Nicht gerade das, was mir vorschweben würde, da ich ja aus einer ganz anderen Zeit kam, aber es hatte Stil. Stil, wie seine ganze Erscheinung es mir bereits verraten hatte.

Zaghaft blickte ich mich weiterhin um. Überall helle Räume. Am Tage war diese Wohnung ganz sicher eine Todesfalle für mich.

Corvin war mir gefolgt und als ich mich erneut zu ihm umwand, fiel mir auf, dass er auch jetzt wieder ziemlich Formell wirkte. Auch jetzt trug er wieder ein Hemd mit Krawatte über einer schwarzen Bundfaltenhose. Wie es schien, beinhaltete sein Schrank nur edlen Zwirn. Was im Grunde eine recht passende Überleitung zu meiner eigenen Art, bekleidet gekommen zu sein, war.

„Eigentlich wollte ich mich ja in Schale werfen, aber ... ich habe da ... unerwarteten Besuch bekommen und gesehen, dass ich weg kam.“

Seine Brauen rutschen sofort tiefer, als er mir fest in die Augen blickte

„Etwa Unliebsamen?“, schlussfolgerte er.

Mir blieb nichts anderes übrig als zu nicken.

„Er hat sich nicht abwimmeln lassen, da bin ich einfach gegangen.“

Corvins Blick wurde immer ratloser.

„Ist er jetzt etwa noch bei dir in der Wohnung?“

„Ja, das ist er, aber das ist in Ordnung. Er wird mir meine Wohnung schon nicht anzünden.“

Ich versuchte, zuversichtlich auszusehen, aber wirklich sicher war ich mir dabei selbst nicht.

Corvin räusperte sich und fasste nach seiner Krawatte, um diese zu lockern.

„Das macht nichts“, griff er meine zuvor gesagten Worte erneut auf. „Du siehst auch so umwerfend aus. Ehrlich.“

Dieser Kerl war so charmant. Seine Worte taten mir gut. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Warum musste er nur ein Mensch sein...
 

Als ich ihn abermals ansah, hatte er seine Krawatte wieder in der Hand. Ganz sicher wollte er sie bei dieser Veranstaltung tragen, obwohl er nur seine Tochter holen wollte. Doch er wollte eben etwas her machen und jetzt war ich es, die ihn davon abbrachte. Noch während er seine Krawatte in der Hand hielt, streckte er zaghaft die Finger nach meinem Gesicht aus. Behutsam strich er mir über die Wange und ich schloss sofort wieder die Augen. Seine kaum wärmer gewordene Hand fühlte sich dennoch gut an.

„Ich werde nichts tun, was du nicht willst, hörst du?“, flüsterte er.

Ich nickte nur und genoss weiterhin seine Berührung. Sein Puls wurde schneller. Ich spürte es. Ich konnte ihn hören. Sofort riss ich wieder die Augen auf, weil ich mit einem Mal das Bedürfnis verspürte, mich versichernd umzuschauen, dass ich auch nicht in der Nähe eines Spiegels stand, doch ich konnte von meinem augenblicklichen Standpunkt nichts ausmachen.
 

Während ich mich angestrengt umsah, bemerkte ich erst im letzten Moment, dass sich seine Lippen meiner Wange näherten und er mich schließlich küsste. Es war eine so zaghafte Berührung, dass ich sie kaum wahrnahm, doch ich nahm sie war. Weiche, warme Lippen. Er hatte sich rasiert. Seine Haut fühlte sich so glatt an.
 

„Wir sollten los“, flüsterte ich plötzlich und brachte ihn sofort von seinem Tun ab. Nichts zulassen, was vielleicht zu weit gehen könnte, ermahnte ich mich selbst, auch wenn ich mich dabei gleichermaßen selbst hasste. Wie gerne würde ich es zulassen...
 

Schweigend nicke er und ich folgte ihm schließlich aus der Wohnung, die Treppe hinunter und hinters Haus.

Dort befanden sich zwei Garagen. Ob Corvin beide gehörten, konnte ich nicht beurteilen. Er ließ ein Tor nach oben schnellen und was dahinter zum Vorschein kam war groß und sah ungemein teuer aus. Ich kannte mich mit den ganzen verschiedenen Marken nicht aus und um ehrlich zu sein, interessierte mich das auch recht wenig. Der Wagen war silbermetallic und spiegelte dadurch nicht ganz so stark, wie manch anderes Auto.

„Nicht schlecht“, flüsterte ich, doch er hatte meine Worte verstanden.

„Genaugenommen handelt es sich bei diesem Wagen um ein Firmenauto. Ich benutze ihn sehr selten, da ich nicht mehr sehr oft hier bin. Unsere Firma selbst, hat zwar Parkplätze, aber keine Möglichkeit, ihn über längere Zeit anständig unterzubringen.“

Warum erzählte er mir das nur? Hatte er so viel Vertrauen?

„Hast du keine Angst, dass er dir von hier aus gestohlen werden könnte, wenn du auf Reisen bist?“

Ich verschränke die Arme vor der Brust.

„Nein. Da bin ich mir sicher. Ein ausgeklügeltes Überwachungssystem hält Einbrecher mittlerweile fern. Nur zweimal hatten sie insgesamt versucht, hier herein zu gelangen. Unsichtbar angebrachte Kameras, eine sofortige Alarmierung bei der hiesigen Polizei. Mein Chef lässt sich das schon etwas kosten. Mehr brauche ich denke ich nicht sagen und jetzt steig doch bitte ein.
 

Unsere Fahrt dauerte eine reichliche halbe Stunde auf der Bundesstraße und als er schließlich in eine zwar breite, dennoch recht wenig befahrene Straße einfuhr und vor dem zweiten Haus stehen blieb, musste ich für einen Augenblick meine Gedanken ordnen.

„Dieses Haus gehörte einst Romina und mir. Nun, viel mehr gehörte es Ihren Eltern. Sie wohnten zwar nicht mit hier, doch ihr Vater hatte wohl so gut wie alles finanziert. Mir blieb also nicht viel, als ich ging. Sie haben mich gerupft, wie eine Gans.“

Während ich aus dem Fenster starrte und mich Augenblicklich in einem Vergleich, mit seinem jetzigen Wohnsitz wiederfand, spürte ich plötzlich seine Hand auf meiner Schulter und fuhr sofort herum.

„Kann es losgehen?“, fragte er unruhig.

„Etwa jetzt gleich?“ Ich warf sofort wieder einen Blick zurück zum Haus. An der Eingangstür erkannte ich eine Frauengestalt. Ganz bestimmt war sie das.

Als ich Corvin erneut anblickte, hingen seine Augen auch an der Person in der Tür. Ich lag also richtig und im selben Moment hielt mich nicht länger davon ab, ihm einen anständigen Kuss auf die Lippen zu geben. Ich bemerkte seine Überraschung und doch lag in seinen Augen Dankbarkeit. Das Spiel konnte also beginnen.
 

Rasch war er aus dem Wagen gestiegen, um mir die Tür zu öffnen. Langsam wagte ich mich heraus.

„Das ist sie“, flüsterte er, als er ihr den Rücken zugewandt, die Wagentür wieder schloss. Ich nickte und richtete meinen Mantel. Corvin war unruhig. Sehr unruhig sogar. Hatte er vielleicht Angst? Um ihn etwas abzulenken, griff ich nach seiner Hand, während er neben mir lief. Mein Blick hing sofort fest an der schlanken, blonden Frau. Das war also die Mutter seiner Tochter. Die Frau, die ihm sein eigenes Kind vorenthielt. Ihr schmal geschnittenes Kleid war in einem dezenten altrosa gehalten. Ihre Schuhe mit einem Absatz, auf dem ich mich selbst kaum zu laufen wagte, unterstrich ihre Größe noch um einiges. Mit diesem Schuhen überragte sie meinen Begleiter wenige Zentimeter.

„Hallo Corvin“, sagte sie lächelnd, reichte ihm die Hand und bestrafte mich mit Missachtung.

Ganz deutlich spürte ich sofort Antipathie für diese Person in mir aufkommen, doch anstatt dass Corvin ihre Hand griff, legte er seinen Arm um mich.

„Darf ich dir zuerst Francesca vorstellen?“

Romina verdrehte genervt die Augen und blickte schließlich mit einem mehr als falschen Grinsen auf mich herab.

„Sicher.“

Ohne umschweife reichte ich ihr die Hand. Unwillig fasste sie schließlich nach einigem zögern danach und ich gab ihr einen ersten Geschmack meiner nichterahnten Kraft.

„Sehr erfreut“, gab ich ihr genauso zynisch zu verstehen.

Zügig schüttelte sie sich von meinem Griff frei. Die Erschütterung in ihren Augen machte mir Spaß.

Wie konnte Corvin mit dieser Person nur zusammengewesen sein? Glücklich war er ganz sicher nicht gewesen. Und wenn doch? War es sicherlich nicht von all zu langer Dauer. In früheren Zeiten wären Weibsbilder wie sie ganz sicher als Hexe bezeichnet und verbrannt worden.

Stimmengewirr im Hintergrund wurde gut hörbar. Romina wand sich ab und lief zurück ins Haus.

„Wo ist Adriana?“

Corvin hatte, wie es schien, nicht vor, hier länger als nötig zu verweilen.

„Kommt doch erst einmal mit rein“, bekamen wir jedoch als Antwort.

Corvin warf mir einen ratlosen Blick zu, doch er kam ihrer Bitte, welche mich ebenfalls beinhaltete, nach. Hier herein zu gelangen, war also einfacher gewesen, als ich es angenommen hatte. Der große Vorraum, gab über eine doppelflügelige Tür den Blick frei, in einen Raum, in dem sich so einige Menschen aufhielten. Leise Musik dudelte im Hintergrund. Dort standen ganz bestimmt die Bilder.

„Was ist nun mit Adriana?“

Die blonde Frau gluckste herum und wand sich schließlich von uns ab, um wieder bei ihren Gästen unterzutauchen.

„Sie ist bei meiner Mutter. Du kannst aber gerne noch bleiben.“

Mit diesen Worten war sie in den Nebenraum verschwunden.

Du? War ich jetzt also bereits wieder Luft...

Corvin entfuhr ein Knurren. Eine Sache, die ich eigentlich nur von mir kannte. Ich griff sofort wieder seine Hand, um ihn zu beruhigen.

„Dann lass uns dahin fahren und sie von dort holen. Wo ist denn das Problem?“

„Das Problem ist, dass ich auf diesem Gelände Hausverbot habe. Ihr Mutter würde sofort die Polizei alarmieren und außerdem sind ihre drei Hunde auf mich abgerichtet. Vor Chihuahuas oder Zwergpudeln hätte ich ganz sicher keine Angst aber wir sprechen hier von drei ausgewachsenen Bulldoggen.“

Mein Mund blieb offen stehen, als er mir diese Worte offenbarte. Das konnte ich einfach nicht glauben. Erst bestellte uns diese Peron hier her und dann so etwas?

„Das ist jetzt hoffentlich ein Scherz!?“

„Nein. Sie scherzt für gewöhnlich nicht.“ Bedrückt senkte er den Blick. „Was mache ich denn jetzt?“

Corvins mehr als zerknirschter Blick wurde schließlich ganz von mir abgefangen. Ich überlegte, was ich ihm sagen sollte. Ich würde ihn gern etwas aufbauen, aber wie.

„Lass uns noch ein bisschen hier bleiben“, schlug ich schließlich vor. „Vielleicht hat sie uns angelogen und die Kleine ist doch irgendwo.“

„Das denke ich nicht“, gab er prompt zurück. „Wäre sie hier, hätte sie mich längst begrüßt. Da hätte sie auch Romina nicht aufhalten können.“

Gedankenverloren strich er mir übers Haar.

Ich stellte mich näher zu ihm und schloss ihn in die Arme. Noch immer standen wir in der Halle und hier waren wir allein. Hin und wieder fiel einer der Blicke, der sich dort befindlichen Personen auf uns, doch im Grunde waren wir unbeobachtet.

„Könnten wir uns dann wenigstens noch ihre ach so tollen Bilder ansehen?“

Kritisch verzog ich das Gesicht. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. Von hier aus konnte man jedenfalls noch nicht viel erkennen.

Corvin seufzte. Viel lieber wäre er sicherlich sofort wieder gegangen, was natürlich völlig verständlich war, doch mir zuliebe schien er diesen Aufbruch noch etwas zu verschieben.

„Na schön. Wir bleiben noch ein bisschen, wenn wir schon einmal hier sind.“
 

Er hakte sich bei mir ein, als wir den großen Raum betraten. Hier wimmelte es nur so von Menschen. Zu meinem Entsetzen fühlte ich mich augenblicklich überfordert. Hatte ich mich doch schon so lange nicht mehr an derartige Menschenmassen herangewagt. Der Raum schien brechend voll. Tische, Statuen, Bilder an Wänden und auf diesen Holzständern. Und natürlich jede Menge fremde Personen. Ich begann mich an Corvins Arm festzuklammern. Eine Sache die er sofort bemerkte.

„Willst du vielleicht doch lieber wieder gehen?“

Ich schüttelte sofort den Kopf , doch dann geriet Romina wieder in mein Blickfeld. Sie unterhielt sich gerade angeregt mit einigen anderen Damen, doch als sie meinen Blick bemerkte, gab sie noch ein paar abschließende Worte von sich und verschwand schließlich an uns Beiden vorbei, wieder in der Halle.
 

War das jetzt ihr Plan? Corvin mit Missachtung strafen? Was war das nur für eine Person? Sie kam auf ihren Stöckelschuhen dahergestakst wie ein Hahn und machte auf mich einen alles andere als sympathischen Eindruck.

In mir stieg augenblicklich Groll auf diese Person auf und ich erstarrte in der Bewegung. Was ging nur jetzt schon wieder in mir vor? Ein solches Verhalten kannte ich gar nicht mehr von mir. Versuchte ich Corvin gerade in Schutz zu nehmen? Auf seiner Seite zu stehen?
 

Um mich abzulenken, sah ich mich im Zimmer genauer um. Die Gestecke hier auf den Tischen erinnerten mich eher an Grabschmuck, als an eine Aufmunterung an eine festlichen Veranstaltung. Und ohne, dass ich es verhindern konnte, musste ich an den klischeehaften Glauben der Menschen denken: Friedhöfe, Särge, Grüfte... Ein Schmunzeln lag mir sofort auf den Lippen. So falsch konnte ich hier also gar nicht sein.

Ich befreite mich von seinem Arm und betrachtete mir schließlich ein paar ihrer Bilder genauer. Was ich darauf sah, überraschte mich, denn ich konnte es nicht im geringsten deuten. Für mich waren diese Leinwände für diese Schmierereien völlig verschwendet worden. Schulterzuckend lief ich weiter, um mir das nächste, nicht minder hässliche Bild anzusehen. Sollte das wirklich Kunst sein? Vielleicht war ich einfach viel zu alt und zu altmodisch, um das zu verstehen.
 

Mein Begleiter hielt mir plötzlich ein Glas Champagner entgegen, doch ich lehnte mit einem Lächeln ab.

„Danke, ich brauche nichts. Mein Magen ist irgendwie immer noch etwas angegriffen, von gestern“, log ich.

Um seiner Nettigkeit aus dem Weg zu gehen, entschloss ich mich zu Plan B.

„Ich denke, ich werde erst einmal die Toilette aufsuchen. Kann ich dich hier allein lassen?“

Auf irgend eine Art fühlte ich mich nicht wohl dabei.

„Aber klar“, gab er mir zuversichtlich zu verstehen. „Das hier war doch auch einmal mein Haus. Ich komme schon zurecht.“

Die Tatsache, dass er hier selbst einst lebte, war mir dabei gar nicht in den Sinn gekommen. Viel mehr die Tatsache, dass er hier unter argwöhnischen Augen, einer Missgunst ausgesetzt war, die mich wütend machte.

„Ich beeile mich.“ Mit diesem Worten ließ ich mich abermals zu einem Kuss hinreißen, bevor ich verschwand.
 

Ich begab mich auf der breiten Treppe sofort nach oben, doch auf halber Höhe hielt ich bereits wieder an und lauschte.

„Sieh dir dieses Mädchen an“, vernahm ich eine Stimme aus der Küche.

„Was hat er sich denn dabei gedacht? Die ist doch bestimmt noch nicht einmal zwanzig. Vielleicht noch nicht einmal volljährig.“

Dann gab sie ein angewidertes Schnauben von sich. Ihre Gesprächspartnerin jedoch kicherte.

„Das habe ich dir doch gleich gesagt. Er rennt dem nächsten Rock hinterher, habe ich gesagt.“

Dann waren Geräusche von sich öffnenden und wieder schließenden Schranktüren.

Kurz darauf hörte ich Schritte. Ich trat vollends auf die nächste Etage und verbarg mich schnellstens hinter einem der zahlreichen Vorhänge. Es war nicht Romina, die mit einem weiteren Tablett beladen, an mir vorbeistöckelte.

Diese war also noch in der Küche. Das war meine Chance. Mit zügigen Schritten trat ich ein.
 

„Oh“, gab ich mich überrascht und blickte sie mit großen Augen an. „Ich wollte eigentlich zur Toilette...“

Romina sah überheblich von oben auf mich herab, was bei ihrer Größe kein sonderliches Talent erforderte.

„Da hättest du zwei Türen früher rechts abbiegen müssen, Mädchen.“ Mit diesen Worten wand sie sich von mir ab. Sie konnte wohl meinen Anblick nicht ertragen.

Sah ich wirklich so jung aus? Kam sie sich vielleicht in meiner Gegenwart alt vor?

„Warum haben Sie Adriana eigentlich gerade heute zu ihrer Großmutter gebracht? War nicht eigentlich abgemacht, dass Corvin sie hier abholen kommt?“

Ich erahnte ihr hämisches Grinsen, auf meine Worte hin nur, da sie mir auch jetzt noch den Rücken zuwand.

„Ich finde, dass geht dich nichts an.“

Romina strafte mich mit einem finsteren Blick. Ich spielte die Unschuld vom Lande. Längst wusste ich, dass sie ihm nur wieder eins auswischen wollte.

„Hat er nicht das gleiche Recht, sie zu sehen? Erst recht, wenn es Gerichtlich festgelegt wurde?“

„Mädchen...“

„Francesca!“ ,unterbrach ich sie barsch.

„Wie dem auch sei. Die Kleine hat hier nur das Treiben verrückt gemacht und meine Mutter bot sich eben kurzfristig an, sie zu sich zu nehmen.“

Na klar, dachte ich mir. Für wie dumm hielt mich diese Person?

„Na schön. Ich denke, dass hat keinen Sinn...“

Ich verließ die Küche und blickte in die breite Halle hinunter. Ich konnte an dieser Frau einfach nichts gutes finden. Wenn ihre Mutter so war wie sie, konnte ich verstehen, dass Corvin dort nicht mehr hinwollte. Hinter mir hörte ich Schritte. Romina hatte wie es schien, das nächste Tablett mit Kanapees zurecht gemacht. Absichtlich bog ich in die falsche Richtung ab. Ich hatte einen Plan und den würde ich jetzt versuchen, umzusetzen...

*-...-*6*-...-*

Ich betrat die Treppe, welche mich noch eine Etage nach oben führte und bemerkte aus dem Augenwinkel heraus sofort, dass sie mich gesehen hatte.

„He! Wo willst du hin?“, gab sie erbost von sich. Ich jedoch stellte mich taub. Na komm schon. Laufe mir hinterher...

„Du hast da oben nicht zu suchen, Francesca!“

Mit dem Tablett in der Hand folgte sie mir schließlich. Wenn ich mich hätte darauf konzentrieren können, hätte ich mich hier genauer umgesehen. Das war wirklich ein schönes Haus.

„Verdammt! Mach dass du wieder nach unten kommst!“

Endlich reagierte ich auf ihre Versuche, mich mit Worten anzuhalten und schenkte ihr ein nichtzudeutendes Lächeln, doch an anhalten dachte ich dabei nicht.

Die erste Tür hier auf dem Flur, war nur angelehnt und gab den Blick auf ein Doppelbett frei. Ganz sicher war das ihr Schlafzimmer. Ich schlüpfte hinein und wartete. Romina ließ auch nicht sonderlich lange auf sich warten. Kaum hatte sie das Zimmer betreten, schlug ich hinter ihr die Tür zu. Vor Schreck ließ sie augenblicklich das Tablett fallen.

„Kannst du mir verraten, was das werden soll!?“ Ihr Kopf war so rot, dass er wohl jeden Moment zu platzen drohte. Ich hingegen grinste sie weiterhin nur an. Es machte mir Spaß.

„Sieh dir die Sauerei an!“

Ungerührt dessen, stützte ich die Hände in die Hüfte und schritt auf sie zu. Sie hingegen wich vor mir zurück.

„Sauerei?“ Dabei trat ich durch das Essen hindurch und drückte es jetzt erst richtig in die Teppichporen. „Die einzige Sauerei, die mir bis jetzt aufgefallen ist, ist dein Verhalten Corvin gegenüber.“

Für einen kurzen Augenblick hatte sie tatsächlich ein hinterhältiges Grinsen im Gesicht, doch dieses verging ihr recht schnell wieder, als ich mich ihr weiterhin näherte.

„Diese Flasche hat es nicht anders verdient!“, versuchte sie ihr Verhalten zu rechtfertigen. „Wenn ich gewusst hätte, was er für ein...“ Romina verstummte kurz, als ich mich ihr entgegenstellte. „Willst du mich bedrohen? Du bist doch noch ein Kind! Vor dir habe ich ganz sicher keine Angst!“

Diese Worte hatte ich bereits so oft gehört, dass sie mich mittlerweile nur noch langweilten.

„Ich werde jetzt die Polizei rufen!“

Sie wollte mich unsanft aus dem Weg schieben, um wieder nach unten zu gehen, doch mit einem kräftigen Stoß riss ich sie sofort von den Beinen.

„Was zum Geier soll das?!“

Romina war zutiefst erschüttert und endlich begann ich ihre Angst zu spüren.

„Ich finde, du hast eine Strafe verdient...“

Ich wand mich kurz von ihr ab, um die Tür von innen zu verschließen und ließ den Schlüssel in meiner Hosentasche verschwinden. Indessen hatte sie es wieder auf die Beine geschafft.

„Das soll wohl ein Scherz sein?“ Eine mehr als verdächtige Bewegung ihrerseits, auf eine der hinteren Ecken des Raumes zu, sagte mir sofort, dass sie dort eine Alarmanlage hatte. Ich schnellte auf sie zu und riss sie neuerlich von den Füßen. Mit diesen Schuhen war das ein leichtes Spiel für mich.

„Lass mich gefälligst gehen!“, drohte sie mir und wollte nach mir fassen, um mich ebenfalls auf den Boden zu befördern, doch es gelang ihr nicht.

„Ganz bestimmt nicht!“ Zunächst war es noch der Wunsch gewesen, sie auch ein bisschen leiden zu lassen, doch ich hatte es jetzt ganz bestimmt längst übertreiben. Ich war mir sicher, dass dies bereits zuviel war. Also konnte ich genauso gut noch ein bisschen weitermachen. Nur ein bisschen und sollte es notwendig werden, würde ich einfach verschwinden. Das würde zwar heißen, dass ich diese Stadt ganz verlassen müsste und ich Corvin nie wieder sah, doch wenn es nicht anders ging, musste es eben sein.
 

Mein Schlag mit der Faust traf genau ihr Gesicht. Ihre Augen weiteten sich. Das hatte sie jetzt ganz bestimmt nicht erwartet. Ein weiterer Schlag in ihr Gesicht, ließ ihre Nase knacken. Hin und wieder war ich mir meiner Kraft einfach nicht bewusst. Sie fing sofort an zu bluten und dieser Anblick machte mich schließlich völlig rasend. Er weckte wieder das, was tief in mir schlummerte und doch so schnell zu wecken war. Ich konnte mich nicht zurückhalten. Diese Frau war im Augenblick für mich der Inbegriff an Verachtungswürdigkeit, dass ich mir schließlich Mantel und Pulli auszog und beides auf das breite Bett fallen ließ.

„Was hast du vor?“ Mit einem Mal klang Romina verängstigt.

Das ich beides auszog, hatte jedoch nur den Grund, dass ich mich nicht wieder derartig vollsaute. Ich schritt wieder auf sie zu. Ihre Knie schienen so sehr zu zittern, dass sie es nicht erneut auf die Beine schaffte. Wie ein Häufchen Unglück kauerte sie auf dem Boden und nahm flehend die Hände vor ihr Gesicht.

„Bitte vergib mir. Ich wollte doch nicht, das Corvin eine Schlägerin hier heranschleppt! Ich gebe dir was du willst! Was zahlt er dir dafür?“

„Was er mir zahlt?“ Hatte ich mich da gerade verhört? Dachte sie allen ernstes, er gab mir Geld dafür, das ich diese Person... Schön, er sagte zwar dass er mich bezahlen wollte, aber nur weil ich hier seine Freundin spielen sollte, aber sollte Romina das interessieren? Nein, ich denke nicht, dass sie das etwas anging.

„Das was er mir dafür versprochen hat, könntest du mir ganz gewiss niemals geben.“

Romina stieß einen Schrei aus, doch meine Hand fasste nach ihrem Mund und sie begann augenblicklich zu nach Luft zu schnappen, da sie durch die Nase wohl nicht mehr atmen konnte.

„So läuft das nicht, Schätzchen. Ich denke, du hast den Tod verdient...“

Diese Worte sollten sie lediglich verschrecken. Ich meinte sie als Drohung, wie musste sich das anhören? Als hätte ich eine derartige Wut auf diese Frau? Zurücknehmen konnte ich diese jedoch auf keinen Fall.

Während ich sie noch immer fest am Arm hielt, wobei sie sich zunächst noch mit wilden Bewegungen aus meinem Griff zu befreien versuchte und mit der anderen Hand ihren Mund verschloss, dass sie nicht doch noch zum Schreien kam, schnupperte ich an ihrem Hals und zog tief ihren Duft ein. Sie roch gut. Nach Blüten. So frisch. So lebendig. Mit dem Lippen fuhr ich ihr schließlich über die Vene am Hals. Das rasende Blut darin, ließ meine letzte Hemmung fallen und mein Gebiss versenkte sich in ihrer rosigen Haut, dabei gab ich jedoch ihren Mund wieder frei. Die meisten Menschen waren bei dieser Art von Berührung wie paralysiert. Bei ihr hier schien es wohl jedoch nicht so recht zu funktionieren.

„Was bist du für ein Monster...?“, flüsterte sie. Ihre Atmung ging schwer und abermals setzte sie zu einem Schrei an, was mich schließlich dazu brachte, ihr doch den Mund wieder zuzuhalten. Ihre Gegenwehr schwand rasch und ich merkte, dass ihr Herz bereits aufgehört hatte, zu schlagen, noch bevor ich so richtig in den Genuss ihres, mit Alkohol angereicherten, Blutes kam.

Meine Gedanken begannen zu rasen und mit einem Mal überkam mich das Gefühl von Abscheu. Ich ließ schleunigst von ihr ab und wich einige Schritte zurück. Was hatte ich getan? Mit dem Gesicht nach unten lag sie vor mir. Nur wenig Blut sickerte aus der Wunde an ihrem Hals. Die wilde Bestie in mir hatte wieder ganze Arbeit geleistet. Verunsichert sah ich mich um. Ich hatte die Mutter von Corvins Tochter getötet. Aber warum? Für ein paar Frechheiten, die genau genommen nicht mich betrafen, stattdessen gegen einen fast fremden Menschen gerichtet waren? War das der Grund? Es fühlte sich plötzlich so falsch an. Aber was hatte mich wirklich dazu getrieben? War es vielleicht doch die Tatsache, dass ich einen gewissen Gefallen an Corvin entwickelt hatte und eine Rache für ihr Verhalten von daher für mich unausweichlich schien? Wenn er davon erfahren würde, wäre mein Spiel vorbei.
 

Egal was es war: Ich musste von hier weg. Verschwinden, so schnell wie möglich. Kurz wischte ich mir mit dem Arm über den Mund und durfte feststellen, dass er dieses Mal nahezu sauber geblieben war. Da bemerkte ich einen Schatten auf dem Balkon und fuhr herum. War meine Tat bereits aufgeflogen? Doch es war der dunkelhaarige Vampir. Er hatte ein seltsames Grinsen im Gesicht. Meine Augen weiteten sich. Wie kam er nur hier her? War er Corvin und mir gefolgt? Unmöglich konnte es anders sein.
 

Sein Blick fiel zunächst auf Romina und schließlich wieder zu mir, wobei er verzückt in die Hände klatschte.

Gute Arbeit, Francesca, las ich von seinen Lippen ab. Dieses Glas schirmte jegliches Geräusch von außen ab. Also trat ich schließlich an die Terrassentür heran, um diese zu öffnen.

„Bemerkenswert, in welcher kurzen Zeit zu ihr Leben beendet hast. Du spielt nicht gerne mit deinen Opfern, wie?“

Seine Art, wie er mir diese Worte nahe legte, gefiel mir nicht.

„Sie ist erstickt. Ich habe ihr Leben nicht beendet.“ Doch was nützten denn diese Worte noch? Ihr Leben war erloschen und ich hatte mein Finger im Spiel.

Abermals blickte ich auf den Boden.

„Wenn du hier jetzt fertig bist, sollten wir verschwinden.“ Sebestyéns Blick war ernst. Er war sich dem Ausmaß meiner Tat sofort bewusst.

Ich hingegen hatte noch nie eine reiche Person, oder eine, welche aus guten Haus zu stammen schien, getötet. Für mich war das hier jetzt Neuland. Obdachlose und Verstoßene der Gesellschaft waren jahrelang mein Ziel gewesen. Aber dieser Dominic? Und wieder fiel mir sein Name ein. Er hatte ganz bestimmt Familie und Menschen um ihn herum, die ihn mochten. Wurde ich meiner Opferwahl untreu?

Ich trat an das breite Bett und zog mir meinen Pulli und den Mantel wieder über und folgte Sebestyén auf die Terrasse, doch ich verharrte in der Bewegung, als mir Corvin schließlich wieder in den Kopf kam.

Wie würde er wohl reagieren, wenn er herausbekam, wer ihrem Leben ein Ende gesetzt hatte? Hatte ich wirklich geglaubt, er würde nach dieser Erkenntnis noch mit mir zusammen sein wollen? Oder mich auch nur ansatzweiße in seiner Gegenwart dulden? Vielleicht sogar hin und wieder ein paar Schlucke seines kostbaren Lebenssaftes freiwillig an mich abgeben? So etwas geschah doch nur im Märchen! Ich würde ihn also nie wieder sehen. Ein seltsames Stechen fuhr mir plötzlich in die Brust und ich trat schließlich wieder in das Schlafzimmer zurück. Sebestyéns Hand war zu langsam, um mich zu greifen und davon abzuhalten.

„Was tust du da? Bist du von Sinnen?!”
 

Wenn ich Corvin schon nie wieder sehen sollte, wollte ich mich wenigstens von ihm verabschieden, bevor ich verschwand.

Ich konnte mir nicht erklären, was mich zu diesem, für mich völlig untypischen Verhalten brachte, doch wenn man es einmal genauer betrachtete, hatte ich doch gar nichts zu verlieren. Meine Unschuld hatte ich längst verloren. Sie wurde mir genommen, als mich diese Frau von Einst, zu dem machte, was ich jetzt war.

„Komm wieder her. Wir müssen weg! Ich verbiete dir, irgendwelche weiteren Dummheiten zu machen!“

„Du gibst mir Befehle?“ Ich blickte zu Sebestyén hinüber.

Diese Art an ihm gefiel mir überhaupt nicht. Ständig schien er die führende Rolle übernehmen zu wollen. Waren alle Vampire so? Wie lange war ich denn bereits auf mich allein gestellt gewesen? Ich erinnere mich nicht, doch es war bereits lang genug.

„Na schön. Aber ich denke, wir werden uns wieder sehen...“

Ich hörte einen Windhauch und als ich mich erneut zu ihm umwand, war er verschwunden.
 

Ich atmete tief durch und kramte schließlich den Schlüssel wieder aus der Hosentasche. Zaghaft steckte ich ihn ins Schloss zurück. War es vielleicht doch ein Fehler, wieder ins Haus zurück zu kehren? Ich lauschte unruhig, konnte jedoch keine verdächtigen Geräusche hören. Also nahm ich meinen Mut zusammen...

*-...-*7*-...-*

Nachdem ich einen vorsichtigen Blick hinaus gewagt hatte und mir niemand weder in Auge noch zu Ohren kam, trat ich schließlich hinaus. Mein unruhiger Blick fiel erneut in das Schlafzimmer. Die kleine Blutlache unter Romina war größer geworden. Ich zog den Schlüssel ab und verriegelte die Tür jetzt von außen. Und auch hier zog ich ihn wieder ab um ihn abermals wieder verschwinden zu lassen. Angespannt schritt ich über den Gang. Von hier aus war jetzt auch wieder die Musik zu hören. Ein kurzer Blick in die Küche gab mir die Gewissheit, dass sich auch hier niemand aufhielt. Wie es schien, hatte mein Tun tatsächlich noch niemand mitbekommen. Mein Weg würde mich jetzt erst einmal zur Toilette führen. Nach Rominas Beschreibung fand ich diese auch gleich.

Ein riesiges Badezimmer. Die hellen Fließen brannten mir für einen Moment lang in den Augen. Zügig trat ich an eines der beiden Waschbecken. Die Spiegelbeleuchtung ging sofort an, doch diese würde mir auch hier nicht viel nützen. Ich legte den Schlüssel neben die zahlreichen Duftfläschchen, die zum Himmel stanken, und wusch mir erst einmal ausgiebig mein Gesicht. Das tat mir jetzt ungeheuer gut. Das warme Wasser versetzte mich für einen kurzen Augenblick zurück in die Zeit, in der ich noch ein Spiegelbild hatte, doch als ich aufblickte, war dieses natürlich nicht zu sehen. Schnell griff ich mir ein Handtuch.

Den Schlüssel warf ich kurzerhand in die Toilette und betätigte anschließend die Spülung.
 

Als ich nach draußen trat, kam mir die andere Frau entgegen, mit welcher sich Romina zuvor in der Küche ausgetauscht hatte. Abschätzig begutachtete auch sie mich, doch ihr Blick hatte auch etwas fragendes.

„Hast du Romina gesehen?“

Sie wartete kurz.

„Sie hatte sich wohl etwas auf ihr Kleid gekleckert und wollte sich kurz umziehen“, gab ich zurück und schätzte abermals die Tatsache, dass ich nicht rot werden konnte.

„So lange wird das sicherlich nicht dauern.“

Ich wand mich zum gehen, doch ich hielt inne, als sie weitere Worte an mich richtete.

„Nicht bei dieser Frau.“ Kurz sah ich ein Schmunzeln in ihrem Gesicht. „Na schön.“ Mit diesem Worten trat sie selbst den Weg nach unten wieder an. War es so leicht gewesen, sie davon abzuhalten, nach ihr zu sehen?

„Wenn sie dir über den Weg läuft, sag ihr, dass Fredo bereits gegangen ist und sie anrufen wird wegen der Bilder. Ich muss jetzt auch los, Mädchen.“

Was? War ich jetzt der Botenjunge? Wie es mir auf die Nerven ging, dass mich hier alle für ein Kind hielten. Gut und gerne konnte ich ihre Urgroßmutter sein!

Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Das wäre ja noch schöner gewesen! Zum Glück würde jetzt niemand mehr diese scheußlichen Bilder kaufen. Innerlich war ich erleichtert über dieses Wissen. Zügigen Schrittes verließ ich die obere Etage.
 

Die in Quadraten angeordneten Fliesen hier unten in der Halle, ließen den runden Raum irgendwie seltsam wirken. Beim betreten dieses Hauses, waren mir diese gar nicht aufgefallen und endlich gab sich mir die Gelegenheit, mich hier genauer umzusehen. Dieses Haus war wunderschön. Und ganz sicher wurde auch noch jede Menge Geld in dieses Aussehen gesteckt. Ich warf einen Seitenblick in den Raum, mit den Bildern und den Menschen, um endlich zu Corvin zurück zu kehren, doch ich schlug, als ich ihn von hier aus nicht ausmachen konnte, den Weg nach draußen ein. Ich brauchte noch einen Moment für mich selbst. Mein Weg führte mich um das Haus herum in den sehr einladend gestalteten Garten. Ganz bestimmt gab es hier einen Gärtner. Ganz alleine war dieses riesige Grundstück sicherlich nicht zu bewältigen. Ich schritt an weißen Rosen vorbei und unter dem mit roten Kletterrosen bewachsenen Pavillon fiel mir erneut der dunkelhaarige Vampir auf. Er war also noch hier? Diese Tatsache verärgerte mich!

„Warum spioniert du mir nach?“, flüsterte ich erbost.

Sebestyén presste die Lippen fest zusammen.

„Warum? Weil es mein gutes Recht ist!“ Er verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich weiß nicht was du meinst“, gab ich ihm prompt zurück.

„Was du brauchst, ist eine starke Hand. Viel zu leichtsinnig gehst du mit deinen Fähigkeiten um. Hat dich keiner eingewiesen, in das Vampirsein?“

„Nein! Meine Erschafferin machte sich sofort aus dem Staub und ließ mich elendig verrecken!“ Die Wut auf diese Worte hin, brachte wohl ein leuchten in meine Augen, welchem meinen Gegenüber für einen Augenblick verunsicherte. „Mein Ehemann war das erste Opfer, welches ich hervorbrachte“, sprach ich weiter „und du bist der erste Vampir, der sich mir zu erkennen gibt!“ Sollte er es doch wissen. Eine derart bleierne Schwere hatte ich lange nicht gefühlt.

„Dann brauchst du erst recht Gesellschaft unseresgleichen...“

Doch er brach ab und deutete stattdessen mit dem Kopf in Richtung des Pflasterweges, auf welchem ich hier her gelangt war.

„Hinter dir steht dein Freund. Trenne dich von ihm, bevor du es bereust.“
 

Zaghaft blickte ich zurück und erkannte Corvin.

„Er ist nicht mein....“, doch als ich mich schließlich wieder zu Sebestyén umwandte, war dieser verschwunden. Wie hatte er das gemacht?

Ich trat den Rückweg an. Dieser Vampir war mir irgendwie unheimlich. Etwas an ihm kam mir seltsam vor.

Corvins Blick war finster, als ich mit schnellen Schritten auf ihn zulief. Ich war innerlich von einer derartigen Unruhe erfüllt, dass es mir zunächst noch schwer fiel, ihm in die Augen zu schauen.

„Lass uns verschwinden, ja? Jetzt gleich!“

„Sicher.“ Corvin nickte, warf mir aber einen fragenden Blick zu, sprach seine Frage jedoch nicht aus. Stattdessen legte er vorsichtig den Arm um mich und ich merkte sofort, seine nicht minder starke innerliche Anspannung.

„Ich hätte dich jetzt ohnehin gesucht. Ich hatte es drinnen nicht länger ausgehalten.“

Meine Hand suchte schließlich nach der seinen und klammerte sich daran fest.

„Entschuldige, dass ich anstatt zurückzukehren, in den Garten gegangen bin. Ich brauchte einfach frische Luft. Diese Romina ist einfach...“

„Hat sie dich beleidigt?“ Er hielt mich an und sein Blick hatte noch immer die gleiche Ernste.

Ich versuchte zu Lächeln.“ Nichts, was ich nicht wegstecken würde. Ich habe ein starkes Ego.“

Mein Lächeln stimmte ihn augenblicklich ruhiger.
 

Als wir an seinem Auto angekommen waren, begann ich mich sehr unwohl zu fühlen. Zu recht, das war mir klar, aber mehr Angst hatte ich davor, was jetzt wohl geschehen würde. Nahm er mich wieder mit zu sich nach Hause? Oder sollte ich mich vielleicht besser irgendwo von ihm absetzten lassen? Meine Tat brachte mein Inneres bereits jetzt so weit von ihm weg. Ich wollte mich doch nur verabschieden...

Corvin war während meiner Überlegungen bereits eingestiegen und blickte mich erwartungsvoll an. Mit einem Seufzen setzte ich mich endlich zu ihm.
 

Kaum hatten wir die Stadt verlassen, brach er schließlich sein Schweigen.

„Wer war dieser Kerl?“

Ich blickte überrascht zu ihm hinüber. War das allen ernstes jetzt genau die Frage, die er beantwortet haben wollte? Mir gingen so viele andere Sachen im Kopf herum, dass ich mich gar nicht so recht auf eine gut gewählte Antwort konzentrieren konnte.

„Sebestyén“, brachte ich schließlich hervor.

„Sebestyén?“ Sein fragender Blick machte mir klar, dass diese Antwort mehr als nichtssagend gewesen ist.

„Mein Bekannter. Ich ließ ihn in meiner Wohnung zurück.“

Corvins Gesicht verzog sich seltsam.

„Was hatte er hier zu suchen? Verfolgt er dich?“

Ich zuckte resigniert mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was er hier zu suchen hatte.“

„Oder ist er vielleicht dein Partner? Bist du vergeben und führst mich an der Nase herum?“

Sein Blick wurde augenblicklich verbittert Noch eine Niederlage würde er jetzt sicherlich nicht verkraften.

„Nein ist er nicht. Ich kenne ihn eher kaum. Glaub mir bitte.“

„Na schön.“ Mit diesem Worten wand er den Blick wieder vollends der Straße zu und klammerte sich dabei fest an dem Lenkrad fest.

„Corvin bitte. Ich weiß nicht, was dieser Kerl hier zu suchen hatte. Keineswegs hatte ich ihm geheißen, mir zu folgen. Ich habe ihn auch nicht aus Aufpasser hinterhergeschickt. Ich vertraue dir genug, um keinen Bodygard zu beauftragen. Ich halte dich nicht für gefährlich...“

Vorsichtig streckte ich die Finger nach seinem Gesicht aus und streichelte ihn kurz am Kinn. Corvins finstere Miene legte sich sofort und er warf mir einen vorsichtigen Blick zu.

„Entschuldige Bitte. Ich weiß auch nicht, was jetzt in mich gefahren ist. Du bist mir doch gar keine Rechenschaft schuldig. Im Gegenteil. Ich sollte mich lieber bedanken, dass du die Freundin für mich gespielt hast.“

Ruckartig zog ich die Finger zurück. Wenn er nur wüsste, wie ich wirklich für ihn zu empfinden schien. Eine Tatsache, der ich mir selbst nicht im klaren war.

Sebestyén war zwar wie ich, doch ich war mir sicher, das ich von Corvin mehr Zuneigung erwarten konnte, als von ihm. Seine kühle Art schreckte mich ab. Solchen Männern hätte ich mich zu meinen Lebzeiten ganz sicher nicht mehr wie fünf Schritt genähert. War ich etwa auch so geworden? Warum hatte sich Corvin davon noch immer nicht abschrecken lassen?
 

Ich lehnte mich im Sitz zurück und starrte aus der Frontscheibe. Mit meiner Tat heute Abend hatte ich ihn ganz sicher längst verloren. Wie würde er wohl reagieren, wenn er es erführe? Wenn er herausbekam, dass ich es war, die die Mutter seiner Tochter auf dem Gewissen hatte? Dieser Gedanke schmerzte so stark, dass sich mir der Magen umdrehte. Ich musste weg von diesem Mann. Je schneller, desto besser.
 

Als wir in die Einfahrt einbogen, griff ich erneut meine Fluchtgedanken auf. Doch noch bevor ich den Mund auftun konnte, schien er meine Gedanken bereits längst erahnt zu haben.

„Du kommst doch noch mit rauf, oder?“

Sollte ich ihm jetzt etwa doch vor den Kopf stoßen? Am liebsten hätte ich ihm ein klares Nein gegeben. Ganz sicher würde es nicht ewig dauern, bis irgendwer mitbekam, dass mit Romina etwas nicht stimmte und dann wäre die Polizei mehr als rege und hier würden sie ganz bestimmt ebenfalls herumschleichen.

„Ach ich weiß nicht so recht“, druckste ich herum.

Mit einer ruckartigen Bewegung kam der Wagen mitten im Hof zum stehen. Corvin drehte sich auf dem Sitz so weit in meine Richtung, wie es nur ging und fasste meine Hände. Sein Blick war traurig.

„Ich weiß, dass ich gesagt habe, dass ich nichts tun würde, was du nicht willst aber ich... ich wäre jetzt so ungern wieder allein...“

Diese Worte hatte ich so befürchtet. Ein dicker Klos in meinem Hals hatte sich festgesetzt und wenn ich noch hätte atmen müssen, wäre mir das jetzt sicherlich nicht möglich gewesen.

„Na schön...“
 

Seine Augen hatten das Leuchten unserer ersten Begegnung wieder. So gefiel er mir noch bedeutend besser, als mit dieser griesgrämigen Mine. Ich stieg schließlich aus und richtete meinen Mantel, während ich Corvin dabei beobachtete, wie er seinen Wagen in der Garage parkte. Das konnte ja heiter werden. Er hatte mich zwar gefragt, ob ich mit in seine Wohnung kommen wollte, aber er hatte auch gesagt, dass er nicht allein sein wollte. Das hieß also für mich, ich solle über Nacht bleiben? Nicht dass ich etwas dagegen gehabt hätte, aber das kam gar nicht in Frage! Ich musste wieder verschwinden und zwar diese Nacht noch. Ich hatte die hellen Räume gesehen und ganz bestimmt würde es nicht mehr lange dauern und er würde dahinterkommen, was ich eigentlich war.
 

Als ich ihm abermals der Treppe hinauf folgte, überkam ich erneut der Wunsch, zur Flucht. Er war ein mehr als anständiger Mensch – so schätzte ich ihn bis jetzt jedenfalls ein – und ich wusste noch nicht einmal so recht, was ich hier verloren hatte. Mich ihm vielleicht offenbaren? Auch das war wohl eine Sache, die nur in Filmen und Büchern auf Verständnis stieß. Vielleicht würde er mir auch gar nicht glauben? Mich für verrückt halten. Aber wenn die Sache mit seiner Exfrau heraus kam? So gerne ich diesen Gedanken lieber verdrängen würde, ließ er mich einfach nicht los.

In der Wohnung angekommen, nahm er mir sofort den Mantel ab und hängte ihn über einen Kleiderbügel seiner Garderobe. Zu meinem Entsetzen, musste ich feststellen, dass es an dieser tatsächlich einen Spiegel gab und ich konnte nur hoffen, dass Corvin nicht bereits festgestellt hatte, dass mit mir etwas nicht stimmte. Diesen Gedanken verwarf ich jedoch wieder. Ganz sicher wäre er sonst wohl nicht auf die Idee gekommen, mich erneut mit zu sich nach Hause zu nehmen.

Ich zog meine Stiefel aus und betrat sein Wohnzimmer, dessen Richtung er mir mit einer einladenden Handbewegung gewiesen hatte. Helle Schränke und eine dunkle Couch waren der Hauptbestandteil der Einrichtung. Der niedrige Couchtisch aus dunklem Holz mit vier gedrechselten Beinen war vom optischen hier wohl das älteste Möbelstück. Gedankenverloren fuhr ich über den samtartigen Bezug seines äußerst bequem wirkenden Sitzmöbels. Wenn ich dabei am mein durchgesessenes, altes Kanapee dachte...

Doch ich ließ mich nicht nieder. Etwas anderes hatte mein Interesse geweckt. An einem der riesigen Fenster hing ein Fensterbild. Ich trat näher heran und erkannte in der krakelig ausgeschnittenen Form dieses Scherenschnittes eine dreiköpfige Familie, die sich an den Händen hielt.

Nachdenklich begutachtete ich dieses Werk, bis sich hinter mir Schritte näherten. Gläser wurden auf dem Tisch abgestellt und plötzlich umschlangen mich starke Arme. Ich war so überrascht, dass ich mich nicht zur Wehr setzte. Es fühlte sich gut an.

„Dieses Bild hat mir Adriana zu meinem letzten Geburtstag geschenkt“, flüsterte er und lehnte den Kopf bei mir an. Seine plötzlich so draufgängerische Art verunsicherte mich, doch ich brachte ihn nicht auf Abstand.

„Sie hofft so sehr, dass ich wieder nach Hause komme...“

Ich vernahm von Corvin ein schniefen und dann verstummte er.

Wieder nach Hause kommen? Diese Familie gab es nicht mehr. Durch meine Hand gab es sie schlussendlich nicht mehr. Adriana würde mich ganz sicher dafür verfluchen...

Aber nicht ich hatte diese Familie auseinandergerissen. Vielleicht gab es auch noch ein paar wichtige Details, von denen ich keine Ahnung hatte, doch im Grunde spielten sie jetzt keine Rolle mehr.

„Es tut mir leid, dass es so gelaufen ist.“ Ich wand mich trotz seiner Umarmung zu ihm um und blickte ihm fest in die Augen. Dennoch war es nicht allein das, was ich mit meinem Worten meinte. Er würde es früh genug erfahren, doch jetzt hatte er keine Ahnung. Ein kurzes Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab dann näherte er sich zu einem Kuss. Auch jetzt hielt ich ihn nicht davon ab. Er wirkte mit einem Male so glücklich.

Meine Gedanken rasten nur so. Was billigte ich da eigentlich? Ich spielte mit diesem Mann, ohne das ich es überhaupt wollte.

„Vielleicht sollte ich doch besser gehen“, flüsterte ich, während ich mich noch immer in seinen Armen befand und meine Lippen wieder frei hatte.

Corvins Griff wurde bestimmender, während er den Kopf sachte schüttelte.

„Nein. Nicht jetzt. Bitte nicht...“

Seine Lippen näherten sich meinen erneut und plötzlich spürte ich auch seine Zungenspitze, die versuchte, weiter vorzudringen. Ich fühlte mich plötzlich so hilflos. Ich wollte ihn nicht abweisen, aber ich wollte auch nicht mit ihm spielen. Doch los kam ich von ihm auch nicht.
 

Dennoch erinnerte mich seine plötzlich so bestimmende Art irgendwie sehr stark an Sebestyén. Dieser Gedanke ließ meine mir unbekannte plötzliche Willenlosigkeit wieder nahezu verschwinden.

„Es geht nicht, Corvin.“

Er gab mich frei und sah mir bedrückt in die Augen. „Na schön.“ Dann machte er kehrt und verließ das Wohnzimmer.

Hatte ich ihn damit jetzt derartig gekränkt? Ganz sicher hätte ich ihm einen viel größeren Gefallen getan, wenn ich ihn von Anfang an abgewimmelt hätte. Verunsichert blickte ich ihm nach. Was hatte er jetzt wohl vor? Ich wollte ihm gerade folgen, da kam er mir bereits wieder entgegen.

„Hier für dich“, sagte er und reichte mir etwas entgegen. „Das ist für deinen tapferen Auftritt als meine Freundin.“

Meine Augen weiteten sich, als ich bemerkte, Welche Summe er mir da entgegen hielt.

„Bist du verrückt? Das kann ich nicht annehmen!“

Im Grunde war das hier Geld, was sie wohl eher für einen Mord erhalten hatte und so etwas konnte ich schon gar nicht annehmen. Ich wehrte ihn mit der Hand ab.

„Nun nimm schon!“, beharrte er. “Du hast es verdient. Ich bin dir wirklich dankbar dafür, dass du ...“

Ein Kribbeln schlug plötzlich in mich ein, wie eine Bombe und ein überwältigendes Gefühl von Leidenschaft überkam mich. Wie von selbst schlang die Arme um ihn. Corvin war nicht länger in der Lage, seinen Satz zu Ende zu bringen, geschweige denn ihn zu Ende zu denken. Er ließ das Geld fallen und klammerte sich an mich. So fest, dass ich seine Stärke deutlich zu spüren bekam, doch im Gegensatz zu meiner eigenen Kraft war sie natürlich ein Witz. Ich musste vorsichtig sein. Keineswegs wollte ich ihm weh tun.

„Ich brauche dich, auch wenn ich es mir nicht erklären kann.“ Im Flüsterton verließen diese Worte meinen Mund.

„Dann geh nicht...“ Eng schmuste er sich an meinen Hals und vergrub seine Finger in meinem Haar. Sein warmer Atem machte mich rasend. Doch nicht verlangend auf Blut. Was ich jetzt wollte, war etwas ganz anderes.

Sein Atem wurde schneller und schließlich sah er mir wieder in die Augen. Was ich darin sah, war Gier. Ich spürte sie deutlich. Ich konnte sie nahezu riechen. Sein Verlangen nach Fleisch war nicht länger geheim zu halten. Noch immer fest in seinen Armen gefangen lief er rückwärts auf die Wohnzimmertür zu und zog mich einfach mit sich. Wenn ich mich nicht zur Wehr setzte, war es auch für einen Mensch recht leicht, meinen Körper zu bewegen. Ich war nicht sonderlich groß und ich war unheimlich schlank. Ich kannte seinen Plan und ich ging nicht länger dagegen vor. Auf dem Flur angekommen nahm er mich auf den Arm und trug mich schließlich in sein Schlafzimmer. Wie lange hatte ich so etwas schon nicht mehr erlebt. Derartige Leidenschaft? Ich war der Meinung, dass sie damals bei mir erlosch, als ich meinen eigenen Ehemann getötet hatte, doch jetzt schien sie wieder vollends erwacht.

Corvin setzte mich vorsichtig auf dem Bett nieder und er zog mir sofort meinen Pulli über den Kopf. Was er dann zu sehen bekam, schien ihm wohl zu gefallen. Auch wenn meine Brüste nicht die Größten waren, waren sie dennoch wohl geformt und zudem ansehnlich verpackt. Er warf meinen Pullover auf den Boden und küsste mich auf der Schulter, während er mir über die Arme streichelte. Doch mit einem Mal lag etwas seltsames in seinem Blick.

„Du fühlst dich so kalt an, Francesca“, flüsterte er.

Ich schreckte zurück. Ich wusste, dass ich das war, aber was sollte ich dagegen tun? Ich dachte kurz nach und erhob mich schließlich. Dabei packte ich ihn am Kragen und zog ihn mit mir.

„Vielleicht sollten wir duschen gehen...“

Corvins Augen begannen abermals zu leuchten. Er führte mich in die richtige Richtung, griff meine Hand und ging schließlich vor.

Sein Badezimmer war nicht annähernd so groß, wie das in Rominas Haus, doch es wirkte um einiges wohnlicher und strahlte nicht diese spießige Strenge aus. Sofort hielt ich Ausschau nach einem Spiegel und zu meinem Entsetzen musste ich an diesem vorbei, wenn ich an die Dusche gelangen wollte. In schwungvoll geduckter Haltung lief ich unter diesem hindurch und stürzte mich anschließend auf Corvins Hemd, um ihm dieses auszuziehen, bevor er irgendwelche anderen Gedanken fassen konnte. Seine Brust war nur wenig behaart. Ich streichelte ihm darüber, doch als er sein Wort an mich wenden wollte, hielt ich ihn mit Küssen davon ab. Dabei fand schließlich auch mein BH den Weg auf den Boden. Seine Augen leuchteten und wieder spürte ich diese Gier, welche auch mich jetzt vollends ergriffen hatte.

Während er sich mit einer Hand um das warme Wasser kümmerte, ließ ich seine Hose zu Boden wandern und folgte ihm unter die Dusche, sobald auch ich mich der rechtlichen Sachen entledigt hatte. Liebevoll streichelte er mir über die Schultern und ich musste schlagartig wieder an Sebestyén denken. Wie er mich kurz nach unserer Begegnung sofort grob gegen das Bett drückte, weil er... Weil er? Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, was ihn zu diesem Zeitpunkt durch den Kopf gegangen war.

Das rauschen des Wassers brachte mich schließlich wieder in die Realität zurück. Corvin setzte gerade zu einem weiteren, liebevollen Kuss an, als ich sein Erregung klar sehen konnte.

„Darf ich?”, fragte er fast schon schüchtern und ließ seinen Blick über meinen Körper wandern.

Nichts in der Welt hätte mich jetzt davon abhalten können...

*-...-*8*-...-*

Der beste Sex seit einer Ewigkeit, musste ich mir selbst eingestehen. Wenn man bedachte, dass ich niemals mit einem Mann mehr als einmal dazu kam, weil sein Leben nach diesem recht bald bereits erlosch, doch Corvin? Sein Leben würde ich ganz gewiss nicht beenden. Viel zu viel lag mir jetzt bereits an diesem Mann. War das Liebe? Oder vielleicht einfach nur das Verlangen, ihn zu spüren? Ich war mir dem nicht mehr sicher.

Ich hörte das Telefon klingeln, als ich einen Fuß aus der Dusche gesetzt hatte. Es klingelte dreimal, dann ging bereits der Anrufbeantworter ran. So einige Male wurde mir dadurch eine Flucht erleichtert, ohne, dass ich in Hektik aufbrechen musste, da erst nach Tagen die Opfer aufgesucht wurden und sie hin und wieder wohl ein recht grausiges Bild vorfanden. Eine gute Erfindung also, wie ich gestehen musste, doch auch jetzt verstand ich diese Technik noch nicht so recht. Was wohl daran lag, dass sich noch niemand die Mühe gemacht hatte, mir diese näher zu erklären. Ich trat vollends aus der Dusche und zu meiner Erleichterung hatte sich hier ein derartiger Nebel gebildet, dass sämtliche glatten Flächen beschlagen waren. Darunter natürlich auch der Spiegel. Corvin folgte mir auf den Läufer und reichte mir ein Badetuch. Sein verliebter Blick ließ ihn auf mich wie ein Schuljunge wirken. Während ich mir das Haar trocknete, läutete das Telefon erneut. Corvin stieß ein gereiztes Knurren aus, ging aber auch nicht weiter darauf ein, da auch er sich noch pitschnass auf den Fließen neben mir befand. Während er sich endlich selbst mit einem Badetuch versorgt hatte, war ich endlich soweit, den Rest an mir noch anständig abzutrocknen. Mit dem Badetuch um meinem Körper trat ich schließlich an ihm vorbei, wieder aus dem Badezimmer und wollte zurück ins Schlafzimmer.
 

Corvin wand mir mit einem Ruck den Kopf zu und sah mich dabei mit einem mehr als seltsamen Blick an. Sein offener Mund verwirrte mich, also blieb ich im Flur bereits stehen.

„Geht es dir nicht gut?“, fragte ich unruhig und beobachtete ihn genau.

Er wollte gerade etwas erwidern, als das Telefon abermals klingelte.

„Was wollen die nur um diese Zeit von mir?“, fluchte er und eilte mit schnellen Schritten auf das Telefon zu.

„Wer ist da?“ Von Freundlichkeit war nicht mehr zu hören.

„Mein Name ist Doris“, sagte eine Frauenstimme. Ich spitzte die Ohren.

Corvin behielt mich zwar im Auge, sah jedoch jetzt eher nachdenklich aus.

„Wer? Ich denke nicht, dass ich Sie kenne.“

„Ich bin eine Freundin von Romina. Wir sind uns heute Abend begegnet.“

Eine Freundin von Romina? Jetzt wurde es interessant. Hatten sie diese vielleicht bereits gefunden?

„Und da rufen Sie mich an? Was wollen Sie?“ Er wurde barsch.

„Es hat einen Mord gegeben. Romina ist tot...“

Ich hatte recht. Sein Gesicht schlief ihm augenblicklich ein. Nachdem ich Corvin eine ganze Weile beobachtet hatte, entschloss ich mich, lieber wieder ins Schlafzimmer zurückzukehren. Keineswegs wollte ich ihn jetzt belauschen. Vielleicht würde mich das auch nur unnötig verdächtig machen.

„Was? Aber wieso...?“, brachte er nur noch stammelnd hervor und folgte mir jetzt jedoch ins Schlafzimmer.

„Wiederbelebungsversuchte waren erfolglos gewesen“, sagte sie mit weinerlicher Stimme.

Abermals konnte ich ihre Worte verstehen. „Ich fand sie auf dem Boden in ihrem Schlafzimmer. Sie hatte kaum noch Blut im Leib.“

„Kaum noch Blut? Wie kann das sein?“

„Ich weiß auch nicht...“ Doris wurde nervös.

„Ihre Nase war gebrochen und sie hatte da diese... seltsamen Wunden am Hals...“

Corvins Blick fiel mit einem Mal in meine Richtung. Um unauffällig zu wirken, öffnete ich einer der nur angelehnten Türen seines Kleiderschrankes und wie ich bereits vermutete, hingen dort jede Menge Anzüge. Das letzte Jackett jedoch hatte sogar Abzeichen an den Schultern. Ich zog es vorsichtig heraus und erkannte darin die Ausgehuniform der hiesigen, freiwilligen Feuerwehr. War er dort also auch tätig? Dieser Mann überraschte mich, doch im Augenblick konnte ich mich nicht auf sonderlich viel konzentrieren. Ich fühlte mich hier im Augenblick mehr als unwohl.

„In Ordnung. Was soll ich tun?“, sprach er weiter.

Ich hatte längst aufgehört, diesem Gespräch zu lauschen. Ganz sicher würde er jetzt mich fragen, ob ich irgend etwas seltsames gemerkt hatte. Vielleicht würde er auch auf Sebestyén zurückkommen.

Corvin legte auf und näherte sich mir langsam. Ich trat sofort von seinem Schrank zurück.

„Stimmt zufällig mit dir irgend etwas nicht?“

Seine mehr als direkte Frage verwirrte mich.

„Wer war denn am Telefon?“, fragte ich stattdessen, um ihm Unwissenheit vorzugaukeln.

„Eine Freundin von Romina. Sie sagte mir gerade, das sie sie tot im Schlafzimmer aufgefunden haben.“

„Was?“ Ich weitete überrascht die Augen. „Was ist denn passiert?“

„Vielleicht kannst du mir das ja sagen.“ Corvin blieb abrupt stehen und fixierte mich abermals genau.

Oje, dachte ich mir. Ich hätte nicht hier bei ihm bleiben sollen. Ich hätte schleunigst wieder verschwinden müssen. Sein argwöhnischer Blick traf mich noch immer.

„Ich muss dich enttäuschen. Ich kann dir leider nicht helfen.“

Verbittert senkte ich den Blick.

„Wie gut kennst du diesen Sebestyén?“

„Ich...“ Verdammt! Er machte mich verlegen. „Noch nicht lange genug, schätze ich.“

Ich trat einige Schritte von ihm zurück. Die Art, wie er mich jetzt ansah, gefiel mir überhaupt nicht. Er hatte mich im Verdacht – jetzt bereits – und das sagte mir nicht im geringsten zu.

„Hat dieser Sebestyén möglicherweise seltsame Vorlieben? Steht er vielleicht auf Vampirfilme? Hast du ihn ins Haus gelassen? So rede endlich!“

Er trat auf mich zu und packte mich fest an den Schultern.

„Meine Exfrau wurde ermordet. Wenn du irgend etwas weist, sag es mir!“

Ich versuchte mich zu befreien, doch sein hasserfüllter Blick machte es mir schwer, mich darauf zu konzentrieren, da ich ihn nicht verletzen wollte.

„Ich habe ihn nicht ins Haus gelassen! Glaubst du wirklich, ich bin es gewesen?“

Diese Frage machte die Situation nicht besser – im Gegenteil.

Corvin gab meine Schultern frei und näherte sich seinem Nachtisch. Was er daraus hervorzog, konnte ich nicht sehen, da er genau davor gestanden hatte.

Mit den Armen hinter dem Rücken trat er schließlich wieder einen Schritt auf mich zu.

„Gibt es so etwas wie Vampire vielleicht sogar...“

Ich drehte den Kopf schief und versuchte ihn einzuschätzen. War mein Spiel jetzt schon vorbei?

„Du fühlst dich unheimlich kalt an“, begann er.

„Ich sagte dir doch bereits, dass ich an niedrigen Blutdruck leide.“

„Und ich habe dich, seit ich dich kenne, nicht einmal etwas essen sehen...“

„Dieser Kaffee hatte mir eben den Magen verdorben...“

Meine Ausreden wurden immer kläglicher. Ich hätte mich am liebste in Luft aufgelöst. Oder auf ihn losgehen? Ihn doch aus dem Weg räumen, jetzt wo er anfing mehr als unbequeme Fragen zu stellen.

„Und vorhin im Badezimmer hätte ich meinen können, dass ich dein Spiegelbild nicht gesehen habe.“

„Unsinn! Der Spiegel war doch vollständig beschlagen...“

„Nein, war er nicht. Ich hatte ihn ein Stück freigewischt, um mir mein Kinn genauer betrachten zu können...“ Dann warf er mir etwas zu und da ich keine Ahnung hatte, was es war, fing ich es reflexartig auf. Doch das Gefangene ließ ich augenblicklich wieder fallen, als ein brennender Schmerz in meine Hand fuhr. Er hatte mir tatsächlich ein Kette entgegengeworfen, an welcher ein silbernes Kreuz prangte.

Vor Schmerz fauchend, warf ich Corvin einen bitterbösen Blick zu, der niemals beabsichtigt gewesen war.

Corvin zog erschrocken die Luft tief ein. „Ich hatte recht. Oh mein Gott! Du Monster!“

Mit einem geschickten Sprung stand er auf dem Bett. Bereit, sich jeden Moment auf mich zu stürzen, auch wenn er nur ein Badetuch umhatte.

„Beruhige dich doch.“ Ich hatte keine Ausrede mehr.

„Hast du sie getötet?!“ Sein Kopf war feuerrot. Langsam trat ich einen Schritt auf ihn zu.

„Bleib gefälligst stehen und gib mir eine Antwort! Hast du Romina umgebracht?“

Mit einer schnellen Bewegung hatte er die Nachttischlampe in der Hand. Er riss das Kabel aus der Steckdose und schlug sofort mit der Lampe nach mir. Ich wich zwar zurück, doch er traf mich dennoch. Der Glasschirm der kleinen Leuchte brach sofort in tausend Stücke. Corvin schnitt mir dabei die Hand auf und brach mir einen Fingernagel ab. Nicht das ich darüber traurig gewesen wäre und die Wunde in der Hand schloss sich auch sofort wieder, ohne einen Tropfen Blut vergossen zu haben. Ich hatte nur nicht damit gerechnet.

„Corvin, bitte.“

„Oh nein. Komm mir nicht zu nahe! Verschwinde! Mach, dass du wegkommst!“

Ich hatte keine Ahnung, was er über uns wusste. Vielleicht waren es auch nur die Erinnerungen, an all die schlechten Gruselfilme. Die Sache mit dem Kreuz war zu meinem Leidwesen jedoch war. Doch auch wenn das Brennen nur ganz kurz anhielt, war es dennoch unangenehm genug, um mich von diesen Dingern fern zu halten.
 

„Wie konnte ich nur so dumm sein... was hatte ich mir dabei nur gedacht...“ Er sprach mit sich selbst, merkte jedoch dennoch sofort, als ich mich wieder genähert hatte. Sein hasserfüllter Blick, mit dem er mich jetzt strafte, schmerzte mir tief im Inneren. Es tat mehr weh, als das silberne Kreuz “Wie konnte ich dich nur mit Heim nehmen?“

„Soweit ich mich erinnern kann, hatte ich versucht, dich abzuwimmeln...“ Ich verschränkte abschätzend die Arme.

„Da wusste ich doch auch noch nicht, dass du ein Monster bist...“

„Monster...“ Dieses Wort? Es machte mich traurig, weil es aus seinem Mund kam. Wie oft wurde ich so bezeichnet. „Hätte ich es dir vielleicht sofort nahe legen sollen? Du hättest mich doch für verrückt gehalten.“

„Es gibt keine Vampire! Das muss ein schlechter Traum sein...“ Er zwickte sich mit der freien Hand in den Arm, doch wie es schien, hatte er diesen Schmerz sehr wohl wahrgenommen. Ich musste ein Schmunzeln unterdrücken.

„Und wenn es doch wahr ist?“

„Warum hast du Romina getötet?!“

„Ich ... Ich wollte sie nicht töten. Glaub mir. Es war ein Unfall.“ Ein Unfall und nichts anderes!

„ICH GLAUBE DIR KEIN EINZIGES WORT MEHR!“ Wieder holte er mit der Lampe aus.

„Ich wollte sie lediglich erschrecken und zurechweißen, weil sie kein gutes Haar an dir gelassen hat. Sie hat sich einen Spaß daraus gemacht, dich zu quälen. Sie hat dich für eine Flasche...“

„Hielt! Du hast sie ermordet!“

„Corvin!“ seine Raserei begann mich zu stören. „Ich konnte es eben nicht hinnehmen, dass sie derartig über dich sprach. Ich hatte die Kontrolle verloren. Sie hatte mich so aufgeregt. Aber ich wollte sie keineswegs ermorden. Ich habe sie nicht leergetrunken. Sie ist erstickt...“

Worte, nichts als Worte. Nichts konnte ich damit wieder besser machen. Gar nichts! Betroffen senkte ich den Blick.

Corvin schwieg. Er dachte nach. Ganz bestimmt konnte er nichts von meinem eben Gestandenen auch nur ansatzweiße begreifen.

„Und jetzt? Bin ich dein nächstes Opfer? Bist du jetzt hier, um mich auch noch zu töten?“

Meine Augen weiteten sich. „Unsinn, Corvin. Denk nach! Ich wollte doch gar nicht wieder mit hier her kommen. Du warst es, der mich dazu überredet hat!“ Diese Tatsache musste unbedingt noch klargestellt werden.

Ein Windhauch, der einen schwarzen Schatten mit sich brachte, weckte unser beider Interesse und unsere Blicke fielen zur Terrassentür.

„Ach, da ist ja auch dein feiner Freund!“, brachte er gehässig hervor und strafte mich sofort wieder mit seinem verhassten Blick.

Sebestyén lehnte mit verschränkten Armen an der Glastür. Er war mir einen gefühllosen Blick zu und schüttelte den Kopf.

„Was hatte ich dir gesagt, Fran? Das hier konnte nur nach hinten losgehen. Es war eine Frage der Zeit...“ Sein Blick hing kurz an Corvin und anschließend wieder an mir.

„Es war nicht meine Idee hier her zu kommen, Sebestyén!”

Was kümmerte er sich nur schon wieder um Angelegenheiten, die ihm nichts angingen.

Mein Blick fiel wieder auf Corvin. Seine ruhelos im Zimmer herum wandernden Augen, ließen ihn auf mich sofort wieder wie ein Beutetier wirken. Doch ich wollte ihn nicht als Beute betrachten! Mein Interesse an ihm, war ein ganz anderes gewesen. Genaugenommen war es das auch jetzt noch. Doch die Liebe in seinem Blick, wenn er mich angeschaut hatte, war gänzlich verschwunden.

Zitternd vor Angst stand er vor mir. Er blickte auf mich herab und klammerte sich nach wie vor an der verbogenen Nachttischlampe fest.

„Ich wünschte, du würdest mir meine Tat irgendwann vergeben“, flüsterte ich und blickte dabei auf seine zitternden Hände. Es fiel mir plötzlich so schwer, ihn direkt anzusehen.

Was sollte ich nur tun? Genaugenommen wollte ich nicht von ihm weg. Er hatte mich nicht als Monster betrachtet. Gut – zu diesem Zeitpunkt hatte er ja auch noch keine Ahnung, worauf er sich da eigentlich eingelassen hatte – aber jetzt war ich wohl sein schlimmster Albtraum.

„Wir sollten wirklich verschwinden, Fran!“, versuchte Sebestyén erneut, mich zur Vernunft zu bringen, dass ich mich endlich von ihm losriss. Das Corvin mir jetzt jedoch gar nichts mehr erwiderte, machte mir das völlig unmöglich. Doch was hätte er auch erwidern sollen?

Ich wagte mich einen Schritt auf ihn zu. Corvin wich nicht zurück. War er vor Angst gelähmt? Ich tat einen weiteren Schritt. Seine Augen hingen jetzt wieder an meinen. Mein Gehirn arbeitete fieberhaft, doch es gab einfach keine Worte der Entschuldigung.

Ein genervtes Schnaufen von Balkon, ließ meinen Kopf ruckartig herumfahren. Im Augenblick ging mir dieser Vampir einfach nur auf die Nerven. Viel lieber wäre ich jetzt mit Corvin allein. Ich trat einen weiteren Schritt vor und lief gegen die Lampe, die er mir jetzt wieder entgegen hielt.

„Komm nicht näher...“

Seine Stimme war so dünn wie ein Seidenfaden.

Warum nur fühlte ich mich so elend? Er war doch nur ein Mensch? Dieser Gedanke war nicht richtig. Warum zum Teufel musste ich eine Mörderin sein? Ich bereute meine Tat so sehr, doch sie war nicht wieder rückgängig zu machen.

Corvin trat schließlich von seinem Bett herunter. Sein Blick fiel wieder auf Sebestyén. Dieser stand noch immer auf dem Balkon und beobachtete mein Tun mit enormem Argwohn. Ihn hatte niemand hereingebeten.

„Fran!“ Die energische Stimme von draußen begann mich zunehmend wütender zu machen, doch ich wand erschrocken dein Blick Corvin wieder zu, als ich ein Scheppern vernahm und feststellen musste, dass er die Lampe auf den Boden geworfen hatte. Sein Blick war ausdruckslos, als er fest nach mir griff und mich an sich zog.

„Töte mich endlich! Dann hast du es hinter dir! Das war doch ohnehin dein Plan!“

„Was?“ ich versuchte freizukommen, doch er gab mir keine Chance, da ich mich mit meinen Bemühungen zurückhielt. Wie leicht brachen menschliche Knochen...

„Ich will dich nicht töten. Begreif das doch endlich!“ Ich wand mich in seinem Griff um.

„Dann vielleicht als Blutreserve? Ich habe nichts mehr zu verlieren.“

Corvin hob den Blick.

„Dann komm du doch auch gleich mit her. Um so schneller hat mein Leiden ein Ende!“

„Was soll das heißen, du hast nichts mehr zu verlieren? Du hast eine Tochter...“

Erst dann wurde mir bewusst, welche Worte er anschließend noch gesagt hatte, doch da ging die Terrassentür bereits auf.

Schnell und ruckartig befreite ich mich nun doch aus seinem Griff und stellte mich schützend vor Corvin.

„Du wirst ihn nicht anrühren, Sebestyén! Hast du verstanden?!”

Wie konnte er nur so leichtsinnig sein, sich auch noch diesen hier in die Wohnung zu holen.

Gelangweilt hin der Blick des dunkelhaarigen Vampirs an mir, während er seine Hände in den Manteltaschen verschwinden ließ.

„Ich habe es gar nicht auf diesen Mensch abgesehen. Ich bin wegen dir hier. Was aus ihm hier wird, ist mir völlig gleich.“

Corvins Blick war wohl nicht minder überrascht, wie der Meine.

„Pack deine sieben Sachen. Wir verschwinden. Es wird nicht mehr lange dauern und die Bullen werden hier auftauchen und spätestens dann bist du erledigt.“

Corvin stand da und rührte sich nicht. Er verstand nicht, was hier vor sich ging. Es fiel mir selbst so schwer, es zu begreifen.

Unruhig blickte ich mich um. Meine Hose lag noch im Badezimmer. Das würde bedeuten, dass ich ihn hier jetzt schutzlos zurücklassen sollte. Auch wenn mir Sebestyén klargemacht hatte, dass er ihm nichts antun wollte, konnte ich mich nicht darauf verlassen.

„Du wirst ihm nicht...“

„Nein natürlich nicht!“ Sebestyén wand sich gelangweilt ab. Wie es schien, war er wohl selbst auf einem Streifzug gewesen.

Ich beeilte mich, dass ich wieder zurückkam, bevor er ihm doch... Ich wollte nicht daran denken. Dieser Mann hatte in mir Gefühlte geweckt, die ich wohl so lange schon vermisst hatte, ohne dass ich mir dem je bewusst geworden war.

Vor dem Spiegel blieb ich jedoch noch einmal stehen. Dieser hatte also meinem Schauspiel –was wohl so schlecht war, wie kein zweites – ein jähes Ende gemacht. Dennoch ließ ich mich dazu hinreißen und malte mit dem Finger ein Herz in die kleine, noch angelaufene Stelle. Wie von Geisterhand tauchte es vor meinen Augen auf.

Ich spurtete zurück in den Flur, griff im Lauf noch nach meinen Stiefeln und dem Mantel und als ich wieder ins sein Schlafzimmer eintrat, schien es, als hatten sich die beiden Männer nicht von der Stelle bewegt. Als mich Sebestyén eintreten sah, verließ er den Raum sofort wieder über die Terrassentür. Corvins Augen hingen genau an mir, als ich das Badetuch ablegte und mir die Hose wieder überzog. Die Abscheu in seinen Augen war wieder verschwunden. Stattdessen war es etwas anderes. Überraschung? Angst? Abscheu war es jedenfalls nicht.

Ich lief an ihm vorbei, um mich nach meinem am Boden liegenden Pulli zu bücken, da fasste mich eine warme Hand. Überrascht blickte ich ihm in die Augen.

Romina hatte ihn für eine Flasche gehalten? Und nun stand er hier – nackt und Schutzlos – und hatte auch noch einen weiteren Vampir in seine Wohnung hereingelassen? Sie hatte wirklich keine Ahnung. Eine Flasche war er ganz sicher nicht, dennoch mehr als Lebensmüde.

Als ich mich von seinem Griff befreien wollte, griff er mit einem male bestimmend nach meinen Gesicht.

„Schade, dass es so enden musste.“ Er hatte seine Stimme wiedergefunden und dann küsste er mich. Ich konnte nicht begreifen, was jetzt in ihn gefahren war. Corvin zitterte. Seine Lippen bebten, doch er ließ nicht von mir ab. Wie gerne würde ich bleiben...

Ganz deutlich spürte ich, wie Tränen in mir aufstiegen. Doch auf keinen Fall, durfte ich diesen freien Lauf lassen. Ich selbst konnte es nicht ertragen, wenn ich weinte. Diese Tränen versauten mir steht’s die Kleidung. Seit ich kein Mensch mehr bin, habe ich nur noch diese blutigen Tränen. Kein schöner Anblick. Erst recht nicht für einen Menschen. Ich musste mich also zusammenreißen.

Nie hatte ich es versucht, vielleicht doch mit einem Menschen klar kommen zu können und jetzt, wo ich mich doch dazu hinreißen ließ, endete es in einem Desaster. Sebestyén hatte recht. Von Anfang an hatte er recht gehabt.

„Fran!“ Sebestyéns energische Stimme erklang erneut. „Die Polizei! Ich kann ihre Sirene bereits hören.“

Corvin ließ mich unverzüglich los. Seine Augen waren feucht, doch er sagte kein weiteres Wort. Wie konnte er nur so plötzlich wieder seine Meinung ändern? Aber bei den Menschen wusste man selten, woran man war.

Schleunigst lief ich ebenfalls auf die Terrasse und schlüpfte währenddessen noch in den Mantel. Die Stiefel klemmte ich nur unter den Arm. Die Tür hier hinaus befand sich auf der Rückseite des Hauses. So war es leichter für uns, ungesehen zu verschwinden. Von hier oben herunter zu springen, war ganz sicher kein Problem. Oh verdammt! Ich wollte nicht gehen!

Sebestyén packte mich von hinten an der Hüfte und drückte mich fest an sich. Dann sprang er rückwärts auf das Geländer. Das war für mich die letzte Gelegenheit, einen Blick auf den Mann zu werfen, der meine Gefühle wieder geweckt zu haben schien. Ich würde ihn nie wieder sehen...

Dann sprang Sebestyén rückwärts ab.

Als wir auf dem gepflasterten Hof gelandet waren, zog ich endlich meine Stiefel an. Ich warf noch einen letzten Blick nach oben, doch Corvin war uns nicht auf die Terrasse gefolgt. Seufzend wand ich mich schließlich ab und versuchte mit Sebestyén Schritt zu halten, wie er in Windeseile über Hecken und Zäune sprang. Auch ich konnte jetzt das Horn eines Fahrzeuges hören. Unsere Flucht war wohl wirklich nur um Haaresbreite gewesen. Und jetzt? Jetzt war ich wieder auf der Flucht. Wieder eine Reisende, ohne Ziel.

Als Sebestyén mich schließlich auf ein Schuppendach zog, verharrte er kurz und hielt mich vorsichtig in den Armen. Von hier aus konnten wir den Mond sehen. Auch wenn er längst nicht mehr voll war, war er dennoch ein Anblick, der mich beruhigte. Dann schaute Sebestyén auf mich herab.

„Es gibt da jemanden, den du unbedingt kennen lernen solltest...“



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von:  fukuyama
2010-04-01T18:20:13+00:00 01.04.2010 20:20
Und das ist wahrscheinlich der Typ, nachdem sie schon so lange sucht.

Also, ich sag das wirklich nicht oft und mag den Satz normalerweise auch überhaupt nicht, aber das hier schreit geradezu nach einer Fortsetzung.
Gute Charaktere (Fav: Seb), gute Schauplätze (besonderer Pluspunkt!) mit einem nicht ganz so überzeugenden Plot, der teilweise etwas übertrieben und auftaktmäßig wirkt. Dass die Geschichte hier endet, ist schwr vorstellbar.
Falls du über eine Fortsetzung nachdenken solltest, würde ich mich über eine ENS freuen.
LG,
yama

PS: Verzeih meine Wortkargheit - ich hasse die Tastatur meines Notebooks.
Von:  Tyra-Leonar
2010-03-08T13:04:06+00:00 08.03.2010 14:04
Kribbelig, kribbelig, so fühlt sich mein Finger an, der auf dem Scrollrad ruht. Schnell weiter lesen *.* Das du so oft Absätze reingemacht hast, macht das Lesen an der hoch brisanten Stelle schön schnell zu lesen. Ich bin begeistert! Den Trick muss ich mir merken!
Von:  Tyra-Leonar
2010-03-08T13:03:39+00:00 08.03.2010 14:03
Was soll ich sagen? Ich bin immer gefesselter! Die Stelle mit den zugelaufenen Kleidungsstücken, da musste ich echt lachen. Ich finde es schön, wie du das Haus beschreibst. Hier und da tauchen immer mehr Details auf, die man sich so leicht merken kann, da es sich nicht um eine geballte Flut an Informationen handelt. Auch finde ich die Idee mit dem Ehemann sehr gelungen. Ich konnte mir regelrecht vorstellen, wie sie plötzlich die Augen aufschlägt, hervorschnellt und ihn beißt. Das Tier ist erwacht, muhahahahar!
Von:  Tyra-Leonar
2010-03-03T15:39:11+00:00 03.03.2010 16:39
Korrekturen diesmal gleich vorne weg ;):

...die Jagt ging... Jagd
Als du die Bar beschreibst, ist da ein großes Fenster, wodurch sie das alles sieht? Oder ist sie hinein gegangen?
Mit einem mal fühlte ich... Mal groß
Ach kommen Sie. Ach, kommen Sie.
...eines gleichen kannte. Gleichen auch groß
...zu aller ersten Mal hier. zum aller ersten Mal hier.
...und für mich schmerzlos. Für ihn oder für sie :)?
...es der letzte wohl zu gerne tat... Der Letzte wohl zu gerne getan hatte (Immerhin ist er tot XD)
So wollte nur so wenig wie... Ich wollte oder So wollte ich nur...
...eine solche zu mir zu nehmen... Eine solche was? Der Espresso
...ganz sicher nicht die letzte. die Letzte. Ich mach den Fehler auch gerne ^.^
...sollte Sie mich aber... sollten
...fortzuführen So langsam... Wie wäre es mit einem Punkt? :)
"Mit diesen Worten wollte ich ihn schnellstens von diesem Gedanken abbringen, dass ich eine Annäherung versucht hatte." Nja, aber mit der Frage bringt sie ihn ja auf den Gedanken.
...in diese Sanitäranlagen... diesen
...trocknete en anschließend... es
...wirklich in de Tinte. der
Ein fauchen und scheppern in einem... Das Fauchen und das Scheppern, beides groß
Etwas kleines... Kleines... ob "weißes" auch groß geschrieben wird, weiß ich leider nicht
Etwas schwarzes war... Schwares. Oder Eine schwarze war der weißen Katze...
...Interesse, an einem Telefonat. Ohne Komma?
„Hallo Corvin.“ Hallo, Corvin
...weist du. weißt du? Wahlweise auch als Feststellung mit Punkt
„Am anderen Ende folgte ein kurzes Schweigen.“ Ohne Anführungsstriche oder "..."
...einfach zu glauben.“ Da haben sich Gänsefüßchen eingeschlichen :)
...andere interessierte mich... Anderer interessierten mich
...du dein Tochter... deine
Er hatte recht. Recht
...mir irgendwie nahe Nahe groß?
...schon nach hause. Hause
...im Augenblickderartig nervös da fehlt ein Leer :D

So.... Und sie wird doch hingehen!
Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen :D Wenn mir etwas gefällt, dann will ich nichts weiter als schnell weiter lesen. Fehler habe ich dir herausgesucht, weil mir die Geschichte so sehr gefällt und jetzt nur noch hier und da Sachen geändert werden müssen.

Von:  Tyra-Leonar
2010-03-03T14:54:52+00:00 03.03.2010 15:54
*Beifall klatscht*
Die erste Vampirstory, bei der ich nicht das Kotzen und Würgen kriege! Außerdem ist mir die Vampirin sehr sympathisch :) Was ich vorerst nicht gedacht hätte. Irgendwie mochte ich sie, seitdem sie die Anzahl der Leute da abgeschätzt hatte.

Korrektur:
... jetzt nicht mehr die besten waren ... die Besten groß
Ein brennen in der Brust... Brennen groß
dringend brachte ich jetzt etwas... brauchte
Mit einem knarren öffnete sich... Knarren groß
...dass mir diese Mädchen... dieses


Und jetzt mach ich mich ans zweite Kapitel ;)


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