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Karashima - leere Insel [Leseprobe]

von

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Karashima

Tag 18
 

Katorihito griff beim Zeitunglesen blind nach seiner Tasse und führte sie zum Mund. Aber bevor er sie endgültig an die Lippen setzte, warf er doch einen rückversichernden Blick hinein, nur um bestätigt zu sehen, was ihm schon das Gewicht der Tasse verraten hatte: sie war leer. Der Vocal setzte sie klangvoll wieder auf die Tischplatte und ließ sie mit Schwung zu seinem Bassisten hinüberschlittern. „Haruko, hol mal Kaffee.“, befahl er.

Er musste ein erschrockenes Zusammenzucken unterdrücken, als Haruko aggressiv aufsprang. „Du überhebliches, arrogantes Arschloch! Hol dir deinen gottverdammten Kaffee selber!“, schrie er durch den ganzen Probenraum. Es war endgültig genug.

„Haruko!“, wollte der Drummer flehend dazwischengehen.

„Nein, nicht <Haruko>! Ich hab es satt, ihr könnt mich alle mal!“ Mit diesen Worten fegte der Bassist davon, schnappte im Gehen noch sein Instrument und drosch die Tür hinter sich zu.

„Haru!“ Der Drummer sprang auf und hechtete ihm nach.

Katorihito las immer noch, ungerührt von allem, seine Zeitung weiter. Er sah nicht ein einziges Mal auf. Kurz herrschte Ruhe im Raum. Dann griff er wieder blind nach der Tasse und schob sie also seinem Gitarristen hinüber. „Mao, hol Kaffee!“, trug er nun stattdessen diesem auf. Seelenruhig. Er hörte ein wütendes Luftschnappen, aber der erwartete Protest blieb aus. Nach einem kurzen Moment des empörten Schweigens sah Katorihito doch von seiner Zeitung hoch und maß Mao mit kaltem Blick. Mao schaute eine Weile sauer zwischen ihm und der Tasse hin und her und erhob sich schließlich doch, um mit dem Geschirr davonzustiefeln. Zufriedengestellt wandte sich der Vocal wieder dem Klatschblatt zu. An sich war es eine ganz coole Sache, gemütlich herumzutrödeln, während die anderen arbeiteten. Wenn dadurch nur nicht so viel liegenbleiben würde ...
 

„Haruko! Bleib jetzt stehen!“, befahl der Drummer mit strengem Ton. Er war zwar Leader dieser Band, aber der Befehlston gefiel ihm nicht. Entsprechend selten benutze er ihn. Aber im Moment schien es nicht anders zu gehen, um den Bassisten aufzuhalten.

Haruko blieb auch genervt mitten im Gang stehen und wartete, bis der Drummer zu ihm aufgeholt hatte. „Was denn?“

„Geh zurück in den Probenraum, komm schon.“

„Wirf diesen Kerl wieder aus der Band, Satsu!“, verlangte der Bassist ungehalten und zeigte auf die Tür, als stünde Katorihito direkt dahinter. Er hatte sich die Bevormundungen, Schikanen und Rumkommandierungen des Vocals jetzt lange genug gefallen lassen. Bisher hatte Satsu ihn immer ruhig gehalten und versprochen, daß sich das noch geben würde, hatte Katorihito immer in Schutz genommen. Aber langsam war das Maß einfach nur voll.

„Du weist, daß wir das nicht können.“, meinte Satsu in beruhigendem Tonfall. „So einen Sänger kriegen wir nie wieder.“

„Darauf pfeife ich! Wenn der nicht geht, geh ich!“

„Reiß dich zusammen, Haruko. Das wird schon noch werden.“

„Wann denn?“, wollte Mao wissen, der in eben diesem Moment mit seiner und Katorihitos Kaffeetasse vorbeispazierte. „Müssen wir ihm erst beweisen, daß wir was wert sind, bevor er uns akzeptiert? Das geht jetzt schon seit drei Wochen so. Langsam glaub ich nicht mehr, daß er sich noch ändert.“, gab er zu bedenken.

Satsu rollte mit den Augen „Ich rede mit ihm, okay?“, schlug er vor.

„Was willst du mit dem reden? Der ist halt so. Das wirst du nicht ändern. Ich mach das nicht mehr länger mit.“, murrte Haruko, schon etwas ruhiger, und hängte sich seinen Bass am Tragegurt über den Rücken.

„Unsinn. Lasst uns weiter an den Outfits arbeiten, los.“

„Ich geh erstmal Kaffee holen, sonst wird Katori noch unleidlicher.“, warf Mao ein. Der schien das von allen noch am gelassensten zu nehmen. „Wollt ihr auch welchen, wenn ich schonmal auf dem Weg in die Küche bin?“

„Gern, danke.“, murmelte der Drummer und griff sich seufzend an die Stirn.

„Ich geh mit, ich will noch nicht zurück in den Probenraum. Und außerdem kannst du ja schlecht vier volle Tassen tragen. ... Sag mal, bin ich der einzige, der Katori für einen selbstgefälligen Kotzbrocken hält?“

Satsu sah den beiden noch nach, wie sie gemeinsam um die Ecke verschwanden, auf dem Weg zur Küche, und ging dann kopfschüttelnd wieder hinein.
 

„Ist er noch da?“, wollte der Vocal gleichmütig wissen, als Satsu zurückkam.

„Ja, aber mächtig angefressen.“

Katorihito kicherte leise. Dann klappte er die Zeitung zu und schob sie von sich. „Du hältst dich nicht an die Regeln.“

„Katori, ...“ Der Bandleader wollte sagen, daß das so nicht weitergehen konnte. Das er den beiden Unrecht tat. Aber der Blick des anderen hielt ihn schon davon ab. Je mehr er sagen würde, umso länger würde es dauern, das war Satsu klar.

Die Tür ging auf und unterbrach die beiden vorläufig in ihrem vorwurfsvollen Wettstarren.

„Hier, dein Kaffee, Katori.“, meinte Mao betont ruhig.

Haruko lies sich nur murrend auf einen Stuhl fallen.

Katorihito nickte zufrieden, dankte aber nicht. Ehrlicherweise überlegte er sogar, sich zu beschweren, daß das so lange gedauert hatte. Aber er ließ es. Er wollte den beiden heute nicht noch endgültig den Rest geben. Er nippte an der Tasse und sah sich um. Sein Blick fiel auf die Uhr. Noch eine Viertelstunde, dann wollten sie ohnehin Schluss machen. Zumindest die konnte er nutzen. Er klaubte ein paar Textblätter vom Tisch und bewies den anderen, warum er trotz seiner inakzeptablen Manieren immer noch Vocal dieser Band war. Vor allem Haruko, der sich langsam zum Hauptkomponisten der Band heraushob, schmolz immer regelrecht dahin, wenn er diese helle, powergeladene aber dennoch kristallklare Stimme hörte und daran dachte, was für geile, anspruchsvolle Songs er dafür schreiben konnte. Er liebte Katorihitos Stimme und Katorihitos Vermögen, während einer einzigen Textzeile dreimal die Emotionen des Klangbildes zu wechseln. Der Vocal konnte Aggression, Freude, verheißungsvolle Versprechungen und all das, was Menschen sonst noch in ihren Gesang hineinzaubern konnten, mit solcher Intensität ausdrücken, daß es einem Schauer über Schauer den Rücken hinunterjagte. Aber sobald der Vocal aufhörte zu singen, begann Haruko ihn einfach nur noch zu hassen.
 

Tag 21
 

„Morgen!“, meinte Mao, als er auf dem Weg zum Probenraum seinen Bassisten traf. Sie liefen den Rest des Weges gemeinsam. „Was ziehst du denn heute für eine Flunsch?“, wollte er mürrisch wissen. Dieses Gesicht, das Haruko zog, war ja richtig desmotivierend, so früh am Morgen.

„Ich hab heute keinen Bock, mich wieder von Katorihito blöd runtermachen zu lassen. Ich schwöre dir, wenn er heute wieder so ist, schütte ich ihm Rizinus-Öl ins Essen!“, maulte der und wedelte demonstrativ mit einem kleinen Glasfläschchen.

„Neeeeeiiiiiin!“, keuchte Mao und versuchte ihm die Flasche panisch wegzunehmen, aber Haruko zog sie außer Reichweite. „Kindischer Dickkopf!“, jaulte er weiter. „Hast du denn gar nichts begriffen? Bisher war das alles nur Spaß für Katori. Aber das hier ist Körperverletzung, das geht zu weit! Wenn du ihn gewaltsam dazu bringst zu gehen, dann bist du der nächste den Satsu hochkant aus der Band rauswirft!“

Sie prallten beide wie gegen eine Wand gelaufen zurück, als sie um die Ecke bogen und Katorihito dort mit verschränkten Armen an einer Wand lehnen sahen. Der eiskalte Blick, mit dem er sie maß, sprach Bände. Er hatte das ganze Gespräch mitgehört, daran bestand kein Zweifel. Der Vocal holte Luft, um etwas zu erwidern, wurde aber vom Klingeln seines Handys daran gehindert. Sauer zerrte er das Telefon hervor, sah auf das Display und schwankte kurz sichtlich zwischen den Optionen, abzunehmen oder den Anruf zu ignorieren und den beiden stattdessen so richtig eine Standpauke zu halten. Fluchend wandte er sich schließlich ab und nahm den Anruf doch entgegen. Dabei lief er los, um außer Hörweite zu gelangen und ungestört zu sein.
 

Mit einem gut gelaunten Lächeln handwerkte Satsu auf seinem Schlagzeug herum, summte erst leise die Melodie des Liedes mit, und sang den Text schließlich laut, um sich selbst, die Gitarre und den Bass zu übertönen. Es war schwer, diesen Song gänzlich ohne Lyrics zu proben, denn man wusste sehr schnell nicht mehr, an welcher Stelle man eigentlich gerade war. Satsu musste mitsingen, um zu wissen, wann seine Takte wechselten.

Katorihito regte sich müde auf dem Sofa, wo er gerade herumlag, und warf einen vorwurfsvollen Blick in die Runde. „Man, Satsu, du singst grauenvoll!“, stellte er fest, ganz als sei es schon schlimm genug, daß die überhaupt während der Bandproben proben mussten. Er riss erschrocken die Hände in die Deckung, als ein Drumstick in seine Richtung geflogen kam.

„Dann sing doch selber, du Idiot!“, zeterte der Drummer sauer.

„Echt mal! Du liegst nur rum und pennst! Du könntest ruhig mal mitmachen! Ist ja nicht so, als ob dein Gesangspart irgendwie unwichtig wäre!“, schaltete sich auch Haruko sofort ein.

Katorihito lachte nur leise, drehte sich auf seinem Sofa wieder um und schlief weiter. Er musste nicht üben, er konnte seine Texte. Und das ließ er die anderen gern und deutlich spüren.

„Hey, hörst du mir zu? Beweg sofort deinen Hintern ans Mikro, statt uns hier so hochnäsig die kalte Schulter zu zeigen!“

„Haruko, bitte.“, seufzte Satsu, um den Bassisten zu unterbrechen bevor er noch ausfälliger wurde. Dann schlürfte er los, um seinen Drumstick wieder einzusammeln. „Komm schon, Katori. Es wäre wirklich leichter für uns, wenn du bei den Proben mal ein bischen mitmachen würdest.“

„Ihr kommt doch gut klar.“

„Katori!“

„Jaja, schon gut ...“ Der Vocal raffte sich ächzend von seinem Liegeplatz hoch.

„Warum bist du der einzige, auf den Katorihito wenigstens ab und zu noch hört?“, maulte Haruko und klimperte beleidigt auf seinem Instrument herum.

„Weil er immer noch Bandleader ist.“, gab Katorihito gleichgültig zur Antwort und räusperte sich mehrfach klangvoll um seine Stimmbänder frei zu machen. „Also, was wollt ihr spielen?“
 

„Nagut, übt mal schön weiter. Ich gehe.“, beschloss der Vocal kurz darauf, nachdem er gerademal einen Song mit seiner Band gespielt hatte.

„Was denn, und du hast das Üben wohl nicht nötig, oder wie?“, schnappte Haruko.

Katorihito blieb grinsend in der Tür stehen. „Na hör mal, das ist MEIN Song, den kann ich in- und auswendig.“

Der Bassist begann, ihn mit den bittersten Flüchen zu betiteln, brachte ihn damit aber lediglich zum Lachen, bis Mao schließlich dazwischenging und beide genervt anfuhr, gefälligst aufzuhören. Die waren ja wie kleine Kinder, nicht auszuhalten.

„Du hast Recht, genug jetzt. Also denn, ich bin weg, Leute.“, kicherte Katorihito, zum Abschied winkend.

„Ja, und komm bloß nicht wieder!“, rief der Bassist ihm nach.

„Haruko, das reicht!“, blaffte Satsu sauer.

„Da! Da hast du´s schon wieder, du nimmst schon wieder diesen überheblichen Sack in Schutz! Warum verdammt nochmal nimmst du immer ihn in Schutz!?“

„Krieg dich ein! Er hat einen wichtigen Termin, er kann heute nicht länger bleiben.“

„Ach ja?“, machte er verdutzt.

„Ja.“

„Und warum kann er das nicht ganz normal sagen, statt hier Mister Obercool zu spielen?“, ertrotzte sich der Bassist dann doch noch ein Gegenargument.

„Weil du es zulässt, du Dummkopf.“, gab Satsu ruhig zurück. „Merkst du nicht, daß er seinen Spaß daran hat, wenn du immer gleich so überreagierst?“

„Willst du es jetzt etwa noch mir in die Schuhe schieben, daß er so ein hochnäsiger Sacktreter ist?“, zeterte Haruko hysterisch.

„Unsinn! Aber du tust nicht gerade viel, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und jetzt probe weiter den Song. Der sitzt bei dir noch lange nicht!“ Der Drummer lies ihn einfach stehen und ging, um weitere Diskussionen zu vermeiden.
 

„Du siehst schlecht aus, Satsu. Ist alles okay bei dir?“, wollte Mao vorsichtig wissen, als er den Drummer eine halbe Stunde später nach einigem Suchen in der Küche fand. Eigentlich wusste er, daß gar nichts okay war. Schon lange nicht mehr. Aber Satsu würde das auch weiterhin abstreiten, also konnte Mao nicht viel mehr tun als immer wieder nachzubohren, bis er genug wusste um irgendwie helfen zu können.

Satsu seufzte und nahm die Hände aus dem Gesicht. „Dieses ewige Gezanke macht mich fertig. Ich bin am Ende.“, gestand er.

Mao setzte sich an den kleinen Tisch zu ihm. „Du willst Katorihito mit aller Macht halten. Wieso?“, fragte er in mitfühlender Tonlage. „Ich meine ...“ Ein hilfloses Schulterzucken überbrückte die Zeit, bis er passende Worte fand. „Katori ist erstklassig, keine Frage. Und seine Stimme ist so markant, daß sie uns auf Jahre hinaus zum Markenzeichen gereichen wird. Aber wir werden nie erfolgreich mit ihm sein, wenn wir uns ständig nur die Köpfe einschlagen. Um da draußen zu bestehen, müssen wir uns intern schon ein bischen einig sein.“

„Ich weis.“ Satsu nickte matt. „Das wird noch, Mao, keine Sorge. Das ist nur eine Phase. Katori ist ... ich ... ich hatte nur geglaubt, ich könnte das alles leichter ertragen, wo ich doch Bescheid weis.“, murmelte er gedankenversunken.

Der Gitarrist sah ihn zwischen abschätzend und wartend an. „Weil du worüber Bescheid weist?“

Keine Antwort.

„Satsu, was ist los mit ihm? Sag es mir!“

„Es ist nichts. Vergiss das bitte wieder, Mao.“ Er stand auf und suchte fluchtartig das Weite. Mao war sich nicht sicher, ob er Tränen in den Augen gehabt hatte, aber wahrscheinlich war es besser, dem Drummer jetzt nicht nachzulaufen. Der musste nervlich ganz schön nieder sein. Mao fragte sich, warum er sich das antat. Katorihito ganz sachlich wieder aus der Band herauszunehmen, oder ihm zumindest mal so richtig die Meinung zu sagen, war doch nun wirklich kein Todesurteil. Er fragte sich, ob Katorihito Satsu irgendwie in der Hand hatte, und damit unter Druck setzen konnte. Womit auch immer.
 

„Hi, Jungs, bin wieder da!“, schallmeite Katorihito fröhlich, als er zwei Stunden später wieder in der Tür auftauchte.

Satsus Blick ruckte zur Uhr. „Das ging aber schnell. Ich dachte nicht, daß du heute nochmal wiederkommst. ... Und, alles geklärt?“

„Ja, alles super. Wir haben unseren ersten Auftritt in der Tasche!“

Die drei anderen verloren synchron jegliche Gesichtsfarbe.

„Ka´ ... du bist gerademal drei Wochen bei uns ...“, hauchte Satsu wie erschlagen. „Wir sind noch lange nicht so weit.“

„Keine Angst, der Auftritt ist erst in 3 Monaten. Wir haben noch genug Zeit zum Proben und alles.“, lachte Katorihito.

„Das schaffen wir nie. Nicht bei unserer derzeitigen Arbeitsweise. Vor allem nicht bei DEINER.“, warf Haruko ein.

„Immer mit der Ruhe, Leute. Ich habe kein Interesse daran, euch oder mich selber reinzureiten. Wenn wir das Konzert vergeigen, versaue ich mir auch selber alle Chancen. Also wenn ich sage, wir schaffen das, dann meine ich das auch so.“

Satsu lächelte dezent. Vielleicht ging es ja jetzt bergauf. Wenn Katorihito schon Auftritte arrangierte, schien er nun ernsthaft mit dieser Band arbeiten zu wollen. Wohlmöglich war er ja ab jetzt etwas kollegialer. Unvermittelt fühlte sich Satsu bei diesem Gedanken ein wenig besser.

"Ach übrigens, Mao, geh mal Schnee schippen. Die Einfahrt ist total zu.", meinte Katorihito und drückte dem Gitarristen auch sogleich dienstbeflissen die breite Schneeschaufel aus der Ecke in die Hand.

"Aber ... ich hab gestern schon geschippt! Heute bist du eingeteilt!"

"Na, dann bist du eben heute nochmal dran." Der Frontmann spazierte grinsend davon.

"Satsuuuuuuu!"

"Nein, man, regelt das alleine!", jaulte der Bandleader hysterisch. Er hatte es satt, immer Mittelsmann zu spielen.
 

Tag 22
 

Mao klinkte prüfend an der Tür des Probenraums und musste verwundert feststellen, daß sie sich tatsächlich öffnen ließ. War da etwa jemand noch eher als er selber? Mit fragendem Blick trat er ein und sah Katorihito auf dem Sofa liegen. Er lag auf dem Rücken, hatte die Beine angestellt, hielt sich mit einer Hand ein Klemmbrett ins Sichtfeld und mit der anderen einen Bleistift, auf dem er nachdenklich herumnagte. Der Vocal verdrehte bei Maos Eintreten den Kopf, um die Tür sehen zu können.

„Hey. Du bist aber früh dran.“, meinte der Gitarrist.

„Hm.“, machte der Schwarzhaarige nur und wandte sich wieder seinen Notizen zu. „Hast du Lust, mir bei einem Song zu helfen? Ich krieg die blöde Begleitung nicht koordiniert.“

„Klar, gern. Was soll ich machen?“

„Schnapp dir mal bitte deine Gitarre und spiel den D-Accord auf ein Achtel.“

Mao klappte nickend seinen Gitarrenkoffer auf und testete kurz alle Saiten durch, ob er sie nachstimmen musste. Dann setzte er sich zu Katorihito auf die Sofakante und begann gleichmäßig anzuschlagen.

Katorihito hörte sich das eine Weile an, während er abschätzend seinen Songtext las. Erst nickte er, dann schüttelte er doch den Kopf. „Nein, versuch mal bitte den A-Accord.“

Mao tat wie ihm geheißen, während er ebenfalls einen Blick auf die Lyrics warf, die der Vocal da geschrieben hatte. Ein anspruchsvoller Text. Wieder hörte Katorihito eine Weile dem monotonen Rhythmus der Gitarre zu, bis Mao sich schon fragte, ob der Sänger überhaupt noch mit den Gedanken bei der Sache war. Aber dann fing er doch an, Markierungen zwischen die Zeilen zu kritzeln und bat Mao, jeden dritten Anschlag auf den D-Accord zurückzuspringen. Katorihito begann seinen Text zu singen, um zu sehen, ob die Taktung am Ende aufging. Der Gitarrist war erstaunt, wie klar und volltönend der Vocal selbst im Liegen noch singen konnte. Dann sagte er Mao eine kurze Tonfolge an, die er immer wieder von vorn spielen sollte und begann das Ganze erneut.

„Im Refrain geht meine Stimme wieder runter. Kannst du noch zwei Takte länger oben bleiben als ich, bevor du die Tonleiter wieder runterspielst? Die Zeitverzögerung dürfte einen interessanten Effekt geben.“

„Ist gut. Was hältst du davon, im Refrain die Gitarre schneller zu takten als den Gesang? Wird das zu hektisch?“

„Weis nicht ... spiel doch mal, dann hören wir es.“, schlug Katorihito vor und sang nochmal die letzte Zeile der ersten Strophe, um den Übergang zum Refrain mit einzuschließen, während Mao seine Ideen umsetzte. Dann wogen beide nachdenklich die Köpfe. „Da muss das Schlagzeug mitziehen, dann könnte es schon was werden ...“

„Dann übernimmt aber der Bass die Führung, das wird ziemlich düster. Willst du das?“, gab Mao zu bedenken. Langsam entwickelten sich die beiden in eine recht arbeitsame Atmosphäre hinein, dachte der Gitarrist zufrieden. Katorihito fragte nach Unterstützung und nahm auch konstruktive Ideen für voll, das war ja mal richtig was Neues. Mao hatte bisher noch nie erlebt, daß der Sänger überhaupt mit anderen Bandmitgliedern gemeinsam an etwas arbeitete. Wenn er überhaupt mal was machte, dann allein. Er ließ sich eigentlich nie irgendwo reinpfuschen.
 

„Ich könnte in der Bridge die Melodie spiegelverkehrt spielen. Also die Tonleiter runter, statt rauf.“, warf Mao euphorisch ein und klimperte auch gleich los, um zu demonstrieren, wie das klang. So machte es richtig Spaß, mit Katori zu arbeiten. Und der Song gefiel ihm, der Melodieverlauf der Lyrics war anspruchsvoll und eingängig. Ihm kamen noch jede Menge neuer Ideen, die dazu passen könnten, und er war gespannt, wie der Vocal sie finden würde.

Katorihito machte nur noch gelassen ein paar Notizen auf sein Textblatt und wedelte dann wegscheuchend mit der Hand. „Das wäre alles, Mao.“ Es war der Tonfall, in dem man einen Bediensteten wegschickte.

„Wie jetzt!?“, gab der verdutzt zurück und brach sein Gitarrenspiel ab.

„Ich brauch dich nicht mehr.“ Die interessierte Offenheit in Katorihitos Stimme war übergangslos einer abwertenden Nuance gewichen.

Mao blieb die Luft weg. Diese so plötzliche Abfertigung traf ihn bitter. Hatte er sich wirklich gerade noch gefreut, daß man mit Katorihito so gut arbeiten konnte? Beleidigt blies er seine Wangen auf, bis er aussah wie ein Pummeluff. „Was soll das auf einmal? Wieso fragst du mich dann überhaupt erst um Hilfe?“

„Weil es mir gerade gelegen kam. Jetzt komm ich wieder alleine klar.“

Sauer stand Mao von der Sofakante auf und ging kopfschüttelnd zum Tisch hinüber. „War mir eine Ehre, du Vollidiot.“, grummelte er in beißend zynischem Ton.

„Ich muss mich nicht dafür beleidigen lassen, daß ich dir erlaubt habe, an meinem Song mitzuarbeiten.“, entgegnete Katorihito ruhig, ohne von seinen Lyrics aufzusehen.

„Oh, erlaubt hast du es mir also. Wie gnädig.“

„Meine Fresse, müsst ihr schon am frühen Morgen streiten?“, mischte sich Satsu ein, der in diesem Moment den Probenraum betrat. „Und nein, ich will es gar nicht wissen!“, kam er Maos Einwänden schon zuvor. Am liebsten hätte er gleich allen beiden für den Rest des Tages den Mund verboten. Und vermutlich hätte das Katorihito nichtmal gestört. Aber es hätte jegliche weitere Anwesenheit aller Beteiligten überflüssig gemacht, und das ging leider nicht.
 

„Satsu, ich brauch ein Schlagzeug.“, wechselte Katorihito auch gleich das Thema, kaum daß dieser richtig angekommen war, und ohne auch nur Hallo zu sagen.

Der Drummer schnaufte missgestimmt. „Da drüben steht es, bedien dich.“

Katorihito warf ihm einen strafenden Blick zu. „Du weist, wie ich das gemeint habe.“

„Wieso muss ich immer springen, wenn du pfeifst? Mach erstmal richtig bei unseren Proben mit, Kollege, dann kannst du uns auch für deine Zwecke rumscheuchen!“

„Richtig so, Satsu, sprich endlich mal ein Machtwort!“, warf Mao triumphierend ein.

Katorihito wandte sich gleichmütig wieder seinen Lyrics zu. „Gut, wenn du meine Musik nicht willst, dann eben nicht.“

Satsu seufzte. „Schon gut, tut mir leid. Ich war nur etwas angenervt, weil ich euch schon habe rumzanken hören, bevor ich überhaupt im Probenraum angekommen bin. Nimm es nicht persönlich.“ Er pflanzte sich hinter sein Schlagzeug und griff nach den Drumsticks. Am Rande hörte er Mao aufstöhnen, wütend darüber, daß nun doch wieder alles nach Katorihitos Pfeife tanzte und der Bandleader wieder nichts dagegen unternahm. „Also, was soll ich spielen?“, wollte Satsu wissen und ignorierte den Gitarristen. Katorihito hatte bereits einen wirklich endgeilen Song aus purem Trotz an eine befreundete Band verschenkt, welche damit definitiv bald erste Erfolge feiern würde. Satsu wollte einfach nicht, daß der Vocal sein Potenzial nochmal verschenkte, nur weil eines seiner Bandmitglieder herumzickte und sich weigerte, zu spielen. Sie waren schließlich eine Band, um Musik zu spielen, also würde er auch spielen, wenn Katorihito oder irgendjemand anderes Ideen lieferte. Katorihito nannte ihm eine Taktfolge und er trommelte ohne zu fragen los.

Deutlich angenervt griff Mao nach seiner Gitarre und begann seine bisher erarbeiteten Riffs zu dem Song mitzuklampfen.

„Mao, lass die Gitarre weg, ich brauch nur Schlagzeug.“, warf der Vocal ganz selbstverständlich ein und starrte wieder auf sein Textblatt, um emotionslos die Rhythmik der Worte mitzuverfolgen.

„Willst du nicht hören, wie alles zusammen klingt?“, maulte Mao, fest entschlossen dem Sänger seine Hilfe einfach aufzuzwingen, auch wenn der Kerl noch so abweisend sein mochte. Er ließ sich nicht einfach das Spielen verbieten.

„Nein, derzeit noch nicht. Es geht hier reinweg um die Taktung. Das soll noch nach nichts klingen, ich will nur, daß das Taktmaß stimmt. Also hör auf, diese Accorde zu spielen, bevor du sie dir am Ende noch merkst. An denen arbeiten wir später.“, erklärte Katorihito und schob sich wieder den Bleistift zwischen die Zähne.

Satsu trommelte weiter den vorgegebenen Ablauf, bis Katorihito ihm etwas gegenteiliges oder anderes mitteilte. Er hoffte, Haruko würde heute nicht allzu pünktlich sein, sonst war der nächste Krach schon vorprogrammiert, weil sie ohne ihn probten.

„Gut, reicht schon.“, entschied Katorihito nach einer Weile.
 

Satsu stellte sein Werk wieder ein. „Okay. ... sonst noch was?“

„Mao, sing mal.“

„Nein.“, gab Mao ganz entschieden zurück.

Der Vocal drehte ihm missgestimmt den Kopf zu. „Was heißt hier <nein>? Sing gefälligst!“

„Vergiss es. Sing du mal schön selber, das ist immer noch dein Part.“

„Ich will doch nur ...“

„Ich singe auch kein Background!“, unterbrach Mao ihn schnippisch. Er wusste schon, worauf Katorihito hinaus wollte.

„Mao ...“, mischte sich nun Satsu ein.

„Nein!“

„Hör auf, rumzuzicken!“

„Ich zicke nicht rum!“

„Doch, tust du. Es geht dir doch hier gerade reinweg ums Prinzip. Du willst bloß nicht singen, weil es Katori ist, der dich darum bittet.“

„Erstens, er bittet nicht, er befiehlt. Und ja, was das angeht ist es wirklich eine Prinzipfrage! - Und zweitens, wenn ich singen könnte, hätte ich es längst getan!“

Katorihito kicherte. „Komm schon, jetzt sei doch nicht so.“, meinte er dann, um etliche Stufen freundlicher. „Wenn du für mich singst, darfst du den Rest des Tages auch von mir alles verlangen, was du willst.“

In Maos Augen blitzte er verräterisch auf. „Sei vorsichtig mit solchen Versprechen. Ich werde verlangen, daß du wenigstens einen Tag lang mal ganz normal bist! Was steht als Strafe aus, wenn du das nicht kannst?“

Katorihito lachte lauter. „Was steht denn für dich als Strafe aus, wenn du nicht singen kannst?“, gab er die Frage postwendend zurück. Diese Forderung bereitete ihm offenbar kein Kopfzerbrechen.

Der Gitarrist murrte kurz sauer in sich hinein. „Was soll ich denn singen?“

„Das ist mir egal. Ich will doch bloß wissen, wie deine Stimme klingt.“

„Wehe ich krieg von dir einen blöden Kommentar dafür!“, drohte er noch und hob dann einen Hit einer bekannten Rockband an.
 

„Hmmm ... klingt doch gar nicht so schlecht wie du behauptet hast.“, stellte der Vocal fest.

„Und ich sing trotzdem kein Background!“

„Ja, schon gut, ich hab´s verstanden.“ Katorihito wandte sich wieder seinem Songtext zu und nagte weiter auf seinem Bleistift. Kurz herrschte Schweigen.

Mao rutsche zappelig auf seinem Stuhl herum. Einerseits wollte er gern noch ein wenig beleidigt vor sich hinschmollen, andererseits wollte er aber auch zu gern an diesem megageilen Song mitarbeiten, den Katorihito da gerade bastelte. „Wir könnten natürlich auch alle im Chor singen, das würde bestimmt auch pompös klingen.“, sinnierte er dann, quasi als Zugeständnis. „Wenn wir alle den letzten Refrain zusammen gröhlen, wird das sicher ein tolles Finish.“

„Okay. Dann muss ich den letzten Refrain modifizieren. Kein Problem.“ Der Vocal nickte, kritzelte wieder auf seinem Klemmbrett herum, musterte es dann und seufzte. „Verdammt, ich muss ihn nochmal abschreiben, ich seh nicht mehr durch.“

„Du, Katori?“

„Hm?“

„Kannst du exhalen?“, wollte Mao wissen. Das interessierte ihn schon die ganze Zeit brennend, aber er hatte bisher nie gewagt, danach zu fragen. Da Katorihito ja aber nun aufgrund ihrer Abmachung alles mitspielen musste, was dem Gitarristen in den Sinn kam, warum nicht jetzt?

Katorihito sah nachdenklich auf. „Ja, aber ich mag es nicht. Ich bin kein Fan davon, mein Mittagessen in die Soundanlage zu kotzen. Und da ich auch eine Oktave höher singe als meine normale Sprachstimme, klingt es außerdem noch ziemlich lächerlich ... Wieso fragst du?“

„Sing mal exhale sounds.“

„Nein.“

„Du hast es versprochen. Ich hab schließlich auch gesungen!“

Wenig begeistert legte er das Klemmbrett weg, wuchtete sich aber brav hoch. „Na meinetwegen. Dafür muss ich aufstehen, im Liegen geht das gar nicht.“
 

Tag 25
 

Er hatte die Hände tief in die Jackentaschen vergraben und starrte konzentriert auf den Weg vor sich, während er lief. Er ging langsam. Es war kurz vor Mitternacht, stockdunkel und er konnte den Asphalt kaum erkennen, daher musste er ganz genau hinsehen, um nicht in ein Schlagloch zu stürzen oder ähnliches. Deshalb erschrak er um so mehr, als ihn jemand von der Seite fast über den Haufen rannte.

„Oh, entschuldigen Sie, hab Sie gar nicht gesehen ...“, nuschelte der andere.

Katorihito stutzte. Die Stimme erkannte er. „Mao?“, fragte er die unkenntliche Sillhouette in der stockfinsteren Nacht. „Bist du das?“

„Katori?“

„Was treibst du so spät hier draußen? Du hast mich erschreckt.“

„Tut mir leid, das wollte ich nicht. ... Ich muss zur Tankstelle. Ich brauche ein paar Batterien, weist du? Das kann nicht bis morgen warten.“

Der Vocal schmunzelte. „Dann lass uns doch ein Stück zusammen gehen.“, schlug er vor.

Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den beiden, während sie auf eine größere, besser beleuchtete Straße zuhielten. Mao wusste offenbar nicht so recht, wie er ein Gespräch mit dem sonst so abweisenden Schwarzhaarigen anfangen sollte. Und Katorihito war gerade einfach zu müde, um sich selbst ein Thema auszudenken, über das er reden könnte. Und er hatte im Moment auch nicht die Kraft, so unfreundlich zu sein, wie sonst immer.

„Was hast du heute so gemacht?“, begann Mao schließlich doch zögerlich. Es war Sonntag, da standen keine Bandproben auf dem Plan. Sie hatten sich heute also noch nicht gesehen.

„Ich hatte viel mit dem Manager der Sound-Fabrik zu klären. Es war ziemlich langwierig und ermüdend, endlose Detailnörgelei, aber es hilft ja nichts.“

„Du hast Kontakt zur Sound-Fabrik?“, gab Mao verdutzt zurück. Das war eines der angesagtesten und größten Plattenlabels landesweit. Ein Hauch von Ehrfurcht schüttelte ihn. War das der Grund, warum Satsu immer sagte, sie könnten Katorihito nicht wieder aus der Band werfen? Weil er solche krassen Connections hatte? Aber wenn der wirklich Plattenverträge aushandelte, dann doch wohl nicht mit ihnen, wo sie sich doch ständig nur in den Haaren lagen und die Band quasi ständig auf der Grenze zur Auflösung balancierte. Katorihito machte keinen Heel daraus, daß er seine Bandkollegen im Prinzip nicht ausstehen konnte. Wie sollte so eine Truppe erfolgreich sein? Arbeitete er wohlmöglich parallel noch mit einer anderen Band, mit der er Plattenfirmen umwarb und den großen Durchbruch versuchen wollte?

„Ja, Kontakt habe ich. Aber derzeit bieten sie noch keine fairen Bedingungen. Sie ziehen ihre Newcomer echt ganz schön über den Tisch. Spiderweb ist da förderwilliger, aber die wollen ein konkreteres Konzept von mir sehen. Und das kann ich ihnen im Moment noch nicht liefern. Dazu brauche ich erst bessere Demo-Aufnahmen. Und dafür wiederrum muss mich erstmal irgendjemand in sein Studio lassen. Aber komm mal an ein Studio, wenn du noch keinen Plattenvertrag hast. Das ist ein lästiger Kreislauf.“

Spiderweb. Mao schwirrte der Kopf. Noch so eine ungeschlagene Größe am Markt. Die erfolgreichsten Bands der Szene waren dort unter Vertrag. Bei Spiderweb einzusteigen hieß mit den Weltmeistern spielen. Jetzt war der Gitarrist sich sicher, daß Katorihito mit einer anderen Band als ihnen pokerte. Zu Spiderweb ging man nicht, wenn man sich seiner Sache nicht hundertprozentig sicher war.

„Vielleicht gehe ich doch über Metro-Monopolitan. Die sind zwar verdammt kitschig, aber als Sprungbrett zu einer größeren Plattenfirma reicht es wohlmöglich. Und dann noch der ganze Kram nebenher. Ich habe so viel Lichtshow für die Bühne zu programmieren, so viele Hintergrundsounds abzumischen, die Bildsequenzen für den Bühnenhintergrund zu gestalten ... ich weis gerade gar nicht wo ich anfangen soll.“

„Warum nutzt du nicht mal unsere reguläre Arbeitszeit? Die ist doch genau dafür da. Während der Bandproben bist du ja nicht gerade der arbeitsfreudigste.“, gab Mao kleinlaut zurück. Er wusste, mit dieser Bemerkung würde er seinen Beliebtheitsgrad bei dem Vocal noch weiter senken, auch wenn das fast schon nicht mehr möglich war, aber er musste das einfach aussprechen.

Zu seinem Erstaunen lachte Katorihito leise. „Ich weis.“, gab er nur zurück und seufzte dann schwermütig. „Und was hast du heute so gemacht?“, wechselte er dann das Thema. Er schien nicht weiter über seine Rolle in der Band reden zu wollen.
 

„Oh, ich war mit Satsu Golf spielen. Das machen wir fast jeden Sonntag.“

„Das ist ja cool. Wo gibt es denn hier Golf-Anlagen?“

„Naja, eigentlich ist es nur Mini-Golf.“, gestand Mao, schon wieder verblüfft, von Katorihito keine abwertende Bemerkung zur Antwort zu bekommen. Er hatte erwartet, daß der Sänger Golf schwul finden würde, oder zumindest als Zeitverschwendung empfand. Normalerweise fand er doch prinzipiell ALLES blöd, was andere machten. „Das Sportzentrum an der Suika-Dori hat eine Mini-Golf-Etage. Die Mitgliedschaft in einem echten Golfclub kann sich kein Mensch leisten, bei dem Mangel an Bauland hier in Japan, weist du?“

„Wie spielt man das? Gibt es da auch verschiedene Arten von Schlägern, die man je nach Entfernung und Präzisionsbedarf und so weiter verwendet?“

„Nein, Mini-Golf spielt man immer mit ein und dem selben Schläger.“

„Und seid ihr gut?“

„Naja ... da wir ja jede Woche üben ... es geht schon so. Satsu spielt besser als ich. Ich schaffe es einfach nicht, ihn mal zu schlagen, selbst wenn er nen schlechten Tag hat. Er ist einfach ein Meister aller Schlagwerkzeuge, nicht nur der Drumsticks. Obwohl er mitunter ziemlich viel Unsinn mit dem Golfschläger anstellt. Wir lachen viel.“

„Das klingt lustig. Nehmt ihr mich irgendwann mal mit?“, fragte Katorihito begeistert. Nicht ganz so euphorisch wie er eigentlich gewesen wäre, wenn er nicht wegen Übermüdung fast im Stehen eingeschlafen wäre, aber doch enthusiastischer als Mao ihn kannte.

Mao zögerte kurz. Er wusste nicht, was plötzlich in den sonst so überheblichen Vocal gefahren war, aber er war sich halbwegs sicher, sich dessen Aufriss nicht auch noch in seiner Freizeit antun zu wollen. „Ja, vielleicht irgendwann mal.“, wich er also indirekt aus und versuchte ihn in der Dunkelheit zu erkennen. „Hast du Hobbys?“, wechselte er dann seinerseits das Thema.

Katorihito nickte. „Bogenschießen.“, gab er zurück. „Aber zur Zeit komme ich leider nicht oft dazu.“
 

„Also das ist auch mal ein ausgefallenes Hobby. Westliches Bogenschießen?“

„Nein, japanisch. Der Yumi ist ein asymmetrischer Langbogen, der oben länger ist als unten. Dadurch hat er eine andere Schusstechnik als der westliche Bogen. Wenn du willst, zeig ich es dir mal.“ Katorihito blieb stehen und sah an einem Haus hoch.

„Gern, würde mich mal interessieren.“ Mao blieb ebenfalls stehen.

„Okay, hier wohne ich. Ab hier muss ich dich leider alleine weiterschicken.“

„Ist gut. Die Tankstelle ist ja nicht mehr weit.“

„Na dann, komm gut wieder nach Hause, Mao. Tschüss bis morgen.“

„Ja, bis morgen zur Bandprobe. ... Du, Katori?“

„Hm?“ Katorihito sah nochmal vom Schloss der Haustür auf, in das er gerade den Schlüssel hatte fädeln wollen. Mao stand irgendwie unentschlossen herum, trat kurz von einem Fuß auf den anderen, und machte den Eindruck, als wolle er noch eine Frage stellen. Aber er traute sich schließlich doch nicht, rettete sich nur in ein „War nett mit dir.“ und stiefelte dann davon.

Katorihito sah ihm mit einem müden Lächeln nach. Ja, er wusste, wie der Gitarrist das meinte. Er konnte sich sogar denken, welche Frage ihm auf der Seele gebrannt hatte. Nämlich warum er plötzlich so nett gewesen war, und warum er sonst NIE so war. Er konnte verstehen, daß Mao keine passenden Worte gefunden hatte, um diese Frage angemessen zu formulieren. Dann schloss er endlich auf und verschwand im Haus. Er überlegte, ob er jetzt noch den Brief an Sperling-Studios schreiben sollte, oder ob er doch lieber ins Bett ging um dann morgen nicht endgültig zu verschlafen.
 

„Wie bist du denn heute drauf?“, wollte Mao wissen, als er am nächsten Tag im Probenraum erschien und den Drummer gedankenverloren auf dem Sofa herumlungern sah. Satsu schreckte hoch.

„Hm? Oh, ich hab mich nur gefragt, was Katori heute wieder für Späße für uns vorbereitet hat. Nach seinem riesen Aufriss letzten Freitag graut mir ein bischen davor.“

Mao lies sich neben ihm auf die Couch fallen. „Sei mal ehrlich, Satsu, er hat ein besseres Angebot als den Vocalpart bei uns, oder?“

„Wie kommst du darauf?“, entgegnete der Bandleader müde. Er rieb sich die Augen.

„Na, weil er sich aufführt, als hätte er es gar nicht nötig, hier zu sein, und du dir trotzdem so unglaublich viel Mühe mit ihm gibst, um ihn hier zu halten.“

„Glaubst du denn, er wäre noch hier, wenn er ein besseres Angebot hätte?“

„Ich weis es nicht ...“, seufzte Mao und starrte nachdenklich Löcher in die Luft.

Satsu haderte eine Weile mit sich, aber schließlich holte er doch Luft, um etwas darauf zu erwidern. „Um ehrlich zu sein, ja, er hat bessere Angebote. Mehrere sogar. Aber er hat sich trotzdem für uns entschieden. Das sollten wir immer ein bischen im Hinterkopf behalten. Ich jedenfalls halte es mir oft vor Augen.“

„... aber ... warum für uns?“

Satsu schüttelte nur leicht den Kopf und überließ es der Fantasie seiner Gitarristen, ob es nun Unwissenheit signalisieren sollte, oder den Willen, nichts zu verraten. Tja, warum wohl? Sicher nicht, weil er sie allesamt für unbegabt hielt, auch wenn er ihnen diesen Eindruck derzeit sehr unmissverständlich vermittelte. „Es hat Gründe, warum er so ist wie er gerade ist.“, meinte er nur.

„Sowas hast du schonmal gesagt.“

„Bitte, hab noch etwas Geduld, Mao. ... Und bitte sag um Gottes Willen Haruko nichts davon, daß er andere Angebote hat. Haruko würde das nur als Argument benutzen und erst recht versuchen, ihn wieder rauszuekeln.“ Aus Satsus Stimme schwang eine Mischung aus Resignation und Müdigkeit. Er war sichtlich auch am Ende seiner Nerven angelangt, obwohl er nach außen stets den Schein zu wahren versuchte, es sei alles in Ordnung.

„Ich verstehe euch nicht. Weder dich noch Katori.“

Keine Reaktion.

„Das wird eskalieren, Satsu. Und zwar schon in den nächsten Tagen, wenn das so weitergeht. Ich weis nicht, wie lange Haruko dieses Drama noch mitmacht. Er hatte schonmal vor, Katori Rizinus-Öl ins Essen zu schütten. Die zwei werden sich sicher noch prügeln. Du musst was tun, Satsu. Irgendwas.“

„Und was? Soll ich Katori rausschmeißen? Oder vielleicht Haruko? Sie sind im Moment alle beide unausstehlich. Obwohl sie das durchaus wie erwachsene Menschen klären könnten, sind sie beide nicht willens dazu. Wieso wird von mir erwartet, daß ich da was machen könnte? Nur weil ich nach außen hin als Bandleader auftrete, heißt das doch noch lange nicht, daß ich auch nur einem von euch was vorzuschreiben hätte.“ Der Drummer seufzte. „Ich wünschte, ich hätte deine Gelassenheit, Mao. Zu dir ist Katori am freundlichsten. Weil du ihm einfach keine Angriffsfläche bietest. Du lässt ihm gar keine andere Wahl als nett zu dir zu sein. Ich beneide dich um diese Fähigkeit.“

„Du weist mehr über Katori als du uns verraten willst. Warum? Was läuft zwischen euch beiden?“

„Bitte.“, hauchte Satsu im Flüsterton. „Frag nicht weiter. Du weist sowieso schon mehr als du solltest.“
 

Die Tür schwang auf und ein gelangweilt gähnender Vocal kam darin zum Vorschein. Sein Timing war wie immer exzellent. Er streckte sich demonstrativ. „Au man. Habt ihr heute Lust?“, wollte er rethorisch wissen. Es war klar, daß er keine hatte.
 

„Katori, kommst du mit mir auf einen Sake?“, fragte Satsu

„Ähm ... nö, keine Lust.“

„Wir müssen reden!“

„Worüber?“

„Über dich.“

Katorihito lachte auf und sah von seinem Sudoku hoch.

„Ich meine das ernst!“, beharrte der Bandleader.

„Na dann rede!“

„Ich will das nicht im Beisein der ganzen Band ...“

„Warum ey!? Wir wollen auch mitmeckern!“, schaltete sich Haruko ein, wurde aber nur mit einem genervten Handwedeln zum Schweigen gebracht. Also sah er gebannt weiter der Unterhaltung zu. Würde Satsu jetzt endlich mal ein Machtwort sprechen?

„Wenn wir was zu besprechen haben, dann los. Ich habe nichts zu verbergen.“, stellte Katorihito selbstgefällig klar.

„Bist du dir da ganz sicher?“

„Allerdings!“

Er und der Drummer starrten sich eine Weile gegenseitig an. Auf Katorihitos Zügen machte sich langsam ein triumphierendes Lächeln breit. Er hatte gewonnen. Wiedermal. Er wusste, daß Satsu vor den anderen unmöglich so frei sprechen konnte wie er gern gewollt hätte. „Du musst dich echt ändern, Katori.“, behalf sich Satsu schließlich, sehr darauf bedacht, nichts falsches zu sagen.

Katorihito zuckte mit den Schultern. „Schön. Und weiter?“

„Nichts weiter.“

Mao und Haruko stöhnten enttäuscht auf.

„Wie, das war schon alles? Dieser eine Satz war dir einen Abend mit mir und eine Flasche Sake wert?“

„Dieser eine Satz wäre mir noch sehr viel mehr wert, wenn du ihn auch beherzigen würdest!“, maulte Satsu nur.

„Du hast echt einen Sinn für´s Dramatische.“, lachte der Vocal und wandte sich wieder seinem Sudoku zu, als sei nichts gewesen.
 

Haruko schüttelte am Rand den Kopf. In Sachen Durchsetzungsvermögen war Satsu eine Niete. Zumindest gegenüber diesem Kerl hier, dem er scheinbar absolut nichts entgegenzusetzen hatte. „Was Satsu damit sagen wollte ...“

„Ich weis, was Satsu damit sagen wollte!“, unterbrach Katorihito ihn sofort, ließ sein Zahlenrätsel gelangweilt fallen und sah sich nach einer neuen Beschäftigung um.

„Den Eindruck hab ich nicht.“, maulte der Blonde.

Zielsicher angelte Katorihito nach der Musicman Sterling, die an der Sofaecke lehnte.

„Sekunde mal, lass meinen Bass in Ruhe!“, zeterte Haruko.

„Krieg dich ein, ich mach ihn schon nicht kaputt.“

„Darum geht es gar nicht! Der gehört dir nicht!“

Der Vocal zog die Bassgitarre auf seinen Schoß und testete die Saiten durch. Dann versuchte er einen Accord zu greifen. Es war eine Sache, Accorde in der Theorie zu kennen, um Songs danach schreiben zu können, und eine ganz andere, wirklich eine Gitarre in den Händen zu halten. Verwirrt probierte er mehrere Bünde aus, ohne die richtige Stelle zu finden.

„Du spielst total beschissen!“, diagnostizierte Haruko und sprang auf, um sich sein Instrument mit Gewalt zurückzuholen.

„Dein Bass IST ja auch total beschissen.“, konterte der Vocal nur und dämmte damit Harukos triumpfierende Gehässigkeit erheblich ein. Mit einer unerschütterlichen Gelassenheit lehnte er sich auf dem Sofa zurück und hielt Haruko den Bass mit einer Hand hin, als dieser ihn erreichte.

„Könntet ihr mal sachlich bleiben?“, stöhnte Satsu.

„Das WAR sachlich! Er spielt grottig, das ist eine Tatsache!“

„Deswegen ist er ja auch Sänger geworden.“, hielt der Bandleader genervt dagegen.

„Ah ja? Vielleicht sollten wir mal überlegen, warum du dann Drummer geworden bist.“, zischte der Bassist.

„Hast du eine Macke? Das geht jetzt echt zu weit, Haru!“, schaltete sich Mao ein.

Satsu wurde hysterisch. „Wie ich spiele, tut gerade gar nichts zur Sache!“

„Doch, wenn du so argumentierst ...“

„Greif dir mal an die eigene Nase, du Bass-Wunder!“

„Seid jetzt still, alle beide! Ihr klingt ja schon wie Katori!“, schnauzte Mao.

Katorihito lachte schallend auf. Jetzt fingen die schon an, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, ohne daß sein Zutun noch von Nöten war. Das war ja mal genial. Satsu und Haruko lagen sich weiter lautstark in den Haaren und beachteten den Gitarristen gar nicht. Der warf nur einen besorgten Blick zu Katorihito hinüber. Was bezweckte der Kerl bloß, wenn er ständig solche Streits vom Zaun brach? Davon hatte doch keiner was.
 

Tag 26
 

Satsu kam mit suchendem Blick hereingeschneit und fand Katorihito ganz richtig auf dem Sofa schlafend vor. Wie erwartet. Der Sänger hatte noch Zettel und Bleistift in den Händen, als sei er darüber eingeschlafen. Aber es änderte nichts daran, daß er eben schlief, statt zu arbeiten, auch wenn er wie so oft der erste war.

„Hey, bist du nur zum Schlafen hier? Hast du kein zu Hause?“, wollte Satsu wissen.

Katorihito schreckte hoch und sah auf die Uhr. Er konnte nur knapp ein Fluchen unterdrücken. Fuck, er war eingepennt. Dabei hatte er noch einiges fertig kriegen wollen, bevor die anderen kamen. Naja, dumm gelaufen und nicht mehr zu ändern. Er lies seinen Kopf zurück auf das Sofa sinken, schloss die Augen wieder und fiel auf der Stelle in diesen gedämpften Dämmerzustand zurück. „Du bist aber heute auch früh dran.“, nuschelte er noch.

„Du, ich hatte gehofft, daß du schon da wärst. Können wir reden?“

Schon wieder. Der Kerl gab aber auch gar keine Ruhe. „Wenn du duldest, daß ich schlafe, während du sprichst, kannst du von mir aus reden soviel zu willst.“

Satsu gab einen seufzenden Ton von sich. Das war nicht die Antwort, die er gewollt hatte. „Ich habe Haruko und Mao gestern darüber diskutieren hören, ob ich als Bandleader noch geeignet bin. So langsam haben sie kein Verständnis mehr dafür, daß ich dir ständig Narrenfreiheit lasse.“

„Das hatten sie doch noch nie. Was kann ich dafür, wenn du in deiner Rolle als Leader nicht überzeugend bist?“, meinte Katorihito leichthin.

„Katori, das ist alles deine Schuld!“, blaffte der Drummer sauer zurück. „Du weist ja gar nicht, was du mir damit antust! Ich bin am Ende, ich kann nicht mehr!“

„Dann haben Haruko und Mao wohl vielleicht sogar Recht.“, gab der Vocal gleichgültig zurück, ohne aufzusehen, und erwartete sogar ein bischen, daß Satsu ihm dafür an die Gurgel sprang.

„Hast du sie noch alle!?“ Jetzt schrie er schon. „Ich habe dich die ganze Zeit in Schutz genommen, du Idiot!“

Katorihito öffnete die Augen und warf einen kalten Blick auf den Drummer. „Darum habe ich dich nicht gebeten. Du redest ja als wären wir Freunde.“

Satsu blieb die Luft weg, er schnappte kurz sprachlos nach Atem. Das war nun echt der Gipfel des Ganzen. „Sind wir das etwa nicht?“, gab er fassungslos zurück.

„Wir sind Arbeitskollegen.“ Katorihito schloss die Augen wieder.

Stille.

„Ich hatte nicht erwartet, daß du mir das mal ins Gesicht sagen würdest.“, hauchte Satsu nach einer Weile am Boden zerstört.

„Warum soll ich so unfair sein, dich besser zu behandeln als die anderen beiden? Das hast du gewusst, als du mich in diese Band geholt hast.“

Satsu fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht, nicht wissend was er sagen sollte. Daher versuchte er wenigstens ruhig zu atmen. Versuchte sich einzureden, daß er das tatsächlich gewusst hatte. Hatte er doch, oder?

„Gerade von DIR hatte ich so ein Gejammere nicht erwartet.“, gestand Katorihito kühl.

„Ja ... da ist auch so viel, was ich von DIR nicht erwartet hätte, als ich dich gefragt habe, ob du unser Vocal werden willst. Wir kennen uns schon so viele Jahre, Katori. Bitte. Lass es doch jetzt langsam mal gut sein. Ich weis, daß du von allen Bandmitgliedern derjenige bist, der meine Autorität als Leader noch akzeptiert und sich meinen Befehlen beugen würde, wenn ich wöllte. Aber das widerstrebt mir. Bitte zwing mich nicht dazu, dir Befehle zu geben.“ Sicher, Satsu war Leader dieser Band und letztlich fügte sich auch der Vocal seinen Anweisungen. Aber irgendwie ließ er Katorihito meistens seinen eigenen Willen. Wohl in der Annahme, damit irgendwas besser zu machen oder ihn zu besänftigen und damit seinen Schikanen weitestgehend zu entfliehen. Nur allzuoft half es nichts. Katorihito fand auch für ihn noch mehr als genug Gelegenheiten zum Terrorisieren.

„Bei dieser Haltung solltest du dich wirklich mal fragen, warum Haruko und Mao dich anzweifeln.“, gab Katorihito nur zurück, so distanziert wie eh und je, wenn man an seine kollegiale Seite appellierte.

„Boar, du WILLST es einfach nicht einsehen!“, raunte der Drummer heißer und verzog sich beleidigt hinter sein Schlagzeug, um so laut zu trommeln, daß der Vocal zumindest auf dem Sofa kein Auge mehr zumachen würde.
 

„Hey, Leute, ich hab einen neuen Song geschrieben. Wollt ihr ihn hören?“, flötete Haruko euphorisch durch den ganzen Raum, ohne zu grüßen. Mit zielsicheren Handgriffen zerrte er seinen Bass aus dem Koffer und klampfte los.

„Was soll das denn sein? Das ist doch keine Musik.“, hörte man Katorihito vom Sofa aus maulen, kaum daß er mehr als ein paar Takte angeschlagen hatte.

Haruko brach genervt sein Spiel an, atmete sichtlich durch, tobte aber nicht los, wie sonst immer. „Das ist doch nur die Begleitung im Hintergrund. Die ist immer so schlicht. Hör es dir doch erstmal komplett an.“, schlug er betont gelassen vor. Er hatte sich heute vorgenommen, mal einen Tag lang super mit dem Vocal auszukommen und sich nicht reizen zu lassen. Es fiel ihm schon jetzt schwer, aber er riss sich zusammen.

Katorihito stand auf und angelte nach dem Blatt Papier, das der Bassist herausgelegt hatte. Wohl der Text zu seinem neuen Supersong. Er überflog die Zeilen. „Lern erstmal Englisch.“, meinte Katorihito dann abwertend und legte den Songtext zurück auf den Tisch, ohne ihn über Gebühr studiert zu haben.

Aus Haruko brach ein Wutschrei heraus. „Du elendes Großmaul!“, jaulte er außer sich. Mit diesem Songtext hatte er sich wirklich viel Mühe gegeben, hatte tagelang daran gefeilt, und nun tat der Vocal ihn so achtlos ab, ohne ihn auch nur zu Ende zu lesen! Nur weil er sich offensichtlich bei einem Wort verschrieben hatte.

Katorihito schaute kurz verdutzt, als er an den Jackenaufschlägen gepackt und rückwärts gegen eine Wand gewuchtet wurde. Der Aufprall war ziemlich hart und trieb ihm die Luft aus den Lungen. Haruko drückte ihn weiter brachial gegen die Mauer und funkelte ihn stinksauer an. „Du machst mich krank! Dir muss endlich mal wieder jemand so richtig zeigen, wo es langgeht!“, zischte er. „Jetzt hör mir gut zu! Du spielst dich hier auf wie was Besseres! Aber du wirst unsere Band nicht auseinanderbringen! Wenn du deine herablassende Art nicht sofort einstellst, werde ich dir das Leben zur Hölle machen, verlass dich drauf!“

Katorihito kicherte kurz und grinste ihm dann hochnäsig ins Gesicht. „Du hast mich noch nicht erlebt, wenn ich meine überhebliche Seite auffahre!“, erklärte er. Das pure Selbstbewusstsein stach wie Hohn aus seiner Stimme. Es störte ihn überhaupt nicht, daß er rücklings an eine Wand gestellt und bedroht wurde. Innerlich war er nicht ansatzweise so selbstsicher, aber er musste das jetzt durchziehen, wenn er seine bisherige Position in der Band nicht verlieren wollte. „Und wenn du meinst, mir das Leben schwer machen zu wollen, darfst du sicher sein ...“
 

„Haruko, hör auf!“, keuchte Satsu panisch, als er endlich seine Fassung wiederfand, und hechtete herbei, um dazwischen zu gehen.

Katorihito kam durch diese Unterbrechung nicht mehr dazu, kundzutun, wessen sich Haruko denn nun sicher sein konnte, wenn er ihm tatsächlich den Krieg erklärte. Aber da er auch keine Lust hatte, sich noch weiter um den lästigen Bassisten zu kümmern, beließ er es dabei. „Jetzt nimm deine Pfoten weg.“, befahl er und drückte Haruko einen Finger in die Kehlkopfgrube, daß dieser vor dem Schmerz reflexartig zurückzuckte, bevor Satsu ihn packen und wegzerren konnte. Kopfschüttelnd spazierte Katorihito zum Sofa und lies sich darauf fallen. Es gab ihm zu denken und stimmte ihn gleichfalls auch optimistisch, daß der Bassist nun fast handgreiflich gegen ihn wurde. Demnach hing er mit Leib und Seele an dieser Band, trotz der ganzen Streiterei momentan. Das war gut.

„Haruko, hast du eine Macke? Was ist denn in dich gefahren?“, zeterte Satsu am Rand und stürmte dem Bassisten auch sofort sauer nach, als der genervt den Rückzug aus dem Probenraum antrat. „Bleib hier! Sag mir sofort, was das sollte! Ich dulde hier keine Handgreiflichkeiten! Haruko!“

„Du bist genau so ein ignoranter Wichser!“, hörte man Haruko auf dem Gang schreien.

„Das muss ich mir als Bandleader von dir nicht sagen lassen!“

„Doch! Du Idiot nimmst immer nur Katorihito in Schutz! Siehst du nicht, daß er die Wurzel von diesem ganzen Zank und Zoff hier ist?“

„Haruko! Komm zurück und klär das gefälligst sachlich!“ Keine Reaktion mehr. Der Bassist war wohl schon auf und davon.
 

Satsu kam sauer zurück in den Probenraum. Er blieb kurz mitten im Raum stehen und massierte sich den toten Punkt zwischen den Augen. Soviel zu der Hoffnung, das Gezanke würde sich endlich legen. Die Aussicht auf den ersten öffentlichen Auftritt hatte absolut nichts am Verhältnis der Bandmitglieder untereinander geändert. Dann sah er den Vocal an. Obwohl er schon wusste, daß er nur eine großfressige Antwort bekommen würde, fragte er dennoch, ob Haruko ihm etwas ernstes getan hatte. Er hoffte wirklich, daß hier nicht noch polizeiliche Anzeigen wegen Körperverletzung zum Tragen kamen. Katorihito verneinte aber lediglich, ohne den Vorfall noch groß zu kommentieren. Er hätte den Vocal nur zu gern gefragt, ob er jetzt zufrieden war. Aber er ließ es. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen war, musste man nicht noch Steine hinterherschmeißen. Katorihito war jetzt sowieso erstmal am rumzicken, da würde so ein Kommentar ihm nur noch mehr Zunder verleihen.
 

„Hey, wir sind wieder da.“, meinte Mao gelassen, als er mit Haruko im Schlepptau vom Rauchen zurückkam. Sicher hatte er den Bassisten unten davon abgehalten, zu gehen. Und sicher hatte Haruko ihm erzählt, was passiert war. Aber er lies sich nichts anmerken, wie so meistens. Mao war schon immer ein recht ruhiger Geselle gewesen, der sehr viel kommentarlos wegsteckte. Bisher hatte noch keiner von ihnen erlebt, wie Mao abgehen mochte, wenn es ihm wirklich mal reichte.

„Na schön, lasst uns Okonomiyaki essen gehen.“, schlug Katorihito vor, obwohl schon alle wieder ihre Plätze zum Proben einnahmen. „Satsu, du zahlst doch!?“, fügte er mit einem verräterischen Blitzen in den Augen an. Der Drummer warf ihm nur einen dolchartigen Blick zu, dem Katorihito mühelos standhielt.
 

„Ka´?“

„Hm?“

„Tut mir leid.“

Sie saßen inzwischen in einem Restaurante um die Ecke. Der Vocal hörte auf, mit den Stäbchen gegen sein widerspenstiges Okonomiyaki zu kämpfen und sah verwundert auf. Hatte er gerade richtig gehört?

„Mein Wutausbruch vorhin. Das war unangemessen, ich muss mich entschuldigen.“, konkretisierte Haruko.

Katorihito setzte zum ersten Mal seit über drei Wochen wieder ein ehrliches, herzliches Lächeln auf, das alle am Tisch schlagartig befremdete. So kannten sie den Sänger gar nicht. Zugegeben, als Satsu ihn angeschleppt und dem Rest der Band als neuen Frontmann vorgestellt hatte, war er noch überaus sympathisch gewesen. So ungefähr die erste halbe Stunde lang. Danach hatte er fast schlagartig angefangen, sich wie ein Ekel vom Dienst aufzuführen. Mao und Haruko hatten sich nie einen Reim darauf machen können, ob der Sänger nach dieser halben Stunde beschlossen hatte, was besseres zu sein als der Rest der Band, oder ob es tatsächlich an ihnen lag, daß er sie nicht leiden konnte. Vielleicht hatten sie irgendwas gesagt oder getan, was ihn verärgert hatte. Satsu hatte sich jedenfalls geweigert, ihn wieder rauszuwerfen, obwohl Katorihitos Schikanen auch an ihm nicht vorbeigingen. Nun war er das erste Mal seit diesem ersten Treffen wieder mit einem netten Lächeln zu sehen.

„Schon gut, es war ja nicht unbegründet.“, meinte Katorihito geradezu fröhlich. „Ich denke, langsam kann ich mit dem blöden Testspiel auch aufhören.“

„Ehrlich?“, warf Satsu begeistert ein.

„Ja.“

Der Bandleader schmiss sich übergangslos an Katorihitos Hals, um ihm überschwänglich zu danken.

Mao und Haruko sahen sich gegenseitig verständnislos an. Testspiel? Aufhören? Und warum war der Kerl plötzlich so komisch sympathisch?

„Katori ist kein arrogantes Arschloch!“, versicherte Satsu, als er sich endlich wieder von dem lachenden Sänger gelöst hatte. „Er hat die ganze Zeit nur so getan.“

Katorihito lachte weiter. „Tut mir leid, Jungs. Es musste sein. Ich habe mehrere Plattenvertrags-Angebote in der Rückhand. Wir werden sehr schnell sehr professionell arbeiten müssen. Keine Spielchen, kein Spaß, das wird harte Arbeit. Ich musste sicher sein, daß ihr es ernst meint und diese harte Musikkarriere wirklich wollt. Ich musste sicher sein, daß ihr auch in nervtötenden Zeiten konsequent und loyal weiterarbeitet, und daß unsere Professionalität nicht an persönlichen Dingen scheitert. Wir dürfen nicht auseinandergehen, weil wir mal ein paar schlechte Tage am Stück haben. Denn spätestens auf der ersten Tour, wenn wir über Monate hinweg 24 Stunden am Tag zusammenhocken, wird das einfach nicht mehr ausbleiben. - Aber ab jetzt werde ich nicht mehr so fies sein, versprochen.“

Eine Weile herrschte ungläubiges Schweigen.

„Satsu, wusstest du das etwa?“, ergriff Haruko schließlich als erster das Wort.

„Die ganze Zeit, ja. Ich habe lange und ausführlich mit Katori darüber diskutiert, bevor er in unsere Band kam. Es war quasi seine Bedingung.“

„Du fieser Sack, ey, uns so reinzureiten!“

„Moment mal, ich musste seine Schikanen genauso ertragen wie ihr!“, lachte der Drummer.
 

„Leute, ich meine das ernst. Wenn wir erst einen Plattenvertrag haben, werden uns die Manager und Labelbetreiber im Nacken sitzen. Und gegen die war ich noch harmlos, glaubt mir. Man könnte meinen, die werden dafür bezahlt, alles scheiße zu finden, ihre Musiker nieder zu machen, Termindruck zu schieben und uns zu Sachen zu verpflichten die uns nicht passen, rein zu Marketingzwecken. Satsu muss da als Leader echt aufpassen, daß wir nicht in ein Image gepresst werden, das wir nicht wollen. Ich hab euch nur ein bischen aufgezogen. Aber bei denen geht es um viel Geld, die verstehen keinen Spaß.“, warf Katorihito bedeutungsschwer ein und beäugte dann wieder sein Essen. Irgendwie musste dem widerspenstigen Grillwerk doch beizukommen sein. Sein Hunger flammte neu auf, jetzt wo die Wahrheit endlich raus war und er wieder er selbst sein konnte. Es hatte ihn am Ende selber ganz krank gemacht, immer so abwertend sein zu müssen. Mehr als einmal war seine Fassade derart gebröckelt, daß er wirklich Angst hatte, sich zu verraten. Aber er wollte erst völlig überzeugt von den beiden sein. An seinem langjährigen Freund Satsu hatte er nie gezweifelt, und konsequenterweise auch ihn niedermachen zu müssen, war ihm am schwersten gefallen.

Sicher, er hätte auch weichere Methoden gehabt, die Loyalität und Belastbarkeit der Nachwuchsmusiker zu testen, aber die hätten zu lange gedauert. Die Sound-Fabrik würde auf ihn nicht warten, er musste bis Ende des Monats eine funktionierende Band vorzeigen können, die bereit war, das harte Musikgeschäft zu meistern. Es gab zahllose gute Bands da draußen, aber die meisten scheiterten, sobald sie feststellen mussten, daß das ein echter Knochenjob war, bei dem man nichts geschenkt bekam. Die zwei Stunden Ruhm, die man auf der Bühne genießen durfte, bezahlte man tausendfach, vorrangig mit der Einsamkeit und einem halben Sklavendasein unter der Knute eines gewissenlosen Labelbetreibers. Dessen musste man sich bewusst sein. - Und diese drei waren sich dessen jetzt bewusst, das war Katorihito klar.

X-act

„Woar, guckt euch das an!“, nörgelte Haruko so lautstark, daß seine Bandkollegen es selbst über den Krach der aufgedrehten Boxen hinweg hören mussten. „Das ist doch Konserven-Musik! Der spielt gar nicht live!“ Stinksauer zeigte er auf den Gitarristen auf der Bühne. Katori, Satsu, Ruri und er waren hier, um sich das Konzert einer aufstrebenden Mittelklasse-Band anzuschauen. Die Typen waren zwar noch nicht so richtig berühmt und erfolgreich, arbeiteten aber schon fleißig daran.

„Ja, und selbst das macht er schlecht.“, stimmte Ruri den Schimpfkanonaden zu. Ruri war ein Musikkollege aus einer befreundeten Band. So richtig leiden konnten ihn die wenigsten, erst recht Haruko und Satsu nicht, aber da er ein Kumpel von Mao war, wurde er mehr oder weniger geduldet.

„Was hier aus den Boxen leiert, müsste der Typ mindestens im 12. oder 13. Bund spielen. Guckt doch mal, wo der seine Finger auf der Gitarre hat!“, wetterte Haruko weiter. „Wieso macht der sich überhaupt noch die Mühe, seine Gitarre mitzuschleppen? Da hätte er sich auch gleich mit einem Glas Bier auf die Bühne setzen können! So eine Frechheit! Unverschähmt!“

Katorihito seufzte. „Nun krieg dich wieder ein, Haru.“

„Nein, ich will mich nicht einkriegen! Die Säcke verlangen einen Haufen Kohle für den Eintritt! Wenn die da schon playback spielen müssen, dann soll wenigstens die Performance stimmen!“

„Er hat Recht. Das hier ist wirklich drittklassig für eine Band, die erfolgreich werden will. Ich schätze, der Vox singt auch nicht live. Sonst würde man die Anstrengung an den Adern und Sehnen in seinem Hals sehen.“, stimmte Ruri zu.

Der Bassist begann die Band auf der Bühne lautstark auszubuhen und nahm sich dabei auch kein Blatt vor den Mund.

Katorihito wandte sich leicht ab und tat so, als würde er den Blonden nicht kennen. Man, war das peinlich. Die Leute ringsum warfen ihnen bereits böse Blicke zu. Auch die Aufmerksamkeit der Band auf der Bühne hatten sie schon auf sich gezogen. Aber die konnten natürlich nichts tun. Solange ihr Playback weiterlief, mussten sie brav weiter so tun, als würden sie Musik machen.

„Amateure! Heuchler! Buuuuuuh! Schande! Von der Bühne, ihr Abzocker! Lern erstmal Gitarre spielen!“

Ruri lachte, statt etwas zu sagen, und Satsu war ebenfalls auf die Verleugnungs-Masche verfallen und kannte Haruko plötzlich nicht mehr. Also blieb es wieder an dem Sänger hängen, Haruko am Jackensaum zu schnappen und davonzuschleifen. „Komm schon, lass uns gehen, bevor du den Kerl noch von der Bühne zerrst.“ Er ärgerte sich, Haruko mitgenommen zu haben. Er fand die Musik nämlich ziemlich toll. Klar war es blöd, wenn die nicht live spielten und dann auch noch so schlecht, daß man es sogar merkte. Aber musste man sich davon gleich das ganze Konzert vermiesen lassen?
 


 

„Hört mal, Ruri fragt, ob er mit in unsere Band einsteigen darf.“, meinte Mao ein paar Tage später in einer Kaffeepause im Probenraum. Es klang vorsichtig, fast kleinlaut, wie er es sagte.

„Hast du ne Macke? Der ist ein Arschloch!“, schnappte Haruko auch sofort hysterisch und tippte sich energisch an die Stirn. „Und ich meine nicht nur so wie Katori in den ersten drei Wochen, sondern so richtig von Herzen.“

„Willst du echt nen zweiten Gitarristen reinholen, Mao?“, hakte auch Satsu verständnislos nach und lehnte sich nach vorn auf seine Knie.

„Ich will gar nichts, ich richte es euch nur aus.“, gab Mao zurück.

„Also wenn schon, dann ganz sicher nicht Ruri!“, zeterte Haruko weiter.

„Ich sag´s euch ja nur.“

„Den Kerl, nie im Leben!“

„Der denkt wohl, bloß weil er mit seiner Band nicht vorwärts kommt und wir inzwischen einen Plattenvertrag haben ...“

„Weist du noch, wie wir damals mit ihm nach Osaka fahren wollten und er uns einfach an irgendeiner Raststätte hat stehen lassen?“

Haruko und Satsu redeten sich gegenseitig heiß.

„Ich fand es viel schlimmer, wie er sich damals so dreist mein Handy geschnappt und sauteure Ferngespräche damit geführt hat, während ich auf Toilette war!“

„Ach komm, er hat auf meine Kosten eine ganze Lokalrunde ausgegeben, das war viel teurer als deine paar Yen für das Ferngespräch.“

„Steigert euch doch jetzt nicht so rein! Katori, sag doch auch mal was!“, warf Mao hilfesuchend ein.
 

Alle Blicke richteten sich auf den Vocal, der am Tisch saß, mit dem Rücken zu ihnen, und ungerührt auf seinem Blatt Papier herumkritzelte. Stille setzte ein. Keine Reaktion.

„Katori?“, fragte Satsu nach ein paar Augenblicken nach.

„Ja, ich hab´s gehört.“, kam es nur zurück.

„Und? Was hältst du von der Sache?“

„Du bist der Bandleader, Satsu. Sowas solltest du entscheiden.“

Der Drummer seufzte enttäuscht. Das war nicht die Antwort, die er gewollt hatte.

Katorihito drehte sich auf seinem Stuhl um, damit er sich widerwillig für eine Weile am Gespräch beteiligen konnte. „Ruri ist ein guter Gitarrist.“

„Ja, aber ein totaler Vollidiot.“

„Ihr sollt ihn ja nicht heiraten.“, meinte Katori sanft, fast amüsiert. „Und er schreibt wirklich gute Songs.“

„Ach, dann sind dir meine Texte wohl nicht mehr gut genug?“, blaffte der Bassist beleidigt und verschränkte die Arme. Das war seine typische Art. Er wurde sofort unsachlich, wenn er sich mit einer Argumentation überfordert fühlte.

„Das habe ich nicht gesagt. Ich beantworte lediglich eure Frage, was ich von ihm halte.“ Der Vocal drehte sich wieder weg, seinem Blatt Papier zu, und schrieb weiter. „Ich will ehrlich sein, ich kann Ruri selbst nicht besonders leiden. Aber als Musiker hat er was drauf, das muss man ihm lassen.“, fügte er noch an, ohne seine Bandmitglieder überhaupt noch direkt anzusprechen.

„Dann bist du also dafür, daß wir ihn als 2. Gitarristen in unsere Band holen?“, wollte Satsu resignierend wissen.

„Das habe ich auch nicht gesagt. Und so eine Entscheidung würde ich mir auch nicht anmaßen. Du hast hier den Hut auf, Satsu.“

„Ka, so kommen wir nicht weiter. Jetzt gib doch mal ein klares Statement.“

Der Schwarzhaarige legte genervt seinen Stift auf den Tisch und drehte sich wieder zu ihnen um. Die Jungs machten ein entsetzliches Theater um etwas, was noch gar nicht in Sack und Tüten war. „Mein Gott, Satsu, jetzt bleib doch mal auf dem Boden. Ruri hat lediglich gefragt, ob er sich mal bei uns blicken lassen darf. Wer weis, ob es ihm überhaupt bei uns gefällt!? Wer weis, ob wir nicht doch mit ihm klarkommen!? Wer weis, ob unser Label ihn überhaupt will und in den Vertrag aufnimmt!? Wohlmöglich erübrigt sich das gesamte Thema ganz von alleine. Ladet ihn doch erstmal ein und probiert es aus, bevor ihr euch hier die Köpfe heiß redet. Bis jetzt musst du lediglich entscheiden, ob wir überhaupt Platz für eine 2. Gitarre haben oder nicht. Alles andere können wir getrost auf uns zukommen lassen. - War diese Ansage jetzt für dich klar genug, damit du als Bandleader damit arbeiten kannst?“

„Schon gut, das war klar und deutlich.“, winkte Satsu beschwichtigend ab. „Sei doch nicht gleich sauer, nur weil wir dich was fragen.“

„Ich bin nicht sauer, weil ihr mich was fragt. Ich will bloß, daß ihr endlich aufhört, mich als Kopf der Band zu betrachten. Wir waren uns alle einig, daß du hier der Chef bist. Also frag mich nach meiner Meinung, wenn du willst, beherzige sie auch, wenn du willst, aber stell mich nicht hinterher immer hin, als hätte ich die Entscheidungen getroffen.“

„Ja, ja, ich hab´s verstanden. ... Haruko, kommst du mit, Kaffee holen?“

Der Bassist schloss sich murrend an und die beiden verkrümelten sich aus dem Probenraum, um dem aufkommenden Streit auszuweichen. Die Lage sollte sich erstmal wieder etwas entspannen.
 

Mao setzte sich seufzend zu dem Schwarzhaarigen an den Tisch. „Wieso wehrst du dich so dagegen, daß wir was auf deine Meinung geben, Ka?“, wollte er wie beiläufig wissen und griff nach der Tageszeitung. „Du kannst nicht bestreiten, daß du der erfahrenste und objektiv denkendste von uns bist. Satsu würde dir liebend gern seinen Posten als Bandleader überlassen, hat er neulich gesagt. Seit du hier bist, fühlt er sich nicht mehr geeignet dafür. Er denkt, du würdest diesen Job besser machen als er. Haruko und ich wollen ihn nicht loswerden, oder so, aber wir teilen seine Meinung, was das angeht, durchaus. Du könntest uns in kürzester Zeit so unglaublich weit bringen!“

„Genau deshalb wehre ich mich ja so dagegen.“

„Das musst du mir erklären ...“, murmelte der Gitarrist ratlos.

Katorihito griff nur mit einem letzten, mitleidigen Blick nach seinem Stift und schrieb dann weiter an seinem Zettel. „Es gibt einige Dinge, die ihr noch nicht über mich wisst, Mao. Und ich hoffe, daß das auch noch lange so bleiben wird. Satsu ist der Bandleader. Belassen wir es einfach dabei.“ Dann setzte Stille ein, nur von dem leisen Scharren der Kugelschreibermiene auf dem Papier durchdrungen.
 


 

„Du, Katori, bitte sei mir nicht böse, wenn ich das jetzt sage ... aber ...“ Katori lachte schon, bevor Satsu seinen Satz auch nur vollendet hatte. Immer wenn er ein Gespräch so anfing, wurde etwas ganz besonders lächerliches daraus.

„Du nimmst mich nicht ernst!“, maulte Satsu scherzhaft, froh darüber, daß der Vocal überhaupt mal lachte. Das war ja schon selten genug.

„Entschuldige. Was gibt es denn?“

„Hör mal, wir machen hier zwar richtig geile Musik und alles, und ich weis, daß dein Power-Gesang den Hauptanteil am Sound einnimmt, aber ich fühle mich an meinem Schlagzeug in letzter Zeit ein wenig unterfordert. Ich würde gern mal richtig aufdrehen. Ich will jetzt nicht hochnäsig oder selbstgefällig klingen ...“

„Satsu, immer mit der Ruhe. Du bist ein erstklassiger Schlagzeuger und dafür musst du dich nicht entschuldigen. Wenn du dich noch weiter steigern willst, ist das doch super. Mach dich nicht kleiner als du bist.“ Katori überlegte kurz. „Ich glaube, ich hab da genau das richtige für dich. Der ist wirklich anspruchsvoll. Eigentlich wollte ich ihn noch entschärfen, bevor ich ihn dir gebe, aber versuch dich doch mal dran!“ Enthusiastisch klappte er seine Mappe auf und zog nach kurzem Suchen einen Songtext heraus. Er war dicht bekritzelt mit Drumsymbolen und Taktangaben, die Satsu schon beim ersten Blick den Kopf schwirren ließen.

„Fett.“, meinte er ernüchtert. Das war gleich eine GANZE Klasse über seinem Standard.

„Das ist ein Song, in dem das Schlagzeug echt gefeiert wird. Sehr schnell, sehr wechselhaft, du wirst einen großen Aktionsradius brauchen.“

„Das sehe ich. Das ist Wahnsinn, Ka. Das krieg ich doch nie im Leben alles gleichzeitig getaktet.“

„Musst du ja auch nicht. Wir können das Schlagzeug im Studio ja über zwei oder drei Tonspuren aufnehmen.“

„Dann werden wir den Song aber niemals live spielen.“

„Dann spielen wir ihn eben niemals live. Ist doch auch nicht schlimm.“, gab Katori zwischen fröhlich und sanftmütig zurück.

„Okay, ich geb mein bestes! Ich werde ihn einstudieren!“

„Lass dir Zeit damit. - Oh, da fällt mir ein, Haruko hatte mir ja auch seinen neuen Song gegeben. Ich hab ihn mir inzwischen zu Gemüte geführt. Hast du das Schlagzeug dazu schon drauf?“

„So halbwegs, ja.“

„Wir können ja mal versuchen ihn zu spielen. Mal schauen, wie weit wir kommen.“

„Meinst du <gato mio>? Yeah, lass uns loslegen!“ Haruko sprang aus der Sofaecke hoch und schnappte seinen Bass.
 

Katorihito fand ein Stück weit in die Realität zurück, als er mitbekam, wie das Schlagzeug hinter ihm ins Stolpern kam und die Gitarre verklang. Er brach seinen Gesang ab, in dem er gerade komplett versunken war wie in einer eigenen Welt, schaute in die ungläubigen Gesichter seiner Bandkollegen, musterte kurz sein Textblatt und schaute dann wieder fragend in die Runde. „Hab ich was falsch gemacht?“, wollte er verunsichert wissen.

„Hast du diese ganze Hammer-Passage wirklich gerade auf einen Atemzug gesungen?“, wollte Mao wissen.

„Ja!?“, meinte der Vocal irritiert. Er wusste noch nicht so richtig, ob die stolz auf ihn waren oder fassungslos.

„Wie schaffst du es, so lange mit solcher massiven Power zu singen und am Ende sogar noch genug Luft für ein langgezogenes Finish zu haben, ohne dabei an Sauerstoffmangel zu ersticken?“

„Training und Technik. ... Hauptsächlich Technik.“

Alle schüttelten den Kopf und widmeten sich wieder ihren Instrumenten.

„Soll ich es anders singen? Haru, wie soll der Song denn sein?“

„Nein, nein, alles super.“, gab der Bassist und Songwriter zurück. „Wir sind nur baff, wie phänomenal du bist, ohne daß du es selber merkst. Mach weiter so.“ Er hob motivierend den Daumen, um zu zeigen, daß er mehr als zufrieden war.

Verwirrt las Katori den Songtext in seiner Hand durch, als stünden dort verschlüsselte Botschaften, die ihm halfen, seine Band besser zu verstehen.

„Nochmal von vorn, oder?“, warf Satsu ein.
 


 

„Du, Katori, ich sag´s nur ungern, aber das Mikrophon ist keine Deko. Du kannst damit nicht so rumfuchteln, du sollst reinsingen.“

Der Vocal schaute kurz dumm auf den Mikroständer, den er sich über beide Schultern gelegt hatte wie ein Joch. „Entschuldige.“, meinte er dann kleinlaut und stellte die Konstruktion an ihren Platz zurück.

„Wir sollten ihm das Mikrophon doch in die Hand geben. Vielleicht klappt das besser. Dann kann er auch auf der Bühne rumrennen, wenn er´s denn eben so braucht.“, warf Mao resignierend ein.

„Ein Headset wäre vermutlich noch besser.“, konterte Haruko.

Sie hatten nun lange genug versucht, Katorihito an seinem Platz auf der Bühne festzunageln. Er war beim Singen einfach zu agil. Entweder er rannte vom Mikrophon weg – was natürlich blöd war, wenn man ihn noch hören sollte – oder er schleppte pausenlos den kompletten Mikrophonständer kreuz und quer durch die Gegend. Wobei auch letzteres keine Garantie dafür war, daß er das Mikro auch wirklich weiter benutzte. Er vergaß die Elektronik einfach, wenn er sang.

Katorihito seufzte ein wenig ernüchtert. Nun war ihm die Lust auf´s Singen etwas vergangen. Und wenn er in die Gesichter seiner Band schaute, war deren Motivation auch langsam aufgebraucht. „Lasst uns an den Outfits weiterarbeiten, was haltet ihr davon? Ich hab mir Special-Effekt-Schminke gekauft, die ich endlich mal antesten muss.“

„Hast du sie dabei?“, wollte Mao wissen.

„Ja.“

„Na dann los. Dann kann ich ja auch an meinem Drahtschmuck weiter rumbiegen.“
 

„Huoi!“, machte Satsu überrascht, als sein Vocal von der Toilette zurückkam. „Du warst aber mit der Schminke nicht sparsam!“, stellte er fest. Nur auf der Toilette gab es Spiegel, vor denen sie sich antünschen konnten. Inzwischen bastelten sie allesamt an ihrer Bühnenaufmachung und Katori schien seinen hellen Spaß daran zu haben.

„Ja, bei Raumbeleuchtung ist das ganz schön krass, was? Aber für die Bühne ist es genau richtig. Dimmt mal das Licht runter und guckt mich dann nochmal an!“

Mao, der gerade am nächsten am Lichtschalter stand, kam der Aufforderung sofort nach. „Immer noch ziemlich heftig.“

„Na hört mal, wollen wir Visual Kei sein, oder nicht?“

„Deine Haare passen noch nicht zu Visu.“

„Mit denen bin ich ja auch noch nicht fertig.“, hielt Katori übertrieben belehrend dagegen.

„Scheiße!“ Satsu sprang wie von der Tarantel gestochen hinter seinem Schlagzeug hoch. Alle schauten ihn verdutzt an. Solch eine Wortwahl waren sie von ihm nicht gewohnt. Hektisch begann er seinen Krempel zusammenzusuchen. „Ruri wird in 5 Minuten hier sein! Haruko, wir müssen weg!“

„Hallo?“, warf Mao perplex ein, um seiner Verständnislosigkeit Ausdruck zu verleihen.

„Mao, Katori, ihr kümmert euch um ihn, okay? Zeigt ihm den Probenraum und erklärt ihm ein bischen, was hier Phase ist, und so ...“

„Warum?“

„Weil du mit Ruri befreundet bist und Katori wenigstens fachlich eine gute Meinung von ihm hat.“

„Nein, ich meinte: Warum verschwindet ihr zwei? ... Nagut, warum Haruko nicht hier sein sollte wenn Ruri kommt, sehe ich ein.“, gestand der Gitarrist kleinlaut.

„Wir sehen uns morgen zur üblichen Zeit, tschaui!“, flötete Satsu noch, dann war er auch schon zur Tür hinaus und zog seinen Bassisten hektisch mit sich davon.

Katorihito und Mao sahen sich gegenseitig vielsagend an. „Das meint er jetzt nicht wirklich ernst, oder?“

„Sieht ganz so aus, doch. Ich finde, wenigstens er als Bandleader hätte da sein sollen, wenn es darum geht, ob ein neues Mitglied in die Band kommt oder nicht.“

„Tja ... dann soll er sich hinterher aber auch nicht beschweren, wenn Ruri wirklich bleiben will.“, gab Mao grinsend zurück.
 


 

„Wouw. Ihr habt nächste Woche eure Live-Premiere, oder?“ Ruri spazierte mit großen Augen und der Euphorie eines kleinen Kindes im Probenraum herum und sah sich alles genau an. Die Bilder an der Wand, der Markenname auf den Drums von Satsus Schlagzeug, die herumliegenden Bass-Ersatzsaiten, Satsus unaufgewaschene Kaffee-Tasse, Katorihitos Tabellenkalkulation auf dem offenstehenden Laptop, ihm entging kein Detail.

„Erinner mich bloß nicht da dran.“, nörgelte Mao. „Mir ist schon ganz schlecht. Ich bin nervös wie eine Tüte Mücken.“

„Ach Quark, komm schon, es wird alles super laufen. Wir rocken den Staub aus den Mauerritzen.“, warf Katori beruhigend ein.

„Darf ich mitspielen???“

„Nein!!!“, schnappte Mao eine Spur schärfer als nötig.

„Ruri, du kannst kein einziges unserer Lieder. Und du wirst sie vermutlich auch nicht binnen 4 Tagen lernen. Was willst du da?“, wollte auch der Vocal wissen.

„Naja, ich dachte, vielleicht lerne ich bis dahin ja zumindest einen Song und ihr lasst mich wenigstens bei der Zugabe mitspielen.“ Ruri grinste siegessicher.

„Au ja, Satsu wird begeistert sein.“, gab der Gitarrist zynisch zurück.

Katori winkte ihm unterbrechend zu. „Hör zu, Ruri. Du weist selbst, welchen Ruf du hast. Haruko wird sich definitiv nicht mit dir rumärgern. Und Satsu ist sich auch noch nicht so richtig schlüssig, ob er dich wirklich hier haben will. Ich schätze, wir alle sind besser beraten, wenn wir dir nicht vorgaukeln, hier sehr willkommen zu sein. Wir sollten mit offenen Karten spielen.“

„Du meinst, das wird nix mit euch und mir?“

„Ich meine, du solltest dir keine allzu große Hoffnung machen, wenn du nicht vorhast, ganz gehörig an deiner Art zu arbeiten. Du bist ein verdammt guter Gitarrist und Songwriter, das will dir keiner absprechen. Aber für Exzentriker ist in einer Band, die mit ihrer Musik ihren Lebensunterhalt verdienen will, einfach kein Platz.“

„Ich wünschte, Satsu hätte dich jetzt gehört.“, meinte Mao leise. „Das ist genau die Art von klarer Ansage, für die wir dich so lieben. Satsu hätte das niemals so treffsicher in Worte fassen können.“

Katorihito verdrehte nur die Augen.

„Ach ja, hey, wo ist Satsu überhaupt? Ich dachte ja, er wäre bloß mal kurz aus dem Zimmer. Aber inzwischen ist er schon so lange weg ... er kommt nicht mehr, oder?“

„Nein. Er und Haruko sind gegangen.“, gab Mao ehrlich zurück.

„Mögen sie mich so wenig?“

Der Gitarrist musste bewusst an sich halten, nicht nachdenklich den Kopf hin und her zu wiegen, sonst wäre es zu sehr aufgefallen, daß er sich eine Ausrede überlegte. „Nein. Sie wollten nur, daß du dir erstmal alles in Ruhe mit mir ansiehst und schaust, ob es dir bei uns überhaupt gefällt. Weil du und ich doch Freunde sind.“

Ruri grinste. „Du bist lieb, Mao, aber anlügen musst du mich nicht.“

„Wieso bist du hergekommen, wenn du es wusstest?“

„Weil ich damit leben kann. Ich lege keinen Wert darauf, von allen gemocht zu werden. Ich lege auch keinen Wert darauf, von Satsu oder Haru gemocht zu werden. Oder von Katorihito hier.“, fügte er mit einem Deut auf den Vocal an. „Ich will einfach nur so gut Musik machen wie ich kann. Meine Meinung ist, Professionalität setzt keine Sympathie voraus. Ich will Arbeitskollegen, und keine Kumpel.“

„Sympathie braucht es vielleicht nicht, aber zumindest gegenseitige Akzeptanz und rücksichtsvolles Miteinander.“, warf Katorihito sachlich ein. „Und daran fehlt es dir. Hast du dir überhaupt schon überlegt, was du bei uns machen willst? In einer Band mit zwei Gitarren ist immer eine Gitarre rhythmusgebend und eine die melodiegebende Leadgitarre. Mao hier ist eher der rhythmische Typ, und nach allem was ich von dir kenne, bist du auch Rhythmiker. Ihr solltet euch schonmal drum streiten, wer von euch beiden Leadgitarrist werden muss.“
 


 

„Was ist das denn jetzt?“

„Ich hab einen neuen Bass.“

„Den hattest du doch gestern noch nicht.“, meinte Satsu argwöhnisch und beobachtete weiter, wie sein blonder Bassist hektisch versuchte, einen Tragegurt an das unbekannte Instrument zu fummeln.

„Nein, musste mir heute früh schnell einen neuen beschaffen, hab meinen geschrottet.“, gab Haruko kleinlaut im Telegrammstil zurück.

„Du gehst mit einem Instrument auf die Bühne, das du noch NIE gespielt hast? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Haben wir jemals Sound-Check damit gemacht? Verträgt sich der Bass überhaupt mit unseren Röhrenverstärkern? Was, wenn sich die Technik aufschaukelt!? Hast du die Saiten vernünftig aufgedehnt, damit dieses Ding wenigstens halbwegs stimmstabil ist? Die Saiten sind doch sicher brandneu! Unsere Tontechniker werden eine Macke kriegen! Und wir auch, wenn du nach jedem Lied nachstimmen musst!“

„Das ist eine Fender, die wird schon funktionieren.“

„Fender!“, jaulte Satsu hysterisch. Er hasste Fender!

„Jetzt steigert euch nicht rein.“, seufzte Mao aus dem Hintergrund. „Mach wenigstens noch das Preis-Etikett ab, das da baumelt, bevor du auf die Bühne gehst.“

Kopflos, aber hektisch nickend, machte sich der Bassist am Preisschild zu schaffen. In seiner Nervosität riss er es letztlich einfach ab.

Satsu schloss kurz die Augen und faltete mit einem tiefen Durchatmen die Hände auf der Nasenspitze. Immer mit der Ruhe. Alles würde gut werden. Hilfesuchend öffnete er die Augen wieder, weil der übliche Seiten-Kommentar ausblieb, der ihn sonst immer wieder auf den Boden zurückholte. „Wo ist Katori?“, wollte er verdutzt wissen.

„Ähm ... nebenan?“
 

Katorihito stützte mit beiden Händen an dem großen Wandspiegel, hatte den Kopf aber gesenkt, um nicht hineinsehen zu müssen. Er wirkte endfertig, als müsse er sich abstützen, obwohl das Konzert noch nichtmal angefangen hatte.

Der Drummer zog die Tür hinter sich zu, als er eintrat, damit die anderen beiden nicht auf die Idee kamen, ihm zu folgen. „Bist du aufgeregt?“, wollte er sanft wissen. Nur nicht laut reden. Ruhe ausstrahlen. Obwohl er selber kaum noch welche hatte.

Der Vocal hob schwerfällig den Kopf wieder und musterte sich selbst im Spiegel. „Ob es auffällt, wenn ich den Seidenschal weglasse?“, gab er zurück, was nicht ansatzweise zu der gestellten Frage passte. Ein Ablenkungsmanöver. Das kannte Satsu von ihm. Und meistens duldete er es auch. „Ich werde auf der Bühne sterben, wenn ich ihn trage. Das blöde Teil ist so warm ...“
 


 

Katorihito kam als letzter in die Umkleidekabine und lies sich schwer auf eine Bank fallen. Obwohl seine Ohren vom Krach des Konzertes halb taub waren, drangen die Zugabe-Rufe des Publikums selbst bis hier zu ihm durch. Er lehnte sich nach vorn, stemmte den Ellenbogen auf seinen Oberschenkel und wollte die Stirn in die Hand stützen, wurde aber von einem ekelhaft unguten Gefühl daran gehindert. Ihm drehte sich der Magen um. Entsetzt starrte er auf seine Hände, die plötzlich zitterten als hätte er fortgeschrittenes Parkinson. „Scheiße.“, flüsterte er leise, fast panisch werdend und sah sich um. Seine Bandkollegen waren zum Glück zu fertig und zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um es so direkt mitzubekommen. Der Vocal fuhr von der Bank hoch und versuchte ruhig zu atmen. Er musste sich bewegen, in Bewegung bleiben, seinen Kreislauf oben halten. Verdammt! ... Verdammt, verdammt, verdammt, das ganze beschissene Konzert hatte er durchgestanden, und jetzt fing es doch noch an! Mist!

„Was ist denn los?“, wollte Satsu müde wissen, als Katorihito so unvermittelt hochsprang.

„Die ... die Fans rufen nach Zugabe. Wir werden nicht drumrum kommen, wieder rauszugehen.“, keuchte der Sänger und krampfte die Finger in seine Jackenaufschläge, um das Zittern zu unterdrücken.

„Lass mich doch wenigstens noch ein trockenes T-Shirt anziehen. Ich bin komplett durchgeschwitzt.“, murmelte Satsu, musterte ihn aber trotzdem skeptisch.

„Ja, man, und du solltest mal nen Blick in den Spiegel riskieren, Katori.“, warf Haruko von der anderen Seite ein. „Deine Haare und dein Make-up ... bei dir ist Styling ja quasi nicht mehr vorhanden.“

Katorihito wandte sich ab und ging zur Tür, darum bemüht wenigstens nicht zu auffällig loszustürzen. Er wollte nicht in den Spiegel sehen. Er wusste genau, wie er jetzt gerade aussehen würde. Er schnappte nach Luft! Verdammt! Luft! Er erstickte! Er musste hier raus! Oder Wasser! Ja, ein Waschbecken! Die Toilette, das war eine Option!

„Der sieht nicht aus, als würde er noch ne Zugabe durchstehen.“, hörte er Mao durch die offen gelassene Tür noch sagen, dann war er schon außer Hörweite.
 

„Ka?“

Der Sänger antwortete nicht. Er rang nur weiter um Luft, während er mit einer Hand schwer auf dem Waschbecken stützte und mit der anderen kaltes Wasser unter dem laufenden Wasserhahn hervorzuschöpfen versuchte. Er zitterte so stark, daß ihm das Wasser ungehindert durch die Finger rann. Bis in sein Gesicht bekam er es nicht, keine Chance. Aber auf der Hand tat es auch schon gut.

„Ka, alles okay bei dir?“

„Willst du eine ehrliche Antwort?“

„Schon gut.“

Katorihito richtete sich vorsichtig auf, damit ihn das Schwindelgefühl nicht von den Füßen holte, vermied den Blick nach vorn in den Spiegel und sah Satsu an, der ihm auf die Toilette gefolgt war.

„Ruft das Publikum immer noch nach Zugabe?“, wollte er heißer wissen und drehte unbeholfen den Wasserhahn ab.

Der Drummer lauschte kurz in die Umgebung. „Ja.“

„Dann los.“

Satsu sah ihn endlose Sekunden strafend an. Er wusste, was mit dem Sänger los war. Er kannte ihn und seine Geschichte. Er wusste, was aus seiner letzten Band geworden war und warum er nicht Bandleader werden wollte. All diese kleinen Puzzleteile, die nur Satsu kannte und zu einem Bild zusammenfügen konnte. Er wusste aber genauso gut, daß er Katorihito nicht würde ausreden können, in diesem Zustand nochmal auf die Bühne zu gehen. Und vor allem – und das war das schlimmste – wusste er, daß Katorihito jetzt gleich auf der Bühne wieder phänomenal sein würde, als wäre nichts gewesen. Der Kerl war wie ein Stehauf-Männchen, eine Maschine die einfach funktionierte wenn sie musste. Er war kompromisslos gut und zog konsequent, fast gewaltsam seine Show durch, ohne Rücksicht. Unter Menschen merkte man ihm nie im Leben an, was wirklich mit ihm los war. Die „professionelle Ernsthaftigkeit“, wie Satsu es immer nannte, war nur eine Phasette davon. Aber wenn Katorihito wirklich allein und unbeobachtet war, fiel er in sich zusammen wie ein Häufchen Elend. Nur Satsu wusste, daß der Vocal mitunter tagelang nichts aß, letzte Nacht nur eine halbe Stunde geschlafen hatte und psychisch kurz vor dem Zusammenbruch stand.

Satsu seufzte. „Gut, wenn du darauf bestehst ...“, meinte er resignierend und hielt dem Schwarzhaarigen die Tür auf. Brachte ja nichts. Ein <nein> stand gar nicht zur Debatte, das wusste er genau. Katorihito richtete sich spürbar auf und straffte seine Schultern. Seine schwarzen Augenringe und die Blässe auf seiner Haut waren binnen Augenblicken wie weggeblasen, der leidende Ausdruck in seinen Augen einfach verschwunden. Man merkte ihm absolut nichts mehr an. Diese Verwandlung, die sich an Katorihito vollzog, hatte Satsu bisher nicht oft gesehen, aber sie machte ihn immer wieder fassungslos. Und er fragte sich, wie lange der das noch würde durchziehen können, bevor er endgültig zusammenklappte.

„Mikro!“, verlangte der Sänger im Gehen.

„Ich glaube, das hast du auf der Bühne liegen lassen.“ Er steckte im Vorbeilaufen den Kopf in die Umkleidekabine und rief den beiden Saitenzupfern zu, daß die Zugabe losgehen sollte.
 


 

Katorihito verließ die Bühne als letzter und schenkte Satsu, der sich noch mit besorgtem Blick zu ihm umdrehte, ein beruhigendes Victoria-Zeichen. Zufrieden drehte sich der Drummer und Bandleader wieder um und stapfte voran. Die anderen folgten ihm matt. Auch Katori war müde. Sie hatten die Halle echt gerockt. Sie waren voll abgegangen, das Publikum hatte bei der Zugabe nochmal getobt wie ein Hexenkessel und er selbst war nochmal zur Höchstform hochgefahren. Ihr Debüt war ein voller Erfolg gewesen. Jetzt fühlte er sich wieder ein bischen komisch. Katorihito lies sich ein paar Schritte zurückfallen, lächelte den anderen noch müde hinterher und bog dann wortlos in einen Seitengang ab, ohne daß es jemand merkte.
 

„Au man, ich bin fertig.“, gestand Mao.

„Ja, man, aber wir haben denen richtig eingeheizt. Ich glaube, wir haben einen bleibenden Eindruck hinterlassen.“, gab Haruko zufrieden zurück.

„Hm, Ka hat gut durchgehalten ... ich meine, er hat sich gut gehalten. - Wo ist der überhaupt?“

„Sicher nur auf dem Klo.“, warf Haruko ruhig ein.

Satsu sah auf die Uhr. Als versuche er abzuschätzen wie lange Katorihito schon weg war. Aber sie waren erst vor Sekunden von der Bühne gekommen und hier im Aufenthaltsraum gelandet. Sie hatten sich noch nichtmal umgezogen, sie trugen noch ihre Showklamotten und die Instrumente auf den Schultern. „Ich geh ihn trotzdem mal suchen.“, beschloss er mit einem unguten Gefühl, das er vor den anderen nur mit Mühe verbergen konnte.

Haruko schüttelte den Kopf, als die Tür hinter ihrem Leader zugefallen war. „Warum macht er neuerdings so einen Wind um Katori?“

„Lass ihn doch, er wird schon einen Grund haben.“, gab Mao verteidigend zurück. Er hatte schon eine ganze Weile den Verdacht, daß zwischen Satsu und Katorihito etwas nicht stimmte, oder zumindest mehr vor sich ging als die anderen wissen durften. Er wusste nicht was, und er hütete sich auch danach zu fragen. Aber Haruko schien bisher nichts aufgefallen zu sein. Mao vertraute einfach darauf, daß Satsu sie schon über alles in Kenntniss setzte, was wichtig war.
 

Satsu stockte der Atem, als er in das kleine Equipmentlager kam. Da er den Vocal nicht an den Plätzen gefunden hatte, wo man ihn hätte vermuten können, hatte er begonnen, wahllos alle Türen abzuklappern, an denen er vorbeikam. Und er hatte ihn gefunden. Bewusstlos auf dem blanken Boden liegend, zwischen einigen Kisten und Kabelrollen. Er brauchte eine Sekunde, um zu erfassen, was er da eigentlich sah.

„Ka!“, keuchte er dann endlich und hechtete zu ihm. Als er sich langsam wieder in den Griff bekam und Herr der Situation wurde, fluchte er ungehalten los. Das hier war genau das, was er die ganze Zeit hatte kommen sehen. Und er war stinksauer, daß Katorihito sich dafür auch noch versteckt hatte, damit ihm auch ja keiner half. Ihm hätte sonstwas passieren können. Im Zweifelsfall wäre er erst nach Tagen gefunden worden, wenn Satsu ihn in seiner kontrollwahnartigen Vorahnung nicht sofort überall suchen gegangen wäre. Das Lager machte keinen sehr oft benutzten Eindruck.
 


 

„Ich hab einen Song geschrieben!“, jubelte Satsu, als er Tage später in den Probenraum platzte und mit einem Zettel winkte. Ein irgendwie gehässiges Grinsen lag auf seinen Lippen. Katori hatte spontan den Verdacht, daß ihm dieses Ding zur echten Herausforderung gereichen würde. Wenn ein Rhytmus-Junkee Texte schrieb, wurde sicher was sehr mathematisches, taktreiches draus.

„Also ... er ist ... naja ... Ich bin noch unschlüssig, wie man das am besten singen könnte. Ich glaube, du solltest besser mal selber schauen, wie du dir den Text auf die Takte verteilen willst, Katori. Ich fürchte, ich habe ein paar echt miese Zungenbrecher eingebaut.“

„Das ist jetzt die Revange für die Drum-Orgie, die ich dir neulich auf´s Auge gedrückt habe, oder?“, gab der Vocal nur zurück, noch unschlüssig ob er amüsiert oder erstmal pauschal überfordert sein sollte, und streckte die Hand nach dem Papier aus. Er war den ersten Tag wieder da. Nach dem Konzert war er für ein paar Tage kommentarlos verschwunden. Er war weder zu den Proben aufgetaucht, noch hatte er sich gemeldet. Mao und Haruko hatten ihn seit dem Verlassen der Bühne nicht mehr zu Gesicht bekommen, und Satsu hatte nichts gesagt. Weder in all den Tagen in denen von dem Frontmann jedes Lebenszeichen gefehlt hatte, noch jetzt wo er wieder hier saß. Er hatte nur die Label-Manager und seine beiden verbliebenen Bandkollegen mit ungewohnter Konsequentheit im Zaum gehalten. Das Thema wurde regelrecht totgeschwiegen, und zwar mit solcher Vehemens, daß Mao und Haruko sich gar nicht getrauten zu fragen, wenngleich man ihnen einen gewissen Argwohn doch anmerkte. Sie unterstellten ihrem Drummer sehr wohl zu wissen, was los gewesen war, und fühlten sich an den Ereignissen nicht ausreichend beteiligt.

„Sagt mal, hat sich Ruri eigentlich jemals wieder bei uns gemeldet?“, warf Satsu scheinbar ohne Sinnzusammenhang in den Raum. Aber Katorihito entdeckte da auch schon die zweite Gitarrenstimme auf dem Textblatt und wusste sofort, worauf er hinaus wollte.

„Ich hätte da auch noch einen Song.“, warf Haruko ein, ohne den Bandleader zu beachten. „Der Melodieverlauf ist sehr anspruchsvoll. Kennst du das, wenn man so inbrünstig singt, daß einem der normale Melodierahmen nicht mehr ausreicht und man den vorgegebenen Tonumfang einfach sprengen muss? Diese Ausdruckskraft und Intensität wird im Laufe dieses Songs dreimal gesteigert.“

„Au man, Leute, ihr hattet ja ein Kreativitäts-Feuerwerk. Was ist los mit euch?, seufzte der Sänger. Er fand es zwar toll, daß seine Bandmitglieder alle so viele Ideen hatten, aber irgendwann mussten sie die ganzen Lieder ja auch erstmal einstudieren und am besten auch gleich aufnehmen. „Ruri hat abgedankt. Er sagte, unsere Musik wäre doch nicht so sein Fall. Er will was anderes spielen als wir.“, fügte er beiläufig an.

„Hattest du Kontakt zu Ruri?“, wollte Satsu zwischen erstaunt und sauer wissen. Mit diesem Sacktreter Ruri, den er nichtmal sonderlich leiden konnte, betrieb er Konversationen, und ihn, seinen Bandleader und langjährigen Freund, würdigte er tagelang keines Lebenszeichens nachdem er ihn bewusstlos hinter der Bühne aufgesammelt hatte? Unerhörte Frechheit.

Katori nickte nur wortlos, während er konzentriert den Songtext in seiner Hand durchlas. Schweigen setzte ein, skeptisch beobachtet von Mao und Haruko, der sich eingeschüchtert an seinem neuen Song festhielt, welchen er ebenfalls gerade hatte loswerden wollen. Der Drummer atmete einmal kurz durch und regte sich ganz bewusst wieder ab. Er wusste, daß das Verhältnis zwischen Katori und Ruri nicht so gewöhnlich war wie man gemeinhin annahm. Er konnte es Katorihito nicht verübeln.
 

In diesem Moment zerriss der Sänger mit ernster Miene Satsus Songtext und knüllte die Überreste mit einem entschiedenen „Auf keinen Fall.“ zu einem Ball zusammen. Dieser landete dann in einem treffsicheren Bogen im Mülleimer.

„Was ... Hallo?“, machte Satsu perplex. „Wenn ich was dran ändern soll, dann SAG es gefälligst, und zieh hier nicht so eine Nummer ab!“, maulte er überfordert.

„Da dran gibt es nichts zu ändern. Schreib einfach einen neuen.“ Der Schwarzhaarige erhob sich mit einer so souveränen Körpersprache, daß Mao und Haruko automatisch aufsprangen, um ihm eilig Platz zu machen, und verließ den Probenraum.

„Katori wirkt ziemlich unausgeglichen. Ist irgendwas passiert?“, wollte der Bassist vorsichtig wissen. Und wenn sogar er mit seiner kaum vorhandenen Sozialkompetenz sowas schon sagte, musste es wirklich unübersehbar sein. Während Satsu einen Augenblick traurig die zugefallene Tür ansah, fischte Mao den Songtext wieder aus dem Papierkorb und entknitterte die Einzelteile.

„Er sollte es euch besser selber sagen.“, gab Satsu ruhig zurück und nahm seinem Gitarristen das Papier aus der Hand, bevor er es ganz zu Ende gelesen hatte.

„Das ist ein verdammt guter Text. Was hat Katori dagegen?“, protestierte der.

„Und wieso ist er nach dem Konzert spurlos verschwunden und tagelang nicht wieder aufgetaucht? Satsu, du weist irgendwas!“

„Bitte, Jungs. Fragt ihn selber. ... Nein. Ich weis nicht, ob ich euch lieber bitten soll, ihn selber zu fragen, oder ihn in Ruhe zu lassen.“

Haruko verschränkte die Arme. „Ist das wieder so eine Arschloch-Nummer wie in den ersten 3 Wochen? So ein fucking Test, um zu sehen, wie wir reagieren?“

„Nein. Das hier ist bitterer Ernst.“, gab Satsu nur zurück.

Mit einem leisen Murren schnappte Mao nach seinem Handy und schickte eine sms an Ruri. Er musste sich unbedingt mit ihm treffen. Möglichst bald.
 


 

„Oh, hey, du bist aber früh dran.“, meinte Ruri und streifte sich die Lederjacke ab, als er in das Cafe kam und Mao bereits mit einer halb ausgetrunkenen Cappuccino-Tasse darin saß.

„Danke, daß du kommst.“, entgegnete Mao nur. Er wollte sich nicht die Blöße geben, zu sagen, daß er schon seit fast einer Stunde hier saß und auf Ruri wartete, weil er es vor Nervosität und Klärungsdrang nicht mehr aushielt.

Suchend schaute Ruri sich um. „Wo ist Ka?“

„Er wird nicht kommen.“

Ruri hielt kurz in allen Bewegungen inne, schaute ihn fragend an, setzte sich nach einem Moment des Haderns aber doch. „Wie, er wird nicht kommen! Sagtest du nicht, wir müssten reden? ... Du hast ihm gar nicht gesagt, daß wir uns hier treffen, oder?“

„Nein.“

Ruri lehnte sich seufzend auf seinem Stuhl zurück. Verdammt. Er konnte sich schon denken, worum es ging. Jetzt erst recht. Das war nicht gut. Er hatte eigentlich nicht vor, Katorihitos Belange auszuplaudern, wenn dieser nichtmal anwesend war.

„Ich brauche deine Hilfe, Ruri, bitte.“ Ohne auf Zustimmung oder Protest zu warten, begann der Gitarrist zu erzählen.
 

Ruri saß mit verschränkten Armen da und starrte vor sich auf die Tischplatte. Eine gedrückte Stille stand wie eine Mauer zwischen ihnen, nachdem Mao geendet hatte und er seinen darauf folgenden Gesprächspart nicht angetreten hatte. Er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Oder wieviel er überhaupt erzählen durfte. Katori hatte all die Jahre hart dafür gearbeitet, daß diese Hintergrundgeschichte niemals groß die Runde machte. Eben diese Hintergrundgeschichte hatte ihn allerdings auch ruiniert. Es war ihm nicht gut bekommen, sie für sich zu behalten. Er hatte das alles nie richtig verarbeitet.

„Also ...“, begann Ruri nach einer Weile, nur um überhaupt erstmal was zu sagen und zu signalisieren, daß er noch nicht abwesend war. „Sagt dir X-act was?“

Mao kniff nachdenklich die Augen zu engen Schlitzen zusammen. „Ganz dunkel. Diese Band ist auf ihrem Karriere-Höhepunkt einfach zerfallen. Ich weis nicht viel über die, das war ne komische Musikrichtung, die ich selber nie gehört habe. Ist ja schon etliche Jahre her.“

„Der Bassist ist gestorben und der Rest der Band ist im Streit auseinander gegangen. Darum waren die so plötzlich weg vom Fenster. Erinnerst du dich an den Sänger, Yoku hieß er damals?“

„Schwach, ja.“

„Das war Katori.“

„Oh.“

„Hat sich ganz schön verändert, was? ... Und erinnerst du dich noch an den zweiten Gitarristen Ronin?“, legte Ruri nach, um ihm nicht allzu viel Zeit zum Nachdenken und Fragenstellen zu geben. „Das war ich. Katori und ich waren zusammen in dieser Band. Katori war der Bandleader. Er hat uns zwar ziemlich durch die Terminkalender, Konzepte und Pläne geprügelt, aber scheiße, er hat seine Sache gut gemacht. Wir waren erfolgreich und hatten Spaß an unserer Sache. ... Dann ist unser Bassist gestorben. Burn-Out. Zusammenbruch, Schicht im Schacht. Er musste viermal wiederbelebt werden, beim fünften Mal haben sie es nicht mehr geschafft ihn nochmal zu reanimieren. Er ist noch am gleichen Tag im Krankenhaus gestorben.“

„Fuck.“, hauchte Mao überrumpelt.
 

„Wie man´s nimmt. Der eigentliche Horror fing danach erst an. Unser Drummer und unser erster Gitarrist haben Katori in der Luft zerfetzt. Sie sagten, es wäre seine Schuld gewesen, weil er uns immer solchen mörderischen Druck und solche utopischen Terminvorgaben gemacht hätte. Ich war den beiden nicht gewachsen, also habe ich mich aus diesem Streit rausgehalten, statt Katori zu verteidigen. Und abgesehen davon hatte ich auch eigene Probleme, wegen denen ich so schwierig geworden bin wie mir heute nachgesagt wird. Die zwei haben Katori gemeinschaftlich in einen Nervenzusammenbruch getrieben, er lag wochenlang in einer psychiatrischen Einrichtung. Danach kam die Freundin unseres verstorbenen Bassisten und hat an der Stelle weitergemacht, wo unsere Bandkollegen aufgehört haben. Katori ist wieder in der Psychiatrischen gelandet. Seither hat er endgültig ein paar seelische Narben zurückbehalten. Inzwischen glaubt er selber, für den Tod unseres Bassisten verantwortlich zu sein und hat diese Schuld nie ganz verarbeitet.“

„Shit. Das erklärt dann wohl, warum er sich partu weigert, unser Bandleader zu werden und warum er immer bis zum Umfallen schuftet, um möglichst alle Arbeit selber machen zu können.“

Ruri entknotete seine Arme wieder und lehnte sich auf die Tischplatte. „Wenn es bloß das wäre.“, seufzte er. „Katori hat einen echten Knacks wegbekommen. Ich war ehrlich gesagt zu tiefst erstaunt, als ich hörte, daß er sich wieder einer Band angeschlossen hat. Er hat eine Sozialphobie, er hat monatelang seine Wohnung nicht verlassen und sämtliche Kontakte zu anderen Menschen komplett unterbunden. Satsu hat sich mit einem nachgemachten Wohnungsschlüssel Zugang zu ihm verschafft und ihn regelmäßig mit roher Gewalt aus seiner Wohnung herausgeprügelt, damit er noch zu einem Minimum an Außenweltkontakt gezwungen war. Ich bewundere Satsu für diese Hartnäckigkeit und aufrichtige Freundschaft. Ohne Satsu wäre Katori heute nicht mehr zu retten. Er wäre durchgedreht und würde heute in irgendeiner geschlossenen Anstalt versauern. Euer Drummer hat echt ein Wunder vollbracht.“

Mao wusste einfach keine Worte, die so einer Nachricht gerecht wurden, daher schwieg er völlig überrumpelt.

„Ich frage mich gerade wirklich, wie euer erstes Konzert eigentlich hinter den Kulissen abgelaufen ist. Das erste Mal nach so vielen Jahren, daß Katori sich wieder mit einer größeren Menschengruppe konfrontiert gesehen hat. Schlimmer noch, er hatte auch noch ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Und das gleich über 2 Stunden. Ich hatte ehrlich gesagt damit gerechnet, daß er diesem Druck nicht standhalten würde.“

„Ich weis nicht ... Er ist von der Bühne weg verschwunden und ein paar Tage lang nicht mehr aufgetaucht.“, sinnierte Mao nachdenklich. Schon wieder so ein paar Details, die plötzlich erschreckend viel Sinn gaben. Inclusive Satsus Songtext, den Katori zerrissen und weggeworfen hatte. Er hatte nur wie ein ganz gewöhnliches Gute-Laune- und Motivationslied geklungen. Schön wortgewaltig, ja, aber nicht sehr tiefsinnig. Mit diesem Hintergrundwissen allerdings wurde der Song ein direkt an Katori gerichteter Brief, ein eindringlicher Appell. Kein Wunder, daß Katori ihn hasste.

„Ich habe mir euer Konzert in der Hörhalle angeschaut.“, fuhr Ruri fort. „Katori hat eine Show gespielt. Das da auf der Bühne war nicht er. Das war nur eine ... ich kann das gar nicht beschreiben ... das war ein professionell aufgesetzter Charakter, den er auf der Bühne zur Schau getragen hat. Aber das war nicht er selber. Und wenn er sowas auf der Bühne vor ein paar hundert Menschen hinkriegt, dann kommt mir der leise Verdacht, daß er auch euch all die Monate nur was vorgespielt hat, Tag für Tag, bei jeder Bandprobe und jedem anschließenden zusammen-einen-trinken-gehen, und ihr noch nicht ein einziges Mal sein wahres Gesicht gesehen habt. Ich glaube nicht, daß er seine Sozialphobie jemals überwunden hat. Er hat lediglich Strategien entwickelt, möglichst unauffällig an anderen Menschen vorbeizukommen, ohne sich ihnen wirklich öffnen zu müssen. Nur ewig wird er das nicht durchhalten. Ich weis nicht, was zwischen euch passieren wird, wenn seine psychische Schutzmauer wirklich irgendwann einstürzt.“, fand Ruri mit besorgtem Gesicht.

Mao überdachte das kurz. Nein, das war unrealistisch. In den ersten drei Wochen hatte Katori das Arschloch vom Dienst gespielt und war damit einen rund-um-die-Uhr-Konfrontationskurs gefahren. Er hatte sich 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche mit ihnen herumgestritten und war dabei arroganterweise immer Herr der Lage geblieben. Haruko war sogar handgreiflich gegen ihn geworden und Katori hatte ihn dafür noch ausgelacht. Das schaffte niemand, der sich wegen seiner Sozialphobie kaum unter Menschen wagte. ... oder? „Meinst du, Katori könnte gefährlich für uns werden?“

„Nein.“ Der fremde Gitarrist schüttelte energisch den Kopf. „Ich meine eher, daß IHR gefährlich für KATORI werden könntet. Wenn er den sozialen Druck irgendwann doch nicht mehr aushält und wieder einen Nervenzusammenbruch bekommt oder abdreht, dann endgültig. Dann wird er nicht mehr wiederherstellbar sein, fürchte ich. Er ist zu vorgeschädigt.“ Ruri seufzte. „Willst du meine ehrliche Meinung hören? Katorihito ist ein phänomenaler Sänger, keine Frage. Aber er sollte nicht mehr als Vocal arbeiten. Bestenfalls als Studio-Musiker. Er sollte besser keine Konzerte mehr vor Publikum geben. Mag sein, daß Satsu sich in den letzten paar Jahren intensiver mit Katori auseinander gesetzt hat und das anders einschätzt. Sicher hat er Katori nicht grundlos gefragt, ob er in seine Band kommen will. Aber ich sehe das trotzdem kritisch. Zumindest solltet ihr euch mit dem Gedanken anfreunden, daß Katori immer in gewisser Weise unnahbar bleiben wird und auch ganz schnell mal nicht mehr da sein kann. Und einen Sänger wie ihn zu ersetzen, ist schwer. Eure Karriere könnt ihr abhaken, wenn Katori ausfällt.“
 


 

Mao schaute gebannt der Tür zu, bis sie hinter Katorihito zugefallen war, dann fuhr er herum. Seine Chance! Haruko war noch nicht da, Katori war gerade in die Küche gegangen, sie waren allein. „Satsu, wir müssen reden!“

Der Drummer lehnte sich leger zurück und griff nach seiner Tasse, bevor er Mao interessiert ansah. „Klar, worum geht´s?“

„Um X-act!“

Satsu prustete seinen Kaffee schockiert in die Tasse zurück und würgte dann eine Weile an einem massiven Hustenanfall. „Wie ... !?“

„Was ist damals wirklich passiert? Sag es mir.“

Satsu packte den Gitarristen am Kragen und zog ihn grob zu sich heran. „Rede niemals über X-act! Niemals, verstehst du mich?“, zischte er ungewöhnlich sauer. „Sonst ist Katori die längste Zeit unser Vocal gewesen!“

„Das Thema muss irgendwann geklärt werden, Satsu!“

„Nein!!!!“

Die beiden lieferten sich ein längeres, finsteres Blick-Duell, dann lies der Drummer Mao´s Oberteil wieder los und sank seufzend in seinen Sitz zurück. „Woher weist du überhaupt von X-act?“

„Google.“, warf Mao schulterzuckend ein.

„Quatsche doch nicht. Auf sowas bist du nie im Leben alleine gekommen. Vermutlich hast du mit Ruri geredet, gib es zu!“

„Ja, schon gut. Ich hätte aber gern noch eine zweite Meinung zu der Sache. Wir können nicht mehr lange so weitermachen, sonst werden wir Katori nicht mehr lange haben.“

„Versprich mir, daß du dieses Thema nie wieder anschneiden wirst! Katori und ich wissen, was wir tun.“, zischte Satsu gedämpft und verstummte dann, als die Tür aufging und der Schwarzhaarige mit etwas zu essen wieder hereinkam.

Katori maß die beiden mit einem allessagenden Blick. Er hatte es mitbekommen. Dann setzte er sich wortlos an den Tisch, stopfte sich ein Stück Teig in den Mund, leckte sich flüchtig die Finger sauber, angelte mit spitzen Fingern sein Handy heraus, legte es auf den Tisch und drückte ein paar Knöpfe. Es war auf Freisprechfunktion gestellt, denn das darauffolgende Klingeln in der Leitung hörte man laut und deutlich im ganzen Probenraum.

„Ka, hey, was macht das Leben?“, drang die Antwort aus dem Lautsprecher. Sie war so verzerrt, daß Mao und Satsu die Stimme erst nach kurzem Überlegen erkannten. Beiden fiel die Farbe aus dem Gesicht.

„Ruri, du bist ein Arschloch.“, entgegnete der Vocal sanft, beinahe amüsiert, ohne sich die Mühe einer Begrüßung zu machen, und schob sich ruhig einen weiteren Teigfetzen in den Mund.

Am anderen Ende der Leitung vernahm man ein Seufzen. „Der kleine Idiot hat es ausgeplaudert.“ Es war eine Feststellung, ganz eindeutig. „Ich hatte ihm extra eingetrichtert, daß er es um Gottes Willen für sich behalten soll.“

„Wieso hast du Mao davon erzählt?“

„Was hätte ich denn machen sollen, Ka? Er hat mich in ein Cafe gelockt und mich konkret danach gefragt. Hätte ich den Unwissenden spielen sollen? Ganz dumm ist Mao ja auch nicht. Ich hatte ihn nur für vertrauenswürdiger gehalten.“

„Schon gut. Hast du heute noch was vor? Unsere Bandprobe fällt aus.“

„Nein. Hab nix vor.“, meinte Ruri gelassen. „Du kannst ja auf nen DVD-Nachmittag vorbeikommen. Bring Sake mit, wenn du kommst.“
 

„Ka ... !? Was meinst du damit, unsere Bandprobe fällt aus?“, wollte Mao verstört wissen, als der Vocal das Telefonat wieder beendet hatte und aufstand, um sich seine schwarze Jacke überzuwerfen.

Katorihito lächelte ihm nur traurig zu und spazierte dann los. Ohne Antwort.

„Satsu!“, meinte Mao panisch.

Aber der Drummer und Bandleader saß nur mit gesenktem Blick auf seinem Stuhl und ließ den Dingen ihren Lauf. Er sagte nichts. Weder verabschiedete er Katorihito, noch hielt er ihn auf.

„Was ist los? Was ist denn los, hey? ... Katori! ... Satsu!“

„Lass ihn gehen.“, bat der Schlagzeuger müde, ohne aufzusehen. „Er hat sich entschieden zu gehen. Du hast Dinge erfahren, die du nie hättest wissen sollen. Katorihito kann mit den Ereignissen von X-act nicht mehr leben. Er erträgt es nicht, wenn irgendjemand davon weis. Er wird nicht wiederkommen.“

„Aber ... was!?“ Mao konnte den vielen verwirrten Fragezeichen in seinem Kopf gar keinen richtigen Ausdruck verleihen. Hastig riss er die Tür auf und stürzte hinaus. „Katori!“, rief Mao ihm im Gang hinterher.

Der Vocal, der sich ganz demonstrativ seine Jacke übergeworfen hatte um zu gehen, blieb kurz stehen und sah zurück.

Mao rang um Worte. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte das akute Bedürfnis, sich zu entschuldigen. Aber wofür? War es falsch, sich um andere Sorgen zu machen und wissen zu wollen, was mit ihnen los war? Egal wie, er musste Katorihito aufhalten. Katorihito durfte nicht gehen. Nicht jetzt. Nicht so.

Als Mao partu nicht weitersprach, schob der Vocal die Hände in seine Jackentaschen und ging einfach weiter. Wortlos.

„Nun warte doch mal.“ Mao beeilte sich, zu ihm aufzuholen. „Wieso hast du so ein Problem damit, wenn jemand von der Sache mit X-act weis? Ich meine, gut, es ist ein unschönes Kapitel in deinem Leben. Aber es ist vorbei. Und niemand macht dir Vorwürfe. Ich nicht, und erst Recht Satsu nicht. Es ist doch alles gut, Katori. Und deine Phobie ... also damit kommen wir auch schon irgendwie klar.“

„Hör auf, Mao. Du machst es nicht besser.“, bat Katori leise. Schwach, als hätte er kaum noch die Kraft, zu reden. Unbeirrt ging er weiter. Immer weiter. Er hatte sein Auto fast erreicht. Mao wusste, wenn Katori da jetzt einstieg und losfuhr, war es für immer vorbei. Sie würden den Sänger nie wiedersehen.

„Bitte! Hilf mir, dich zu verstehen. Rede mit mir.“

Katorihito stieg ein und zog die Autotür von innen zu. Und startete den Motor. Und fuhr ohne Eile los.
 

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„Es tut mir leid, Satsu.“

„Das muss es nicht. Du hättest es nicht verhindern können. Katori wäre so oder so irgendwann gegangen. Es war eine schöne Fantasie von mir, ihn unbedingt halten zu wollen. Aber es war vorbestimmt. ... Ich muss mich bei euch entschuldigen. Ich habe euch mit dieser Band falsche Hoffnungen gemacht. Ich habe euch eingeredet, wir könnten erfolgreich werden und einer langen Karriere entgegen sehen, dabei habe ich im Prinzip immer gewusst, daß es dazu niemals kommen würde. Nicht mit Katori. Verzeih mir.“

„Ich verstehe das alles nicht.“

„Das wirst du wohl auch nie. Die Logik von psychisch angeschlagenen Leuten erschließt sich dem gesunden Menschenverstand nicht. Wir werden Katoris Entscheidungen nie verstehen. Weder warum er zu uns gekommen ist, noch warum er wieder gegangen ist.“
 

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Dreieinhalb Monate später saß Mao alleine im Probenraum und klimperte gedankenversunken auf seiner Gitarre herum. Er wusste nicht, was ihn dazu bewog, immer noch die Miete für diesen Raum zu bezahlen, statt ihn einfach aufzugeben. Vielleicht Nostalgie. Vielleicht Hoffnung. Wenn er ehrlich war, hatte er nie aufgehört, zu glauben, daß Katori plötzlich wieder in der Tür stehen würde. Irgendwann. Aber er tat es nicht. Satsu hatte resigniert das Schlagzeugspielen aufgegeben und ging jetzt einer bezahlten Otto-Normal-Arbeit nach. Er hatte sich schlicht und ergreifend geweigert, es nochmal mit einem anderen Sänger zu versuchen. Dabei hätten ihnen nicht wenige zur Verfügung gestanden. Haruko hatte sich eine neue Band gesucht und feierte damit bescheidenen, szene-internen Erfolg. Und er, Mao? Saß hier in einem leeren, seelenlosen Probenraum mit nackten Betonwänden, in dem nichts weiter als ein abgeranztes Sofa und ein Gitarrenverstärker standen. Und hoffte auf ein Wunder. Und fragte sich hin und wieder, was eigentlich schiefgegangen war. Ob er irgendwas anders hätte machen können? Anders machen sollen? War es Ruris Schuld gewesen, weil der ihm alles erzählt hatte? Oder seine eigene, weil er Ruri überhaupt erst gefragt hatte? War Satsu wohl sauer auf ihn? Ob es Katorihito wohl gut ging? Seufzend legte er die Gitarre zur Seite, ging zum schmutzigen, gardinenlosen Fenster und lies sich für einen Moment oranges Sonnenlicht ins Gesicht fallen.



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