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October to May

Intermezzo With A Stranger
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Für alle Minderjährigen, die das letzte Kapitel nicht lesen konnten, hier mal ganz unromantisch die groben Fakten:
Weihnachten,
Gackt hat Hyde ein Armband aus Onyx-Kugeln geschenkt,
sie hatten Sex,
Hyde hat sich verliebt Komplett anzeigen

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Get Up!

3. Juli 20XX
 

„Ach, komm schon, Doiha, geh mit“, bettelte mich Tetsu über das Telefon an, „das wird lustig.“

„Ich hab's dir schon mal gesagt“, wandte ich darauf jedoch gelangweilt ein, lehnte mich auf meinem Schreibtischstuhl zurück und stieß mich mit dem rechten Fuß ab, sodass ich mich gegen den Uhrzeigersinn einmal um mich selbst drehte. Eigentlich hatte ich ja schon dichtgemacht, als er mich das erste Mal gefragt hatte. „Was soll ich dort?“

„Du kannst Spaß haben“, versuchte Tetsu es allerdings zum x-ten Mal mit demselben Argument, „ein bisschen tanzen, ein bisschen was trinken, Pläne schmieden, wie du die nächsten Wochen vertrödelst. Doiha, wir haben Semesterferien!“

„Sogenannte“, korrigierte ich ihn, bevor er noch ein weiteres Wort sagen konnte. Das musste ich aber eigentlich gar nicht, denn er studierte schließlich auch an der ehrenwerten Tokyoter Universität – zwar ein anderes Kernfach als ich, aber die Ferien waren dieselben. Wobei man sie offiziell vorlesungsfreie Zeit nannte und es das auch wesentlich besser traf. Der Einfachheit halber sprachen alle von Ferien, als ob man wie damals in der Schulzeit vom ersten bis zum letzten Tag blaumachen konnte. Doch so war es nicht für alle. Die ersten Semester mochten vielleicht wirklich noch frei haben – Welpenschutz sozusagen, damit die, die nicht schon in der ersten Runde durch die schriftlichen Prüfungen ausgesiebt worden waren, sich nicht überarbeiteten und frisch in die zweite starten konnten. Man wollte sie nicht auch noch gleich mit Hausarbeiten überfordern, sondern langsam an das System heranführen.

Bei den höheren Semestern sah es hingegen ganz anders aus. Wir konnten uns unseren Stundenplan sehr viel freier zusammenstellen; uns blieb es selbst überlassen, in welchem Semester wir welchen Kurs belegten, solange wir am Ende alles Nötige beisammen hatten. Und dafür wurde uns Arbeit aufgehalst – noch und nöcher, sodass eigentlich die gesamte Zeit draufging, in der keine Veranstaltungen stattfanden. In dieser Zeit waren die Bibliotheken immer voll besetzt und man musste zusehen, dass man bloß nicht zu spät kam, wenn man noch einen vernünftigen Platz kriegen und nicht in den nächsten Fachbereich umziehen wollte. Es war fürchterlich nervig, immer hin- und herzulaufen, wenn man wieder ein anderes Buch brauchte. Da saßen wir dann alle in Reih und Glied und schwiegen. Zu hören war nur das Klackern der Tastaturen der zahlreichen Laptops, das Umschlagen von Seiten und ab und zu auch das leise Wispern von Mitstudenten, wenn sie zu zweit oder dritt vorbeischlichen, selbst auf der Suche nach einem Platz. Aber zumindest war es eine angenehme Stille, keine drückende, und die beste Arbeitsatmosphäre, die man kriegen konnte. Zu Hause war immer so viel Ablenkung. Nur kurz den Fernseher an, nur kurz einen Kaffee kochen, nur kurz ins Internet, nur kurz jemanden anrufen – das alles gab es in der Bibliothek nicht, denn dort stand kein Fernseher, man durfte nur Wasser mit reinnehmen, für das Internet musste man extra zum PC-Pool und sprechen war möglichst zu vermeiden.

Und eigentlich hätte ich jetzt auch dort sein müssen, aber es gab für mich im Moment nichts zu tun. Ich hatte alles durchgearbeitet, was ich zu meinem Thema in die Finger hatte kriegen können, und die letzten beiden Bücher steckten irgendwo fest, obwohl ich sie schon vor Tagen bestellt hatte. Irgendjemand hatte sie wohl noch ausgeliehen und das Abgabedatum nicht eingehalten. Es war frustrierend, denn ich war voller Hoffnung auf ein paar Stunden nützlicher Arbeit in die Bibliothek gekommen und man hatte mir schon wieder eine Absage erteilt. Ich hasste es, wenn meine Mitstudenten (Kommilitonen wollte ich sie nicht nennen, denn ich kannte sie schließlich nicht) so selbstsüchtig waren und sich nicht an die Termine hielten. Wenn ich mir etwas auslieh, dann arbeitete ich es zügig durch und machte mir notfalls Kopien, um es so schnell wie möglich wieder zurückgeben zu können, damit es vom Nächsten benutzt werden konnte. Was dachten die eigentlich, wo sie waren, im Kindergarten vielleicht?! Wir hatten alle die Oberschule und schwierige Aufnahmetests hinter uns – danach und auch in dem Alter musste man doch mal ein bisschen Verantwortung tragen können! Zumal diejenigen, die die Bücher überzogen, doch genau wissen müssten, was für ein Stress dieses Studium war. Man konnte nicht einfach in den Tag hineinleben, ein bisschen rumstudieren und dabei andere am Vorankommen hindern!

Aber nein, statt etwas Sinnvolles zu tun, saß ich zu Hause herum, konnte nur meine unvollständigen Notizen vorsortieren und musste Tetsu die offensichtlichen Gründe, wieso ich nicht zu dieser Party mitkommen konnte, haarklein unter die Nase reiben. Es war frustrierend.
 

„Ja ja, meinetwegen: sogenannte Semesterferien“, stimmte er mir widerwillig zu, „aber es ändert trotzdem nichts an der Tatsache, dass du auch mal 'ne Pause brauchst. Du kannst dir deine Zeit jetzt gerade frei einteilen und da muss doch auch Platz für ein bisschen Spaß sein. Außerdem ist es die Semesterabschlussparty – danach hast du noch den ganzen Sommer, den du nicht verplempern kannst.“

„Wenn ich durch den Spaß, zu dem du mich da kriegen willst, am Ende meine Arbeiten nicht schaffe, kann ich gut und gerne drauf verzichten. Mal ganz davon abgesehen, dass diese ganzen Parties sowieso nur ein Vorwand zum Saufen sind: Semesterabschlussparty, Semesteranfangsparty, natürlich auch die separate Erstsemesterparty mit Kneipentour für das frisch zugezogene Volk und außerdem jeden anderen, der ein bisschen mitfeiern möchte … ich brauch das einfach nicht. Willst du mich denn nicht verstehen?“

„Na, anscheinend willst du mich nicht verstehen“, grummelte Tetsu mittlerweile schon, während ich immer mehr hoffte, dass er endlich bald aufgeben würde, „das ist gerade die beste Zeit unseres Lebens und selbst wenn du nicht viel davon hältst, musst du dort doch noch lange nicht alleine rumhocken und dich zuschütten. Da gibt’s Musik, man kann tanzen und ich bin schließlich auch noch da!“ Jetzt war es eher an mir, zu grummeln, denn in seiner Stimme konnte ich eindeutig wieder den optimistischen Tonfall hören, mit dem er schon durchs Leben ging, seit ich ihn kannte. Und das bedeutete meist, dass er nicht aufgeben würde, ehe er nicht seinen Willen bekam.

„Du hast Ayana“, versuchte ich allerdings, ihm weiter in die Parade zu fahren, während ich mit dem Blick bewusst das Foto von unserer Clique suchte, das auf meinem Schreibtisch stand. Wir alle lächelten breit in die Kamera, aber Tetsu strahlte regelrecht, hatte einen Arm um die Schultern seiner Freundin gelegt und sie dicht an sich gezogen. Sie waren damals gerade mal zwei Wochen zusammen gewesen und er hatte sein Glück anscheinend immer noch nicht ganz fassen können.

„Aber Ken-chan kommt doch auch noch mit und der hat niemanden.“

„Ja, weil er nicht der Typ für Beziehungen ist und sich dann dort jemanden sucht.“

„Na, da haben wir es doch schon! Du tust dich einfach mit ihm zusammen und-“

„Ich tanze garantiert nicht mit Ken-chan!

„Ich meinte eigentlich, dass du dir auf der Party jemanden suchen sollst. Ein bisschen Ablenkung täte dir sicher gut.“

„Naa~“, machte ich, wurde aber jäh unterbrochen. Tetsu ließ eine Seite an sich heraushängen, die man nur sehr, sehr selten bei ihm zu sehen bekam.

„Jetzt ist aber mal gut!“, ranzte er nun in den Hörer, „du kommst heute mit! Ich hol dich um sechs ab und wenn du nicht pünktlich fertig bist, dann klau ich dir dein Semesterticket und du darfst überall hin laufen! Wie viel Zeit wirst du wohl verlieren, wenn du nicht mehr mit der Bahn fahren kannst?“

„Das will ich sehen“, entgegnete ich allerdings gelassen, was ich mich eventuell nicht getraut hätte, hätte er direkt vor mir gestanden. Denn er hatte das in diesem Zustand tatsächlich drauf – er hätte mir mein Portemonnaie abgenommen und es mir erst wiedergegeben, wenn er seinen Willen bekommen hätte. Aber er war kilometerweit weg und hatte keine Chance, mir irgendwas zu klauen. „Ich werde jedenfalls hierbleiben und-“ In dem Moment klingelte es an der Tür. „Moment, da will jemand was von mir.“

„Lass dir nur Zeit, mein Freund“, säuselte Tetsu und gab sich tatsächlich geduldig. Und ich hätte wirklich etwas ahnen müssen. Wenn er sich so schnell abwürgen ließ, kurz nachdem er den Feldwebel hatte raushängen lassen, war definitiv etwas faul. Und dieses faule Etwas nahm mir mit einem „Danke“ einfach mein Handy aus der Hand, sobald ich ihm die Tür geöffnet hatte.

„Ken-chan!“, protestierte ich, sobald ich erkannt hatte, wer da vor meiner Tür stand und geklingelt hatte, wurde jedoch rigoros ignoriert. Zumindest meine Meinung, denn Ken musterte mich ausgiebig und hielt sich dann das Mobiltelefon ans Ohr.

„Sieht ganz passabel aus, kannst ihn so mitnehmen“, sagte er zu Tetsu, schwieg dann einen Moment und nickte. Dann beendete er die Verbindung und blickte mich noch einmal kurz an. „Geldbeutel einstecken?“

„Hä?“, machte ich darauf nur verdutzt, da ich nicht verstand, was Ken da von mir wollte. Er redete gerne in solch knappen Phrasen, was aber manchmal nicht unbedingt förderlich für das Verständnis war, wenn er noch mehr wegließ, als alle anderen es aufgrund ihrer Sprachfaulheit ohnehin schon taten.

„Ob du deinen Geldbeutel einstecken hast?“, wiederholte und präzisierte er daraufhin seine Frage noch einmal für mich, grinste dabei ein bisschen. Er wusste schließlich ganz genau, was er uns da antat, wenn er so sprach.

„Ähm …“, begann ich und klopfte mit beiden Händen systematisch meine Jeans von den vorderen bis zu den hinteren Taschen ab. Hinten rechts steckte natürlich auch mein Portemonnaie, gehalten von einer stabilen Reihe aus silbernen Kettengliedern, die wiederum an einer meiner Gürtelschlaufen etwas weiter vorne befestigt war. Ich saß so oft darauf, dass ich schon gar nicht mehr merkte, ob es da war oder nicht. „Ja, hab ich dabei.“

„Schön“, lautete Kens (sprachliche) Reaktion daraufhin … und dann packte er mich mit der einen Hand am Kragen, während die andere, die noch immer mein Handy hielt, nach dem Schlüsselbrett direkt neben der Tür langte und sich gezielt den Bund mit meinem Wohnungsschlüssel griff.

Mein sogenannter Freund zog mich auf den Hausflur hinaus, machte gleichzeitig die Tür hinter mir zu und zog mich dann mit sich. Dass ich noch nicht einmal Schuhe an hatte, sondern noch in Pantoffeln war, schien ihn dabei herzlich wenig zu stören – ebenso wie die Tatsache, dass er meine Wohnung nicht sauber abgeschlossen hatte. Wenigstens war Letzteres nicht unbedingt notwendig, da meine Wohnung außen nur einen Knauf und keine Klinke hatte, sodass man definitiv einen Schlüssel brauchte, um hereinzukommen, selbst wenn man nur mal kurz in den Wäschekeller musste. Außerdem waren meine Nachbarn – so weit ich das wusste – ziemlich nett. Man kannte sich, man mochte sich, man lieh sich mal den Zucker aus, wenn man selbst keinen mehr hatte. Die würden mir nichts klauen und Einbrecher von draußen würde hoffentlich die Tatsache abhalten, dass ich im fünften Stock wohnte und es unter mir noch genug andere Wohnungen gab, für die man nicht so viele Treppen steigen musste. Einen Fahrstuhl hatten wir nicht.

Diese Stockwerke schleifte Ken mich nun – unter heftigen Protesten natürlich – herunter, wobei er sich so gut wie gar nicht um mein Gezeter kümmerte.

„Arbeiten kannst du morgen auch noch. Und wenn du nicht willst, dass ich dir den Mund mit deinen eigenen dreckigen Socken stopfe, dann gibst du jetzt endlich nach!“, waren seine einzigen Worte … letztere sogar in der vollkommen Ken-untypischen Tonlage einer halben Drohung.

„Pff“, machte ich daraufhin nur, gab aber tatsächlich nach. Trotzdem ließ er mich nicht los, was mir, ehrlich gesagt, ziemlich peinlich war, weil wir so sicherlich aussahen, als würde ein Vater seinen bockigen Sohn nach Hause schleifen, wo der erst einmal als Strafe ein Fernsehverbot für die nächsten Wochen aufgebrummt bekam.
 

Draußen erwartete mich dann auch schon die nächste Überraschung: Denn da parkte ein knallroter Kleinwagen direkt vor dem Studentenwohnheim und aus dem Fenster auf der Beifahrerseite winkte mir Tetsu zu. Dieser Drecksack! Er beugte sich dazu extra vom Fahrersitz herüber und kurbelte nun auch das Fenster herunter, um mich anschließend überschwänglich zu begrüßen: „Doiha! Schön, dass du dich zu uns gesellst!“

„Von wegen zu euch gesellen. Ken-chan hat mich eiskalt angesackt und mitgenommen … ich hab noch nicht mal Schuhe an“, schnaubte ich säuerlich, wurde aber ignoriert.

„Komm, steig ein und die Party kann direkt losgehen“, flötete Tetsu weiter und wirkte auf mich fast so, als hätte er zu Hause schon mal einen getrunken. Fast, denn eigentlich war er immer so drauf, wenn er sich nicht gerade im Prüfungsstress befand – und selbst den nahm er lockerer als ich.

Mal davon abgesehen, dass ich gar keine andere Wahl hatte, als mich den beiden anzuschließen, wurde ich nun doch tatsächlich von Ken-chan angesackt und auf die Rückbank des kleinen Autos befördert. Dazu hatte er nicht nur erst die Tür aufmachen, sondern auch den Beifahrersitz nach vorne klappen müssen, da es sich bei dem Gefährt nur einen Dreitürer handelte. Das war zwar mehr Arbeit für ihn, bot mir aber auch weniger Chancen, noch herauszukommen, bevor wir unser Ziel erreichten, da ich schlicht und ergreifend hinter Ken und Tetsu gefangen war.

Und das regte mich so richtig auf: „Sagt mal, was soll das hier denn eigentlich? Erst rufst du an und laberst mich voll, dass du mich um sechs abholen willst, dann fällt Ken-chan bei mir ein, um mich einfach mitzunehmen, und am Ende sehe ich, dass du sogar schon hier draußen auf uns wartest. Was ist mit sechs Uhr geworden und warum zum Teufel darf ich mir noch nicht mal Schuhe anziehen?! Wenn man es genau nimmt, ist das sogar Entführung, was ihr hier macht. Tetsuya!“ Das dürfte gesessen haben. Tetsu mochte es nicht, wenn man ihn bei seinem vollen Vornamen nannte. Das machten noch nicht einmal seine Eltern, sondern nur die buckelige Verwandtschaft, die er vielleicht ein- oder zweimal im Jahr sah, wenn es hoch kam. Darüber war er auch ganz glücklich, wie er hinterher jedes Mal mit einem Stoßseufzer gen Himmel sagte. Aber ich hatte mich mal wieder geschnitten.

„Es ist bereits fünf vor sechs, Doiha“, nahm Tetsu mir den Wind aus den Segeln und deutete auf die Uhr in der Mitte des Armaturenbretts, „es ist allein deine Schuld, wenn du zusagst, ohne dass du vorher nochmal auf die Zeit schaust. Außerdem: Die Schuhe, die du vor Monaten schon bei mir vergessen hast, liegen unter dem Beifahrersitz für dich bereit. Und seit wann kennst du dich so sehr mit Jura aus, Doiha? Ich dachte, du studierst Kunst. Jetzt tu uns allen einen Gefallen und schnall dich an. Ich fahre so oder so los, aber wenn ich wegen dir einen Strafzettel kriege, knöpf ich dir jeden einzelnen Yen persönlich wieder ab.“

Ich schnaubte wieder, lehnte mich mit verschränkten Armen an die Rückbank und funkelte Tetsu über den Rückspiegel böse an. Der störte sich daran aber nicht, sondern grinste mich nur breit an und wartete noch ein bisschen, bevor er irgendetwas anderes tat. Nach einigen langen Momenten gab ich mich dann doch geschlagen und legte den Gurt an.

„Braves Doiha“, war Tetsus Kommentar darauf. Außerdem zündete er den Motor, legte einen Gang ein und rollte langsam los. „Jetzt musst du dich nur noch zu einem kleinen Lächeln durchringen und du wirst dich auf der Party nicht mehr vor Mädels retten können, die ein Date mit dir wollen.“

Ich zog eine Augenbraue hoch, starrte wieder in den Spiegel und wartete darauf, dass Tetsu kurz Blickkontakt mit mir aufnahm, ehe ich fragte: „Du weißt aber schon noch, was letztes Mal passiert ist, als ich solo auf so einer Party war?“

„Äh … nein“, kam es ziemlich ehrlich klingend zurück, „wann warst du überhaupt das letzte Mal ohne jemanden mit?“

„Halloween vor anderthalb Jahren“, antwortete ich und war allein bei dem Gedanken daran schon wieder vollkommen genervt.

„Ach, ja … das Phantom und die Schlampe.“

„So in der Art“, grummelte ich weiter und ließ mich noch weiter in den Sitz sinken, ehe ich aus dem Fenster blickte und auszumachen versuchte, wo die Fahrt hingehen würde. Natürlich wusste ich, dass irgendwo eine obligatorische Semesterabschlussparty veranstaltet wurde, aber das Wo und Wann hatte mich kaum interessiert, da ich dieses Mal wirklich so dermaßen in Arbeit versank, dass ich noch nicht einmal das Ende der Vorlesungszeit hatte abwarten können, um mich an die Beseitigung dieses Berges zu machen. Ich durfte mich nächste Woche noch einmal zu einer Vorlesung und zwei Seminaren schleppen, während Tetsu und Ken nun tatsächlich schon frei hatten – der eine als waschechter Student, der andere als wissenschaftlicher Mitarbeiter, beide aber in der Musikwissenschaft.

Schöne Scheiße, nicht wahr? Gebt dem, der ohnehin genug zu tun hat, nur noch mehr Arbeit, er verträgt es ja! Und wenn ich ehrlich war, hatte ich natürlich absolut keinen Bock darauf, sondern hätte auch viel lieber blau gemacht. Allein die Angst vor dem Versagen trieb mich an, so strebsam zu sein. Ich konnte es mit meinem Teilstipendium nicht leisten, irgendwo durchzufallen.

Mein angeblich bester Freund konnte mir meine Ruhe aber auch diesmal nicht lassen – er musste abfällige Kommentare reißen … selbst wenn sie wahrscheinlich dazu dienen sollten, mich ein wenig aufzuheitern: „Wer wird denn so ein böses Gesicht ziehen, Doiha? Willst du etwas den ganzen Abend Rumpelstilzchen spielen und und es uns allen damit wirklich noch madig machen?“

Ich schnaubte: „Hättest mich ja zu Hause lassen können.“

„Das stand nie zur Debatte und wird es jetzt auch nicht. Wir sind sowieso schon halb da – da dreh ich nicht noch mal um. Denk nur an die Bezinpreise.“

„Vorlaut wie immer, Tet-chan“, kommentierte ich dazu und schüttelte den Kopf.

„Ich würde es eher als schlagfertig bezeichnen“, wurde eingeworfen, worauf ich allerdings nicht weiter einging.

Stattdessen erkundigte ich mich über einen ganz anderen Umstand: „Sag mal, wo hast du eigentlich die Karre her? Wenn ich gewusst hätte, dass du ein Auto hast, hätte ich letztens den ganzen Kram aus deiner Wohnung ja gar nicht mit der Bahn wegschaffen müssen.“

„Hättest du leider doch“, widersprach er allerdings und zwinkerte mir über den Rückspiegel zu, „es gehört meiner Tante. Sie ist grade für ein paar Tage zu Besuch und ich darf es mir ausleihen, wenn ich es unbeschadet wieder zurückbringe.“

„Dann sei mal besser vorsichtig und quatsch nicht mit dem Kurzen auf den billigen Plätzen da hinten“, war Kens Beitrag zu dieser Unterhaltung, noch bevor ich etwas Ähnliches einwerfen konnte.

„Keine Sorge, ich fahre schon ordentlich“, beruhigte uns Tetsu und tätschelte dabei liebevoll das Armaturenbrett, „pass lieber auf, dass du mir nachher nicht alles vollkotzt. Ich weiß ja wie-“ Das Klingeln von Kens Handy unterbrach ihn allerdings jäh und er verstummte auch sofort, als der Rufton – ein sattes Gitarrenintro – erklang.

„Ja?“, meldete sich Ken und lauschte dann für einige Sekunden, ehe er wieder etwas sagte, „okay, kein Problem … nein, wir sind schon unterwegs. Sag einfach Bescheid, wenn du dann da bist … jup jup, mach ich … bis denne, ne?“ Dann legte er wieder auf, das gesamte Gespräch hatte dabei nur etwas mehr als zwei Minuten gedauert. „Yuki war's. Ihm ist was dazwischengekommen und er kommt später dazu. Schöne Grüße übrigens.“

„Danke“, sagten Tetsu und ich darauf unisono.

Und weil ich sowieso gerade nichts Besseres zu tun hatte, als darauf zu warten, dass wir irgendwo ankamen, fragte ich noch ein bisschen weiter: „Wollte Ayana denn nicht auch noch mit? Ich dachte, ihr kommt zusammen, wenn ihr schon beide dabei seid.“

„Nee …“, antwortete mir unser Fahrer daraufhin, schwieg dann aber erst einmal, weil er sich doch kurz vollkommen auf den Verkehr konzentrieren musste, während er versuchte, rechts abzubiegen, ohne dabei die Schar an Fußgängern über den Haufen zu fahren oder selbst von einem entgegenkommenden Wagen umgenietet zu werden. Erst als auch die letzte Oma mit ihrer Gehhilfe von der Fahrbahn war, bog er in die Nebenstraße ein, schaltete den Blinker aus und nahm unsere Unterhaltung wieder auf: „Also … ja, Ayana kommt schon, aber sie war heute noch mit einer Freundin einkaufen und da hätte es sich nicht gelohnt, wenn sie erst zu mir rausfährt und dann die halbe Strecke wieder zurück muss. Die Wohnung ihrer Eltern liegt einfach näher dran. Mal ganz davon abgesehen, dass sie sicher die neuen Sachen gleich anziehen will. Ich freu mich schon drauf!“ Ach ja, ich vergaß … er stand selbst genug auf ausgefallene Klamotten, um die Einkäufe einer Frau würdigen zu können. Ken achtete zwar auch ein wenig auf sein Äußeres, aber ansonsten waren er, Yuki und ich wesentlich pragmatischer veranlagt: Wenn es sauber war und passte, konnte man es auch anziehen. Von uns würde man nie im Leben den Satz „Ich hab nichts anzuziehen!“ hören; bei Tetsu wartete ich nur darauf, dass er ihn das erste Mal verzweifelt durch die Gegend brüllte.
 

Als wir eine viertel Stunde später bei der Bar ankamen, in der die Party stattfinden sollte, konnten wir Ayana tatsächlich schon davor stehen und auf uns warten sehen. Jedoch mussten wir erst einmal an ihr vorbeifahren, um das Auto irgendwo abstellen zu können … und Tetsu hätte natürlich prompt doch einen Unfall gebaut, weil er sich ja unbedingt den Hals hatte verrenken müssen, um nach seiner Freundin zu schauen. Er ging gerade noch rechtzeitig in die Eisen, um dem Auto vor uns nicht hinten reinzufahren. Dafür bedankte sich der Fahrer hinter uns natürlich mit einem lauten, genervten Hupen und ich wollte nicht wissen, mit was für Flüchen er uns im Moment bedachte. Sein Gesichtsausdruck sah zumindest nicht sehr erfreut aus.

„Ja ja“, murmelte Tetsu darauf ein bisschen genervt, aber auch erschrocken, startete den Motor wieder, der bei der Aktion natürlich ausgegangen war, und fuhr weiter. Ich hingegen fühlte mich erst wieder ganz wohl, als wir endlich in der Parklücke standen und ich aussteigen konnte. Und so schien es auch Ayana zu gehen, denn sie war nicht etwa auf ihrem Fleck stehengeblieben, sondern uns hinterhergelaufen, um Tetsu direkt ins Kreuzverhör zu nehmen.

„Was hast du dir denn dabei gedacht?“, fauchte sie ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie war für gewöhnlich immer sehr liebreizend, konnte aber auch zu einer ausgewachsenen Löwin mutieren.

Und genau das ließ sie gerade raushängen, sodass Tetsu nichts anderes herausbekam als ein lahmes: „Hehe, nichts, denke ich.“

„Ja, genau so sah es auch aus. Du sollst mir nicht hinterherschauen, wenn du dich auf die Straße konzentrieren solltest, das hab ich dir schon tausendmal gesagt! Ich hab doch Angst um dich!“

„Tut mir leid“, gab der Angesprochene jetzt kleinlaut wie ein getretener Hund von sich.

„Das sollte es auch! Mensch … du Idiot!“ Und dann nahm sie ihn doch in die Arme und drückte ihn fest an sich, während Tetsu auch die Arme um ihre schmalen Schultern schlang. Und alles schien wieder gut … und in mir machte sich wieder einmal der Wunsch breit, dass sich auch um mich jemand solche Sorgen machte, Angst um mich hatte und mich tröstete, wenn es mir schlecht ging. Verdammter Mist! Dass es auch nie lange genug hielt!

„Was'n los, Hyde?“, wurde ich dann plötzlich angesprochen und eine Hand sauste schwer auf meine Schulter nieder, sodass ich vor Schreck beinahe einen Satz in die Luft machte.

„Wuah!“, rief ich dabei unwillkürlich aus, woraufhin Ken mich seinerseits auch ganz erschrocken anschaute.

„Alles i.O.?“, hakte er darauf erst recht noch einmal nach und erinnerte mich daran, dass ich doch niemand Besonderen in meinem Leben brauchte, der für mich da war. Ich hatte meine Freunde – Tet-chan, Yuki und Ken-chan –, die diesen Job schon ziemlich gut machten. Meine Beziehungen mussten gar nicht lange halten, damit ich mich geborgen fühlte … es wäre nur trotzdem ganz schön gewesen.

Nichtsdestotrotz lächelte ich Ken auf seine Frage hin an und sagte: „Ja klar, alles in Ordnung. Ich hab nur über was nachgedacht. Nichts Weltbewegendes.“

„Dafür warste aber ganz schön weit weg“, kommentierte Ken allerdings, „und Tetsu hat wirklich recht: Du solltest dir mehr Spaß im Leben gönnen. Die ganze Schufterei ist nicht gut für dich und in den letzten Monaten nimmt es echt Überhand. Ich weiß, dass dir dein Studium wichtig ist, aber du vereinsamst uns noch, wenn du so weitermachst.“

„Ken-chan, ich-“, versuchte ich mich zu erklären, aber er ließ mich nicht, sondern redete einfach weiter, ohne mich auch nur ansatzweise zu Wort kommen zu lassen.

„Ich weiß, du bist groß … oder zumindest alt genug“, diesen Scherz hatte er sich natürlich nicht verkneifen können und grinste auch kurz, wurde aber gleich auch wieder ernst, sodass ich es ihm nicht übel nahm, „und du kriegst das hin. Aber tu uns und vor allem dir bitte einen Gefallen: Vergiss den ganzen Kram heute Abend einfach mal. Sei so wie alle anderen und tu so, als ob der Berg Arbeit nicht nach dir rufen würde. Hab einfach Spaß, ja?“ So viel redete Ken selten auf einmal und daran merkte man auch, dass es ihm wirklich ernst war. Ich nickte also brav und versprach es ihm. Ob ich deshalb auch direkt Spaß haben würde, konnte ich zwar jetzt noch nicht sagen, aber es war ja auch erst halb sieben – der Abend war also noch jung. Und außerdem war ich mit meinen Freunden unterwegs – die würden schon dafür sorgen, dass ich mich nicht langweilte.

„Doiha! Ken-chan! Was trödelt ihr denn da so rum?“, drang Tetsus engelsgleiches Gebrüll dann auch schon an mein Ohr und holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück – nämlich, dass Ken, der mittlerweile nicht nur eine Hand auf meine Schulter, sondern gleich den ganzen Arm um mich gelegt hatte, und ich ziemlich zurückgefallen waren, während sich die anderen beiden schon auf den Weg gemacht hatten, „wenn ihr weiter so rumtrödelt, ist alles voll und wir müssen den ganzen Abend stehen!“

„Red doch keinen Blödsinn!“, rief ich direkt zurück, „es ist noch nicht mal sieben. Die meisten kommen sowieso erst in zwei Stunden.“

„Dein Wort in Gottes Ohr, Doiha! Ihr könnt euch trotzdem ein bisschen mehr beeilen“, war der abschließende Kommentar meines besten Freundes, ehe er sich wieder umwandte, um mit seiner Freundin im Arm – die Körperhaltung und -nähe der beiden hatte verdächtige Ähnlichkeit mit der von Ken und mir … oder eher andersherum – zum Eingang der Bar zu schlendern.

„Der will doch nur so schnell wie möglich an ein lauschiges Plätzchen, wo er mit Ayana knutschen kann“, sagte ich trotzdem, tat das aber wieder in normaler Lautstärke, sodass nur Ken es hören konnte. Und der lachte bestätigend auf, ehe wir uns auch endlich in Bewegung setzten und unserer besseren Hälfte folgten.

„Was hast du heute eigentlich geplant?“, erkundigte ich mich schließlich bei Ken, „krallst du dir gleich die Erstbeste oder spielst du wieder Castingshow?“

„Hm …“, überlegte er, „weiß ich noch nicht, ich lass mich überraschen. Auf alle Fälle müssen die Damen erstmal warten, ich kann dich ja nicht alleine lassen, wenn unser Loverboy da vorne sich schon seiner Liebsten widmen wird.“

„Oh, das hast du grundsätzlich aber ganz gut drauf. Meistens bist du der Erste von uns, der sich absetzt“, erinnerte ich ihn feixend.

„Du sagst es, mein Freund, als Erster – und nicht als Vorletzter, wenn kein anderer mehr da ist“, eröffnete mir Ken einen Einblick in seine Logik und zwinkerte mir zu.

„Hehe … und danke, Ken-chan.“

„Kein Problem.“
 

Gute fünfzig Meter weiter hatten sich Tetsu und Ayana bereits wartend vor dem Eingang der Bar abseits einer kleinen Gruppe Raucher postiert und versuchten anscheinend, möglichst nicht in Windrichtung zu den Jungs neben ihnen zu stehen. Da fiel es mir dann auch wieder ein, dass das Rauchen hier drinnen nicht gestattet war und man für jede einzelne Zigarette vor die Tür musste – egal, was für ein Wetter wir gerade hatten. Das konnte im Winter durchaus dazu führen, dass sich so manch einer dann doch lieber die Kippe sparte und im Warmen blieb … oder heimlich auf dem Klo rauchte – ich hatte in der Vergangenheit schon so einiges erlebt, auch wenn ich nicht unbedingt oft hier war.

Doch heute würde das alles kein Problem sein, denn heute Mittag hatte das Thermometer die dreißig überschritten, sodass es später sicherlich eine Wohltat sein würde, einmal kurz an die frische Luft zu kommen und der stickigen Atmosphäre drinnen zu entfliehen. Und es würde stickig werden, wenn sich in ein oder zwei Stunden die Leute gegenseitig auf die Füße traten und einem nahezu jedes Sauerstoffmolekül vor der Nase wegatmeten.
 

Ein bisschen hatte ich mich allerdings in dieser Kalkulation geirrt, wie ich feststellen musste, als wir die Bar betraten. Der große Schub setzte nicht erst in frühestens einer Stunde ein, sondern bereits jetzt, sodass wir erst einmal nicht die Theke, sondern stattdessen einen freien Tisch ansteuerten, der groß genug für unsere Gruppe war. Erst dann machten wir uns auf die Jagd nach etwas Trinkbarem, wobei sich natürlich Tetsu und Ayana weigerten, schon wieder aufzustehen, weil ihr angeblich die Füße von der Shoppingtour weh taten und er seine Freundin doch bei all diesen schmierigen Kerlen hier nicht allein lassen konnte. Diese kleinen Betrüger! Wenn sie einen Moment für sich haben wollten, um sich wortlos anzustarren und gegenseitig anzutatschen, konnten sie das doch auch sagen! Mal ganz davon abgesehen, dass es sie nach zwei Drinks sowieso nicht mehr stören würde, wer da noch alles mit am Tisch saß. Hatten wir auch alles schon live erlebt.

Jedenfalls erklärten Ken und ich uns dann dazu bereit, die Getränke für alle zu besorgen – wir hatten schließlich vier Hände und im Gegenzug würden die anderen beiden dann die nächste Runde holen und auch bezahlen müssen. So machte man das unter Freunden, hehe!

„Ist schon ganz schön was los hier, ne?“, fragte ich unnötigerweise, als ich mich ein paar Minuten später an den Tresen stellte und wie zahlreiche andere darauf wartete, dass ich bedient wurde.

„Die scheinen alle auf dieselbe Idee gekommen zu sein“, pflichtete mir Ken zu und quetschte sich zwischen mich und ein fremdes Mädchen, das er auch prompt unauffällig musterte, ehe er sich wieder unserer Konversation zuwandte, „früher kommen, damit noch Platz ist. Nur Pech, wenn das alle gleichzeitig machen.“

„Manchmal hab ich das Gefühl, es gibt in dieser Stadt einfach zu viele Menschen … oder zu wenig Raum für die vorhandenen Menschen.“

„Manchmal?“

„Okay, ziemlich oft.“

„Das kommt der Sache schon näher … ah, der Mann der Stunde! Zwei Bier, einen Cherry Kiss und eine Cola für den Fahrer.“ Der letzte Teil ging natürlich nicht an mich, sondern an den Barkeeper, der sich gerade in unsere Richtung gewandt hatte. Ob er auch wirklich uns hatte bedienen wollen und nicht das Mädchen rechts neben Ken, wusste ich nicht, aber da unsere Bestellung die schnellere gewesen war, wurden wir nun auch zuerst bedient. Aus den Augenwinkeln bekam ich allerdings mit, wie die Kleine Ken einen so bitterbösen Blick zuwarf, als hätte er bereits was mit ihr angefangen und sie dann abgesägt. Nun, damit hatte er sich wohl um die Chance gebracht, genau das bei ihr zu versuchen. Dabei wäre er selbstverständlich sehr charmant gewesen, hätte ihr aber gleichzeitig klipp und klar gesagt, dass er für nichts Ernstes zu haben war, sodass ihn eigentlich keine Schuld traf, wenn die Mädels hinterher auf ihn sauer waren. Er spielte immer mit offenen Karten, auch wenn sein Lebensstil an sich vielleicht etwas fragwürdig war. Aber zurück zum Gespräch!

„Tetsu hat sich schon selber ins Knie geschossen“, hängte Ken noch an, während wir jetzt darauf warteten, unsere Getränke mitnehmen zu können.

„Inwiefern?“

„Indem er uns fährt und dafür nüchtern bleiben muss. Hätten wir die U-Bahn genommen, hätte er auch was trinken können.“

„Hm … stimmt. Na ja, solange Ayana da ist, ist er glücklich.“

„Auch wieder wahr“, pflichtete Ken mir bei und trommelte dann mit den Händen auf dem Tresen herum, als der Kerl, der uns bediente, mit der ersten Hälfte der Bestellung ankam und uns zwei Gläser Bier vor die Nase stellte. „Ich nehm die und du dann den Rest?“, fragte er dann noch, hatte es anscheinend aber nicht wirklich als Frage gemeint, denn er legte tausend Yen auf den feuchten Tresen und schnappte sich dann auch schon die kostbare Fracht. Mir blieb also nichts weiter übrig, als dem zuzustimmen und mich weiter in Geduld zu üben, dass auch der Rest fertig wurde.

Das war allerdings im wahrsten Sinne des Wortes eine Geduldsprobe, denn kaum dass Ken mit unseren ersten beiden Getränken verschwunden war, wurde ein Song aufgelegt, den ich schon länger nicht mehr gehört hatte – was auch ganz gut so gewesen war. Namie Otsuka mit dem beliebtesten ihrer eigentlich komplett gleich klingenden Dance-Pop-Songs. Und als wäre das noch nicht genug, wurde es neben mir plötzlich laut.

„Ach, komm schon! In knapp fünf Stunden bin ich zwanzig und dann kann ich so viel trinken, wie ich will. Auf die paar Minuten kommt es doch nun wirklich nicht mehr an.“

„Wenn du die Strafe bezahlst, wenn jemand vom Ordnungsamt vorbeikommt und kontrolliert – gerne!“

„Die werden sich deswegen schon nicht aufregen. Komm schon, hab ein bisschen Mitgefühl.“

„Nichts zu machen. Du bestellst jetzt also entweder was ohne Alkohol oder du ziehst ab und kommst nach Mitternacht noch mal wieder. Dann mach ich dir, was du willst.“

„Gibt's das dann wenigstens auf's Haus? Ich hab immerhin Geburtstag.“

„Frag da lieber deine Freunde, ob sie dir was spendieren. Wir sind hier schließlich nicht die Wohlfahrt, Kleiner.“

Nun, Kleiner stimmte in diesem Falle nicht ganz. Ich beobachtete den Disput zwischen Barkeeper und Gast recht gelangweilt, bekam allerdings doch mit, dass der Gast zwar gerade noch minderjährig sein mochte, aber trotzdem alles andere als klein war. Wahrscheinlich bekam er in den meisten Bars aufgrund seiner Größe ohne größere Umstände, was er wollte. Da konnte man schon ein bisschen Mitleid mit ihm bekommen, dass er gerade heute in einer Bar gelandet war, wo sie sich strikt an die Altersgrenze hielten. Das mussten sie aber auch tun, denn das Klientel bestand hauptsächlich aus Studenten, die für gewöhnlich noch nicht volljährig waren, wenn sie mit ihrem Studium begannen.

Als sich besagter Gast allerdings etwas in meine Richtung drehte und ich sein Gesicht endlich komplett sehen konnte, verschwand jegliches Mitgefühl meinerseits für ihn mit einem Schlag. Stattdessen fiel mir wahrscheinlich die Kinnlade runter … ich bekam es nicht ganz mit, war ich doch viel zu sehr damit beschäftigt, den Kerl anderthalb Meter neben mir anzustarren. Er hatte sich verändert und ich hatte ihn auch schon fast vergessen. Außerdem trug er heute eine Brille mit dickem schwarzen Rahmen. Aber er war es zweifelsohne … Gackt.

Und die braunen Augen hinter den Brillengläsern starrten verwirrt zurück. Wahrscheinlich erkannte er mich gar nicht und wunderte sich nur, wieso ihn ein wildfremder Kerl so lange ansah. Schließlich hatte ich bei unserem Aufeinandertreffen vor einiger Zeit ganz anders ausgesehen. Ganz genau, das musste es sein … falsch gedacht!

Nur kurz darauf breitete sich ein Lächeln auf seinen Gesichtszügen aus und er gesellte sich prompt zu mir, um mich zu begrüßen: „Lange nicht gesehen, nicht wahr?“

„Äh … ja“, gab ich etwas stockend zurück und schielte kurz nach dem Barkeeper, ob der schon mit meiner Bestellung fertig war und ich endlich wieder abziehen konnte. Wieso ich nicht einfach so getan hatte, als ob ich mich an nichts erinnerte bzw. er mich verwechselt hatte, fragte ich mich auch direkt im nächsten Augenblick und hätte mich dafür schlagen können.

Aber auch das hätte wahrscheinlich nichts gebracht, denn Gackt schien da ziemlich fit zu sein: „War schade, dass du damals so überstürzt abgehauen bist. Ich hätte ganz gerne noch ein bisschen Zeit mit dir verbracht. Wie hieß deine Freundin doch gleich noch? Die, die unbedingt nach Hause wollte. Na ja, ihr Mädels könnt da ja manchmal auch sehr entschlossen sein.“

„Hä?“, machte ich nun. Hatte er mich etwa doch verwechselt und ich war nur auf seine Masche hereingefallen? „Du siehst schon, dass ich kein Mädchen bin?“

„Genauso wenig wie du damals eins warst. Und genauso wenig stört mich das auch jetzt … Hachiko.“

Wie bitte?!
 

tbc.

Halloween Party

Eineinhalb Jahre zuvor, 29. Oktober …
 

„Woah, wir haben seit gerade mal vier Wochen wieder Vorlesungen und ich brauch jetzt schon wieder Ferien“, stöhnte Tetsu, während er an seinen Haaren herumnestelte, um die Spange mit dem Federschmuck endlich zum Halten zu bringen. Er tat das nun schon seit geschlagenen zehn Minuten, schaffte es aber einfach nicht. Vielleicht hätten wir doch ein Mädchen fragen sollen, ob es uns half – eine von Kens Flammen vielleicht, wobei ich bezweifelte, dass er sie für so etwas fragen würde. Am Ende wollte sie noch mit zu der Party kommen und dann müsste er den gesamten Abend mit ihr verbringen, anstatt sich wieder auf die Jagd zu begeben. Und das war ihm zu stressig, das wusste jeder von uns.

„Du hattest doch erst Ferien“, erinnerte ich Tetsu und wandte mich dabei nicht vom Spiegel ab, da ich gerade mit Eyeliner herumhantierte und mir auf keinen Fall noch die Augen ausstechen wollte. Und den ganzen Abend mit einem schwarzen Schatten darunter herumzulaufen, weil man sich vermalt hatte, war auch nichts, auf das ich besonders scharf war. So langsam kam mir die Idee, dass wir uns alle als Frauen verkleideten, reichlich blöd vor. „Ich hatte zumindest den gesamten letzten Monat frei.“

„Ja~~“, stimmte Tetsu mir zu, zog das Wort dabei aber so lang, dass ich genau wusste, dass da noch etwas kommen würde. Und natürlich lag ich damit richtig: „Du hast ja auch nicht bis zum letzten Tag noch Hausarbeiten schreiben müssen. Die haben mir eine Deadline genau auf den letzten Tag im alten Semester gelegt und-“

„Wenn du dich mehr reingehängt hättest, hättest du die aber nicht unbedingt ausreizen müssen“, unterbrach ich ihn altklug und streckte seinem Spiegelbild die Zunge heraus. Tetsu, der direkt hinter mir stand und gelegentlich auch einen Blick auf sein Abbild warf, bekam das natürlich mit und zeigte mir bei einem selbst für ihn schon zu liebreizenden Grinsen den Finger. Ich lächelte daraufhin nur und widmete mich wieder meinen eigenen Problemen: dem Eyeliner und der Tatsache, dass es danach auch noch nicht getan wäre, sondern direkt im Anschluss mit dem Lidschatten weitergehen würde. Die Idee kam mir auf einmal noch viel blöder vor als eben noch … na, zumindest hatte ich mich nicht damit herumschlagen müssen, wie man eine ebenmäßige Grundierung in sein Gesicht bekam, denn mir war schon von mehreren meiner Kommilitoninnen gesagt worden, dass ich eine tolle Haut hätte und allgemein auch sehr hübsch für einen Mann wäre. Von denen, die mich direkt für eine Frau gehalten hatten, einmal ganz abgesehen. Dabei trug ich fast ausschließlich sehr männliche Kleidung – dunkle Jeans, dunkle Shirts oder Hemden, schwere Boots und manchmal sogar eine Krawatte in Kontrastfarbe. Lange Haare hatte ich auch nicht, sondern trug einen recht kurzen und auch unspektakulären Männerhaarschnitt.

Heute sah das dann schon ganz anders aus und es würde mich eher wundern, wenn die Leute direkt auf Anhieb merkten, dass ich eben kein Mädchen war. Ich hatte mir von einer Bekannten einen kurzen, rot-schwarz karierten Faltenrock geliehen, eine Krawatte und einen Blazer derselben Musterung, dazu eine weiße Bluse mit kurzen Ärmeln und ein paar schwarze Loose Socks. Mein Outfit komplettierte eine hellbraune Langhaarperücke, ein paar blinkende Teufelshörnchen aus einem Kostümshop und natürlich meine schwarzen Boots, die ich immer trug. Neben denen hatte ich mich auch nicht von meiner üblichen Unterwäsche trennen können. Denn es war zwar Halloween und ich sah mehr denn je wie ein Mädchen aus, aber das hieß noch lange nicht, dass ich deswegen in ein spitzenbesetztes Höschen schlüpfen würde. Außerdem war nur Halloween und da musste ich ja nicht hundertprozentig authentisch auf der Party aufkreuzen, also störte ich mich nicht daran, dass meine Shorts zu sehen waren, sobald ich das Bein etwas zu hoch hob. Wahrscheinlich würde es sogar ganz lustig werden, zu beobachten, wie den ganzen Perverslingen die Kinnlade herunterfiel, wenn sie bei einem Blick unter mein Röckchen bemerkten, dass ich gar nicht echt war.
 

„Doiha, hilf mir doch mal!“, wurde ich dann von einem jammernden Tetsu aus meinen Gedanken gerissen, „das Teil will einfach nicht halten!“

„Ach, Tet-chan“, seufzte ich, legte aber nur allzu bereitwillig den Eyeliner beiseite und stand auf, um ihm zur Hand zu gehen. Und um festzustellen, dass er den gleichen Eindruck auf mich machte wie ich auf mich selbst: Er hatte sich in ein Cocktailkleidchen geworfen, sich einen Bob als Perücke besorgt und sich sogar in Netzstrumpfhosen und Hochhackige gezwängt. Und damit sah er beinahe täuschend echt aus, sodass ich mir ziemlich sicher war, dass ihn nachher in dem schummrigen Licht der Bar, in die wir wollten, direkt einer anmachen würde, haha.

Als ich mir für einige Momente das Gesamtkunstwerk Tetsu besehen und ihm die Haarspange abgenommen hatte, wurde mir allerdings plötzlich bewusst, dass ich mich dabei auch nicht besser anstellen würde als er selbst. Nicht, dass ich unfähig wäre, bei jemand anderem eine Spange im Haar (oder eben in der Perücke) zu befestigen, allerdings wusste ich absolut nicht, wo ich sie hinstecken sollte, denn überall auf seinem Kopf wäre sie zu viel gewesen. Ratlos schaute ich in sein Gesicht, zog eine Schnute und er schaute ähnlich verwirrt zurück. Dann ließ ich meinen Blick noch etwas weiter sinken, bis ich zu den falschen Brüsten kam, für die er einen trägerlosen BH mit jeder Menge Klopapier ausgestopft hatte, … und bekam eine Idee. Ich klemmte die Spange genau dorthin, wo eins der dünnen Trägerchen sein Kleidchen festhielt, sodass jetzt Tetsus Dekolleté statt seiner Haare dekoriert wurde. Dies wurde dann auch mit einem leichten Schnips gegen meine Nase quittiert.

„Hideto Takarai, was fällt dir ein, mir an die Brust zu fassen!“, empörte sich mein bester Freund gespielt, „das macht man als Mann mit Manieren bei einer echten Lady nicht.“

„Einspruch, Euer Ehren“, erwiderte ich daraufhin nur lässig, „erstens bin ich im Moment kein Mann und zweitens sehe ich weit und breit nirgends eine echt Lady. Die Dragqueen hier vor mir kann ja wohl unmöglich als eine solche durchgehen. In dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten, beantrage ich einen Freispruch auf allen Ebenen.“

„Habe ich was nicht mitbekommen oder hast du plötzlich von Kunst zu Jura gewechselt, du mieser, kleiner Klugscheißer?“

„Quod era demonstrandum – keine Lady“, fiel mir dazu nur ein, ich grinste Tetsu noch einmal breit an und setzte mich wieder hin, um mein Gesicht weiter bearbeiten zu können. Ich musste mich immerhin noch mit dem Lidschatten abmühen, auch wenn ich dazu nicht wirklich Lust hatte. „Du brauchst übrigens auch noch Make-up. Bedien dich ruhig an dem Kram da. Haruka hat so viel Zeug, dass sie es mir geschenkt hat. Ist doch ziemlich nett von ihr, oder?“

„Sehr sogar“, pflichtete Tetsu mir bei und begann, in dem kleinen Täschchen zu wühlen, in dem die ganzen 'Basics' steckten, wie Haruka es mir gesagt hatte. Mit der Hälfte davon hatte ich auf Anhieb erst einmal gar nichts anfangen können und im Internet nachschauen müssen, wozu man das alles brauchte. Und ich hatte plötzlich eine Art Verständnis für Frauen entwickelt, wenn sie dafür länger im Bad brauchten als ich. Wobei ich trotzdem noch nicht ganz verstand, wie man sich das täglich antun konnte. Die meisten Mädchen, die ich kannte, sahen so aus, als würden sie auch ohne Make-up gut aussehen. Aber das sahen sie wohl anders als ich. Tetsu jedenfalls beließ es nicht dabei, mir nur zuzustimmen, sondern ließ schon wieder ein paar seiner berühmten und außerdem bemühten Andeutungen fallen: „Sag mal, versteht ihr euch eigentlich sehr gut – du und Haruka? Ich meine, wenn sie dir schon ihre Sachen schenkt. Du hättest sie ja einladen können, mit zu der Party zu kommen, meinst du nicht?“

Bei solchen Sätzen verdrehte ich eigentlich immer die Augen und schaute Tetsu anschließend mit einem Blick vollkommenen Unverständnisses an. Diesmal ging das jedoch nicht, da ich ein Auge geschlossen hatte und auch durch das andere nur gerade so sehen konnte, was ich da tat, während ich mir schwarzen Lidschatten auf die Augen klatschte. Smoky Eyes sollten es werden. Aber ob ich es auch hinbekommen würde, war noch sehr fraglich. Selbst wenn ich mich im Internet durch zig Tutorials für so was geschlagen hatte. Stattdessen seufzte ich nur, während ich versuchte, mich von meinem Tun nicht großartig ablenken zu lassen.

„Wir können uns ganz gut unterhalten, aber meistens ist das eher Smalltalk oder Unikram. So eng sind wir also nicht und ich denke auch nicht, dass ich daran interessiert wäre, mit ihr etwas anzufangen. Mal davon abgesehen …“ Und jetzt sah ich ihn doch an, vielleicht sogar ein bisschen vorwurfsvoll. „… bei mir hält doch sowieso nichts sonderlich lange. Ich bin da fast wie Ken-chan … nur dass der es direkt drauf anlegt, nach spätestens zwei Wochen schon wieder jemand anderen zu haben.“

„Mensch, Doiha, wenn du es nicht versuchst, dann kann das natürlich auch nichts werden. Und sag mir jetzt bitte nicht, dass du Megumi immer noch nachtrauerst – das war vor dreieinhalb Monaten und ihr geht’s bestimmt schon wieder super!“

„Ach, so ein Quatsch!“, wiegelte ich daraufhin allerdings sofort ab, „mir geht es doch gar nicht um Mei-chan direkt. Allerdings glaube ich so langsam, dass ich irgendeinen Knacks hab, der verhindert, dass meine Beziehungen länger als ein halbes Jahr dauern.“

„Da könntest du recht haben“, stimmte Tetsu mir zu, woraufhin ich ihn sicherlich anguckte wie ein Auto. Wer konnte denn auch damit rechnen, dass Tetsuya Ogawa einem plötzlich zustimmte, obwohl man gerade pessimistisch drauf war?! Aber natürlich dachte er gar nicht daran, mich in diesem Glauben zu lassen: „Wenn du mehr Zeit in deine Freundinnen und dafür weniger in Arbeit stecken würdest, wäre das schon mal ein ganz guter Anfang. Du bis einfach so ein Streber, dass die Mädels über lang oder kurz keine Lust mehr darauf haben, ständig auf dich warten zu müssen.“

„Das ist doch Blödsinn, ich kann schließlich nicht-“, echauffierte ich mich schon, wurde aber jäh unterbrochen.

„Ich hab ja auch nicht gesagt, dass du die Uni vernachlässigen sollst. Aber du solltest dir mal Gedanken über eine gesunde Balance aus Arbeit und Privatleben machen. So, wie du dich immer auf den Kram stürzt, hast du zwar hinterher viel freie Zeit, aber derweil sind die Mädchen schon zum nächsten Kerl gerannt, weil du dich vorher immer nur zwischen deinen Büchern verkrochen hast. Schau mich doch nur an!“

„Sagt der, der im Moment auch solo ist und generell alles auf den letzten Drücker erledigt“, warf ich ein, wurde aber ignoriert.

„Ich nehme mir die Zeit für meine Liebste und es wird mir auch immer sehr gedankt. Dass es mit Hitomi schlussendlich nicht geklappt hat, kam durch widere Umstände. Wenn sie jetzt nicht dieses Jahr im Ausland machen würde, wären wir wahrscheinlich immer noch zusammen.“

„Hm …“, erwiderte ich darauf leicht abwesend, weil ich mich während seines Vortrages schon wieder meinem Make-up gewidmet hatte. Es wurde so langsam Zeit, sonst tauchte Ken schon ausgehbereit hier auf und wir wären immer noch nicht fertig – auch wenn eben nur noch ein paar Kleinigkeiten fehlten. Und als hätte er es geahnt, ging die Klingel an meiner Tür.

„Geh mal bitte, Tet-chan“, murmelte und hielt mein linkes Auge mit dem Zeigefinger an den Wimpern fest, sodass es geschlossen blieb und ich gleichzeitig das andere komplett aufmachen und gucken konnte, was ich da eigentlich trieb. Das klappte eigentlich ganz gut. Zumal ich mich mit Pinseln (auch wenn es Kosmetikpinsel waren) ganz gut anstellte, also würde ich es mit dem rechten Auge auch gleich so machen. Doch kaum, dass ich mit dem ersten richtig fertig war, stampfte Tetsu zurück ins Zimmer und zog eine Schnute, als hätte man ihm die letzte Banane vor der Nase weggefuttert.

„Was ist denn?“, fragte ich, ließ den Pinsel sinken und legte die Stirn in Falten.

„Ken-chan, der Idiot, hält sich nicht an unsere Abmachung“, motzte mein bester Freund, stellte sich mitten in den Raum und verschränkte demonstrativ die Arme vor der ausgestopften Brust, während er der Tür böse Blicke zuwarf. Und noch bevor ich weiter nachfragen konnte, schlenderte Ken auch schon durch besagte und mit bösen Blicken bedachte Tür.

Des Rätsels Lösung war sogar ziemlich offensichtlich: Er trug keine Frauenkleider so wie Tetsu und ich, sondern hatte sich in einen fast schon piekfeinen Anzug geworfen, der ihm zugegebenermaßen sehr gut stand. Sein Hemd hatte er auch nicht richtig zugeknöpft und auf seiner Nase saß eine große Sonnenbrille. Es fehlten nur noch ein paar Tattoos, dann hätte er glatt als Yakuza durchgehen können. Trotzdem – wie Tetsu es bereits gesagt hatte – war das gegen unsere Abmachung.

„Wolltest du dich nicht zu Hause umziehen?“, hakte ich deswegen auch besonders freundlich nach. „Wo ist denn dein Kostüm?“

„Right here, my darling“, flachste Ken allerdings, hob die Sonnenbrille ein paar Zentimeter an und zwinkerte mir zu, ehe er zur ernsthaften Version der Erklärung ansetzte, „dachte mir, dass Mädelsaufreißen in dem Kleid nicht so laufen würde. Dafür bin ich jetzt euer fescher Begleiter. Brauch ja jedes hübsche Mädchen.“

„Oho, Ken-chan macht einen auf Sugar Daddy“, war mein – ebenfalls reichlich unernster – Kommentar dazu.

„Spendierst du uns dann wenigstens auch die Drinks?“, hakte Tetsu daraufhin noch immer leicht säuerlich nach, auch wenn er einem sonst binnen kürzester Zeit verzieh und generell relativ selten überhaupt sauer auf einen wurde. Und Ken schien das auch nicht entgangen zu sein.

„Sicher doch, Honey“, sagte er darauf direkt, „insofern ich es bezahlen kann. Ein Bier für jeden von euch zwei Süßen ist drin, alles andere würde leider mein Budget übersteigen.“

„Du bist so ein Halsabschneider, Ken-chan“, war mein Beitrag zu der Diskussion, ehe ich mich wieder an mein Make-up machte. Im Hintergrund stritten sich die beiden anderen noch etwas weiter. Und dann durfte ich auch noch Tetsu anmalen, weil sich herausstellte, dass der darin gleich vollkommen unbegabt war. Wie konnte man nur so Bass spielen und dann nicht mal einen Pinsel richtig halten können?
 

Eine Stunde später kamen wir dann endlich in der Bar an, deren Schlage wirklich die Hölle gewesen war. Einerseits war sie endlos lang gewesen und außerdem hatte ich nicht bedacht, dass ich mit meinem kurzen Röckchen vielleicht auch besser eine Strumpfhose oder Leggins oder irgendwas in der Art angezogen hätte. Es war Ende Oktober, damit eben auch schon schweinekalt draußen und wir mussten warten, dass wir endlich reinkamen. Und ich schwöre, hätte der Typ an der Tür gesagt, sie seien voll und würden keine Leute mehr reinlassen, ich hätte ihn angesprungen und so lange angeschrien, bis er für uns eine Ausnahme gemacht hätte. Wobei ich mir noch nicht einmal ganz so sicher war, ob er das nicht sogar schon getan hatte. Denn nach uns kam nur noch eine Fünfergruppe Mädchen in nicht gerade verdeckenden Maid-Outfits herein, ehe ein „Wir sind voll!“ über die Köpfe der noch wartenden Menge hinweggerufen wurde. Und wir waren mit einem „meine Damen“ durchgewunken worden. Hm … scheinbar hatte sich die ganze Mühe bereits jetzt gelohnt.

Auf alle Fälle hatte der Kerl nicht gelogen, denn drinnen konnte man sich kaum bewegen, ohne mindestens zwei andere Leute mit einzubeziehen. Tanzen würde da sicherlich kaum drin sein, wenn sich nicht bald ein guter Teil davon irgendwohin verzog, wo es ruhiger war. Wir brauchten dann auch wieder gefühlte Ewigkeiten, um an die Bar zu kommen und uns das versprochene Bier von Ken spendieren zu lassen. Und ich hatte das Gefühl, dass mir allein auf diesem Weg bereits vier Leute an den Hintern gegriffen hatten.

Mit unserem Bier und außerdem noch jeweils einem Cocktail bewaffnet, weil wir uns so schnell nicht noch mal um einen der drei Barkeeper prügeln müssen wollten, bezogen wir eine halbe Stunde später woanders Stellung. Dabei konnten wir gerade so noch einen Tisch ergattern, an dem direkt vor uns jemand aufstand und seine fast leeren Gläser stehen ließ. Ich lief voraus und stürzte mich nur eine Sekunde vor einem Mädchen im Gal-Look auf einen der drei Stühle, grinste sie dann noch süffisant an und trällerte: „Sorry, hier sitzen ich und meine Freunde.“ Der Blick in ihrem Gesicht, als sie hörte, dass ich gar keine Frau war, war absolut göttlich. Inklusive des zu dicken Make-ups entgleiste ihr absolut alles im Gesicht und sie zog beleidigt ab. Das war es allemal wert, dass ich ein bisschen von meinem Cocktail verschüttet hatte.

Einen Schluck von meinem Bier nehmend konnte ich dann auch gemütlich darauf warten, dass Tetsu und Ken sich zu mir gesellen würden. Das dauerte jedoch noch etwas, da Tetsu auf den hohen Hacken wohl doch nicht so gut zurecht kam, wie er es sich gedacht hatte. In meiner Wohnung hatte er es noch ganz gut hinbekommen, aber seitdem wir aus der U-Bahn gestiegen waren, beschwerte er sich fast nur noch über seine Füße, die jetzt wohl höllisch weh taten. So auch, als er es dann endlich zu mir und unserem frisch eroberten Tisch geschafft hatte: „Ich glaube, ich suche mir ein Mädchen, dass in Schlafanzug und Pantoffeln hergekommen ist – und dann tausche ich die Sachen mit ihr. Gott, tun mir die Füße weh! Und du solltest übrigens nicht wie ein Bauarbeiter am Tisch sitzen, wenn du einen Rock trägst, Doiha-chan. Man sieht deine Shorts und das ist leider reichlich unattraktiv.“ Damit ließ er sich auf einen der verbleibenden beiden Stühle fallen und schien dann irgendwie seine Füße so ausrichten wollen, dass sie sich möglich entspannen konnten. Zumindest guckte er dabei immer wieder nach unten, als ob er etwas überprüfen wollte. Ich folgte derweil seinem Rat, verlagerte mein Gewicht etwas mehr auf eine Seite und schlug damenhaft ein Bein über das andere.

Allerdings vermisste ich Ken immer noch … und das sollte erst einmal auch so bleiben, denn als ich mich bei Tetsu erkundigte, wo er unseren Aufreißer gelassen hatte, entgegnete der nur grinsend, warum ich das überhaupt noch fragen müsste. Natürlich hatte er sich mit seinem Bier und dem Cocktail direkt auf das erste weibliche Wesen gestürzt, das er hatte erblicken können. Dabei war der Cocktail natürlich für seine potentielle Eroberung und hatte aus diesem Grunde auch nicht süß und rosa genug sein können. Und ich hatte mich schon gewundert, was er damit wollte …

„Also bleiben heute nur wir beide übrig“, schloss ich daraus, „insofern du mich nicht auch noch verlassen willst.“

„Ach, wo denkst du nur hin, Doiha-chan?“, erwiderte Tetsu, rutschte etwas unruhig auf seinem Stuhl umher und nahm dabei einen Schluck von seinem Drink. „Ich bin schließlich nicht Ken-chan, der keine Freunde mehr kennt, sobald er einen kurzen Rock sieht.“

„Na, dann haben wir ja heute das beste Mittel zur Hand, um ihn wieder zurückzuerobern“, bemerkte ich grinsend und zupfte an meinem Faltenröckchen, wobei ich jedem im Umkreis, der gerade herschaute, meine Unterwäsche präsentierte. Tetsu stimmte mir zu und auch in mein Lachen mit ein. Er hatte es ja selbst nicht ganz so krass gemeint, wie es geklungen hatte. Ken-chan war tatsächlich schnell verschwunden, wenn es um die holde Weiblichkeit ging – wir bekamen es ja gerade erst wieder live mit – allerdings wäre er sofort zur Stelle, sollte etwas vorfallen … und das auch ohne, dass wir die Röcke lüpften.

Allerdings stellte sich recht schnell heraus, dass Tetsu – zumindest an diesem Abend – doch nicht ganz so zuverlässig war, wie er von sich behauptet hatte. Eine gute Stunde später, in der wir uns über den Lärm hinweg unterhalten, uns über andere Gäste ausgelassen und langsam unsere Getränke vernichtet hatten, verkündete mein bester Freund, dass er es nicht länger in dem Fummel aushielt und sich lieber von zig Leuten auf die nackten Füße treten ließ, als auch nur eine weitere Minute in diesen Schuhen und der Strumpfhose zu verbringen. Damit stand er auf, stakste schlingernd davon in Richtung Klo und kam für eine Ewigkeit nicht wieder. Ich sah derweil gefühlte hundert Mal auf mein Handy, denn ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, die Halloweenparty allein mit meinen Drinks am Tisch zu verbringen und von allen anderen verlassen zu werden.
 

Das Kinn in meine Hand stützend, überlegte ich eine weitere halbe Stunde danach schließlich, ob ich nicht doch einen meiner beiden Freunde suchen sollte, um ihnen zu sagen, dass ich schon nach Hause ging, als mich eine fremde Stimme ansprach: „Na, was macht ein kleines Teufelchen wie du denn so allein hier?“

Ich schreckte etwas auf, aber nicht sehr, denn direkt darauf setzte sich mir ein junger Kerl gegenüber, dessen Gesicht zur Hälfte von einer weißen Maske verborgen war. Dazu trug er einen altmodischen, schwarzen Anzug und einen dazu passenden, schwarzen Umhang. Ein Blinder hätte erkannt, dass er als Phantom der Oper unterwegs war.

Und ich wusste auch nicht recht, ob ich angesichts des Anmachspruches lachen oder genervt die Augen verdrehen sollte. Selbst ich wusste, dass der so abgedroschen war, dass ihn absolut keine Frau hören wollte, auch wenn er nicht so schlimm war wie diese „Geht’s dir gut? Du musst gefallen sein, denn du bist ein Engel auf Erden“-Sache. Aber es kam doch recht nahe heran.

Ich überlegte trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – ob ich mir nicht noch einen letzten Scherz mit ihm erlauben wollte, bevor ich ging. Wer so schlechte Anmachen benutzte, musste außerdem mal den Korb seines Lebens bekommen, um es in Zukunft besser zu machen. Ja, das würde sicher auch lustig werden.

Ich räusperte mich noch einmal, machte mich dann bereit, meine Stimme in etwas höhere Tonlagen zu befördern, und begann bewusst schüchtern: „Hm … meine Freunde haben mich leider sitzen lassen. Und du?“ Dann wartete ich auf seine Reaktion. Jetzt würde ich sehen, ob ich noch etwas hier blieb oder direkt abhaute, weil er mich durchschaut hatte und es dann nichts mehr brachte, irgendwelche unsinnigen Spielchen zu spielen. Aber er schien absolut nichts zu merken, sondern lächelte und lehnte sich, auf den Tisch gestützt, etwas weiter an mich heran.

„Ich bin allein hier“, antwortete er mir, was ich ihm allerdings nicht ganz glaubte. Man ging nicht alleine auf Halloween-Partys. Man ging eigentlich überhaupt nicht alleine auf Partys. „Und schaue, was sich so ergibt.“

„Aha … wie heißt du denn überhaupt?“, trieb ich unser kleines Gespräch weiter voran und bemühte mich, dabei alles möglichst mädchenhaft zu formulieren.

„Gackt. Und du?“

„Hy-“, wollte ich schon sagen, unterbrach mich aber selbst. Wenn er meinen Namen – und sei es nur der Spitzname – hörte, würde er sofort wissen, was los war. Daher verbesserte ich mich sofort auf: „… Hachiko.“ Das hatten Tetsu und ich uns schon vorher ausgedacht, damit wir uns später damit ansprechen könnten: Hachiko und Tetsuko.

„Freut mich, Hachiko“, sagte Gackt und griff systematisch nach meiner Hand – doch nicht, um sie zu schütteln, sondern um sie an seine Lippen zu ziehen und einen kurzen Kuss auf meine Fingerknöchel zu hauchen. Das erstaunte mich wiederum so sehr, dass ich gar nicht richtig reagieren konnte.

„Äh …“, machte ich nur und ließ dabei auch meine Tonlage etwas entgleisen, überspielte dies aber so schnell wie möglich mit einem schüchternen Kichern. Als ich mich wieder einigermaßen gefangen und Gackt meine Hand losgelassen hatte, suchte ich dann mein Heil im Angriff: „Und … wie läuft es denn bisher so? Hast du jemand Netten gefunden?“

„Natürlich“, antwortete er darauf in einem Ton, der das nur noch unterstrich, „ich sitze schließlich hier mit dir. Das heißt dann wohl, dass heute mein Glückstag ist, meinst du nicht auch?“ Urgs, Schleimer! Aber ich blieb brav in meiner Rolle, blickte leicht betreten zu Boden und versuchte sogar, ein bisschen rot zu werden. Ob das auch klappte, bezweifelte ich allerdings stark, und dachte mir im selben Zug, dass es hier sowieso niemand so richtig sehen würde. Ich konnte ja noch nicht einmal Gackts Augenfarbe ausmachen, sondern nur sehen, dass es definitiv nicht braun war. Er deutete es wohl als Interesse an seiner Person, dass ich sein Gesicht so ausgiebig musterte. Ich wusste es nicht, aber auf alle Fälle spornte es ihn zu noch größerem Bullshit an, der so offensichtlich aufgesetzt war, dass ihn auch der letzte Vollidiot noch durchschaut hätte.

„Darf ich dir was verraten, Hachiko?“, griff Gackt das Gespräch dann wieder auf, woraufhin ich stumm nickte und fragend aussah, „du bist wirklich das schönste Mädchen hier. Ich glaube, ich bin schon dabei, mich in dich zu verlieben.“ Ich musste so dermaßen aufpassen, dass ich nicht plötzlich laut zu lachen anfing. Das würde der Brüller des Tages werden, wenn ich das später oder morgen Tetsu und Ken erzählte. Oh mein Gott, nein … wir kannten uns noch nicht einmal eine viertel Stunde und schon machte der Kerl mir ein halbes Liebesgeständnis. Was lief bei dem nur falsch.

Ich hüstelte kurz und wollte dem armen Kerl aus Mitleid schon sagen, dass das hier alles nur ein Scherz und ich gar keine Frau wäre, aber er schnitt mir das Wort ab, ehe ich auch nur Luft holen konnte: „Ich würde gerne mit dir tanzen, Hachiko, und dich küssen.“ Wie bitte? Das hatte er jetzt nicht wirklich gesagt, oder? Für einige ziemlich lange Sekunden sagte keiner von uns beiden noch etwas. Gackt blickte mich erwartungsvoll an und ich sah sicherlich aus wie ein Auto. Es musste so sein, auch wenn Gackt diesbezüglich nichts sagte.

Die Zeit rann dahin und ich sagte immer noch nichts zu seinem … nannten wir es einmal Angebot. Aber was sollte ich auch? Das hier war definitiv das Seltsamste, das mir in meinem gesamten, bisherigen Leben passiert war. Und ich hatte auch von noch niemandem gehört, der jemals mit so etwas konfrontiert gewesen wäre. Ich fand das alles nur urkomisch und total bekloppt.

Je länger ich mir den Irrwitz der Situation durch den Kopf gehen ließ, desto bescheuerte wurde es. Und dann gab es wirklich kein Halten mehr. Es war einfach zu viel für mich und einen Abend. Ich konnte nicht mehr … also brach ich tatsächlich in Gelächter aus, das so laut war, dass sich die Leute an den Nachbartischen noch zu uns umdrehten. Mir liefen die Lachtränen über die Wangen und ruinierten dabei wahrscheinlich mein sorgsam aufgetragenes Make-up. Ich hielt mir den Bauch, krümmte mich und schüttelte immer wieder den Kopf, während ich damit beschäftigt war, genug Luft zu holen und nicht an meinem Lachen zu ersticken.

„Nein …“, japste ich, noch immer heftig nach Luft schnappend, „nee … Gac- … Gackt, das …“ Ich gab es erst einmal auf und lachte nur weiter. Um mich wenigstens etwas zu beruhigen, brauchte ich auch eine ganze Weile und immer, wenn ich den jungen Kerl ansah, der mir gegenüber saß und anscheinend immer noch geduldig auf eine Antwort wartete, packte mich eine neue Welle. Es dauerte wirklich geschlagene fünf Minuten, ehe ich den nächsten wenigstens halbwegs geraden Satz herausbrachte: „Sei ehrlich … du hast … hast eine Wette verloren … oder?“ Ich benutzte dabei auch nicht mehr die verstellte Stimme. Er sollte schließlich schon gemerkt haben, dass er mit der Tour bei mir auf absolut verlorenem Posten kämpfte und hier nichts reißen konnte. Da konnte er ruhig wissen, dass ich noch nicht einmal eine Frau war … aber er merkte es scheinbar immer noch nicht.

„Äh … nein, das ist keine Wette. Es ist mein Ernst“, meinte er in einem ziemlich aufrichtigen Tonfall, soweit ich es beurteilen konnte. „Okay, dich gleich nach einem Kuss zu fragen, war wohl ziemlich übertrieben …“

„Das kannst du aber laut sagen“, warf ich immer noch ein wenig giggelnd ein, stützte den rechten Ellenbogen auf die Tischplatte und legte mein Kinn in meine Hand. Wenn ich nun auch nicht mehr lachte, so tat das breite Grinsen, das auf meinen Lippen lag, dafür doch ganz schön weh.

„… aber tanzen würde ich trotzdem ganz gerne mit dir“, vollendete Gackt seinen angefangenen Satz. „Wäre das denn okay für dich?“

Ich seufzte daraufhin leicht und schüttelte kaum merklich den Kopf. Süß war es ja schon, wie sehr er sich hier ins Zeug legte, obwohl er doch sehen musste, dass er schon verloren hatte. Ich sollte ihm wohl ein kleines Zugeständnis machen: „Du könntest mir einen Cocktail spendieren und dann sehen wir eventuell weiter, wie die restliche Abendplanung aussieht. Wie klingt das für dich?“

„Nicht schlecht, würde ich sagen.“ Himmel, so langsam bekam ich das Gefühl, dass der Kerl wirklich allein hier war, weil er entweder keine Freunde hatte, oder doch welche hatte, sich aber vor ihnen nicht mit seinen grottenschlechten Anmachkünsten blamieren wollte. Am liebsten hätte ich ihm ein Schild mit der Aufschrift Welpenschutz umgehangen, damit er es später nicht bei irgendeiner Tussi probierte, die ihn tatsächlich noch ausnutzte … okay, ich war im Moment auch nicht ganz fair zu ihm, aber ich würde ihn direkt nach dem Drink aufklären und in die Wüste schicken.

Als wir beide aufstanden, um uns gemeinsam zur Bar zu bewegen, bemerkte ich erst einmal, wie groß Gackt eigentlich war. Er konnte nicht älter sein als ich, überragte mich aber um mehr als einen Kopf, sodass ich, der ich mich manchmal schon mies fühlte, wenn Ken neben mir aufragte, jetzt kurz davor stand, Komplexe zu bekommen. Dafür würde ich ihn aber auch nicht aus den Augen verlieren, bemerkte ich, als Gackt sich vor mir durch die Menge schob, die sich mittlerweile zwar beträchtlich gelichtet hatte, aber trotzdem noch recht dicht war.

Auf unserem Weg blickte er sich auch immer wieder nach mir um, ob ich noch da war oder schon verlorengegangen war, was bei meiner Größe durchaus leicht passieren konnte. Aber ich konnte meist selbst dafür sorgen, dass ich bei meinen Leuten blieb. Ich hängte mich dann einfach an irgendwelche Rücksäcke und Taschen oder hakte mich auch schon mal unter, wenn der Platz es zuließ. So auch heute, denn ich hatte schon bei unserem Tisch nach Gackts Umhang gegriffen und hielt diesen so fest, als würde es um mein Leben gehen. Als er das bemerkte, blieb er jedoch kurz stehen und griff nach meiner freien Hand, um unsere Finger ineinander zu verschränken und so anscheinend ein sichereres Gefühl zu haben. Ich hob darüber zwar eine Augenbraue, ließ mir aber weiter nichts anmerken. In ein paar Schritten würde er mich sowieso wieder loslassen müssen.

Gackts schiere Körpergröße hatte hier drinnen auch noch einen zweiten Vorteil. Er konnte nicht nur nicht verlorengehen, sondern an der Bar auch über alle anderen hinweg rufen, was er haben wollte. Und wenn da ein langes Elend neben ein paar abgebrochenen Zwergen, wie ich einer war, stand, dann wurde das lange Elend natürlich zuerst bedient. So dauerte es auch keine fünf Minuten, bis ich einen weiteren Cocktail in der Hand hielt – ein knallgrüner war es – und Gackt eine simple Cola.

„Bist du immer so abstinent?“, fragte ich, als er mich wieder ein Stück von der Bar weggezogen und mir zugeprostet hatte.

„Wenn ich kann, dann nicht“, antwortete er.

„Aber?“

„Ich hab noch einen ziemlich langen Heimweg. Den will ich nicht betrunken gehen müssen. Du scheinst aber schon ganz gut dabei zu sein.“

„Hehe“, lachte ich erst einmal und nahm wie demonstrativ einen Schluck von meinem Cocktail. „Da könntest du recht haben. Ich muss aber auch nicht allein nach Hause gehen. Meine Freunde begleiten mich.“ Zumal ich zwar sicherlich etwas angeheitert sein mochte, aber noch lange nicht betrunken war.

„Ach so …“, meinte Gackt langsam und sah sich nun am Zug, mir Fragen zu stellen, „und wo sind sie im Augenblick? Du willst mir doch wohl nicht sagen, dass sie dich allein gelassen haben?“

„Doch haben sie. Aber bevor du dir deswegen irgendwas vornimmst, kann ich dich gleich vorwarnen: Ich hab jahrelang Kampfsport gemacht; ich leg dich aufs Kreuz, bevor du mich auch nur angefasst hast.“ Trotz meiner harten Worte, dekorierte ich das Gesagte wieder mit einem süffisanten Lächeln und pflückte dann die Scheibe Sternfrucht von meinem Glas, um sie mir in den Mund zu schieben und beim Kauen genüsslich die Augen zu schließen. Hmmm~ ich liebte Sternfrucht. Als ich Gackt wieder ansah, schaute er mich fast schon entgeistert an.

„Ich hatte nicht vor, irgendetwas gegen deinen Willen zu tun“, wandte er verteidigend ein, „ich wollte mich nur mit dir unterhalten und vielleicht mit dir tanzen, wenn du nichts dagegen hast. Das ist wirklich schon alles.“ Im Grunde war er eigentlich schon wieder süß, so ernst wie er mich nahm. Und entgegen seiner Worte musste er doch mindestens so angetrunken sein wie ich, denn ich redete nun schon die ganze Zeit über vollkommen normal – nicht mehr bewusst verstellt oder durch mein Gelächter verzerrt. Aber Gackt hatte immer noch nichts dazu gesagt. Und wenn er die Wahrheit gesagt hatte und tatsächlich nicht betrunken war, dann musste er zumindest etwas an den Ohren haben. Eigentlich konnte man doch gar nicht überhören, dass meine Stimme die eines Mannes war.

Nun, wenn er es tatsächlich so sehr ignorieren würde, dann würde ich ihm später den Schock seines Lebens versetzen, wenn ich die kleine Komödie auflöste. Das würde noch witziger werden, als ich gedacht hatte.

„Okay“, meinte ich schließlich, nahm ihm seine noch halbvolle Cola ab und stellte unsere beiden Gläser auf einen Sims, der auch schon von anderen Gästen als Ablage für leere oder fast leere Gläser benutzt worden war. Und ein paar Meter weiter war eine der raren Kellnerinnen auch schon dabei, diese einzusammeln und Platz für neue zu schaffen. Wir würden unsere Gläser also später nicht wiedersehen, aber ich hatte ohnehin nicht vor, aus einem Glas zu trinken, das eine Weile unbeaufsichtigt herumgestanden hatte.

„Wie jetzt?“, hakte Gackt verwirrt nach. Er machte doch nicht etwa jetzt schon schlapp?

„Wir tanzen“, klärte ich ihn in einem Tonfall auf, der die Selbstverständlichkeit meiner Worte unterstrich, „das wolltest du doch, oder? Dann musst du jetzt auch mitkommen.“

„Ach so … freut mich.“

„Na, geht doch!“ Und diesmal war ich es, der ihn bei der Hand nahm und hinter sich her zog. Ich führte ihn auf die Tanzfläche und durch die Menge hindurch zu einem Fleck, der mir nicht ganz so überlaufen schien wie der Rest. Dann drehte ich mich wieder zu ihm um, ließ seine Hand dabei aber nicht los, sondern begann einfach so, mich zu der Musik zu bewegen. Es war Musik, die ich normalerweise ziemlich schrecklich fand – irgendeine Dance-Pop-Schnepfe, deren einziger Hit nun schon seit Wochen in Radio und Fernsehen rauf und runter dudelte … Namie Otsuka oder so – aber zum Tanzen machte sie sich ganz gut. Das hinderte Gackt jedoch nicht daran, in seinen Bewegungen trotzdem ziemlich steif zu wirken.

Allerdings bleib das nicht lange ein Problem. Schon der nächste Song schien ein extrem beliebter zu sein und ganz plötzlich verdichtete sich die Meute auf der Tanzfläche wieder, sodass ich enger an Gackt gedrängt wurde. Es wurde auf diese Weise ein wenig unangenehm, seine Hand weiter festzuhalten, also ließ ich sie schließlich doch los und fasste ihn stattdessen bei der Schulter … und spürte, wie seine Hände sich nur kurz danach an meine Hüfte legten.

Ich blickte ihn einen Moment lang mit hochgezogener Augenbraue an, sah ihn grinsen und musste darauf ebenfalls etwas schmunzeln. Und so nah, wie ich ihm im Moment war, konnte ich auch endlich erkennen, dass seine Augen blau waren. Kontaktlinsen, schoss es mir kurz durch den Kopf, aber dann war der Gedanke auch schon wieder verschwunden und ich übergab mich wieder der Musik und den Beats, die durch meinen ganzen Körper vibrierten. In dieser Situation schien Gackt das Loslassen auch endlich leichter zu fallen. Er wirkte nun nicht mehr ganz so steif wie eben noch. Ich konnte ihn ab und an sogar leise auflachen hören … und es war so ansteckend, dass ich ebenfalls nur grinsen konnte. Wahrscheinlich würde ich die Fassade nicht mehr lange aufrechterhalten können …

Trotzdem trieb ich es noch ein wenig weiter, indem ich meine Hand auch von Gackts Schulter nahm, dafür aber beide Arme um seinen Hals schlang und mich noch dichter an ihn schmiegte. Ob er es jetzt merken und entsetzt zurückspringen würde?

Nein, das tat er nicht – zum Glück, denn ich merkte gerade, wie gut er roch, obwohl wir hier in einer verrauchten Bar waren. Aber vielleicht roch Gackt auch gerade wegen des ganzen Gestankes nach Rauch, verschüttetem Alkohol und verschwitzen Menschen so gut. Ich fragte mich, ob das Parfum war oder sein natürlicher Geruch, und lehnte mich dabei unbewusst noch etwas weiter vor, um an der einzigen freien Stelle an seinem Hals zu schnüffeln, die nicht von seinem Kostüm bedeckt wurde. Er lachte daraufhin wieder etwas.

Und dann führte er seine Hände von meiner Hüfte nach hinten auf meinen Rücken und ließ sie erst einmal knapp über meinem Hintern liegen. Mit einer begab er sich aber schnell weiter auf Wanderschaft, an meiner Wirbelsäule entlang bis hoch zwischen meine Schulterblätter. Dort schien sie dann erst ihr Ziel erreicht zu haben. Und einen Moment später wusste ich auch, wieso – als er den Kopf etwas drehte und sein warmer Atem über meine Wange strich. Ich versuchte nun auch, ihn wieder anzusehen, aber sein Gesicht war dafür zu nah und außerdem konnte ich aus den Augenwinkeln heraus erkennen, dass er ohnehin die Lider geschlossen hatte.

Doch es kam nichts weiter, er zögerte. Er zögerte, obwohl er doch vorhin so geradeheraus gefragt hatte, ob er mich küssen durfte. War das vorhin also doch alles nur leeres Gerede gewesen? Wollte er bis hierhin mitmachen und nicht weiter? Wollte er mich genauso aus der Reserve locken wie ich ihn und schauen, wie weit zu gehen ich bereit war? Er sagte nichts und machte auch sonst keine Anstalten, mir irgendwelche Zeichen zu geben, dass wir den Scheitelpunkt jetzt erreicht hatten.

Na schön, dachte ich, das war es also. Ich hätte es in diesem Moment gut sein lassen können, hätte lachen und ihn dann einfach stehenlassen können. Oder ich hätte auch nett sein, ihm noch eine Cola ausgeben und mich richtig vorstellen können. Aber ich tat es nicht. Die Atmosphäre zwischen uns war bereits so aufgeladen, dass ich es einfach nicht konnte. Ich hatte mir noch nie Gedanken darüber gemacht, ob ich wirklich auf Männer stand. Wenn jemand gut küssen konnte, dann konnte mir das nur recht sein, und ich war sowieso der Meinung, dass bei der Liebe andere Dinge wichtiger waren als das Geschlecht. Ich hatte dabei eben nur noch nie so richtig über mich selber nachgedacht … und würde es jetzt auch nicht tun. Man konnte es auf den Alkohol, Gackts Geruch oder die wohlige Wärme seines Körpers an meinem schieben. Oder auf eine Mischung aus allem. Auf alle Fälle nahm ich die Sache jetzt in die Hand: Ich überbrückte die letzten Zentimeter, die uns trennten, und küsste seine Lippen.

Und selbst jetzt zog Gackt nicht zurück. Ganz im Gegenteil! Er schien es als meine Erlaubnis aufgefasst zu haben, dass er nun doch das tun durfte, was ich ihm vorhin noch verwehrt hatte, denn er gab sich mit dem oberflächlichen Kuss nicht zufrieden, sondern versuchte direkt, sich mit der Zunge Einlass in meinen Mund zu verschaffen. Seine Küsse waren etwas forsch, dafür aber genauso verlangend. Und ich forcierte es im Grunde nur noch, indem auch ich nicht absprang, sondern eine Hand in seinen Haaren vergrub und ihn so weitgehend fixierte. Trotzdem hatte er noch genug Raum, den Kopf zu bewegen und den Winkel zu verändern.

Uhn~ wo hatte er bloß so küssen gelernt? Nur die Maske störte irgendwann ein bisschen, sodass ich sie ihm am liebsten heruntergerissen hätte. Aber er ließ mich nicht, denn immer, wenn ich mich von seinen Lippen lösen wollte, um den nötigen Platz dazu zu haben, kam er mir augenblicklich nach und ließ mich nicht gehen. Stattdessen korrigierte er die Position seiner Hand noch etwas nach unten und schob sie auf meinen Hintern. Er ließ sie sogar noch etwas weiterwandern, sodass ich nur einige Momente darauf seine Fingerspitzen an meinem Oberschenkel spüren konnte und noch etwas später fast seine ganze Hand ihren Weg unter meinen Rock gefunden hatte. Dass ich Shorts trug, schien ihn dabei herzlich wenig zu stören. Mich sowieso nicht, aber auch die Tatsache, dass wir hier mit zig anderen kostümierten Leuten auf einer Tanzfläche standen, knutschten und Gackt schon dabei war, mich halb auszuziehen, ging eher unreflektiert an mir vorbei. Es war mir schlichtweg egal, was die anderen dachten, denn ich hatte hier schließlich meine eigene Mission: Nämlich immer noch herauszufinden, wie weit Gackt mit mir gehen würde. Ich brannte regelrecht darauf. Man konnte ja nicht einfach Schluss machen, wenn man sicher schon mehr als die Hälfte des Weges gegangen war, oder? Oder?

Genauso egal war mir auch die Musik, die mittlerweile gespielt wurde. Im Nachhinein hätte ich es noch nicht einmal mehr sagen können, wenn der DJ plötzlich meinen Lieblingssong von meiner Lieblingsband aufgelegt hätte. Und bei dem konnte ich eigentlich noch nicht einmal mehr still sitzenbleiben, wenn ich ich ihn hörte, sondern sprang meistens sofort auf und tanze quer durch die Gegend. Aber diesmal nicht. Im Moment nervte es mich eher, dass die Leute um uns herum tanzten und uns dabei immer wieder anrempelten. Und Gackt schien das auch so zu sehen, denn nach einer gefühlten Ewigkeit löste er sich doch von mir und raunte mir atemlos zu: „Komm mit.“

„Hm“, brummte ich zustimmend, nicht minder um Atem ringend, ließ mich dann von ihm bei der Hand nehmen und von der Tanzfläche führen. Ich hatte keine Ahnung, wohin er wollte, war ich doch unerwartet beschäftigt damit, dass mein Mund nun erst einmal nichts mehr zu tun hatte. Nur am Rande bekam ich mit, dass wir an den Sofas vorbeizogen, die sowieso alle besetzt waren. Und gerade, als ich mich dann doch zu fragen begann, wo er eigentlich mit mir hin wollte, hielt er an, zog mich wieder an sich heran und drückte mich anschließend mit dem Rücken gegen eine Wand.

„Kalt“, murmelte ich leise, kam aber nicht dazu, mich großartig darüber beschweren zu können, da Gackt mich gleich wieder vereinnahmte. Er strich mir die falschen Haare aus dem Gesicht und steckte sie hinter mein Ohr, schenkte mir dann ein anzügliches Lächeln und küsste mich in dem Augenblick, als ich die Situation in die Hand nehmen wollte, weil ich genervt davon war, dass er mich trotzdem noch so ewig warten ließ.

Nach unserem Ortswechsel musste Gackt nun seine Hände wieder neu auf mir platzieren, allerdings schien ihm das ganz recht zu sein, denn er ging nun sogar noch direkter vor als vorhin auf der Tanzfläche. Er machte gar keine Anstalten mehr, sich erst zögerlich vorzutasten, sondern schob ohne Umschweife seine rechte Hand wieder unter meinen Rock und streichelte meinen Hintern, während er die linke auf meine Hüfte legte. Letzteres tat er nicht, um mich bei sich zu halten – das hatte er gar nicht nötig, denn er fixierte mich bereits mit seinem Körper an der Wand und bot uns auf diese Weise gleichzeitig Schutz vor den Blicken der anderen. Nicht, dass es mich jetzt auch nur einen Deut mehr gejuckt hätte.

Meine Hände hatte ich erst wieder auf Gackts Schultern gelegt, aber nun, da unsere Küsse mich erneut so vereinnahmten, legte ich sie auf seine Wangen. Zumindest wollte ich das, denn die blöde Maske hinderte mich schon wieder daran. Und diesmal setzte ich mich auch durch, fasste sie an den Rändern und zog sie nach oben weg, sodass ich noch nicht einmal den Kuss dazu unterbrechen musste. Das verbesserte die Situation ungemein und ich fühlte mich augenblicklich noch etwas wohler als ohnehin schon. Oh Gott, er machte das so unglaublich gut! So gut, dass ich leise murrte, als er meine Lippen wieder freigab und stattdessen damit begann, meinen Hals mit Küssen einzudecken.

Aber auch dieses Gefühl erwies sich ziemlich schnell als befriedigend genug, um mir ein genüssliches Seufzen zu entlocken. Ich ließ mich vollkommen gegen die Wand sinken und legte den Kopf schief, um Gackt einen besseren Zugang zu meinem Hals zu geben, damit er mich noch weiter verführen konnte. Und ich nahm nur allzu bereitwillig in Kauf, dass sich gleichzeitig die Hand, die ohnehin schon hinten unter meinem Rocken steckte, jetzt auch noch in meinen Unterwäsche hineinstehlen wollte. Dumm an der ganzen Sache war nur, dass Gackt mich nun nicht mehr komplett verdeckte und just in diesem Augenblick jemand an uns vorbeiziehen musste, der mich kannte.
 

„Doiha?!“, wurde ich von der ziemlich verwirrt klingenden Person angesprochen, „was machst du denn da?“

Ich erschrak so sehr, dass ich komplett starr wurde und entsetzt die Augen aufschlug, um Tetsu direkt vor mir stehen zu sehen.

„Tet-chan!“, rief ich nicht minder fassungslos und starrte ihn an. Gackt war der Letzte unter uns, der irgendetwas mitschnitt, und musste auch erst von mir an der Schulter gerüttelt werden, damit er aufhörte, mich zu küssen. Wie er so begriffsstutzig hatte sein könne, war mir absolut schleierhaft, da er doch quasi an meinem Hals klebte und merken müsste, wie steif ich plötzlich geworden war.

„Was'n los?“, fragte er mich, sah dann aber, dass ich an ihm vorbei blickte und drehte sich nun auch um, „oh … eine Freundin von dir?“

„Freund“, korrigierte ihn Tetsu umgehend, noch bevor ich den Mund aufmachen konnte. Und er wirkte ziemlich mürrisch dabei. Ob es wohl etwas damit zu tun hatte, dass er ein bisschen zerzaust aussah?

„Freund?“, hakte Gackt allerdings nach und beugte sich etwas in seine Richtung – wohl um näher dran zu sein und besser hinsehen zu können.

„Ja, doch!“, grantelte Tetsu weiter und hatte anscheinend überhaupt nicht die Geduld für irgendwelche großartigen Erklärungen. Stattdessen zog er sich einfach seine Perücke vom Kopf, die ohnehin schon etwas schief saß, und wandte sich dann wieder mir zu, „Doiha, ich will nach Hause. Kommst du mit?“

„Äh …“, machte ich erst einmal und musste wirklich stark überlegen, was allerdings durch meine momentane Lage nicht unbedingt einfach war. In der letzten … halben Stunde? … ich konnte es noch nicht einmal genau sagen – in der Zeit, in der ich mit Gackt zusammen gewesen war, hatte ich mein Hirn offensichtlich ausgeschaltet und musste es jetzt erst wieder in Gang kriegen. Denn für gewöhnlich hätte ich sofort zugesagt, schließlich war Tetsu mein bester Freund und augenscheinlich auch in keiner sonderlich guten Verfassung. Aber jetzt, wo ich zu keinem klaren Gedanken fähig war … da hörte ich mich nur Unverständliches murmeln, „also, eigentlich-“

„Sag mal, was treibst du da eigentlich?“, unterbrach er mich jedoch perplex und rutschte mit seinem Blick zu meiner Hüfte hinunter, wo noch immer Gackts Hand lag und sich halb unter meine Bluse geschoben hatte, „und seit wann fummelst du mit … einem anderen Kerl?“

„Äh …“, machte ich wieder und stotterte dann auch weiter nur herum, „Tet-chan … ich weiß eigentlich gar nicht …“

„Na, spar es dir“, verzichtete er auf den Rest meiner Antwort, „ich will nur nach Hause. Ken-chan ist auch nirgends zu finden.“

„O-okay“, stimmte ich schließlich zu und wich einen Schritt zur Seite, weg von Gackt, woraufhin er mich natürlich loslassen musste. Der schaute mich nun ziemlich enttäuscht an, aber auch etwas … schuldbewusst?

Warum er das tat, realisierte ich, als er fragte: „Sorry, wenn du jetzt Schwierigkeiten wegen mir hast. Ich dachte nicht, dass du mit jemandem zusammen bi-“

„Doiha!“, erinnerte mich Tetsu daran, dass wir ja gehen wollten. Sein Ton war dabei so strikt und mein Hirn immer noch so mit Hochfahren beschäftigt, dass ich ohne jeglichen weiteren Kommentar mit einem Nicken zustimmte. Wahrscheinlich wäre es auch sinnlos gewesen, irgendwie zu protestieren, denn Tetsu war so dermaßen schlecht gelaunt, dass ich mich schon fragte, wer er war und was er mit meinem besten Freund gemacht hatte. Und kaum, dass ich einen weiteren Schritt in seine Richtung gemacht hatte, griff er auch schon nach meinem Handgelenk und schleifte mich – selbst eher stampfend als gehend – in Richtung Ausgang.

Ich warf noch einen Blick über die Schulter zu Gackt, der mich ebenso fassungslos anschaute wie ich mich fühlte und mir außerdem noch nachrief: „Warte mal! Gibst du mir wenigstens noch deine Telefon-“ Aber dann waren wir in der lauten Bar schon außer Hörweite und er folgte uns auch nicht. Und ein klein wenig missfiel mir das sogar.
 

Draußen an der frischen Luft kam mein Hirn dann endlich etwas in Schwung, sodass ich wieder zu vollständigen Sätzen fähig war und auf Tetsus Fragen antworten konnte. Allerdings wartete er damit ein paar Minuten, in denen wir bereits den Weg zur U-Bahn einschlugen.

„Was war das denn für einer?“, hakte mein bester Freund nach, nachdem ich ja vorhin in der Bar kaum ein Wort herausbekommen hatte.

„Gackt heißt er.“

„Und sonst?“

„Keine Ahnung. Er hat sich einfach zu mir an den Tisch gesetzt, nachdem ihr weg wart, und mich zugequatscht. Er hat mich für ein Mädchen gehalten und eine der dümmsten Anmachen vom Stapel gelassen, die ich je gehört habe. Ich hab dann ein bisschen mitgespielt und ihn ein bisschen verarschen wollen und nachdem er mir was zu trinken spendiert hat … kam dann irgendwie eins zum anderen“, endete ich etwas ratlos.

„Aha“, machte Tetsu darauf und schwieg für ungefähr eine Minute, ehe er sein 'Verhör' fortführte, „und du bist zwischendurch nicht auf die Idee gekommen, ihm zu sagen, dass du gar kein Mädchen bist?“

„Ich bin davon ausgegangen, dass er es selbst hören kann. Man muss schon ziemlich doof sein, um das nicht zu bemerken“, redete ich mich heraus … auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach. Aber irgendwie musste ich ja mein Gesicht wahren, selbst wenn es vor meinem besten Freund war.

„Es war laut da drin, Doiha-chan“, war jedoch Tetsus trockener Kommentar dazu.

„Ach, Quatsch! Wir haben uns doch die ganze Zeit unterhalten können, ohne schreien zu müssen … jedenfalls nicht zu viel.“

„Na, die ganze Zeit habt ihr euch bestimmt nicht unterhalten“, erinnerte mich mein bester Freund an das, was ich einen Großteil der Zeit mit Gackt getrieben hatte, „mal ganz davon abgesehen: Du hast ihn doch sicher nicht mit einem Mädchen verwechselt. Kannst du mir sagen, seit wann du was mit anderen Kerlen anfängst?“

„Nein“, sagte ich schlicht.

„Aha … muss ich mir denn Sorgen machen? Hat er dir vielleicht irgendwas ins Glas getan, damit er das mit dir machen kann? Du stehst doch gar nicht auf so was.“

„Keine Sorge, alles in Ordnung. Ich hab den Cocktail direkt vom Barkeeper bekommen“, seufzte ich, „aber ich weiß doch auch nicht, was da los war. Es war ja schon irgendwie niedlich, wie sehr er sich ins Zeug gelegt hat, um mich rumzukriegen. Ich hab doch auch nur Theater spielt und wollte gucken, wann er abspringt. Ich wollte was zum Lachen haben, nachdem ihr alle weg wart.“

„Sorry deswegen … aber anscheinend ist er nicht abgesprungen.“

„Hast du ja gesehen. Er muss allerdings schon ganz schön taub gewesen sein, wenn er es tatsächlich immer noch nicht gerafft hat, was ich denn eigentlich bin.“

„Das erklärt trotzdem nicht wirklich, wieso du-“

„Ach, Mensch, Tet-chan!“, grätschte ich ihm ins Wort und versetzte ihm einen Schlag gegen den Oberarm, „hör doch endlich mal auf! Ich hab keine Ahnung! Was ist denn eigentlich mit dir passiert? Wieso wolltest du unbedingt gehen?“

„Hättest dich wohl gerne noch ein bisschen mit deinem Gacchan beschäftigt?“, neckte er mich weiter mit einem Grinsen. Oh, dieser Idiot! Manchmal konnte er wirklich so schadenfroh sein, dass es nicht mehr feierlich war.

Ich grummelte gefährlich: „Erstens ist das nicht Gacchan, zweitens ist es nicht meiner, drittens werde ich ihn höchstwahrscheinlich nie wiedersehen und viertens lenkst du ab. Spuck es schon aus!“

„Ach, gegen deine Story ist das eigentlich absoluter Bockmist. So ein schmieriger, nerviger Arsch ist ein bisschen sehr aufdringlich gewesen und wollte die ganze Zeit unbedingt, dass ich mit ihm aufs Klo gehe, damit er – und das ist jetzt O-Ton – mir sein Paket zeigen kann. Es würde unter Garantie meine Welt erschüttern und jeden Kerl, den ich vor ihm hatte, wie ein absolutes Weichei der untersten Schublade aussehen lassen. Ich hab ihm dann gesagt, dass ich noch nie einen Kerl hatte, weil ich selber einer sei. Er wollte mir natürlich nicht glauben, hat mich weiter genervt und mir blieb dann natürlich nichts anderes übrig, als ihm eine zu verpassen. Da hat er es mir dann endlich geglaubt, ist allerdings auch ziemlich sauer geworden, und du kennst mich ja: Ein Feldherr muss wissen, wann es am besten ist, sich zurückzuziehen.“

„Ah~“, machte ich verstehend und nickte, „er sucht immer noch nach dir und du hast Angst, dass er dir auch eine reinhaut.“

„So in der Art. Aber würdest du nicht auch dein Heil in der Flucht suchen, wenn so einer hinter dir her ist?“

„Ich hab Kampfsport gemacht, Tet-chan, denk dir den Rest“, kommentierte ich grinsend, worauf ich – wie immer – ein leicht genervtes Augenrollen gepaart mit einem Seufzen erntete.

„Ja ja, du bist Super-Doiha“, bestätigte er mir nickend, aber nur, um mir direkt wieder eins reinzuwürgen, „und trotzdem hast du es geschafft, dich heute von einem anderen Kerl einwickeln zu lassen und ...“ Als er meinen Mörderblick sah, den ich sofort aufsetzte, entschied er sich jedoch dazu, mich nicht noch weiter zu reizen und seine eigene Haut zu retten. „… hat sich's denn wenigstens gelohnt?“

„Na ja … er konnte schon ganz gut küssen“, musste ich daraufhin zugeben. „Aber sonst war da absolut nichts.“

„Also, als nichts würde ich das nicht unbedingt bezeichnen. Es sah eher so aus, als würde er dich heute noch flachlegen, wenn euch nicht jemand gestört hätte.“

„Jemand … red keinen Quatsch! So was lass ich garantiert nicht mit mir machen. Es wird auch nicht mehr vorkommen, da kannst du Gift drauf nehmen. Und mit ihm schon gar nicht … er weiß ja nicht, wer ich wirklich bin.“

„Hmmm …“

„Was soll das jetzt schon wieder heißen?!“

„Ach, nichts.“

Für den Rest des Weges zur U-Bahn schwiegen wir. Ich war auch viel zu sehr damit beschäftigt, nicht rot zu werden, weil mir so langsam klar wurde, was ich da eigentlich getan hatte … und wie peinlich es mir war.
 

tbc.

Midnight Celebration

„Du siehst schon, dass ich kein Mädchen bin?“

„Genauso wenig wie du damals eins warst. Und genauso wenig stört mich das auch jetzt … Hachiko.“
 

Wie bitte?! Gackt hatte es gewusst? Die ganze Zeit schon? Und trotzdem hatte er nichts gesagt oder getan? Was zur Hölle?!

Während mir diese Gedanken durch den Kopf rasten und ich mich erst einmal langsam auf die Problembewältigung einstellen musste, starrte ich Gackt die ganze Zeit mit offenem Mund an. Er hingegen schien wesentlich fitter zu sein. Er lachte sogar.

„Warum so sprachlos, Hachiko?“, neckte er mich mit einem breiten und fast schon bösartigen Grinsen auf den Lippen, „ist es dir etwa so peinlich? Oder bricht für dich grade eine Welt zusammen? Aww~ das wäre ja richtig süß. Armes, kleines Häschen.“ Daraufhin starrte ich ihn nur noch fassungsloser an. Der Kerl war ein ausgewachsenes Arschloch! Und augenblicklich schämte ich mich noch mehr als ohnehin schon, dass ich mich damals von ihm hatte einwickeln lassen.

In den vergangenen anderthalb Jahren hatte ich das Intermezzo mit Gackt erfolgreich verdrängt. Natürlich hatte Tetsu mich damit anfangs noch etwas aufgezogen, allerdings nicht sonderlich lange, sodass ich es schon fast wieder vergessen hatte. Aber nun kam alles mit einem Schlag zurück: Wie er mich angemacht, genervt, mir einen Drink spendiert und mit mir getanzt hatte. Und wie wir dann … ich konnte beinahe schon seine Hände und seine Lippen auf mir spüren.

Und noch etwas spürte ich: Wie mir die Hitze ins Gesicht kroch, die garantiert als verräterische Röte zu sehen sein würde. Aber ich hatte wenigstens einmal Glück, denn meine Bestellung, die ich über das Aufeinandertreffen mit Gackt schon fast wieder vergessen hatte, war endlich fertig.

„Macht dann elf“, riss mich der Barkeeper aus dem Vakuum meiner (zugegebenermaßen ziemlich einseitigen) Konversation mit Gackt und stellte eine Cola und einen Cocktail vor mir auf den Tresen.

„Was?“, fragte ich trotzdem recht irritiert und blickte ihn etwas ratlos an.

„Elfhundert Yen. Tausend einhundert für die Getränke.“

„Oh … klar …“, murmelte ich, zählte den richtigen Betrag in Münzen aus meinem Geldbeutel ab und legte den Haufen auf den Tresen. Nachdem ich das Portemonnaie wieder sicher verstaut hatte, griff ich mir die beiden Gläser und wollte mich so schnell wie möglich verziehen, ohne noch ein Wort mit Gackt wechseln zu müssen, aber er war schneller. Und sein Gedächtnis schien ziemlich gut zu sein.

„Das gleiche wie damals“, kommentierte er die Getränke in meiner Hand und lehnte sich locker gegen die Theke. „Du willst die kleine Komödie wohl wiederholen, Hachiko. Werden wir denn diesmal auch wieder von deinem Freund gestört oder können wir uns noch ein bisschen länger miteinander amüsieren? … Oh, du wirst ja ganz rot. War wohl ein Volltreffer!“

Shit!, fluchte ich innerlich. Aber so klein wollte ich dann doch nicht beigeben! Ich wollte ihm etwas an den Kopf werfen … irgendwas, das ihm und seinem bescheuerten Ego saumäßig weh tun würde. Nur lief es genau so, wie es immer lief: Wenn man mal eine schlagfertige Antwort brauchte, fiel sie ihm frühestens zehn Minuten nach Ende des Gesprächs erst ein, sodass ich nicht viel mehr zustande brachte als ein: „Amüsier dich doch mit dir selbst!“ Und dann rauschte ich ab, bevor Gackt mir schon wieder die Show würde stehlen können. Ich schlug einen großen Bogen um die herumstehenden Leute, um mich nicht direkt durch die Menge quetschen zu müssen und am Ende noch die Gläser fallen zu lassen. Dabei ward ich auch zwei- oder dreimal einen Blick über die Schulter, ob Gackt mir diesmal folgte. Doch genau wie damals war nirgendwo etwas von ihm zu sehen. Und wo es mich seinerzeit noch etwas gestört hatte, war ich diesmal mehr als nur froh darüber. Einmal ganz davon abgesehen, dass ich schon damals, als mein Kopf endlich wieder klar geworden war, ganz gut damit hatte leben können, dass er uns doch nicht verfolgt hatte.

Keine zwei Minuten später konnte ich dann endlich die Getränke auf unseren Tisch stellen, ließ mich gleichzeitig auf meinen Stuhl fallen und griff mir mein Glas Bier, welches ich in einem Zug halb leerte. Das brachte mir natürlich die verwunderten Blicke meiner Freunde ein – bis auf Ken, denn der schlug mir erst einmal anerkennend auf die Schulter und gratulierte mir zu dem großartigen Zug. Als er dann meinen miesepetrigen Blick sah, runzelte auch er die Stirn.

Die entscheidende Frage stellte allerdings Tetsu: „Was ist denn plötzlich mit dir los?“ Und dann wandte er sich an Ken. „Hast du irgendwas mit ihm angestellt, als ihr an der Bar wart?“

„Iiich?“, entgegnete Ken daraufhin pikiert, „warum sollte ich? Er war noch ganz normal, als ich mit dem Bier weg bin. Es muss danach passiert sein.“

„In fünf Minuten?“

„Ja“, sagte ich dann auf einmal, noch bevor Ken zu irgendwelchen weiteren Rechtfertigungsversuchen ansetzen konnte, „ich hab jemanden getroffen …“

„Und?“, hakten meine beiden Freunde unisono nach, als ich nicht gleich weiterredete, sondern ein paar Sekunden lang schwieg, um meine Gedanken ein bisschen zu ordnen.

„Ich hab Gackt wiedergesehen. Er hat sich mit dem Barkeeper gestritten, weil er anscheinend für Alkohol noch nicht alt genug ist-“

„Na, das ist doch mal was Neues“, warf Ken ein, allerdings ließ ich mich von seinem Kommentar nicht ablenken.

„Ich hätte ihn wahrscheinlich gar nicht bemerkt, wenn sie nicht so laut diskutiert hätten. Aber dann hat er mich auch bemerkt und mich erkannt“, schloss ich und machte wieder eine kleine Pause, die Tetsu für sich nutzte, um einen wesentlich konstruktiveren Einwurf zu machen.

„Trotz, dass du damals ein Kostüm an hattest?“

„Tja“, seufzte ich, „so wie es aussieht, hat er die ganze Zeit gewusst, dass ich kein Mädchen bin. Und trotzdem hat's ihn nicht gestört. Er hat eben sogar noch gefragt, ob wir das Ganze noch mal wiederholen wollen.“

„Was ist denn das für einer?“, kam es daraufhin wieder von Ken – diesmal auch schon sehr viel verständnisvoller als eben noch.

„Keine Ahnung … ein Arsch, würde ich sagen. Auf alle Fälle war es echt peinlich. Ich hatte es schon fast vergessen und er erinnert mich wieder dran. Mann, was bin ich nur für ein Pechvogel?“, seufzte ich erneut, stützte mich mit dem rechten Arm auf dem Tisch ab und bedeckte meine Augen mit der Hand.

Danach sagte erst einmal niemand mehr etwas. Vermutlich blickten sie sich alle gegenseitig komisch an und wussten nicht, was sie jetzt mit mir anstellen sollten. Ich hatte keine Ahnung, ich sah es ja nicht. Dafür konnte ich mir das Elend umso bunter vorstellen, denn sie alle kannten die Geschichte und mussten sich schon denken können, dass der Abend für mich jetzt so gut wie gelaufen war. Allerdings irrte ich mich in einem Punkt: Sie wussten nicht alle Bescheid.

„Was ist denn damals passiert?“, klinkte sich auch Ayana in das Gespräch ein, die bisher nur zugehört und ab und an an ihrem Cocktail genippt hatte. Auf ihre Frage hin sagte ich trotzdem erst einmal nichts, sondern spreizte nur die Finger meiner rechten Hand etwas, um durch sie durch die entstandene Lücke hindurch ansehen zu können. Und ich murrte etwas, denn ich hatte so gar keine Lust, den ganzen Mist noch einmal aufzuwärmen. Es hinterher Tetsu und dann noch einmal für Ken und Yuki erzählen zu müssen, hatte gereicht. Zweimal berichten war zweimal zu viel und ein drittes Mal … meh. Aber klar, sie und Tetsu waren damals noch nicht zusammen gewesen … sie hatten sich noch nicht einmal gekannt, also war es ganz natürlich, dass sie es nicht wusste.

Ich war dann aber ganz froh, dass Tetsu mir die Arbeit abnahm, sodass ich ausnahmsweise selbst einmal nur Zuhörer war und ihn lediglich an ein oder zwei Stellen der Geschichte korrigieren musste.
 

„Oh“, war Ayanas erste Reaktion, als Tetsu endlich bei unserem Heimweg angekommen war, „ich wusste ja gar nicht, dass …“

„Ist er auch nicht“, stellte Tetsu direkt klar, noch bevor ich eingreifen musste, „war einfach ein schräger Abend damals. Wir beide haben es mit den Kostümen wohl etwas übertrieben.“

„Und was willst du jetzt machen, Hyde?“, richtete Ayana ihre Fragen dann direkt an mich, „du musst dich doch ziemlich unwohl fühlen, wenn er auch gerade hier ist?“

„Das kannst du aber laut sagen“, meinte ich darauf und vernuschelte dabei die Hälfte, weil ich mittlerweile die Arme auf dem Tisch verschränkt und den Kopf darauf gebettet hatte. Tetsu hatte bestimmt eine viertel Stunde gebraucht, um die Halloweenparty damals zu rekonstruieren, und da war meine vorherige Sitzhaltung etwas unbequem geworden. Meine jetzige passte aber auch wesentlich besser zu meinem derzeitigen Gemütszustand, könnte man sagen. Weil man mich so allerdings nicht sonderlich gut verstand, rutschte ich mit dem Kinn etwas weiter vor, ehe ich weitersprach: „Ich werd noch ein bisschen hier sitzen bleiben, mein Bier austrinken … und dann werd ich nach Hause gehen. Und in der Zeit wird Gackt hoffentlich nicht auf die Idee kommen, nach mir zu suchen.“

„Mach dir da mal keine Sorgen, Doiha“, setzte Tetsu in einer beruhigenden Tonlage an, „wir bleiben hier sitzen und wenn der Kerl sich blicken lassen sollte, wird er es sich nicht wagen, irgendwas zu versuchen. Drei Bodyguards, die ihm den Arsch aufreißen können, sollten ja wohl reichen.“

„Und Yuki kommt später auch noch“, fügte Ken hinzu, ehe er sein Bier leerte, das Glas kurz zurück auf den Tisch stellte, es dann aber doch wieder in die Hand nahm. Warum er das machte, sollten wir auch direkt darauf sehen, denn er stand auf, hob sein leeres Glas an und blickte mich fragend an: „Willst du auch noch eins?“

„Weiß nicht“, meinte ich und zuckte mit den Schultern.

„Dann bring ich dir einfach eins mit. Wird sich schon jemand finden, wenn du es nicht willst.“

„Danke.“

„Bis gleich, Leute.“ Und damit zog er ab, kämpfte sich durch die Menge, die in der Zeit, seitdem ich an der Bar gewesen war, noch einmal stark zugenommen hatte. Anscheinend war das Bedürfnis, die Berge an Arbeit zu Hause zu vergessen, bei meinen Mitstudenten ziemlich groß. Oder das Bedürfnis, seinen zwanzigsten Geburtstag deftig zu begießen, wenn es sich um Gackt handelte. Dann hatte er also morgen, am vierten Juli, Geburtstag. Na, schön, dass ich das jetzt wusste … ach, was dachte ich jetzt schon wieder an ihn?! Wenn ich besonders viel Glück hatte, würde ich es jetzt gar nicht mehr schaffen, ihn wieder zu vergessen – nachdem er mir ins Gesicht gesagt hatte, dass er mich nie für ein Mädchen gehalten und daher alles mit voller Absicht gemacht hatte, und ich mehr über ihn wusste, als ich eigentlich wollte. So ein Scheiß!

„Geht's dir auch wirklich gut, Hyde?“, riss Ayana mich schließlich wieder aus meinen Gedanken und holte mich in das Hier und Jetzt zurück, „du siehst nicht gut aus.“

„Hab nur über was nachgedacht.“

„Doch nicht etwa darüber, dass du damals mit einem Kind so heftig rumgeknutscht hast?“, warf Tetsu ein, jaulte aber direkt danach wie ein getretener Hund auf und zuckte zusammen, „auuuuu! Ayana!“

„Das war nicht sehr hilfreich!“, keifte seine Freundin in daraufhin an, „es macht ihm doch schon genug zu schaffen!“ Anscheinend hatte sie ihn tatsächlich unter dem Tisch getreten.

„Sorry, es ist mir nur grade eingefallen, weil Doiha gesagt hat, dass er vorhin …“, versuchte unser momentane Spezialist für Fettnäpfchen herauszureden, sah allerdings selbst ein, dass es ihm nicht viel bringen würde, und verstummte von selbst. Es konnte aber auch an Ayanas strengem Blick liegen, mit dem sie ihn im Augenblick bedachte – und mich damit auch vor unangebrachten Kommentaren beschützte. Und das zauberte mir dann doch noch ein Lächeln auf die Lippen. Ich konnte für Tetsu nur hoffen, dass er sie ganz doll festhielt und sie nie wieder gehen ließ. Etwas Besseres konnte ihm eigentlich gar nicht mehr passieren, denn Ayana stand nicht nur an seiner Seite, sondern auch an der seiner Freunde. Da war sie sich auch nicht zu schade, uns einmal zurechtzuweisen, wenn wir Mist bauten. Und wie man sah, machte sie dabei noch nicht einmal vor ihrem eigenen Freund Halt. Vielleicht konnte das hier doch noch ein ganz unterhaltsamer Abend werden …
 

So schlimm wurde er im Endeffekt auch gar nicht – in jeglicher Hinsicht.

Gut eine viertel Stunde später kehrte Ken mit den zwei Gläsern Bier zu uns zurück und nur kurz darauf kämpfte sich auch Yuki durch die Masse an Menschen zu unserem Tisch durch. Er erklärte uns dann erst einmal etwas gerädert, warum er erst so spät kam: Wasserohrbruch, weil der Vermieter der Wohnung seiner Eltern sich nun schon mehrere Wochen geweigert hatte, endlich einmal die Leitungen zu überprüfen, obwohl sie bereits seltsame Geräusche von sich gegeben hatten.

„Jetzt hat er den Salat und darf noch mehr für die Instandhaltung bezahlen. Mein Pa hat wie immer einen auf ruhig gemacht, aber meine Ma hat ihn dermaßen angeschrien, dass er am Ende so klein mit Hut war“, endete er leicht grinsend und zeigte uns mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand eine Größe von nur etwa zwei Zentimetern.

Im Gegenzug wurde ihm dann auch von meinem Vorfall berichtet und seine Reaktion fiel nicht sonderlich anders aus als die der anderen: Ich solle mir keine Sorgen machen, er wäre natürlich für mich da. Zumal der Kerl – also Gackt – es sowieso nicht wert wäre, wenn er sich anderen gegenüber so benahm. Ja, so war Yuki, immer ruhig, konstruktiv und sehr erwachsen. Er schlug eben eher nach seinem Vater als seiner Mutter und hieß es auch eher selten gut, wenn sie wieder einmal ihre aufbrausende Ader zum Vorschein brachte.

Diesmal entschloss er sich allerdings dazu, uns noch etwas detaillierter von dem Vorfall mit dem Vermieter zu berichten und griff bei der Gelegenheit gleich auch besonders tief in die Mottenkiste mit Storys von seiner Mutter. Ich vermutete, dass er das zur allgemeinen Unterhaltung tat und mich damit ein bisschen von meinem Elend ablenken wollte. Und ich war ihm dankbar dafür, denn wenn ein Sprichwort stimmte, dann dieses: Lachen war die beste Medizin. Wir lachten an diesem Abend viel und unterhielten uns über alles mögliche, solange es nicht mit Uni, Arbeit oder gewissen Personen zu tun hatte.
 

So vergingen die Stunden, die leeren Gläser auf unserem Tisch häuften sich und als ich um kurz vor Mitternacht nach draußen ging, um eine zu rauchen, brauchte ich noch nicht einmal mehr jemanden als Bodyguard. Es hätte ohnehin niemand mitkommen können, denn Ken war auf dem Klo, Yuki besorgte noch weitere Getränke und Tetsu wollte Ayana auch nicht allein am Tisch zurücklassen. Und sie mitzunehmen war auch keine gute Idee, denn dann wäre der Tisch ganz sicher weg. Zwar bat er mich, auf einen der anderen beiden zu warten, um nicht allein gehen zu müssen – zumal die auch Raucher waren und die kleine Pause an der frischen Luft sicherlich ebenfalls für sich zu nutzen wissen würden –, aber ich fühlte mich gut genug, um allein gehen zu können.

Ob diese Entscheidung zu meinen besten gehörte oder nicht, hätte ich selbst hinterher nicht genau sagen können. Aber im ersten Moment bereute ich sie schon ein bisschen, denn kaum hatte ich mir draußen meine Zigarette angezündet, kam ein gewisser Jemand, ebenfalls mit einer Kippe im Mund, nach draußen und blieb nur ein paar Meter neben mir stehen, um sich mit dem Feuerzeug herumzuplagen. Es wollte wohl nicht gleich zünden. Und ich schaute auf meine eigene Zigarette und überlegte, ob ich sie nicht schon nach zwei Zügen wegwerfen und wieder reingehen sollte.

Doch auf der anderen Seite waren sie dazu viel zu teuer und wer hatte eigentlich gesagt, dass ich immer die Flucht ergreifen musste, wenn ich Gackt irgendwo sah?! Ich würde doch wohl noch in Ruhe aufrauchen dürfen, ehe ich wieder verschwand. Vielleicht sah er mich im Dunkeln auch gar nicht und-

„Sorry, hast du mal Feuer? Meins geht nicht.“ Oh, komm schon! Natürlich war er es, der mich das fragen musste! Und ihm schien auch jetzt erst aufzufallen, wen er da anleierte. „Oh, Hachiko … du bist das.“

„Hrm“, machte ich und schielte ihn aus den Augenwinkeln an, entschied mich dann aber dafür, kein Drama daraus zu machen und ihm Feuer zu geben. Vielleicht verzog er sich ja dann auch gleich wieder. Ich schob also die linke Hand in meine Hosentasche, holte mein kleines, blaues Billigfeuerzeug heraus und hielt es Gackt entgegen. Darauf bedankte er sich artig, zündete sich seine Zigarette an und reichte es mir dann zurück, damit ich es wieder einstecken konnte. Allerdings ging er nicht gleich wieder.

Stattdessen standen wir nebeneinander, schwiegen und rauchten nur … für etwa zwei Minuten, als Gackt den Mund wieder aufmachte: „Hör mal, Hachiko … ich hab's nicht so gemeint. Wenn ich geahnt hätte, dass du deswegen so schlecht drauf bist, hätte ich meine vorlaute Klappe gehalten. Wollen wir nicht Frieden schließen?“

Ich schielte ihn wieder kurz an, sah dann aber direkt wieder weg und sagte kein Wort. Glaubte er wirklich, dass er so leicht damit davonkam? Mal ganz davon abgesehen … was interessierte es ihn überhaupt, was ich von ihm dachte? Was hatte er davon, wenn wir Frieden schlossen? Wir würden uns höchstwahrscheinlich sowieso nie wiedersehen. Meinte ich zumindest … aber ich hatte ja auch das letzte Mal schon gedacht, dass das ein einmaliges Treffen sein würde.

„Hachi-“, setzte Gackt wieder an, allerdings fuhr ich ihm über den Mund.

„Hör endlich auf, mich so zu nennen!“, ranzte ich ihn an und schlug ihm dabei gegen den Oberarm, erwischte ihn allerdings nicht richtig, weil er rechtzeitig einen kleinen Schritt zurücktrat.

„Du hast mir ja nicht gesagt, wie du wirklich heißt“, gab Gackt sich dann ganz unschuldig, worauf ich schnaubte. „Hey, komm schon, wenigstens das könntest du mir zugestehen. Das wäre nur anständig.“

„Anständiger als du, was? Mit welchem Recht?“

„Na ja, immerhin hast du mich zuerst verarscht. Oder du hast zumindest gedacht, dass du es tun würdest. Ich dagegen war ganz ehrlich zu dir.“

Shit! Er hatte recht. Ich hatte ihm tatsächlich bewusst nicht gesagt, wer ich war. Zwar hatte er es von selbst herausgefunden, aber ich war davon ausgegangen, dass er weiterhin meiner Lüge erlegen war und mich für ein Mädchen hielt. Ich war also nicht unbedingt besser als er und …

„Hyde.“

„Wie bitte?“

„Normalerweise nennen mich alle Hyde.“

„Freut mich … Hyde“, sagte Gackt und bot mir mit einem Lächeln seine rechte Hand an. Anscheinend wartete er darauf, dass ich sie ergriff und … keine Ahnung, vielleicht eine Art Neuanfang besiegelte.

Ach, was soll's?, dachte ich dazu nur und ließ meine Zigarette von der rechten Hand in die linke wandern, so wie bei Gackt, um seine Hand schütteln zu können.

„Freut mich auch“, murmelte ich dabei wie es so üblich war, ließ ihn kurz danach auch schon wieder los und wir verfielen ins Schweigen zurück.

So, gut, alles erledigt. Jetzt hatten wir uns vertragen und gingen uns nun nichts mehr an. Ich würde noch aufrauchen, wieder nach drinnen gehen und dann-

„Erzähl mal was, Hyde. Was machst du so den lieben, langen Tag, wenn du dich nicht gerade als Mädchen verkleidet auf Halloweenpartys rumtreibst?“

„Wieso willst du das wissen?“, gab ich mich ganz überrascht … und war es auch. Wieso fing er jetzt mit Konversation an?

„Weil es mich interessiert. Immerhin hat nicht viel gefehlt und ich hätte dich flachgelegt.“

„Du solltest es nicht zu weit treiben!“, erinnerte ich ihn und zog erst einmal an meiner Zigarette, bevor ich weitersprach, „und red nicht so ein Blech! Du hättest doch nicht wirklich …“

„Was hätte ich nicht wirklich?“, hakte Gackt nach, als ich meinen Satz nicht zu Ende führte.

„Du wärst doch nicht wirklich so weit gegangen“, erklärte ich und merkte schon wieder, wie mir etwas warm und ich immer leiser wurde. „Ich meine … die Knutscherei ist ja das eine und da hab ich auch kein großes Problem mit. Besonders, wenn ich was getrunken hab. Aber du müsstest schon schwul sein, um da noch … einen draufzusetzen.“

„Aha. Und wer sagt dir, dass ich dazu nicht in der Lage wäre?“

Bist du etwa schwul?“, platzte es mir prompt heraus und ich starrte Gackt aus großen Augen an.

„Jup“, bestätigte er mir locker und mit einem Schulterzucken, als wäre das alles gar nichts. Allerdings korrigierte er sich noch einmal: „Moment … direkt schwul bin ich nicht. Mir ist herzlich egal, ob ich einen Mann oder eine Frau vor mir habe, solange die Chemie stimmt. Bisexuell nennt sich das.“

„Ich weiß, wie man das nennt!“ Wollte er mich für dumm verkaufen?

„Na, dann ist es doch wunderbar. Und wie sieht es mit dir aus? Im Gegensatz zu mir konntest du dir damals schließlich sicher sein, was du vor dir hast. Irgendwelche einschlägigen Tendenzen?“

„Eigentlich nicht“, antwortete ich direkt … denn ganz so sicher war ich mir dann doch nicht. Ich wusste mit Sicherheit, dass ich Frauen mochte. Aber wie ich Gackt gegenüber gerade zugegeben hatte – und wie er es auch schon am eigenen Leib erfahren hatte – war ich durchaus dazu fähig, mich bis zu einem gewissen Grad auch Männern zuzuwenden. Aber wie weit das genau ging, hatte ich mich noch nie gefragt. Und wenn ich ehrlich war, wollte ich auch nicht hier bei Gackt damit anfangen. Schon wieder, wie mir gerade einfiel.

„Und wie sieht's un-eigentlich aus?“, hakte besagter dann auch rotzfrech nach.

„Äh …“ Ich blinzelte ihn an. Da hatte er mich anscheinend erwischt … na ja, so schwer war es auch nicht gewesen. Trotzdem wich ich aus: „Also, ich hätte es ganz sicher nicht so weit kommen lassen. Ich lass mich doch nicht von einem Kind … na ja … wie alt warst du damals eigentlich?“

„Uhm … achtzehn“, antwortete Gackt brav, nachdem er wohl selbst kurz hatte nachrechnen müssen, „aber du lenkst vom Thema ab.“ Ertappt. Sollte ich es dann vielleicht einfach zugeben? Aber dann war da auch wieder die Frage, was es ihn denn anging? Schön, er hatte mir freimütig von sich erzählt, aber das musste doch noch lange nicht heißen, dass ich das auch tun musste, richtig?

„Hm … ich weiß nicht …“, erwiderte ich schließlich.

„Oh, ich würde schon sagen, dass du ganz klar ablenkst.“

„Nein, das mein ich nicht.“

„Ach sooo …“, machte Gackt verstehend und zeigte dann sogar noch ein wenig mehr Verständnis, „dann solltest du dir vielleicht irgendwann mal ein paar Gedanken drüber machen. Nicht, dass du noch ein paar anderen Jungs Hoffnungen machst, die es allerdings nicht so gut vertragen, hinterher einfach stehengelassen zu werden.“ Nachdem er mir diesen Rat erteilt hatte, nahm er einen letzten Zug von seiner Zigarette, die er darauf zu Boden warf und mit dem Fuß austrat.

„Darüber hab ich auch noch gar nicht nachgedacht“, gab ich zu und blickte ihn erschrocken an. Ich hatte damals einfach mein Spielchen mit Gackt spielen wollen, um mich nicht mehr so zu langweilen, ohne darüber nachzudenken, dass ich ihn damit genauso gut hätte vor den Kopf stoßen können. Ich hatte es nur als Spaß angesehen und war davon ausgegangen, dass es andersherum genauso war. Und ich kam mir auf einmal selbst grausam vor, wie ich ihn getäuscht hatte. Wie von selbst murmelte ich daher: „Tut mir leid.“

„Was denn?“, fragte Besagter daraufhin und schob die Hände tief in seine Hosentaschen.

„Dass ich dich damals verarscht hab.“

„Ach, das ist doch nicht so wild“, winkte er ab, „es war witzig, wir hatten anscheinend beide eine gute Zeit und damit fertig. Ich kann so was verkraften. Allerdings hätte ich immer noch ganz gerne deine Telefonnummer. Wie sieht's denn heute aus? Gibst du sie mir?“

„Wozu brauchst du die denn?“

„Wozu wohl? Um dich anrufen zu können!“, lachte Gackt und grinste mich an, „mit dir scheint man sich ganz gut unterhalten zu können, wenn du nicht grade mies drauf bist. Und ich weiß immer noch nicht, was du so machst.“

„Hm …“ Meine Telefonnummer wollte ich ihm nicht unbedingt geben, aber ich glaubte so langsam, dass es nicht allzu sehr schaden konnte, ihm seine Frage zu beantworten: „Ich studiere Kunst.“

„Ah~ …dann musst du sicher gut zeichnen können. Macht's denn Spaß?“

„Das Zeichnen ist nicht ganz so wichtig, wie du vielleicht denkst – eher die Kreativität an sich und die Umsetzungen. Einen Picasso würden sich aufgrund seiner Zeichenkünste auch nicht alle an die Wand hängen. Aber ja, ich mag es … sonst wäre ich nicht viereinhalb Jahre lang dabeigeblieben.“

„So lange schon?“

„Ja, ich bin im vorletzten Semester. Im Winter schreibe ich nur noch meine Abschlussarbeit und dann bin ich fertig.“

„Und was macht man hinterher mit einem Kunst-Studium?“, stellte Gackt genau die Frage, die ich, fast alle meine Kommilitonen und sicherlich auch Großteil der anderen Geisteswissenschaftler so dermaßen hassten, weil es darauf keine Pauschalantwort gab.

„Meh!“, machte ich deshalb nur und streckte die Zunge heraus, um ihm zu zeigen, dass ich mich dazu nicht unbedingt äußern wollte. Und erst recht nicht mitten in der Nacht.

„Okay, okay“, beschwichtigte Gackt mich deshalb, „dann eine andere Frage: Wie sieht es denn nun mit deiner Telefonnummer aus?“

„Du lässt dir das nicht aus dem Kopf schlagen, oder?“

„Und du scheinst sie mir aus irgendeinem Grund nicht geben zu wollen. Nur aus welchem, ist mir nicht ganz klar. Ich hab doch wohl bewiesen, dass ich auch ganz lieb sein kann. Wieso schenkst du sie mir nicht?“

„Warum sollte ich sie dir schenken?“

„Weil ich in einer Minute Geburtstag habe und du garantiert sonst nichts für mich hast“, sagte Gackt schmunzelnd und zwinkerte mir zu.

„Und wenn mich das nicht stört?“, entgegnete ich herausfordernd und warf nun ebenfalls meine Zigarette weg. Allerdings kam ich nicht mehr dazu, sie auszutreten, denn Gackt kam mir zuvor. Er machte einen Schritt auf mich zu, begrub die noch glimmende Kippe dabei unter seinem Schuh, und griff dann nach meinem rechten Handgelenk, um mich an sich zu ziehen.

„Dann suche ich mir ein anderes Geschenk aus“, murmelte er in einem süffisanten Tonfall, schob mich gegen die Mauer, in deren Nähe wir gestanden hatten, und hinein in die Schatten. Wir starrten uns einige Sekunden lang an, in denen die Atmosphäre um uns herum so dicht war, dass wir sie hätten greifen können, und dann küsste Gackt mich.

Ich zögerte noch sage und schreibe einen Moment länger, bevor ich die Augen schloss und in Erinnerungen an unser letztes Treffen versank. Denn er küsste noch haargenau so wie damals, so forsch und fordernd, so einnehmend. Auch seine Hände fanden wieder ihren Weg direkt zu meiner Hüfte, doch ließ er sie diesmal ganz brav über meiner Jeans liegen und machte auch sonst keine Anstalten, mir an die Wäsche zu wollen. Er verhinderte nur, dass ich mich von ihm löste, ehe er es für angemessen hielt. Das mochte jetzt auch wieder ziemlich arschig klingen und vielleicht war es das sogar, aber genau wie damals … wusste ich nicht genau, wie ich anders hätte reagieren sollen … können … wollen … Und noch etwas war wie beim letzten Mal: Zwar war es keine Maske, aber seine verdammte Brille störte mich beim Küssen!

Doch bevor ich noch etwas weiterdenken konnte, war es auch schon wieder vorbei. Verwirrt öffnete ich die Augen wieder und sah gerade noch, wie Gackt sich über die Lippen leckte. Dann grinste er mich wieder an und flüsterte: „Alles Gute zum Nicht-Geburtstag.“

„Woher willst du das denn wissen?“, entgegnete ich und reckte den Hals etwas, obwohl ich mir nicht ganz sicher war, ob ich ihn wirklich noch einmal küssen wollte … sollte … durfte …

„War nur geraten. Hast du denn?“

„Nein, ich hab im Januar. Am Neunundzwanzigsten.“

„Ich werd's mir merken.“

„Alles Gutes zum Geburtstag.“

„Danke“, sagte er und drückte seine Lippen dann noch einmal kurz auf meine. „Und deine Telefonnummer?“

Ich seufzte und löste mich aus der halben Umarmung, in der Gackt mich hielt, rutschte ein Stück zur Seite und lehnte mich gegen die Mauer in meinem Rücken.

„Dann gib mal dein Handy her“, forderte ich und hielt ihm meine rechte Hand, mit der offenen Handfläche nach oben, hin. Er grinste noch etwas breiter als vorher schon, während er sein Telefon aus der Hosentasche fischte und es mir gab. Ich tippte daraufhin meine Nummer aus dem Gedächtnis ein, fügte auch meinen Namen hinzu und drückte dann auf den Button, auf dem Speichern stand. Dann gab ich Gackt das Gerät wieder zurück, der es mit einem diebischen Ausdruck auf den Lippen in seine Tasche gleiten ließ.

„Aber nicht, dass du mich jetzt ständig nervst“, ermahnte ich ihn noch.

„Keine Angst“, beruhigte er mich direkt, „nur ab und zu, wenn ich ein bisschen Zeit übrig hab.“

„Hast du so viel zu tun?“, hakte ich daraufhin nach und zog gleichzeitig eine Augenbraue nach oben, als mir auffiel, dass ich noch gar nicht wusste, was er tat.

„Ich hab drei Jobs – je einen für vormittags, nachmittags und nachts“, erklärte er mir gerade heraus.

„Die machst du aber nicht alle jeden Tag, oder doch?“

„Um Himmels Willen, nein! Das würde ich nicht überleben. Das sind alles Teilzeitsjobs mit ein paar Stunden die Woche. Ich kann also mal ausschlafen und habe mal den Abend für mich. Und gelegentlich kriege ich es sogar hin, mir den ganzen Tag freizunehmen. Ich kann dir Bescheid sagen, wenn es mal wieder so weit ist, und wir gehen zusammen Kaffee trinken. Wie klingt das für dich?“

„Hm … ganz nett.“

Nett?

„Ja.“ Es war gelogen. Ein bisschen zumindest, denn ich freute mich sogar schon irgendwie darauf.
 

tbc.

Countdown

Obwohl Gackt gesagt hatte, dass er sich bei mir melden wollte, hörte ich knapp drei Monate lang nichts mehr von ihm. Und ich konnte nicht leugnen, dass es mich ein bisschen verstimmte. Ich konnte mich auch noch immer dafür schlagen, dass ich ihm nur meine Nummer gegeben und nicht direkt nach seiner gefragt hatte. Was zur Hölle hatte ich mir dabei eigentlich gedacht?!

Und was war nur los mit dem Kerl?! Erst bettelte er mich an, dass ich ihm unbedingt meine Nummer gab, und dann fing er damit nichts an. Erst anmachen und dann stehen lassen – und ich sprang auch noch darauf an! Ich schwor mir, dass ich ihm den Arsch bis zum Stehkragen aufreißen würde, wenn das alles nur eine dämliche Taktik sein sollte, um mich in den Wahnsinn zu treiben und mich ganz heiß auf ihn zu machen. Auch wenn ich so langsam das Gefühl bekam, dass es zu einem gewissen Grad funktionierte.

Tetsus Meinung dazu war trotzdem nicht allzu verwunderlich: „Mach einen Haken dran und schieß den Kerl auf den Mond. Wenn er es nicht nötig hat, sich bei dir zu melden, obwohl er es versprochen hat, ist es es absolut nicht wert.“

„Versprochen hat er es nicht direkt.“

„Du weißt schon, was ich meine, Doiha.“

„Hm …“

Natürlich hatte ich meinen Freunden noch an dem Abend – oder eher Morgen – der Semesterabschlussparty erzählt, was um Mitternacht draußen passiert war. Wie auch anders? Sie hatten sich schließlich schon gewundert, weil ich für eine und selbst die zweite Zigarette, die wir nach Mitternacht noch geraucht hatten, ziemlich lange gebraucht hatte. Und sie hatten damals sogar ganz gut aufgenommen, dass ich mit Gackt offensichtlich doch ganz gut auskam, wenn wir uns gegenseitig nicht zu sehr auf den Schlips traten.

Allerdings war ich mir nicht ganz sicher, ob die Reaktionen nicht vielleicht anders ausgefallen wären, wenn ich ihnen gesagt hatte, dass Gackt und ich uns schon wieder geküsst hatten – wenn auch nicht so heftig wie zuvor an Halloween. Ich verheimlichte es ihnen nicht, weil es mir peinlich war oder ich es bereute. Natürlich wären sicher wieder die einschlägigen Kommentare gekommen, aber daran lag es nicht. Ich wollte … einfach ein bisschen was davon für mich behalten.

Und ebenso wenig erzählte ich ihnen in den Wochen darauf, dass bei mir gewisse Reaktionen einsetzen, die ganz eindeutig mit Gackt zu tun hatten.
 

Es begann ungefähr einen Monat nachdem wir uns zuletzt gesehen hatten. Eigentlich wäre es gar nichts Besonderes gewesen, wenn ich Gackt auf eine vollkommen andere Art und Weise kennengelernt hätte. Ich stand nur in einem Klamottenladen, weil ich eine neue Hose brauchte, als sich jemand vom Personal ein bisschen nostalgisch gab und statt der üblichen aktuellen Dudelmusik etwas Älteres in die Playlist mischte: Namie Otsuka. Und augenblicklich erstarrte ich, mit einer Jeans in der Hand.

Ich hatte diesen Song so oft unfreiwillig mitbekommen, zuletzt erst wieder als ich Gackt zufällig auf der Semesterabschlussparty wiedergetroffen hatte. Ich konnte nicht verhindern, dass sofort die Erinnerungen hochkamen – Erinnerungen an damals, als er mir geradeheraus gesagt hatte, dass er mich küssen wollte, kaum dass wir uns eine viertel Stunde kannten, als wir uns dann tatsächlich geküsst hatten, kaum dass wir uns eine halbe Stunde kannten, als er mich so weit hatte, dass es mir egal war, wer uns dabei zusah, kaum dass wir uns eine Stunde kannten. Und natürlich die Erinnerungen an unsere kleine Raucherpause vor der Bar nicht zu vergessen, als ich ihn ein bisschen besser kennengelernt und er sich so diebisch darüber gefreut hatte, endlich an meine Telefonnummer zu kommen. Dass ich dabei die ganze Zeit an meiner Unterlippe nagte, merkte ich erst viel später, als ich es ein wenig übertrieb und mich fast selbst biss. Gackt hatte auch an meiner Unterlippe geknabbert, doch war er sanfter zu mir gewesen als ich gerade zu mir selbst. Ich vermisste es … irgendwie … und dann schlug dieser Hauch von Nostalgie in eine Woge der Wut um.

Mann, was sollte das? Und wieso meldete sich dieser Arsch einfach nicht? … Aber ich würde ihm ganz sicher nicht nachhängen! Wie Tetsu schon gesagt hatte: Wenn Gackt es nicht nötig hatte, dann konnte er mir ja wohl gestohlen bleiben! Ich jedenfalls kontrollierte noch einmal das Etikett der Jeans, die ich noch immer in der Hand hielt, und stapfte damit dann zu den Umkleidekabinen, um sie anzuprobieren. Wer war ich denn, dass jemandem hinterhertrauerte, den ich mehr als nur flüchtig kannte?
 

Ein Idiot war ich, denn damit hörte es damit natürlich nicht auf. Und ich trug nicht gerade dazu bei, dass es besser wurde, indem ich mir die Download-Version von Namie Otsukas Song im Internet kaufte. Dazu musste ich zwar erst einmal herausfinden, wie er überhaupt hieß, aber das war nicht wirklich schwer. Schließlich war es ihr beliebtestes Stück und gleich der erste Vorschlag, den ich bekam, als ich den Namen der Künstlerin bei Musictube eingab, war ein Volltreffer. 'Boom Boom' lautete der hochgradig originelle Titel dieser musikalischen Glanzleistung, die mir erschreckenderweise aber besser und besser gefiel, je öfter ich ihr lauschte. Der Schönhöreffekt setzte also ein, der eigentlich nur dann nicht griff, wenn man sich wirklich ganz große Scheiße anhörte.

Jedenfalls … mit diesem Akt konnte ich dann wohl nicht mehr leugnen, dass ich darauf brannte, Gackt wiederzusehen und ihn noch ein wenig mehr kennenzulernen. Zwar hatten wir uns an seinem Geburtstag noch etwas unterhalten und auch schon Dinge miteinander getan, die andere erst wesentlich später in Betracht gezogen hätten – wenn überhaupt! –, aber so wirklich etwas über ihn wusste ich nicht. Er hatte mir ja noch nicht einmal gesagt, wo er genau arbeitete, als wir bei dem Thema gewesen waren, und ich Idiot hatte auch nicht weiter nachgefragt – genau wie bei der Telefonnummer. Er steckte regelmäßig in einem Casino (natürlich mit gefälschtem Ausweis!), in einem Tonstudio und einem Conbini, doch davon gab es jeweils mehrere in Tokyo und ganz besonders von Letzterem. Es wäre eine Riesenarbeit gewesen, da alle nach ihm abzugrasen – und ich konnte immer noch gerade dann vorbeischauen, wenn er nicht da war, selbst wenn ich den richtigen Ort finden sollte. Ich würde ihn vermutlich nie wiedersehen und das frustrierte mich noch mehr, weil ich es diesmal doch wirklich wollte! Für gewöhnlich nahm ich so etwas nicht so ernst, wenn es um lockere Bekanntschaften ging, allerdings war die Sache mit Gackt eben doch eine vollkommen andere.

Und noch etwas änderte sich: Ich war noch immer so fleißig bei meinen Arbeiten wie immer, aber mein Elan war nicht mehr richtig da. Für gewöhnlich sorgte ich immer dafür, dass ich am Ende noch große Puffer zur Sicherheit hatte, die ich dann zur Entspannung nutzen konnte, wenn ich sie nicht für die Uni brauchte. Diesmal waren die Puffer kleiner und ich verfaulenzte vorher schon einige Zeit. Ich vertrödelte Zeit, die ich sicherlich besser hätte nutzen können – ich erinnerte mich schließlich noch ganz lebhaft an die Diskussion mit Tetsu am Anfang des Sommers, als er und Ken mich förmlich aus meiner Wohnung hatten schleifen müssen. Aber irgendwie ging ich das diesmal nicht ganz so ernst an wie sonst. Und hatte Tetsu mir nicht geraten, in dieser Hinsicht etwas lockerer zu werden? Die Arbeit auch mal ein bisschen ruhen zu lassen? Nun, dann ließ ich sie eben mal ruhen und machte es mir in meinem Sommerloch bequem.
 

Aber selbst mit dieser Frustration und der Lustlosigkeit war ich noch nicht am Tiefpunkt angelangt. Der kam dann erst, als Gackt sich in meine Träume schlich … oder vielmehr war es eine Mischung aus Erinnerung und Traum, denn es begann in einer Bar. Wo auch sonst, denn schließlich hatten wir uns bisher nur an solchen Orten getroffen und ich konnte Gackt gar nicht richtig mit etwas anderem verbinden. Einem sonnigen Park voller Kirschblüten zum Beispiel oder einem überfüllten Schwimmbad im Hochsommer. Wobei er bei Letzterem ziemlich nackt gewesen wäre und das passte doch schon einmal ganz gut.

Ich fand mich schon wieder eingekeilt zwischen ihm und einer Wand, während er mich erneut mit seinen forschen Küssen bestürmte, von denen mir fast schwindelig wurde. Seine Hände geisterten dabei über meinen gesamten Oberkörper, berührten mich an so vielen Stellen und es fühlte sich großartig an. Ich ließ ihn deshalb tun, was immer er wollte, und stoppte ihn selbst dann nicht, als er sich plötzlich meine Hose vornahm und mit ein paar geübten Handgriffen Knopf und Reißverschluss in nur zwei oder drei Sekunden blind öffnete. Ich klammerte mich nur an seinen Hals, wühlte in seinen Haaren und keuchte schließlich gegen seine Lippen, als er eine Hand in meine Unterwäsche gleiten ließ und mich dort berührte, wo ich sonst noch nie einen anderen Mann herangelassen hatte. Aber es hatte auch einen Vorteil: Gackt wusste genau, wie er es anstellen musste, um mich sofort pures Vergnügen empfinden zu lassen. Und je mehr er sich bemühte, desto ausgelassener wurde ich und stöhnte immer lauter. Meine Knie wurden dabei ganz weich und wären da nicht die Wand und Gackt gewesen, die mich stützten, wäre ich sicherlich umgekippt.

Doch plötzlich war da keine Wand mehr, sondern eine weiche Matratze. Und Gackt stand auch nicht mehr vor mir, sondern begrub mich halb unter sich, sodass er gerade noch genug Raum hatte, sich weiterhin um meine heiße Körpermitte zu kümmern, die so langsam, aber sich nach mehr Platz schrie, als ihr zur Verfügung stand. Ich legte meinen Kopf in den Nacken, drückte ihn vor Lust geradezu in die Matratze und löste mich dabei natürlich von Gackts Lippen, sodass ihm nun nichts anderes übrigblieb, als stattdessen meinen Hals und mein Schlüsselbein zu verwöhnen. Außerdem zog ich meine rechte Hand aus Gackts Haaren, um mir die Hose etwas weiter herunterzuschieben und mir dadurch etwas Linderung zu verschaffen. Aber Gackt ließ mich nicht. Er packte mein Handgelenk grob, worauf ich erst leicht verärgert murrte und dann sogar sehr verärgert murrte, als mir klar wurde, dass er dazu die Hand benutzte, mit der er mich bis eben noch befriedigt hatte.

Ich wollte etwas sagen, ihn dazu antreiben, dass er gefälligst weitermachen und mich nicht am langen Arm verhungern lassen sollte. Als ich den Mund jedoch aufmachte, kam kein Ton heraus, als ob plötzlich meine Stimmbänder versagten oder ich einfach keine mehr hätte – dabei hatten sie doch bis eben noch so gut funktioniert! Gackt schien es trotzdem verstanden zu haben, denn er ließ zwar mein Handgelenk nicht los, schob dafür aber sein Bein zwischen meine Oberschenkel, presste sich noch enger an mich und begann damit, sich langsam und quälend auf und ab zu bewegen.

Und es dauerte nicht lange, bis er mir ein Stöhnen ins Ohr raunte. Es war ein tiefer, grollender Laut, der mir ganz genau verriet, wie sehr er das im Moment genoss und was er noch alles begehrte. Und mit diesem einen hörte er nicht auf. Immer wieder demonstrierte er mir, was er in diesen Augenblicken empfand, während ich noch immer stumm wie ein Fisch war. Und es frustrierte mich, dass ich meine Stimme für den Moment verloren hatte. Wieso? Wieso nur?!

Doch Gackt verschaffte mir augenblicklich ein kleines Trostpflaster, indem er mich wieder küsste, meinen Mund in Beschlag nahm und jeglichen Laut, den ich auch nur annähernd hätte äußern können, von vornherein erstickte. Und damit auch sein eigenes Stöhnen. Ich lächelte in den Kuss hinein, stieß ein tonloses, aber genießendes Seufzen aus und kraulte mit der freien Hand Gackts Nacken. Die andere entwand ich daraufhin endlich seinem Griff, doch machte ich keinen weiteren Versuch, mir selbst etwas mehr Platz verschaffen zu wollen. Nachdem Gackt seine Hand aus meiner Hose gezogen hatte, war es ohnehin schon wieder besser geworden. Stattdessen ergriff ich seine Hand und verschränkte unsere Finger ineinander, drückte so fest zu, wie ich nur konnte, um nicht noch den Verstand zu verlieren. Und als ich spürte, dass Gackt ebenfalls meine Hand drückte, gab mir das so einen Stoß, dass ich kam.
 

Und noch bevor das Gefühl richtig zu mir durchgedrungen war und ich es vollkommen genießen konnte, wachte ich auf – verschwitzt, atemlos und mit verdächtig klebrigen Fingern. Meine Erektion unter der Bettdecke schwoll gerade wieder ab und ich spürte, wie die fast unerträgliche Wärme von meinem Unterleib direkt in meinen Kopf wanderte und meine Ohren langsam heiß wurden.

Oh shit, ich hatte mir beim Gedanken an Gackt einen runtergeholt! Sogar noch schlimmer: Ich hatte mir vorgestellt, wie Gackt das für mich erledigte! Und hatte es in vollen Zügen genossen! Oh Gott … oh Gott! In mir machte sich der unhaltbare Drang breit, sofort in die Dusche zu flüchten und alles abzuwaschen, was noch an Spuren an mir klebte.

Ich konnte von Glück reden, dass ich in meiner eigenen kleinen Wohnung lebte, sonst hätte ich mir jetzt wahrscheinlich noch Sorgen machen müssen, ob und wie viel meine Eltern davon mitbekommen hatten. Aber so konnte ich einfach aus meinen Shorts schlüpfen, mir ein frisches Handtuch aus dem Schrank krallen und unter die Dusche springen, um mich dann in den nächsten Stunden halb zu ersäufen.
 

Ich war mir nicht sicher, ob ich mich für diesen Traum wirklich schämte, aber entsetzt war ich allemal. Ich fragte mich ernsthaft, wo das her kam. Schließlich kannte ich Gackt kaum. Wie konnte es dann also sein, dass ich so fasziniert von ihm war und mich ganz offensichtlich so zu ihm hingezogen fühlte? Es war der absolute Irrsinn! Ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt … und dann schlich sich etwas anderes in mein Bewusstsein; etwas, das Gackt mir geraten hatte: Dann solltest du dir vielleicht irgendwann mal ein paar Gedanken drüber machen … ob ich vielleicht auch auf Männer stand oder nicht. Nun, zumindest sollte jetzt klar sein, dass ich ganz offenbar auf ihn stand … ob mir das nun gefiel oder nicht.

Ich schüttelte leicht den Kopf und seufzte. Und ich hätte jetzt nur zu gerne mit jemandem darüber geredet – aber mit wem? Für gewöhnlich rief ich Tetsu an oder schaute bei ihm vorbei, wenn ich irgendwelche Probleme hatte, doch diesmal … erschien er mir nicht als der ideale Ansprechpartner dafür. Und ich wusste nur zu genau, mit wem ich schon eher darüber reden würde. Doch den konnte ich nicht erreichen, weil der Arsch mich einfach nicht anrief! Es war einfach nur frustrierend, besonders jetzt.
 

Ich schleppte mein kleines Geheimnis danach noch ein paar Tage lang mit mir herum, bis ich es schließlich nicht mehr aushielt und doch Tetsu darauf ansprach. Da es mitten im Sommer war und wir noch nicht einmal die Hälfte der Semesterferien hinter uns hatten, hatten mich meine Freunde trotz Proteste meinerseits natürlich in ein überlaufenes Freibad geschleift und genau dort setzte ich mich ein wenig mit ihm ab, um mir seine Meinung dazu anzuhören.

Er blickte mich aber erst einmal nur an wie ein Auto, nachdem ich ihm stotternd, stammelnd und mit vielen Pausen von meinem seltsamen Verhältnis zu Gackt und natürlich auch dem Traum berichtet hatte. Dabei hatte ich auch gleich ein paar Dinge richtiggestellt, die vorher ein wenig … verkehrt gewesen waren.

„Ist … ist das ein Witz?“, fragte Tetsu und zog eine Augenbraue hoch, „wenn ja, dann ist das nämlich nicht lustig, Doiha.“

„Glaub mir, ich würde über so was keine Witze machen“, grummelte ich ob seines Vorwurfes.

„Na ja, dann …“, begann mein bester Freund wieder und machte eine Pause, um zu überlegen … und er überlegte und überlegte und überlegte und kam zu dem Schluss, „ich hab keine Ahnung, was du machen sollst. Ich würd ja sagen, dass du mal mit ihm drüber redest, aber wenn er sich nicht meldet und du von ihm ja keine Nummer hast … musst du wohl doch einen Haken dran machen.“

„Hm …“ Das hatte ich schon befürchtet. Verdammt!

„Aber wenn ich es so recht bedenke …“, begann Tetsu dann auf einmal wieder, „ist das vielleicht auch ganz gut so. Die ganze Sache ist ja schon ein bisschen komisch.“

„Komisch? Inwiefern?“

„Na ja, überleg doch mal! Als du den Kerl damals getroffen hast, seid ihr euch gleich an die Wäsche gegangen, obwohl du überhaupt nicht auf Kerle stehst. Zwar hast du gesagt, dass du ihn nur ein bisschen verarschen wolltest, aber normal ist das für dich trotzdem nicht. Dann triffst du ihn wieder, ihr geht euch direkt wieder an die Wäsche und du verschweigst es mir. Also, uns verschweigst du es. Und jetzt träumst du auch noch … so was von ihm. Findest du nicht, dass das ein bisschen weit geht für jemanden, den du gar nicht kennst?“

„Also, wenn ich ihn gar nicht kennen würde, dann würde so was ja nicht passieren, meinst du nicht?“, verteidigte ich mich auf der Stelle.

„Du sagst es, Doiha: gar nicht. Trotzdem kennst du ihn kaum. Ich weiß mehr über jeden einzelnen meiner Dozenten als du über Gackt … ich mach mir doch nur Sorgen um dich und ob du dich da nicht vielleicht in was reinsteigerst. Allein schon die Tatsache, dass du nur einmal Nein gesagt hast, bevor du mit hierher gekommen bist, heißt einiges. Versteh mich nicht falsch, ich find es toll, dass du dir ein bisschen mehr Zeit für dich und uns gönnst, aber das passt nicht so ganz zu dem Doiha, der du in den letzten Jahren warst.“ Während er mir das alles vorhielt, guckte er mich auch entsprechend … mitleidig an. Ich konnte es nicht genau beschreiben, denn es war ein Blick, den man bei Tetsu doch recht selten zu sehen bekam. Und ich war beinahe schon entsetzt darüber. Doch nicht nur darüber!

„Jetzt stellst du mich dar wie einen vollkommenen Spießer, der absolut nichts von Spaß versteht.“

„Nein, das bist du tatsächlich nicht. Aber wenn ich dich dran erinnern darf: Zu der Party hat Ken dich am Kragen packen müssen, sonst hätten wir dich gar nicht von deinem Schreibtisch weg bekommen.“

„Okay okay, ich war schlimm“, musste ich ihm zugestehen, „aber ist doch gut, dass ich es jetzt nicht mehr bin.“

„Hab ich ja gesagt“, meinte Tetsu dazu und versuchte es nun wieder mit einem aufmunternden Lächeln. „Ich mache mir aber schon meine Gedanken, was dich dazu bewogen haben könnte. Und dann kommst du mir eben mit dieser Story an. Doiha, bitte versprich mir, dass du vorsichtig mit dem Kerl bist. Glaub nicht alles, was er dir erzählt. Und lass dich vor allen Dingen zu nichts drängen. Aber … wenn ihr euch nochmal trefft, kannst du ihn ja drauf ansprechen … auf deinen Traum und das alles.“ Das Lächeln wurde noch ein bisschen optimistischer und eigentlich befand Tetsu sich damit auch in seiner Königsdisziplin, dem Optimismus … scheiterte diesmal jedoch kläglich.

„Ja … falls ich ihn jemals wieder treffe“, maulte ich.

„Und er dich dann überhaupt noch interessiert.“

„Hm …“ Irgendwie konnte ich mich gerade nicht aufmuntern lassen. Konnte ich nie, wenn sich meine Gedanken um Gackt drehten. Woran das nur lag? … Ich dankte dem Sarkasmus, dass er mich bei Verstand hielt.

Und dann, nach über einem weiteren Monat, kam dann doch meine Chance.
 

18. September …
 

Es war kurz vor Ende der Semesterferien und ich hatte mir trotz allgemeiner Lustlosigkeit doch noch zwei Wochen Freizeit vor dem Beginn des neuen Semesters herausarbeiten können. Tetsu hingegen hatte sich vor lauter Panik schlussendlich in der Bibliothek verschanzt, sodass er jetzt derjenige war, der ständig absagen musste. Und auch sonst blieb an diesem Tag nicht viel von unserer Clique übrig, denn Ken hatte sich ebenfalls etwas anderes vorgenommen. Er war mit seiner aktuellen Flamme im Kino, sodass es an Yuki und mir gewesen war, uns gegenseitig vor der drückenden Hitze zu retten.

So befand ich mich nun gerade nach einem Nachmittag im Schwimmbad mit Yuki auf dem Heimweg. Eigentlich hatten wir aber mehr in der Sonne gelegen, als dass wir uns im Becken getummelt hatten, weil wir beide keine sonderlich großen Wasserratten waren. Sich dann ausgerechnet in einem Schwimmbad zu verabreden, war eigentlich irgendwo schon wieder Verschwendung, aber wir konnten entspannen und uns ein bisschen abkühlen, wenn wir wollten. Mit Yuki allein Zeit zu verbringen, war für gewöhnlich sehr angenehm. Er quatschte einen nicht zu, hatte aber immer ein offenes Ohr, wenn man es mal brauchte. Heute hatte ich es aber nicht gebraucht und auch generell hatte ich mich mit der Situation arrangiert … mehr oder weniger.

Und dann besaß Gackt einfach die Frechheit, wieder aufzutauchen.
 

Ich schlenderte ein bisschen durch die Innenstadt, bummelte durch ein paar Läden und genoss den warmen Sommerabend. Und dann entdeckte ich schließlich Gackt, der in Begleitung eines Mädchens mit blonden, offensichtlich gefärbten Haaren mit einem Softeis in der Hand aus einem kleinen Café kam. Er leckte an seinem Eis und lachte dann herzlich über etwas, das das Mädchen gesagt hatte.

Und ich? Ich blieb wie automatisch stehen und glotze ihn mit großen Augen an. Trotz der Sonnenbrille, die er trug, hatte ich ihn sofort erkannt und es brauchte nur zwei weitere Sekunden, um auf Hundertachtzig zu sein. Und ohne noch großartig darüber nachzudenken, befand ich mich schon auf dem Weg zu ihm, stapfte auf die andere Straßenseite zu, wo er und seine Begleitung stehengeblieben waren und mich anscheinend noch nicht bemerkt hatten. Dann würde es wohl ein ganz herzliches Wiedersehen werden! Dementsprechend überrascht schaute Gackt mich dann auch an, als ich mich stinksauer vor ihm aufbaute und ihm ein mehr als nur mies gelauntes „Hallo!“ entgegenranzte. So viel also dazu, dass ich mich mit der Situation arrangiert hatte.

„Hyde …“, murmelte er und schaute von mir zu seinem … Date, das ebenso wortlos und mit einer übergroßen Sonnenbrille auf der Nase neben ihm stand. Und dann fing er sich wieder und fiel mir um den Hals, noch ehe ich ein weiteres Wort sagen konnte: „Hyde, hiii!“
 

tbc.

Rumble

„Hyde, hiii!“, begrüßte Gackt mich stürmisch und drückte mich dabei so fest an sich, dass ich nur noch den Kopf etwas drehen und perplex zu dem blonden Mädchen schauen konnte, das mich sich allerdings viel lieber schmunzelnd um sein Eis kümmerte, bevor noch alles schmolz und auf den Boden tropfte. Was war denn hier los?! Ich war stinksauer auf Gackt, aber der hob mich fast vom Boden hoch und sein blödes Date grinste nur!

„Wir haben uns ja ewig nicht gesehen“, meinte Gackt dann, als er mich endlich wieder losgelassen hatte. Dabei hielt er mich links und rechts an den Schultern fest und strahlte mich förmlich an. „Wie geht’s dir denn? Was hast du in der Zwischenzeit so gemacht?“

Ein paar Sekunden lang starrte ich ihn nur an, blinzelte und verstand noch immer nicht, wieso er sich so benahm. Litt er an Gedächtnisverlust? Hatte er an seinem Geburtstag die frisch errungene Lizenz zum Saufen direkt missbraucht und alles vergessen, was davor noch passiert war? Oder hatte er es mit Absicht gemacht und wollte mich jetzt nur verarschen? Hatte Tetsu am Ende recht mit seiner Sorge um mich?

Man musste mir den Berg an Fragen, der sich in meinem Kopf so langsam türmte, ansehen, denn sein breites Lächeln wurde mit einem Schlag wesentlich schmaler und er fragte, ebenfalls ziemlich verwundert klingend: „Was ist denn los?“ ZIPP! Das war der Funke, den meine Wut brauchte, um wieder voll aufzulodern und meine kurzzeitige Verwirrung in ihre Schranken zu weisen.

„Das fragst du noch?!“, ranzte ich ihn erneut an, „wer wollte sich denn bei mir melden und lässt mich trotzdem seit mittlerweile drei Monaten drauf warten? Wenn du sowieso keinen Bock hattest, was hast du mich dann eigentlich erst genervt? Das Theater hättest du dann ja wirklich sparen können … und mir auch! Von wegen Kaffee trinken – am Arsch!“ Und weil ich einmal in Fahrt war, nahm ich mir jetzt auch noch Blondie vor, deren erhobene Augenbraue über der Sonnenbrille eindeutig verriet, wie pikiert sie mich anschauen musste. „Und dir kann ich nur raten, dem Kerl nicht zu weit über den Weg zu trauen. Er scheint ja im Moment mal wieder auf Frauen zu stehen, aber das ändert sich bestimmt schneller, als du gucken kannst. Und mach dir keine allzu großen Hoffnungen, wenn er dich anrufen will … selbst wenn er noch so sehr nach deiner Nummer bettelt. Gackt ist das größte Arschloch, dem ich jemals – jemals! – begegnet bin! Und ich hab schon so einige Leute getroffen. Erst macht er dich heiß, dass du nicht mehr weißt, wo dir der Kopf steht und dann-“

„Frauen? Was soll das denn heißen?“, kam es dann auf einmal vor dem Mädchen, das bei meinem Gezeter sogar einen kleinen Schritt zurückgewichen war und nun von mir zu Gackt sah.

„Na, dass er nicht nur-“, setzte ich schon an, unterbrach mich aber selbst, als mir ihre Worte so langsam einsanken … oder eher, wie diese Worte gesagt worden waren. Ich vermutete stark, dass mein Blick nun dem Tetsus ähnelte, als ich ihm vor einiger Zeit erzählt hatte, wie es mit mir, Gackt und meinen Träumen stand. Erst nach einigen Sekunden des peinlichen Schweigens war ich wieder in der Lage, etwas zu sagen: „Du … du bist gar kein Mädchen?“

„Noch nie gewesen“, antwortete sie … er, nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie sich stattdessen ins Haar. Aber großartig ändern tat es trotzdem nichts. Er sah immer noch verflucht weiblich aus … na ja, das tat ich anscheinend auch, wenn ich dem Urteil meiner Mitmenschen Glauben schenkte. Verflucht! Musste das wirklich ausgerechnet mir passieren, wo ich mich doch sonst immer beschwerte, dass es nicht so schwer sein konnte, einen Mann von einer Frau zu unterscheiden?! Gackts Begleitung zumindest schien das alles zu amüsieren, denn er grinste nun wieder und gluckste auch leise. Und Gackt war sogar noch schlimmer, denn er brach in leises Gelächter aus, sodass ich mich augenblicklich noch deplatzierter fühlte als ohnehin schon.

„Ach, halt doch die Klappe!“, grantelte ich daher weiter und trat die Flucht nach vorne an … wenn sie auch nicht sonderlich originell war, „das ändert trotzdem nichts daran, dass du jetzt den Nächsten verarschst.“

„Nein, Hyde … tut es tatsächlich … nicht“, japste Gackt allerdings zur Antwort und stützte sich an meiner Schulter ab, weil er sonst wohl umgekippt wäre. Und anscheinend musste er gerade einen Lachanfall unterdrücken, denn er krümmte sich schon ein bisschen und hielt sich den Bauch. „Du bist und … bleibst ein Idiot!“

„Hä? … Hey!“, empörte ich mich, musste aber warten, dass er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, ehe es weitergehen konnte. Schließlich wollte ich hier eine Erklärung von ihm und ihn nicht nur anschreien und wieder abziehen.

„Okay“, sagte er schließlich – Minuten später! – und atmete noch einmal durch, ehe er wieder in vollen Sätzen sprach, natürlich noch immer diebisch grinsend, „wenn ich dir vorstellen darf: Das ist Chacha … eigentlich Chachamaru und eigentlich auch noch ganz anders, aber es hat keinen Sinn, ihn dir mit seinem richtigen Namen vorzustellen – es nennen ihn sowieso alle nur Chacha. Wir arbeiten zusammen. Chacha, das ist Hyde … dessen richtigen Namen ich eigentlich gar nicht weiß …“ Daraufhin nahm das Grinsen wenigstens kurz wieder ab und wich einem etwas nachdenklichen Blick.

„Na, dann haben sich ja zwei gefunden“, kommentierte Chacha dazu und reichte mir die Hand, realisierte aber im letzten Moment noch, dass sie trotz seiner Bemühungen, das Schmelzen seines Softeises einzudämmen, davon ziemlich verklebt war, und zog sie schnell zurück. Stattdessen winkte er nur kurz auf Gesichtshöhe. „Fujimura Yukihiro, aber wie Gackt schon richtig sagte, kannst du mich auch Chacha nennen. Freut mich jedenfalls, dich kennenzulernen, Hyde.“

„Äh … mich auch. Takarai Hideto ist übrigens mein Name, aber Hyde ist vollkommen in Ordnung und … entschuldige bitte den Aufruhr“, gab ich mich nun extrem höflich, nachdem ich mich gerade eben noch von einer meiner schlechtesten Seiten präsentiert hatte.

„Kein Problem“, winkte der Angesprochene allerdings ab, „ich kann mir nur zu gut vorstellen, dass Gackt es mal wieder verbockt hat. Der Kerl geht manchmal einfach ziemlich schlampig mit seinen Mitmenschen um. Dann muss man ihm einmal kurz auf den Hinterkopf hauen, damit das Denkvermögen wieder richtig anläuft, und er ist wieder ganz brav.“

„Dir ist aber schon klar, dass du dich gerade wie meine Mutter anhörst?“, erinnerte ihn unser Gesprächsthema an die Tatsache, dass es immer noch neben uns stand, und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Genau so fühle ich mich auch manchmal, Gackt, also beschwer dich mal nicht“, schoss Chacha daraufhin nur zurück und sorgte damit dafür, dass ich unwillkürlich kichern musste. „Siehe da, er lacht wieder – da hätten wir doch die perfekte Grundlage für eine Aussprache, die dringend nötig zu sein scheint. Ich nehme an, dass ich mich dann auch verabschieden sollte.“

„Äh … was?“, lautete die etwas stockende Antwort Gackts, „wolltest du nicht noch irgendwo mit mir hin?“

„Kann warten … und ich verspreche dir, dass es keine drei Monate sein werden“, scherzte Chacha, klopfte Gackt freundschaftlich auf die Schulter und nickte mir noch zu, ehe er sich feixend auf den Weg … irgendwohin machte. Er ging einfach nur die Straße hinunter, genau in die Richtung, aus der ich vorher gekommen war. Ich sah ihm noch etwas nach, ehe ich mich wieder Gackt zuwandte.

„Und?“

„'Und'?“ Aha, er war also genauso durch den Wind wie ich. Und durch den Wind traf es wirklich – war ich doch vor ein paar Minuten noch stocksauer auf Gackt gewesen und war es nun nicht mehr und von seiner offensichtlichen Freude über unsere Begegnung war auch nicht mehr sonderlich viel zu sehen. Was ich davon jetzt wieder halten sollte, war mir absolut schleierhaft.

Ich war dann aber doch der Erste von uns beiden, der mit einem konstruktiven Vorschlag um die Ecke kam: „Gibst du mir deine Telefonnummer?“ Es war mein vollkommener Ernst und bei der Tonlage, in der ich Gackt diese Frage gestellt hatte, hätte auch niemand irgendetwas anderes dahinter vermuten oder daraus machen können.

Niemand, bis auf Gackt natürlich. Er lief binnen Sekundenbruchteilen wieder zu Höchstform auf: „So groß war die Sehnsucht nach mir also schon? Nicht, dass du gleich noch in aller Öffentlichkeit über mich herfällst!“ Als ob ihn das bisher großartig gestört hätte! Na ja … bisher war es immer dunkel gewesen und … aber das war jetzt nicht der Punkt!

Eine richtige Retourkutsche blieb trotzdem aus, denn irgendwo hatte er ja schon recht: „Du kannst es mir ja wohl nicht verübeln, wenn ich ein bisschen enttäuscht bin. Als du gesagt hast, dass du dich bei mir meldest, hätte ich zumindest nicht gedacht, dass ich die nächsten Monate nichts mehr von dir höre. Das heißt es und mehr nicht.“ Es hatte aber auch niemand gesagt, dass ich ihn direkt bauchpinseln würde!

„Ein bisschen enttäuscht ist gut“, gluckste Gackt darauf jedoch, „so wie du hier angerast kamst und mich zur Schnecke machen wolltest. Und Chacha direkt mit. Sei nur froh, dass er sich nicht so schnell runterziehen lässt. Wenn er wirklich ein Mädchen gewesen wäre, hätten wir hier sicherlich tatsächlich noch ein Tränendrama gehabt.“

„…“ Kein Kommentar dazu!

Als Gackt genau das merkte, redete er endlich wieder normal mit mir – so wie an seinem Geburtstag. Und es kam sogar noch besser, denn er entschuldigte sich tatsächlich bei mir: „Sorry übrigens, dass ich nicht angerufen habe. Aber ich konnte nicht, weil ich die Nummer nicht mehr hatte.“

„Hä?“ Ich hob beide Augenbrauen und runzelte dann die Stirn. Was sollte das denn jetzt für eine Ausrede werden?

„Ist eigentlich ganz einfach: Wir haben an dem Abend noch ganz schön was getrunken – man muss es ja ausnutzen, wenn man das endlich darf – und dabei hab ich einiges auf die Klamotten bekommen. Ich hab zu Hause dann alles gleich in die Wäsche geworfen und als ich später dann irgendwann mein Handy vermisst hab, hat's nicht lange gedauert, bis ich auf die Waschmaschine gekommen bin. Da war es natürlich schon Schrott und nichts mehr zu retten. Ich hab zwar noch eine Sicherheitsliste für Telefonnummern auf meinem Computer, die ich einfach nur übertragen muss, aber deine war da logischerweise noch nicht dabei. Ich kann dir noch nicht mal sagen, warum ich die Maschine gleich angestellt hab. Das mach ich sonst nie, aber Betrunkene eben … ich hab mir die eine Nacht nach einem Saufgelage bei meinem besten Kumpel auch schon im Conbini einen Schokoladenkuchen gekauft, obwohl ich von Schokolade Nasenbluten kriege. Und wo wir grade beim Essen sind: Willst du auch eins?“ Während er mir die Umstände seines Nicht-Anrufens erklärt hatte, hatte er natürlich auch sein Eis nicht vergessen, das ihm sonst – ebenso wie das von Chacha – unter den Fingern weggeschmolzen wäre. Jetzt hielt er es jedoch deutlich sichtbar hoch und schaute mich fragend an.

Es kam ein bisschen plötzlich, sodass meine Reaktion etwas verzögert kam, aber sie kam mit einem Lächeln: „Äh … klar, gerne.“

„Na, dann …“, murmelte Gackt noch, ehe er die freie Hand in seine Hosentasche schob und ein bisschen darin herumwühlte. Dabei klimperte es, als würde er die Münzen lose darin aufbewahren. Und tatsächlich förderte er dann einen einzelnen Schein und jede Menge Münzen zutage, die er mir alle hinhielt. „Ein kleines Softeis kostet 200 Yen, ein großes 350. Bei den Kugeln bist du mit 100 Yen pro Stück dabei, wenn ich nicht vollkommen danebenliege. Nimm's dir einfach weg.“

„Danke …“, sagte ich und pickte mir dabei Münzen im Wert von 350 Yen von seiner Handfläche, während Gackt sich wieder dem tropfenden Eis in seiner Hand zugewandt hatte. Dann verschwand ich in dem kleinen Café, aus dem ich Gackt und Chacha vorhin hatte kommen sehen und in dessen unmittelbarer Nähe wir noch immer standen. Das Angebot war so groß, dass ich aus gefühlten fünfzig verschiedenen Sorten wählen konnte und mich schlussendlich doch für das entschied, was ich immer nahm: Nussnougat.

Als ich wieder herauskam, war Gackt mit seinem Eis schon fast fertig und knabberte bereits an der Waffel herum, sodass er nun zumindest keine Gefahr mehr lief, sich die Hände weiter einzusauen. Bei mir begann das nun erst.

„Gehen wir ein Stück?“, fragte er auch direkt, sobald ich in Hörweite war, worauf ich nickte.

„Hm“, summte ich zustimmend und folgte Gackt, als der sich umdrehte und sich anschickte, die Fußgängerzone in die andere Richtung als Chacha hinunterzugehen. „Hast du irgendein bestimmtes Ziel?“

„Och … nö … einfach mal schauen, was sich so ergibt. Haben wir das denn jemals anders gemacht?“, entgegnete er mir darauf schmunzelnd.

„Du meinst die zwei Treffen, die wir bisher hatten?“, meinte ich dazu nur und schleckte an meinem Eis, damit es mir nicht noch davonlief.

„Genau die. Übrigens hätte ich dich vorhin fast nicht erkannt, du siehst bei Tageslicht ganz anders aus.“

„Ach, echt?“, gab ich mich überrascht, „du überhaupt nicht. Sonst hätte ich dich sicher noch übersehen“

„Ich sehe bei so hellem Licht nicht sehr gut“, lautete Gackts Erklärung dazu, „meine Augen sind ziemlich lichtempfindlich, aber heute scheint auch die Sonnenbrille nicht viel zu taugen.“

„Kannst du mich denn dann jetzt überhaupt richtig sehen?“

„Lässt sich rausfinden“, meinte er, blieb plötzlich stehen und hielt mich am Oberarm fest, damit auch ich nicht weiterlief. Dann schob er sich den übrig gebliebenen Boden seiner Eiswaffel in den Mund, kaute kurz und schluckte es dann herunter, ehe er wieder grinste und sich dann ganz nahe zu mir herunterbeugte, sodass sich unsere Nasenspitzen sicherlich fast berührten. Ich verspürte den Drang, etwas von ihm abzurücken, da die Bewegung etwas zu schnell und unerwartet kam und ich diesmal nicht darauf vorbereitet war, dass er in meinen persönlichen Bereich eindringen würde. Bisher hatte er mir immer einen Moment gegeben, um mich daran zu gewöhnen und seine Nähe zu akzeptieren. Und trotzdem hielt ich dem stand und wartete, was Gackt noch vor hatte. Dabei spürte ich auch, wie meine Ohren langsam warm wurden, weil er so dicht bei mir stand und sich meine Gedanken dadurch kurz zu den Geschehnissen aus meinem Traum zurückschlichen. Ich konnte gar nicht genau sagen, ob ich nicht vielleicht sogar hoffte, dass er das tatsächlich mit mir tun oder mich zumindest küssen würde.

„Ja, eindeutig Hyde, kein Zweifel“, urteilte Gackt schließlich und lehnte sich dann wieder zurück. „Wäre auch zu schade gewesen, wo ich dich jetzt wiedergefunden hab.“

„Du mich?“, hakte ich nach, um meine Gedanken wieder loszueisen, „hast du mich denn überhaupt gesucht?“ Dabei setzten wir uns auch wieder in Bewegung und schlenderten weiter die Straße hinunter.

„Klar, hab ich. Ich bin zur Uni, als ich die Zeit dazu hatte, und hab mich nach dem Institut für Kunst erkundigt, aber die haben mir gesagt, dass bis zum Oktober keine regulären Veranstaltungen mehr sind. In der Bar war ich auch noch mal, aber anscheinend bist du nicht wie die ganzen anderen Studenten, die dort so rumhängen, und gehst kaum vor die Tür … oder in Studentenbars. Zumindest hab ich keinen gefunden, der dich oder deine Freunde kannte.“

„Gehe ich tatsächlich nicht“, bestätigte ich ihm, „also … in Bars. Wird auf die Dauer zu teuer.“

„Stimmt … da hab ich dann jedenfalls aufgegeben. War schade, aber …“

„Aber das Leben geht weiter, ne?“ War schade …

„Äh, nein … jetzt ist es abgehakt, wollte ich sagen“, meinte Gackt mit einem kleinen Stirnrunzeln, lächelte dann aber wieder und griff noch einmal in seine Hosentasche – diesmal war es jedoch die andere, „du wolltest doch meine Telefonnummer haben. Und ich brauch deine auch noch mal. Gibst du mir dein Handy?“

„Ah, natürlich … hier.“ Ich händigte ihm mein Telefon aus, damit er unsere Nummern austauschen konnte, während ich weiter an meinem Eis leckte. Doch er nahm es mir nicht gleich ab, sondern zögerte kurz und begann zu lachen. Und was er so witzig fand, bemerkte ich erst, als er auch sein Handy in der Hand hielt … und reagierte genau wie er. Es war dasselbe Modell wie meins!

„Wie cool ist das denn?!“, kommentierte Gackt dazu, „ich schwöre, ich wusste nicht, was deins für eins ist, als ich mir das gekauft hab.“

„Glaub ich dir schon.“

„Das ist ja fast schon Schicksal, ne?“ Er schaute mich von der Seite her an und schmunzelte dabei.

„Könnte sein“, stimmte ich ihm ebenfalls schmunzelnd zu und leckte dann wieder an meinem Eis, als ein dicker Tropfen gefährlich nahe an meinem Daumen war. Und als ich den Blick wieder auf Gackt richtete, starrte er mich sogar an und hatte bis eben anscheinend an seiner Unterlippe gekaut, denn ich bekam gerade noch mit, wie seine Zähne sie wieder losließen.

„Ist was?“, fragte ich ich direkt danach, „hab ich was im Gesicht?“

Gackt verneinte das jedoch lächelnd und schüttelte dabei auch den Kopf: „Nein … aber du siehst sexy aus.“

„Wie?!“

„Ach, komm schon! Als ob du nicht genau wüsstest, wie du andere um den Finger wickeln kannst.“ Da hatte er recht, das wusste ich ziemlich gut. Trotzdem!

„Hab ich doch jetzt gar nicht“, kam es daher unschuldig von mir.

„Spielt keine Rolle“, blieb Gackt allerdings bei seiner Meinung und wandte den Blick schließlich wieder nach vorne, „du siehst absolut sexy aus. Selbst wenn du nur ein Eis isst.“

Wenn er so weitermachte, würde ich tatsächlich noch rot anlaufen, ohne etwas dagegen tun zu können. Vorhin hatte ich es ja noch erfolgreich verhindern können, aber so langsam wurde es immer schwerer, meine Gedanken davon abzuhalten, in gewisse Richtungen zu gehen. Wie Tetsu schon gesagt hatte, würde ich so oder so mit ihm darüber reden müssen, aber ich war mir nicht ganz sicher, ob ich das direkt jetzt schon ansprechen wollte. Zur Hölle, ich wusste ja noch nicht einmal, ob ich auch tatsächlich tun wollte, was Gackt und ich in meinem Traum getan hatten. Davon zu träumen war eine Sache und … ich hatte ja auch schon davon geträumt, durch einen riesigen Pool voller Bälle zu schwimmen – so einer, wie sie in Einkaufszentren oft in der Kinderspielecke standen, nur eben in Großformat – und trotzdem hieß das noch lange nicht, dass ich mich auch wirklich gleich ins nächste Einkaufszentrum aufmachen und dem nachgehen würde. Jedenfalls würde ich noch ein bisschen warten, ehe ich diese Traum-Sache ansprach … fragte sich nur, wie lange ich es aushalten würde, wenn Gackt sich schon die ganze Zeit so komisch verhielt oder Andeutungen in die Richtung machte. Aber bei einem war ich mir ziemlich sicher: Ich würde das garantiert nicht auf offener Straße ansprechen … wenn die Gefahr bestand, dass ich mich wieder von ihm hinreißen lassen würde … wir hatten da ja schon einschlägige Erfahrungen gemacht.

Ich konzentrierte mich nun mehr denn je auf mein Eis, während Gackt damit beschäftigt war, unsere Handynummern auszutauschen und einzuspeichern … auch wenn ich nicht ganz umhin konnte, ihm ab und an ein paar Blicke von der Seite her zuzuwerfen. Dabei bemerkte ich auch, dass er meine Nummer in seinem Telefon mit der linken Hand eingab und dabei genauso schnell war wie ich mit der rechten. Linkshänder also, schoss es mir durch den Kopf, allerdings wurde ich recht schnell eines Besseren belehrt. Denn als Gackt mit seinem Handy fertig war, schob er es sich in die Hosentasche und tippte nun bei mir Zahlen ein – und zwar noch immer mit der rechten Hand, in der er mein Handy die ganze Zeit schon gehalten hatte, wobei er ebenfalls nur ein paar Sekunden brauchte.

„Woah!“, stieß ich aus, worauf Gackt den Kopf hob und mich wieder ansah, „du kannst das mit beiden Händen?!“

„Klar.“

„Was heißt hier klar? Wenn ich mit links so was machen will, wird es entweder schludrig oder ich brauche sehr lange dazu. Meistens aber beides. Was bist du denn für einer?“

„Ganz einfach“, begann Gackt mit seiner Erklärung und zuckte dabei mit den Schultern, als ob es tatsächlich nichts wäre, „ich hab es mir antrainiert, wenn mir in der Schule langweilig war. Man sitzt nur rum, Stift und Papier sind sowieso da und die Lehrer merken es auch nicht, wenn du die falsche Hand benutzt. Die denken nur, du schreibst alles fleißig mit.“

„Aha“, sagte ich in einem immer noch ziemlich beeindruckten Tonfall, „und was bist du eigentlich? Also, links oder rechts?“

„Linkshänder. Aber es ist sehr viel bequemer, mit beiden Händen ungefähr gleich geschickt zu sein. Und man kann echt viele Leute damit beeindrucken … hast du ja grade erst bewiesen.“ Auf die letzte Bemerkung hin grinste er sogar wieder so diebisch wie damals, als er sich meine Telefonnummer endlich erbettelt hatte. Dieser kleine, Pardon – große Angeber!

Er tippte den Kontakt noch fertig ein und reichte mir dann mein Telefon wieder, was ich ihm allerdings nicht sofort abnehmen konnte, weil ich mir erst die Finger noch irgendwie sauber machen musste, um den Touchscreen nicht zu verschmieren. Daher steckte er es erst einmal in seine Hosentasche, bis ich es ihm dann endlich würde abnehmen können.

„Ist kein Problem“, meinte er nur. „Und hast du dir denn heute vielleicht irgendwas vorgenommen? Ich hätte jetzt nämlich keine Ahnung, was wir machen könnten, außer in der Gegend rumzulaufen.“

„Nicht wirklich. Karaoke vielleicht?“

„Nee, ich geh mit dir in keine Karaokebox!“

„Aha. Und wieso mit mir nicht?“

„Ach, eigentlich auch generell nicht. Ich … kann nicht singen.“

„Aber es geht doch um den Spaß und nicht darum, wer besser ist.

„Du kannst also singen?“

„Na, schlecht bin ich nicht. Auf alle Fälle besser als Ken und Yuki … Freunde von mir. Aber das juckt die beiden auch nicht und sie machen immer mit.“

„Da bist du bei mir trotzdem an der falschen Adresse. Sorry, Hyde“, stellte Gackt sich weiterhin stur. Vielleicht war es auch besser so … Karaokeboxen.

„Okay, dann schlag du was vor.“

„Was trinken gehen?“

„Haben wir das nicht immer getan, wenn wir uns getroffen haben?“

„Dann passt es doch gut rein, nicht?“

„Ich hatte heute eigentlich nicht vor, was trinken zu gehen“, gab ich meine Bedenken preis, denn das war noch wesentlich schlimmer als die Karaokebox, auch wenn ich gerade nicht genau wusste, was Gackt von der ganzen Situation hielt. Offensichtlich wollte er nicht mit mir allein sein, aber auf der anderen Seite konnte Alkoholeinfluss so viel verändern und am Ende passierte noch irgendetwas, was uns beiden so unangenehm war, dass wir nie wieder ein Wort mehr miteinander reden würden. Zwar kannten wir uns noch nicht so gut, aber ich wollte auch den Kontakt zu Gackt nicht so früh abbrechen, wenn da eindeutig noch einige ungeklärte Dinge zwischen uns waren. Ich wollte unbedingt herausfinden, was hinter seiner lockeren Fassade steckte und gleichzeitig mein eigenes Chaos endlich ordnen.

Wir waren in Schweigen verfallen, während wir beide drüber nachdachten, wie wir den restlichen Abend irgendwie sinnvoll nutzen konnten. Dabei liefen wir jedoch immer weiter die Passage hinunter und als wir an einem Laden vorbeigingen, in dem es leuchtete und blinkte, kam mir die rettende Idee.

„Schau mal da!“, rief ich, blieb auch direkt stehen und zeigte auf das Game Center, unter dessen Markise zu beiden Seiten des Eingangs je ein Automat mit Trommeln stand. Dabei sah ich Gackt ins Gesicht und wartete auf seine Reaktion, die ziemlich gut ausfiel.

„Taiko Drums, super“, stimmte er mir lachend zu, „ich werd jedes Mal süchtig danach, wenn ich einmal angefangen hab.“

„Ich hab's noch nie selber gespielt“, lautete mein Kommentar, „aber es scheint Spaß zu machen. Bist du gut drin?“

„Na, hör mal“, entgegnete er glucksend, „ich arbeite als Schlagzeugtechniker in einem Tonstudio. Klar, kann ich das! Das Spiel gibt’s auch für ein paar Handhelds, aber da bin ich nicht ganz so gut wie mit richtigen Drumsticks in der Hand.“

„Da lohnt es sich ja gar nicht, gegen dich zu spielen.“

„Ach, keine Sorge, Hyde-chan“, meinte Gackt daraufhin, legte einen Arm um meine Schultern und führte mich zu dem Game Center hinüber, „ich lass dir eine faire Chance.“

„Äh … danke“, stotterte ich leicht, als er mich an seinen Körper zog. Vor einiger Zeit hatte Ken das auch mit mir gemacht und da hatte es mich nicht im Geringsten gejuckt. Jetzt jedoch kribbelte es überall und ich konnte erneut Hitze in mir aufsteigen spüren. Es war das erste Mal, dass ich Gackt wieder so nahe war … bis auf vorhin die Umarmung zur Begrüßung, aber da war ich so sauer auf ihn gewesen, dass ich es nicht gemerkt hatte. Gackts Präsenz war mir plötzlich schrecklich bewusst.

Doch bevor ich meine Gedanken noch weiter vertiefen konnte, standen wir schon vor den Trommeln und Gackt wühlte erneut in seiner Hosentasche nach Münzen.

„Also …“, begann er, mir das Spielprinzip zu erklären und ließ mich dafür natürlich los. Dann drückte er mir zwei Drumsticks an Schnüren in die Hand und tat es mir an der Konsole nebenan gleich. „Bei den kleinen roten Symbolen musst du auf die Fläche schlagen, bei den kleinen blauen auf den Rand und bei den langen gelben ist es egal, wohin du haust. So.“

Er machte es mir kurz vor und wartete darauf, dass ich es ebenfalls ausprobierte, ehe er fortfuhr: „Wenn die Symbole groß sind, musst du mit beiden schlagen, entweder in die Mitte oder auf den Rand.“ Abermals zeigte er es mir, wobei die Animation, die dafür auf dem Bildschirm erschien, tatsächlich sehr viel bunter war als vorher noch.

Ich zeigte ihm auch hier, dass ich seine Anweisungen verstanden hatte, und Gackt nickte abschließend: „Das war's dann eigentlich schon.“

„Okay, dann mal los“, stimmte ich ihm zu und wartete darauf, dass er das Spiel startete. Eine Münze hatte er schon eingeworfen und konnte sich deshalb direkt durch die Songauswahl navigieren. Die bediente er ebenfalls durch gezieltes Schlagen der Trommel und blätterte auf diese Weise eine ziemlich umfangreiche Liste durch. Ich konnte nur noch sehen, durch welche Kategorien wir uns bewegten. Neben klassischen Stücken gab es auch Kinderlieder, Musik von Animes und eine wahre Unmenge an Popsongs. Dort blieb Gackt schließlich hängen und aktivierte …

„Sakuranbo. Ist nicht so schwer, aber hört sich gut an.“

Ich hoffte, dass er recht hatte, denn ich war immer noch ein wenig konfus von der Situation, in die er mich eben förmlich gezogen hatte. Und es schien auch zu stimmen … zumindest für die ersten paar Töne, die erst einmal auf sich warten ließen und dann in gebührendem Abstand kamen. So war es für mich eher einfach, der Melodie zu folgen und den Rhythmus in das Gerät zu trommeln. Doch danach zog das Tempo merklich an und ich traf ein paarmal nicht richtig, während Gackt neben mir locker vor seiner Trommel stand und generell nur einen Stick benutzte, wenn es nicht um eines der großen Symbole in Form eines Smileys ging. Ich konnte ihn sogar überheblich grinsen sehen, als ich ihm für einen Sekundenbruchteil einen Blick zuwarf, mich dann aber wieder auf mein Spiel konzentrieren musste, um nicht ganz so weit hinter ihm zurückzufallen.

Als das Lied zu Ende war wurden uns die Punkte angezeigt und obwohl ich gedacht hatte, mich gar nicht ganz so schlecht zu schlagen, hatte Gackt fast doppelt so viel auf dem Konto wie ich.

„Mach dir keinen Kopf“, setzte er dann auch direkt zur Beruhigung an, „ich hab das so oft gespielt, dass ich fast alles perfekt treffe. Und bei dir waren ein paar Patzer dabei, die die Kette unterbrochen haben. Das liegt alles nur am Bonus.“

„Hm …“

„Los, noch eins, wir haben noch mindestens zwei. Vielleicht schlägst du mich ja jetzt“, spornte Gackt mich an und war schon dabei, nach dem nächsten Lied zu suchen. Es war das Thema zu Super Mario und schien mir tatsächlich besser zu liegen als der Popsong – ich gewann, wenn auch nur deshalb, weil Gackt sich nicht richtig anstrengte.

„Hey!“, protestierte ich daraufhin gleich, „du schummelst!“

„Wo schummele ich denn?“, lautete seine übertrieben unschuldige Entgegnung, „du hast doch gewonnen.“

„Ja, weil du mich hast gewinnen lassen!“

„Und wieso beschwerst du dich jetzt?“

„Weil ich richtig gewinnen will.“

„Glaubst du wirklich, dass du das schaffst?“

„Gackt!“

„Nächster Song!“, verkündete er, ohne auf meinen erneuten Ausruf einzugehen, blätterte erneut durch die Auswahl und startete die neue Runde, sodass ich mich wieder abregen musste, um mich wieder auf das Spiel konzentrieren zu können.

So beschäftigten wir uns eine Weile und ich begann, Gackt zu verstehen: Das hier machte tatsächlich extrem süchtig und ich wollte einfach immer noch einen und noch einen und noch einen. Wahrscheinlich lag es auch daran, dass ich Gackt unbedingt aus eigener Kraft in die Knie zwingen wollte.

So langsam bekam ich den Dreh für das richtige Timing auch raus, sodass Gackt zwar immer noch besser als ich war, aber nicht mehr haushoch überlegen. Und als er das merkte, griff er wirklich zu unfairen Mitteln: Er spielte wie bisher meist mit nur einer Hand und begann irgendwann, mich gelegentlich mit dem anderen Drumstick in die Seite zu pieksen. Mich, der ich noch beide Hände brauchte, lenkte das natürlich ab, sodass ich prompt ein paar Schläge danebensetzte und wertvolle Punkte liegenließ.

„Hey!“, rief ich, kam aber nicht zu mehr, da das Spiel noch lief. Ich versuchte, weiterzumachen, doch Gackt ließ nicht locker: Er neckte mich immer weiter und ließ schließlich sogar alles stehen und liegen, als er seine Arme einfach um meinen Bauch schlang und mich von der Konsole wegzog. Er ließ mich dann auch nicht wieder los, ehe das Spiel nicht vorbei war, sondern hielt mich in der Luft, denn vor der Unterbrechung hatte natürlich er noch vorne gelegen. Ich trat wie automatisch mit den Beinen aus und versuchte, den Griff, der mich festhielt, zu lösen. Doch es brachte nichts – Gackt war einfach in der besseren Position und ich hatte keine Möglichkeit, mich irgendwo abzustützen oder Kraft zu sammeln.

„Gaaackt!“, rief ich ein letztes Mal, bevor ich endlich wieder auf meinen eigenen Füßen stand. Natürlich begrüßte mich nichts anderes als ein fettes Grinsen und ein glucksendes Lachen, als ich mich umdrehte. „Das war unfair!“

„Nein, das war lustig“, fiel ihm dazu jedoch nur ein und er wirkte glatt so, als ob nichts gewesen wäre, während er wieder an den Spielautomaten trat und eine weitere Münze einwarf. „Kommst du dann?“

„Gegen dich spiel ich nicht mehr“, widersprach ich ihm, zog eine Schnute, verschränkte die Arme vor der Brust und bewegte mich nicht vom Fleck. Außerdem schaute ich ihn böse an, selbst wenn ich nicht wirklich sauer auf ihn war. Aber er hatte mich eben geärgert und ein bisschen schmollen durfte man ja noch.

„Dann eben nicht“, war Gackts Kommentar dazu und ich konnte sehen, wie er den Spielmodus wechselte und auf Einzelspieler einstellte. Das überraschte mich dann doch ein wenig, denn ich hatte nicht erwartet, dass es ihm so entschieden egal sein würde. Allerdings irrte ich mich, wenn ich dachte, dass er einfach allein weiterspielen wollte.

Gackt kam wieder einen Schritt auf mich zu und bugsierte mich zurück zu der Trommel, an der er bisher gespielt hatte. Abermals drückte er mir die Drumsticks in die Hand und stellte sich schließlich hinter mir auf, die Hände auf meine gelegt.

„Wenn du nicht mehr gegen mich spielen willst, dann machen wir das eben zusammen“, klärte er mich auf. Dabei musste sein Mund ganz dicht an meinem Ohr sein, denn ich konnte seinen Atem auf meiner Haut spüren. Der samtene, tiefe Klang seiner Stimme jagte mir Schauer über den Rücken und ich betete, dass er sich zu sehr auf das Spiel konzentrierte, um die Gänsehaut zu bemerken, die mir dies bescherte.

Wie ich es durch diese Runde schaffte, konnte ich nicht sagen, war ich doch viel zu sehr darauf bedacht, nicht noch komischer auf Gackts Nähe zu reagieren. Ich überließ ihm daher die meiste Arbeit und leistete lediglich keinen großartigen Widerstand gegen die Bewegungen. Zumal er dann auch noch auf die Idee kam, sich richtig an mich zu schmiegen, sodass es mich natürlich wieder an unsere letzten Treffen erinnerte.

„Schon besser“, raunte er mir wieder ins Ohr, ehe er die Hände von mir nahm, einen Schritt zurücktrat und mir meinen Freiraum zurückgab. „Willst du jetzt wieder mit mir spielen?“

Wenn es möglich war, dann wurde ich jetzt sicher noch ein wenig roter im Gesicht als ohnehin schon, und wandte daher den Kopf ab, damit Gackt es nicht sah. Da er es auch nicht ansprach, vermutete ich stark, dass ihm nichts aufgefallen war, denn wäre dem so, hätte er es sich definitiv nicht nehmen lassen, etwas anzumerken. Gott, ich musste es ihm definitiv sagen, aber so wie er sich bisher benahm, wusste ich kein bisschen besser, wie ich das anstellen sollte.

Schließlich schlug ich ein und rückte wieder vor die andere Trommel, in der Hoffnung, dass es mich schnell ablenken und meine Beklemmung wieder zerstreuen würde. Wie schlimm es wohl noch werden würde?
 

tbc.

Deep Red

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Trouble

2. November …
 

Nie wieder ist eine sehr lange Zeit. Für mich war sie das jedoch nicht, denn mein nie wieder dauerte nur geschätzte sechs Wochen. Sechs Wochen, in denen Gackt zu Anfang täglich mehrmals versuchte, mich zu erreichen. Wenigstens war er so fair, seine Nummer nicht zu unterdrücken, sodass ich immer sehen konnte, ob er es war, und damit auch entscheiden konnte, nicht ranzugehen. Ich wusste nicht, was er von mir wollte – fragen, wie es mir ging, was los gewesen war, ob ich mich wieder besser fühlte, ob er etwas falsch gemacht hatte, ob wir es denn jetzt noch einmal probieren wollten, was für ein Mimöschen ich denn wäre, ob ich tatsächlich glaubte, dass er mich jetzt noch einmal wiedersehen wollte. Die Palette war breit und je nach Laune ging ich von einer anderen Reaktion seinerseits aus. Doch meine Reaktion war immer dieselbe: warten, bis er aufgab und auflegte. Das ging ungefähr eine Woche lang so, dann wurde es weniger und schließlich hörte es auf.

Schön, dachte ich nur, jetzt wurde ich nicht immer wieder an dieses Fiasko erinnert und würde mein Intermezzo mit Gackt ein für alle Mal vergessen können. Aber das wäre zu einfach gewesen, nicht wahr? Ganz genau!
 

Wenn mir im Sommer schon der richtige Elan für meine Hausarbeiten etwas abhanden gekommen war, dann sah es jetzt bei meiner Abschlussarbeit noch schlimmer aus. Ich war noch richtig froh gewesen, als man mir am zweiten Tag nach Semesterbeginn gesagt hatte, dass mein Thema bewilligt worden war und ich nun offiziell anfangen könnte, doch das hatte sich schnell gelegt. Der Berg an Arbeit schreckte mich zwar nicht ab, aber es war schwer, sich immer wieder dazu zu motivieren, ein Stückchen mehr davon abzutragen. Meine Tage bestanden noch immer nur aus lesen, lesen, lesen und Notizen dazu machen und trotzdem war es frustrierend, wie langsam es anscheinend nur voranging. Denn immer wieder entdeckte ich noch neue Sekundärtexte, die ich mir ansehen wollte oder eher sollte, um bloß nichts zu verpassen, was Wichtig sein könnte. Gleichzeitig hatte ich umso weniger Lust darauf, je höher der Stapel an ungelesenem Material wurde. Daneben hatte ich mich auch noch für einen Kurs eingeschrieben, der sich in etwa mit dem Thema meiner Arbeit befasste und bei dem ich hoffte, dass er mir vielleicht noch einen anderen Blickwinkel oder zumindest noch einige Literaturhinweise verschaffen könnte. Noch mehr Arbeit also, die mich einnehmen konnte.

Aber so wahr der Mythos von der ablenkenden Arbeit auch war, so hart traf mich dann wieder die Welle der Betrübnis, als ich die Bibliothek und das Seminargebäude am Ende des Tages verließ und meinem Kopf eigentlich wieder etwas Entspannung gönnen konnte. Deswegen verbrachte ich noch mehr Zeit mit Tetsu und den anderen, als ich es für gewöhnlich tat. Allerdings ließ ich es dabei nicht zu, dass wir irgendwo hingingen, wo ich zufällig einem gewissen jemand begegnen könnte. Ich unternahm mit meinen Freunden deshalb nur innerhalb unserer Wohnungen etwas oder – wenn sie denn aufgrund des für Oktober immer noch sehr schönen Wetters auf einen anderen Treffpunkt bestanden – spatzierte mit ihnen durch den Teil der Innenstadt, der so weit wie möglich von Gackts Wohnung entfernt war. Ich war dabei so in Sorge, dass ich ihm wieder begegnen könnte, dass es auch dann keine wirkliche Ablenkung für mich gab, wenn ich mich eigentlich genau deswegen an jemand anderen wandte.

Und dann waren da noch die Zeiten, in denen ich zwangsläufig allein war: die Nächte – in denen ich paradoxerweise nun mehr denn je von Gackt träumte. Und natürlich waren sie voll von dem, was wir auch in der Realität getan hatten … nur dass ich dort nicht in nackter Panik floh, sondern Gackt mich immer bis an den Rand des Höhepunkts trieb, indem er mich mit der Hand und manchmal auch mit dem Mund verwöhnte, mich anschließend ganz nahm und mir damit den Rest gab. Natürlich empfand ich dabei keinerlei Schmerzen … wie Träume eben so waren.

Aber ich verstand absolut nicht, wieso ich so etwas träumte. Wieso sehnten sich mein Körper und offensichtlich auch mein Unterbewusstsein so sehr nach etwas, dass mir ansonsten eine Höllenangst einjagte? Und was versuchte ich hier eigentlich, durch rationales Denken auf eine Lösung zu kommen? Ich hatte doch schon festgestellt, dass es vollkommen unnormal und auch ziemlich bescheuert war, auf jemanden zu stehen, den ich nur so wenig kannte. Irgendwas hatte sich da tief in mir festgesetzt, schmollte und blockierte damit so ziemlich alles andere. Was zur Hölle sollte das eigentlich?! Ich verstand mich selbst nicht mehr. Und damit war ich auch nicht der einzige.
 

„Doiha“, sprach Tetsu mich an, „hörst du, Doiha?“

„Hm“, grunzte ich zum Zeichen, dass er weiterreden konnte. Ich lag auf der Couch in seinem Zimmer und starrte auf den Fernseher, in dem gerade irgendeine Talkshow mit irgendeinem Musiker lief, der über sein neues Album sprach. Er hatte eigentlich nicht wirklich Zeit für mich gehabt, sondern musste noch eine Präsentation vorbereiten, da er – ähnlich wie ich – immer noch Veranstaltungen besuchte. Allerdings tat er das nicht ganz freiwillig, sondern musste etwas wiederholen, was er im letzten Semester leider versemmelt hatte. Das hatte er nun davon, dass er seine Arbeit den halben Sommer lang liegen ließ und dann alles auf den letzten Drücker zu erledigen versuchte. Und auch jetzt ließ er sie wieder liegen, um sich mit mir zu unterhalten, obwohl er den Rest des Nachmittags doch recht diszipliniert an seiner Präsentation gefeilt hatte.

„Ich frage mich wirklich, was in letzter Zeit mit dir los ist, Doiha“, sprach Tetsu aus, was ihm offensichtlich auf der Seele brannte. Und ich verdrehte die Augen, denn dieses Gespräch hatte er nicht zum ersten Mal mit mir führen wollen. Ich hatte nur immer abgeblockt und das würde ich heute ebenfalls tun.

„Was soll schon mit mir sein?“, antwortete ich ihm erst einmal mit einer Gegenfrage, ohne auch nur in seine Richtung zu blicken.

„Na ja, einfach alles eben“, versuchte mein bester Freund, es mir zu erklären, „das ist unser letztes Semester und anstatt pausenlos über deiner Arbeit zu sitzen, hängst du ständig irgendwo anders rum. Bei mir, Ken oder Yuki oder du haust uns an, dass wir irgendwo hingehen und was machen. Ich hatte eigentlich schon befürchtet, dass du ganz in die Bibliothek einziehst, um ja keine einzelne Minute zu verschwenden. Und ich … oder eher wir fragen uns, woran das liegt.“

„Stört es dich denn, dass ich so oft hier bin?“, lautete eine weitere meiner Gegenfragen.

„Ich würde ja jetzt gerne irgendwas Sarkastisches antworten, aber dazu ist es mir einfach zu ernst, Doiha. Nein, es stört mich nicht, dass du hier bist. Aber es ist ja auch nicht so, dass wir zusammen was machen würden, wenn du da bist. Meistens sitzt du einfach nur daneben und siehst … müde aus. Man kann fast das Gefühl kriegen, dass du dir einfach nur jemanden suchst, der da ist, um da zu sein. Das ist so vollkommen untypisch für dich und deshalb mache ich mir Sorgen – ich werde einfach nicht mehr schlau aus dir. Und du erzählst mir ja kaum noch was.“ Hm … damit könnte er vielleicht sogar recht haben. Ich wusste es nicht und ich wollte genauso wenig darüber nachdenken. Auf alle Fälle stimmte es, dass ich ihm nichts über die Sache mit Gackt gesagt hatte, obwohl er es hatte wissen wollen. Er hatte bei unserem nächsten Treffen ganz scherzhaft danach gefragt. Und weil ich ihn vehement mit irgendwelchen Phrasen abgewimmelt hatte, hatte er natürlich weiter gebohrt, bis ich halb ausgetickt war.

„Kannst du nicht endlich mal die Klappe halten?!“, hatte ich ihn angeschrien und es hatte mir auch sofort leid getan. Aber es war die reine Wahrheit gewesen und Tetsu wusste das genauso gut wie ich – er hatte gespürt, dass ich wirklich nicht darüber hatte reden wollen, und es deshalb erst einmal nicht mehr angesprochen. doch es schwelte seitdem in ihm drin, das wusste ich nur zu gut. Er hatte noch einige weitere Versuche durch die Blume hindurch gestartet, indem er immer mal wieder beiläufig gefragt hatte, ob ich Gackt in letzter Zeit getroffen hätte. Er hatte das netterweise dann auch aufgegeben, als ich leicht murrend verneint hatte. Und so verhielt es sich noch bis heute, denn es war nicht nur so, dass ich Gackt nicht mehr in die Augen sehen konnte … wollte, auch meinen Freunden gegenüber wollte ich diese Peinlichkeit … na ja, ich wollte es eben niemandem erzählen. Dass Gackt es wusste, weil er dabei gewesen war, reichte vollkommen aus. So weit war es nun also schon gekommen – ich vertraute meinem besten Freund nicht mehr an, was mich so belastete, meinem eigentlich besten Freund.
 

„Doiha?“, hakte Tetsu nun wieder nach, weil ich zu seinen Vorwürfen nichts gesagt hatte.

„Das bildest du dir nur ein, Tet-chan“, sagte ich abwehrend, stützte mich auf den linken Ellenbogen und drehte mich nun endlich etwas zu ihm, um ihn ansehen zu können, „es ist alles in Butter. Ich gehe das alles nur etwas lockerer an, so wie du es gesagt hast. Das hier ist mein letztes Semester und ich denke so langsam, dass ich vielleicht doch mehr von meiner Studienzeit hätte genießen sollen. Das ist jetzt die letzte Gelegenheit dazu.“

„Und deine Abschlussarbeit? Ich hab schließlich nicht gesagt, dass du alles schleifen lassen sollst.“

„Das krieg ich schon hin. Du kennst mich doch – immer zuverlässig, immer pünktlich, immer strebsam.“

„Jetzt ziehst du die ganze Sache ins Lächerliche, Doiha“, seufzte Tetsu und schüttelte den Kopf.

„Ist ja gut. Ich hab mir genau ausgerechnet, wann ich mit dem Schreiben anfangen muss, um alles zu schaffen und trotzdem noch einen Puffer für die Korrektur am Ende zu haben. Die nächsten zwei Monate gehen noch für die Recherche drauf. Zufrieden?“, leierte ich herunter.

„Na ja. Ich möchte trotzdem wirklich wissen, was dich geritten hat, dass du auf einmal so eine Kehrtwendung hingelegt hast. Ich wette, es hat mit Gackt zu tun.“

„Hat es nicht.“

„Und du denkst wirklich, dass ich dir das glaube?“

„Ja, weil-“

„Jetzt hör doch endlich auf, mir was vorzulügen, Hideto!“, rief Tetsu auf einmal, ohne mich vorher ausreden zu lassen, „du denkst wohl, dass ich vollkommen beschränkt bin, oder was?! Seit Wochen bist du so seltsam drauf – und zwar seit genau dem Tag, an dem ich mit Gackt telefoniert hab und er mir gesagt hat, dass du bei ihm übernachtet hättest. Seitdem hast du dich auch nicht mehr mit ihm getroffen, obwohl du vorher noch so gejammert hast, dass er nicht anruft. Was zur Hölle ist an dem Tag passiert? Hat er dir irgendwas getan? Hat er dich zu was gezwungen? Hideto, rede doch bitte mit mir!“

Nun war es an mir, zu seufzen. Was sollte das denn? Konnte er mich nicht einfach damit in Ruhe lassen? Er hatte es doch bisher auch getan! Wieso ließ er jetzt nicht locker?

„Er hat nichts gemacht“, sagte ich dann doch und gab somit zum ersten Mal etwas von dem preis, was nicht in mein Alles-ist-wunderbar-Bild passte, das ich den anderen immer vorhielt, „es lag an mir und wir sehen uns jetzt nicht mehr, Ende. Es war sowieso eine total bescheuerte Idee …“

„Was war eine bescheuerte Idee?“, fragte Tetsu sofort nach. Offensichtlich hatte er Blut gewittert und glaubte jetzt, dass er mich endlich ausquetschen konnte. Aber da hatte er sich geschnitten – ich würde nicht den Fehler machen und mit ihm darüber reden. Ich wollte es doch einfach nur vergessen!

„Alles mit Gackt war eine bescheuerte Idee. Mich damals auf der Halloweenparty auf ihn einzulassen, mich an seinem Geburtstag wieder auf ihn einzulassen und erst recht zu denken, dass ich mit ihm befreundet sein könnte.“

„Aber irgendwas muss doch vorgefal-“

„Dann ist eben was vorgefallen!“, platzte es schließlich doch aus mir heraus, wenn es Tetsu dann wenigstens endlich dazu brachte, mich nicht weiter zu löchern. Als ich aber merkte, dass ihn das natürlich ganz und gar nicht von dem Thema abbringen würde, ruderte ich wieder wild zurück: „Denk doch, was du willst. Was interessiert dich Gackt eigentlich so sehr? Du hast ihn sowieso nicht gemocht.“

„Ich hab nie gesagt, dass ich ihn nicht mag“, wandte Tetsu allerdings ein, „ich kenne ihn ja noch weniger als du und er interessiert mich deshalb auch nicht. Aber um dich mache ich mir Sorgen … und dass er irgendwas mit dir angestellt haben könnte, was dir ganz und gar nicht gut getan hat.“

„Hat er aber nicht. Okay?“

Natürlich war es nicht okay, das konnte ich nur zu gut sehen. Tetsu saß auf seinem Schreibtischstuhl, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und die Lippen geschürzt. Dabei blickte er mich mürrisch an und brabbelte irgendetwas vor sich hin, was ich nicht verstand. Aber er gab nach, das konnte ich ebenfalls sehen. Denn auch das war Tetsu – so stur er sein konnte, so würde er gleichzeitig immer dafür sorgen, dass wir uns nicht unnötig weiterstritten, wenn sich die Fronten verhärtet hatten. Und das hatten sie in diesem Falle aufs Extremste. Doch ich konnte mir sicher sein, dass der Waffenstillstand bei diesem Thema kein endgültiger sein würde. Er würde es wieder und wieder versuchen, bis er mich eines Tages auf dem falschen Fuß erwischte und ich alles ausplauderte. Und der Tag kam.

„Kommst du denn morgen wenigstens zu dem Konzert mit?“, fragte Tetsu ein paar Minuten später sowohl vorsichtig als auch immer noch leicht mürrisch, als er sich längst wieder umgedreht und seiner Arbeit gewidmet hatte. Ich schaute schon wieder fern, bekam aber tatsächlich kaum etwas mit.

„Konzert?“, murmelte ich träge.

„Na, das von unserem Institut. Ich hab dir doch vor zwei Wochen erzählt, dass der Fachschaftsrat spenden sammeln will, damit unsere Abteilung in der Bibliothek endlich mal ein bisschen auf Vordermann gebracht werden kann. Die Bücher fallen vom vielen Lesen und Kopieren schon halb auseinander. Die Uni kümmert sich ja nicht drum, also müssen wir das selbst in die Hand nehmen.“

„Ach, du machst mit!“, rief ich, als es bei mir endlich klick gemacht hatte, „wieso hast du das denn nicht gleich gesagt?“

„Da siehst du mal, wie du mir zuhörst, Doiha! Ich mache nicht mit, weil ich genug mit mir selbst zu tun habe und da nicht noch zu den Proben gehen kann. Aber ich will es trotzdem unterstützen und außerdem sind da einige dabei, die wirklich was drauf haben. Selbst in den unteren Semestern sind einige … wenn du die hörst, haut es dich weg.“

„Na schön“, stimmte ich schließlich schulterzuckend zu. Was machte es schon, wenn ich einen Abend mal nicht auf den Sofas meiner Freunde oder in meiner eigenen Bude verbrachte? Dann würde Tetsu sich wenigstens nicht mehr beschweren, dass wir nichts zusammen machten, wenn ich da war. „Wann genau fängt es an?“

„Morgen, achtzehn Uhr.“ Das war der Tag.
 

Am nächsten Abend saß ich pünktlich um zwanzig vor sechs neben Tetsu im größten Hörsaal, den die Fakultät der freien Künste zu bieten hatte. Doch wir waren nicht allein gekommen. Mein bester Freund hatte natürlich auch Ken, Yuki und Ayana mit hierher geschleift … von den geschätzten hundert anderen Leuten, die sich wie wir zwischen die unbequemen Holzklappsitze und die ebenfalls einklappbaren Pulte gequetscht hatten, mal ganz abgesehen. Der Saal war fast voll, obwohl es noch eine Weile bis zum Beginn der Veranstaltung war – ein Bild, das man im alltäglichen Universitätsbetrieb eher selten sah, denn entweder kam der größte Schwall an Hörern erst kurz vor knapp oder es saßen immer nur dieselben paar Leute da, weil der Rest schwänzte. Und es roch nach nassem Hund, weil es – ganz typisch für diese Jahreszeit – draußen schon den ganzen Tag wie aus Eimern schüttete. Anscheinend hatte man für dieses Event kräftig die Werbetrommel gerührt, und besonders Studenten von anderen künstlerischen Fachrichtungen waren gekommen, obwohl mal bei diesem Dreckswetter doch eher zu Hause blieb als vor die Tür zu gehen. Ich erkannte darunter auch einige meiner Kommilitonen – aber unser Institut saß ja auch hier im Fakultätsgebäude, da war es kein Wunder, dass man sich gegenseitig unter die Arme griff.

„Ihr müsst auf die Nummer sechs achten“, riet Tetsu uns dann noch an, bevor er dazu keine Zeit mehr haben würde, „der ist wirklich richtig gut, obwohl er erst im zweiten Semester ist.“

„Was spielt er denn?“, hakte Ken darauf nach und beugte sich dazu etwas nach vorne, um an Yuki und mir vorbei zu Tetsu schauen zu können.

Dieser gluckste aber nur, grinste und trällerte schon fast: „Das sag ich euch nicht.“

„Und wie sollen wir ihn dann erkennen, du hohle Nuss?“, war mein Kommentar zu der Sache. Wieso tat er überhaupt so geheimnisvoll? Wir würden ohnehin recht wenig damit anfangen können. Wenigstens den Namen konnte er uns verraten, damit wir bei der Ankündigung darauf achten konnten.

„Mitzählen?“, war allerdings der Vorschlag meines besten Freundes, „und ihr könnt ihn gar nicht verfehlen. Der Kerl ist ein echt langes Elend.“

„Okay“, kam es diesmal wieder vom Ende unserer Reihe – von Ken, den Tetsus Ratespielchen in seiner grenzenlos entspannten Art wohl wesentlich weniger juckte als mich. Meh.

Die restlichen Minuten bis zum Beginn des Konzertes verplauderten wir dann noch. Wir unterhielten uns untereinander, aber auch mit umsitzenden Kommilitonen, die Tetsu erkannten und ihn ansprachen. Ein paar davon kannte ich ebenfalls, weil sie ab und an mal dabei waren, wenn ich mich mit meinem besten Freund auf dem Campus traf, um nach der Uni noch irgendetwas zu unternehmen. Ayana und Yuki, die eigentlich direkt neben uns saßen, hielten sich dabei etwas zurück, aber Ken schöpfte aus dem Vollen – besonders, wenn es ein Mädchen war, mit dem wir gerade redeten. Das kam allerdings nur zweimal vor und Tetsu warf unserem Kumpel am Ende noch einen Blick zu, der Bände sprach und eigentlich keiner weiteren Worte mehr bedurfte. Trotzdem hielt es ihn nicht davon ab, noch etwas zu sagen: „Denk nicht mal dran. Die haben beide Freunde und du wirst ihnen das nicht versauen.“

„Hätte ich auch nie im Leben vorgehabt“, beteuerte Ken daraufhin mit erhobenen Händen.

„Dein Wort in Gottes Ohr. Ich-“ Für mehr Worte war aber keine Zeit, denn der Dekan unserer Fakultät trat an das Rednerpult, um die Veranstaltung zu eröffnen, und Tetsu schluckte sofort herunter, was er noch hatte sagen wollen. Auch die Gespräche im Rest des Saals verstummten nach und nach, bis nach einer knappen halben Minute endlich komplette Stille herrschte.

„Ich bedanke mich herzlich für Ihr zahlreiches Erscheinen“, begann der Dekan in feierlicher Stimmung, ganz so, als hätten wir hier unsere Exmatrikulationsfeier und nicht nur eine Spendenaktion. Natürlich war das eine wichtige und gute Sache, aber … na ja … es war eben ein Konzert für den guten Zweck – da musste man nicht schwafeln. Er tat es trotzdem und erklärte noch einmal ausführlich Sinn und Zweck dieser Veranstaltung, obwohl das die meisten doch wussten. Denn entweder erfuhren sie am eigenen Leib, dass diverse Gelder dringend notwendig waren, oder sie hatten es von Flyern oder Freunden erfahren, die dieses Konzert beworben hatten. Na ja, ich kannte den Mann, der da vorne am Pult stand, und wie viele andere wusste ich nur zu genau, wie gerne er sich selbst reden hörte. Die Verwaltung hier war im Vergleich zu anderen Fakultäten der absolute Horror, aber Hauptsache man konnte sich selbst beweihräuchern. Ich schaltete irgendwann ab und wartete nur noch darauf, dass es endlich mit dem Hauptteil des Programms losging.

Doch selbst als verhaltener Beifall ertönte und ich mich wieder einklinkte, war es noch nicht so weit, denn es kam noch jemand vom Institut für Musik, der etwas sagen wollte. Es war eine Dame mittleren Alters, bei der Tetsu mich kurz anknuffte und mir zuflüsterte, dass das eine seiner liebsten Dozentinnen war: Takano-sensei. Den genauen Fachbereich bekam ich nicht ganz mit, weil direkt zu Anfang und noch bevor sie auch nur ein Wort hatte sagen können, mehr Beifall ertönte als zum Abgang des Dekans.

„Die Frau ist wirklich astrein“, versuchte Tetsu, dagegen anzuflüstern, „sie ist kompetent und es macht trotzdem echt viel Spaß, bei ihr in den Seminaren zu sitzen. Außerdem lästert sie genauso über die schlechte Organisation hier wie die Studenten, deshalb hat sie das hier auch auf die Beine gestellt. Und sie ist irre witzig. Wir können uns ja mal als Gasthörer bei ihr reinsetzen. Hm?“

Ich war mir nicht ganz sicher, was er mit seinem Angebot bezwecken wollte. Er hatte diese Frau schon öfter erwähnt, aber mich noch nie eingeladen, einmal ein Seminar oder eine Vorlesung bei ihr mitzumachen. Ich hoffte doch stark, dass er nicht wieder die Glucke spielen wollte.

„Hm“, brummte ich darauf erst einmal nur unschlüssig und war ganz froh, dass wir uns hier nicht großartig unterhalten konnten, sonst wäre die Diskussion vom Vorabend sicher wieder losgegangen.

Tetsus Lieblingsdozentin hielt sich recht kurz und bedankte sich lediglich beim Publikum für das Erscheinen und für die Spenden und natürlich auch bei den fleißigen Studenten, die sich neben ihren Verpflichtungen der Uni gegenüber noch freiwillig gemeldet hatten, hier etwas beizutragen. Und dann ging es auch schon los.
 

Den Anfang machte ein Duo, bestehend aus einem Jungen und einem Mädchen. Er spielte Klavier und sie sang dazu – es war die Pianoversion irgendeines beliebten Pop-Songs von vor einigen Jahren. Wäre das allerdings nicht vorher angesagt worden, hätte ich es auf Anhieb gar nicht erkannt, denn obwohl mir der Song schon ganz schlimm im Ohr gehangen hatte, hatten sie es tatsächlich hinbekommen, etwas Eigenes daraus zu machen.

Als zweites kamen drei Studenten, die mehrere schnelle Stücke auf dem Shamisen spielten und dabei nicht einmal absetzten, sondern alles direkt miteinander verbanden, sodass ein ein gut zehnminütiges Lied daraus wurde. Außerdem vollbrachten sie es tatsächlich, während der gesamten Zeit, stur geradeaus zu starren und sich trotzdem keine Schnitzer zu leisten … oder auch nur irgendeine Regung zu zeigen.

Danach spielte ein Mädchen irgendein langweiliges Stück auf einer Akustikgitarre. Ich behielt es kaum in Erinnerung, sondern fragte mich die ganze Zeit nur, wann es denn endlich weitergehen würde.

Nummer vier war noch ein Mädchen, die sich allerdings etwas im Enka-Stil gewählt hatte – und zwar mit allem drum und dran, was ebenfalls nicht sonderlich ermunternd war.

Erst bei der Trommlergruppe danach wurde ich wieder richtig wach. Und ich fragte mich, ob es an den schnellen, krachenden Rhythmen lag oder an der Tatsache, dass sie mich daran erinnerten, wie ich mit Gackt vor ein paar Wochen im Spielecenter dieses Trommelspiel ausprobiert hatte. Ich schob den Gedanken beiseite und konzentrierte mich wieder auf die Studenten vorne neben dem Rednerpult, die ihre Trommeln mit geübten Schlägen traktierten und dabei die Arme kunstvoll kreisen ließen. Es sah gut aus und hörte sich einfach nur klasse an, sodass mich auch ein wenig der Wunsch beschlich, so etwas zu können – es richtig zu können und nicht nur nach blauen und roten Kommandos auf eine Spielkonsole einzuhämmern, in der Hoffnung, dass man im richtigen Augenblick traf. Ich würde mich wohl selbst mit der traditionellen Kleidung abfinden können, die man dabei für gewöhnlich trug, auf die die Studenten heute aber verzichtet hatten.
 

Und dann war es so weit: Tetsus hochgeschätzte Nummer sechs.

Takano-sensei, die die ganze Zeit schon die Moderatorin spielte, trat wieder einmal kurz an das Pult heran, um anzukündigen, wer jetzt an der Reihe war: „Sie hören jetzt Kurosaki Yuu-kun mit einem selbstgeschriebenen Stück auf der Violine.“ Dann zog sie sich wieder an den Rand zurück und überließ die Bühne einem tatsächlich riesigen Kerl, der seine kleine, zierliche Violine so in der Hand hielt, als würde sie jeden Augenblick in tausend Stücke zerfallen. Er berührte den Hals fast nur mit den Fingerspitzen, während er das Ende des Klangkörpers zwischen Schulter und Kinn fixierte. Dann schwang er den Bogen mit einer ausladenden Armbewegung über das Instrument, stoppte nur Zentimeter darüber und legte ihn dann ganz sachte auf die Saiten, um den ersten Ton hervorzurufen. Es war eine sehr träge, aber gleichzeitig wunderschöne Melodie, die beinahe Augenblicklich bewirkte, dass ich mich am Boden zerstört fühlte. Ich hätte um ein Haar sogar angefangen zu weinen, aber irgendwie steckte ich da mittendrin fest. Ich konnte den Anflug der Tränen ganz deutlich spüren, aber sie kamen einfach nicht. Wow! So etwas hatte Musik zuvor nur ganz selten mit mir angestellt. Tetsu hatte wirklich nicht gelogen, als er gemeint hatte, dass der Kerl wirklich richtig gut sei. Dieser Kurosaki Yuu-kun, dieser … großer Gott! Er hatte sich eben etwas gedreht, sodass er nun nicht mehr nach unten blickte und auch sein Gesicht besser zu sehen war. Zwar hielt er die Augen geschlossen, aber es gab keinen Zweifel: Dieser Yuu war … You!

Und dann fiel es mir auch wieder ein: Hatte Gackt nicht gesagt, dass You, sein Kumpel und Mitbewohner, hier an der Uni Musik studierte? Ich hatte es schon fast wieder vergessen … oder verdrängt. Aber ich hatte die Violine doch ganz deutlich im Wohnzimmer der beiden stehen sehen und eine der selbstbeschrifteten CDs in der Hand gehabt.

Augenblicklich berührte mich die Musik nicht mehr, ich hörte sie ja noch nicht einmal mehr. Stattdessen suchte ich den Saal nach einem mir nur allzu bekannten Gesicht oder Haarschopf ab. Dafür drehte ich mich um, verrenkte mich halb auf meinem Sitz und erntete dafür verwirrte Blicke von denen, die in den Reihen hinter uns saßen. Und auch Tetsu schien sich zu wundern, denn er packte mich an der Schulter, um mich wieder in eine normale Sitzhaltung zu zwingen und mich gleichzeitig etwas zu ihm zu ziehen. Dann flüsterte er: „Was ist denn mit dir los? Hat dich was gestochen?!“

„Gackt ist hier!“, zischte ich knapp zurück, worauf mein bester Freund mich ansah, als hätte ich gerade gesagt, dass der Himmel gelb mit lila Punkten wäre.

„Woher willst du das denn wissen? Hast du ihn gesehen?“

„Nein, aber der da vorne, das ist You.“

„Weiß ich doch. Wir haben uns letztes Semester beim Sommerfest vom Fachschaftsrat kennengelernt. Aber was hat das mit Gackt zu tun?“

„Er ist-“

„Psssst!“, machte dann auf einmal jemand hinter uns und unterbrach mich damit für einen Moment.

Allerdings hielt mich das von nichts ab, ich senke nur die Stimme noch etwas weiter: „Er ist Gackts Mitbewohner. Und ich wette mit dir, dass der auch hier ist. Ihr braucht die Spenden doch unbedingt, da kann er ja gar nicht zu Hause bleiben!“

„Doiha, beruhig dich doch erst mal!“, lautete jedoch Tetsus Antwort. Wie panisch musste ich mich denn anhören, wenn er mir so kam, anstatt sich noch weiter nach dem eigentlichen Problem zu erkundigen? Ich schob auch das beiseite und machte stattdessen Anstalten, mich zu erheben, um mich so schnell wie möglich an den Leuten vorbei bis zum Ende der Reihe zu quetschen und dann zu flüchten, bevor ich ihm wirklich noch begegnete. Tetsu ließ es allerdings nicht zu. Er packte mich nur noch fester am Oberarm, drückte mich gegen die Rückenlehne und knurrte schon fast: „Du bleibst jetzt hier!“ Was?

„Was?“

„Du wirst das den Leuten jetzt nicht versauen, Doiha. Und wenn du ihm tatsächlich begegnest, ist das vielleicht nur gut so. Dann könnt ihr das, was auch immer da zwischen euch vorgefallen ist, ein für allemal aus der Welt schaffen.“ Was?! Mir kam ein böser Gedanke.

„Steckst du da etwa mit drin? Hast du das mit You und Gackt ausgeheckt? Sollte ich deshalb unbedingt herkommen?“, fragte ich Tetsu und benutzte dabei einen Tonfall, der eher vorwarf, als dass er nachhakte. Und ich erntete ein erneutes Zischen, diesmal von jemandem schräg vor mir.

„So ein Blödsinn!“, verteidigte Tetsu sich und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust, „ich wusste ja bis eben nicht mal, dass die beiden sich kennen.“

„Aber du kennst You! Er hat dir doch bestimmt erzählt, dass er mit Gackt zusammenwohnt.“

„Nein, hat er nicht. Wir haben uns nur übers Studium unterhalten und was wir für Instrumente spielen, mehr nicht. Doiha, du wirst langsam paranoid. Rede doch bitte endlich mit ihm und schaff das aus der Welt.“

Und obwohl Tetsu nun schon wieder auf der Schiene der Konfliktvermeidung war und eher bettelte als schrie, bleib ich stur: „Den Teufel werd ich tun!“

„Doiha-“

„Komm mir nicht mit Doiha!“, schnappte ich, noch bevor Tetsu auch nur ein weiteres Wort sagen konnte, und stand nun doch auf. Er hielt mich schließlich nicht mehr fest, also konnte ich tun und lassen, was ich wollte. Konnte ich sowieso, aber … ach, verdammt!

Ich quetschte mich an den Leuten vorbei und entschuldigte mich dabei nur sehr halbherzig bei ihnen. Es schien sie aber nicht zu kümmern – vermutlich waren sie ganz froh, dass das Gestreite endlich ein Ende haben würde und sie sich das Konzert in Ruhe zu Ende anhören konnten, wenn ich hinausging. Sollten sie doch, mir war es egal und ich wollte nur weg von hier!

Ich stolperte und fiel fast der Länge nach hin, als ich an der letzten Person, die in unserer Reihe saß, vorbei musste. Es war ein Mädchen, das eine übergroße Tasche neben ihren Füßen auf den Boden gestellt hatte. Ich blickte noch einmal finster zu ihr zurück, aber sie bekam es nicht mit, da sie scheinbar unberührt nach vorne sah, wo You noch immer auf seiner Violine spielte. Dafür sahen mich andere an, teils verwundert und teils verärgert, während ich die Stufen zum Ausgang erklomm und dabei leise vor mich hin fluchte. Scheiß Tetsu, scheiß You, scheiß Gackt! Konnte man mir denn nicht einmal meinen Frieden lassen?! Ich wollte doch nur in Ruhe zu Ende studieren und mir dann einen Job suchen, bei dem ich Spaß hatte und der gleichzeitig mein Leben finanzierte. Das würde schon schwer genug werden – von meiner Abschlussarbeit, die ich vorher noch schreiben musste, mal ganz abgesehen – da konnte ich nun wirklich nicht noch solche Probleme wie Gackt gebrauchen.

Aussprechen … was sollte das überhaupt? Vermutlich hatte er sowieso schon einen Haken an die Sache gemacht und hing jetzt mit dem nächsten ab. Ich wollte ihn eben nur nicht sehen und Tetsu konnte mir mit seinen sinnlosen Vorschlägen gestohlen bleiben. Sollte er sich doch mal hinstellen und nach so einem Intermezzo ganz locker um eine Aussprache bitten. Der hatte sie doch nicht mehr all-

„Hyde?“

Ich erstarrte. Was machte ich eigentlich falsch? Was nur?! Ich war gerade einmal aus dem Hörsaal gekommen und hatte einige Blicke der Helfer aufgefangen, die draußen den Stand für die Spenden betreuten und sich sicherlich wunderten, dass ich schon ging, als mich eine mir nur allzu bekannte Stimme von hinten ansprach. Die Tür konnte noch nicht einmal richtig zu gewesen sein, da musste er hinter mir hindurch geschlüpft sein. Für einen Moment presste ich die Lippen aufeinander und schloss die Augen, wünschte mir, dass es nur Einbildung gewesen wäre, aber natürlich machte es das nicht besser.

Schritte kamen auf mich zu und umrundeten mich. Als sich meine Starre endlich löste und die Augen wieder öffnete, stand Gackt vor mir. Seine Haare und die Lederjacke, die er trug, glänzten ein bisschen – vermutlich noch vom Regen draußen – und sein Blick war … unbeschreiblich. Also, wie in nicht beschreibbar. Er sah weder wütend aus noch angeekelt oder enttäuscht. Er war auch nicht fröhlich oder freundlich. Gackt starrte mich einfach nur an und schien auf eine Reaktion meinerseits zu warten. Aber ich hielt dem nicht stand und schaute weg, denn sofort kam wieder alles hoch, was ich so mühsam zu verdrängen versucht hatte. Es hatte ja auch ein bisschen geklappt, aber jetzt überfuhr mich wieder das Gefühl, mit dem ich damals vor ihm weggelaufen war.

„W-was willst du?“, fragte ich schließlich und sprach dabei eher zu dem Loch in seiner Jeans knapp unterhalb der Tasche. Es sah aus, als wäre es absichtlich hineingeschnitten worden.

„Was schon? Mit dir reden“, antwortete Gackt wie selbstverständlich, „du bist ja nicht mehr ans Telefon gegangen, nachdem du so einfach abgehauen bist. Ich hab sonst was gedacht, als du weg bist, als wäre der Teufel persönlich hinter dir her.“

„Ich hatte meine Gründe“, maulte ich daraufhin und warf einen kurzen Blick zu den Helfern, die uns nun interessiert zu mustern schienen. War ja auch kein Wunder, denn welche Attraktionen sollte es hier im Vorraum sonst noch geben, während drinnen das Konzert in vollem Gange war?

„Verrätst du mir die auch mal?“ Frustration, es war eindeutig Frustration, die ich da aus Gackts Stimme heraushörte. „Ich war schließlich auch daran beteiligt.“

„Es hat nichts mit dir zu tun“, wimmelte ich ihn jedoch genauso ab, wie ich es bei Tetsu immer tat.

„Das kannst du wem anders erzählen, Hyde. Du kannst mir nicht erzählen, dass es nichts mit mir zu tun hat, wenn du genau dann abhaust, wenn wir gerade dabei sind-“

„Hast du sie nicht mehr alle?!“, fuhr ich ihm dazwischen, bevor er irgendetwas Genaueres sagen konnte, und zischte dann so leise wie möglich, „damit gerade hier anzukommen, du Idiot!“ Ich sah ihm jetzt auch wieder ins Gesicht und erblickte die zu einer harten Linie zusammengepressten Lippen, die sonst so sündhaft weich und leidenschaftlich waren. Ich hatte es doch geahnt.

„Schön. Wo dann?“

„Nirgendwo“, blieb aber auch ich weiterhin unnachgiebig, „ich will nicht über was reden, wo es nichts zu reden gibt.“

„Findest du.“

„Ja, finde ich“, bestätigte ich ihm und ging wieder voll auf Konfrontationskurs.

„Das ist arschig von dir, Hyde“, kommentierte Gackt und schüttelte dazu den Kopf etwas. Aber damit würde er mich nicht kriegen.

„Na, herzlichen Dank!“, entgegnete ich, „ich muss mir ja wohl von einem halben Kind nicht vorwerfen lassen, dass ich arschig wäre! Du belästigst mich hier doch!“

„Ich würde gerne mal wissen, wer von uns hier wirklich das Kind ist. Was du gemacht hast und jetzt immer noch machst, ist einfach nur feige. Ich rede wenigstens mit den Leuten, wenn irgendwas schiefgelaufen ist. Aber du … du stellst einfach auf stur und alle anderen sind scheiße, wenn sie was anderes behaupten. Nur zu deiner Info: Ich saß vier Reihen vor euch und man hat euch trotzdem noch streiten hören. Sonst hätte ich gar nicht mitbekommen, dass du heute überhaupt hier bist! Und ich will jetzt endlich wissen, warum du einfach abgehauen bist! Ich war scharf, du warst scharf – was zur Hölle ist los gewesen, dass du plötzlich der Meinung warst, mich mit einem mordsmäßigen Ständer sitzenlassen zu müssen?!“

Meine Augen wurden ganz groß und Hitze durchströmte mich, als Gackt mir das mitten ins Gesicht brüllte. Ich hielt auch die Luft an und dann … verschluckte sich jemand links von uns und begann, sich die Lunge beinahe aus dem Leib zu husten. Und mit einem Schlag wurde mir noch heißer, denn mir wurde auf einmal noch sehr viel bewusster, dass wir nicht allein waren und Gackt das gesagt hatte. Und das, obwohl ich ihn gebeten hatte, nicht hier darüber zu reden. Es war zu viel, es war eindeutig zu viel!

Noch bevor ich einen weiteren Gedanken fassen konnte, holte ich aus, verpasste ihm eine kräftige Rechte mitten ins Gesicht und rannte davon. Ich bemerkte dabei nicht einmal, wie weh mir die Hand von dieser Aktion tat. Sie puckerte und pulsierte, wo meine Knöchel Bekanntschaft mit seinem Wangenknochen geschlossen hatten, aber ich blendete es aus. Alles, was ich wollte, war, von Gackt wegzukommen. Und es interessierte mich herzlich wenig, ob ich ihn bewusstlos geschlagen, ihm die Nase gebrochen oder ihn nur zu Boden gestoßen hatte, solange er mir nicht folgte.

Ich rannte hinaus in den strömenden Regen und bog nach links ab. Ich wusste nicht mehr, ob das tatsächlich die Richtung war, in die ich musste, um nach Hause zu kommen, denn ich wollte nur Land gewinnen. Schon wieder. Und auch heute schien Gackt mir nicht zu folgen, aus welchen Gründen auch immer – die von damals kannte ich ja nun.

Klatschnass kam ich am Zugang zur U-Bahn an, hetzte über den Bahnsteig und sprang in den erstbesten Zug, der gerade seine Türen schließen wollte. Die Leute drinnen beschwerten sich nicht, dass ich mich mit meinen vollkommen durchweichten Sachen zu ihnen in den Waggon quetschte. Lang lebe die japanische Höflichkeit: Schlägst du mir den Kopf nicht ein, schlag ich dir deinen auch nicht ein, selbst wenn du triefst. Das nächste Mal darf ich dich dann auch nassmachen.

Und für lange wollte ich ohnehin nicht hier bleiben. Ich würde nur ein oder zwei Stationen fahren und dann aussteigen, vielleicht etwas warten und dann wieder einsteigen. Und irgendwann würde ich dann doch nach Hause gehen, bevor ich mich noch erkältete. Und dann würde ich …
 

tbc.

Ahead

„Doiha! … Was zur Hölle ist denn mit dir passiert?“, rief Tetsu erschrocken, als ich in den Flur einbog, in dem meine Wohnung lag. Er hatte bis eben noch auf dem Boden neben meiner Tür gesessen, stand jetzt aber auf, kam mir entgegen und nahm mich augenblicklich in den Arm. Und ich wehrte mich nicht dagegen. Schließlich wusste ich nur zu genau, wie schlecht es mir ging – da konnte ich mir schon denken, wie schlecht ich auch aussehen musste.

Ich war noch immer tropfnass, da ich gerade erst nach Hause gekommen war, nachdem ich mich so mit Gackt gestritten hatte. Aber auch das schien Tetsu nichts auszumachen. An der Wange, die ich gegen seine Schulter drückte, konnte ich spüren, dass er selbst nicht gerade trocken war. Er hatte seinen Regenschirm von vor ein paar Stunden wohl Ayana gegeben, damit die nicht nasser wurde als unbedingt nötig.

Wir bleiben eine Weile so stehen, ich ließ mich einfach nur von meinem besten Freund umarmen und der tat dies auch so lange, wie ich keine Regung zeigte. Erst als ich lautstark schniefte, rückte er etwas von mir ab, um mich bei den Schultern festzuhalten und mir ins Gesicht zu schauen. Ich hatte nicht geweint … aber die ganze Zeit kurz davor gestanden. Irgendetwas wollte einfach nur aus mir raus, aber es konnte nicht. Und dieses Gefühl dazwischen war die reinste Qual.

Aber warum? Warum nahm mich das alles so mit, obwohl Gackt mir so fremd war und mir eigentlich nichts bedeutete? Aus dem selben Grund, wieso ich in letzter Zeit so oft von ihm geträumt hatte und wieso ich so sauer auf ihn gewesen war, als er nicht mehr angerufen hatte: Er bedeutete mir eben doch etwas … irgendetwas. Auf eine verdrehte Art und Weise war er mir wichtig, obwohl – oder vielleicht auch gerade weil? – ich kaum etwas über ihn wusste. Es war alles neu und aufregend mit ihm und ich wollte nicht, dass das aufhörte. Ich wollte weiter von ihm überrascht und aus meiner Wohlfühlzone herausgelockt werden. Er hatte mich einfach überrumpelt, ohne dass ich es nur ansatzweise bemerkt hatte. Und er hatte das vielleicht auch noch nicht einmal. Es war seltsam, total bescheuert und wahrscheinlich ziemlich lächerlich, aber es war so.
 

„Was soll ich denn jetzt machen, Tet-chan?“, krächzte ich schließlich, was bei meinem besten Freund allerdings ein schwaches Lächeln auslöste. Er schien erleichtert, dass ich ihn endlich um Hilfe bat, anstatt immer nur abzublocken. So erleichtert, dass er mir nichts vorhielt oder mir mit irgendwelchen dummen Phrasen ankam … á la er hätte es mir ja gesagt oder so. Nein, er lächelte nur und drückte meine Schultern.

Dann sagte er: „Erst mal rein und dir was anderes anziehen. Du bist klatschnass.“

„Hm …“, brummte ich nur zustimmend und nickte. Dann fischte ich meinen Wohnungsschlüssel aus meiner Jackentasche und gab ihn an Tetsu weiter, der ihn mir ohne Umschweife abnahm. Dann legte er einen Arm um meine Schultern und geleitete mich zu meiner Wohnung, wo er aufschloss und mich hineinschob.

Doch auch hier überfiel er mich nicht gleich mit Fragen oder Vorträgen, obwohl die Tür schon längst wieder zu war, sondern wartete geduldig darauf, dass ich mir die nassen Sachen vom Leib geschält, mich gründlich abgetrocknet und mir etwas Trockenes und Warmes angezogen hatte. Eine Ersatzhose lehnte er jedoch ab, auch wenn seine eigene von dem Dreckswetter draußen ebenfalls nass war. Erst dann ging es ans Eingemachte. Ich saß auf meinem Bett, mit dem Rücken an der Wand lehnend, und Tetsu hatte sich meinen Schreibtischstuhl gekrallt und sich verkehrt herum darauf niedergelassen.
 

„Doiha, du weißt, dass ich dir helfen will“, begann er und ich nickte wieder, „aber dazu musst du mir leider erst mal erzählen, was genau passiert ist. Ich verspreche dir auch, dass ich dich nicht verurteilen werde … es scheint ja schlimm genug zu sein, wenn du deswegen so aufgelöst bist. Also egal, was es ist, du musst es mir sagen.“

Ich nickte erneut und … schwieg dann trotzdem noch weiter. Es war nicht einfach, jetzt mit der Sprache herauszurücken, selbst wenn es mir so dreckig ging und ich im Grunde nichts anderes wollte, als dass sich endlich etwas änderte. Aber ich hatte es so lange mit mir herumgeschleppt und für mich behalten … und dass Gackt es vor Fremden quer durch das halbe Foyer vor dem Hörsaal geschrien hatte, machte die Scham, die ich dabei empfand, nicht unbedingt geringer. Aber ich musste … und das hier war immerhin Tetsu. Und ich wollte es nicht mehr verheimlichen und mich ständig vor mir selbst schämen. Vielleicht würde es ja endlich besser werden … vielleicht.

„Es ist … Gackt hat …“, begann ich stockend und fand einfach nicht die passenden Worte, um richtig zu beginnen. Sich dazu zu entschließen, war eine Sache, es dann auch durchzuziehen eine vollkommen andere. Und in meinem Kopf schwirrten so viele Gedanken zu all diesen Vorfällen herum und jeder drängte sich nach vorne, als ob er zuerst heraus wollte. Es hatte sich einfach so viel aufgestaut.

„Was hat er mit dir gemacht?“, fragte Tetsu schließlich nach, in dem Versuch, mir unter die Arme zu greifen. Sein Gesicht hatte dabei wieder einen ganz ernsten Ausdruck angenommen und wahrscheinlich vermutete er jetzt, dass Gackt etwas gegen meinen Willen mit mir angestellt hatte und ich deshalb immer so abgeblockte.

„Nichts“, antwortete ich deshalb langsam, „nichts, was ich nicht auch gewollt hätte … und als ich es dann nicht mehr … machen wollte, hat er mich zu nichts gezwungen. Ich bin ja direkt abgehauen … aber er hat nichts getan, um mich festzuhalten oder zurückzuholen. Er hat mich einfach gehen lassen und … vorhin wollte er auch nur reden. Aber es war so schlimm, als … ich hatte solche Angst und ich hab mich so geschämt …“

„Was hattet ihr denn vor?“

Ich atmete tief durch und es fühlte sich an, wie die Ruhe vor dem Sturm. Diese Ruhe kam eindeutig von Tetsu und ich war dankbar dafür, dass er mich durch diese … Beichte leitete und mich nicht einfach mit der vollkommen offenen Frage, was denn im Argen lag, allein ließ. Dann sprach ich endlich weiter: „Wir hatten es nicht direkt vor. Es hat uns eher überrumpelt. Du hast mit Gackt telefoniert und er wollte mir eigentlich nur mein Handy wiedergeben, aber dann hat er gefragt, was ich geträumt hätte. Er hat nicht locker gelassen und als ich es ihm dann endlich erzählt habe, überkam es uns wohl einfach wieder. Ich weiß auch nicht, wieso das ständig passiert … jedes Mal, wenn ich ihm begegne, endet es immer damit, dass wir uns küssen. Aber letztens hat es eben nicht da aufgehört. Wir sind dann wieder zurück ins eine Wohnung und … er hat mich nicht gezwungen oder so was. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich das auch wollte, aber als es dann so weit war, hab ich einfach Panik bekommen und bin raus.“

„Ihr wolltet Sex haben?“ Es war eine vollkommen überflüssige Frage – zumindest aus meiner Sicht – aber Tetsu wollte es wohl ganz genau hören.

„Ja, es war alles … bereit. Wir waren beide nackt, wir waren beide …“ Ich schluckte und mir wurde klar, dass ich gerade dabei war, haargenau die Worte auszusprechen, die auch Gackt vor einigen Stunden benutzt hatte. „… scharf aufeinander und er hatte auch schon ein Kondom in der Hand. Und dann hab ich wahrscheinlich erst so richtig realisiert, was da ablaufen sollte. Ich meine … ich hab doch gar keine Ahnung davon und was ist, wenn das alles viel zu groß ist und nicht funktioniert oder dabei irgendwas passiert und ich ins Krankenhaus muss … verstehst du das?“

„Auf alle Fälle“, stimmte Tetsu mir zu und nickte dabei auch. Ich konnte ihm vom Gesicht ablesen, dass das absolut nicht sein Thema war, aber er hatte es schließlich wissen wollen und ließ mich daher bis zum Ende erzählen. „Aber was ich nicht verstehe: Wieso gehst du ihm seitdem aus dem Weg und wolltest uns auch nichts sagen? Es ist doch gar nicht schlimm, wenn du Angst davor hattest.“

„Ich weiß es auch nicht so genau. Es war einfach so peinlich, wie das alles passiert ist. Und ich kenne ihn ja gar nicht richtig … da kann ich doch nicht gleich mit ihm ins Bett springen. Ich bin nicht der Typ für One Night Stands.“

„Na ja, ein ONS kannst du das eigentlich nicht mehr nennen“, merkte Tetsu dazu an und verzog die Lippen für einen winzigen Moment zu einem verschmitzten Grinsen, ließ es aber sofort wieder fallen. Allerdings hatte er irgendwo recht: Dafür kannte ich Gackt dann zu gut und zu lange. Und wenn ich ganz ehrlich war, dann hatte dieser Gedanke auch gar nichts mit meiner Flucht zu tun gehabt. Es war wirklich die reine Angst vor dem Akt selbst gewesen und nicht irgendwelche Gewissensbisse, dass ich ihn ja kaum kannte. Das war mir alles erst hinterher eingefallen und hatte mich eigentlich gar nicht so großartig gestört. Vielleicht hatte mein Unterbewusstsein da einfach nur etwas drehen wollen, damit ich mir nicht ganz so dämlich vorkam, damit ich mich nicht ganz so sehr schämen musste.

„Und vorhin? Was ist passiert, als du raus bist?“, fragte Tetsu dann weiter und ließ die ONS-Sache auf sich bewenden, „ich hab noch gesehen, wie Gackt aufgestanden und hinter dir her ist, aber … es tut mir leid, Doiha, aber ich wollte ihn nicht aufhalten. Ich hab gehofft, dass er dich noch erwischt und du dann endlich mal sagst, was Sache ist. Scheint ja mächtig in die Hose gegangen zu sein.“

„Hast du ihn denn noch getroffen oder woher weißt du das?“, hakte ich nach, zögerte die Antwort so noch etwas hinaus, auch wenn das jetzt eigentlich ziemlich egal war. Aber es interessierte mich mehr, denn was mit Gackt passiert war, wusste ich ja schon. Irgendwie musste Tetsu ja auch auf die Idee gekommen sein, vor meiner Wohnung auf mich zu warten … und dann fiel mir ein, dass ich mein Handy ausgeschaltet hatte, um zu verhindern, dass Gackt mich wieder anrief. Vermutlich hatte auch Tetsu versucht, mich anzurufen.

„Ich hab ihn nicht direkt getroffen“, klärte mich mein bester Freund bereitwillig über die Umstände auf, „er stand noch im Foyer und hat anscheinend auf Kurosaki-kun gewartet. Der kam dann auch kurz nach uns und ich konnte sehen, wie sie sich unterhalten haben, während Ayana auf dem Klo war und wir auf sie gewartet haben. Er sah jedenfalls ziemlich fertig aus … sogar mit Veilchen. Hast du ihm etwa eine reingehauen?“

„Hm, hab ich“, gab ich zu.

„Und warum? Was wollte er denn? War es so schlimm?“

„Wir haben gestritten, was sonst?“, sagte ich mürrisch und merkte schon wieder, wie sauer ich auf ihn wurde, „er hat vor den ganzen Leuten draußen rumgeschrien, dass ich ihn einfach sitzengelassen hätte, als wir kurz davor waren, Sex zu haben. Ich wollte nicht drüber reden, aber er wollte es einfach erzwingen … und dann hab ich ihm eine reingehauen, als er mich nicht gehen lassen wollte.“

„Zumindest scheint er es zu bereuen.“

„Ich hoffe es doch“, pflichtete ich Tetsu bei.

Allerdings hatte er auch für mich noch etwas in petto: „Du bist aber selber nicht ganz unschuldig dran.“

„Wie?“, hakte ich nach. Was sollte das? Er war mein bester Freund – sollte er da nicht auf meiner Seite stehen?!

„Na, denkt doch nur mal daran, wie du drauf warst, als er sich nicht mehr gemeldet hat: Du warst ja fast schon verzweifelt. Und jetzt erwartest du von ihm, dass er es einfach hinnimmt, dass du den Kontakt von heute auf morgen abbrichst? Sorry, Doiha, aber das ist echt nicht fair von dir.“

Ich presste meine Kiefer aufeinander und knirschte mit den Zähnen. Sollte mir das hier nicht helfen?

„Schau mich bitte nicht so an“, bat Tetsu mich dann auch direkt, als ob er meine Gedanken gelesen hätte, „ich versuche nur, dir zu helfen. Aber wenn du wieder nur auf stur stellst, dann werdet ihr das Problem nie aus der Welt schaffen können. Jeder hat sein Päckchen zu tragen und deine Aufgabe ist es jetzt, dich bei ihm zu entschuldigen und ihm gefälligst zu erklären, was du dir bei der ganzen Sache gedacht hast. Zur Not schleif ich dich persönlich da hin, wenn du es nicht selbst gebacken kriegst! Und an Kurosaki-kuns Nummer komm ich schon noch ran, damit er das gleiche bei deinem Gackt macht. Ich sag dir nämlich eins: Wenn der auch auf stur stellt und ihr das jetzt einfach so lasst, wie es ist, dann wirst du das dein Leben lang bereuen. Es kommt mir nämlich grade so vor, als würdest du dich irgendwie verändern. Und ich fresse einen Besen, wenn das nichts mit diesem Kerl zu tun hat.“

„Ich dachte, du magst ihn nicht“, murmelte ich ein wenig kleinlaut … und vollkommen am Thema vorbei.

„Er ist mir vollkommen egal, solange wir dich wieder in Ordnung bekommen. Zugegeben, ich hab ihm die Schuld dafür gegeben, dass du neuerdings nicht mehr so hinter deinem Zeug für die Uni klemmst, aber so wie es aussieht, kann er nicht wirklich was dafür. Du stellst dir da eher selbst ein Bein. Ist ja nicht so, als würdest du nichts machen, weil du ständig mit ihm rumhängst. Aber jetzt, wo ich weiß, was da eigentlich dahintersteckt … du bist wirklich selbst dran schuld, Doiha. Und nun hätte ich gerne dein Handy.“

„Wozu das denn?“

„Na, warum wohl? Ich will Gackt anrufen, damit ihr das so schnell wie möglich einrenkt“, erklärte Tetsu mir in einem Ton für Dreijährige und hielt die Hand auf, „jetzt ist vielleicht noch nichts verloren.“

„Vielleicht aber schon und er geht noch nicht mal mehr ran, wenn er meine Nummer sieht.“

„Lass das mal meine Sorge sein, Doiha. Handy her!“

Widerwillig kam ich seinem … Befehl nach, denn an seinem Blick konnte ich nur zu genau ablesen, wie ernst es ihm war. Und der sagte mir auch, dass er mich womöglich niederringen und mir mein Telefon gewaltsam entreißen würde, wenn ich mich nicht kooperativ zeigte. Ich sagte ihm sogar meine PIN-Nummer, da ich mein Handy ja ausgemacht hatte und es beim Einschalten nun wie immer den Zugangscode verlangte. Außerdem nahm er auch sein eigenes Telefon zur Hand und trieb damit etwas, was ich allerdings nicht sah, da wir uns gegenübersaßen.
 

Stattdessen nahm ich mir die Zeit, in der wir nicht redeten, um über das nachzudenken, was Tetsu eben gesagt hatte. Wir hatten alle unser Päckchen zu tragen und ich war selbst schuld daran, dass ich gerade in dieser Misere steckte. Ich konnte nicht sagen, ob er damit recht hatte, da ich die andere Seite ja nicht kannte. Ich wusste nicht, wie es gelaufen wäre, wenn ich an diesem Morgen nicht vor Gackt geflüchtet, sondern ihn einfach nur zurückgehalten hätte. Vermutlich hätte er auch das hingenommen und mit mir darüber geredet, so wie ich ihn einschätzte. Und dann? Wäre dann alles ganz normal verlaufen oder hätten wir nach diesem peinlichen Vorfall trotzdem den Kontakt abgebrochen? Und auch wenn wir das getan hätten, hätte ich mich dann in der letzten Zeit genauso verrückt gemacht, wie ich es tatsächlich getan hatte? Es hätte dann einen klaren Schlussstrich gegeben und ich hätte … ich wusste es nicht … mich vielleicht wieder in Ruhe meinem Zeug für die Uni zuwenden können. Aber hätte ich das wirklich tun können oder hätte es trotzdem an mir genagt?

Ich wusste im Moment nur, dass eins an mir nagte: wie Gackt sich dabei fühlte. Denn in diesem Punkt hatte Tetsu durchaus recht: Als Gackt mich damals vermeintlich auf dem Trockenen sitzengelassen hatte, hatte mich das dermaßen angefuchst. Und was ich nun getan hatte, war wesentlich schlimmer. Ich hatte nicht einfach nur nicht zurückgerufen, ich hatte ihn sogar erst heiß gemacht und dann die Flucht ergriffen. Dabei hatte ich ihn auch noch angeschrien, als hätte er sonst was mit mir angestellt. Und den Vorfall heute sollte ich dabei auch nicht vergessen. Auf einmal fühlte ich mich furchtbar schlecht und … in mir sträubte sich sofort wieder alles dagegen, Gackt noch einmal wiederzusehen. Wie hatte es nur so schieflaufen können, nachdem alles so simpel begonnen hatte? Es hätte doch nur ein blöder Scherz auf einer Halloweenparty sein sollen und jetzt geriet das Ganze so aus dem Ruder, weil … ich angefangen hatte, etwas in ihm zu sehen. Und das-
 

„So, fertig“, verkündete Tetsu dann auf einmal und warf mir mein Handy zu, „du solltest dich wieder in was Ansehnliches werfen, in einer Stunde hast du ein Date am Bahnhof Shinjuku.“

„Was?“, rief ich sowohl überrascht als auch entsetzt, „was hast du gemacht?!“

„Dir eine Aussprache mit Gackt verschafft“, entgegnete Tetsu ganz sachlich, obwohl er genau wissen musste, dass ich die Frage nicht so gemeint hatte, „und ich will keine Widerworte hören. Ich habe betteln müssen, um ihn so weit zu kriegen.“

„Hast du gar nicht. Ich hab nichts gehört“, protestierte ich gegen seine Worte.

„Du warst die letzten paar Minuten ja auch vollkommen weggetreten. Und ich hab Textnachrichten geschrieben – hier.“ Er rief den Posteingang seines eigenen Handys auf und zeigte mir dann den Gesprächsverlauf. Und tatsächlich, Gackt hatte erst gar nicht gewollt:
 

Hi, Gackt! Tetsu hier, Hydes bester Freund. Er hat mir alles erzählt und ich finde, ihr beide solltet euch nochmal zusammen hinsetzen und das klären. Wie wärs mit nem Kaffee?
 

– Ich glaube nicht, dass das klappt. Er hat unmissverständlich klar gemacht, dass er nicht will.
 

Deshalb schreib ich ja jetzt auch. Komm schon, es geht ihm mindestens genauso mies wie dir. Willst du denn wirklich schon aufgeben?
 

– Wäre vielleicht besser so. Woher willst du das überhaupt wissen?
 

Ich weiß es eben. Und Hyde hat mir andere Sachen von dir erzählt. Ich versprech dir auch, dass er dich nicht versetzen wird. Gebt euch eine Chance! Das Elend kann man sich nicht mehr mit ansehen.
 

Gackt hatte bisher immer sofort zurückgeschrieben, doch dann gab es eine kleine Lücke. Wie lange war ich eigentlich in meinen Gedanken versunken gewesen? Und schließlich war doch noch eine Meldung gekommen und ich merkte, wie ich mir unwillkürlich heiß und kalt wurde, als ich sie las. Ob das gut oder schlecht war, konnte ich selbst kaum einschätzen.
 

– Okay. Aber nur kurz. Um zehn vor dem Bahnhof Shinjuku?
 

Und kaum, dass ich mit allem durch war, entriss mir Tetsu sein Handy auch schon wieder, sprang auf und zerrte an mir.

„Los!“, trieb er mich an, „du willst doch sicher hübsch für dein Gacchan aussehen.“ Die Situation kam mit in gewissen Teilen seltsam bekannt vor.

Und wie damals protestierte ich auch diesmal dagegen: „Es ist nicht Gacchan und meiner ist er erst recht nicht!“

„Halt die Klappe und zieh dich aus!“, war allerdings Tetsus Reaktion darauf. Und sein Grinsen nicht zu vergessen.
 

*
 

Eine Stunde später stand ich ziemlich dumm vor dem Bahnhof Shinjuku herum, wartete und suchte nach Gackt. Und dabei verfluchte ich ihn und Tetsu, dass sie einen so bescheuerten Treffpunkt ausgemacht hatten. Zwar war es schon fast zehn Uhr abends, aber gleichzeitig auch Samstag und dazu noch Tokyo – eine Stadt die niemals schlief. Hier liefen noch immer so viele Leute herum, weil es so zentral gelegen war, dass man ständig aufpassen musste, dass man nicht umgerannt wurde.

Dazu kam noch, dass ich mächtiges Fracksausen hatte. Ich hatte ja ohnehin schon Schiss gehabt, Gackt wieder unter die Augen zu treten, aber seit dem Vorfall heute vor dem Hörsaal war es noch schlimmer geworden. Ich fragte mich, ob er mich zum Ausgleich ebenfalls mit einem rechten oder linken Haken begrüßen würde. Ich hielt es zumindest nicht für ausgeschlossen. Und Tetsu, der Arsch, hatte sich geweigert, mit mir hier zu warten, bis Gackt dazustieß. Es wäre allein unsere Sache und er wolle nicht stören, hatte er gesagt, kaum dass ich mich hier postiert hatte. Dann war er auch schon wieder verschwunden. Dabei hätte mir ein bisschen Beistand ganz gut getan, wenn ich ehrlich war. Vielleicht würde Gackt ja You mitbringen und dann wären die beiden in der Überzahl und ich würde-

„Hyde“, wurde ich zum zweiten Mal an diesem Tag von hinten angesprochen. Und zum zweiten Mal erstarrte ich augenblicklich, als ich die Stimme erkannte. Wie hatte er mich nur so leicht finden können? Es waren noch zwei Minuten bis zur verabredeten Zeit.

Diesmal wartete ich aber nicht, bis er um mich herum kam – oder vielmehr: Die Starre ließ mich nicht wieder so lange wie angewurzelt herumstehen – sondern ich drehte mich zu ihm um und sah, dass er bereits zwei Becher Kaffee To Go in den Händen hielt. Außerdem trug er eine große Sonnenbrille, obwohl es eigentlich schon dunkel war. Das lud mir augenblicklich noch einen ganzen Haufen Schulgefühle mehr auf. Am liebsten wäre ich schon wieder geflüchtet, aber irgendwie … war ich jetzt selbst dazu zu feige. Was zur Hölle war da nur mit mir los? Ich hatte Angst vor diesem Treffen gehabt und nun hatte ich sogar zu viel Angst, um weglaufen zu können. Ich schien absolut nicht zu wissen, was ich eigentlich wollte, und das frustrierte mich gehörig.

„Wollen wir irgendwo hingehen, wo nicht so viele Leute sind?“, brachte Gackt unsere Unterhaltung … oder eher unser gesamtes Treffen dann weiter in Gang, während ich scheinbar den Weg des lebenden Bremsklotzes eingeschlagen hatte.

„Klar“, entgegnete ich dann auch nur knapp und ließ ihm den Vortritt, „wohin?“

„Keine Ahnung. Nur weg, damit wir uns ungestört unterhalten können, ohne dass es jemand mitkriegt.“ Autsch! Böse Anspielung auf vorhin.

„Der ist übrigens für dich“, sagte Gackt noch und reichte mir einen der beiden Becher Kaffee, ehe er sich in Bewegung setzte, „falls du Milch und Zucker brauchst, sag Bescheid. Die hab ich in der Jackentasche.“ Ich folgte ihm einfach.

„Zucker wäre nett“, führte ich den Smalltalk weiter und versuchte, mich dabei etwas zu entspannen, bevor es an die ernsten Sachen gehen würde. Gackt reichte mir ein langes, weißes Papierröhrchen, zusammen mit einem Plastikstäbchen, mit dem man den Kaffee dann umrühren konnte. Als ich es ihm abnahm, berührten sich unsere Fingerspitzen für einen winzigen Moment und für diese Zeit glimmte in mir der Wunsch auf, seine Hand zu nehmen und sie festzuhalten … einfach nur festzuhalten. Aber ich gab dem nicht nach. Stattdessen entdeckelte ich im Gehen meinen Becher, füllte den Zucker ein und rührte um, während ich im Augenwinkel immer darauf achtete, dass ich Gackt nicht verlor. Das mit dem Smalltalk hatte sich dann anscheinend auch schon wieder gegessen, denn außer Bitte und Danke sagte keiner von uns mehr etwas, während wir auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen für unsere Aussprache waren.

Gackt sah die ganze Zeit über sehr verkniffen aus und ich begann mich zu fragen, ob das hier überhaupt etwas bringen sollte. Tetsu hatte mich zwar nun so weit gekriegt, dass ich mich darauf einließ und Gackt hatte er zumindest auch hierher bekommen, aber irgendwie … er wirkte so, als wollte er noch immer nicht wirklich hier sein. Super, da waren wir ja schon zwei! Nur, dass es bei mir andere Gründe waren und die wirklich nur bei mir und meinem … Ego lagen. Er hingegen war ganz klar sauer auf mich und ich bekam wieder Angst – Angst, dass er sich hier und heute von mir verabschieden und dann nie wieder ein Wort mit mir wechseln würde. Aber nur kurz, hatte er schließlich geschrieben. Wie kurz war kurz? Nicht lang genug für eine ausführliche Entschuldigung meinerseits und eine Suche nach unserem gemeinsamen Problem, befürchtete ich. Für ein Sorry und ein Tschüss reichte es aber allemal.

Ich vermutete, dass ich da nun auch die Antwort auf meine Frage gefunden hatte: Würde ein Schlussstrich die ganze Sache besser machen? Nein.
 

Wir gingen nicht allzu weit und betraten dann einen kleinen Park, in dem zu dieser Stunde nicht ganz so viele Leute waren. Hier und da begegneten uns zwar noch ein paar Nachtläufer, aber sonst war alles ganz still, sodass wir uns auf der ersten Bank niederließen, die wir fanden. Gackt nahm dann auch die Sonnenbrille ab, da diese Ecke hier nicht so gut beleuchtet war wie der Bahnhofsvorplatz mit seinen riesigen Strahlern, die das Gebäude selbst ins richtige Licht rücken sollten. Und ich hatte nun erstmals die Gelegenheit, mein Werk in seinem Gesicht zu begutachten. Und wenn es nicht so traurig gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich gefunden, dass ich ganz gute Arbeit geleistet hatte: Selbst bei diesem spärlichen Licht war das Veilchen ganz genau zu erkennen – es war ein großer blauer Fleck, der fast den gesamten Bereich zwischen seinem rechten Auge und dem Wangenknochen darunter einnahm. Ich biss mir von Innen auf die Unterlippe und überlegte, wie ich das jetzt wieder gutmachen sollte.

Allerdings kam Gackt mir zuvor: „Genau so fühlt es sich an.“

„Wie?“

„Schau mal in den Spiegel, dann weißt du es“, sagte er und sein Ton war dabei nicht gerade der freundlichste.

„Tut mir leid, dass ich dir eine reingehauen hab“, meinte ich dazu etwas kleinlaut. Wenn er mich schon gleich abservieren würde, dann wollte ich die verbleibende Zeit wenigstens nutzen, um mich bei ihm zu entschuldigen – für alles! „Und dass ich dich so angeschrien und … dich damals einfach sitzengelassen hab. Ich … ich denke, ich war einfach überfordert.“

„Hab ich gemerkt“, lautete Gackts Kommentar dazu, ehe einen Schluck von seinem Kaffee nahm. Ich schwieg einen Augenblick und wartete, ob er vielleicht noch etwas sagen wollte, aber er tat es nicht – zunächst. Denn gerade, als ich den Mund wieder aufmachen wollte, setzte er ebenfalls wieder an: „Mir tut's übrigens auch leid. Ich hätte dich nicht vor den anderen zur Rede stellen dürfen … das war taktlos von mir. Das blaue Auge hab ich also verdient, denke ich.“ Es erleichterte mich, dass er mir zumindest das verzieh … und dass sein Tonfall wieder etwas weicher geworden war als eben noch. Ich wollte nicht näher darüber nachdenken, aber in mir keimte unweigerlich Hoffnung auf, dass das hier vielleicht doch gut enden könnte.

„Allerdings wird es nicht funktionieren, wenn sofort jemand auf stur stellt, sobald irgendwas ist“, hängte Gackt allerdings an und plättete damit das kleine Pflänzchen in meinem Inneren augenblicklich wieder. Und was meinte er damit eigentlich? Von dem neuerlichen Seitenhieb gegen mich und meine Sturheit einmal ganz abgesehen.

Was wird nicht funktionieren?“, fragte ich deshalb nach.

„Was schon? Wir natürlich. Du willst mir doch nicht ernsthaft sagen, dass dir noch nicht aufgefallen ist, wie seltsam unsere … Freundschaft ist. Oder etwa doch?“

„Natürlich ist mir das aufgefallen. Ich weiß nur nicht, was ich davon halten soll. Ich mache so was für gewöhnlich nicht. Also … mit anderen Männern, meine ich. Und mit Frauen eigentlich auch nicht. Ich bin nicht der Typ für solche komischen Beziehungen oder One Night Stands oder irgendwas in die Richtung“, erklärte ich Gackt und musste mich dabei an manchen Stellen zwingen, nicht einfach abzubrechen und ihn mit einer halben Information stehenzulassen. Aber ansehen konnte ich ihn dabei auch nicht.

„Auch das hab ich schon gemerkt“, sagte Gackt wieder, „lag es denn daran? Bist du deshalb damals abgehauen? Hyde?“ Als er meinen Namen nannte, konnte ich dann aber doch nicht anders – ich musste ihn ansehen. Und sein weicher Blick traf mich, als hätte er mir mit einem Brett eins übergezogen. Diesmal konnte ich ihn zumindest einordnen: Er war traurig … traurig über meine Worte und er schien sich zu wünschen, dass es anders wäre. Und wo ich mich in den letzten Wochen und Monaten nur gewundert hatte, wieso ich mich selbst nicht mehr verstand, fragte ich mich plötzlich, was mit ihm los war.

„Ich hatte Angst“, gab ich deshalb zu, „ich hab so was noch nie gemacht und es wäre quasi mein Erstes Mal Reloaded geworden. Also … an sich wäre es wahrscheinlich gar nicht so schlimm gewesen, aber als ich dann gesehen hab, wie groß du bist … also, du … da sind mir die Sicherungen durchgebrannt.“

„Ach so … okay.“

„Ja …“, bestätigte ich ihm … was auch immer, schwieg dann wieder und trank von meinem Kaffee, bevor der noch kalt wurde. Gackt tat es mir gleich und schien – ebenso wie ich – in Gedanken versunken zu sein.

Es dauerte einige Minuten, bis er erneut etwas sagte: „Und sonst? Wenn Sex tabu ist, was ist mit dem ganzen Rest?“

„Welcher Rest?“, fragte ich unschuldig und blickte ihn von der Seite her an.

„Ach, Hyde, das hatten wir doch eben“, seufzte er darauf und klang tatsächlich etwas frustriert, „alles, was wir bisher gemacht haben, wenn wir zusammen waren: die Knutscherei, die Fummelei. Denkst du wirklich, dass das spurlos an mir vorbeigeht? Ich komme zwar mit One Night Stands und so was klar, aber so einer bin ich dann doch nicht. Und ich dachte eigentlich, dass es dir da ganz ähnlich geht, so wie wir neulich Abend umeinander rumgeschlichen sind.“

„Ich weiß nicht …“

„Jetzt stell dich aber mal nicht dümmer als du bist!“, rief Gackt und schimpfte dabei schon fast, lehnte sich gleichzeitig aber auch entspannt nach hinten und stützte die Unterarme auf die Rückenlehne der Bank, „natürlich sind wir das! Ich hab doch nur auf das Kommando gewartet, dass du mich wieder an dich ranlässt. Sonst wären wir doch erst gar nicht in meinem Bett gelandet.“

„Du willst mir doch jetzt nicht etwas sagen, dass du in mich verliebt bist oder so was? Wir kennen uns ja gar nicht.“

„Ach, Quatsch! So weit geht’s nicht. Aber ich kann nicht leugnen, dass da irgendwas an dir ist, das mich anzieht. Und das mit dem Kennenlernen kriegen wir sicher noch hin.“

Diese Unterhaltung wurde langsam wirklich seltsam. Ich hatte auch schon so eine Ahnung, worauf Gackt vielleicht hinaus wollte, aber ich weigerte mich, das tatsächlich als gegeben anzunehmen. Weil das wirklich lächerlich gewesen wäre. So was machte doch kein Mensch, der noch alle Tassen im Schrank hatte! Oder?

„Und worauf willst du jetzt hinaus?“, fragte ich deshalb nach. Ich wollte eine eindeutige Antwort haben – ohne irgendwelches Herumgetänzel oder Umhergeschleiche.

„Na ja“, begann Gackt, grinste dabei ein wenig und biss sich schließlich kurz auf die Unterlippe – und ich konnte nur zugeben, dass das bei ihm ziemlich sexy aussah, „wir könnten es ja mal zusammen versuchen und schauen, wie es läuft.“

„Ohne verliebt zu sein? Und ohne Sex?“

„Das eine kann ja noch kommen. Und beim anderen finden wir schon eine Lösung. Einverstanden?“, sprach Gackt und hielt mir seine rechte Hand hin, als wolle er damit ein Geschäft besiegeln.

So sah er das also? Ich konnte nicht leugnen, dass mir missfiel, wie er damit umging. Ich war noch nie mit jemandem zusammen gewesen, in den ich nicht auch verliebt gewesen war … wenigstens ein bisschen. Und in Gackt war ich so wenig verliebt, wie er in mich, das wusste ich ganz genau. Da war eben nur dieses gewisse Etwas, das er schon angesprochen hatte und das uns irgendwie gegenseitig anzog. Aber war das genug, um eine Beziehung darauf aufzubauen? Vor allem, wenn diese Beziehung noch nicht einmal durch ein gesundes Sexleben gestärkt wurde? Na, zumindest konnte ich dann davon ausgehen, dass er mich nicht nur für's Bett wollte, auch wenn er es anscheinend kaum hatte erwarten können, mich genau dorthin abzuschleppen.

Aber auf der anderen Seite … wenn ich mir unsere gemeinsame Vergangenheit einmal anschaute, dann sah ich auch keine Alternative, als das, was wir miteinander hatten, zu besiegeln. Selbst wenn ich jetzt ablehnen und wir einfach nur Freunde bleiben würden, ahnte ich, dass wir früher oder später doch wieder übereinander herfallen würden. Und das passierte dann vielleicht genau zu einem Zeitpunkt, wenn einer von uns beiden in einer echten Beziehung steckte, und in dem Falle wäre das Drama natürlich groß. Und vielleicht hatte Gackt auch recht, vielleicht kamen die Gefühle noch. Also … warum dann nicht?

Und am Ende traf mein Verstand diese Entscheidung ja sowieso nicht. Ich konnte das Für und Wider dieses Vorschlags noch so sehr überdenken, am Ende streckte ich doch meine Hand aus, um Gackts zu ergreifen.

doch er war schneller als ich, denn kaum, dass er mitgeschnitten hatte, dass ich einschlagen würde, packte er mein Handgelenk, zog mich ganz dicht an sich heran und küsste mich einfach. Diesmal jedoch nicht so forsch wie vorher, sondern viel sanfter, aber nicht minder verlangend. Und mein Herz setzte in diesem Moment einen Schlag aus, um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiterzuschlagen. Es fühlte sich an, als wollte es vor Glück aus meinem Brustkorb springen.

Was war das jetzt wieder?
 

tbc.

New Days' Dawn

3. November …
 

„Hyde … ey, Hyde. Wach auf, Schlafmütze!“, wurde ich gerufen und irgendwann auch gerüttelt. Aber ich wollte noch nicht. Wer auch immer da versuchte, mich aus dem Traumland und damit auch meiner perfekten kleinen Welt herauszuziehen, konnte mich in dem Moment mal kreuzweise. Ich wollte weiterschlafen und den wundervollen Momenten nachhängen, die ich nur so erleben konnte.

Es war wieder alles gut zwischen mir und Gackt – und sogar noch mehr: Er hatte mir vorgeschlagen, eine Art Beziehung miteinander anzufangen, auch wenn die Grundlage dafür alles andere als perfekt war. Aber unser Verhältnis zueinander war ja seit jeher schon reichlich seltsam gewesen, also sollte mich das nicht stören. Und mit den körperlichen Aspekten einer Beziehung mussten wir uns auch noch etwas einfallen lassen … aber das würde nicht mein Problem sein, denn es war ja nur ein Traum. Alles nur Schall und Rauch und in Wirklichkeit hatte ich mich gestern Abend mit Gackt aufs Übelste gestritten, ihm vermutlich ein blühendes Veilchen verpasst und ihn seither nicht wiedergesehen. Danach war ich eine gute Stunde im Regen durch die Stadt geirrt und als ich allein in meine Wohnung zurückgekehrt war, hatte da zwar wirklich Tetsu vor meiner Tür gestanden, allerdings hatte er nicht den Liebesboten gespielt, sondern mir dazu gratuliert, dass ich Gackt nun ein für alle mal los war. Es wäre besser so, hatte er gesagt, er hätte mir sowieso nicht gut getan und jetzt konnte ich getrost wieder zu meinem alten sterberhaften Leben zurückkehren und mich in Ruhe um die Uni kümmern, die ja nun einmal mein einziger Lebensinhalt war. Okay, er hatte nicht gesagt, dass mein Leben sterberhaft wäre und ich nichts anderes als die Uni hätte, aber das wusste ich auch selbst nur zu genau. Und ich fand es schade, dass Gackt nun aus meinem Leben verschwunden war … er hatte dem Ganzen ein bisschen frischen Wind gebracht und ich hätte nur zu gerne ausprobiert, was noch daraus hätte werden können. Wer wusste schon, ob das mit der Beziehung vielleicht gar nicht einmal so abwegig war? Träume waren manchmal wirklich eine wunderbar klärende Sache und mein Unterbewusstsein hatte schon recht, wenn es mir zu verstehen geben wollte, dass wir umeinander herumgeschlichen waren wie eine Katze um die Milch.

„Hyde!“, meldete sich der Störenfried wieder, aber ich wollte ihm nicht nachgeben, nicht kampflos aufgeben.

„Lass mich in Ruhe, Tet-chan, ich will noch ein bisschen von Gackt träumen“, murrte ich und drehte mich um, weg von ihm. Wenn er schon darauf bestand, die Nacht über bei mir zu bleiben, damit ich nicht so allein war und jemand da war, wenn mich die Gackt-Sache doch noch einmal aus der Bahn werfen würde, dann sollte er mich wenigstens ausschlafen lassen. Schließlich war Sonntag!

„Was brabbelst du denn da für Zeug zusammen?“, hakte mein bester Freund verwirrt nach und ließ dann auch endlich meine Schulter los, an der er gerüttelt hatte. Trotzdem sprach er weiter … allerdings nicht zu mir: „Hallo? … Ja, ich bin's schon wieder … nein nein, ihm geht’s gut. Den Rest soll er dir mal selbst erzählen, er will aber nicht aufwachen und faselt im Halbschlaf irgendwelchen Mist. Ich sag ihm, dass du angerufen hast, sobald ich ihn wach gekriegt hab … ja, hab ich schon gemerkt, hehe. Da muss ich wohl zu härteren Mitteln greifen … Gott bewahre, nein! Aber ich lass mir schon was einfallen … jup, man sieht sich sicherlich. Tschüss.“

Anscheinend telefonierte Tetsu mit irgendjemandem … Ken, Yuki oder Ayana vielleicht. Sie hatten meinen Abgang gestern Abend schließlich alle mitbekommen und machten sich jetzt bestimmt Sorgen, ob auch alles in Ordnung war. Ich freute mich über ihre Sorge, denn das zeigte mir nur wieder einmal, was für tolle Freunde ich hatte … und trotzdem war ich nicht gewillt, mich jetzt schon der Realität zu stellen. Denn auch da hatte der Traum recht gehabt: Selbst ein klarer Schnitt mit Gackt verwandelte die Welt nicht augenblicklich in Friede, Freude, Eierkuchen. Es würde sicherlich dauern und einiges an Energie kosten und-

Plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als Tetsu sich auf einmal über mich beugte und seine Lippen auf meine drückte. Und dabei beließ er es nicht, sondern knabberte auch noch an meiner Unterlippe und krönte das Ganze damit, dass er versuchte, seine Zunge zwischen meinen Lippen hindurchzuschieben. Was zum …?!

„Tetsu!“, rief ich augenblicklich, wich dabei an die Wand zurück, an der mein Bett stand, und öffnete auch endlich die Augen. Ich sah zu Anfang nicht viel, weil alles zu hell für mich war, sondern konnte erst einmal nur vage Umrisse erkennen. Aber auch das fand ich komisch, denn wenn mich selbst mein schlaftrunkener Blick nicht täuschte, war die Person, die vor mir saß, zumindest obenherum nackt. Und das konnte eigentlich gar nicht Tetsu sein! Wenn der auf meiner Couch schlief, dann behielt er immer alles an.

„Falsch“, sagte mein Gegenüber daraufhin auch, „rate nochmal.“

Aber ich würde nicht raten. Ich rieb mir über die Augen und das Gesicht, um die Müdigkeit hoffentlich abschütteln und wieder klarer sehen zu können. Und als ich dann ein zweites Mal hinsah und der verschwommene Umriss schärfere Formen annahm, stand ich zwischen der Entscheidung, in Jubelgeschrei auszubrechen oder ihn ungläubig anzustarren.

Ich wählte Letzteres: „Gackt?!“

„Da scheint ja jemand unter bösem Gedächtnisverlust zu leiden“, lachte der aber mit einem breiten Grinsen im Gesicht … und einem blühenden Veilchen unterm Auge, „soll ich dir ein bisschen auf die Sprünge helfen?“ Und ohne auf meine Zustimmung zu warten, kam er mir wieder näher, legte eine Hand in meinen Nacken, stützte sich mit der anderen auf der Matratze ab und küsste mich dann wieder. Diesmal kam es auch nicht so plötzlich wie eben noch, sodass ich nicht zurückschreckte, sondern es zuließ. Und es fühlte sich genauso an wie in meinem Traum: sanft und dennoch verlangend.

Ich seufzte leise, legte eine Hand auf Gackts nackten Oberarm und spürte, wie mir langsam, aber sicher etwas bewusst wurde: Es war kein Traum gewesen. Alles war wahr und ich hatte mir unser Treffen am Bahnhof nicht nur eingebildet. Stattdessen war das andere, die Alternative, die ich bis eben noch für die Wahrheit gehalten hatte, nicht real. Er war wirklich hier, er war hier und küsste mich! Es war einfach nur … wow!

Als wir uns gefühlte Minuten später wieder voneinander lösten, grinste Gackt mich noch immer an: „Na, jetzt wieder alles klar?“

„Ich denke schon“, entgegnete ich und lächelte nun ebenfalls.

„Schön.“ Mit diesem Kommentar machte er es sich dann auch endlich – oder wieder? – neben mir bequem und schlüpfte zu mir unter die Decke, sodass sich bemerkte, dass er tatsächlich fast nackt war und nur noch seine Unterwäsche trug. Ich hingegen steckte in meinen normalen Klamotten für die Nacht: eine abgetragene Jogginghose und ein T-Shirt. „Tetsu hat übrigens angerufen und wollte wissen, wie es dir geht. Ich würde sagen, er war positiv überrascht, als er schon wieder mich dran hatte und nicht dich. Du kannst dir mit dem Rückruf Zeit lassen, hat er gesagt.“

Er hatte also tatsächlich telefoniert!

„Ist das nicht nett von ihm?“, fragte Gackt dann auch noch nach und malte mit dem Zeigefinger der rechten Hand meine Lippen nach. Mit der linken hielt er seinen Kopf, da er sich mit dem Arm auf der Matratze abstützte. Dabei lag seine Hand an seiner Schläfe … genau neben dem Veilchen, das ich ihm verpasst hatte.

„Hm …“, machte ich daher leicht abwesend und streckte meine Hand ebenfalls aus, um ihn an der Wange zu berühren und sachte über den blauen Fleck zu streichen, „tut's denn noch weh?“

„Wenn du draufdrückst schon“, beantwortete er meine Frage noch immer schmunzelnd, „aber sonst nicht. Und ich hab dir ja schon gesagt, dass ich es sogar irgendwie verdient hab – mach dir da also mal keine Gedanken drüber. In ein paar Tagen ist es sowieso wieder weg und bis dahin trage ich es wie ein Mann, der von seinem Freund eins auf die Nase bekommen hat.“

Freund … er hatte von seinem Freund gesprochen – nicht von einem, sondern seinem. Ich biss mir leicht auf die Unterlippe und freute mich im Stillen über seine Wortwahl.

„Was auch immer für schmutzige Gedanken du gerade hast, ich will mitmachen“, holte mich Gackt dann – erneut – ins Hier und Jetzt zurück und setzte dabei wieder sein diebisches Grinsen auf, das ich mittlerweile schon ziemlich gut kannte.

„Ist nichts Schmutziges“, widersprach ich ihm allerdings und lehnte mich dann nach vorne, um ihm erst einen federleichten Kuss auf das Veilchen zu hauchen und mich dann seinen Lippen zuzuwenden. Und Gackt schien zu ungeduldig zu sein, um darauf warten zu können, denn kaum dass meine Lippen seine Wange verlassen hatten, drehte er den Kopf etwas in meine Richtung, sodass sein Mund schneller auf meinem war, als ich es erwartet hatte. Aber es sollte mich nicht stören, schließlich hatte ich genau das beabsichtigt. Und während wir uns küssten, konnte ich auch nicht anders, als noch näher an ihn heranzurutschen, sodass wir kurz darauf die Arme umeinander schlangen, weil sie uns sonst im Weg gewesen wären. Irgendwann lag ich schließlich halb auf ihm, eine Hand auf seiner Schulter, die andere an seiner schlanken Taille.

So verbrachten wir den gesamten Morgen und ich rief Tetsu erst zurück, als es schon fast Mittag war.
 

*
 

Die nächsten Wochen verliefen nahezu reibungslos und versetzten mich dabei in eine Laune, die mich auch unitechnisch wieder zu Höchstformen auflaufen ließ. Mein Elan war zurückgekehrt, das Lesen und Notizen machen fiel mir wesentlich einfacher und ich hatte schon große Fortschritte beim praktischen Teil meiner Abschlussarbeit gemacht. Wenn ich dieses Tempo hielt, würde ich mit allem bequem fertig werden und könnte es sogar noch eine Woche ruhen lassen, bevor ich mich an die Endkorrektur setzte.

Besonders gut konnte ich mich auf meine Arbeit konzentrieren, wenn ich genau wusste, das ich Gackt später noch treffen würde und daher nicht zu sehr herumtrödeln sollte. Ich sah die Dates mit ihm quasi als Belohnung für gute Leistungen an und es war wirklich ein großartiger Ansporn.

Sogar die anderen kamen nicht umhin, zu bemerken, wie wohl ich mich in letzter Zeit fühlte. Ich war weniger muffelig, wenn es darum ging, einen draufzumachen, und strengte mich stattdessen sehr an, dass ich gleichzeitig alles rechtzeitig schaffte und trotzdem genug Zeit mit allen verbringen konnte. Sie hatten sogar nichts dagegen, dass ich Gackt ab und an mitschleppte. Sogar You wurde herzlich begrüßt, aber Tetsu und er hatten sich ja auch vorher schon gekannt, also hatte ich das sowieso nie als Problem angesehen.
 

„Das ist der Doiha, den ich kennengelernt hab“, flüsterte Tetsu mir eines Abends mit einem Bier in der Hand zu, „und nicht dieser mürrische Kerl, der absolut keinen Spaß mehr versteht.“

„Äh … was soll denn das nun wieder heißen?“, fragte ich daraufhin und guckte ihn ganz verwirrt an.

„Och, nichts Besonderes. Gackt scheint dir nur ganz gut zu tun, finde ich.“

„Ach so …“, sagte ich verstehend und schmunzelte ein bisschen, „finde ich auch.“

„Und wie kommt ihr voran? Hat sich bei euren Baustellen schon irgendwas ergeben?“, hakte Tetsu weiter nach und sprach damit ein ziemlich heikles Thema an. Natürlich hatte ich ihm alles von meiner Versöhnung mit Gackt und der kleinen Abmachung bezüglich unserer Beziehung erzählt. Er war natürlich nicht unbedingt begeistert von dieser Art Deal gewesen, hatte mir aber gesagt, er würde mir die Daumen drücken, dass es nicht böse ausging und wir bald herausfanden, was wir wirklich wollten.

„Nein, nichts“, gab ich dennoch direkt zu. Was half es denn auch, es zu verheimlichen? „Uns geht’s so weit ja ganz gut, denke ich … und bei ihm ist anscheinend kein Änderungsbedarf da. Jedenfalls hat er nichts gesagt und nichts mehr versucht … na ja … wir werden sehen …“

„Hm … okay“, sagte mein bester Freund daraufhin nur und wechselte dann das Thema. Aber ich wurde aus seiner Antwort nicht schlau und fragte mich, ob das vielleicht doch ein Ansporn sein sollte, damit einmal auf Gackt zuzugehen, oder eine Bestätigung á la „Das machst du gut, lass dich nur zu nichts drängen!“

Und so ganz die Wahrheit hatte ich ihm auch nicht gesagt, aber das lag ausschließlich daran, dass ich mir da selbst noch nicht ganz sicher war. Es hatte in den letzten Wochen schon so einige kleine Veränderungen gegeben, bei denen ich mich fragte, ob ich mich dabei nur daran gewöhnte, dass ich mit einem Mann zusammen war, oder ob es wirklich von innen heraus kam. Denn je länger meine Beziehung zu Gackt dauerte und je öfter ich bei ihm war, desto wohler fühlte ich mich mit ihm. Ich kannte ihn ja nun auch wesentlich besser als bei den paar Treffen zuvor, die unsere gesamte Freundschaft ausgemacht hatten.

So wusste ich nun endlich, wo er überall arbeitete, wo er vorher gelebt hatte, wie seine Familie so war, dass er zwei Geschwister – eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder – hatte, was er mochte und nicht mochte und so weiter. Nur was er mit seinem Leben einmal anfange wollte, das wusste ich nicht. Aber das lag eher daran, dass er da selbst keinen genauen Plan hatte. Der Job bei Chacha im Tonstudio machte ihm ziemlich viel Spaß und durch You, der nicht nur Violine, sondern auch Gitarre spielen konnte, war er ja ständig von Musik umgeben, sodass er durchaus mit dem Gedanken spielte, in der Richtung irgendwas zu machen. Sicher war er sich trotzdem nicht, doch das nahm er nicht allzu ernst, da es ihm im Augenblick ziemlich gut ging, selbst wenn er dafür drei verschiedene Jobs brauchte. Er würde sich entscheiden, wenn er müde wäre, die zu machen, was mir natürlich schon einige Sorgen bereitete. Ich war schließlich ein ganz anderer Typ und eher darauf bedacht, dass alles sicher und stabil war. Zugegeben, ein Kunststudium war jetzt nicht gerade der Garant für einen festen Job, aber zumindest ließ ich mich nicht ganz so treiben wie Gackt. Trotzdem redete ich ihm da nicht rein, weil ich fand, dass wir dazu einfach noch nicht lange genug zusammen waren und es schließlich sein Leben war, mit dem er anfangen konnte, was er wollte. Und wer wusste schon, ob er nicht nächste Woche plötzlich einen Geisterblitz hatte, der alles ändern würde? Ich genoss einfach die Momente meines Lebens, die ich mit ihm teilte. Es würde eben nur Probleme geben, wenn ich mich enger an ihn band und seine Belange mich dann auch etwas mehr angehen würden.

Und genau das schien so langsam zu geschehen, was mir nur wenige Tage, nachdem mich Tetsu auf einer Party nach meiner Beziehung zu Gackt ausgefragt hatte, ziemlich klar wurde.
 

*
 

4. Dezember …
 

Es war ein Sonntag Morgen Anfang Dezember und ich hatte die letzte Nacht in Gackts Wohnung im Allgemeinen und in seinem Bett im Speziellen verbracht. Wir schliefen noch immer nicht miteinander, aber wie ich Tetsu schon gesagt hatte, machte Gackt keine Anstalten, von sich aus irgendwas ändern zu wollen. Also, vollkommen unschuldig war unsere Beziehung nun auch wieder nicht, denn wir küssten uns nicht nur, sondern suchten schon körperliche Nähe zueinander – fummelten, wie man im Volksmund so schön sagte – und brachten uns dabei manchmal gegenseitig zum Höhepunkt … so wie damals, kurz bevor ich ihn einfach sitzengelassen hatte. Aber da hörte es eben auf und Gackt nahm das bereitwillig hin.

Auch letzte Nacht und vor einer halben Stunde war es so abgelaufen, sodass wir beide in diesem Moment so gut wie nichts an hatten. Also … ich hatte so gut wie nichts an, sondern nur ein paar Shorts, Gackt war komplett nackt. Er mochte es, nackt zu schlafen, und weil wir ja nun schon mehrfach intim miteinander geworden waren, hatte er kein Problem damit, vor mir nackt durch die Gegend zu laufen, wenn ich denn damit einverstanden wäre. Mir hatte es ebenfalls nichts ausgemacht – aus demselben Grund und auch wegen der Tatsache, dass ich ebenfalls ein Mann war und ihm so nichts weggucken könnte. Alles schon gesehen, passt. Nur an diesem Morgen war es eben anders.

Wir lagen schon seit einer Weile wach im Bett und genossen die morgendliche Ruhe und die Nähe des jeweils anderen. Gackt hatte einen Arm um meine Taille geschlungen und mich eng an sich gezogen – sonst hätte seine Bettdecke auch gar nicht für uns beide ausgereicht. Den anderen Arm hatte er angewinkelt und seinen Kopf darauf gebettet, sodass möglichst keine Körperteile im Weg waren oder wir unbequem lagen. Schließlich war es an sich schon schwierig genug, uns in seinem Einzelbett richtig zu koordinieren. Aber eins seiner Körperteile war mir nur allzu bewusst, denn es lag nun wieder erschlafft an meinem Oberschenkel. Aber das störte mich im Augenblick weniger, als man jetzt vielleicht denken könnte, denn vor nicht allzu langer Zeit hatte ich es noch in der Hand gehabt und Gackt so die süßesten Laute entlockt, während er mit mir dasselbe getan hatte. Sein Stöhnen und Keuchen hallte noch immer in meinen Ohren und ich musste unwillkürlich schmunzeln, als ich es mir wieder in Erinnerung rief.

„Wieso das Grinsen, Hy-chan?“, fragte Gackt darauf direkt neckend. Er mochte es, mich zu beobachten, das hatte er mir schon ziemlich früh in unserer Beziehung gesagt, und tat das dementsprechend häufig, weshalb es ihm jetzt ebenfalls nicht entgangen war.

„Nichts Besonderes“, antwortete ich ihm jedoch und reckte den Hals etwas, um ihm einen Kuss auf die Lippen zu drücken.

Aber Gackt ließ sich nicht ablenken, er hatte erstaunlich schnell gelernt, mich richtig einzuschätzen: „Nichts besonders Jugendfreies, wolltest du wohl sagen, ne? Du scheinst mal wieder zu vergessen, dass das nun schon seit ein paar Monaten kein Hindernis mehr für mich ist.“

Mein Grinsen wurde augenblicklich breiter und ihm schien das wohl als Antwort zu genügen, denn er begann, leise zu lachen, und raubte mir dann seinerseits einen weiteren Kuss, ehe er sich aber so langsam von mir löste.

„Kommst du mit unter die Dusche oder willst du sie später für dich alleine haben?“, wollte er von mir wissen, als er bereits ein Bein aus dem Bett geschwungen hatte und Anstalten machte, sich aufzusetzen.

Und ich wusste nur zu genau, worauf er hinaus wollte, weshalb ich ihm auch direkt den Scherz von eben heimzahlte: „Denkst du denn, du schaffst das jetzt schon wieder? Wir haben doch eben erst …“

„Eben erst was?“ Ouw~ wie gemein er manchmal sein konnte!

„Das weißt du ganz genau“, versuchte ich mich zu retten, aber es half mir nicht aus der Patsche.

„Ja, und du auch“, schoss Gackt zurück und stupste mit dem Zeigefinger gegen meine Nase, „also könntest du es doch langsam mal aussprechen. Du tust ja gerade so, als würdest du sofort verhaftet werden, wenn du die ganzen schmutzigen Dinge, die wir miteinander tun, in den Mund nehmen würdest. Außerdem könnte ich wetten, dass deine Gedanken voll davon sind. Also mach den letzten Schritt doch einfach mal.“

„Na~“, machte ich abweisend, drehte mich auf den Rücken und krallte mir die gesamte Decke, da Gackt mittlerweile sowieso komplett saß und sicherlich gleich aufstehen würde, „ich steh nicht so auf Dirty Talk, weißt du doch.“

„Wo ist es denn Dirty Talk, wenn du nur einmal sagst, dass du mir einen runtergeholt hast? Ist ja nicht so, dass du schlecht dabei wärst, obwohl du ziemlich abgelenkt gewesen sein dürftest. Ich bin zumindest auf meine Kosten gekommen und man kann ja auch mal stolz auf was sein.“

„Na~“, machte ich wieder und konnte nur zu genau zu genau spüren, wie mir das Blut in die Wangen stieg und ich wahrscheinlich knallrot wurde. Das konnte Gackt ja nun gar nicht entgehen!

Tat es natürlich nicht, denn er griff es direkt auf: „Manchmal glaube ich, dass du eigentlich doch ein Mädchen werden solltest und die Schöpfer da nur was verwechselt haben. Vielleicht hätten wir es doch bei unserem kleinen Missverständnis belassen sollen, Hachiko.“

Aus Rache warf ich sein Kissen nach ihm, traf aber trotz der geringen Entfernung nicht, da ich auf dem Rücken lag und er sich in einer Position befand, in der er dem Geschoss rechtzeitig ausweichen konnte.

„Bäh, jetzt will ich dich gar nicht mehr mit unter die Dusche nehmen!“, drohte Gackt mir anschließend scherzhaft und streckte kurz die Zunge heraus. Ich tat es ihm gleich und fing schließlich das Kissen auf, das er mir wieder hinwarf – es landete direkt auf meinem Gesicht, sodass meine Nase augenblicklich voll von dem Geruch von Gackts Parfüm war. Eigentlich nahm ich es schon gar nicht mehr richtig wahr, wenn ich hier war, aber wenn einem plötzlich alle andere Luft abgeschnitten war, dann kam man einfach nicht umhin. Und es roch gar nicht mal so schlecht.

Als ich mich wieder von dem Kissen befreit und es zurück unter meinen Kopf gepackt hatte, war Gackt nun wirklich aufgestanden und steckte bereits halb in seinem Kleiderschrank … vermutlich auf der Suche nach einem sauberen Handtuch, denn mir war gestern Abend schon der Berg Wäsche im Bad aufgefallen, der wahrlich danach schrie, dass man sich endlich um ihn kümmerte.

Und dann traf es mich und ich wusste plötzlich ganz genau, was sich in den letzten Wochen in unserer Beziehung verändert hatte: Ich betrachtete Gackt in diesem Moment nicht einfach nur als einen anderen Mann, der zufällig nackt im Raum stand, ich betrachtete nun auch seinen nackten Körper – und zwar ausgiebig! Mein Blick glitt über seinen Rücken und die Muskeln, die sich unter seiner Haut bewegten, wenn er sich bewegte, sein Gewicht verlagerte oder einen kleinen Schritt nach vorn oder hinten machte. Dann musterte ich seine schlanke Taille für einen Moment und seinen straffen Hintern um einiges länger. Und wenn Gackt nicht so weit weg gewesen wäre, dann hätte ich jetzt meine Hand nach ihm ausgestreckt und die sicherlich weiche Haut seines Hinterteils gestreichelt. Das hatte ich noch nie bewusst gemacht, denn so wenig wie ich mich von ihm nehmen lassen wollte, wollte ich das bei ihm tun. Dabei war es zwar nicht die Angst, die mich zurückhielt, aber doch eine gewisse Unsicherheit, irgendetwas Schlimmes anstellen zu können. Trotzdem konnte ich mich jetzt einfach nicht von dem Anblick, der sich mir bot, lösen. Selbst seine Beine waren toller als die der meisten Mädchen, mit denen ich mal was gehabt hatte.

Gackts Körper sah einfach nur gut aus, das konnte man wirklich nicht bestreiten – hatte ich ja auch noch nie, aber das hier war etwas anderes und in mir machte sich noch ein weiteres neues Gefühl breit. Es sagte mir voller Stolz, dass das alles meins war. Meins, meins, meins! Gackt war meins und somit auch der Körper, den ich gerade so ausgiebig musterte und bewunderte, und … das Blut schoss nun von meinen Wangen zurück in tiefere Regionen meines Körpers, wo es sich zu stauen begann und dafür sorgte, dass mir wieder ganz warm wurde. Dabei hatten wir doch vorhin erst … ich biss mir auf die Unterlippe, schob die freie Hand unter die Bettdecke und näherte mich damit vorsichtig meinem Unterleib. Vielleicht übertrieb ich etwas, denn so empfindlich war ich dann doch nicht, aber es war neu für mich, dass mich Gackts bloßer Anblick so erregte. Bisher hatte er immer etwas mit mir anstellen müssen, bevor ich reagiert hatte – zumindest ein paar seiner forschen, hungrigen Küsse hatte es gebraucht – und nun machte er noch nicht einmal den kleinen Finger krumm und ich war schon wieder voll und ganz auf dem Weg in höhere Sphären. Meine Mitte war ganz heiß und von der Beule in meinen Shorts wollte ich gar nicht erst anfangen.

„Bin gleich wieder da“, erteilte Gackt mir jedoch unbeabsichtigt eine Absage und verschwand nur einen Augenblick später mit einem großen, dunkelgrauen Handtuch über der Schulter durch die Tür.

„Ah, Morgen, You“, hörte ich ihn dann draußen auf dem Flur noch sagen, während mir so langsam die Konsequenzen dieser Situation einsanken.

„Kannst du dir nicht mal was anziehen?“, wurde Gackts Morgengruß in einem nur halbernsten Ton erwidert.

„Und willst du dich nach all den Monaten nicht endlich mal dran gewöhnen?“

„Mich stört's ja auch nicht. Aber deinen Lover vielleicht, wenn du dich anderen Kerlen nackt präsentierst.“

„Ach, wozu denn? Bist doch nur du. Das stört ihn schon nicht.“

„Gackt, warte!“, war schließlich mein Beitrag zu dem Gespräch, ich sprang aus dem Bett und hastete hinter ihm her. Dabei rannte ich – schon wieder – fast in You hinein, als ich aus dem Schlafzimmer geschossen kam.

Der begrüßte mich nur mit einem verwirrten „Hyde, du bist ja da!“, was ich allerdings kaum beachtete. Ich warf ihm maximal noch ein Ja zu, wenn überhaupt, und machte dann, dass ich ins Bad kam, wo Gackt bereits verschwunden war. Und anders als er schloss ich die Tür hinter mir ab.

„Huh, was machst du denn hier?“, gab sich Gackt dabei ganz überrascht, zog eine Augenbraue in die Höhe und musterte mich, wie ich nur in Shorts vor ihm stand. In Shorts, unter denen sich eine verräterische Beule abzeichnete. Und er schien einen Radar dafür zu haben, denn schon nach wenigen Augenblicken begann er zu grinsen. „Aha, daher weht der Wind. Willst du jetzt etwa doch mit duschen?“

„Halt die Klappe“, sagte ich allerdings und viel ihm um den Hals, um mich ganz eng an ihn zu drücken und ihn zu küssen, bis ihm und mir die Luft ausgehen würde. Bevor es dazu kam, hauchte ich jedoch noch: „Und zieh dir demnächst was an, wenn du aus dem Bett steigst!“

Das war der Tag, an dem ich das erste Mal von Gackts Körper angezogen wurde und ihn auch gleich für mich – für mich allein – beanspruchte.
 

tbc.

Sex, Blood, Rock'n'Roll

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Euphoria

3. Januar …
 

Man konnte mich nun wohl offiziell als bisexuell bezeichnen.

Na ja, das konnte man vielleicht schon ein Weilchen länger, aber selbst als ich diese Beziehung mit Gackt eingegangen war, hatte es sich irgendwie nicht so angefühlt. Nun, da ich auch richtig mit ihm geschlafen und außerdem realisiert hatte, dass ich in ihn verliebt war, war es mir irgendwie in den Sinn gekommen, dass sich da definitiv etwas getan hatte.

Oder war Gackt nur die Ausnahme und alles andere beim Alten geblieben? Aber wenn ich Sex mit einem Mann hatte und mir das ebenso gefiel wie mit einer Frau, dann hieß das doch, dass man bisexuell war, oder? Ich hatte mir noch nie sonderlich viele Gedanken darüber gemacht, was es genau bedeutete, denn eigentlich bekam man das ja im alltäglichen Leben schon irgendwie mit. Aber auf der anderen Seite gab es da auch noch so viele andere Begriffe, die auf -sexuell endeten, die ich vielleicht vom Hören her kannte und gleichzeitig nicht genau wusste, was dahinter steckte: bisexuell, metrosexuell, pansexuell … was auch immer Letzteres mit Brot zu tun hatte (pan = japanisch für 'Brot'). Ich würde das wohl mal nachschlagen müssen.

Das Positive war allerdings, dass ich zwar darüber nachgrübelte, was ich nun war, aber es störte mich nicht. Gackt war ein Kerl, aber wenn er ein Mädchen gewesen wäre, hätte das absolut nichts an der Tatsache geändert, dass ich mich in ihn verliebt hatte und scharf auf ihn war. Schließlich hatte ich in den vergangenen knapp zwei Wochen einiges an Sex mit Gackt gehabt und – auch wenn ich von unserem ersten Mal so überwältigt gewesen war, dass ich es mir kaum hatte vorstellen können – wir waren dabei immer besser geworden, hatten unsere Körper noch genauer kennengelernt. Allein zu diesem Weihnachtstag hatten wir es noch zwei weitere Male getan. Schließlich hatten wir einiges nachzuholen, hatte Gackt mit einem Augenzwinkern gesagt.

Mit der Zeit waren die Schmerzen auch immer weniger geworden und schließlich ganz verschwunden, was sicherlich auch daran lag, dass wir nun immer Gleitmittel benutzten und nicht mehr improvisieren mussten, was das anging. Gott, von unserem Verbrauch davon und von Kondomen durfte ich eigentlich keinem erzählen, wenn ich nicht wollte, dass uns derjenige hinterher für sexbesessen hielt. Ich hatte diese Gedanken bisher auch nur Gackt gegenüber geäußert und er hatte gesagt, dass das alles gar nicht so schlimm sei, wie ich jetzt vielleicht glaubte. Solange wir keine wunden Stellen bekamen und zum Arzt mussten, war alles in Ordnung. Man musste zwar bedenken, dass ich auch vor ihm schon ein Sexleben gehabt hatte, aber als er mir erzählt hatte, dass das in einer seiner Beziehungen durchaus schon vorgekommen war, hatte ich ihn doch nur mit großen Augen angeguckt. Wunde Stellen aufgrund von übermäßiger Benutzung … das war mir auch noch nirgendwo untergekommen.
 

Tja, über so was dachte ich nach, während ich nur mit einem Paar Shorts und einem von Gackts Hemden bekleidet bei ihm in der Küche stand und uns Omelett zum Frühstück machte. Und als meine Gedanken zu einem Zeitpunkt ungefähr eine Stunde vorher zurückkehrten, musste ich unwillkürlich schmunzeln, denn es war das erste Mal gewesen, dass Gackt mich darum gebeten hatte, dass ich ihn nahm. Ich hatte mich wohl gar nicht so schlecht angestellt, aber ein bisschen unsicher war ich eben doch gewesen.

Und jetzt geisterten diverse Dinge durch meinen Kopf, die ich beim nächsten Mal definitiv besser machen würde. Was wiederum dazu führte, dass ich ein bisschen rot um die Nase wurde, während ich mir das alles vorstellte und dabei natürlich auch Gackts Reaktionen und Geräusche nicht ausblenden konnte.

„Wo bist du denn jetzt schon wieder?“, wurde ich auf einmal angesprochen und dabei von hinten in eine enge Umarmung gezogen. Mein Verstand schnappte sofort in die Realität zurück und als ich realisierte, dass es Gackt – Wer auch sonst? – war, der sich da an meinen Rücken schmiegte und mir ins Ohr flüsterte, wurde das Rot auf meinen Wangen augenblicklich noch etwas intensiver. „Irgendwelche Geheimnisse, die du mit mir teilen willst?“

Ich lachte aber nur leise und lehnte mich noch etwas an ihn, sog den frischen Duft des Shampoos ein, den er nach seiner Dusche verströmte. „Nein, keine“, sagte ich nach einer Weile.

„Gut“, meinte Gackt darauf, knabberte noch etwas an meinem Ohr und schlüpfte mit den Händen ungeniert unter sein Hemd, das ich trug, und ließ sie dann auf meinem Bauch liegen. „Und?“

„Was und?“

„Wie geht’s dir? Fühlst du dich gut?“ Er klang dabei etwas besorgt und sogar … schüchtern?

Ich lachte wieder auf, als ich verstand, was er von mir wollte und beruhigte ihn dann direkt auch: „Ach so. Ja, alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen.“

„Das ist gut“, entgegnete Gackt in einem tatsächlich beruhigten Tonfall, „Und was denkst du … willst du das wiederholen?“

Ich begann darauf zu grinsen, was Gackt natürlich nicht sehen konnte, weil er hinter mir stand. Hatte er tatsächlich solche Sorgen, dass ich nach allem, was wir bisher miteinander getan hatten, jetzt noch aus dieser Achterbahn ausstieg?

„Ja, liebend gern“, lautete schließlich meine Antwort.

„Das ist sogar noch besser.“

„Hehe.“

Und dann begann er, mich am Hals zu küssen, sanft mit den Zähnen zu zwicken und auch zu saugen. Seine Hände wurden nun dabei wieder aktiv, kraulten meinen Bauch und schoben mein Hemd nach oben, entblößten meinen nackten Oberkörper. Er trieb das alles ziemlich schnell immer heftiger – wilder und noch hungriger als sonst, sodass ich ihn wohl oder übel – eher übel! – unterbrechen musste: „Hey, was soll das werden?“

Nicht dass es mir nicht gefallen hätte, aber ich hantierte hier immer noch mit heißen Pfanne herum und wenn die vom Herd fiel und vielleicht noch auf meine nackten Füße oder Gackt mich ganz plötzlich gegen den Herd drückte, dann war das alles andere als schön. Und selbst wenn er mir nur Knutschflecke ohne Ende verpassen würde, dann würde man die doch noch eine ganze Weile sehen und auch das musste nicht unbedingt sein. Ich war mir sicher, dass ich dann von so ziemlich jedem aufgezogen werden würde, wie unersättlich ich doch wäre, wenn ich so etwas zulassen würde. Zumindest meine Freunde würden das tun, da konnte ich mir bei Ken und Tetsu sicher sein!

„Ich bin ein Vampir“, antwortete Gackt mir schließlich auf meine Frage, nach der er es sich aber auch nicht nehmen ließ, mit seinem Tun fortzusetzen.

Und ich gab nach – wenigstens ein bisschen, denn ich tat ihm den Gefallen, schloss genießend die Augen und legte meinen Kopf nach rechts, um ihm links mehr Platz zu bieten. Allerdings warnte ich ihn auch: „Pass aber auf, ich hab das Frühstück auf dem Herd. Und ich muss in einer halben Stunde wieder los.“

Damit war der Augenblick dann ruiniert. Gackt hörte schlagartig auf, mich zu küssen, und fragte stattdessen verdutzt: „Wo musst du denn hin? So früh gehst du doch nie aus dem Haus.“

Ich öffnete die Augen wieder – widerwillig, wie ich selbst feststellen musste –, um ihm zu antworten: „Heute ist eine Ausnahme. Der Kurs, an dem ich teilnehme, wäre eigentlich gestern gewesen, aber da waren ja noch Semesterferien. Weil der Prof aber einfach nicht in die Puschen kommt und deshalb unbedingt diese Sitzung braucht, müssen wir heute schon antreten und nicht erst nächste Woche. Ist auch gleich eine Doppelsitzung, um die Pause über Weihnachten und Neujahr auszugleichen.“

„Heißt das etwa, dass du den gesamten Vormittag weg sein wirst?“, hakte Gackt nach meiner Erklärung nach … und schlussfolgerte damit haargenau richtig.

„Ja.“

„Das ist Mist.“

„Wieso? Hattest du irgendwas Besonderes vor?“

„Nicht wirklich“, gab Gackt zu, klang allerdings trotzdem etwas niedergeschlagen, „aber ich hab heute nur den Vormittag frei und muss danach ins Tonstudio und diese Nacht auch arbeiten.“

Er brauchte gar nicht weiterzureden, denn auf die Folgen konnte ich auch alleine kommen: Wir würden uns heute nicht mehr sehen.

„Meh“, war deshalb meine Reaktion darauf, hatte dann aber eine Idee.

„Ganz genau“, kam Gackt mir jedoch zuvor, noch bevor ich wieder zum Sprechen ansetzen konnte, „musst du denn wirklich zu dem Kurs? Du könntest doch mal schwänzen und dich stattdessen mit mir vergnügen. Wie klingt das?“

Ich seufzte daraufhin erst einmal. Wie oft hatte ich es ihm erklärt? Hatte er denn nie zugehört oder war er tatsächlich so vergesslich?

„Ich muss nicht wirklich da hin“, begann ich also noch einmal von vorn, legte den Kochlöffel zur Seite und drehte mich in Gackts Umarmung zu ihm um, „es interessiert bei uns kein Schwein, wer alles zu den Vorlesungen oder Seminaren aufkreuzt. Aber ich mach das schließlich freiwillig, um vielleicht noch ein bisschen was aufzuschnappen, das ich für meine Abschlussarbeit benutzt kann. Sorry, Gacchan, aber nicht hinzugehen ist keine Option. Wie wäre es denn aber damit, wenn du mitkommst?“

Daraufhin zog er ungläubig beide Augenbrauen nach oben und sah mich äußerst irritiert an: „Ich? In einer Veranstaltung an der Uni? Und dann auch noch Kunst! Ich versteh davon doch gar nichts.“

„Ach, jetzt tu mal nicht so, als ob es so abwegig wäre, dass du zur Uni gehst“, war es nun an mir, mich etwas pikiert und zweifelnd zu geben, „du bist doch nicht blöd. Und wenn du wirklich nichts verstehst oder es dir zu langweilig wird, dann kannst du ja noch ein bisschen schlafen … da wärst du echt nicht der Einzige.“

„Na, da kann ich ja eigentlich gleich zu Hause bleiben“, war Gackt Einspruch dazu, wobei er abschätzig die Lippen verzog.

„Aber zumindest hätten wir noch ein bisschen Zeit zusammen. Komm schon, Gacchan, tu mir den Gefallen“, bettelte ich nun schon ein wenig, lehnte mich nach vorne und reckte den Hals, um ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen zu drücken. Ich versuchte, ihn zu verführen, ihm ein Ja zu entlocken, denn auch mich fuchste es an, dass wir heute praktisch nur das Frühstück zusammen haben würden, obwohl – oder vielleicht auch gerade weil? – ich die letzten Tage fast komplett mit ihm verbracht hatte. Und das lag sicherlich zu einem nicht unerheblichen Teil daran, dass mir vor gut einer Woche angefangen hatte, tiefere Gefühle für Gackt zu hegen.

Das hatte ich ihm übrigens noch nicht gesagt. Ich wusste nicht, wieso … vielleicht, weil ich mir selbst noch nicht ganz sicher war. Wobei ich mir da eigentlich ziemlich die Hucke voll log, wenn ich ganz ehrlich war. Denn seitdem wir das erste Mal miteinander geschlafen hatte, lief ich praktisch mit einem Dauergrinsen durch die Gegend, wenn Gackt dabei war, und in meinem Bauch kribbelte es, als wäre er wirklich voller Schmetterlinge.

Und trotzdem hatte ich nichts gesagt … stattdessen hatte ich es Tetsu erzählt … wenn es auch eher zufällig war.
 

Es war Silversterabend und wir hatten uns zusammen mit zahlreichen anderen Studenten in genau der Bar eingefunden, in der die ganze Sache mit mir und Gackt damals an seinem Geburtstag so richtig ihren Lauf genommen hatte. Wir, das waren natürlich ich und Gackt, Tetsu und Ayana, Ken, Yuki und You. Auch Chacha hatten wir eingeladen, aber er hatte dankend abgelehnt, da er an sich zwar gerne mit Freunden einen draufmachen ging, er sich zwischen all den jungen Studenten allerdings etwas fehl am Platze fühlen würde. Außerdem hätte er schon eine Einladung von einigen anderen Freunden, die im kleineren Kreis feiern wollten. Okay, das war zwar schade, aber man konnte die Leute auch nicht zu ihrem Glück zwingen. So wirklich schwer trugen es wohl auch nur Gackt und You, da wir anderen Chacha nicht so gut kannten, wie wir vielleicht gewollt hätten.

Jedenfalls waren wir dann eben zu siebt auf die Party gegangen, für die man sogar eine Liveband organisiert hatte, die nach Tetsus und Yous Aussagen allerdings eher mäßig war. Meinen Geschmack traf sie auch nicht gerade, aber zumindest war es mal was anderes als das ewige Dance-Pop-Gedudel, was einem sonst so auf Partys um die Ohren gehauen wurde. Und man konnte auch hierauf ganz gut tanzen, was ich an diesem Abend schon regelmäßig mit Gackt getan hatte. Dabei waren mir die langsamen Songs wesentlich lieber, denn dann konnte man nicht nur durch die Gegend hüpfen, sondern auch ein bisschen knutschen. Nicht zu heftig natürlich, sonst würden wir am Ende vielleicht noch den Countdown verpassen, weil wir auf irgendeiner Toilette steckten und Sex hatten.

Im Moment war aber eher Verschnaufpause angesagt, in der ich mit Tetsu an der ungewöhnlich leeren Bar stand und mir ein Bier genehmigte. Ken hatte ihm Ayana für einen Tanz entführt, damit ihn das Mädchen, dass er sich zwei Stunden vorher anscheinend unbeabsichtigt angelacht hatte, endlich in Ruhe ließ. Gackt und Yuki waren vor der Tür eine rauchen und wo You steckte … wusste ich absolut nicht. Vielleicht hatte er sich jemanden geschnappt und wollte nun ein bisschen Privatsphäre, aber als ich diese Vermutung geäußert hatte, hatte Gackt nur gelacht, den Kopf geschüttelt und war dann durch die Menge nach draußen verschwunden.

Und als hätte Tetsu nur auf die Gelegenheit gewartet, fiel er sogleich mit Fragen über mich her: „Und? Wie war euer Weihnachtstag zu zwei allein? Man musste ja richtig Angst haben, dass du bei einem falschen Wort zum Berserker wirst.“ Natürlich war sein letzter Satz nur ein Scherz – das konnte ich an seinem breiten Grinsen und seinem Tonfall nur zu gut bemerken. Und dann lag da noch etwas in seinem Blick, das mir verriet, dass er vor Neugier fast platzte. Wir hatten uns in den letzten Tagen aber auch nicht gesehen und ich hatte mich geweigert, ihm am Telefon, per Mail oder über SMS davon zu erzählen.

„Gut, gut … war ein schöner Tag“, antwortete ich knapp, was selbstverständlich die Untertreibung des fast vollendeten Jahres war. Aber Tetsu würde sicher nachhaken, nicht zuletzt, weil ich wirklich merkte, wie sich ein ebenso breites Grinsen wie bei ihm auf meine Lippen stahl.

„Rück lieber gleich mit der Sprache raus, Doiha. Du weißt, ich kenne dich lange genug, um zu sehen, dass du mir was verschweigst und drauf brennst, es mir zu erzählen.“

„Ach, ist das so?“, fuhr ich ihm möglichst gelassen dazwischen und nahm einen Schluck von meinem Bier. Aber natürlich wurde ich wieder einmal überhört.

„Erzähl, was habt ihr getrieben?“

Immer noch schmunzelnd presste ich die Lippen aufeinander, als er dieses letzte Wort ausgesprochen hatte – getrieben. Richtig, Tet-chan, genau das.

Und ich brauchte diesen Gedanken noch nicht einmal zu äußern, da wusste es mein bester Freund auch schon: „Die Baustelle habt ihr also beseitigt. Und wie war's?“

„Ziemlich … intensiv, würde ich sagen“, entgegnete ich, nachdem ich ein bisschen überlegt hatte, wie ich es ausdrücken sollte, „ich hab so was ja noch nie gemacht. Aber Gackt war toll … er hat alles getan, damit ich mich wohlfühle. Und geschenkt hat er mir auch noch was.“ Daraufhin hielt ich meinen linken Arm nach oben, wo am Handgelenk das Band aus Onyx hing und selbst in dem matten Licht der Bar glänzte.

„Hübsch“, kommentierte Tetsu mein neues Schmuckstück, wandte sich dann aber wieder dem Ausgangsthema zu, „und denkst du, dass ihr das wiederholen werdet?“

Wieder erschien ein breites Grinsen auf meinen Lippen, das eigentlich wie eben schon alles sagen sollte und wahrscheinlich auch tat. Trotzdem antwortete ich: „Das hat sich schon erledigt.“

„Oha!“

„Hm … Gackt ist nur kurz zum Conbini geflitzt, um Gleitmittel zu kaufen, damit es nicht ganz so weh tut, und dann konnte es direkt weitergehen. Und in den Tagen drauf-“

„Ah, Doiha, halt!“, unterbrach Tetsu mich dann aber, „du weißt, ich hab dich ganz doll lieb, aber das sind mir dann doch ein bisschen zu viele Informationen. Freut mich allerdings, wenn es dir mit ihm so gut geht. Freut mich wirklich …“ Er schenkte mir noch ein aufmunterndes Lächeln, ehe er erneut an seinem Bier nippte, und ich überlegte, ob ich ihm vielleicht nicht doch noch ein bisschen mehr von den letzten Tagen mit Gackt erzählen sollte. Nicht vom Sex natürlich, sondern … von dem anderen. Und noch bevor ich tatsächlich großartig darüber nachgedacht hatte, ergriff ich auch schon wieder das Wort.

„Ich denke sogar, ich bin dabei, mich in ihn zu verlieben“, erzählte ich Tetsu mit einem leicht schüchternen Ausdruck in der Stimme. Wo das herkam, konnte ich mir sogar nur zu genau vorstellen, schließlich war das hier das erste Mal, dass ich es gegenüber jemand anderem laut zugab – selbst wenn es nur Tetsu und nicht Gackt war.

Aber auch der machte ein ganz überraschtes Gesicht mit großes Augen und offenem Mund … ehe er er sich zwei oder drei Sekunden später wieder fing und mir anerkennend auf die Schulter klopfte.

„Das ist gut“, sagte er dann auch dazu. „Und wie sieht's mit ihm aus?“ Genau das war hier die Preisfrage.

„Weiß nicht … ich hab's ihm noch nicht gesagt und da eben auch noch nicht gefragt, ob sich bei ihm was geändert hat“, gab ich ohne Umschweife zu, „und ich bin mir ja selbst noch nicht so ganz sicher.“

„Wie sicher willst du dir denn noch sein? Gackt macht dich ganz offensichtlich ziemlich glücklich. Sag's ihm doch einfach und frag ihn, wie er das sieht.“

„Ja, ich weiß. Aber ich weiß auch wieder nicht, ob ich damit umgehen kann, wenn er … keine Ahnung … ablehnt. Ich hab da irgendwie Angst.“

Tetsus Lächeln war nun komplett verschwunden – ebenso wie meins. Stattdessen rieb er mir aufmunternd über den Oberarm und blickte mich mitfühlend an. Er musste diese Verlustangst kennen, schließlich war er auch in einer Beziehung … und hatte vorher schon andere gehabt. Er wusste, welches Risiko man einging, wenn man sich auf einen anderen Menschen einließ und sich so sehr an ihn band. Selbst wenn beide sich liebten, war da immer die Befürchtung, dass der andere einem fürchterlich weh tun konnte. Am Anfang meiner Beziehung zu Gackt hatte mich das nicht so sehr gestört, denn es war alles ganz locker gewesen – fast ohne irgendwelche Verpflichtungen – und wenn wir gewollt hätten, hätten wir vermutlich problemlos zu einer bloßen Freundschaft zurückkehren können, die auf andere nur vielleicht ein bisschen seltsam wirken mochte. Doch jetzt ging das nicht mehr – jetzt hatten wir Sex und ich hatte mich ihm sogar noch viel tiefreichender hingegeben.

„Dann nimm dir einfach noch ein bisschen Zeit und denk drüber nach, was du willst. Allerdings finde ich schon, dass du es ihm sagen solltest. Er hat schließlich irgendwo doch ein Recht drauf, es zu erfahren.“

Und noch bevor ich den Mund zu einer Erwiderung öffnen konnte, fuhr mir jemand anderes in die Parade: Gackt selbst, der gerade mit Yuki im Schlepptau vom Rauchen zurückgekehrt war.

„Was soll er wem sagen?“, fragte er und legte dabei einen Arm um meine Schultern.

„Ach, nichts“, beeilte ich mich mit einer Antwort, wirkte dabei aber natürlich wenig glaubwürdig.

Dafür kam mir Tetsu zu Hilfe: „Dass er deinen Hintern in der Jeans viel zu hübsch findet, um ihn nicht zum Tanzen zu schwingen. Es war ihm nur zu peinlich, dir das auch direkt zu sagen.“

„Ah~ ja, das kenn ich schon. Er mag keinen Dirty Talk“, stimmte Gackt dem ungeniert zu und ich biss mir dabei innen auf die Unterlippe. Doch ich war nicht der Einzige, dem das ein wenig unangenehm war.

„Noch so einer, der mit zu vielen Informationen ankommt“, beschwerte sich Tetsu und hielt sich übertriebenerweise die Ohren zu, „ihr zwei passt wirklich zueinander. Jetzt schert euch endlich zum Tanzen! Aber passt auf, dass ihr pünktlich um Mitternacht wieder hier seid. Sonst hätte das ja alles keinen Sinn.“

„Aye, aye!“, meinte Gackt nur und salutierte dazu auch, ehe er sich bei mir unterhakte und mich dann tatsächlich zur Tanzfläche abführte. Unterwegs ließ er es sich aber nicht nehmen, mich noch einmal auf Tetsus Bemerkung eben anzusprechen: „Zu viele Informationen? Was hast du ihm denn erzählt?“

„Uhm … er hat nur gefragt, wie meine Ferien so waren. Weiter nichts“, klärte ich Gackt auf und das schien schon zu reichen, denn er schmunzelte und gab ein verstehendes „Ah~“ von sich. Dann hielt er an, schlang die Arme um meinen Hals, weil gerade ein ziemlich langsamer Song gespielt wurde und begann damit, uns im Takt zu wiegen. Und schließlich lehnte er sich zu mir herunter und küsste mich sanft, was ich sofort erwiderte und die Schmetterlinge in meinem Bauch ebenfalls zum Tanzen brachte.
 

„Bitte komm mit, Gacchan“, bat ich ihn noch einmal und sah ihn aus großen, unschuldigen Augen an, „tu's für mich.“

„Na, gut“, gab er schließlich seufzend nach, grinste dann allerdings schon wieder so dreckig, dass ich schon wusste, dass jetzt gleich irgendwas kommen würde, „dafür bist du mir aber was schuldig. Und ich meine damit nicht, dass du ab jetzt immer für's Frühstück zuständig bist. Wenn ich diese Nacht von der Arbeit komme, will ich, dass du schon nackt und willig im Bett liegst und mich anschließend nach Strich und Faden verwöhnst. Mein Tag wird schließlich anstrengend.“

„Du Schuft!“, fiel mir dazu nur ein, „sag du noch mal, ich wäre ein kleines Teufelchen. Du bist auch nicht viel besser!“

„Schuldig im Sinne der Anklage“, säuselte Gackt noch, ehe er mir einen weiteren kurzen Kuss raubte und sagte: „Wir sollten dann was essen, wenn wir bald los müssen. In einer halben Stunde hast du gesagt, oder?“

„Jep.“
 

Und was war das Ende vom Lied?

Dass wir tatsächlich hätten zu Hause bleiben können, weil mich Gackt so dermaßen ablenkte, indem er einfach nur still neben mir saß, unter dem Pult meine linke Hand festhielt oder mir federleicht über den Oberschenkel strich, dass ich ansonsten kaum etwas mitbekam und wir uns nach der Hälfte der Zeit aus dem Saal schlichen. Meinen Professor interessierte das natürlich herzlich wenig – er war es ja schon gewohnt, dass fast die halbe Studentenschaft in seinen Vorlesungen den Schlaf nachholte, den sie in der vergangenen Nacht nicht bekommen hatte.

Und dann holten Gackt und ich etwas nach, das wir am Silvesterabend nicht getan hatten: Sex auf dem Klo.
 

tbc.

The Secret in my Heart

Ja, ich hatte eine tolle Zeit mit Gackt, von Anfang November an und besonders ab Weihnachten. Und ich wurde von Tag zu Tag, den ich mit ihm verbrachte, glücklicher. Ich war sogar kurz davor, ihm zu sagen, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Dafür hatte ich mir den Valentinstag herausgesucht – immerhin war es der Tag der Liebenden und es erschien mir so passend wie die sprichwörtliche Faust auf's Auge. Die einzigen Sorgen, die ich mir dabei machte, waren, dass ich es vielleicht nicht durchhalten und vorher mit meinen Gefühlen herausplatzen würde.

Aus der Distanz betrachtet wäre das allerdings mein geringstes Problem gewesen …
 

15. Januar …
 

„Das müssen Sie leider noch etwas gründlicher überdenken, Takarai, sonst werde ich Ihre Arbeit leider nicht besser als mit einem befriedigend bewerten können. Aber Sie haben ja noch genug Zeit. Wenn Sie sich richtig darauf konzentrieren, dann bin ich mir sicher, dass Sie es in der vorgegebenen Zeit schaffen. Und selbst wenn nicht, dann wäre es auch keine Schande, wenn Sie um eine kleine Verlängerung bitten. Ihre sonst sehr guten Leistungen sind mir durchaus bekannt und da Sie Ihre Aufgaben sonst immer in der Zeit geschafft haben, wird dieser kleine Schnitzer niemanden stören. Ich wünsche Ihnen dann noch viel Erfolg.“
 

Ich war am Boden zerstört, als ich das Büro von Hayashi-sensei, des Professors, der meine Abschlussarbeit betreute, verließ. Er hatte kurz nach Beginn des neuen Jahres um eine kleine Zusammenfassung meiner Arbeit gebeten, die ich ihm heute hatte präsentieren sollen. Zu Anfang war auch noch alles ganz gut gelaufen, die Vorstellung des Themas und der darin behandelten Aspekte mochte er, ebenso wie die Grundlagen, die ich in mühevoller Kleinarbeit recherchiert und neu ausformuliert hatte. Nur das letzte Drittel, an dem ich eigentlich gerade noch schrieb, fand er grauenhaft … oder wie er es ausgedrückt hatte: verbesserungsbedürftig. Ich hatte ihm lediglich eine Übersicht über das geben können, was ich damit noch vorhatte, aber es hatte nichts geändert, denn er fand meinen Ansatz schlecht.

Verdammte Scheiße!, fluchte ich innerlich immer wieder. Es wäre ja absolut kein Problem gewesen, wenn ich mich einfach noch einmal in die Bibliothek hätte setzen und etwas recherchieren müssen, aber das ging an dieser Stelle absolut nicht, denn ich hatte hier selbst kreativ werden müssen – im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich hatte dazu auch meine praktischen Arbeiten angefertigt.

Mir kamen fast die Tränen, wenn ich daran dachte, dass die ganze Arbeit der letzten Wochen so dermaßen für die Katz gewesen war. Sogar den Kurs, in dem ich mich extra eingeschrieben hatte, um noch ein paar Ideen zu bekommen, hatte ich umsonst gemacht. All die Zeit, die ich mit dem Schreiben an meiner Arbeit oder auch mit Gackt hätte verbringen können, war nun verschwendet. Und was bekam ich dafür? Noch mehr Mühe! Ich musste in wesentlich kürzerer Zeit als geplant plötzlich das letzte Drittel meiner Abschlussarbeit noch einmal vollkommen neu gestalten – und das von jetzt auf gleich, denn mein Professor hatte mir zwar angeboten, dass ich ihm einen neuen Entwurf präsentierte, den er sich ansehen wollte, aber den verlangte er schon in der nächsten Woche, die bereits in vier Tagen begann! Das Wochenende war also auch hin. Verfluchte Scheiße!
 

So niedergeschlagen wie ich aus dem Büro getreten war, kam ich zu Hause in meiner Wohnung an, wo ich mich – meiner bevorstehenden Arbeit zum Trotz – erst einmal aufs Bett legte, mit meinem Unterarm die Augen bedeckte und einfach nur an nichts zu denken versuchte. Das war natürlich nicht so einfach, da ich nach diesem Schock selbstverständlich nur noch meine Abschlussarbeit im Kopf hatte. Wenn ich mich richtig darauf konzentrierte, hatte er gesagt … pfft! Hatte man ihm kurz vor der Fertigstellung einer seiner Fachaufsätze schon einmal mitgeteilt, dass er ein ziemlich großes Stück davon ändern musste, weil es jemand anderem nicht passte? Mann! Natürlich konnte ich das durchaus in der verbleibenden Zeit stemmen, aber dann würden meine Tag aus nichts anderem mehr bestehen als essen, schlafen und Arbeit. Und ab und an vielleicht mal eine Dusche, damit ich nicht komplett verwahrloste! Und auch die Aussicht auf eine Verlängerung machte es nicht besser, schließlich-

In dem Moment klingelte mein Telefon und ich wunderte mich nur einen kurzen Moment, wer mich da anrufen könnte, ehe es mir wie Schuppen von den Augen fiel.
 

„Es tut mir so leid!“, rief ich direkt in den Hörer, kaum dann ich den Anruf angenommen hatte, „ich hab unsere Verabredung vollkommen vergessen!“

„Na, wenigstens gibst du deinen Fehltritt zu“, sagte Gackt und gluckste amüsiert, „kommst du dann jetzt rüber? Ich hab dich schon seit Tagen nicht mehr richtig geküsst.“

„Äh … wir waren doch erst vorgestern zusammen im Kino und haben in der letzten Reihe rumgeknutscht“, erinnerte ich ihn, „weißt du das nicht mehr?“

„Na~ so meine ich das ja auch nicht“, wandte Gackt ein und druckste für seine Verhältnisse auffällig viel herum.

„Und wie dann?“

„Ich meinte eigentlich, dass mein Bett schon ziemlich kalt ist und da eindeutig etwas Wärme von dir fehlt“, gab er schließlich zu und fand damit auch wieder zu seiner alten Form zurück. Und ich konnte mir nur zu gut vorstellen, was für einen Gesichtsausdruck er dazu aufgelegt hatte, selbst wenn ich den sowieso nicht würde sehen können.

„Ah~ da läuft der Hase also lang“, gab ich mich verstehend und konnte trotz meiner prekären Lage nicht umhin, auch ein bisschen zu schmunzeln. Vielleicht hätte ich Gackt direkt anrufen und mich von ihm aufmuntern lassen sollen, wenn ich ihn schon nicht sehen konnte … und wohl auch in nächster Zeit nicht sonderlich oft sehen würde.

„Ganz genau.“

„Wenn man dich so reden hört, könnte man schon fast denken, dass du sexsüchtig wärst“, warf ich scherzhaft ein, um ein bisschen mit ihm zu flirten. Und ich konnte auch wirklich nicht leugnen, dass es mir durchaus gefiel, so von Gackt bestürmt zu werden.

Und natürlich kam eine entsprechende Antwort sofort auf dem Fuße: „Wenn es Sex mit dir ist, dann bin ich wirklich süchtig. Du bist immer so herrlich eng und heiß, da kann ich einfach nicht genug von kriegen.“

„Gacchan!“, rief ich wie automatisch, was mir natürlich ein Kichern seinerseits beschwerte. Ich hatte ihm doch gesagt, das ich diesen Dirty Talk nicht mochte … ah, und natürlich genau deshalb machte er das auch mit mir. Dieser verfluchte Sadist! Aber ich konnte auch nicht verhindern, dass ich mich ein bisschen geschmeichelt fühlte und rot anlief. Zum Glück sah Gackt das alles nicht, sondern konnte es sich maximal denken – was ich einmal stark vermutete, wenn ich mir sein Lachen so anhörte. Ich seufzte leicht auf.

„Ich weiß, ich weiß“, beschwichtigte er mich schließlich, als er zu lachen aufgehört hatte. Und dann kam der entscheidende Teil: „Also, kommst du?“ Ich fragte mich, ob er seine Frage absichtlich so formuliert hatte oder für den Rest tatsächlich nur zu faul gewesen war. Ich würde allerdings auch das nicht erfahren, denn zu ihm zu fahren, war definitiv nicht drin.

„Tut mir leid, Gacchan“, musste ich ihm schweren Herzens mitteilen, „ich war doch heute bei meinen Prof und der hat mir gesagt, dass das letzte Drittel meiner Abschlussarbeit nicht gut ist.“

„Ja und?“, kam es allerdings ziemlich flapsig durch die Leitung. Er wollte mich wohl nur aufmuntern oder beschützen oder irgendwas in der Art, jedoch war es in dieser Situation nicht unbedingt angebracht. Doch Gackt redete ungeniert weiter: „Was geht es den denn an, was du in deiner Arbeit schreibst? War das etwa der Langweiler von neulich?“

Ich seufzte erst einmal wieder, als er mit seine Schimpftirade durch war, um es ihm – noch einmal – zu erklären: „Nein, das war nicht der Langweiler, sondern Hayashi-sensei, bei dem ich meine Arbeit schreibe. Der hat schon was zu sagen, wie ich das machen soll, wenn ich keine schlechte Note drauf bekommen will. Das hab ich dir aber eigentlich schon mal gesagt. Und jetzt muss ich mich hinsetzen und ein neues Konzept für das letzte Drittel entwerfen, damit ich es ihm bei unserem nächsten Termin vorstellen kann.“

„Hm … und wie lange dauert so was?“, gab Gackt sich etwas verständnisvoller als eben noch … so richtig nachgeben wollte er aber auch nicht, „vielleicht kannst du ja trotzdem vorbeikommen. Oder hey, ich komm rüber, dann sparst du dir die Wege! Und ich bin sicher, dass deinem Bett auch einiges an Wärme fehlt.“

„Nein, Gackt“, sagte ich nun betont ernst, damit er auch bloß nicht dachte, ich würde scherzen. Schließlich war es mir todernst mit der Sache und auch wenn ich es sicher genossen hätte, ihn bei mir zu haben, würde es mich nur von der Arbeit abhalten, die ich jetzt dringend zu erledigen hatte, „ich muss mir was vollkommen Neues ausdenken und dazu brauch ich Ruhe. Das ist auch nicht in fünf Minuten getan … ich werd die paar Tage, die er mir gegeben hat, schon brauchen.“

„Aha … und wie sieht's danach aus?“

Ach Mann, war er denn heute so schwer von Begriff oder einfach nur stur?! Und wieso war ich gerade eigentlich so sauer auf ihn? Er wollte mich schließlich nur sehen – mehr nicht. Aber genau das war dann wohl mein Problem: Er versuchte mich unbedingt zu sehen, obwohl ich ihm schon gesagt hatte, dass es definitiv nichts werden würde. Andersherum hatte ich nie so gebohrt, wenn er mir zu verstehen gegeben hatte, dass er beschäftigt war, auch wenn es mir alles andere als gefallen hätte. Aber so war das Leben nun einmal und was nicht ging, das ging nicht – das hatte ich schon längst eingesehen und es schien an der Zeit zu sein, dass auch Gackt das tat.

„Danach werde ich das letzte Drittel noch mal von vorne anfangen und hoffen, dass es diesmal besser wird“, erklärte ich ihm nun wieder ruhiger, „und Bilder muss ich dazu auch noch machen. Ich kann von Glück reden, wenn ich das alles noch in der Zeit schaffe, die man mir gegeben hat.“

„Aber ich denke, du musst erst Ende Februar abgeben“, wandte Gackt noch immer ein, „das sind noch knapp sechs Wochen. Das schaffst du bestimmt, auch wenn ich heute vorbeikomme. So viel kann das doch eigentlich nicht sein.“

„Es sind noch vier Wochen, weil ich den Rest zum Überarbeiten und für Notfälle brauche.“ Wobei der Notfall jetzt womöglich schon eingetreten war, wenn ich es recht bedachte. Wie konnte ich mich nur so verrannt haben, wo ich doch Bücher ohne Ende gewälzt und sogar freiwillig noch einen Kurs besucht hatte?! Und tada – schon war die schlechten Laune wieder da! „Und allein der schriftliche Teil sind um die zwanzig Seiten. Hast du schon mal zwanzig Seiten einfach so zusammengeschrieben?! Das ist eine Scheißarbeit und ich will keine Verlängerung nehmen, um das zu schaffen. Es muss also in der Zeit fertig werden.“

„Das weißt du ganz genau!“, begab Gackt sich nun auf das Niveau meiner Miesgelauntheit herunter und ranzte mich an, „natürlich hab ich so was noch nicht gemacht – ich studiere ja nicht. Ich weiß auch nicht, wie lange so was dauert oder wie lange du für die Bilder brauchst. Und wenn du verlängern könntest, wieso tust du es dann nicht?“

„Das hab ich dir auch schon mal erklärt: Weil es mich Geld kostet“, sagte ich und klang dabei vermutlich noch genervter – denn ich war es zweifelsohne. Konnte er mir denn nicht mal richtig zuhören, wenn es um die Uni ging? „Wenn ich verlängere, komme ich vielleicht in das nächste Semester rein und muss dann die Gebühren für sechs Monate zahlen, egal ob ich nur einen brauche oder alle. Und selbst wenn nicht, wird mein Zeugnis nicht rechtzeitig fertig und ich kann mich nicht richtig auf Stellen bewerben und dann kommen mir andere zuvor, die ihr Zeugnis schon haben. Es wird so oder so frustrierend, sich ohne Zeugnis vorzustellen und immer den Spruch im Anschlag zu haben: 'Ja, ich bin zwar fertig, aber das muss noch ausgestellt werden'. Und dann muss ich mir irgendeinen Job nehmen, der nicht meiner Bildung entspricht und mich ankotzt. Ich bin ja schon froh, dass ich mit Ken-chan zusammenziehen werde und mich da nicht weiter um eine neue Wohnung kümmern muss. Aber es ist eben schwierig, Gackt …“

Und seine Reaktion?

„Ich hab dir ja schon angeboten, dass du zu mir ziehst.“ Und ein Schnauben. Das war das einzige, was ihn interessierte? Ernsthaft?!

„Das ist im Moment nicht das Problem“, was ich ihn ebenfalls schon gesagt hatte. Natürlich war er nicht begeistert gewesen, als ich ihm eröffnet hatte, dass ich mit Ken eine WG aufmachen wollte, aber damals war das zwischen uns beiden auch noch nicht so fest gewesen wie jetzt und mittlerweile war bei der Wohnungssache schon alles in trockenen Tüchern – selbst der Mietvertrag war schon unterschrieben, sodass ich im März, wenn ich eigentlich mit meiner Arbeit schon längst fertig sein sollte, umziehen konnte.

„Es geht hier darum, dass ich eine Scheißangst um meine Zukunft habe“, fuhr ich fort, „ich bin nicht so wie du. Ich kann nicht einfach irgendwo nach einem Job fragen und das dann machen. Ich hab fünf Jahre lang gerackert für das, was ich liebe und-“

„Na ganz toll!“, kam es dann auf einmal aus der Leitung wie von einem bockigen Kind, „und was ist mit der Gegenwart? Ich bin nun mal jetzt schon hier und will dich sehen. Wieso musst du bei dem Uni-Scheiß eigentlich immer so zum Spielverderber werden, Hyde? Sonst bist du wirklich ein echt cooler Typ, aber in dem Punkt mutierst du zu absoluten Spießer. You geht doch auch zur Uni, ist aber nicht ständig so frustriert und sieht das sogar alles viel lockerer. Komm doch endlich mal wieder runter!“

Was? Was?!

Was?!“, giftete ich halb wütend, halb fassungslos ins Telefon, „sag mir bitte, dass du das jetzt nicht wirklich so gesagt hast … oder dass es ein sehr schlechter Scherz war, Gackt. Dein Ernst kann es ja nicht gewesen sein … Du kannst doch nicht ernsthaft von mir erwarten, dass ich einfach alles über den Haufen werfe, nur weil wir-“

„Ist gut, ist gut!“, unterbrach Gackt mich abermals – immer noch so bockig und ärgerlich, wie ich ihn zuvor noch nie erlebt hatte – und schnaubte wieder, „dann komm ich eben nicht rüber und lass dich für die nächsten vier Wochen auch in Ruhe. Hab Spaß an deiner Arbeit.“ Knack. Tut tut tut. Er hatte aufgelegt.

Und ich saß da und konnte es noch immer nicht fassen. Was … was war das jetzt gewesen? Und was zum Teufel hatte diesen Hornochsen geritten, mir solch einen puren Bullshit quasi direkt ins Gesicht zu sagen?! Hatte er denn nicht mehr alle Tassen im Schrank? Anscheinend tatsächlich nicht!

Gott, war ich sauer auf den Kerl. Er konnte doch nicht wirklich ernsthaft von mir verlangen, dass ich alles stehen und liegen ließ, sobald er pfiff. Und wenn er das doch dachte, dann hatte er sich aber gewaltig geschnitten! Er sollte doch eigentlich hinter mir stehen, wenn es mir nicht gut ging, denn andersherum würde ich es ganz genau so auch tun. Verflucht nochmal, das war doch der Sinn einer Beziehung: einen Menschen zu haben, den man liebte, dem man vertrauen konnte und der einen stützte! Mann, dieser Idiot!
 

Aber das blöde an der Sache war jetzt, dass ich so sauer auf ihn sein konnte, wie ich wollte, ich liebte ihn trotzdem. Wenn er ein Idiot war, dann war er mein Idiot.

Und mir wurde noch etwas ganz anderes klar: Wir hatten uns gerade zum ersten Mal in unserer Beziehung wirklich gestritten. Wir hatten zwar vorher schon so ein paar kleine Meinungsverschiedenheiten gehabt, wie zum Beispiel, dass er sich doch endlich mal um seine Wäsche kümmern sollte, die sein Zimmer sonst noch irgendwann zumüllen würde, aber das waren eben immer nur gut gemeinte Nichtigkeiten gewesen. Das hier war schon sehr viel handfester. Und mich beunruhigte, an welcher Stelle es Gackt gereicht und ihn zum Auflegen gebracht hatte. Ich hatte gesagt, dass ich meine Träume nicht über den Haufen werfen würde, weil wir … weil wir!

Dachte er jetzt etwa, dass mir unsere Beziehung nicht wichtig genug war? Zur Hölle noch mal, das war sie doch! Aber er musste doch auch mal meinen Punkt verstehen – ich konnte mir jetzt keine Fehler mehr erlauben, nachdem ich so einen großen Schnitzer begangen hatte.

Und trotzdem nagte es an mir, dass Gackt (und ich ja auch noch!) jetzt sauer war und uns nun quasi einer vierwöchige … oh mein Gott, er wollte uns eine Auszeit geben! Nein, nein! Das durfte er nicht! Ich liebte ihn doch zu sehr, um das zu überstehen. Und das würde ich ihm jetzt auch sagen, genau! Ich würde ihm gleich sagen, dass ich ihn liebte – nicht erst am Valentinstag mit Posaunen und großem Tamtam, sondern direkt hier mit einer Entschuldigung und der Bitte, dass er den dummen Streit schnell vergaß.

Aber es wurde nichts draus. Er ging nicht ans Handy, schien es sogar ausgeschaltet zu haben, denn es meldete sich sofort die Mailbox. Shit! Damit war der Nachmittag also nicht nur für uns verloren, sondern auch für das neue Konzept meiner Abschlussarbeit. Ich wollte heulen – und ich tat es auch.

So schnell konnte man also von Hundertachtzig wieder runterkommen
 

6. Februar …
 

Ganz so schlimm wie ich es mir an diesem Nachmittag drei Wochen zuvor ausgemalt hatte, war es dann doch nicht geworden. Am Morgen danach hatte ich mich schon wieder gefangen, was allerdings größtenteils den Gedanken an Gackt gelegen hatte, die mich anspornten, so schnell wie möglich fertig zu werden, damit ich wieder Zeit für ihn hatte. Ich klemmte mich also den gesamten Freitag, Samstag und Sonntag Vormittag hinter meinen Schreibtisch, um Hayashi-sensei einen neuen Entwurf präsentieren zu können, der wesentlich besser war, als der letzte. Und Sonntag Mittag war es geschafft – ich hatte sogar bereits angefangen, ein paar Skizzen für die neuen Bilder zu zeichnen.

Zwischendurch hatte auch Tetsu angerufen, um mich hinter meinen Ofen hervorzulocken, aber er hatte dieselbe Absage erhalten, die ich zuvor schon Gackt gegeben hatte. Und im Gegensatz zu diesem hatte er es gleich angenommen und verstanden. Und auf Gackt hatte er auch geschimpft, weil der so stur und uneinsichtig gewesen war. Doch gleichzeitig hatte er versucht, mich wieder aufzubauen – dass das jetzt nur eine blöde Phase sei, die wir überstehen müssten, um hinterher wieder jede Menge Spaß miteinander zu haben und glücklich zu sein. Ich hatte mich aufrichtig bei ihm bedankt und mich dann wieder an meine Arbeit gemacht.

Am Sonntag Abend hatte ich mich dann mit Gackt getroffen, da er endlich wieder dazu bereit gewesen war, mit mir zu reden. Es hatte ihm sogar etwas leid getan, denn er hatte mehrfach gefragt, ob es auch wirklich okay wäre, wenn wir uns trafen. Er hatte außerdem darauf bestanden, dass er zu mir kam, um mir die lästigen Wege zu ersparen, und zugegeben, dass er ein Idiot war, weil er so sauer geworden war. Es hätte eigentlich nur daran gelegen, dass er eben kein Student war und das alles nicht richtig verstehen könnte. Er war viel eher ein Mensch für das Hier und Jetzt als für das Morgen und Übermorgen und es würde ihn überfordern, wenn ich dann mit meiner ganzen Disziplin ankam. Es hatte mich glücklich gestimmt, das alles von ihm zu hören … vom Versöhnungssex mal mal ganz zu schweigen.

Wir beide hatten uns direkt wieder eingekriegt und Gackt hatte mir außerdem angeboten, mich am nächsten Tag zu meinem Professor zu begleiten, wenn ich ihm meine neue Arbeit präsentieren sollte – quasi als Wiedergutmachung und Glücksbringer, auch wenn er sich in dem großen, verwinkelten Fakultätsgebäude sichtlich unwohl gefühlt hatte.

Und was soll ich sagen? Er hat mir tatsächlich Glück gebracht denn bis auf ein paar kleine Änderungen hier und da, hatte ich das offizielle Okay zur Umsetzung meines Plans, an die ich mich natürlich auch gleich machte. Und Gackt kam mir in der Hinsicht entgegen, dass er sich ebenso wie ich mit Arbeit vollpackte, um sich einerseits die Zeit besser zu vertreiben und andererseits meine Abwesenheit effektiv nutzen zu können, wie er mir erzählte. Ich fand das unglaublich süß von ihm … so süß, dass ich gleich noch eine weitere Runde Versöhnungssex hinterherschob.

Man konnte also sagen, dass ich nach dieser kurzen Talfahrt, die wir beide hatten, wieder obenauf saß und glücklich war. Aber eigentlich hätte mir ein bestimmtes Ereignis Anfang Februar mächtig Sorgen bereiten müssen …
 

„Fertig!“, jubilierte ich, als ich die Punkt-Taste auf dem Keyboard meines Rechners drückte, und streckte dann beide Arme in die Luft. „Endlich fertig!“

Nun ja, das stimmte nicht so ganz, denn ich hatte gerade lediglich den abschließenden Satz meiner Arbeit zu Papier gebracht und musste den ganzen Spaß jetzt noch zig Mal durchlesen, korrigieren und hier und da sicherlich auch ausbessern, aber der Löwenanteil war definitiv geschafft. Und beim praktischen Teil musste ebenfalls noch ein bisschen was getan werden, doch dafür war ja jetzt noch genug Zeit. Es hatte sich also gelohnt, in den letzten drei Wochen nur per Mail und SMS mit meinen Freunden zu kommunizieren und auch den Kontakt zu Gackt so weit zu beschränken, dass nur ab und an ein kurzes Telefonat für ihn abfiel. Nur an meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag hatte ich eine kleine Ausnahme gemacht und ihn am Abend mit meinen Freunden gefeiert. Gackt hatte leider arbeiten müssen und es nicht verschieben können, was mich mächtig angefuchst und mir auch ziemlich die Laune verdorben hatte. Tetsu, Ayana, Ken und Yuki hatten natürlich trotzdem dafür gesorgt, dass ich einiges an Spaß hatte, allerdings wäre es mit Gackt definitiv noch schöner geworden.

Aber jetzt würde ich ihm endlich verkünden können, dass ich wieder mehr Zeit mit ihm verbringen und sogar noch heute Nacht zu ihm kommen konnte. Genau: Ich zu ihm! Das hatte ich nun schon lange nicht mehr gemacht und fragte mich auch gleich, ob ich in seiner Wohnung überhaupt noch zurecht kommen oder You erkennen würde. Na~ da ging meine Phantasie vielleicht etwas mit mir durch, aber ich freute mich eben so unheimlich darauf, ihn endlich wiederzusehen und ihn zu küssen und natürlich auch mit ihm schlafen zu können.

Die letzten drei Wochen forderten nun wirklich langsam ihren Tribut und ich wollte nicht wissen, was passieren würde, wenn ich den bloßen Körperkontakt mit Gackt noch weiter hinauszögerte. Ich hatte vorgestern Nacht schon so ein einschneidendes Erlebnis gehabt – einen Traum von Gackt und mir, der mir ganz genau gezeigt hatte, wie verzweifelt ich ihn eigentlich vermisste. Feuchte Träume hatte ich schon eine ganze Weile nicht mehr gehabt und erst recht nicht, seit ich mit Gackt auch schlief – er war ja immer da und nur willig gewesen, sämtliche Phantasien meinerseits und natürlich auch seinerseits umzusetzen. Das fehlte mir wirklich, fast so sehr wie er mir fehlte.

Doch bevor ich ihn anrief, speicherte ich das Dokument ab und zog es zusätzlich noch auf einen USB-Stick, um für den Notfall eine Sicherheitskopie parat zu haben. Sonst würde ich mich wahrscheinlich vor den nächsten Zug werfen, sollte meine komplette Arbeit durch irgendeinen dummen Fehler gelöscht werden.

Erst dann erlaubte ich mir, den Anruf an Gackt zu machen und war dabei so ungeduldig, dass ich mit den Fingern auf dem Tisch zu trommeln begann, als er beim vierten Klingeln immer noch nicht abgenommen hatte. Als er es dann doch tat, klang er gehetzt und ich konnte hören, wie im Hintergrund Musik ausgestellt wurde: „Hallo?“

„Gacchan“, jubilierte ich wieder, meine Ungeduld von eben total vergessend, „stell dir vor, ich bin fertig! Ich muss nur noch korrigieren und ausbessern, aber das ist nicht mehr viel Arbeit und ich hab jetzt wieder viel mehr Zeit für dich! Also egal, was du heute noch so vorhast: Sag es ab und wärm schon mal das Bett an, ich bin in einer knappen Stunde bei dir!“

Darauf lachte Gackt erst einmal kurz auf, was wiederum wie Musik in meinen Ohren klang, bevor er antwortete: „Kein Problem, ich hab den Abend sowieso frei. Komm ruhig vorbei, wenn du willst.“

„Wenn ich will?“, echauffierte ich mich gespielt, „willst du mir denn etwa sagen, dass du mich nicht sehen willst?“

„Doch, natürlich. Sorry, Hy-chan, ich kann es nur nicht richtig fassen, dass die vier Wochen endlich um sind.“

„Es sind nur drei gewesen, ich hab mich beeilt.“

„Dann ist das sogar noch besser. Ich freu mich schon auf dich!“, sagte Gackt dann und lachte wieder.

„Okay, dann bis gleich“, flötete ich noch … und zögerte dann etwas. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich wirklich sagen sollte, was mir da auf der Zunge lag: Ich liebe dich. Ich wusste jetzt ganz genau, dass ich es definitiv fühlte und anscheinend wollte es auch so dringend raus, dass ich mir fast meinen einen Plan mit dem Valentinstag kaputtmachen würde. Trotzdem ließ ich es erst einmal – nicht am Telefon …
 

In der Stunde, die ich bei Gackt angekündigt hatte, schaffte ich es dann leider doch nicht zu ihm, denn mich hatte plötzlich der Gedanke befallen, dass ich noch dringend duschen und mich ein bisschen aufhübschen sollte, bevor ich mich auf den Weg zu ihm machte. Das fraß schon einmal locker die Hälfte der Zeit und auch dann ließ ich mich trotz meiner Ungeduld, ihn endlich wiederzusehen, auf dem Weg nicht hetzen – das hätte schließlich die ganze Mühe von eben wieder kaputt gemacht, weil ich dann wahrscheinlich schwitzend und vollkommen außer Atem bei ihm angekommen wäre.

Nein, ich ließ mir Zeit und machte sogar noch einen Abstecher in den Conbini bei mir um die Ecke, wo ich eine Flasche Wein für uns kaufte. Ich wollte feiern, dass ich nun fast mit meiner Arbeit durch war und wir uns wieder treffen konnten – ich fühlte mich einfach danach und es gab mir nur noch mehr Selbstvertrauen in meine eigenen Gefühle gegenüber Gackt. Ich liebte ihn, ich war verrückt nach ihm und ich würde ihn das auch bald wissen lassen. Vielleicht sogar schon diese Nacht, nachdem wir erst einmal meine – und sicherlich auch seine – körperlichen Bedürfnisse ausreichend befriedigt hatten. Allein die Gedanken daran zauberten mir ein dreckiges Lächeln auf die Lippen und ich musste mich wirklich arg anstrengen, um das wieder vor dem Rest der Welt zu verstecken. Es war für Gackt bestimmt und nur er sollte es deshalb sehen … mal ganz davon abgesehen, dass man mich sicherlich für einen Perversen halten würde, wenn ich so durch die Gegend lief!
 

Eigentlich hatte ich geplant, Gackt direkt an der Haustür in die Arme zu fallen und ihn so fest und lange an mich zu drücken, bis er mich anbettelte, ihm wenigstens ein klein wenig Luft zum Atmen zu lassen. Und wenn er dasselbe mit mir vorhatte, dann würde es wohl ein Weilchen dauern, denn ich vermisste ihn so, dass ich eine solche Umarmung wahrscheinlich stundenlang aushalten würde.

Aber daraus wurde leider nichts, denn nicht Gackt öffnete mir die Tür, sondern You. Und er blickte mich vollkommen verwirrt an, als er fragte: „Hyde? Was machst du denn hier? Ich dachte, du hättest-“

„Ja ja, ich weiß schon“, schnitt ich ihm das Wort ab und grinste ihn breit an, weil ich mir schon denken konnte, auf was er hinaus wollte. Anscheinend hatte Gackt ihm die Ohren mächtig damit zugeheult, dass er mich furchtbar vermisste und wie schrecklich es wäre, so lange von mir getrennt zu sein. Okay, vielleicht ging meine Phantasie da ein wenig mit mir durch, aber wer konnte es mir denn schon verübeln? „Aber jetzt ist alles so weit geschafft und wir können wieder zum Normalzustand übergehen. Ich will Gacchan dann nicht länger warten lassen als ohnehin schon. Wo ist er denn?“ Arg, ich plapperte! Schlimm, nicht? Aber wer wollte mir auch das verübeln? Es ging mir einfach gut … was You allerdings mehr denn je zu irritieren schien.

Gacchan? … Äh … der ist drin … im Wohnzimmer. Äh … willst du nicht reinkommen?“, bot er mir schließlich sehr perplex an, wovon ich mich allerdings nicht beirren ließ und immer noch mit einem Atomgrinsen im Gesicht an ihm vorbeiging, als er die Tür weiter aufmachte und einen Schritt zu Seite trat. Doch selbst wenn er das nicht gefragt oder getan hätte, hätte ich mich nicht davon abhalten lassen, Gackt endlich wieder zu besuchen.

„Klar!“, meinte ich dabei nur, schlüpfte anschließend aus meinen Schuhen und ging nur in Socken weiter in die Wohnung hinein. Entgegen meiner irrsinnigen Vermutung von vorher wusste ich natürlich noch genau, wo alles war, sodass ich nur ein paar Sekunden später im Wohnzimmer hinter der Couch stand, auf der Gackt tatsächlich saß und sich einen Film ansah, und ihm die Augen zuhielt.

„Wer bin ich?“, säuselte ich ihm dabei verführerisch ins Ohr und pflanzte ihm einen Kuss aufs Haupt.

„Da bist du ja schon, Hyde“, lautete seine Antwort, die vielleicht etwas seltsam war, da ich mich ja um einiges verspätet hatte. Aber mich juckte dies ebenso wenig wie Yous Reaktion an der Tür. Eben jener hatte sich übrigens direkt nach meinem Eintreffen nach draußen verkrümelt – das hatte ich beim Schuheausziehen noch mitbekommen – und das fand ich ziemlich gut. Freie Bahn für mich und Gackt und keine Gefahr, dass der genervte Mitbewohner mitten in der Nacht hereinplatzte, wenn man gerade Sex hatte, weil es ihm zu laut zuging. Ja, das war uns schon passiert und am Tag drauf hatte es auch etwas gedauert, bis ich You wieder in die Augen hatte sehen können.

„Setz dich doch“, bot Gackt mir direkt an und klopfte mit der Hand auf das Polster neben sich. Ich ließ mir das natürlich nicht nehmen, sondern trat um das Sofa herum, stellte die Weinflasche auf den Tisch und kuschelte mich dann an Gackt, wobei ich die Arme um seine Taille schlang und ihm einen Kuss auf die Lippen setzte. Es war erst einmal einer der federleichten Sorte, aber so wie ich uns kannte, würde es nicht lange dabei bleiben, sondern recht schnell verlangender werden – besonders jetzt, da wir uns eine Zeit lang nicht gesehen hatten.

Doch auch hier wurde ich enttäuscht, denn obgleich Gackt den Kuss erwiderte, tat er das nicht halb so leidenschaftlich, wie ich es erwartet hatte. Es war eher nur ein kleiner Schmatz, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder dem Fernseher zuwandte und sich auf den Film konzentrierte. Zwar schlang er dabei noch einen Arm um meine Taille, doch war das definitiv nicht das, auf was ich aus war.

Ich blinzelte ihn verwirrt an und fragte nach ein paar Sekunden voller Stille: „Äh … war das denn schon alles?“

„Hm?“, machte Gackt und schaute mich wieder an.

„Ich will mich ja nicht beschweren …“ Oh doch, das wollte ich. Und das tat ich ja eigentlich auch gerade, also wem wollte ich hier etwas vormachen?! „… aber deine Begrüßungen waren schon mal herzlicher. Und wir haben uns ja jetzt auch drei Wochen lang nicht gesehen und kaum miteinander geredet. Da dachte ich schon, dass du ein bisschen ungeduldiger wärst, mich endlich wieder zusehen … und alles andere auch.“

„Ah!“, machte Gackt darauf erst einmal, als wäre ihm das just in diesem Augenblick ebenfalls aufgefallen. Was zur- … ?! „Sorry, Hyde. Ich bin einfach ein bisschen müde von der ganzen Arbeit in der letzten Zeit. Ich war gestern von neun Uhr morgens bis zwei in der Nacht unterwegs und musste heute gleich wieder früh raus. Ich glaube, ich hab mir da ein bisschen viel zugemutet. Du hast mich vorhin aus dem Bett geholt, als du angerufen hast.“

„Oh, das tut mir leid!“, beeilte ich mich direkt mit einer Entschuldigung, „das wollte ich nicht. Aber wenn du so viel Schlaf nachholen musst, dann hättest du das doch sagen können.“

„Nein, es geht schon“, winkte er jedoch ab, „und du bist ja jetzt schon da – gleich wieder nach Hause zu fahren wäre Unsinn.“

Als er das sagte – selbst wenn es etwas teilnahmslos klang, aber ich schob das auf seine Müdigkeit – schlich sich wieder ein Lächeln auf meine Lippen. Er hatte recht: Ich war nun einmal da und würde es wahrscheinlich auch nicht aushalten, einfach so wieder abzuziehen … so vollkommen unverrichteter Dinge.

„Dann sollten wir vielleicht gleich ins Bett gehen, wenn du so müde bist“, schlug ich direkt vor und verzog die Mundwinkel zu einem Grinsen. Wer dachte, dass meine Gedanken in diesem Moment von Unschuld gezeichnet waren, der würde falscher nicht liegen können.

Gackt verstand natürlich, was ich damit meinte, denn er stieg sofort darauf ein: „Sehr gute Idee!“ Und dann lächelte auch er.

Die Flasche Wein würden wir also an diesem Abend nicht mehr anbrechen, aber sie würde sich schon halten, bis sich wieder eine Gelegenheit bot. Jetzt schaltete Gackt auf alle Fälle den Fernseher aus, erhob sich und nahm dann meine Hand, um mich ebenfalls auf die Füße zu ziehen. Und auch danach ließ er sie nicht los, sondern zog mich hinter sich her in sein Schlafzimmer, selbst wenn ich den Weg nur zu gut kannte. Aber ich mochte es, seine Hand endlich wieder halten zu können. Seitdem mir klar geworden war, dass ich ihn liebte, und besonders jetzt nach unserer Zwangspause war mir diese doch eigentlich nur leichte Verbindung zwischen uns so unglaublich kostbar geworden. Gackt hielt meine Hand und ich die seine. Und ich hatte das Gefühl, dass wir uns – metaphorisch gesehen – nie wieder loslassen würden. Ich hatte ja keine Ahnung …
 

Und als wäre es ein Omen gewesen – so wie der gesamte Abend eigentlich auch – ließ Gackt mich los, schloss die Tür hinter mir und begann, sich auszuziehen. Es machte mich etwas stutzig, denn wenn wir nicht ohnehin schon nackt gewesen waren (nach dem Duschen zum Beispiel), dann hatte das gegenseitigen Ausziehen immer mit dazugehört – immer! Und nun tat Gackt es selbst, anstatt mir an die Wäsche zu gehen? Wie sollte ich das denn nun auffassen? Dass er zu scharf auf mich war, als dass er sich noch großartig dem Vorspiel widmen und stattdessen gleich zur Sache kommen wollte? Irgendwie missfiel mir das.

Und es missfiel mir sogar noch mehr, als er dann direkt in eine Pyjamahose schlüpfte, ohne auch noch einmal nach mir zu sehen.

„Äh, Gackt …“, erhob ich das Wort, woraufhin er sich dann doch wieder zu mir umdrehte, „was tust du denn da?“

„Na, ins Bett gehen. Und du? Willst du heute in voller Montur schlafen?“ Er schmunzelte leicht, als er das sagte und mich nun auch endlich einmal musterte. „Du siehst in dem Outfit übrigens sehr gut aus. Steht dir wirklich.“

„Äh …“ Wie bitte? Das war alles? Nachdem ich mich extra verspätet hatte, um mich so für ihn aufzubretzeln, dass er mich am besten noch zwischen Tür und Angel ansprang und auf der Stelle vernaschen wollte? Das konnte doch nicht sein Ernst sein?! Was war denn heute nur mit ihm los? Konnte man denn wirklich – und erst recht nach einer dreiwöchigen Pause! – so müde sein? Stattdessen kam aber Folgendes aus meinem Mund: „Danke … ich zieh mich auch gleich aus.“

Und genau das tat ich dann, selbst wenn es mir ziemlich missfiel. Aber wenn Gackt müde war, was konnte ich da schon machen? Als ich anschließend zu ihm unter die Bettdecke schlüpfte, wieder einmal nur mit einem paar Shorts bekleidet, war er schon fast weggedriftet. Er schloss nur noch die Arme um mich, schmiegte sich an meinen Rücken und hauchte einen Gute-Nacht-Kuss in meinen Nacken, ehe er die Nase in meinen Haaren vergrub. Seine tiefen, gleichmäßigen Atemzüge kitzelten ein bisschen auf meiner Haut, aber ich dachte nicht einmal für eine Sekunde daran, dass sie es waren, die mich nicht schlafen ließen. Es lag eindeutig an der Enttäuschung.

Oh, wie sehr wünschte ich mir, dass Gackts Hände in diesen Augenblicken nicht einfach nur ruhig auf meinem Bauch lagen, sondern stattdessen in südlichere Regionen wanderten, um mich nach Strich und Faden zu verführen. Ich wollte diese Hände überall spüren, ebenso wie seine Lippen. Ich wollte ihn in mir haben, dass er mich in den Wahnsinn trieb und mich zum Schreien brachte. Und ich wollte, dass er genauso nach mir verlangte wie ich nach ihm. Aber er tat es nicht, er schlief. Und ehe ich mich versah, war mein Glied schon ganz steif geworden. Verflucht! Allein durch die Gedanken daran!

Ich seufzte entnervt und überlegte, was ich denn jetzt machen sollte. Ihn vielleicht doch noch dazu überreden? Es mir selbst machen? Kurz unter die Dusche springen? Nein, auf Letzteres hatte ich im Moment so gar keinen Bock und auch die zweite Möglichkeit war mir irgendwie zu blöd, wo doch mein Freund direkt neben mir im Bett lag.

Ich bewegte mich etwas in der Umarmung, in der Gackt mich hielt, und drehte mich nur ein kleines Stück auf den Rücken, um ihn aus den Augenwinkeln anschielen zu können. Allerdings schien das auch schon zu reichen, um ihn wieder aufzuwecken, denn er blinzelte mich bereits wieder an, als ich in seine Richtung blickte. Zwar konnte ich nicht viel sehen, da nur das blasse Mondlicht durch die Ritzen der Jalousien schien, aber es war genug, um mitzubekommen, dass Gackts Augen offen waren.

„Hast du irgendwas?“, fragte er leise und legte – der Position seiner Augenbrauen nach zu urteilen – die Stirn in Falten. Und in diesem Moment beschloss ich, einfach mit der Sprache herauszurücken. Man sollte doch über Probleme reden, wenn welche auftraten, richtig?

„Ich hatte eigentlich gedacht, dass wir heute wieder miteinander schlafen würden“, äußerte ich meine Sorgen, „also … Sex und nicht nur nebeneinander liegen und schlafen. Wir haben doch jetzt schon länger nicht mehr durch meinen Stress mit meiner Abschlussarbeit.“

Daraufhin seufzte Gackt erst einmal tief und das beruhigte mich nicht gerade. Dann rieb er sich mit dem Handballen über das linke Auge und blinzelte mich kurz an, ehe er endlich etwas sagte, wobei ich nicht erkennen konnte, ob er lächelte oder nicht: „Dachte ich mir schon. Aber ich … es geht gerade wirklich nicht, Hyde, nicht diese Nacht. Sei mir bitte deswegen nicht böse, ja? Wenn ich morgen früh vor dem Aufstehen fit genug bin, dann kriegst du deine Zuwendung. Versprochen!“

„Hm …“ Ich spielte kurz mit dem Gedanken, ihm zu sagen, dass es bei mir für einen Rückzieher eigentlich schon zu spät war … aber ich ließ es dann doch, nachdem er mir nicht nur durch seine Handlungen, sondern auch direkte Worte mitgeteilt hatte, dass er nicht wollte. Ich liebte diesen Mann viel zu sehr, um ihn zu irgendwas zu drängen. Stattdessen setzte ich wieder ein breites Lächeln auf – ganz egal, ob er es sehen würde oder nicht, denn allein der Einfluss auf meine Stimme war entscheidend – und reckte den Hals, um ihm noch einen kleinen Kuss zu rauben. „Okay. Dann schlaf dich nur schön aus.“

Insgeheim hasste ich mich in diesem Moment dafür, dass ich trotzdem weiterhin so enttäuscht vom Ausgang des Abends war. Wenigstens löste sich mein kleines Problemchen dadurch von selbst und ich hatte immerhin noch die Aussicht auf morgen früh.

Doch auch diese Hoffnung wurde zerstört, denn Gackt hatte vergessen, sich den Wecker zu stellen, wir verschliefen und er musste richtig hetzen, um mit so wenig Verspätung wie möglich im Tonstudio anzukommen.

Und was eigentlich noch viel schlimmer war: Wir schliefen auch in der gesamten Woche darauf nicht miteinander, weil ihm immer wieder etwas dazwischenkam. Was war nur und wann würde es endlich wieder normal werden?
 

tbc.

My First Last

An diesem ersten gemeinsamen Morgen seit Langem war meine Laune verständlicherweise in den Keller gesunken, nachdem Gackt so überstürzt das Haus hatte verlassen müssen. Und weil er mir noch auf der Türschwelle angekündigt hatte, dass er auch an diesem Tag vor dem Abend nicht wieder da sein würde, sah ich keinen großartigen Grund, noch länger in seiner Wohnung zu bleiben, selbst wenn er gesagt hatte, ich könne es mir ruhig gemütlich machen und so lange weiterschlafen, wie ich wollte. Schließlich hatte ich ebenfalls noch einiges zu tun!

Ich schlüpfte wieder in die Sachen, die ich am Vorabend extra frisch angezogen hatte, verabschiedete mich von You, der gerade in der Küche werkelte und trotz seiner offensichtlich späten Rückkehr in der Nacht – zumindest hatte ich ihn nicht mehr gehört – schon wieder so früh auf war, und ging dann nach Hause. Und dort haute ich mich ironischerweise doch noch einmal für eine Stunde auf's Ohr.

Doch das tat ich nicht etwa, weil ich müde gewesen wäre, sondern weil ich noch immer bitter enttäuscht von dem gestrigen Abend war und das einfach nur wegschlafen wollte. Aber es wollte nicht so recht klappen, da ich in der Nacht unerwarteterweise ja doch genügend Schlaf abbekommen hatte. Den Rest des Tages trödelte ich dann auch eher hinweg, denn obgleich ich irgendwann am frühen Nachmittag wieder an meiner Abschlussarbeit zu arbeiten versuchte, gelang mir das nicht. Mit der Korrektur wollte ich noch nicht beginnen, weil es einfach noch zu nah dran war, und ich hätte mich wahrscheinlich ohnehin nicht richtig auf korrekte Grammatik und Rechtschreibung oder auch einen angemessenen Ausdruck konzentrieren können, weil die Frustration eben an mir nagte. Und vom richtigen Feeling, um zu malen, wollte ich nicht einmal ansatzweise reden!

Nein, stattdessen faulenzte ich und wartete darauf, dass Gackt sich bei mir meldete, dass er endlich Schluss hatte und entweder direkt zu mir kommen oder ich wieder zu ihm fahren würde. Der Anruf kam dann allerdings erst gegen acht, als er schon zu Hause angekommen war, und er fühlte sich abermals nicht in der Lage, heute noch irgendetwas zu tun, außer direkt ins Bett zu gehen. Hundert Gummipunkte für den, der nun vermutete, dass ich mich noch enttäuschter und angefressener fühlte als zuvor.
 

Und es hörte einfach nicht auf! Immer musste er arbeiten und war dann erschöpft oder wurde ganz dringend noch gebraucht und sollte noch eine Zusatzschicht einschieben. Einmal vergaß er sogar ganz, sich zu melden, was ihm hinterher zwar mächtig leid tat, aber es war nun einmal passiert. Und ich begann dann auch, mich zu fragen, ob die Gründe, die er mir nannte, vielleicht nicht nur vorgeschoben waren.

War er wirklich immer so müde oder lag es an etwas anderem? Hatte ihm unser kleines Tief vielleicht gezeigt, dass er auch ganz gut ohne mich auskam? Lag ihm überhaupt noch etwas an unserer Beziehung? Und wenn nicht: War er dann einfach nur zu nett, um mir das auch ins Gesicht zu sagen, weil er befürchtete, dass es mich aus der Bahn und mein ganzes Leben über den Haufen werfen würde? Die Sorge wäre dann zumindest berechtigt gewesen und nach unserem großen Krach schien er ja einigermaßen verstanden zu haben, wie wichtig mir die Uni und meine Zukunft waren, auch wenn er damit nicht richtig umgehen konnte und mir stattdessen anriet, mich doch lieber an Tetsu zu wenden.

Aber ich wollte diese Gedanken und Phantasien nicht haben. Ich lehnte sie ab und sagte mir immer wieder, dass das alles nicht sein konnte. Wir hatten schließlich nicht ganz den Kontakt abgebrochen, sondern wenigstens noch miteinander telefoniert, und da hatte Gackt eigentlich so wie immer geklungen … fand ich zumindest. Und wenn ich ehrlich mit mir selbst war, dann war er auch überhaupt nicht der Typ dazu, mit irgendwas hinter dem Berg zu halten, nur um andere zu schonen. Ganz im Gegenteil: Er war der Meinung, dass es besser war, gerade dann etwas direkt auszusprechen, wenn es nicht gut lief. Am Ende würden ja doch nur beide leiden, wenn sie sich ewig mit dieser Lüge durch die Gegend schleppten.

Nein, ich war – zumindest rational – fest davon überzeugt, dass es nur der Stress war, weswegen Gackt derzeit so komisch drauf war. Aber natürlich wurde ich nur allzu bald schon eines Besseren belehrt …
 

13 Februar …
 

Ich hatte es geschafft. Morgen war Valentinstag und mir war noch nicht herausgerutscht, dass ich Gackt liebte. Alles würde also nach Plan verlaufen. Natürlich hatte mir dabei schon ein bisschen in die Karten gespielt, dass wir uns trotzdem meiner fast fertigen Abschlussarbeit kaum gesehen hatten und wenn, dann nur, um nebeneinander im Bett zu liegen und im Traumland umherzuwandern. Oh, und das war ziemlich gemein, denn wenn die Sehnsucht nach Gackt ohne ihn schon fast unerträglich gewesen war, dann war sie es mit Gackt direkt vor meiner Nase erst recht!

Gleichzeitig hatte ich mit einer unglaublichen Lustlosigkeit bezüglich des ganzen Krams für die Uni zu kämpfen – schon wieder. Wo alles noch so gut ausgesehen hatte, als ich am Schluss meiner Arbeit angekommen war, so war ich jetzt wieder auf dem Stand, mich wirklich reinhängen zu müssen. Ich hatte die Korrektur noch nicht mal ansatzweise angefangen, was im Grunde noch einigermaßen zu verschmerzen war, aber von den praktischen Arbeiten hatte ich nur drei fertig bekommen, obwohl es sechs hätten werden sollen. Ich musste jetzt also beide Teile – den schriftlichen und den künstlerischen parallel erledigen, was wieder jede Menge Akkordarbeit und weniger Freizeit – Zeit für Gackt – bedeutete. Dass ebenfalls kaum etwas für meine Freunde abfiel hatte mir Tetsu erst am Vortag deutlich gemacht, als ich ihn eigentlich um Rat hatte fragen wollen, was ich mit Gackt machen sollte. Das hatte ich nach seiner Standpauke und dem Schwur zur Besserung dann auch direkt sein lassen.

Kurz: Mein Leben verlief in der zweiten Februarhälfte eher suboptimal, weshalb ich mich ganz besonders auf den Valentinstag freute, an dessen Vorabend ich Gackt wieder ganz für mich haben würde – das hatte er mir hoch und heilig versprechen müssen. Es fuchste mich ja schon an, dass irgendeiner seiner Arbeitgeber ihn und den gesamten Rest der Belegschaft für den 14. Februar selbst bereits fest eingeplant hatte und da auch nicht mit sich reden ließ, wie Gackt mir versicherte. Was auch immer für ein Casino am Valentinstag so besonders sein sollte … Aber na ja, was sollte ich sagen? Im Nachhinein betrachtet, waren diese beiden Tage eher die schlimmsten in dieser Zeit.
 

Eigentlich fing alles noch ganz gut an: Ich hatte Gackt zu mir eingeladen, damit ich alles ordentlich vorbereiten konnte und wir anschließend ungestört sein konnten. Kein You, der plötzlich im Zimmer stand, wenn wir gerade die Zeit für uns genossen – es sollte einfach so perfekt wie möglich sein, damit ich Gackt dann um Mitternacht sagen konnte, was ich für ihn fühlte. Natürlich konnte ich den konkreten Ausgang schlecht planen, jedoch wollte ich mir darüber noch keine Sorgen machen, sondern eher über die Tatsache, dass mir dass Essen nicht anbrannte. Ja, ich kochte extra! Noch ein Grund, das Ganze in meiner Wohnung, meinem eigenen Reich, zu veranstalten.
 

Ich hatte Gackt für sechs Uhr abends bestellt, sodass ich am Vormittag noch etwas für die Uni erledigen und mich dann ganz der Abendplanung widmen konnte. Meine Motivation für den lästigen Teil des Tages war zum Glück auch wieder etwas gestiegen, sodass ich tatsächlich ziemlich zufrieden mit meinem Fortschritt gegen drei Schluss machen und mich angenehmeren Tätigkeiten widmen konnte, die ich ebenfalls ganz gut meisterte. Was jedoch ziemlich schief lief, war Gackts Erscheinen.

Sechs Uhr kam und sechs Uhr ging und von Gackt war keine Spur. Ich gab ihm zehn Minuten Verspätungsbonus, ehe ich ihn dann doch anrief, um zu fragen, was los sei und ob es ihm gut ginge. Doch er ging nicht ran. Es tutete nur, bis irgendwann die Mailbox ansprang. Okay, keine Sorge, Hyde, sagte ich mir, wobei ich allerdings nervös durch meine winzige Küche tigerte. Vielleicht steckte er nur gerade irgendwo fest, wo er sein Handy nicht hörte oder nicht rechtzeitig an seine Tasche kam. Immerhin war es ein Wochentag und der Berufsverkehr setzte so langsam wieder ein.

Als er auch eine halbe Stunde später noch nicht da war, probierte ich es noch einmal, nur um zum selben Ergebnis zu gelangen: Klingeln und dann die Mailbox. Es war zum Haareraufen und so langsam sah ich schon, dass der Abend ein Desaster werden und ich wieder ohne Geständnis dastehen würde … wie recht ich doch leider haben würde.

Gackt tauchte dann erst zwanzig nach sieben vor meiner Tür auf – in einem Anzug, der zwar vielleicht etwas overdressed sein mochte, ihm aber so sagenhaft gut stand, dass ich ihm seine Verspätung sofort verzieh und ihn am liebsten gleich ins Bett gezerrt hätte. Aber ich hatte ja eine Abendplanung einzuhalten und die sah etwas anderes vor. Dabei kam ich mir zwar einen Moment lang wie ein bis über beide Ohren verliebtes Mädchen vor, als ich in seine kontaktlinsenblauen Augen blickte, aber diesen Gedanken schob ich schnell beiseite. Dabei machte es mir noch nicht einmal etwas aus, dass er heute überhaupt seine farbigen Linsen trug. Eigentlich mochte ich sie nicht, da mir Gackts natürliche Augenfarbe wesentlich besser gefiel – sie war einfach wärmer und sanfter und nicht so … tot. Und irgendwo stimmte es ja auch, das mit dem verliebten Mädchen, denn einerseits hatte ich Gackt bei unserer ersten Begegnung weiß gemacht, dass ich ein Mädchen wäre, und andererseits war ich tatsächlich Hals über Kopf in ihn verschossen. Verklagt mich doch!

Er entschuldigte sich dann auch tausendmal, dass er nicht pünktlich war, aber es hatte noch einen Notfall auf der Arbeit gegeben, sodass er sich nicht eher auf den Weg hatte machen können.

„Wirklich, Hyde, es tut mir schrecklich leid“, versicherte er mir immer wieder und toppte das auch meist mit einem Kuss direkt auf meine Lippen. Er konnte wirklich so niedlich sein – man glaubte es eigentlich fast nicht, wenn man wusste, wie er sonst so drauf war. Ich winkte zwar immer wieder ab, genoss es doch aber sichtlich, so von ihm … bestürmt zu werden. Mich störte nur ein bisschen, dass sein Blick bei diesen tausend Entschuldigungen immer so ernst war, als hätte er das Staatsgeheimnis Nummer eins ausgeplaudert. Er wollte sich fast nicht mehr einkriegen.

Aber ich ignorierte auch das und dirigierte ihn lieber zu meinem kleinen Esstisch, den ich so elegant wie möglich gedeckt hatte – eine weiße Tischdecke, die eigentlich zu klein war, eine Kerze, Stoffservietten und zwei rote Fake-Rosen. Gackt fand es allerdings schön so und das reichte mir vollkommen aus. Und das nächste Kompliment folgte direkt, als ich die bereits vor anderthalb Stunden angerichteten und seitdem warmgehaltenen Teller brachte und auf unsere Plätze verteilte.

„Riecht unglaublich lecker“, meinte Gackt, „hat's denn sehr viel Mühe gekostet? Ich hätte dir wirklich helfen sollen!“

„Ach, Quatsch“, tat ich auch dies wieder mit einem Lächeln ab, „du kannst ja nichts dafür, dass du so viel arbeiten musst.“ Mein Ärgernis darüber, dass er viel schuftete und dafür immer so erschöpft war und wir in letzter Zeit so wenig miteinander unternommen hatten, hatte sich in dem Augenblick, in dem ich dies sagte, anscheinend schon wieder in ganz andere Sphären verzogen. Zumindest meinte ich ganz ehrlich, was ich da von mir gab, wobei wohl zu einem großen Teil die Sehnsucht aus mir sprach. Für einen einzigen perfekten Abend mit Gackt würde ich wahrscheinlich einiges ertragen!

„Dann guten Appetit!“, wünschte ich ihm noch, ehe ich nach meiner Gabel griff und mich ebenfalls über meine Portion hermachte.
 

Während des Essens unterhielten wir uns dann endlich einmal wieder etwas mehr als sonst, und brachten uns auf den neuesten Stand. Gackt fragte, wie es denn mit meiner Abschlussarbeit vorangehen würde, worauf ich erst einmal das Gesicht verzog und er lachend hervorbrachte, dass er sich das schon hatte denken können. Ich erklärte ihm dann aber, dass mir eben die Motivation ein bisschen fehlte, und er … er machte gleich wieder eine Miene, als ob jemand gestorben wäre. Ja, es lag teilweise an ihm, aber er musste sich ja nicht für alles verantwortlich fühlen! Nach fünf Jahren Studium sollte ich wirklich in der Lage sein, selbst ohne Motivation meinen Arsch hochzukriegen und mich hinter meine Arbeit zu klemmen. Ich versicherte ihm allerdings, dass ich es schon noch rechtzeitig schaffen würde, und er schien daraufhin beruhigt zu sein.

Dann erzählte er, was er derzeit so bei seinen Jobs trieb, wobei er mir natürlich nicht allzu viel verraten durfte. Die Sachen im Tonstudio gingen mich nichts an, weil die Künstler, die dort ihre Aufnahmen machten, selbstverständlich nicht wollten, dass vor Veröffentlichung ihrer Platten etwas über die neuen Songs bekannt wurde, und auch im Casino war Gackt zu Verschwiegenheit verpflichtet. Er konnte mir lediglich ein paar Stories aus dem Kino erzählen – was da für komische Gäste kamen, welche Filme er sich aufgrund der Trailer nur zu gerne ansehen würde, was für seltsame Sauereien er in den Pausen zwischen den Vorstellungen so wegputzen musste. Bei manchen wollte man gar nicht glauben, dass sie menschengemacht waren bzw. sich Menschen so benehmen konnten, wenn sie nicht zu Hause waren. Er erzählte außerdem ein bisschen über You und dass der ebenfalls schon wieder vollkommen mit Arbeit überhäuft worden war, die er in seinen sogenannten Ferien stemmen musste. Ich nickte mitfühlend und trug Gackt auf, dass er seinem armen, geplagten Mitbewohner meine besten Grüße bestellen sollte.

Als wir beide das Essen irgendwann eine Stunde nach seinem Eintreffen beendet hatten – nach dem Hauptgericht hatte ich natürlich auch für einen Nachtisch gesorgt – lobte mich Gackt noch einmal für das leckere Mahl und bestand außerdem darauf, mir beim Abräumen und Abwaschen zu helfen, obwohl ich ihm sagte, dass ich einfach alles nur einweichen und dann bis morgen stehen lassen könnte. Aber da hatte er sich schon das Jackett ausgezogen, die Ärmel hochgekrempelt und stand an der Spüle, um sich um das dreckige Geschirr zu kümmern.

Ich seufzte zwar, aber seine Sturheit, mir zur Hand zu gehen, machte mich insgeheim doch ziemlich glücklich. Es kam mir dadurch wirklich vor, als wären wir nicht nur zusammen, sondern sogar schon frisch verheiratet. Nicht, dass ich mir darüber bisher Gedanken irgendwelcher Art gemacht hätte, aber als es mir in den Sinn kam, gefiel es mir doch irgendwie. Ich lächelte ihn daher nur an, während ich mich ebenfalls nützlich machte und das gerade gespülte Geschirr mit einem Tuch abtrocknete. Ich gab ihm außerdem einen flüchtigen Kuss auf die Wange, woraufhin Gackt mich erst ein klein wenig überrascht ansah, dann aber ebenfalls lächelte und sich zu mir herunter lehnte, um mir einen richtigen Kuss zu geben. Und ich konnte es kaum noch abwarten, ihm endlich zu sagen, was ich wirklich fühlte.

Wir hatten Spaß an diesem Abend. Wir lachten und schwiegen zusammen, wir hielten uns an den Händen, sahen uns verliebt in die Augen und küssten uns – während wir aßen, in der Küche standen und auch hinterher, als wir auf meiner engen Couch saßen und uns einen Film ansahen, den Gackt aus meinem DVD-Regal gezogen hatte, während ich Wein in zwei Gläser füllte und diese vorsichtig in mein Wohn- und Schlafzimmer trug. Fürsorglich, wie Gackt war, hatte er mir seins direkt abgenommen, sodass wir uns gemütlich machen konnten, während mein DVD-Player die Disc einlas.
 

Ja, der Abend war schön und hätte vermutlich noch schöner werden können, wenn … wenn mir nicht plötzlich der Fleck auf seinem sonst so blütenweißen Hemd aufgefallen wäre.

Erst weigerte ich mich, da irgendetwas zu sehen – schließlich war es schon dunkel im Zimmer und der Fernseher die einzige Lichtquelle –, aber wenn mir einmal etwas Komisches aufgefallen war, dann ließ mich das nicht los, bis ich genau wusste, was es war. Ich saß zwar schon an Gackt gekuschelt da – sonst wäre mir diese seltsame Stelle erst gar nicht aufgefallen, so versteckt war sie –, rutschte nun aber noch etwas näher an ihn heran und richtete mich auch etwas auf.

„Was machst du denn da?“, fragte Gackt, der natürlich bemerkt hatte, dass ich unruhig geworden war.

„Da ist ein Fleck auf deinem Hemd“, sagte ich gerade heraus und hob seinen Kragen an, um mir mein Fundstück genauer anzusehen. Dabei dachte ich auch noch gar nicht daran, was sein würde, wenn ich es herausgefunden hatte. Vermutlich war ich einfach nur so glücklich in Gackt verliebt und voller Vorfreude, dass mir einfach nicht in den Sinn kam, dass uns etwas Schlechtes passieren konnte … und erst recht nicht an diesem Abend.

„Was denn für ein Fleck?“, hakte Gackt weiter nach, wobei sein Ton vollkommen unschuldig war. Er schien wirklich auch ein bisschen neugierig zu sein, was ich da entdeckt hatte – ebenso wie ich. Das änderte sich allerdings bei seinem nächsten Satz, der eher beteuernd klang: „Da kann eigentlich gar nichts sein. Das Hemd kommt frisch aus der Wäsche. Ich hab doch extra drauf geachtet.“ Dabei ruckte er auch zur Seite, sodass mir sein Kragen aus den Fingern rutschte.

Aber ich ließ nicht locker, wurde vielleicht auch langsam etwas misstrauisch. Ich wusste es nicht mehr, denn alles, was danach kam, verletzte mich zu sehr, um sich noch an solche Details zu erinnern. Stattdessen überwog das Gefühl der Fassungslosigkeit und wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, als ich die Stehlampe neben dem Sofa einschaltete und sah, dass die Farbe des Fleck ganz eindeutig rot war.

Mein Hirn versuchte erst gar nicht, eine logische Erklärung für all das zu finden – anscheinend war die einzige Möglichkeit, wo dieser Fleck hergekommen sein könnte, zu wahrscheinlich und zu erdrückend, als dass es mit irgendeiner plausibel klingenden Ausrede hätte daherkommen können. Nein, es war eindeutig und kaum, dass ich die Farbe, den leichten Glanz und die Verschmiertheit des Flecks im Licht gesehen hatte, war mir klar, dass es sich nur um Lippenstift handeln konnte. Das hier war schließlich nicht das erste Mal, dass mir so etwas unter die Augen kam.

Und wieder einmal schien Gackt in der Lage zu sein, hinter meine Stirn zu sehen und genau zu wissen, welche Schlussfolgerungen ich da zog. Doch er machte es damit eigentlich nur schlimmer.
 

„Gackt …“, konnte ich gerade noch sagen, als er auch schon das Wort an sich riss.

„Du darfst das jetzt nicht falsch verstehen, Hyde“, beteuerte er mir und drehte sich nicht nur mit dem Gesicht, sondern mit dem ganzen Oberkörper mir zu, zog dabei ein Knie auf die Couch, um mich ganz ansehen zu können, „wenn du mich nur ausreden lässt, dann wirst du sehen, dass absolut nichts dahintersteckt. Bitte, lass mich das erklären!“

Und ich ließ ihn … ich stand in diesen ersten Sekunden wohl noch zu sehr unter Schock, um mich dem zu verweigern. Ich bekam auch nicht sonderlich viel heraus, sondern nur: „Ich … Gacchan … was …“

„Weißt du …“, setzte Gackt an und machte dann direkt eine kleine Pause, in der er sich am Hinterkopf kratzte, weil er anscheinend doch nicht so recht wusste, wie er es mir erklären sollte, „… ich hab es dir nicht erzählt, weil ich dich nicht unnötig beunruhigen wollte. Es ist ja auch nicht wirklich etwas Schlimmes, aber ich habe eben doch befürchtet, dass du dich aufregst und dann … das hätte die Dinge nur komplizierter gemacht, als sie hätten sein müssen. Du musst mir wirklich glauben, dass ich dabei nur dich im Sinn hatte und nichts anderes.“ Er setzte wieder ab, diesmal allerdings, um mir direkt in die Augen zu sehen und meine Hand fest in seine zu nehmen. Sein Blick war dabei tatsächlich sehr besorgt, auch wenn ich es vorgezogen hätte, dass er mich mit seinen echten Augen ansah und nicht durch diese totblauen Kontaktlinsen. Ich wollte ihm so sehr glauben, aber ich wusste doch gleichzeitig nur zu gut, dass es sich in solchen Gesprächen nie zum Besseren wendete. Wenn er schon damit anfing, dass er dabei nur an mich gedacht und mir deshalb nichts gesagt hatte. So langsam begann mir zu dämmern, dass das hier schlecht enden würde … dass es vielleicht sogar wirklich enden könnte. Ich bekam gleich noch mehr Angst. Und enttäuscht war ich auch, furchtbar enttäuscht.

„Also …“, setzt Gackt fort, „ich hab nicht ganz die Wahrheit über meine Jobs gesagt. Ich arbeite schon eine ganze Weile nicht mehr im Casino, weil … man hat mich irgendwann Anfang Oktober auf der Straße angesprochen und gefragt, ob ich nicht ein bisschen einfaches Geld verdienen wollte. Mit meinem Aussehen würde ich da kaum Probleme haben, hat der Kerl gemeint. Ich hab ihn dann gefragt, worum es gehen würde, weil sein Angebot schon ein bisschen seltsam klang, und er hat dann gesagt, dass ich mir nur was Schickes anziehen und mich ein bisschen mit den Leuten unterhalten müsste, die in seinen Laden kämen.“

Ein Host Club … er arbeitete seit Anfang Oktober in einem Host Club, ohne mir auch nur ein Wort davon gesagt zu haben.

„Und es ist tatsächlich nichts dabei, Hyde“, redete Gackt einfach weiter, während mein Hirn noch damit beschäftigt war, diese grausame Wahrheit richtig zu akzeptieren, „ich unterhalte mich nur mit diesen Frauen und verdiene trotzdem sagenhaft gut. Es ist wirklich nichts dabei, ich …“

Ich hörte ihm nicht mehr zu, denn alles in meinem Kopf drehte sich nur noch darum, dass er mich angelogen und verraten hatte. Seit Anfang Oktober! Unsere Beziehung hatte Anfang November mit diesem seltsamen Deal begonnen und er hatte es versäumt, mir zu erzählen, was er unter anderem während seiner Arbeitszeit trieb. Er hatte mich in diese Beziehung gezerrt und mich in dem Glauben gelassen, er wäre ein Mensch, der vollkommen ehrlich zu mir wäre und dem ich vollkommen vertrauen könnte. Er war das Risiko eingegangen, dass sich etwas Ernstes daraus entwickelte, ohne mir die Wahrheit zu sagen. Und er war das Risiko eingegangen, dass er mich durch sein Verhalten zutiefst verletzte … was er ja nun auch tat. Nein, ich war nicht mehr nur enttäuscht davon, dass er mir diesen Aspekt seines Lebens verschwiegen hatte, ich war wütend auf ihn, dass er das alles hatte zulassen können, ohne sich um meine Sicht der Dinge zu scheren!

„Hyde?“, riss Gackt mich wieder ins Hier und Jetzt zurück, „geht's dir gut? Ist alles in Ordnung mit dir? Sag doch bitte was.“

Erst jetzt merkte ich, dass ich ihn in den letzten … Augenblicken gar nicht richtig angesehen hatte, sondern eher durch ihn hindurch, während ich mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen war. Doch jetzt tat ich es wieder und dieser Ausdruck in Gackts Gesicht, dieser Hundeblick, den er aufgesetzt hatte, widerte mich auf einmal an.

„Wie soll es mir denn schon gehen?!“, zischte ich und war selbst etwas überrascht, wie kalt meine Stimme dabei klang, „denkst du, ich bin froh darüber, dass du mich angelogen hast?!“

„Nein, natürlich nicht“, gab Gackt daraufhin gleich schuldbewusst zu, „aber ich wollte dich wirklich nicht-“

„Jetzt hör doch mal auf mit diesem Mist!“, fuhr ich ihm dazwischen und schrie nun schon. Ich zitterte auch – warum genau, das wusste ich nicht, „du redest doch sonst über alles mit mir, sobald was ist. Wieso dann dabei nicht?! Ich dachte, ich wäre dir wichtig genug, um mir alles zu erzählen, aber da lag ich anscheinend falsch. Was bin ich denn nur für ein Idiot?!“ Ich atmete ein paar mal kurz durch, ehe ich mich in der Lage fühlte, weiterzusprechen. Doch Gackt nutzte meine Pause, um seine fadenscheinige Entschuldigung erneut hervorzuholen … und um mich weiter zu verletzen.

„Nein, das darfst du nicht denken!“, beteuerte er weiter und drückte meine Hände, die er noch immer festhielt, „ich hatte wirklich nur dich im Sinn. Du bist mir wichtig, sehr wichtig! Ich sehe ja auch ein, dass ich Mist gebaut habe, aber ich wollte dich wirklich nicht belasten. Bitte, Hyde, lass uns nichts überstürzen. Ich kann dort sofort kündigen.“

„Überstürzen!“, spie ich ihm entgegen und entriss ihm dafür meine Hände. Es kotzte mich an, dass er mir das verschwiegen hatte, und auch ich kotzte mich an, denn ich spürte in meinem Inneren ganz genau, wie ich schon wieder nachgeben wollte – besonders nach seinem letzten Satz. Herrgott ich konnte noch nicht einmal richtig sauer auf ihn sein. Ich hasste mich dafür, dass ich ihn so sehr liebte!

Doch wenn ich gedacht hatte, dass das der Tiefpunkt des Abends war, dann hatte ich mich gewaltig geschnitten. Es bestand keine Hoffnung mehr dafür, dass wir die Sache in Ruhe ausdiskutieren und alles wieder in Ordnung kommen würde. Es gab keine Hoffnung mehr für uns.

Und es war Gackt, der es vollkommen ruinierte, indem er – noch ehe ich ihm verzeihen konnte – sagte: „Und ich verspreche dir hoch und heilig, dass da nichts zwischen mir und ihnen gewesen ist. Wenn eine von ihnen mehr von mir wollte, dann habe ich höflich abgelehnt und sie auf Distanz gehalten. Der Fleck hier ist vermutlich entstanden, als eine Kundin heute versucht hat, mich rumzukriegen. Aber ich schwöre dir, mit einer von ihnen habe ich nicht geschlafen.“

Er hätte mich fast gehabt … doch war mein Herz im Moment anscheinend zu sehr von Angst beseelt, als dass mir nicht aufgefallen wäre, was er da gesagt und wie er sich ausgedrückt hatte. Wenn ich noch normal gewesen wäre, dann hätte ich mich vielleicht nicht gefragt, aus welchem Grund er genau diese Worte gewählt hatte. Stattdessen …

„Wieso sagst du das so komisch?“

„Was?“, hakte Gackt dann auch verwirrt nach. „Was hab ich denn gesagt?“

„Mit einer von ihnen hast du nicht geschlafen – wieso sagst du das so komisch?“

„…“ Gackt schwieg und ich spürte in dem Moment, wie mir ganz flau im Magen wurde. Ich wusste es … mein Herz wusste es nur zu genau.

„Mit wem hast du geschlafen?“, presste ich hervor. Es war so schwer, ruhig zu bleiben, nachdem es mir einmal klar geworden war. Meine heile Welt war gerade dabei, in sich zusammen zu fallen … und mit ihr das Glück, das ich gerade erst gefunden hatte. „Mit wem und warum und wie lange geht das schon und wann hattest du vor, mir das zu sagen? … Gackt! Rede mit mir!“

„Es hat nichts bedeutet“, gab er schließlich zu und ich konnte die Reue in seiner Stimme hören und in seinem Blick sehen. Aber ich wollte das alles gar nicht wahrnehmen, „ich kenne sie nicht einmal … vor zwei Wochen, da war ich so frustriert, dass wir uns so lange schon nicht gesehen haben und nicht miteinander schlafen konnten und überhaupt … ich war mit Chacha einen trinken und als er dann irgendwann gegangen ist, war da plötzlich dieses Mädchen. Sie hat sich an mich rangeworfen … wollte sich nicht abwimmeln lassen und da hab ich eben zugelassen, dass sie mir noch einen ausgibt. Sie war sonst auch nett und ich dachte nicht, dass es schaden würde, wenn ich vielleicht ein kleines bisschen mit ihr flirte, bevor ich nach Hause gehe, damit sie nicht ganz so allein ist. Irgendwie ist dann aber eins zum anderen gekommen und ich bin bei ihr im Bett wieder aufgewacht. Ich war so erschrocken darüber, dass ich sofort abgehauen bin, ohne ihr was zu sagen … und ich hab mich widerwärtig gefühlt. Deshalb hab ich jetzt auch so viel gearbeitet. Ich konnte noch nicht einfach wieder mit dir schlafen, nachdem ich es mit diesem Mädchen getan hatte.“ Er klang fast so, als würde er ebenfalls gleich zu heulen anfangen. Wenn dem so war, dann konnte er sich ziemlich gut zusammenreißen. Aber er konnte sich offensichtlich nicht davon abhalten, wieder nach meinen Händen zu greifen. Er bekam nur eine zu fassen, aber es schien ihm wohl zu reichen. „Hyde, bitte, du musst mir glauben! Es war nur Sex, es bedeutet mir absolut nichts. Und ich werde sie ganz sicher auch nie wiedersehen! Bitte, Hyde!“

Doch was er auch tat, er würde es nicht retten können. Diese Geschichte, die er mir da erzählt hatte, erinnerte mich zu sehr an uns und wie es mit uns angefangen hatte. Ein kleiner Flirt konnte doch nicht schaden, denn ich würde ihn ohnehin nie wiedersehen – auch ich hatte das damals gedacht und nun hatte ich mich Hals über Kopf in diesen Menschen verliebt, mit dem ich damals so unverfänglich geflirtet und dann so hemmungslos rumgeknutscht hatte. Und wer wusste schon, ob wir damals nicht noch im Bett gelandet wären, wenn Tetsu uns nicht unterbrochen hätte.

Ich wusste im Augenblick absolut nicht, was ich nun machen sollte. Denn einerseits fühlte ich mich furchtbar verletzt, aber andererseits … und dann hörte ich mich genau die Worte sagen, die jetzt wohl am allerwenigsten hierher passten: „Ich liebe dich.“
 

Ich war überrascht und auch Gackt schien es zu sein, denn er verspannte sich sichtbar und starrte mich nur ungläubig an.

„Ich liebe dich“, wiederholte ich dann wie automatisch und spürte gleichzeitig einen so heftigen Druck auf meiner Brust. „Das wollte ich dir diese Nacht eigentlich sagen und jetzt …“ Ich unterbrach mich selbst, atmete zittrig ein und aus und schluckte dann schwer. Vielleicht war es Hoffnung, die mich diese Worte aussprechen ließ. Vielleicht hoffte ich, dass alles wieder gut werden könnte, wenn ich ihm nur endlich sagte, was Sache war, und er das erwiderte.

Doch es gab keine Hoffnung. Ich spürte es ganz genau, als Gackt nach ein paar Sekunden der bedrückenden Stille wieder zu sprechen begann: „Hyde, ich … ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll …“

„Die Wahrheit wäre gut“, schlug ich voller Ernst vor und spürte, dass mein gesamter Ärger von vorhin verpufft war. Es war jetzt eher wieder Enttäuschung … oder nein, auch das war es nicht ganz, sondern nur ähnlich. Es war … eine grenzenlose Leere in meinem Innern.

„Es tut mir leid, Hyde … noch mehr alles andere“, lautete seine Antwort, die mir bereits alles verriet, was ich wissen musste, „du bedeutest mir wirklich viel und ich bin so froh, dass du diese Beziehung mit mir eingegangen bist …“

„Aber du bist nicht in mich verliebt“, beendete ich Gackts Satz für ihn, damit er nicht noch weiter um den heißen Brei herumredete, wie es auch sonst gar nicht seine Art war.

„Nein“, bestätigte er mir und drückte meine Hand wieder. Es erinnerte mich an das erste Mal, dass wir miteinander geschlafen hatten. Er hatte danach so glücklich und zufrieden ausgesehen und dabei meine Hand gehalten. Ich hatte in diesem Moment nicht im Traum daran gedacht, dass es zwischen uns so schnell wieder aus sein würde. Zur Hölle nochmal, ich hatte mich sogar erst in ihn verliebt! Doch jetzt … Ich entzog Gackt meine Hand, schloss die Augen und atmete noch einmal tief durch. Wieder fühlte ich mich wie ein kleines Kind, als ich spürte, wie die Tränen heranrollten. Und ich spürte, dass ich sie nicht würde aufhalten können.

„Es tut mir wirklich leid, Hyde“, sagte Gackt noch einmal und streichelte mir dabei zaghaft über die Schulter. Anscheinend hatte er verstanden, dass ich zu viel Kontakt zu ihm und seinem Körper jetzt nicht ertrug. „Das ist jetzt vermutlich ein ziemlich schlechter Zeitpunkt, aber … denkst du, dass wir wenigstens noch Freunde sein können? Ich meine … immerhin bist du mir wichtig und ich will nicht, dass es hier zu Ende ist.“

Als er das gesagt … gefragt hatte, öffnete ich die Augen wieder und sah Gackt an. Es war ihm ernst, so wie alles andere auch schon – ich glaube ihm aufs Wort. Aber es reichte nicht, es reichte einfach nicht aus. Und gleichzeitig wollte ich ihn nicht verlieren. Ich war zwischen zwei Stühlen gefangen und konnte da einfach nicht weg. Aber ich musste und …

„Ich weiß es nicht“, sagte ich schließlich und klang dabei ziemlich furchtbar, „ich muss … nachdenken … denke ich. Ich brauche etwas Zeit …“

„Okay.“ Gackt nickte. Er hatte es verstanden, noch bevor ich es richtig verstanden hatte, denn er stand auf, zögerte zwar noch einen Augenblick, aber ging dann doch gleich, ohne noch etwas zu sagen oder zu tun.

Und als ich die Tür im Schloss einrasten hörte, brach ich zusammen.
 

tbc.

I Can Feel

19. Februar …
 

Sechs Tage. Sechs Tage war es nun her, dass Gackt und ich uns getrennt hatten und mein Herz dabei in tausend kleine Splitter zerbrochen war. Keiner von uns beiden hatte gesagt, dass Schluss war, aber wir wussten es beide – er hatte es an meiner Reaktion sehen können und ich an seiner.

In diesen sechs Tagen hatte ich absolut nichts getan, sondern nur das Nötigste wie schlafen, waschen und essen – von Letzterem sogar recht wenig und von Ersterem dafür umso mehr. Und geraucht hatte ich viel – in meinem Zimmer stank es sicher bestialisch, weil ich das Fensterdabei nie richtig öffnete. Ich war selbst dazu zu antriebslos. Beinahe die komplette Zeit hatte ich in meinem Bett verbracht und versucht, mein Elend auszublenden, indem ich einfach die Augen schloss und meinen Geist auf OFF stellte. Aber – Wer hätte es sich nicht schon denken können? – es funktionierte nicht. Ich konnte meinen Körper so viel in den Ruhezustand schicken, wie ich wollte, wie er es sogar verlangte, aber das schützte mich nicht vor den Gedanken an Gackt und dass ich mich im Moment so fühlte, als sei mein Leben vorbei. Meine Träume erledigten das schon und sorgten dafür, dass es mir beim Aufwachen immer fast noch schlechter ging als vorher. Denn ich dachte nicht nur über ihn nach, sondern phantasierte mir wieder einmal das übelste Zeug zusammen, was ein einzelner menschlicher Verstand nur zustande bringen konnte. Na ja … so abwegig einiges davon auch sein mochte, so zutreffend war dann vielleicht anderes.

Gackt hatte schließlich gesagt, dass er wegen diesem Mädchen nicht mehr mit mir hatte schlafen wollen, und mir fielen dazu nur seine Reaktionen ein, als ich mich nach unserer dreiwöchigen Pause wieder bei ihm gemeldet hatte. Er hatte abwesend gewirkt und distanziert und vertröstet hatte er mich auch immer wieder. Nun wusste ich also, dass er tatsächlich in der Zeit arbeiten gewesen war, aber ich wusste gleichzeitig auch, dass er sich diese Arbeit erst aufgeladen hatte, um nicht zu viel Zeit mit mir verbringen zu müssen. Wenigstens von der Frage, ob der One Night Stand nicht sogar direkt in der Nacht vor meinem Besuch geschehen war, konnte ich mich erfolgreich fernhalten, denn das war wirklich zu viel für mich und mein Herz.

Aber dann war da ja noch die Sache mit dem Host Club, die jetzt eigentlich eher nebensächlich geworden war. Er hatte vor sechs Tagen Kontaktlinsen und einen Anzug getragen, obwohl er das bei noch keiner unserer Verabredungen getan hatte und selbst bei der Arbeit im Casino nie so schick aufgekreuzt war. Dass er überhaupt einen Anzug besaß, hatte mich ja nur nicht gewundert, weil ich das Teil schon einmal säuberlich auf einem Bügel an seinem Schrank hatte hängen sehen. Hätte ich Idiot also schon früher ahnen können, was da los war? Ich wollte es mir ehrlich gesagt gar nicht ausmalen, denn es war schlimm genug, dass Gackt es mir gezielt verschwiegen hatte.

Und was hätte es denn geändert, wenn ich es vorher herausgefunden hätte? Hätte ich es dann vielleicht akzeptiert, weil ich da vielleicht noch nicht in ihn verliebt gewesen wäre? Hätte er auch da schon mir zul- … auf meinen Wunsch hin gekündigt? Hätten wir dann vielleicht jetzt glücklich sein können? Nein, hätten wir nicht, denn dazu hätte er mich lieben müssen, was er nicht tat. Und ich hatte den dumpfen Verdacht, dass You mehr von der ganzen beschissenen Sache zwischen mir und Gackt wusste, als ich immer gedacht hatte. Er hatte mich vor zwei Wochen schließlich so vollkommen verwirrt angesehen, als ich plötzlich vor der Tür gestanden hatte. Hatte er da schon gedacht, dass Gackt mit mir Schluss gemacht hatte oder spann ich mir hier einfach nur etwas zusammen?

Es war zum Heulen! Und auch das tat ich gelegentlich, wenn mich alles wieder überfuhr.

Verflucht! Wie hatte ich mich nur so dermaßen auf einen Menschen einlassen können?!
 

Mich sechs Tage lang in meiner Wohnung, in meinem Bett, einzuigeln, hieß außerdem, dass die Außenwelt nicht an mich herankam. Da draußen hätte der dritte Weltkrieg ausbrechen können und ich hätte es nicht gemerkt. Ich ging nicht an mein Handy, als es klingelte, las keine SMS und als sich der Akku meldete, ließ ich ihn einfach leergehen, ohne etwas dagegen zu tun. Auch mein Computer blieb aus, sodass sich die E-Mails in meinem Postfach ebenfalls würden gedulden müssen. Von den sozialen Netzwerken, bei denen ich Accounts hatte, um mit alten Freunden in Kontakt zu bleiben, wollte ich gar nicht einmal reden.

Aber so egal mir das alles war, so sehr störte es meine jetzigen Freunde, sodass es nach den sechs Tagen, in denen ich auf keinen ihrer Kontaktversuche reagiert hatte, plötzlich an meiner Tür klingelte – und das so entschlossen, dass ich gar nicht anders konnte als zu öffnen, obwohl ich eigentlich darauf hatte warten wollen, dass mein ungebetener Besuch es aufgab und wieder ging.
 

Wie entschlossen dieser war, merkte ich dann auch, als sich eine wahre Meute an Leuten direkt an mit vorbeidrängelte, kaum dass ich ihnen die Tür aufgemacht hatte.

„Doiha, du Idiot!“, pflaumte Tetsu mich direkt an, „wieso gehst du denn nicht ans Handy?!“

„Ich …“, wollte ich zu einer Erklärung ansetzen … oder auch einer Rechtfertigung, etwas ebenso Harschem oder der Bitte, einfach wieder zu gehen – zu irgendeiner Antwort eben. Doch Tetsu entriss mir das Wort direkt wieder.

„Ich weiß schon“, sagte er jetzt in einem ganz anderen Tonfall, „deshalb sind wir ja hier.“ Wir – das waren er, Ayana und Yuki. Objektiv gesehen war das natürlich nicht wirklich eine Meute, aber für meine kleine Wohnung schon, denn als die drei eingetreten waren und sich die Schuhe ausgezogen hatten, bugsierte mich Tetsu wieder zurück in mein Schlaf- bzw. Wohnzimmer, wo er sich auf meine kleine Couch setzte. Ayana nahm direkt daneben Platz, umarmte mich aber erst noch einmal fest, rieb mir ein paar Mal über den Rücken und murmelte dabei leise, dass es ihr leid täte, was ich da gerade durchmachen müsste. Ich dankte ihr daraufhin ebenso leise, sagte ihr aber auch, dass sie ja nichts dafür konnte. Währenddessen okkupierte Yuki meinen Schreibtischstuhl, sodass mir wieder einmal kein anderer Platz übrigblieb als mein Bett. Nun ja, wenigstens war das noch warm.

„Ken-chan lässt sich entschuldigen“, teilte mir Yuki dann mit, „er muss noch arbeiten und kann erst später nachkommen.“

„Hm …“, machte ich wie automatisch und wunderte mich etwas über seine Wortwahl. Ken musste noch arbeiten? Aber dann fiel mir auf, dass ich eigentlich gar nicht wusste, wie spät es gerade war. Ich hatte seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr auf die Uhr gesehen und außerdem ständig geschlafen, sodass mein eigenes Zeitgefühl vollkommen durcheinander war. Als ich dann doch auf meinen Wecker sah, erschrak ich ein bisschen, denn es war bereits vier Uhr nachmittags. Aber der Schrecken verschwand schnell wieder. Was machte es denn schon?
 

Als auch ich mich wieder hingesetzt hatte, herrschte erst einmal Stille, während der ich meine Freunde ansah, die wiederum erwartungsvoll zu mir blickten.

„Und? Wieso …“, krächzte ich, der ich meine meine Stimme nun schon seit dem Abend der Trennung von Gackt nicht mehr benutzt hatte. Ich räusperte mich daraufhin und startete noch einmal von vorn: „Wieso seid ihr hier?“ Ich versuchte mich außerdem an einem Lächeln, scheiterte aber kläglich. Tetsu hatte ja schon gesagt, dass sie deshalb hier waren. Wie auch immer er darauf gekommen sein wollte.

„Das weißt du doch ganz genau, Doiha“, lautete dann auch die Antwort meines besten Freundes.

„Und woher weißt du es?“, hakte ich nach.

„Woher schon? Von Gackt natürlich!“ Das überraschte mich doch sehr. Ich hätte nicht gedacht, dass die beiden in Kontakt standen, selbst wenn sie immer recht höflich zueinander gewesen waren und Tetsu Gackt an meiner Seite akzeptiert hatte. Und es schmerzte, seinen Namen laut ausgesprochen zu hören. „Du bist ja nicht an dein Handy gegangen und hast auch nicht auf SMS oder E-Mails geantwortet. Da hab ich gedacht, du hast dich ein paar Tage bei ihm eingenistet, und ihn angerufen. Ich hab seine Nummer noch von damals, als ich euch so verkracht hattet, weißt du noch?“

„Ach so …“, murmelte ich. Ja, ich wusste es noch. Und so langsam dämmerte mir auch der Rest.

Trotzdem redete Tetsu weiter: „Er hat mir jedenfalls gesagt, dass er Mist gebaut und ihr euch getrennt hättet und ich mich jetzt gut um dich kümmern soll. Als ob ich da nicht von selbst drauf gekommen wäre! Dieser Bastard!“ Gackt machte sich also Sorgen um mich … natürlich tat er das, schließlich hatte er gesagt, dass ich ihm noch immer etwas bedeutete. Diesmal klappte es dann auch mit dem Lächeln, aber es musste ein bitteres sein, das sich da auf meine Lippen stahl, denn jedes Mal, wenn ich an ihn dachte, wurde mir wieder aufs Neue klar, was ich verloren – oder auch nie gehabt? – hatte.

„Wie geht’s dir jetzt, Hyde?“, fragte Ayana dann auf einmal und riss mich wieder aus meinen bitteren Gedanken, „und … was ist denn passiert?“

„Gackt hat's versaut, das ist passiert. Hat er doch selber gesagt“, grätschte Tetsu dazwischen, die Arme abwehrend vor der Brust verschränkt, noch bevor ich auch nur Luft zum Antworten holen konnte. Und ich konnte nur zu gut hören, wie er für mich in den Beschützermodus wechselte. Für ihn war Gackt hier eindeutig der Feind, der ausgiebig geschmäht werden musste, bevor es mir wieder besser gehen konnte. Aber dem war ja nicht so … denn obgleich Gackt mich tatsächlich betrogen hatte, was es nicht dieser One-Night-Stand, der mich so fertigmachte. Nein, das eigentliche Problem lag ganz woanders. Und ich schien nicht der Einzige zu sein, der mit Tetsus leicht vorschnellen Urteilen nicht ganz einverstanden war.

„Jetzt lass das doch mal“, schimpfte Ayana ihn, „lass Hyde selber erzählen, bevor du wieder auf irgendwem rumhackst!“

„Ich will ihm doch nur helfen!“, lautete die empörte Rechtfertigung meines besten Freundes.

„Das tust du aber nicht, indem du Gackt direkt miesmachst. Die beiden waren zusammen und sind es jetzt nicht mehr, aber deswegen war doch nicht alles schlecht!“

„Aber ich muss mich doch auf seine-“

„Nein, musst du nicht! Nicht so!“, schnitt Ayana ihm das Wort ab und hatte dabei einen Ton drauf, der ihm – und eigentlich uns allen – nur zu deutlich machte, dass er jetzt still sein sollte. Dann wandte sie sich wieder direkt an mich und sagte ganz sanft und ruhig, so wie sie sonst immer war: „Erzählst du es uns bitte, Hyde?“

Ich war erst eine Runde perplex, so wie ich es immer war, wenn sie diesen perfekten Wechsel von Furie zu Muse von einer Sekunde auf die andere hinlegte. Dann räusperte ich mich wieder … und begann zu erzählen.

Ich erzählte meinen Freunden die ganze Geschichte von dem Abend, an dem Gackt und ich uns getrennt hatten, und auch von seinem komischen Verhalten davor und meiner Enttäuschung darüber. Und weil ich es bisher nur Tetsu gesagt hatte, beichtete ich auch noch einmal, dass ich mich in Gackt verliebt hatte und dass das mein wirkliches Problem war: „Natürlich ist es scheiße, dass er mich betrogen hat-“

„Weil er ja nicht mal ein paar Wochen ohne Sex auskommen kann!“, warf Tetsu ein, als der Seitensprung zur Sprache kam, und erntete wieder finstere Blicke seitens seiner Freundin, woraufhin er nur stumm mit den Augen rollte.

Und auch ich ließ mich nicht davon abhalten: „Ich hätte es ihm vielleicht trotzdem verziehen … er hat ja gesagt, er würde es bereuen, und er muss sich wirklich so schlecht dabei gefühlt haben, wenn er es dann noch nicht mal übers Herz gebracht hat, wieder zum Alltag zurückzugehen und einfach mit mir zu schlafen, als ob nichts gewesen wäre. Ich glaube ihm das auch, aber …“ Ich seufzte und spürte, wie wieder Tränen in meinen Augen aufstiegen. Über Gackt zu sprechen, war schwer, und daran zu denken, wie sehr ich ihn liebte, er mich aber nicht, war nur noch schwerer. Es zerbrach mich fast – diese unerwiderte Liebe, selbst wenn er gesagt hatte, dass ich ihm wichtig war. „… er liebt mich eben nicht. Wir waren jetzt drei Monate zusammen und was auch immer ich ihm bedeuten mag, es ist mir nicht genug … Er hat mich gefragt, ob wir Freunde bleiben können. Ist das nicht total blöd und klischeehaft? … Was soll ich denn jetzt machen?“ Damit endete ich und sah meine Freunde hilfesuchend an.

„Ach, Hyde …“, seufzte Ayana, beließ es dabei aber und schwieg wieder.

Tetsu hingegen wollte definitiv etwas sagen, das konnte ich ihm am Gesicht ablesen. Aber ich sah auch nur zu genau, in welche Richtung es gehen würde, denn er blickte immer wieder verstohlen zu Ayana hinüber und traute sich nach den ganzen Tadeln, die sie ihm in der letzten halben Stunde erteilt hatte, wohl nicht ganz, seine Meinung wirklich zu äußern. Ich fasste es also als „Zur Hölle, nein! Sei froh, dass du den Kerl los bist!“ auf. Erst Yuki widmete sich dann wirklich dem Problem.

„Würdest du es denn aushalten, nur mit ihm befreundet zu sein?“, fragte er mich, „ich kann verstehen, wenn du ihn nicht loslassen willst, aber ich stelle es mir ziemlich schwierig vor, einfach wieder nur befreundet zu sein, wenn man vorher mal zusammen war. Vor allen Dingen, wenn du ihn liebst, er dich aber nicht. Für Gackt mag es vielleicht einfach sein, allerdings wird es dir vielleicht jede Menge Kummer bringen, ihn immer um dich zu haben, aber nicht das ausleben zu dürfen, was du fühlst. Jedenfalls musst du dir jetzt klarmachen, was dir wichtiger ist: Bei Gackt zu sein und zu hoffen, dass er dich vielleicht auch irgendwann lieben wird oder deine Gefühle weggehen, oder dich von ihm fernzuhalten und selber drüber wegzukommen. Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst – das musst du eigentlich wirklich alleine rausfinden und egal, wie du dich entscheidest, das wird in der nächsten Zeit ziemlich schwer werden.“

Ich nickte, doch noch bevor ich auch nur zu einem Danke ansetzen konnte, erhob Ayana schließlich wieder das Wort: „Wirklich alleine ist er aber nicht. Wir sind schließlich für dich da, Hyde. Wenn du einen Rat brauchst, dann frag einfach.“

„Danke … wirklich …“

„Und vergiss mal bloß Gackt nicht!“, kam es dann auf einmal von Tetsu, der zwar immer noch die Arme vor der Brust verschränkt hatte und noch ziemlich mürrisch klang, aber er schien so langsam ein Einsehen gefunden haben, nachdem er hier so ziemlich der Einzige gewesen war, der sich querstellte. Doch selbst dafür war ich ihm irgendwie dankbar, denn er wollte ja nur das Beste für mich und mich vor unnötigem Stress und Schmerz beschützen. Ich verstand seinen Punkt, sogar wenn ich ihm da überhaupt nicht zustimmen konnte … zumindest bis jetzt. „Der Kerl hat schließlich auch seinen Teil dazu beigetragen und wenn er denkt, dass er sich jetzt aus der Verantwortung ziehen kann, dann liegt er definitiv falsch! Er sollte sich Gedanken drum machen, wie es Doiha jetzt damit geht, anstatt direkt solche blöden Fragen zu stellen!“

„Ich denke, er hat es auch nicht wirklich leicht“, warf Yuki über meinen Kopf hinweg ein, „so wie Hyde es erzählt hat, scheint es ihn ziemlich getroffen zu haben. Wenn mir jemand nichts bedeutet, dann würde ich mir wegen ihm nicht so viel Stress machen und mich mit Arbeit zuschütten, bis mir was eingefallen ist.“

„Die Wahrheit wäre ja wohl das Naheliegendste gewesen, aber die hat er anscheinend vermeiden wollen, bis es nicht mehr anders ging.“

„Ich hab ja auch nicht gesagt, dass Gackt fehlerfrei wäre. Natürlich hätte er gleich mit der Sprache rausrücken müssen, wenn es schon passiert ist. Und er hat doch schon gezeigt, dass er ihn nicht ganz verlieren will, grade indem er gleich gefragt hat. Das darfst du nicht vergessen, Tetsu.“

„Ich denke hier in erster Linie an Doiha, da ist mir ziemlich egal, was der Kerl macht oder wie es ihm geht.“

„Mir ist es aber nicht egal“, warf ich schließlich ein, damit die Konversation über mich nicht weiterhin über meinen Kopf hinweg geführt wurde, „Yuki hat recht, Tet-chan. Du hättest sehen müssen, wie geknickt er aussah, als klar war, dass Schluss ist … und dann, als ich ihm nicht gleich eine Antwort gegeben habe. Aber ich denke auch, dass ich tatsächlich noch mal mit ihm reden muss … wie er sich das ganze vorstellt, wenn ich in ihn verliebt bin und er nicht in mich. Vielleicht kommen wir dann auf eine Lösung, die für uns beide am besten ist. Ich weiß nur nicht, ob ich schon wieder in der Lage bin, mit ihm zu reden. Es tut im Augenblick noch … zu sehr weh …“

„Du solltest dich nicht zu sehr quälen“, meinte Ayana dann, stand auf und kam zu mir herüber, um sich neben mich auf die Bettkante zu setzen und meine Hand zu nehmen, „auch wenn es hart ist, ihm wieder zu begegnen, solltest du dir möglichst bald klar machen, was du willst, und dann mit ihm drüber reden. Und wer weiß, vielleicht wendet sich doch noch alles zum Besseren und dann hast du nur die kurze Zeit jetzt leiden müssen.“ Sie schenkte mir außerdem ein aufmunterndes Lächeln und umarmte mich anschließend.

Ich erwiderte die Umarmung stumm, schloss die Augen und dachte dabei daran, was für wundervolle Freunde ich doch hatte. Sie kamen zu mir, ohne dass ich sie darum gebeten hatte, sondern einfach nur, weil sie sich Sorgen um mich machten. Sie bauten mich auf und beschützten mich mit allen Mitteln. Sie halfen mir, wo sie nur konnten, und sei es nur drum, dass sie mich umarmten, wenn ich es bitter nötig hatte. Sie würden mich nie im Stich lassen und immer da sein, egal was passierte, während meine Beziehungen zu anderen Menschen entstanden und wieder zerbrachen. Sie waren wie meine Familie – die Familie, die ich mir selbst ausgesucht hatte. Und insgeheim wollte ich, dass auch Gackt dazugehörte, selbst wenn ich dafür einen Weg finden musste, nicht mehr in ihn verliebt zu sein.
 

tbc.

Replay

23. Februar …
 

„Vielen herzlichen Dank, Hayashi-sensei“, sagte ich demütig und verbeugte mich im 90-Grad-Winkel, während ich rückwärts aus dem Büro meines Professors ging.

„Nun machen Sie mal halblang, Takarai. Es ist schließlich Ihre Sache, wann Sie ihre Arbeit abgeben, solange Sie nicht zu lange brauchen. Außerdem ist das hier das erste Mal, dass sie die Frist verlängern müssen. So etwas passiert jedem Studenten einmal, also müssen Sie nicht unbedingt so tun, als wären Sie damit die Ausnahme aller Ausnahmen“, wurde mir allerdings in einem leicht schroffen, aber noch immer gut gemeinten Tonfall entgegnet, was mich allerdings auch nicht davon abbrachte, mich noch einmal auf dieselbe Art und Weise zu bedanken.

„Gehen Sie lieber an Ihre Arbeit! Noch einen Aufschub kriegen Sie nämlich nicht“, kam es diesmal sogar scherzhaft darauf zurück.

„Das werde ich. Auf Wiedersehen“, verabschiedete ich mich schließlich, zog dann die Bürotür ganz zu und atmete auch gleich erleichtert auf. Puh, gerade noch mal gut gegangen!

Na gut, okay … ganz so knapp war es nicht gewesen, denn Hayashi-sensei hatte mir ja im Januar schon gesagt, dass eine Verlängerung keinen stören würde. Aber ich war ihm trotzdem dankbar, dass er so problemlos eingewilligt hatte, mir noch zwei Wochen mehr Zeit zu geben. Eigentlich hatte er mir sogar einen gesamten Monat einräumen wollen, allerdings hatte ich das kategorisch abgelehnt, da ich einerseits schon fast fertig war und andererseits auch endlich zum Ende kommen und nicht aufgrund meiner zusätzlichen Zeit noch großartig rumtrödeln wollte. Nicht, dass ich tatsächlich herumgetrödelt hätte, aber je mehr Spielraum ich hatte, desto mehr drängte sich mir der Gedanke auf, dass ich doch nicht tatsächlich schon durch sein konnte und stattdessen noch mehr tun müsste. Zwar hatte ich meistens noch ein Polster übrig und gab verfrüht ab, aber dieses nagende Gefühl, irgendetwas Wichtiges übersehen zu haben, war immer da und verunsicherte mich einfach fürchterlich. Das wollte ich mir wirklich ersparen und wenn das hieß, dass ich dafür wieder den ganzen Tag über meiner Arbeit sitzen musste, um die Frist zu schaffen, dann nahm ich das auch in Kauf. Dann war ich wenigstens mit etwas Sinnvollem beschäftigt!
 

Meine Abschlussarbeit hatte ich nämlich in den Tagen nach meiner Trennung von Gackt total vergessen – natürlich, könnte man eigentlich sagen, da ich so dermaßen mit mir selbst beschäftigt gewesen war, dass ich teilweise sogar das Essen vergessen hatte.

Sie war mir auch erst wieder eingefallen, als Tetsu, Ayana und Yuki mich die paar Tage später besucht und mir ins Gewissen geredet hatten. Ken war wie versprochen später noch dazugekommen, drei große Pizzen und eine Plastiktüte voller Dosen mit Softdrinks und Bier in der Hand. Als er seine Fracht auf meinem Schreibtisch abgestellt hatte, hatte sie dabei gegen einen dicken Stapel Papier gelehnt, der daraufhin natürlich umgekippt war und die Notizen zu meiner Abschlussarbeit über die halbe Arbeitsfläche verteilt hatte. Da war mir dann wie Schuppen von den Augen gefallen, dass ich ja immer noch etwas Korrekturlesen und – eigentlich noch schlimmer! – malen musste. Wäre ich diesem Moment alleine gewesen, wäre ich wahrscheinlich wieder in Tränen ausgebrochen und hätte mich direkt wie wild in die Arbeit gestürzt, dabei nichts richtig hinbekommen und mir im Endeffekt nur noch mehr Arbeit aufgehalst.

Aber zum Glück waren meine Freunde für mich da gewesen, hatten mich abermals aufgefangen und mir klar gemacht, dass es jetzt absolut nichts bringen würde, mich an meine Abschlussarbeit zu setzen, da ich es womöglich nur schlechter machen würde, als sie jetzt war. Stattdessen hatten sie mich davon überzeugt, mich doch um eine Verlängerung zu kümmern – allen voran Tetsu, der so etwas regelmäßig machen musste, weil er in den ersten Wochen seiner Ferien ganz gerne gar nichts tat und dafür am Ende in eine Bredouille kam. Er hatte das Ganze herrlich mit Anekdoten ausgeschmückt, die ich zwar fast alle schon kannte, mich aber trotzdem immer wieder so amüsierte, dass ich mich auch diesmal nicht halten konnte. Und Ken hatte mir seine Hilfe bei der Korrektur meiner Arbeit angeboten, denn selbst wenn er vom Thema keine Ahnung hatte, hatte er doch zumindest in sprachlicher Hinsicht mehr drauf, als man ihm im ersten Moment zumuten wollte.

Es war dann noch ein sehr lustiger Abend geworden: Wir hatten einen Film geschaut, Pizza gegessen, uns dabei um die guten Beläge gestritten und außerdem ausgeknobelt, wer für den Nachschub an Getränken sorgen würde, da Ken ganz offensichtlich an einer Rechenschwäche leiden musste: fünf Leute und dann nur acht Dosen! Wie konnte man nur so schlecht planen können?! Es hatte dann Tetsu getroffen, da der mit seinem gerade erst ergatterten Stück Pizza im Mund nicht schnell genug Shinyokki* gerufen und somit verloren hatte. Ayana, die eigentlich den zweiten Platz belegt hatte und aus dem Schneider war, hatte sich dann allerdings dazu bereiterklärt, ihn zum Conbini zu begleiten, damit er nicht so schwer schleppen musste … und um als einziges Mädchen der Runde nicht nur Männergebräu trinken zu müssen. Und damit die beiden ein paar Momente nur für sich hatten, hatte Ken noch hinterher gerufen, als sie schon fast zur Tür raus waren. Die Antwort darauf war Tetsus ausgestreckter Mittelfinger gewesen.

Die Welt war an diesem Abend absolut in Ordnung gewesen, obgleich er so finster begonnen hatte.
 

Durch die Bemühungen meiner Freunde hatte ich mich dann auch endlich wieder dazu aufraffen können, mich richtig in meine Arbeit hineinzuknien, die diesmal hauptsächlich bei den Bildern lag. Ken hatte sich eine Kopie vom schriftlichen Teil gezogen, um ihn in Ruhe zu Hause bearbeiten zu können. Er hatte gesagt, dass er es in einer Woche schaffen sollte, und dann wollte er wieder zu mir kommen, damit wir die Korrekturen gemeinsam einarbeiten und notfalls diskutieren konnten.

Für die Verlängerung hatte ich mit Hayashi-sensei erst einen Termin ausmachen müssen, da es in der vorlesungsfreien Zeit für gewöhnlich keine geregelten Sprechzeiten gab – Professoren wollten eben auch mal Urlaub machen, pfft! –, aber er hatte mir eigentlich per Mail schon zugesagt. Trotzdem war es noch nötig gewesen, persönlich vorstellig zu werden, um den Papierkram, den das ganze Unterfangen mit sich brachte, auszufüllen und zu unterschreiben. Das kostete mich nun auch wieder einen halben Nachmittag, allerdings war ich vollkommen in meinem neuen selbstgesteckten Zeitplan, sodass es nicht ganz so katastrophal war. Nur für den alten Abgabetermin reichte es leider nicht.
 

Und nun stand ich wieder draußen auf dem Gehweg vor den Doppeltüren des Fakultätsgebäudes und überlegte, was ich jetzt anstellen sollte. Die Bibliothek war nur ein paar Minuten zu Fuß entfernt und es juckte mich in den Fingern, noch hier und da etwas nachzuschlagen. Aber ich verwarf diesen Drang mit dem Gedanken, dass Ken ja schon fleißig am Korrigieren war und ich seine ganze Arbeit wieder kaputt machen würde, wenn ich jetzt noch mit etwas Neuem ankam. Außerdem war es ja genau das, was ich durch die kurze Fristverlängerung von nur zwei Wochen verhindern wollte!

Ich bog also nicht nach links zur Bibliothek ab, sondern nach rechts, wo die nächste U-Bahn-Station war. Ich würde einfach nach Hause fahren und gucken, wie lange das Licht noch ausreichte, um vernünftig malen zu können.

Doch dazu sollte ich an diesem Tag nicht mehr kommen, denn unterwegs sah ich etwas … begegnete ich jemandem, der Erinnerungen in mir aufstiegen ließ. Es war niemand, den ich tatsächlich kannte, aber das Instrument, das er in Händen hielt, reichte bereits aus. Direkt am Eingang zum Untergrund stand ein junger Kerl, der Geige spielte. Vor ihm auf dem Boden lag der offene Geigenkasten, wo einige Leute schon Münzen hineingeworfen hatten. Es war nicht You, aber es hätte You sein können, denn zumindest in meinen Ohren spielte der Kerl ziemlich gut und vor allen Dingen sehr schön. Wie You damals hatte er dabei auch die Augen geschlossen.

Und wenn ich an You dachte, dann dachte ich auch unweigerlich an Gackt … nicht, dass ich das in den letzten Tagen nicht sowieso getan hätte! Nein, ich hatte mir den Rat meiner Freunde wirklich zu Herzen genommen und immer dann, wenn ich nicht über meiner Arbeit gesessen hatte, hatte ich herauszufinden versucht, was ich mit Gackt und meinem … unserem Problem anstellen sollte. Doch bisher hatte es nichts gebracht – leider. Meine Gedanken kreisten immer nur um dieselben Möglichkeiten, die mir blieben und ich die ich vor ein paar Tagen auch schon mit den anderen besprochen hatte. Yuki hatte sie ja wirklich sehr schön auf den Punkt gebracht …

Und dann fielen mir auch Tetsus Worte ein, dass ich bloß nicht vergessen sollte, dass Gackt ebenfalls ziemlich tief in der Sache drin steckte und gefälligst auch seinen Teil dazu beitragen sollte. Die Idee hatte mir an dem Abend nicht gefallen und tat es auch jetzt nicht sonderlich mehr. Aber auf der anderen Seite … Tetsu hatte recht: Vielleicht hatte ich da ein Problem, dass wir tatsächlich nur zusammen lösen konnten. Und ich sah im Moment auch nicht, dass ich es in absehbarer Zeit auf eigene Faust hinkriegen würde. So wie es aussah, kam ich also nicht drumherum, die ganze Sache mit Gackt gemeinsam auszudiskutieren …

Ich seufzte. Eigentlich wollte ich ihn nicht wiedersehen, nicht so schnell schon – unsere Trennung war schließlich gerade einmal zehn Tage her. Und ja, ich wusste die Zahl ganz genau, denn zehn Tage seit der Trennung waren zehn Tage ohne Gackt und auch ohne die Hoffnung auf ein Wiedersehen. Hätte ich diesen mentalen Counter zu Papier gebracht, hätte vermutlich so etwas wie Tage seit Beginn der Endgültigkeit darüber gestanden.

Ich schüttelte den Kopf – ich phantasierte ja schon wieder! Schön, gut. Ich hatte mich von Gackt getrennt, aber das war doch verdammt nochmal nicht das Ende der Welt! Er war nur eine weitere meiner gescheiterten Beziehungen, die sich zu den anderen in meiner Erinnerung gesellen konnte … nur wollte das noch nicht ganz in mein Herz hinein. Es vermisste ihn noch immer sehr und schmerzte und wollte ihn um alles in der Welt wieder haben. Aber es wollte ebenso von Gackt geliebt werden und an dieser Stelle haperte es eben gewaltig.

Ein erneutes Seufzen verließ meinen Mund, als ich mich wieder in Bewegung setzte. Ich merkte auch jetzt erst, dass ich überhaupt stehengeblieben war und den Geige spielenden Kerl nun schon seit einer Weile anstarrte. Ich wollte dann auch nicht unhöflich rüberkommen, sodass ich meinen Geldbeutel herausnahm, ein bisschen in meinem Kleingeld herumkramte und ihm schließlich zwei Hundert-Yen-Münzen in den Geigenkasten warf. Er musste wohl gemerkt haben, dass ich vor ihm stand, denn mitten im Spiel öffnete er plötzlich die Augen, lächelte mich an und bedankte sich herzlich bei mir für die Spende.

Und ich erschrak kurz, denn obgleich er eindeutig ein Japaner war, waren seine Augen nicht braun, sondern von einem leuchtenden Grün. Er trug Kontaktlinsen. War ein solcher Zufall denn wirklich möglich oder hatte es irgendjemand da oben auf mich abgesehen und wollte mich quälen? Oder vielleicht auf etwas hinweisen? Ich war ein kreativer Mensch, aber gleichzeitig auch ziemlich rational und vor allen Dingen pragmatisch veranlagt, sodass ich eigentlich nicht an solches Zeug wie das Schicksal glaubte. Aber was sollte ich in einer solchen Situation denn anderes tun?!

„G-gern geschehen“, murmelte ich noch etwas stockend, ehe ich schließlich meinen Weg fortsetzte und die Stufen nach unten zu den Gleisen nahm. Und ich konnte dabei das Gefühl nicht abschütteln, dass hier irgendetwas vor sich ging und ich meine Rolle darin zu spielen hatte. Ich konnte es nicht genau benennen und wenn ich es doch versuchte, dann konnte ich auch nur an eines denken: Gackt. Er schlich sich wieder einmal in meinen Kopf, so wie er sich auch vor zwei Monaten in mein Herz geschlichen hatte. Und ebenso setzte er sich jetzt in meinen Gedanken fest, ließ sich einfach nicht vertreiben, sondern plagte mich, bis es mir schließlich reichte.

Am liebsten hätte ich mich mitten auf den Bahnsteig gestellt und gebrüllt: „Ist ja gut, ich mach ja schon!“, aber ich tat es nicht. Ich wechselte nur schweigend das Gleis und ging weg von dem, auf dem der Zug, den ich eigentlich hatte nehmen wollen, gerade einfuhr. Stattdessen stellte ich mich auf die gegenüberliegende Seite und wartete auf die nächste Bahn, die mich genau in die andere Richtung bringen würde. In einer Minute würde sie kommen, wie mir die große Anzeigetafel verriet.

Das war eine Minute, in der ich mir noch darüber klar werden konnte, dass das hier alles großer Mist war und ich mich lieber doch an die Fertigstellung meiner Bilder machen sollte. Aber wenn das Herz einmal will, dann hat der Verstand plötzlich ziemlich wenig zu sagen, auch wenn er es später sein wird, der die ganze Diskussion über Für und Wider führen musste. Sogar wenn er eine Höllenangst vor diesem Gespräch hatte, weil er genau wusste, wie hoch die Chancen standen, dass er verlor und anschließend nur wieder verletzt wurde. Und das Herz mit ihm. Doch dem Herzen war das egal. Es wollte nur zu Gackt.

Und ehe ich mich versah, setzten sich meine Füße dann wieder in Bewegung. Der Zug war eingefahren, die Türen hatten sich geöffnet und zig Menschen versuchten gleichzeitig, ein- bzw. auszusteigen. Ich war einer von ihnen und als ich keine Minute später einen Sitzplatz zwischen einer alten Dame und einem Anzugträger mittleren Alters ergattert hatte, wusste ich, dass es nun durchziehen würde. Ich würde nicht vorher aussteigen, ich würde dieses Gespräch führen und ich würde mit einer Lösung, die für uns alle am besten war, wieder gehen. Ja, so würde es gehen … irgendwie …
 

Eine halbe Stunde später stieg ich an der mir nur zu vertrauten Haltestelle aus und schlug den direkten weg zu Gackts Wohnung ein. Ich hatte jetzt weitere dreißig Minuten Zeit gehabt, um mir noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen, ob ich dafür wirklich bereit war. Und es hatte sich absolut nichts geändert: Ich wollte zu ihm, ihn sehen, mit ihm reden. Ich hoffte nur, dass er auch da war und noch mit mir reden wollte, nachdem ich jetzt zwei Wochen lang nichts in diese Richtung getan hatte. Und es war drei Wochen her, dass ich diesen Weg das letzte Mal eingeschlagen hatte.

In diesen vier Wochen hatte sich einiges verändert, denn Anfang Februar hatte noch überall Schnee gelegen, der mittlerweile geschmolzen war. Es sah sogar schon ganz nach einem verfrühten Frühling aus, denn die Temperaturen waren innerhalb der letzten Tage schlagartig nach oben geschossen und überall hatten die Pflanzen zu sprießen und zu blühen begonnen. Der nächste Niederschlag würde ganz sicher wieder als Regen herunterkommen und nicht als Schnee. Aber jetzt war es zum Glück trocken … nichts war schlimmer als Schneematsch – bis auf das ekelhaft nasse Wetter im Herbst natürlich!

Aber über was machte ich mir hier eigentlich Gedanken?! Ich sollte mich viel mehr damit beschäftigen, was ich nachher … gleich zu Gackt sagen würde, wenn ich ihm gegenüberstand. Denn so sehr ich auch den Drang verspürte, ihn wiedersehen zu wollen, so wenig wusste ich gleichzeitig, wie das alles aussehen würde. Ich wusste dieses Problem zwar nicht allein zu lösen, aber es vollkommen auf ihn abschieben wollte ich auch nicht. Ich befürchtete eher, dass dann nur etwas dabei herauskommen würde, was absolut nicht nach meinem Sinn war. Wobei ich nicht unbedingt glaubte, dass Gackt mich eiskalt ausnutzen und nur seinen Vorteil aus der Sache herausschlagen wollte. Nein, so war Gackt nicht … er war einsichtig und besorgt und loyal und … nicht in mich verliebt.

Oh shit! Wieso die Leier denn schon wieder? Weil es das Problem war! Würde er mich ebenfalls lieben, wäre ich wahrscheinlich mächtig sauer auf ihn gewesen, weil er mit einer anderen ins Bett gesprungen war, weil er ja nicht auf mich hatte warten können, aber in Endeffekt hätte ich ihm verziehen … eigentlich hatte ich das sogar schon, denn dieser blöde Seitensprung interessierte mich im Moment kein Stück. Es hatte nichts bedeutet, hatte Gackt mir gesagt. Aber so … ohne dass er das für mich fühlte, was auch ich für ihn fühlte … das war keine Grundlage. Nur Sex, selbst wenn er etwas bedeutete wie bei uns, war absolut keine Grundlage.

Ich seufzte, wie so oft in den Momenten, in denen ich an Gackt und unsere verfahrene Situation dachte, ging aber beständig weiter, bis ich schließlich an der Feuertreppe stand, die mich in das Stockwerk bringen würde, in der Gackts Wohnung sich befand. Und sie war mir noch nie so lang erschienen. Es fühlte sich fast an wie der Gang zum Schafott, wo man mich gleich hängen und ich mein Leben aushauchen würde.

Verdammt! Ich war noch immer so verliebt in ihn, dass ich fest davon überzeugt war, sterben zu müssen, falls wir gleich beschließen würden, keine Freunde mehr zu sein und stattdessen getrennte Wege zu gehen. Ich hatte wirklich Angst davor. Gleichzeitig hatte ich jedoch auch Angst vor dem Schmerz, den ich ganz sicher verspüren würde, wenn ich zwar mit Gackt befreundet sein, ihn aber nicht lieben durfte. Und ich konnte wirklich nicht sagen, was von beidem mir schlimmer vorkam. Ich wollte nicht mit und nicht ohne Gackt. Ich saß zwischen den Stühlen und konnte da einfach nicht weg.

Als ich die letzte Treppe zum fünften Stock erklomm, fiel mein Blick wie immer sofort auf das Fenster rechts neben dem Geländer. Ich wusste nicht, warum ich das tat, schließlich gehörte es zu Yous Zimmer, auf das ich nur ein einziges Mal einen kurzen Blick hatte erhaschen können und das mich nie großartig interessiert hatte. Aber damals bei meinem ersten Besuch hier hatte Gackt sich weit über das Geländer gelehnt, um zu klopfen und seinen Mitbewohner so schon einmal vorzuwarnen, dass er gleich zur Wohnungstür hereinkommen würde. Wahrscheinlich lag es daran. Jedenfalls war das Fenster bisher immer geschlossen und verriegelt gewesen. Doch heute war das nicht so, heute war es zur Hälfte nach oben geschoben und drinnen hielt sich auch ganz offensichtlich jemand auf, denn Musik schwebte leise nach draußen.

Es war die zweite Geige, die ich an diesem Tag hörte, und jetzt fiel mir auch auf, dass You wirklich um einiges besser war als der Kerl, den ich am Eingang zur U-Bahn gesehen hatte. Zugegeben, ich hatte nicht viel Ahnung von Musik, aber irgendwie fühlte ich es … in diesem Stück, das er spielte, lag einfach so viel Schwermut, dass es mir fast das Herz zerriss.

Ich beschloss, noch einen kurzen Moment hier draußen stehenzubleiben, mir die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen und dabei der Musik zu lauschen. Dazu lehnte ich mich an die Hauswand zwischen Notausgang und Geländer, schloss die Augen und schwieg.

Und You schien nicht allein zu sein, denn nachdem er kurz für einige Sekunden aufgehört hatte, setzte er wieder an und wurde diesmal von den sanften Klängen eines Pianos begleitet. Ich war mir erst nicht sicher, ob da noch eine andere Person im Zimmer war oder das zweite Instrument von einer CD kam. Tetsu hatte auf alle Fälle solche Bänder, auf denen ihm ein Kommilitone etwas eingespielt und sich dabei genau darauf eingestellt hatte, dass da noch ein anderes Instrument dazukommen würde. In Tonstudios konnte man so was machen und schließlich arbeitete Gackt in einem, also war es nur wahrscheinlich, dass er für seinen besten Freund so etwas hatte anfertigen lassen.

Aber bereits kurz darauf erfuhr ich, dass da definitiv noch jemand anderes sitzen und live spielen musste, denn ab und zu drangen ein paar Töne an mein Ohr, die nicht so recht zum Rest des Stückes passen wollten. Und wie zur Bestätigung brach die Geige kurz darauf ab und ich konnte You schimpfen hören: „Mann! Konzentrier dich doch endlich mal! Ich dachte, du wolltest mir helfen und nicht rumschlampen. Wenn du dich ständig verspielst, kann ich das auch alleine mit Band machen.“ Ha! Hatte ich es doch gewusst! Wahrscheinlich hatte You das Fenster aufgrund des schönen und relativ warmen Wetters geöffnet, damit die beiden nicht beim Üben in dem kleinen Zimmer umkamen.

Die Antwort der zweiten Person hörte ich allerdings leider nicht. Entweder gab es keine oder sie war so undeutlich gemurmelt worden, dass sie es nicht zum Fenster hinaus schaffte.

„Noch mal von vorne“, sagte You dann und begann kurz darauf auch wieder zu spielen. Das Piano schloss sich dem mit einer kleinen Verzögerung an und machte das ohnehin schon traurige Stück irgendwie sogar noch deprimierender, wie es eine so langsame und träge Melodie spielte.

Damals bei dem Konzert, zu dem Tetsu uns geschleift hatte, war es mir haargenau so gegangen und auch damals hatte ich einige Probleme mit Gackt gehabt. Das war nur ein paar Stunden vor unserem Treffen im Park gewesen, in dem ich auf diesen merkwürdigen Deal mit der Beziehung eingegangen war, die zwar sehr schöne Seiten gehabt, mir aber auch so viel Ärger eingehandelt hatte. Meine Erinnerungen waren ebenso gespalten wie die beiden Möglichkeiten, die mir mit Gackt jetzt noch blieben … na ja, es hing ja auch alles direkt miteinander zusammen.

Und jetzt stand ich vor seiner Haustür und wenn ich schließlich hineinging und ihn antraf, würde ich ein ebenso seltsames Gespräch mit ihm führen und … ich schluckte … vermutlich würde es genauso ausgehen wie damals. Schon damals hatte er es irgendwie geschafft, mich von seiner Idee zu überzeugen. Wir würden schon Lösungen für unsere beiden Baustellen finden – es hatte so einfach geklungen, so simpel. Wenn es nicht klappte, dann trennten wir uns eben einfach wieder. Doch wir hatten das Risiko, das wir da auf uns genommen hatten, unterschätzt. Wir hatten nicht bedacht, was passieren würde, wenn sich einer von uns beiden verlieben würde, der andere aber nicht. Denn beide Extremsituationen wären einfach gewesen: Hätten wir beide uns verliebt, wären wir miteinander glücklich geworden. Hätte sich keiner verliebt, wären wir einfach wieder Freunde geworden. Aber so … so wollte der eine befreundet sein und der andere wollte geliebt werden. Damals hatte auch ich das Risiko ignoriert und so einfach zustimmen können, denn Gackt hatte mir etwas bedeutet.

Doch … hatten wir wirklich beide diese Lücke im Plan übersehen? War sie Gackt vielleicht vollkommen klar gewesen und hatte er es mir nur nicht gesagt, um diese Beziehung mit mir einzugehen? Und jetzt, da die Klemme, in der wir steckten, vollkommen offen dalag, würde er sie abermals ignorieren, um weiterhin mit mir befreundet zu sein?

Nein! Ich schüttelte vehement den Kopf. Nein, so war Gackt nicht! Er war ein guter Freund – sowohl als Freund-Freund als auch als Lover – er machte sich Sorgen und wollte nur das Beste für einen … für mich. Er würde mich nicht auf Biegen und Brechen zu etwas überreden, was ganz sicher schlecht für mich wäre. Er hatte damals gehofft, dass es gut ausgehen würde, und das tat er jetzt auch. Es musste einfach so sein!

Aber auf der anderen Seite … war nicht eigentlich schon der Vorschlag, ob wir Freunde bleiben könnten, furchtbar egoistisch von ihm, wo er doch nun wusste, wie ich für ihn fühlte? Freunde – das hieß im Grunde, dass wir einander zwar etwas bedeuteten, aber auch, dass es eine Grenze gab. Und diese Grenze verlief genau dort, wo meine Gefühle anfingen. Ich wusste nicht, wie lange es dauern würde, aber ich war mir sicher, dass Gackt – nun, da wir nicht mehr zusammen waren – sich irgendwann jemand anderen suchen und mit ihm oder ihr eine neue Beziehung eingehen würde. Und das würde mir ganz sicher fürchterlich weh tun, denn nach unserer Trennung konnte ich von Gackt nicht verlangen, dass er meinetwegen allein blieb. Und ich wollte ja auch, dass es ihm gut ging.
 

Ich schien meine Entscheidung dann doch allein getroffen zu haben, schoss es mir schließlich durch den Kopf, als ich mich von der Hauswand abstieß und die Treppe wieder hinabstieg.

Es tut mit leid, Gacchan.
 

tbc.
 


 

* Shinyokki: 'shi' = japanisch für 4 (neben 'yon'); das -nyokki stammt von einem Zählspiel, das Hyde einmal in einem TV-Kommentar bezüglich eines Single-Releases mit den anderen drei Jungs spielen wollte, die es allerdings auch nicht kannten. Einer beginnt, indem er Ichinyokki (ichi = 1) ruft und dabei die an den Handflächen aneinandergelegten Hände nach oben hält. Der zweite muss dann Ninyokki (ni = 2) rufen usw. Wer als Letztes bzw. gar nicht reagiert, hat verloren. Und weil ein Bild mehr sagt, als tausend Worte, guckt ihr euch das am besten selbst an: http://www.youtube.com/watch?v=ombpGgogwX0 – sehr amüsant ;3 Da die Herren das aber nur zu viert gespielt haben, habe ich keine Ahnung, ob shinyokki tatsächlich richtig ist ^^“

Season's Call

12. März …
 

„Bin wieder da!“, rief ich durch meine Wohnung und steckte die Schlüssel, die ich eben ganz umsonst herausgeholt hatte, wieder in meine Tasche zurück. Ich hatte ganz vergessen, dass jemand hier war. Und außerdem stand die Tür sperrangelweit offen, weil das ständige Öffnen und Schließen sowieso nur lästig gewesen wäre.

Und selbst auf das Schuheausziehen wurde heute verzichtet, denn – japanische Manieren hin oder her – wenn man permanent rein und wieder raus ging, dann schlüpfte man spätestens beim fünften Mal nur noch locker hinein und ruinierte sich damit noch die teuren Treter. Und da ich das keinem antun wollte … und auch nicht hinterher irgendwelche Rechnungen bekam, hatte ich direkt gesagt, dass die Schuhe einfach an bleiben konnten.

„Leute?“, rief ich noch einmal, weil ich keine Antwort bekommen hatte. Wo waren die denn alle? „Ich bin wieder da!“

Und dann endlich gab es eine Reaktion. Ein großer Stapel Kisten, hinter denen ich noch die Reste eines schwarzen Haarschopfes erkennen konnte, kam schnaufend auf mich zu und rannte mich um ein Haar über den Haufen.

„Rutsch mal zur Seite, Hai-chan“, sagte der Kistenstapel ein wenig ruppig und wackelte dabei gefährlich.

„Was ist das denn für eine Begrüßung?!“, empörte ich mich und plusterte theatralisch die Wangen auf.

„Ach, Hai-chan“, kam es zurück, während der Stapel Kisten auf dem Boden abgestellt wurde und Sakura dahinter zum Vorschein kam, „ist ja schön, dass du dich auch mal bei deinem Umzug blicken lässt, aber wenn du nur im Weg rumstehst, hättest du auch wegbleiben können.“ So rau und vorwurfsvoll seine Worte auch klangen, so breit war das Grinsen in seinem Gesicht. Und ich konnte nicht anders, als ebenfalls zu grinsen, ehe wir beide fast gleichzeitig Anstalten machten, uns über meine Umzugskartons hinweg zu umarmen.

„Hi, Sacchan!“, sagte ich, vor Freude strahlend, weil ich ihn nach so langer Zeit endlich einmal wiedersah. Genau wie Tetsu und Ken kannte ich ihn nun schon seit meiner frühen Schulzeit, aber während erst Ken und dann auch Tetsu und ich zum Studieren nach Tokyo gezogen waren, war Sakura zu Hause in der Provinz geblieben, sodass wir uns nur alle naselang sahen … eigentlich fast nur zu Familienfesten und Feiertagen, wenn ich dann doch einmal nach Hause fuhr, um meine Eltern zu besuchen und eben auch bei meinen alten Freunden vorbeizuschauen. Aber Sakura vermisste ich eindeutig am meisten. Er, Tetsu, Ken und ich hatten damals so viel Bockmist angestellt – wenn unsere Eltern das jemals herausgefunden hätten, hätten wir den Hausarrest sicher heute noch absitzen müssen. Deshalb schmerzte es mich besonders, dass ich ihn so selten sah, freute mich im Umkehrschluss aber umso mehr, dass er heute extra hergekommen war, um mir bei meinem Umzug zu helfen. Okay, er hatte auch beruflich etwas in Tokyo zu erledigen gehabt, aber er hätte jetzt eigentlich schon wieder zu Hause sein müssen und hatte seinen Trip nur mir zuliebe um zwei Tage verlängert. Ich wusste nicht, wie ich er es angestellt hatte, und erzählen wollte er es mir auch nicht, weil ich mich hinterher sowieso nur wieder unnötig schlecht fühlen würde, egal, was er sagte. Ich solle einfach nur froh sein, dass er vorbeikam, mehr nicht. Und ich war es.

„Und – wie ist es gelaufen?“, fragte Sakura schließlich, als wir uns wieder aus unserer Umarmung gelöst hatten.

„Huh? Was meinst du denn?“, hakte ich verwirrt nach und musste ihn dabei wohl angucken wie ein Auto.

„Na, du warst doch eben in der Stadt, um mit jemandem zu reden. Oder hast du feiges Huhn etwa nur deine komische Arbeit abgegeben? War ja klar, dass du wieder den Schwanz einziehst – das hast du früher auch immer gemacht, wenn es brenzlig wurde. Du hast dich überhaupt nicht verändert, haha!“

„Ach, Quatsch!“, empörte ich mich diesmal wirklich, obwohl diese Bemerkung nicht sehr viel ernster gemeint war als die von vorhin. Sakura mochte es einfach, mich zu triezen und Späße auf meine Kosten zu machen – das hatte er damals immer schon. In dem Sinne war also er derjenige, der sich kein Stück verändert hatte! „Ich hab meine Arbeit auch gar nicht abgegeben, sondern nur-“

„Noch nicht mal das kriegst du hin! Also wirklich, Hai-chan, du musst auch mal was riskieren, wenn du was erleben willst!“, fuhr Sakura mir lachend dazwischen, wahrscheinlich nur, um zu sehen, wie ich immer frustrierter wurde und einschnappte. Aber ich hatte mich eben doch ziemlich von dem Hyde wegentwickelt, den er kannte. Ich war erwachsener geworden und konnte dem jetzt ganz gelassen entgegentreten … irgendwie zumindest.

„Lass mich doch mal ausreden!“, jammerte ich ein wenig und konnte dabei nur zusehen, wie das Grinsen auf Sakuras Lippen immer breiter wurde, bis ich dachte, es würde ihm noch bis zu den Ohren reichen, wenn er so weitermachte. Dann räusperte ich mich, um wieder von dieser Kleinkindtonlage wegzukommen und berichtete weiter: „Ich hab die Arbeit erstmal nur im Copyshop ausdrucken lassen und die Bindung in Auftrag gegeben. Das dauert jetzt einen Tag, wenn ich nicht das Doppelte bezahlen will, weil sie es als Eilauftrag bearbeiten. Kopien von den Bildern machen zu lassen, hat mich schon genug gekostet. Ich bin seit gestern mit allem fertig und morgen muss es weg. Man muss ja auch nicht alles auf den letzten Drücker machen.“

Auch wenn es sich so anfühlte, als wäre ich die letzte Ratte auf dem sinkenden Schiff, die sich ins Trockene retten musste. Aber auf der anderen Seite war ich ja selbst dran schuld, dass es alles so knapp war. Aber ich war guter Dinge, dass ich morgen um die Mittagszeit mit meiner ausgedruckten und sauber gebundenen Abschlussarbeit in doppelter Ausführung aus dem Copyshop kommen und sie dann direkt zu meinem Professor bringen konnte. Wahrscheinlich würde ich ohnehin verrückt werden, wenn die Dinger noch eine Nacht lang bei mir zu Hause herumlagen. Die Versuchung, noch einmal darin zu lesen, wäre einfach zu groß, und ich kannte mich doch: Wenn ich auch nur einen Fehler darin entdecken würde, wäre ich wieder am Boden zerstört, weil ich dann nichts mehr würde ändern können. Nein, das war schon alles ganz gut so.

„Und das andere? Klang ja doch ziemlich wichtig, so wie Ken-chan das erzählt hat“, fragte Sakura weiter, als die Sache mit meiner Abschlussarbeit geklärt war.

„Ach, das … stimmt, da war ich davor.“

„Dann erzähl mal.“

„Na ja … was gibt’s da großartig zu sagen? Ich bin hin, wir haben ein bisschen über mich gesprochen und ausgemacht, dass er sich dann noch mal bei mir meldet. Das ist doch immer so. Vielleicht muss ich noch mal hin, um auch den Rest noch … ich werd es ja sehen.“

„Aber du musst doch ein Gefühl haben, wie es gelaufen ist. Gut, schlecht, niederschmetternd? Komm schon, Hyde, lass mich dir nicht jedes Bisschen aus der Nase ziehen. Ich mach mir schließlich auch meine Gedanken um dich!“

„Lieb von dir, Sacchan“, entgegnete ich mit einem Lächeln, „du brauchst nur nicht so zu tun, als könnte ich mir nicht allein die Schuhe zubinden. Wenn er mich nicht nimmt, dann hab ich zumindest noch den Aushilfsjob in der Poolhalle. Da muss ich dann zwar öfter mal nachts ran, aber dafür gibt’s dann Nachtzuschlag und der ist eigentlich ganz gut. Ich hab das mit Ken-chan alles schon durchgerechnet: Er hat seinen festen Job und die Wohnung ist doch ein ganzes Stück weit draußen, wo es nicht so teuer ist. Ich werde zwar erst mal keine großen Sprünge machen können, so lange ich nichts Richtiges hab, aber ich denke, wir werden zu zweit ganz gut zurechtkommen. Und zur Not suche ich mir eben noch einen zweiten Job. Ich kenne da jemanden, der sogar drei hat und sich zusammen mit seinem Mitbewohner eine Wohnung im Zentrum leisten kann.“

„Krass! Das muss ja ein echtes Arbeitstier sein!“, gab Sakura sich ganz erstaunt, während ich mir lieber auf die Zunge gebissen hätte, kaum dass die Worte meinen Mund verlassen hatten. Ich hatte es in den vergangenen Tagen tatsächlich geschafft, Gackt erfolgreich zu verdrängen, weil ich so viel mit der Fertigstellung meiner Abschlussarbeit, der Vorbereitung des Umzugs und neuerdings auch mit der Jobsuche zu tun gehabt hatte. Und es hatte auch alles geklappt, denn die Arbeit wurde gerade auf professionellem Weg abgabefertig gemacht, meine Freunde schleppten schon seit kurz vor dem Mittag Umzugskartons aus meiner Wohnung in den extra angemieteten Transporter vor der Haustür und vor zwei Tagen hatte ich von dem Besitzer einer kleinen Poolhalle in der Nähe des Stadtzentrums die Zusage bekommen, dass ich bei ihm als Aushilfe jobben konnte. Alles war gut und Gackt fast aus meinem Gedächtnis verschwunden.

Doch dass Letzteres nur eine Lüge war, die ich mir selber erzählte, um nicht vor Schmerz wieder wie taub und vollkommen demotiviert zu werden, musste ich wohl so langsam einsehen, da ich nun in meinem Kopf wieder Platz für andere Sachen hatte und mich nicht mehr so sehr ablenken konnte.

„Ja, das ist er … denke ich“, sagte ich leicht abwesend, ehe ich Sakura fixierte und für ihn das Lächeln erneut aufsetzen wollte. Doch es war schon zu spät, er hatte es bereits gesehen.

„Wieso denkst du das nur? Ist irgendwas vorgefallen?“

„Nein, nichts Besonderes“, log ich schnell, „wir reden nur nicht mehr miteinander. Er hat Mist gebaut, ich bin enttäuscht und wir reden seitdem nicht mehr miteinander. Keine Ahnung, wie es ihm im Moment geht. Kann mir ja auch egal sein.“

„Ist es aber anscheinend nicht“, brachte Sakura es auf den Punkt.

„Hm …“ brummte ich unschlüssig, „ja … nein … ich weiß nicht, ist einfach blöd gelaufen. Hör mal, Sacchan, sei mir nicht böse, aber ich will nicht noch mal drüber reden. Wenn du es wissen willst, kannst du gerne die anderen fragen – die wissen Bescheid und können dich aufklären.“

„Ist schon okay, ich werd dich nicht zwingen“, meinte er daraufhin schulterzuckend und lächelte mir aufmunternd zu, „allerdings solltest du vielleicht mal drüber nachdenken, ob es bei deinem Zustand wirklich das Beste ist, nicht mehr mit ihm zu reden. Es ist generell scheiße, Freunde zu verlieren – das merk ich immer wieder, wenn wir uns mal kurz sehen und dann wieder monatelang nicht. Na ja …“ Er kratzte sich am Hinterkopf und schmunzelte dabei etwas verlegen. „Der Vergleich hinkt jetzt zwar gewaltig, aber irgendwo muss ich ja eigentlich auch immer Angst haben, dass ich in eurem neuen Leben hier in Tokyo keinen Platz mehr habe, weil ich Daheim geblieben bin.“

„Aber … wir vergessen dich deswegen doch jetzt nicht!“ Ich war ganz erschrocken über Sakuras Worte, denn es war so gar nicht seine Art, vor irgendetwas Angst zu haben. So knapp und riskant es damals immer ausgesehen hatte, er hatte es trotzdem durchgezogen, wenn er sich einen Spaß daraus versprochen hatte. „Ganz im Gegenteil: Gerade weil ich dich kaum sehe, freu ich mich immer so darauf, wenn wir uns mal wieder treffen! Und Tet-chan und Ken-chan geht’s ganz genau so. Du darfst so was doch nicht denken.“

„Ach, Hai-chan, ganz so ernst darfst du mich doch nicht nehmen. Ich sorge schon dafür, dass ihr mich nicht vergesst. Ich meine damit nur, dass es eben immer passieren kann, dass man sich auseinanderlebt. Das musst du nicht auch noch erzwingen, wenn es dir dabei so schlecht geht.“

„Sacchan …“, murmelte ich leise und starrte ihn ungläubig an, „ich …“
 

„Ja, was treibt ihr denn hier? Faulenzen ist nicht! Ach, Doiha, du bist ja auch schon wieder hier! Du solltest erst recht nicht sinnlos rumstehen, während wir hier schon für dich schuften. Es war nur Copyshop und das Gespräch mit dem Dingsda erlaubt.“

„Ah, hi, Tet-chan“, begrüßte ich meinen besten Freund, der plötzlich in der Wohnungstür stand, als ich mich aus meiner Starre gelöst und mich von Sakura abgewandt hatte, „sorry, ich wollte nicht nur rumstehen. Ich bin auch grad erst wiedergekommen.“

„Ist ja gut“, winkte Tetsu daraufhin ab und lehnte sich gegen den Türrahmen, „wie lief's denn? Hast du alles erledigen können?“

„Äh … ja, alles erledigt und morgen kann ich es abholen. Und ich soll in den nächsten Tagen einen Anruf kriegen, dann werden wir sehen, ob das Gespräch was gebracht hat.“

„Schön“, kommentierte Tetsu und stieß sich auch schon wieder von der Tür ab, wirkte ganz geschäftig, „sagt mal, wo ist Yuki eigentlich abgeblieben? Der ist doch sonst gar nicht der Typ, der sich einfach so abseilt.“

„Hat er auch nicht“, klärte Sakura die Sache auf, „er ist nur kurz zum Conbini vor, weil unser Hai-chan nur noch Wasser zu trinken hat und mir das für heute Abend eindeutig zu langweilig ist. Der Kerl ist übrigens schwer in Ordnung, auch wenn er gegen mich natürlich nicht ankommt. Ist ein bisschen still, aber ich kann mir vorstellen, dass er dich und Ken-chan damit ganz gut ausgleicht. Hehe!“

„Wenn du damit meinst, dass er uns nicht annähernd so oft in Schwierigkeiten bringt wie du, dann hast du wirklich recht!“, konterte Tetsu und grinste ebenfalls.

„Hä?“

„Na, du hast doch immer angefangen. Ken-chan und ich haben nur mitgemacht, was sowieso schon lief.“

„Und unser kleines Angsthäschen nicht zu vergessen, den man ja immer anketten musste, damit er nicht doch wegläuft.“

„Ja, Doiha war wirklich-“

„Hört ihr jetzt endlich mal auf, über mich herzuziehen?!“, meldete ich mich dann auch endlich wieder zu Wort, „ich hab einmal kalte Füße bekommen und da war ich zwölf, hatte sowieso schon Hausarrest und ihr habt mich dazu überredet, doch mitzukommen! Ich wollte einfach nicht noch länger zu Hause sitzen müssen.“

„Ja ja, hinterher kann man viel erzählen, Doiha-chan. Nimm's einfach mit Humor“, lachte Sakura und wuschelte mir durch die Haare, als wäre ich ein kleines Kind. Und ich war kurz davor, ihm an die Kehle zu springen, wenn er es nicht endlich sein ließ, mich zu foppen. Aber stattdessen erinnerte ich mich nur immer wieder daran, dass er es ja nicht böse meinte und ich selbst das vermissen würde, wenn er dann leider wieder nach Hause fahren müsste. Ich vermisste ihn ja jetzt schon, obwohl er noch feixend vor mir stand und gemeinsam mit Tetsu Witze über mich und unsere gute, alte Zeit zusammen riss.

Er hatte auch Recht: Wir sahen uns schon selten genug – da musste ich das nicht auch noch absichtlich durch Schmollen zunichte machen. Und vielleicht … vielleicht sollte ich seinen Rat nicht nur dann beherzigen, wenn es um ihn ging …
 

*
 

Ich bin ein nervliches Wrack

Mein Kopf ist voller Gackt

Und ich sing den Arbeitsabgabe-Blues~
 

Ziemlich genau vierundzwanzig Stunden, nachdem Sakura und Tetsu sich beim Kistenschleppen in meiner Wohnung über mich lustig gemacht hatten, und außerdem ganze zwanzig Tage nach meinem letzten Termin bei meinem Professor stand ich erneut vor unserem Fakultätsgebäude und wusste nichts Genaues mit mir anzufangen. Natürlich hatte ich dieses seltsame Gefühl, eine Arbeit abgegeben zu haben und jetzt nichts mehr machen zu können, bis ich die Ergebnisse bekam, schon oft erlebt und müsste mich mittlerweile daran gewöhnt haben. Aber das Witzige an der Sache war, dass ich genau das eben nicht tat. Mich befielen immer dieselbe Hilflosigkeit, dass jetzt eine höhere Macht namens Dozent die Sache an sich gerissen hatte, und die Hoffnung, dass meine Anstrengungen ausreichten.

Und diesmal mischte sich sogar noch etwas dazu: Fertig! Nie wieder Hausarbeiten schreiben oder für Prüfungen lernen. Das hier war die letzte Hürde und wenn ich die mit Erfolg nahm, dann würde mein Studium beendet sein und dieser Abschnitt meines Lebens hinter mir liegen. Ich würde kein Student mehr sein – das, wodurch ich mich in den letzten fünf Jahren definiert hatte. Dann wäre ich einfach nur ein erwachsener Mensch, der zur Arbeit ging, wie so viele andere auf dieser Welt. Und irgendwie schmerzte mich das, denn die letzten fünf Jahre – ihrer Quälereien und Querelen zum Trotz – waren zweifelsohne die besten und freisten meines Lebens. Solange ich meine Leistungen erbrachte und die Gebühren zahlte, die zudem für mich noch teilweise durch mein Stipendium getragen worden waren, hatte mich niemand einfach so rauswerfen können, wie es mir an einem Arbeitsplatz passieren konnte. Und selbst wenn ich einmal Mist baute, gab es noch immer genug Chancen, das wieder einigermaßen geradezubiegen. Ich würde nicht sagen, dass ich Angst vor meinem zukünftigen Leben, vor der echten Welt, hatte, doch eine gewisse Trauer, dass nichts mehr wie zuvor sein würde, konnte ich nicht verbergen.
 

Und auch wenn es nichts damit zu tun hatte, drängte sich mein Problem Nummer eins wieder einmal in meine Gedanken: Gackt. Wenn er sich gestern schon eingemischt hatte, wo sich alles immer noch ein bisschen in der Schwebe befunden hatte, gab es jetzt natürlich kein Halten mehr. Schließlich war es nicht nur zwanzig Tage her, dass ich Hayashi-sensei zuletzt gesehen hatte, sondern auch, dass ich drauf und dran gewesen war, mit Gackt über unser vertracktes … Verhältnis zu sprechen, bevor ich dann doch einen Rückzieher gemacht hatte. Und jetzt stand ich an haargenau derselben Stelle mit haargenau denselben Gedanken und war dazu auch noch ganz wehmütig gestimmt. Es war so klar …
 

Ich bin ein nervliches Wrack

Mein Kopf ist voller Gackt

Und ich sing den Arbeitsabgabe-Blues~
 

Ich war so am Arsch, das glaubte mir keiner. Und weil ich entgegen meiner Worte in manchen Situationen eben doch ein so elender Hasenfuß war, wie Sakura es gesagt hatte, traute ich mich auch an diesem Tag nicht, mich dem Problem zu stellen.

Ja, Sakura hatte mir zu verstehen gegeben, dass ich mich nicht selbst quälen sollte, indem ich mich zu etwas zwang, wenn ich doch ganz offensichtlich in genau die andere Richtung wollte. Aber ich redete mich damit heraus, dass es mittlerweile doch sicherlich zu spät wäre. Ich hatte Gackt jetzt einen ganzen Monat lang nicht mehr gesehen oder gesprochen. Er hatte es bestimmt auch schon aufgegeben und sich stattdessen anderen Leuten zugewandt, die ihm nicht einen Monat lang die Antwort schuldig waren, ob sie mit ihm befreundet bleiben wollten oder nicht. Oder er hatte längst seine eigenen Schlussfolgerungen daraus gezogen und nahm an, dass die Antwort Nein lautete. Zumindest würde ich das so sehen, wenn ich der Wartende wäre.

Es war wohl einfacher für mich und mein Unterbewusstsein, auch in dieser Hinsicht die … Schuld bei Gackt zu suchen: Er hat sich doch sowieso schon entschieden – was sollte ich da noch machen? Der Haken an der Sache: Es machte natürlich nichts einfacher.
 

tbc.

Hideaway

18. März …
 

„Tschüss, Wohnung“, sagte ich wehmütig, als ich gegen halb elf vormittags zum letzten Mal die Tür zu den Räumen schloss, die ich in den vergangen fünf Jahren mein Reich genannt hatte. Sie so leer und kahl daliegen zu sehen, war ein noch seltsameres Gefühl als das, mit dem ich meine Abschlussarbeit abgegeben hatte.

Ich hatte gerade noch einmal alles ordentlich durchgefegt und geschaut, ob auch nichts mehr von meinen Sachen da war. Lediglich ein Zettel klebte am Kühlschrank, auf dem ich für den Nachmieter meine aktuelle Adresse notiert hatte, zusammen mit der Bitte, mir verirrte Post, die der Nachsendeauftrag vielleicht nicht erwischte, zuzuschicken.

Dann brachte ich den Besen und die Kehrschaufel, die mir einer meiner Nachbarn … nein, nun ehemaligen Nachbarn, geliehen hatte, zurück, verabschiedete mich von ihm besonders höflich und wünschte ihm noch viel Erfolg, obwohl ich mit dem Kerl in meiner gesamten Studienzeit vielleicht fünf Worte gewechselt hatte. Ja ja, die Wehmut.

Anschließend ging es dann zum Hausmeister, um bei ihm schlussendlich die Schlüssel loszuwerden. Eigentlich hatte er die Wohnung schon vor einer Stunde abgenommen, aber eben auch bemängelt, dass es noch zu staubig war und ich das so nicht lassen konnte. Er war ein bisschen schlecht gelaunt, weil ich ihn mit meiner Kehrerei länger aufgehalten hatte als geplant, aber er ließ mich die Papiere unterschreiben, drückte mir meinen Durchschlag in die Hand und jagte mich dann aus seinem Büro. Er hätte noch anderes zu erledigen, als ehemaligen Mietern hinterherzurennen, wie er sagte. Auf alle Fälle verriegelte er hinter mir die Tür und schimpfte noch ein bisschen über die heutige Jugend, bis ich nichts mehr von ihm hören konnte.

Tja, und das war es dann. Mir blieb nur noch der Heimweg in meine und Kens neue Wohnung übrig, den ich ein wenig schleppend antrat.
 

„Bin wieder da“, rief ich eine gute halbe Stunde darauf, als ich die Tür hinter mir geschlossen, die Schuhe ausgezogen und mich durch das Kistenchaos im Flur geschlängelt hatte. Eigentlich hätten wir hier auch erst einmal die Hausschuh-Pflicht aussetzen können, denn noch sah es hier aus wie auf einem Schlachtfeld. Es könnte sowieso keiner den Dreck, der von der Straße kam, von dem unterscheiden, den die ganzen Kisten auf seltsame Art und Weise zu verstreuen schienen. Aber Ken und ich hatten uns darauf geeinigt, dass wir das erst gar nicht einreißen lassen würden. Wer wusste schon, wann die letzten Kisten hier verschwanden und ob wir hinterher nicht selbst so bequem wären, dass wir einfach generell mit Straßenschuhen in der Wohnung herumliefen.

„Ken-chan?“, rief ich noch einmal, als ich einige Sekunden später noch immer keine Antwort bekommen hatte. Wo steckte er nur? Auch wenn der Weg bis zu meiner alten Wohnung und wieder zurück schon ein gutes Stückchen war, war ich doch bloß kurz weg gewesen, um die Schlüssel zu übergeben. Und Ken hatte nicht gesagt, dass er heute noch irgendwohin wollte. Er hatte sich die Woche frei genommen, damit wir unsere Wohnung in Ruhe auf Vordermann bringen konnten.

Und wie lange sich das hinauszögern konnte, hatte ich gestern schon gemerkt. Den größten Teil des Tages hatte der Aufbau der Möbel eingenommen, aber danach hatte ich in drei Stunden nur zwei Kisten mit meinem Kram einräumen können, da ich mich immer wieder selbst dabei erwischt hatte, wie ich das Zeug erst ausgiebig begutachtete, ehe ich es verstaute. Ich konnte aber auch nicht unbedingt sagen, dass dies etwas Neues für mich war, denn als ich damals von Wakayama nach Tokyo gezogen war, um zu studieren, hatte ich es fast genauso gemacht.

„Hideto, sortier endlich deine Sachen aus und pack zusammen, was du brauchst!“, hatte meine Mutter mich bestimmt an die tausend Mal an mein eigentliches Vorhaben erinnert, weil ich mir beim Aussortieren viel lieber alte Bilder in Fotoalben und Kisten angesehen oder mit längst vergessenem Plunder herumgespielt hatte. Und als ich einen ganzen Haufen an kleinen Zetteln, die ich mit Tetsu und Ken während des Unterrichts geschrieben hatte, gefunden hatte, war es natürlich noch einmal viel langsamer vorangegangen.

Diesmal hatte ich aufgrund meines akuten Zeitmangels vor dem Umzug allerdings einfach nur alles in ein paar Kartons geworfen, ohne großartig darauf zu achten, was das eigentlich alles war. Die Aufgabe, den ganzen unnötigen Müll auszusondern, hatte ich dabei direkt auf hinterher verschoben, sodass ich eben jetzt mitten in diesem Chaos steckte und man sowohl in unserem Flur als auch in meinem Schlafzimmer vor Umzugskisten kaum treten konnte.
 

Na ja, erst einmal fand ich zumindest heraus, wo Ken steckte, als ich an der Tür zum Bad vorbeikam und Wasser rauschen hörte. Ich wusste nicht, wieso, aber ganz offensichtlich duschte er gerade. Und wenn er das Öfter so machte, dann wäre dies eins der Dinge, an die ich mich würde gewöhnen müssen, da ich jetzt schließlich mit ihm zusammenwohnte.

Ich steuerte dann erst einmal die Küche an, um zu schauen, was Ken eingekauft hatte – denn das hatte er tun wollen, während ich die letzten Dinge bezüglich meiner alten Wohnung erledigte. Wir würden uns schließlich nicht ewig von Tiefkühlkost und Cornflakes ernähren können, die wir mal schnell im Conbini besorgt hatten, weil bis auf ein bisschen Reis und Gewürzen absolut nichts da war.

Und siehe da: Ken hatte Wort gehalten. Die Schränke liefen zwar nicht gerade über, aber ansonsten waren wir ganz gut ausgerüstet, um die nächsten zwei bis drei Tage ohne Fast Food über die Runden zu kommen. Er hatte auch für Getränke gesorgt – sowohl alkoholfreie als auch alkoholische – und die beiden leeren Pizzakartons von gestern Abend steckten zusammengefaltet in einer Plastiktüte, die nur darauf zu warten schien, endlich entsorgt zu werden. Zwar hatten wir auch einen Mülleimer, aber wenn wir die dort hineinstopften, würde der ziemlich schnell voll sein, sodass wir die Kartons auch gleich runterbringen konnten, wenn einer aus dem Haus … na ja, wir beide hätten bisher schon Chancen gehabt, sie zu entsorgen, es aber nicht getan. Das fing ja gut an!

Jedenfalls nahm ich mir einen der frisch gekauften Puddings aus dem Kühlschrank, kramte dazu noch einen Löffel aus der Besteckschublade, die ich wie gestern auch schon erst beim zweiten Anlauf fand, und verzog mich dann damit in mein Zimmer.

Es sah dort drinnen noch ein bisschen kahl und traurig aus, mit den ganzen weißen Wänden und den ungeöffneten Kisten, die überall herumstanden und alles blockierten. Nur mein dunkelblaues Bettzeug gab dem Ganzen ein wenig Farbe – den Rest würde ich hoffentlich heute im Laufe des Nachmittags erledigen können: Bücher ins Regal stellen, den Fernseher anschließen, Bilder und die Pinnwand aufhängen und es allgemein etwas heimeliger gestalten. Meine Couch hatte ja leider Gottes für das Wohnzimmer herhalten müssen, da Kens kurz vor dem Umzug das Zeitliche gesegnet hatte. Im Moment war es aber ganz gut, dass sie dort stand, denn hier hätte sie definitiv nicht mehr hineingepasst und ich war mir auch nicht ganz sicher, ob sie das tun würde, wenn ich aufgeräumt hatte. Wenn ja, dann müssten wir uns etwas überlegen, wenn nein, dann sparten wir uns eine neue für das Wohnzimmer, weil sie dann dort bleiben könnte.

Es würde auf alle Fälle viel Arbeit werden, aber irgendwie war ich trotzdem hochmotiviert, heute so viel wie möglich zu schaffen. Ich wollte schließlich schnell mein neues Leben in meiner neuen Wohnung beginnen und nicht allzu lange wie in einer Übergangslösung hausen. Mein neues Leben … wie das klang … aber auf der anderen Seite stimmte es auch wieder, denn ich war gerade dabei, so viele Dinge hinter mir zu lassen: Mein Studium war beendet und ich begann, mein eigenes Geld zu verdienen. Ich trat in die richtige Welt ein, in die Welt der Erwachsenen, denn selbst wenn ich nun sogar schon fünfundzwanzig war, hatten sich die vergangenen fünf Jahre immer noch nicht wirklich … real angefühlt. Es war schwer zu beschreiben, aber der Ausdruck Welpenschutz passte wohl ganz gut darauf.

Und ich hoffte natürlich auch, dass ich nun endlich mit Gackt würde abschließen können. Er war oft genug in meiner alten Wohnung gewesen, sodass mich dort ziemlich viel an ihn erinnerte. Zwar hatte ich meine Möbel mitgenommen, aber trotzdem war es jetzt eine ganz andere Umgebung, die ich erst ganz neu mit Leben füllen musste … konnte. Und so erlag ich der Illusion, dass ich das schon hinkriegen würde, wenn nur genug Zeit verstrich, in der ich ihn nicht sah und auch nicht an ihn dachte.

Der Haken an der Sache war nur, dass ich eben immer noch sehr viel an ihn dachte – besonders jetzt, da ich mich auf nichts mehr konzentrieren großartig musste und meine Gedanken quasi Narrenfreiheit hatten. Ich merkte ganz genau, dass ich ihn vermisste und so langsam auch ein bisschen traurig darüber wurde, dass er sich seit dem Vorabend des Valentinstages nicht mehr bei mir gemeldet hatte. Klar, ich war derjenige gewesen, der sich Zeit erbeten hatte, und er hatte Tetsu darum gebeten, dass sich die anderen gut um mich kümmerten, aber trotzdem … wenn ihm etwas an meiner Antwort lag, dann hätte er in der ganzen Zeit doch vielleicht einmal einen Versuch unternehmen können, mich darauf anzusprechen. Und wenn es nur eine kurze SMS gewesen wäre.

Aber nein, es war nicht das kleinste Lebenszeichen von ihm gekommen, was mich nur in dem Gedanken bestärkte, dass er schon einen Haken an die Sache gemacht hatte und vorangeschritten war. Er war also über mich, den er sowieso nie geliebt hatte, hinweg und konnte sich schon wieder anderen Dingen oder Menschen zuwenden. Und wenn ich nicht bald von diesen Gedanken weg kam, dann würde ich wohl nur anfangen zu heulen … schon wieder.
 

Aber es war mir nicht vergönnt, denn als ich den Pudding gegessen und dabei auf meinem Schreibtischstuhl sitzend immer wieder durch das kahle Zimmer geschaut hatte, brachte ich den leeren Becher wieder in die Küche, um ihn dort direkt auszuspülen. Und dabei fiel mir etwas auf, das ich vorhin übersehen haben musste. Wie, das war mir schleierhaft, denn es lag eigentlich ziemlich gut sichtbar auf dem Küchentisch neben einem Glas, das zur Hälfte mit Wasser gefüllt war. Anfangs konnte ich eigentlich gar nicht glauben, dass es wirklich da lag, und das war vielleicht auch der Grund. Ich hatte es seit einer gefühlten Ewigkeit nicht gesehen und ich hatte mich in der Zwischenzeit glücklicherweise auch gar nicht darüber gewundert, dass es nicht da gewesen war. Es war ganz so, als hätte ich es vollkommen vergessen, denn ich wusste noch nicht einmal, wann und wie es mir abhandengekommen war. Aber jetzt, da es wieder vor mir lag, hatte ich eine ganz gute Vorstellung davon.

Langsam, vorsichtig und auch zögerlich trat ich näher an den Tisch heran, ganz so, als ob es mich beißen würde, wenn ich ich zu hastige Bewegungen machte. Dabei lag es nur ganz ruhig da und seine schwarzen Kugeln glänzten im Sonnenlicht, das durchs Fenster auf den Tisch fiel, bis ich schließlich doch danach griff und es in die Hand nahm. Es war das Armband, das Gackt mir zu Weihnachten geschenkt hatte – das Armband, von dem er gesagt hatte, dass er einfach nicht anders gekonnt hatte, als es mir zu kaufen, weil er in seiner Kindheit selbst auch einmal so eins von einer sehr wichtigen Person geschenkt bekommen hatte. Ich wusste noch immer nicht, was für eine Person das gewesen war, aber es hatte mir trotzdem unheimlich viel bedeutet, dass er unsere Beziehung mit dieser wichtigen Bindung verglich.

Und jetzt war alles ruiniert.
 

„Ah, Hyde, du bist ja schon wieder da“, sprach Ken mich dann auf einmal an, worauf ich vor Schreck fast einen halben Meter in die Luft sprang, dabei laut aufschrie und er sich natürlich erst einmal halb totlachte. „Na na, nicht so schreckhaft. Bist schließlich kein kleines Mädchen. Oder etwa doch?“

„Gott, Ken!“, schrie ich ihn an, ein bisschen atemlos und nun noch aufgekratzter als bisher.

„Ist ja schon gut“, versuchte Angesprochener mich zu beschwichtigen, während er sich mit einem Handtuch die Haare trockenrubbelte. Er war also tatsächlich duschen gewesen … und auch so nett gewesen, sich wieder etwas anzuziehen. Ich wusste nämlich nicht, wie ich es vertrug, wenn da ein Kerl nackt durch meine Wohnung lief, mit dem ich nicht schlief und auch nicht schlafen wollte. Oh fuck, da war es schon wieder! … Oder eher immer noch, denn Kens Blick fiel jetzt auf das Armband in meinen Händen.

„Ah, das“, setzte er an, „ich hab es beim Aufräumen in deiner Wohnung unterm Bett gefunden und eingesteckt, damit's nicht verloren geht. Hab dann leider vergessen, es dir zu geben. Sorry dafür. Ist doch deins, oder?“

„Äh … ja“, antwortete ich etwas stockend, „kein Problem, Ken-chan, ich hab's nicht vermisst. Und ich brauch es eigentlich auch nicht mehr, denke ich …“

„Aha. Und wieso das? Sieht doch noch brandneu aus und ich hab auch nie gesehen, dass du es getragen hast.“

„Hab ich auch nicht oft, weil ich es erst seit Weihnachten hab“, erklärte ich ihm daraufhin und versuchte, dabei möglichst locker zu klingen. Aber in Wahrheit hatte ich ziemliche Mühe, mein Lächeln aufrechtzuerhalten.

Und das schien auch Ken aufzufallen, denn seine nächste Bemerkung bestand einfach nur aus: „Oh.“ Es klang sehr verstehend und er müsste eigentlich schon ziemlich schwer von Begriff sein, um die Hinweise nicht deuten zu können. Darauf herrschte dann auch erst einmal drückende Stille, in der wohl wir beide darüber nachdachten, wie wir da am besten wieder herauskamen. Und es war Ken, der schließlich als Erster wieder das Wort ergriff: „Was willst du denn damit machen, wenn du es nicht mehr brauchst? Zum Wegwerfen ist es eigentlich zu schade. Wir könnten es in Zahlung geben und von dem Geld dann ins Kino oder was essen gehen. So wie das aussieht, ist es bestimmt ziemlich was wert.“

„Hm …“, machte ich darauf nur, immer noch in Gedanken versunken. Und weil du mir wichtig bist, will ich, dass du es behältst, hatte Gackt damals mit einem warmen Lächeln zu mir gesagt. Nein, ich wollte es nicht verkaufen, selbst wenn unsere Beziehung nun gescheitert und vorbei war. An dem Armband hing die Erinnerung an den wundervollen Tag, an dem Gackt es mir geschenkt hatte – es zu verhökern oder wegzuwerfen kam mir einfach zu respektlos vor. Aber ich glaubte auch nicht, dass ich es würde behalten können – vielleicht später, aber jetzt auf alle Fälle nicht.

Ich strich sachte mit den Fingerspitzen über die glänzenden, schwarzen Kugeln aus Onyx, während das Armband nun in meiner offenen linken Hand ruhte. Und dann wusste ich, was ich damit machen würde. Ich würde diesen Schritt endlich wagen und verdammt noch mal nicht schon wieder den Schwanz einziehen, sondern es endlich hinter mich bringen!

„Ich geh noch mal wohin“, sagte ich entschlossen, „iss schon mal ohne mich, Ken-chan, ich weiß nicht, wie lange das dauern wird.“ Und noch bevor er etwas erwidern konnte, war ich aus der Küche heraus und schlüpfte unbeholfen in meine Schuhe hinein. Dass er mich auch sonst nicht aufhalten würde, merkte ich dann, als er mich ungestört zurück in mein Zimmer rennen ließ, um dort meine Tasche und die Schlüssel zu holen. Vielleicht hatte er ja nur darauf gewartet, dass ich das endlich tat … vielleicht hatten sie alle darauf gewartet und ich am allermeisten, damit diese Selbstgeißelung endlich ein Ende hatte.
 

*
 

Bitte sei da! Bitte sei nicht da! Bitte sei da! Bitte sei nicht da!

Das waren die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, während ich mich auf dem Weg zu Gackts Wohnung befunden und dabei eine Zigarette nach der anderen geraucht hatte. Meine Entschlossenheit von vor meinem Aufbruch war also gehörig ins Wanken geraten, aber ich hatte es trotzdem hinbekommen, nicht einfach auf halber Strecke wieder umzukehren. Allerdings war mir das ja schon einmal gelungen, sodass ich mich jetzt vielmehr darauf versteifte, dass Gackt es eher sein könnte, der das gesamte Unterfangen scheitern ließ. Immerhin war es gerade mal Mittag, sodass er durchaus sein konnte, dass er auf Arbeit war. Dann war vielleicht nur You da, weil wir gerade Semesterferien hatten, sodass ich ihm das Armband geben konnte, damit er es an Gackt weitergab und ihm noch etwas von mir ausrichtete.

Ach, Bullshit! Was sollte das eigentlich alles?! Ich wollte ihn doch sehen – schon seit Wochen! Und gleichzeitig hatte ich auch solche Angst davor, wie dieses Treffen aussehen würde, dass er tatsächlich schon über mich hinweg sein könnte. Ich hatte diese Gedanken immer als Ausrede hergenommen, um endlich mit der Sache abschließen zu können, aber in Wahrheit hatte ich mich damit nur mehr verletzt.

Ich wusste nur immer noch nicht, was ich tun sollte, wenn ich ihm dann endlich wieder gegenüberstand. Ich war auch nicht zu einer Lösung gekommen, ob wir weiterhin Freunde sein konnten oder es besser wäre, getrennte Wege zu gehen … aber vielleicht hatte ich diese Entscheidung nun endlich getroffen, indem ich mich mit dem Armband in der Hand auf den Weg gemacht hatte: Vielleicht würde ich es ihm zurückgeben und dann … nein, ich wusste es noch immer nicht.
 

Und genau diese Mischung aus Angst und Vorfreude fand nun ihren Höhepunkt, als ich direkt vor Gackts Tür stand und dabei war, den Zeigefinger nach dem Klingelknopf auszustrecken. Ich war ein Wrack und ich wollte, dass das endlich aufhörte. Verdammt. Verdammt!

„Verdammt!“

„Geht die Klingel etwa schon wieder nicht?“

„Wah!“ Ich erschrak schon wieder und machte abermals einen Satz in die Luft. Verflucht, was hatten die Leute heute eigentlich damit, mich ständig so zu überfallen, wenn ich mit mir selbst zu kämpfen hatte?! Und dabei hatte ich mich noch nicht einmal umgedreht und geschaut, wer es denn diesmal war.

Doch zum Glück blieb mein Herz von weiteren Schocks verschont, denn es war nicht Gackt, der mich da aus heiterem Himmel angesprochen hatte. Nein, es war nicht ganz so schlimm, denn es war You, der seine Umhängetasche über der Schulter und eine Einkaufstüte in der Hand trug … und mich ebenfalls erst in diesem Moment zu erkennen schien.

„Oh, Hyde“, sagte er überrascht und zog beide Augenbrauen nach oben. Er hatte mich eindeutig nicht hier erwartet – hätte ich bis vor einer Stunde ja auch nicht. Aber You schien es als nicht so schlimm zu empfinden, dass ich nun einmal da war, denn er fuhr einen Moment später schon fort: „Willst du zu uns?“ Uns …

„Ist … ähm … ist er … also …“, stotterte ich schon wieder herum und seufzte dann frustriert, ehe ich abbrach, um mich einen Augenblick zu sammeln und den Satz endlich gerade herauszubringen. You hatte mich mit seinem plötzlichen Auftauchen schlichtweg aus dem Konzept gebracht … nicht, dass ich wirklich eins gehabt hätte, denn ich war vorhin eigentlich ziemlich überstürzt aufgebrochen, weil meine Gefühle mich so überwältigt hatten.

„Gakkun müsste da sein, falls du das wissen willst“, nahm You mir dann die Arbeit ab und griff auch schon in seine Hosentasche, um einen Schlüssel daraus hervorzuzaubern. „Deshalb wundert es mich ja, wieso du hier draußen rumstehst und er dir nicht aufmacht.“

„Äh … ich hab noch nicht geklingelt“, gab ich schließlich etwas betreten zu.

„Ach so. Und ich hab schon gedacht, dass das Mistding mal wieder kaputt ist. Passiert in letzter Zeit ständig, dass sie nicht zu hören ist, hat Gakkun gesagt. Allerdings traue ich ihm da manchmal nicht ganz … hm. Willst du nicht mit reinkommen?“

Ich nickte und trat ein Stück zur Seite, damit You besser an das Schloss konnte. Und dabei gingen mir seine Worte von eben noch einmal durch den Kopf: Er traute Gackt manchmal nicht, wenn der sagte, die Klingel wäre nicht zu hören? Wie sollte ich das denn nun verstehen? Allerdings würde ich mich hüten, nachzufragen, und stattdessen nur das erledigen, wozu ich hergekommen war.

„Bin zurück!“, rief You dann, als wir beide die Wohnung betreten hatten und uns die Schuhe und Jacken auszogen. Allerdings hielt er mitten in der Bewegung inne, hob den Kopf und verzog entnervt die Lippen. „Gakkun, du sollst hier drinnen doch nicht rauchen! Übrigens hast du Besuch, also scher dich her.“

Und dann hörte ich das erste Mal nach über einem Monat wieder seine Stimme: „Besuch? Wer denn?“ Sie kam aus dem Wohnzimmer, zu dem es keine Tür gab, sodass ich auch schon die Geräusche des Fernsehers hatte vernehmen können, kaum dass ich eingetreten war.

„Seit wann kommt denn der Berg zum Propheten?“, lautete Yous Antwort, woraufhin er sich auf den Weg in die Küche machte, um dort wohl die Einkäufe auszupacken. „Lass ihn gefälligst nicht warten, nur weil du wieder schlechte Laune hast.“ Schlechte Laune? Wieder?

So langsam kam mir dann doch ein Gedanke, der sich auch vorhin schon angekündigt hatte. Aber ich beschloss abermals, diesem nicht zu folgen und ihn stattdessen wieder in die hinterste Ecke meines Kopfes abzuschieben. Ich wollte mir keine unsinnigen Hoffnungen machen, nur damit sie vermutlich sowieso gleich wieder zerschlagen wurden.

„Ist ja gut, ist ja gut“, kam es wieder aus dem Wohnzimmer und klang eindeutig genervt. Wie automatisch machte ich einen Schritt zurück, sodass ich buchstäblich mit dem Rücken zur Wand stand … oder eben zur Tür. Ich atmete auch noch einmal durch, um mich auf das gefasst zu machen, was da gleich kommen würde. Und ich hoffte, dass ich überhaupt ein Wort herausbringen würde, wenn Gackt vor mir stand und vermutlich ziemlich sauer auf mich war, weil ich mich einfach nicht gemeldet hatte.
 

Doch ich machte mir völlig umsonst Sorgen, denn kaum dass Gackt aus dem Wohnzimmer gekommen war und mich erblickt hatte, begann er zu lächeln. Er strahlte mich praktisch an und kam dann ganz schnell auf mich zu.

„Hyde!“, sagte er, als er mich erreicht hatte und zögerte auch nicht, mich in eine Umarmung zu ziehen. Und ich? Ich erwiderte diese ebenfalls sofort und es erinnerte mich daran, wie gut sich das anfühlte. Und außerdem konnte ich ganz genau spüren, wie der Drang, Gackt jetzt zu küssen, in mir aufkam. Doch das würde ich nicht tun, das würde ich nie wieder tun, ganz egal, wie das heutige Treffen ausfallen sollte. Wenn wir uns dazu entschieden, getrennte Wege zu gehen, dann hätte sich das ohnehin erledigt, und wenn wir einfach nur Freunde blieben, dann wären Küsse trotzdem gestrichen, denn Freunde küssten sich nicht … nicht so jedenfalls.

Ich wusste nicht, wie lange wir einfach nur im Flur standen und uns umarmten, aber als Gackt sich irgendwann wieder von mir löste und ich nur schweren Herzens dasselbe tat, schaute er mich immer noch lächelnd an und sagte schließlich: „Schön, dass du gekommen bist. Ich hab schon befürchtet, du willst den Kontakt einfach abbrechen. Aber ich bin froh …“

„Ja, ich auch“, hörte ich mich zwar sagen und meinte es auch so, aber gleichzeitig fachten Gackts Worte den Konflikt zwischen meinem Kopf und meinem Herzen nur wieder von Neuem an. Ich hatte mich davor gefürchtet, dass er einfach einen Strich unter allem gezogen haben könnte, aber nun, da klar war, dass er das nicht getan hatte, war da wieder die leidige Diskussion, in der ich einfach auf keinen grünen Zweig kam: Er wollte noch immer mit mir befreundet bleiben, aber konnte ich das auch?

Sakura hatte gesagt, ich sollte so eine Trennung nicht unbedingt forcieren, wenn ich dabei so litt. Tetsu hatte mir schon vor Ewigkeiten geraten, einfach einen Haken an diese seltsame Sache zu machen. Und sie alle waren sich darin einig gewesen, dass ich herausfinden sollte, was ich wirklich wollte. Scheiße. Verdammte Scheiße!

„Willst du mit ins Wohnzimmer kommen? Oder in mein Zimmer? Da haben wir vielleicht mehr Ruhe und können nur für uns sein“, wollte Gackt schließlich von mir wissen, nachdem ein paar Sekunden peinliches Schweigen zwischen uns geherrscht hatte, weil ich nichts weiter zu ihm gesagt hatte als diese drei Worte.

„Äh … ja … ins Wohnzimmer wird reichen, denke ich“, antwortete ich ihm dann etwas stockend, „You stört mich nicht.“ Und ich wollte um's Verrecken nirgendwo mit Gackt hin, wo wir zu ungestört waren – jetzt noch nicht und vielleicht auch nie wieder, je nachdem …

„Okay“, stimmte mein Gegenüber mir ohne Umschweife zu, allerdings bildete ich mir ein, dass sein ansonsten so müheloses und unerschütterliches Lächeln für den Bruchteil einer Sekunde ins Wanken geraten war. Er war ja auch nicht dumm – ihm war vollkommen klar, dass mein Hiersein nicht gleich bedeutete, dass wir tatsächlich Freunde blieben. Und ich befürchtete, dass er sich auf genau diesen Fall so gut vorbereitet hatte, dass er mich am Ende doch zu einer Entscheidung bringen könnte, die ich nicht gut genug durchdachte hatte. Ich meinte das jetzt nicht böse, schließlich liebte ich Gackt noch immer, vertraute ihm auch noch genauso wie vorher und wünschte mir nichts mehr, als ihn weiter zu sehen und mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Doch ich musste im Moment erst einmal nur daran denken, was für mich wirklich am besten war.

Gackt bedeutete mir schließlich mit einer Geste, dass ich schon einmal vor gehen sollte und er folgen würde. „Willst du auch was trinken?“, fragte er außerdem weiter und machte dabei bereits einen Schritt in Richtung Küche, „oder irgendwas essen? Ich weiß ja, wie sehr du aufs Essen stehst.“ Darauf folgte kurz ein verschmitztes Grinsen, was mir nur zu deutlich machte, dass ich nicht der einzige von uns beiden war, der schrecklich nervös war. Es war aber auch eine beschissene Situation, schließlich hatte er mich erst betrogen und mir dann auch noch gesagt, dass er mich nie wirklich geliebt hatte. Wenn ich es so recht bedachte, wären das eigentlich genug Gründe, ihm einfach nur das Armband in die Hand zu drücken, mich zu verabschieden und ihm dann für immer den Rücken zu kehren. Aber das war alles so rational gedacht und leicht dahingesagt – die Realität sah ganz anders aus, wenn man einen Menschen erst einmal in sein Herz geschlossen hatte.

„Ein Glas Saft vielleicht, wenn ihr noch welchen da habt“, nahm ich eins von Gackts Angeboten an.

„Haben wir. Apfel, Orange oder Kirsch?“

„Äh … das, was schon angefangen ist.“

„Okay, ich schau gleich nach. Geh schon mal vor, du kennst den Weg hoffentlich noch … hehe.“ Ein verzweifelter Versuch Gackts, die Stimmung ein bisschen aufzulockern.

„Klar.“ Trotzdem entlockte es mir ein schüchternes Lächeln, das jedoch sofort wieder verschwand, kaum dass ich ihm den Rücken gekehrt hatte. Auf den paar Schritten zum Wohnzimmer würde sich niemand verlaufen können, der schon einmal hier war. Und vermutlich selbst Erstbesucher kämen sicherlich bestens zurecht, wenn man es ihnen kurz beschrieb. Gackts und Yous Wohnung war zwar wesentlich größer als meine, aber es war eben immer noch nur eine Wohnung und keine Villa.

Und im Wohnzimmer angekommen realisierte ich dann auch endlich, warum You sich vorhin so aufgeregt hatte: Es stank hier drinnen wirklich nach Zigarettenrauch. Ich hatte es vorhin nicht direkt bemerkt, weil ich ja selbst rauchte und in der letzten Zeit auch so einiges an Tabak vernichtet hatte, aber jetzt war es nur allzu deutlich. Außerdem lag da noch eine angefangene Kippe im erstaunlich leeren Aschenbecher und glimmte still vor sich hin. Der Fernseher lief auch, allerdings musste Gackt den Ton abgedreht haben, ehe er sich auf den Weg gemacht hatte, um seinen Besuch – mich – zu begrüßen, denn man hörte absolut nichts. Trotzdem erkannte ich, dass er sich eine beliebte Comedy-Serie angeschaut hatte, die wochentags immer um diese Zeit lief.

Ich setzte mich dann erst einmal auf das Sofa, wartete und sah mich dabei um. Alles war noch so wie vor ein paar Wochen, als ich zuletzt hier gewesen war. Aber was hatte ich auch erwartet – dass die beiden ihre Wohnung jetzt komplett auf den Kopf stellen würden, nur weil Gackt und ich uns getrennt hatten? Nein, ganz sicher nicht, da würde You bestimmt nicht mitmachen und er hatte hier schließlich genauso viel zu sagen wie Gackt.

Besagter kam dann auch mit zwei Gläsern und einer Tafel Schokolade zur Tür hinein, stellte alles vor mir auf den Couchtisch und nahm neben mir Platz, wo er wohl vorhin schon die ganze Zeit gesessen hatte. Zumindest griff er direkt mit der linken Hand nach der Fernbedienung, die auf dem Polster lag, und schaltete erst den Ton vom Fernseher wieder an, das Gerät dann aber gleich ganz aus.

„Apfel war offen. Ich hoffe, das ist in Ordnung“, teilte er mir anschließend mit und nickte den beiden Gläsern zu, die vor uns standen.

„Hm, kein Problem. Hab ja gesagt, dass ich das nehme, was offen ist.“ Und wie zur Unterstreichung streckte ich die Hand nach dem Glas aus, das ein bisschen näher bei mir stand, um direkt einen Schluck zu nehmen. Dabei blickte ich weiterhin auf den Fernseher, obwohl dort schon längst nichts mehr zu sehen war.

„Okay“, meinte Gackt nur und schwieg dann ebenfalls. Es war aber auch so verflucht gedrückt zwischen uns – anscheinend wusste er ebenso wenig wie ich, wie wir die Sache anpacken sollten, um zu einem guten Schluss zu kommen. So verstrichen ein paar Sekunden, ehe sich Gackt zu ein bisschen Smalltalk entschloss: „Wie läuft denn deine Abschlussarbeit. Hast du alles rechtzeitig geschafft?“

„Hm … ja“, begann ich langsam und drehte den Kopf ein kleines Stück in Gackts Richtung, sodass ich auf seine Hände sah, die in seinem Schoß lagen, „ich hab mir dann doch noch eine kleine Verlängerung geholt – nur für zwei Wochen – und Ken-chan hat mir beim Überarbeiten und Korrigieren geholfen. Ich hab mich in der Zeit fast komplett auf die Bilder konzentrieren können ... da war dann alles zwei Tage vor dem Termin fertig. Ich musste es ja auch noch ausdrucken, kopieren und binden lassen, aber das ist alles glatt gegangen, weil die Jungs in der Zeit den Umzug allein gemacht haben. Also alles okay.“

„Freut mich“, entgegnete Gackt und sein Ton verriet mir, dass er dabei zufrieden lächelte. Und als ich endlich doch einen Blick riskierte, bestätigte sich meine Vermutung. Er sah dabei wieder einmal umwerfend aus, wenn auch ein bisschen traurig – aber dieses Bittere machte sein Lächeln irgendwie sogar noch viel schöner als jedes Allerweltslächeln, das er mir hätte zeigen können. Und wie ich so in Gedanken über dieses hinreißende Antlitz schwärmte, hätte ich beinahe Gackts nächste Bemerkung verpasst: „Aber den Umzug hab ich schon fast wieder vergessen. Wohnst du denn jetzt schon mit Ken zusammen oder noch in deiner alten Wohnung?“

„Ich hab heute morgen meinen alten Schlüssel abgegeben, aber mein ganzes Zeug ist schon seit ein paar Tagen in der WG und ich hab auch schon, äh … drei Nächte dort geschlafen. Sieht allerdings alles noch aus wie auf dem Schlachtfeld, weil ich irgendwie noch nicht richtig dazu gekommen bin, den ganzen Kram einzuräumen. Das ist so viel Zeug und ich hab es einfach nur in die Kartons reingeworfen, ohne es vorher zu sortieren. Das muss ich eben noch machen und … ja, das wird sicher noch eine ganze Weile dauern. Aber ich hab derzeit erst mal nur einen Teilzeitjob in einer Poolhalle, also werd ich schon genug Zeit dafür haben.“

„Ah, okay …“, sagte Gackt wieder nur bestätigend, sah diesmal aber aus, als wolle er noch etwas hinzufügen. Er hatte schon hörbar Luft geholt. Ob er mir anbieten wollte, dass er mir dabei ein bisschen zur Hand gehen könnte? Ich wusste nicht, ob ich das annehmen oder ablehnen sollte.

Und noch bevor er irgendetwas in diese Richtung unternehmen konnte, schnitt ich ihm das Wort ab: „Und wie läuft's bei dir?“

Doch trotz, dass ich ihm quasi in die Parade gefahren war, schien Gackt mir dafür dankbar zu sein, denn er schloss seinen Mund und atmete wieder aus. Wahrscheinlich war er sich selbst nicht so ganz sicher gewesen, ob er wirklich schon so mit mir umgehen wollte. Wenn er es denn überhaupt vorgehabt hatte. Ach, verflucht! Würden wir eigentlich jemals wieder normale Freunde werden können, wenn wir uns so gehemmt verhielten?

„Alles wie immer“, antwortete Gackt schließlich, korrigierte sich dann aber noch einmal, „na ja, bis auf die Sache mit dem Host Club. Da hab ich aufgehört, weil … ich hab ja gesehen, dass dir das überhaupt nicht geschmeckt hat. Ich hab jetzt wieder im Casino angefangen und musste zum Glück gar nicht so viel betteln, um meinen Job zurück zu kriegen. Hatte beim Besitzer wegen meiner guten Arbeit wohl einen Stein im Brett.“ Während er das sagte, grinste er mich verschmitzt an und kratzte sich am Hinterkopf. Ich hingegen starrte nur.

„Aber du hättest doch wegen mir nicht aufhören müssen“, sagte ich beinahe fassungslos, „es geht mich doch gar nichts mehr an, wie du dein Geld verdienst!“ Bämm! Und da waren wir schon bei dem Thema angelangt, für das ich eigentlich auch hergekommen war.

„Trotzdem fühlt es sich nicht richtig an, dort länger zu arbeiten“, entgegnete Gackt nun vollkommen ernst und ohne auch nur die geringste Spur eines Lächelns auf den Lippen. Stattdessen waren sie eher zusammengekniffen, wenn er nicht gerade redete. Außerdem setzte er sich so hin, dass er mich besser ansehen konnte und ich ihn natürlich auch. „Es war dumm von mir, dir das nicht gleich zu sagen … und es war noch viel dümmer von mir, mich auf dieses Mädchen einzulassen. Es tut mir so furchtbar leid, Hyde, das musst du mir wirklich glauben … ich fühle mich schuldig, wenn ich einfach so weitermachen würde wie bisher. Und außerdem … ich will dich ja noch was angehen; ich will nicht, dass dir vollkommen egal ist, was ich tue oder lasse. Schließlich möchte ich auch von dir gerne wissen, was du tust und wie es dir so geht … dass du Dinge mit mir besprichst, die dir wichtig sind, weil du mir immer noch wichtig bist, auch wenn wir nicht mehr zusammen sind. Ich möchte wenigstens mit dir befreundet bleiben.“

Ja … das wusste ich schon … und trotzdem ging mir das Herz auf, als er dies noch einmal in aller Ausführlichkeit vor mir ausbreitete und mir außerdem zeigte, dass sich sein Wunsch von vor über einem Monat immer noch nicht geändert hatte. Aber machte er es mir damit nicht auch gleichzeitig schwerer? Verdammt! Ich würde meinen Kopf vor lauter Frustration jetzt nur zu gerne gegen die nächste Wand donnern. Wieso konnte mir niemand diese blöde Entscheidung abnehmen? Wieso sagte mir denn niemand, ob ich einfach Ja oder Nein sagen sollte, damit die Sache vom Tisch war?

„Hyde?“

„Huh?“ Zipp, da war ich wieder, aber so wie Gackt mich anschaute, musste ich eine ganze Weile weggetreten gewesen sein.

„Äh … sorry, ich wollte dich wirklich nicht zu einer Antwort zwingen“, entschuldigte er sich sofort, allerdings konnte ich die blanke Enttäuschung in seinen Augen lesen, „ich dachte nur-

„Quatsch!“, beeilte ich mich daher zu sagen. Ich wusste nicht, was er dachte, aber es konnte nichts Gutes sein. Und von zu einer Antwort zwingen konnte eigentlich auch nicht wirklich die Rede sein, denn er hatte mir nun schon über einen Monat Zeit gelassen, um darüber nachzudenken, ohne auch nur ein einziges Mal nachzuhaken. Wenn hier jemand jemandem etwas schuldig war, dann eindeutig ich – und zwar eine Antwort. Jedoch gab es da noch dieses Problem: „Ich denke schon die ganze Zeit drüber nach und ich will ja auch wirklich mit dir befreundet bleiben, aber ich … also, ich hab nicht aufgehört, in dich verliebt zu sein und … ich weiß eben nicht, ob ich es aushalte, dann einfach nur ein Freund für dich zu sein und dass du nicht auch in mich verliebt bist? Verstehst du das?“ Unbewusst hatte ich die ganze Zeit über eher zu meinen Händen, Gackts Brust, dem Sofa oder dem Raum an sich gesprochen, aber nicht wirklich zu ihm – ich hatte es nicht über mich gebracht, ihm wirklich ins Gesicht zu blicken, nachdem mir vorhin der traurige Ausdruck in seinen Augen aufgefallen war.

„Hm … schon irgendwie …“ Es würde ein Aber kommen, ich wusste es, ich konnte es hören. Und ich wusste nicht, ob es mir gefallen würde, denn dieses Aber könnte das Zünglein an der Waage sein, mit der ich meine Entscheidung traf. Und es würde. „Aber so wie du dich anhörst, wäre es doch schon schlimm, wenn wir hier den Kontakt abbrechen würden. Vielleicht wird ja auch alles gut und dann wäre es doch scheiße, wenn wir die falsche Entscheidung getroffen hätten. Ich würde es auf alle Fälle gerne versuchen, auch wenn ich nicht weiß, wie es ausgeht. Wir sind schließlich erwachsene Menschen und ich denke nicht, dass es noch schlimmer kommen kann, als es jetzt schon ist. Ich meine … dann sind ganz andere Verhältnisse und Erwartungen da und … ich weiß nicht, was noch … ich kann dir nur sagen, dass ich dich wirklich nicht verlieren will. Aber wenn du das nicht willst, dann muss ich das so akzeptieren … auch wenn es mir schwer fällt. Also egal, wie du dich entscheidest, ich werde dir da nicht weiter reinreden.“

Nachdem Gackt geendet hatte, reagierte ich nicht gleich, sondern schwieg ihn weiter an, während er mich ebenfalls anschwieg. Wie hätte ich auch sofort mit einer Antwort kommen können, nachdem er mir das alles gesagt hatte? Er hatte mir ja im Grunde nur noch einmal deutlich gemacht, wie sehr er hinter seiner Entscheidung stand. Und gleichzeitig hatte er somit allen Druck wieder auf mich geladen. Dabei sollte ich ihn doch mit einbeziehen, hatte Tetsu mir geraten! Aber wie sollte ich das machen, wenn Gackts Sicht der Dinge noch immer so aussah, selbst nachdem ich ihm meine Bedenken erklärt hatte? Ich kam dadurch absolut kein Stück weiter!

Aber war das wirklich so? Ich ließ mir seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen und blieb dabei an denen hängen, die neu waren: Was wenn ich jetzt eine Entscheidung traf und sie sich hinterher als falsch herausstellte? Gackt hatte recht, denn wir wussten tatsächlich noch nicht, wie unsere Zukunft einmal aussehen würde. Vielleicht löste sich tatsächlich alles in Wohlgefallen auf, wenn wir erst einmal eine bestimmte Eingewöhnungszeit hinter uns gebracht hatten. Und dann würden … na ja, wir würden vielleicht nicht unbedingt über die Sache lachen, aber sicherlich belächeln, wie kompliziert wir es uns gemacht hatten. Und da war ja auch noch der Rat, den Sakura mir gegeben hatte: Menschen lebten sich auch so auseinander, das musste man nicht noch provozieren. Als das nun auf Gackts Worte von eben traf, senkte sich ganz langsam eine Seite der Waage und meine Entscheidung nahm immer klarere Formen an.
 

Als ich sie dann endlich greifen konnte, hob ich den Kopf und sah Gackt wieder an. Auf seinen Lippen lag ein optimistisches, aber gleichzeitig auch sehr wackeliges Lächeln, das sicherlich beim leisesten Anzeichen auf eine negative Antwort in sich zusammenbrechen würde. Ich sagte allerdings immer noch nichts, sondern schob die rechte Hand in meine Hosentasche und holte heraus, was sich darin befand: das Armband aus schwarzen Onyx-Kugeln. Und als Gackt es sah, entgleisten ihm für einen Moment tatsächlich die schönen Gesichtszüge und er ballte die Hände zu Fäusten, denn er schien das schlimmste zu befürchten. Ich konnte mir seine Worte nur zu genau vorstellen: „Behalt es bitte. Ich hab es dir geschenkt und da kann ich es nicht zurücknehmen.“ Als ob ich ihm eben doch nicht nur bis vor die Stirn gucken konnte, sondern auch dahinter, sah ich förmlich, wie er sich bereits darauf gefasst machte und diese Antwort parat hielt.

Doch ich machte ihm einen Strich durch die Rechnung, indem ich mir das Armband stattdessen über das rechte Handgelenk streifte, Gackt anlächelte und beobachten konnte, wie seine Augen ganz groß wurden.

„Hyde …“

Und ich lächelte nur stumm weiter.
 

tbc.

Time Goes By

Alles war wieder wie vorher. Okay, nicht alles … und eigentlich war es so, wie es zwischen Gackt und mir nie gewesen war, aber es fühlte sich so an, als wäre alles wieder wie vorher – denn es ging mir wieder gut.

Ich hatte keinen Stress durch die Uni mehr bzw. war es sinnlos, sich welchen zu machen, solange meine Abschlussarbeit noch nicht bewertet war, also konnte ich es erst einmal aus meinem Kopf streichen. Und ich musste mir auch keine Gedanken mehr darüber machen, was ich mit Gackt anstellen sollte, denn dieses Problem hatte sich nun endlich in Wohlgefallen aufgelöst, nachdem ich mich so lange damit gequält hatte. Eine weitere Last war mir damit von den Schultern genommen worden, sodass ich mir in den kommenden Wochen also hoffentlich eine schöne Zeit machen konnte.

Ich wusste immer noch nicht genau, wie sich das Ganze zwischen Gackt und mir jetzt entwickeln würde – dazu hätte ich ja auch hellsehen können müssen –, allerdings machte mir die Tatsache, dass wir jetzt wieder nur Freunde waren, erstaunlich wenig zu schaffen. Ja, ich liebte ihn noch immer und ich vermisste es, ihn als meinen Freund zu haben, aber anscheinend reichte es mir trotzdem erst einmal aus. Vielleicht war das eine Art Kompensation, dass mir selbst das kleinste Bisschen ausreichte, nachdem ich über einen Monat absolut gar nichts von ihm gehabt und ich mich sogar selbst dazu verdammt hatte. Und mit ein wenig Glück würde das auch so bleiben und wir konnten wirklich zu einer komplett normalen Freundschaft übergehen, nachdem ja alles bei uns so … seltsam angefangen hatte.

Dazu hatten wir natürlich einige Regeln aufstellen müssen, um unser noch immer recht fragiles Verhältnis nicht zu Beginn wieder zu zerstören. Allem voran stand da natürlich, dass Küsse, jegliche Fummelei und ganz besonders Sex streng verboten waren. Wir hatten uns außerdem darauf geeinigt, dass wir nicht ernsthaft miteinander flirten würden – zum Scherz ein bisschen war schon okay, aber es durfte auf keinen Fall zu weit gehen, sonst würde es mich nur daran hindern, ein normales freundschaftliches Verhältnis zu Gackt aufzubauen. Es würde sicherlich schon schwer genug werden, da mussten wir das Ganze nicht noch extra sabotieren … und irgendwie erinnerte mich diese Begründung, die wir uns dazu ausgedacht hatten, an Sakura und seinen Rat, einen geliebten Menschen nicht auf Teufel komm raus zu schneiden.

Gackt hatte allem ohne große Umschweife zugestimmt, aber er war ja nicht derjenige mit dem Gefühlsproblem. Trotzdem hatte er mich darum gebeten, dass wir beide jetzt nicht zu versteift miteinander umgingen und uns stattdessen immer noch umarmen oder einander nahe sein konnten. Ich sah darin auch kein Problem, solange es sich eben in Grenzen hielt, also gestand ich ihm das zu. Später schloss er mich dann bei der Verabschiedung auch gleich in eine herzliche Umarmung, die vielleicht ein bisschen länger dauerte, als es üblich gewesen wäre. Doch was wollte ich mich beschweren oder es ihm verübeln? Ich fühlte mich in seiner Nähe wohl und zwischen uns hatte schließlich für über einen Monat Funkstille geherrscht.
 

An diesem Tag ließ ich Ken dann doch noch länger warten als geplant, denn nachdem die Sache geklärt und mein Problem mit Gackt endlich beseitigt war, nutzten wir direkt die Gelegenheit seines freien Nachmittags, um wieder Zeit miteinander zu verbringen. Es war nichts Spektakuläres, nur wir beide, nebenher ein Film und ab und an auch You, wenn er aus seinem Zimmer kam, in das er sich eigentlich verzogen hatte, um auf der Violine zu üben.

Wir redeten und lachten viel, ich aß die Schokolade im Alleingang auf und weil mein Magen eine gute Stunde später schon wieder zu knurren begann, verzogen wir uns dann auch in die Küche, um uns aus den frischen Einkäufen etwas zu zaubern. Und weil Gackt sich dabei unerwartet ungeschickt anstellte und das Fleisch zu heiß anbraten ließ, sodass es quer durch den gesamten Raum flog, lachte ich sogar noch mehr. Mann, wie hatte ich das vermisst!

Vielleicht sogar noch mehr, als mit Gackt die Freuden einer Beziehung zu genießen – es war seine bloße Anwesenheit, die mir eigentlich so gefehlt hatte, denn mit ihm wurde es nie langweilig. Oder wie Tetsu es schon einmal zu mir gesagt hatte: Gackt lockte mich hinter meinem Ofen hervor und machte mich zu dem, der ich früher einmal gewesen war, bevor ich mich in den kleinen Streber verwandelt hatte. Und wer wusste schon, ob das jetzt nicht noch besser zur Geltung kommen würde, wenn ich kein Streber mehr sein musste, weil meine Zeit als Student fast um war. Zwar würden dann andere Sorgen kommen, aber ich bildete mir ein, dass ich dann zumindest meinen Studienabschluss schon hatte und nicht mehr dafür rackern musste. Ich konnte dann einfach zur Arbeit gehen, dort meinen Job erledigen und meine Zeit zu Hause wirklich frei für mich nutzen. Und solange ich meine Freunde hatte, zu denen nun auch Gackt wieder zählte, konnte doch eigentlich gar nicht mehr allzu viel schief gehen.

Ich hatte also allen Grund, glücklich zu sein. Das Leben war schön!
 

4. April …
 

Ungefähr zwei Wochen nach meiner Versöhnung mit Gackt fiel ich allerdings in ein kleines Loch, das ich so nicht wirklich vorausgesehen hatte. Natürlich hatte ich es grundsätzlich kommen sehen, allerdings hatte ich gedacht, ich würde besser damit umgehen können.

Am 31. März war das Semester vorbei und das war auch der Tag, an dem ich die Bescheinigung abholen konnte, dass ich nun offiziell kein Student mehr war. Zwar war meine Abschlussarbeit noch immer nicht korrigiert, allerdings hatte ich sie ja vorher mehrfach mit Hayashi-sensei durchgesprochen, sodass ich mir zumindest sicher war, dass ich nicht durchfallen würde. Und zur Sicherheit hatte ich trotzdem noch einmal mit jemandem aus der Verwaltung geklärt, was ich machen konnte, wenn ich doch versagen sollte und meinem Studium dann die Abschlussarbeit fehlen würde. Wäre alles kein Problem, hatte die nette Dame gesagt, sodass ich mich ganz beruhigt hatte exmatrikulieren lassen können. Ich war sogar irgendwie ein bisschen froh gewesen, dass ich nach fünf Jahren Studium endlich fertig war – keine Hausarbeiten mehr, nichts mehr zu recherchieren, zu lernen oder anderweitig zu besorgen.

Aber diese Ruhe und Freude waren mittlerweile wie weggeblasen und ich wurde immer ganz wehmütig, wenn ich daran dachte, dass ich nun nicht mehr von mir sagen konnte, dass ich Kunst studierte. Ich war nun einfach nur ein normaler Mensch im Arbeitsleben wie so viele andere auch. Vielleicht hätte ich es so wie Ken machen sollen: Noch ein bisschen an der Uni bleiben und dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter oder Tutor für die jüngeren Semester arbeiten. Aber natürlich war ich mit diesem Gedanken nicht der einzige und sämtliche Stellen schon weg, noch bevor ich mich richtig hatte vorstellen können. Und ich war mir auch nicht sicher, ob ich selbst dann etwas bekommen hätte, weil da teilweise auch Vitamin B eine Rolle spielte.

Na ja, ich hatte ja auch noch meinen Job in der Poolhalle und durch Ken und Tetsu war die Uni auch nicht ganz für mich verloren. Zumal Letzterer sich ja dazu entschlossen hatte, sich für seine Abschlussarbeit noch ein Semester mehr Zeit zu nehmen, um es endlich einmal richtig anpacken zu können. Sehr vernünftig, Tet-chan!
 

Das war es eben, was mich nun schon seit ein paar Tagen plagte und da kam es mir ganz recht, als Gackt plötzlich anrief und mich aus meiner vormittäglichen Langweile befreite.

„Hy-chan, freut mich, dass du rangehst!“, flötete er offensichtlich bestens gelaunt ins Telefon, „du hast nicht zufällig gerade ein bisschen Zeit für dein Lieblings-Gacchan übrig?“

Ich schmunzelte unwillkürlich, als ich ihn so hörte, setzte mich auf, nachdem ich die gesamte Zeit seit dem Aufwachen nicht aus meinem Schlafanzug oder auch nur meinem Bett gekommen war. Dies war nicht das erste Mal, dass er so spontan anrief und fragte, ob er gerade störte oder ich etwas mit ihm unternehmen wollte – er hatte das in den vergangenen zwei Wochen bestimmt alle zwei bis drei Tage gemacht, sodass wir uns auch fast genauso oft gesehen hatten, um dann zusammen ins Kino zu gehen, ein bisschen durch die Gegend zu bummeln oder einfach nur in seiner Wohnung zu sitzen, uns zu unterhalten und nebenher vielleicht noch ein Videospiel zu zocken. Und auch dieser Anruf stimmte mich zuversichtlich, dass Gackt mich aus meinem Loch rausholen könnte.

„Hi Gacchan“, begrüßte ich ihn daher erst einmal lächelnd, „ich bin grade frei. Wo drückt denn der Schuh?“

„Eigentlich nirgendwo“, entgegnete er mir, „ich dachte mir nur, dass wir mal wieder was zusammen machen könnten, nachdem ich dich die letzten Tage so vernachlässigt habe.“

„Awww~ wie lieb von dir!“, brach es daraufhin aus mir heraus. Natürlich meinte ich es nicht ganz ernst, denn ich hielt mich immer ganz genau an die Regeln, die wir für einen unbeschadeten Umgang miteinander aufgestellt hatten, sodass bisher alles gutgegangen war. Ich war noch immer verliebt, aber wenigstens lief ansonsten alles glatt. Und Gackt hatte auch nicht ganz unrecht, denn wir hatten uns durch widere Umstände in den letzten paar Tagen tatsächlich nicht gesehen. Zuletzt waren wir zusammen beim Studentenbüro gewesen, um mich exmatrikulieren zu lassen und seitdem hatten entweder er oder ich arbeiten müssen.

„Ich muss heute Abend erst wieder ran, aber davor hab ich den ganzen Tag frei“, erklärte ich Gackt die Lage der Dinge, „passt das in deinen Plan rein?“

„Perfekt! Ich muss später nämlich auch noch und dachte mir da, dass wir irgendwo zusammen was essen gehen. Das Wetter wird endlich schön und die ganzen Cafés stellen langsam Tische und Stühle raus – wir könnten uns in der Innenstadt was Schönes suchen und danach noch ein bisschen durch die Gegend laufen. Ich lad dich auch ein. Wie klingt das für dich?“

„Sehr lecker!“, lautete meine begeisterte Antwort, „auch wenn du mir absolut nichts ausgeben musst.“

„Ach, ich mach das doch gerne“, winkte Gackt meinen Einwand einfach ab, „schließlich bin ich hier derjenige mit den drei Jobs und du hast nur den einen. Du musst dein Geld also ein bisschen mehr zusammenhalten und außerdem ist der Vorschlag auf meinem Mist gewachsen. Du kannst dich also ruhig ein bisschen von mir aushalten lassen, hehe.“ Er lachte, er meinte es nicht ganz ernst – ebenso wie ich vorhin … zumindest hoffte ich das, denn ich spürte, dass er die Sache zwischen uns sonst noch zu locker nehmen würde. Und da ich hier der Verliebte von uns beiden war, war ich immer besonders hinterher, dass nichts passierte.

„Äh, nein danke, Gacchan“, sagte ich deshalb noch einmal direkt, „ich krieg das wirklich schon selbst hin. Du musst dir da keine Sorgen machen. Unsere WG ist ja etwas weiter draußen, da sind die Mietpreise nicht so schlimm, und der Nachtzuschlag ist auch gar nicht mal übel. Es reicht schon alles, um mal auswärts essen zu gehen – ist ja nicht so, als würde ich das ständig machen. Und eure Wohnung ist dafür auch viel teurer als unsere, also solltest du dich nicht noch zusätzlich mit mir belasten.“

„Du bist doch keine Belastung für mich, Hyde!“, kam es dann schon fast ein bisschen grantig zurück, „ich rufe doch nicht aus Pflichtgefühl an, sondern weil wir Freunde sind und ich dich wirklich sehen will …“ Ich hörte ihn seufzen. „Aber wenn du unbedingt selbst zahlen willst, werd ich dir da nicht reinreden.“

„Ganz genau!“, pflichtete ihm bei, „denk dran, was wir ausgemacht haben.“

„Ja, ich weiß. Also … treffen wir uns dann bei dir oder bei mir?“

„Na, du stellst Fragen!“, war es nun an mir, ein bisschen pikiert zu sein, „da lehne ich deine Einladung schon ab und dann willst du extra bis hier raus fahren, um dann die gleiche Strecke wieder zurück zu müssen. Ich komm zu dir oder wir machen einen Treffpunkt aus.“

„Ich will deine neue Wohnung eben auch mal sehen. Bisher hab ich es ja nie geschafft“, lautete Gackts Erklärung für seinen seltsamen Vorschlag und ich konnte mir nur zu gut vorstellen, dass er dabei gelassen mit den Schultern zuckte.

„Weil hier draußen ja auch so gut wie nichts los ist.“

„Ach, Blödsinn, da gibt’s sicher was. Und es geht mir ja sowieso um dich und wie du jetzt so wohnst. Ich könnte ja vielleicht mal wieder über Nacht bei dir bleiben – du hast doch gesagt, deine Couch steht jetzt im Wohnzimmer, oder? Ich kann mich auch auf das Ding quetschen.“

„Damit du hinterher die fiesesten Rückenschmerzen deines ganzen Lebens hast?“, lachte ich und ging mir seinen Vorschlag ansonsten durch den Kopf gehen. Es war erst zwei Wochen her, dass wir uns wieder sahen und bisher hatte ich immer genau darauf geachtet, spätestens mit der letzten Bahn – aber besser noch der vorletzten, wegen der ganzen Besoffenen! – nach Hause zu fahren. Ich war mir einfach nicht sicher, ob ich es mir schon zutraute, die Nacht bei ihm verbringen, auch wenn er in seinem Bett und ich auf der Couch schlafen würde. Wenn ich nun plötzlich schlafwandelte oder einfach nur zu müde war, um auf dem Rückweg vom Klo die richtige Richtung zu finden, und mich dabei aus alter Gewohnheit in Gackts Zimmer verirrte? Nein, das wollte ich noch nicht riskieren. Später vielleicht einmal, wenn wirklich alles wieder in Ordnung war.

„Ich werd Ken erst mal fragen müssen, ob das in Ordnung geht“, sagte ich dann wieder etwas ernster, „ist ja auch zum Teil seine Wohnung und sein Wohnzimmer.“

„Okay, kein Problem“, bekam ich eine Zustimmung seitens Gackt, „aber lass dir damit mal nicht zu viel Zeit. Ich bin nämlich wirklich gespannt, wie es in deinem Reich jetzt aussieht. Das alte hab ich ja ziemlich gut kennenlernen können.“

„Hm …“, brummte ich und überlegte dabei, ob ich ihn wieder an unsere Regeln erinnern musste, denn er drohte ein bisschen zu sehr in kritische Bereiche abzudriften.

Bevor ich den Mund allerdings wieder aufmachen und Luft holen konnte, setzte Gackt erneut zum Reden an: „Jedenfalls, das Essen. Ich würde sagen, wir treffen uns vor dem Teeladen, gehen dann einfach mal die Straße runter und schauen, was sich so finden lässt. Reicht dir eine Stunde, um herzukommen?“

„Locker“, bestätigte ich mit einem Nicken, auch wenn Gackt es nicht sehen konnte.

„Schön. Ich warte dann da auf dich. Bis gleich“, verabschiedete Gackt sich mit einem Lächeln in der Stimme, wartete aber natürlich noch etwas, ehe er auflegte.

„Jep, bis gleich“, erwiderte ich und wartete ebenfalls, sodass keiner von uns beiden mehr etwas sagte, die Leitung aber immer noch stand. Ich konnte Gackt atmen hören … und merkte dabei leider ganz genau, wie mein Herz schneller zu schlagen begann. Er musste also noch nicht einmal etwas sagen oder tun, sondern nur atmen, damit mir klar wurde, wie sehr ich ihn noch immer liebte und wie froh ich war, ihn zu haben. Und ich hoffte wirklich, dass sich das so bald wie möglich auf ein normales Level absenkte, denn sonst würde ich ihn immer wieder vertrösten müssen, was das Übernachten bei ihm oder mir anging.

„Tschau“, sagte ich noch einmal, ehe ich dann tatsächlich auflegte. Ein leises Lachen seinerseits hatte ich trotzdem noch hören können und auch das berührte mein Herz. Oh je …
 

tbc.

It's sad

21. April …
 

„Ah, Hyde, du bist aber früh dran!“, war Gackts Reaktion, als er mir mit verwirrter Miene die Tür zu seiner Wohnung öffnete. „Wir waren doch erst in einer halben Stunde verabredet. Ist irgendwas passiert?“

„Ich hab bestanden!“, rief ich daraufhin und kümmerte mich nicht um seinen nun sogar besorgten Blick, sondern sprang ihm dafür praktisch an den Hals, „ich hab gerade meine Abschlussnote bekommen!“

„Wie … echt jetzt?“, hakte Gackt dann nach. Es dauerte zwar einige Sekunden, ehe ihm so wirklich klar zu werden schien, was ich ihm da mitgeteilt hatte, aber er freute sich dann doch mit mir – das konnte ich an seinem Lächeln sehen, das zwar bei Weitem nicht so breit war wie mein stupides Grinsen, aber es war doch das erste, welches ich darüber sah. Tetsu und meine Eltern hatte ich nur angerufen und Ken und Yuki lediglich Kurznachrichten geschickt, weil bei ihnen jeweils nur die Mailbox rangegangen war. Und da ich mich nach dem Termin mit meinem Professor sowieso wieder einmal mit Gackt verabredet hatte, hatte ich bei ihm eben darauf gewartet, es ihm persönlich zu sagen. Und wie er richtig festgestellt hatte, war ich eine ganze halbe Stunde zu früh dran, weil ich mich dafür so beeilt hatte. Verklagt mich doch!

„Ja, cool, ne?“, jubelte ich weiter vor mich hin und kriegte das Grinsen wirklich nicht mehr aus meinem Gesicht, „meine Abschlussarbeit ist eine 1,6 geworden und die Gesamtnote sogar eine 1,4 Die ganze Schufterei hat sich also richtig gelohnt. Ach, Gacchan, du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich ich gerade bin!“ Und um ihm trotzdem die Möglichkeit zu geben, sich zumindest annähernd ein Bild davon machen zu können, sprang ich ihn erneut an und schlang die Arme so fest um ihn, als würde ich ihn erdrücken wollen. Mir fiel unsere Abmachung ein und dass ich hier vermutlich ziemlich nahe an den kritischen Bereich kam, aber ich ignorierte es für diesen einen Moment und nahm einfach nur, was ich kriegen konnte. Auch wenn mir die Regeln für unser gesundes Zusammensein grundsätzlich im Nacken saßen und mich daran erinnerten, was mir verschlossen bleiben würde. Wie oft war es mir in den vergangenen Wochen schon tierisch auf die Nerven gegangen, aber ich hatte mich immer dafür entschieden, das Richtige zu tun – dieses eine Mal würde nicht schaden.

Auch Gackt schien es nichts auszumachen, denn er erwiderte meine Umarmung, gratulierte mir dann zu der tollen Leistung und hielt mich ansonsten einfach nur fest. Wir bewegten uns keinen einzigen Millimeter von der Stelle, sodass es für einen Außenstehenden sicherlich so wirkte, als wären wir Freund und Freundin. Und dabei hätte man mich ganz bestimmt für den weiblichen Teil der Beziehung gehalten.

Aber was kümmerte es mich im Augenblick? Schließlich waren wir schon einmal zusammen gewesen und auch da hatte es mich nicht gekümmert, was Fremde über uns sagten. Und außerdem liebte ich Gackt und seine Nähe noch immer!

Weil wir allerdings nicht den ganzen Tag halb im Hausflur, halb in Gackts Wohnung herumstehen wollten, ließ er mich schließlich los und bat mich ganz in die Wohnung hinein. Ich nickte und trat hinter Gackt ein, der wiederum hinter mir die Tür schloss, während ich mir Schuhe und Jacke auszog.

„Ich hoffe, ich störe nicht, wenn ich schon so früh da bin“, meinte ich dabei und blickte Gackt von unten her an, „ich hab ein Buch dabei, ich kann mich also noch eine halbe Stunde lang ins Wohnzimmer setzen und lesen.“

„Ach, Quatsch“, winkte Gackt jedoch ab, „ich hab nur ein paar Fingerübungen gemacht, nichts Besonderes also.“

„Äh … Fingerübungen?“, fragte ich verwirrt nach, worauf sich schmutzige Gedanken in meinem Kopf breitmachten und ich mir auf die Unterlippe biss. Wenn Gackt von Fingerübungen sprach, war das nicht unbedingt weit hergeholt – schließlich war ich drei Monate lang mit ihm zusammen gewesen und hatte ihn live erlebt.

„Ich würde jetzt nur zu gern in deinen Kopf schauen können“, entgegnete Gackt jedoch mit einem diebischen Grinsen, was mich allerdings in meiner Vermutung bestärkte, „dann komm mal mit.“

„Äh, Gacchan …“

„Nichts Schlimmes, komm einfach mit.“

Er stieß sich von der Wand, an der er gelehnt hatte, ab und machte sich auf den Weg zu seinem Zimmer, bei dem die Tür noch offen stand. Das tat sie für gewöhnlich nicht, sodass ich daraus schließen konnte, dass Gackt vorher seine Zeit dort drinnen verbracht haben musste. Und auch das trug natürlich zu meinem Bild bei. Er würde doch hoffentlich nicht … ich musste mich schon ein bisschen dazu zwingen, mir zu sagen, dass Gackt wirklich nichts mit mir anstellen würde, was in unsere Tabuzone fiel, denn er hatte schließlich das gleiche Versprechen abgegeben wie auch ich: Kein Geknutsche, keine Fummelei und vor allen Dingen kein Sex. Meine Schritte waren deshalb ein bisschen zögerlich und ich setzte mich auch erst in Bewegung, als Gackt schon nicht mehr im Flur war. Und kurz bevor ich die Tür dann ebenfalls endlich erreicht hatte, ertönte plötzlich sanfte Klaviermusik aus dem Raum.

Huh? Hörte er neuerdings Klassik, wenn … ich stutzte und war extrem verwirrt, denn er hatte mir gegenüber noch nie irgendetwas erwähnt, was in diese Richtung ging. Wenn nicht sowieso Musik an gewesen war, hatten wir auch nie extra welche angeschalten, um dann dabei Sex zu haben. Ganz im Gegenteil: Gackt hatte sogar einmal direkt gesagt, dass unsere Stimmen die einzigen Geräusche waren, die er dabei brauchte. Und ich hatte ja auch schon vorher herausgefunden, dass mich die erregten Laute, die Gackt ausstieß, wenn er in Fahrt war, ebenfalls in Ekstase bringen konnten. Wieso also … aber ich vergaß dabei natürlich vollkommen, das er ja eben noch gesagt hatte, dass es nichts Schlimmes sei. Meine Gedanken wollten anscheinend einfach in diese Richtung gehen und ließen dann keine andere zu. Deshalb war ich dann auch umso überraschter, als ich meinen Kopf schlussendlich vorsichtig in Gackts Zimmer steckte.

Denn er hatte keine klassische Musik angeschalten, um sie zu hören – er war derjenige, der sie hervorbrachte! Meine Augen wurden ganz groß, als ich ihn am Fenster auf einem Stuhl sitzen sah, der eigentlich in die Küche gehörte, vor ihm ein Keyboard, auf dem er spielte. Und es waren keine simplen Fingerübungen, wie er mir hatte weiß machen wollen! Denn dann hätte er eine Tonleiter oder irgendwelche einfachen Kombinationen gespielt. Doch nein, seine Hände flogen nur so über die Tasten hinweg und entlockten dem Instrument eine wunderschöne Melodie, in der ich einen seiner Lieblingssongs wiedererkannte. Dabei brachte er das Instrument gehörig zum Wackeln, denn das Gestell, auf dem es thronte, sah nicht sonderlich stabil aus. Doch es fiel nicht und um dem noch einmal einen draufzusetzen, benutzte Gackt noch nicht einmal Noten! Er spielte das Stück lediglich nach Gehör und hatte teilweise auch die Augen geschlossen. Der Begriff der Automatisierung war mir nicht fremd, denn Tetsu und Ken hatten mir einmal erklärt, dass man auch bei Saiteninstrumenten die Griffe irgendwann so verinnerlicht haben musste, um sie dann schnell wechseln und kombinieren zu können. Aber das erforderte Übung und ich versuchte mir gerade vorzustellen, wie oft Gackt dieses Stück schon auf dem Keyboard gespielt haben musste, um es sich derart eingeprägt zu haben.

Da war es auch kein Wunder, dass ich irgendwann mit offenem Mund dastand und ihn staunend beobachtete. Zumal er mir nie erzählt hatte, dass er auch Keyboard spielen konnte. Ich wusste, dass er am Schlagzeug ziemlich gut sein musste, da er ja die Tontechnik dafür übernahm – aufgrund der strengen Auflagen im Tonstudio war ich leider selbst noch nie in den Genuss seiner Fertigkeiten gekommen – aber ansonsten … er war anscheinend immer noch für eine Überraschung gut, auch wenn ich glaubte, mittlerweile alles Wichtige über ihn in Erfahrung gebracht zu haben.

Als Gackt nur kurze Zeit später entweder am Ende des Stückes angekommen war oder einfach keine Lust mehr dazu hatte, spielte er noch eine kleine, abschließende Sequenz, lehnte sich dann in seinem Stuhl zurück und drehte mir, der ich immer noch wie angewurzelt mitten im Raum stand, den Kopf zu. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, das seinem diebischen Grinsen recht ähnlich war, aber eben bei weitem nicht so schadenfroh aussah. Trotzdem schien in mein Anblick zu belustigen.

„So sprachlos, Hyde?“, neckte er mich schließlich und befreite mich damit aus meiner Starre.

Allerdings war ich noch immer nicht zu sonderlich intelligenten Aktionen fähig, denn meine einzige Reaktion war ein schlichtes: „Wow!“

„Hm … hab ich mir schon gedacht. Ich bin furchtbar eingerostet und verspiele mich noch ständig. Ich brauch eindeutig noch einiges an Übung.“

Was?, dachte ich, als ich das in einem vollkommen ernsten Tonfall aus seinem Munde hörte und er dann auch noch das Gesicht abschätzige verzog.

„Was?!“, brach es dann auch tatsächlich aus mir hervor, „spinnst du?! Das war toll! Ich hab gar nicht gewusst, dass du so spielen kannst … du hast mir ja auch nicht erzählt, dass du überhaupt spielen kannst! Wieso sagst du mir so was denn nicht?!“

„Du hast nie gefragt“, kam Gackts Antwort ganz unschuldig, allerdings verriet mir sein Grinsen, dass er das gerade absichtlich machte, um mich ein bisschen zu trietzen. Und ich hätte ihn dafür glatt erschlagen können. Dieser Spruch war der absolut dümmste, den man in einer solchen Situation bringen konnte, selbst wenn er hundertmal stimmte. Ich konnte schließlich nicht nach allem fragen. Ein „Mann, Gacchan!“ meinerseits brachte ihn allerdings dazu, direkt mit der richtigen Erklärung fortzufahren, wenn auch schulterzuckend, als wäre das alles hier noch immer nicht der Rede wert: „Ich hab's einfach ziemlich lange nicht mehr gemacht und so wirklich gebraucht hab ich es ja auch nicht. Bandinstrumente sind einfach cooler und seitdem ich in der High School mit dem Schlagzeug angefangen habe, hab ich eigentlich nichts anderes mehr gespielt, um dort richtig gut zu werden. Das ist eigentlich schon alles.“

„Aha“, machte ich daraufhin erst einmal, um die Informationen einsinken zu lassen, bevor ich die nächste Frage stellte, „und wieso hast du dann jetzt plötzlich wieder damit angefangen? Du wolltest mich doch bestimmt nicht nur damit beeindrucken?“

Gackt lachte darauf erst einmal, ehe er mit antwortete: „Sicher? Allein für deinen Gesichtsausdruck hat es sich eigentlich schon gelohnt, hehe … nein, nicht wirklich. You hat mich vor ein paar Wochen gefragt, ob ich ihm bei was helfen kann. Er wollte irgendein Stück als Duett neu arrangieren und weil sein Partner zu der Zeit so viel zu tun hatte, hat er mich gefragt, ob ich es denn mal versuchen würde. Ich weiß allerdings nicht, ob es ihm wirklich was gebracht hat, weil ich eben echt nicht mehr so gut bin wie damals. Er hat sich ständig beschwert, dass ich so viele Fehler machen würde und nicht richtig bei der Sache wäre.“ Dann schwieg Gackt für einen Moment, in dem sein Blick kurz auf den Tasten des Keyboards ruhte. Erst dann schaute er wieder mich an. „Vielleicht hatte er sogar ein bisschen recht, weil … als er mich gefragt hat, war es zwischen uns ja so kompliziert und es ging mir tatsächlich grade nicht so gut. Ich hab ja auch gehofft, dass es mich auf andre Gedanken bringt, wenn ich mich wieder ins Klavierspielen reinfuchse. Und mittlerweile macht's richtig Spaß … ganz anders als damals, als ich's gelernt hab.“

Er war das also gewesen? Wie er mir das so erzählte, erinnerte ich mich unweigerlich an den Nachmittag im Februar, als ich meinen ersten Anlauf unternommen hatte, mich mit Gackt auszusprechen, und dann einfach geflüchtet war. Ich hatte zugehört, wie You Violine und jemand anderes Klavier gespielt hatte. Nur hatte ich damals angenommen, dass er mit einem Kommilitonen zusammen übte und nicht mit Gackt. Nun, jetzt wusste ich ja auch, warum er seinen Begleiter damals so frustriert zurechtgewiesen hatte. Und irgendwie … stimmte es mich ein klein wenig glücklich, dass unsere Trennung Gackt ebenfalls so runtergezogen hatte. Es war der Beweis, dass seine Worte nicht nur leere Beschwichtigungen gewesen waren: Er hatte mir nicht nur erzählt, dass ich ihm wichtig war, er meinte es auch so.

„Hyde?“, hörte ich Gackt sagen und erschrak direkt, denn er saß nicht mehr auf seinem Stuhl am Keyboard, sondern stand direkt vor mir und blickte mir in die Augen.

„Uah! Was?!“, stieß ich aus und sprang einen Schritt zurück.

Gackt schmunzelte dann wieder etwas, nachdem der Ausdruck in seinem Gesicht eben noch recht ernst gewesen war: „Wo warst du denn gerade?“

„Äh …“, begann ich und war drauf und dran, ihm zu erzählen, über was ich nachgedacht hatte. Aber … ich hatte feige die Flucht ergriffen, obwohl er darauf gewartet hatte, dass ich ihm meine Entscheidung mitteilte – ob sie nun positiv oder negativ ausfiel. Er hatte sich unnötig lange quälen müssen, und das war mir ein wenig peinlich. Und weil ja nun alles in Ordnung war – besser spät als nie! – fühlte ich plötzlich, dass es absolut nicht notwendig war, es ihm unbedingt mitzuteilen. Deshalb schwenkte ich im letzten Moment zu etwas anderem um: „Wann hast du denn Klavierspielen gelernt?“

„Ach, das …“, setzte Gackt zu einer Antwort an, „ist schon ewig her. Ich hatte dir doch erzählt, dass meine Eltern uns ziemlich streng erzogen haben. Mein Vater wollte testen, ob ich sein musikalisches Talent geerbt hab, und hat deshalb einen Klavierlehrer für mich angeheuert. So wirklich toll fand ich es nicht, aber ich musste die Zeit trotzdem immer absitzen, selbst wenn ich nicht gespielt habe. Wahrscheinlich hab ich auch deshalb in den letzten Jahren kein Klavier mehr angerührt … wenn man als Fünfjähriger zu was gezwungen wird, prägt sich das schon ein, denke ich.“

„So früh schon?!“, entfuhr es mir. Denn ja, Gackt hatte mir tatsächlich schon einmal erzählt, dass seine Eltern ziemlich streng gewesen wären. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass sie so weit gehen und ihren Sohn zu etwas zwingen würden, was der absolut nicht wollte. Da kam ich mir plötzlich extrem verwöhnt vor, wie ich in dem Alter einfach nur mit meinen Freunden hatte spielen dürfen, ohne irgendwelche großartigen Verpflichtungen zu haben.

„Jep“, bestätigte mir Gackt nickend. „Und jetzt verstehst du sicher auch, wieso ich so schnell wie möglich auf eigenen Beinen stehen wollte. Ich liebe meine Eltern natürlich trotzdem … zumal sich meine Mutter vor einigen Jahren bei mir entschuldigt hat, dass sie mir das angetan hätten, aber sie haben eben immer nur das Beste für mich gewollt. Allerdings möchte ich dann lieber doch selbst entscheiden, was ich mit meinem Leben anfange. Ich hoffe auch noch, dass mein Vater nicht ganz so enttäuscht von meinem Lebenswandel ist, weil ich ja die Musik zumindest nicht ganz aufgegeben habe. Na ja … freut mich jedenfalls, wenn dir gefällt, was ich da zusammenklimpere. Danke …“ Und als ob er mir seine Dankbarkeit extra noch beweisen müsste, beugte er sich zu mir hinunter, gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und hatte sich schon wieder ganz aufgerichtet, noch bevor ich richtig auf seine Annäherung reagieren konnte. „Aber dein bestandener Abschluss ist jetzt eigentlich viel wichtiger und ich denke, wir sollten darauf wirklich anstoßen. Wir haben von You Geburtstagsfeier sogar noch eine Flasche Sekt übrig, die wir aufmachen können. Na, was sagst du?“

Oh, Gackt … oh, Gacchan … wie lieb er mich anlächelte, als er das fragte. Ich liebte es einfach und aus genau diesem Grund fühlte ich mich wohl auch nicht so seltsam wie ich es wohl hatte tun sollen, nachdem er mir diesen kleinen Kuss gegeben hatte. Meine Gefühle für ihn waren also definitiv noch da, doch ich wischte diese Erkenntnis einfach weg. Ich war wohl viel zu glücklich über dieses winzige bisschen Zuneigung, nachdem wir uns in den letzten Wochen nie so nahe gekommen waren.

„Gern“, hörte ich mich stattdessen nur sagen, woraufhin Gackt noch etwas breiter lächelte, damit sogar noch umwerfender aussah und in die Küche marschierte. Und ich folgte ihm auf dem Fuße – plötzlich ganz überzeugt davon, dass es uns beiden schon nicht schaden würde, wieder etwas enger miteinander umzugehen. Schließlich konnten Freunde auch eng miteinander sein!
 

Und genau das war es dann auch, was ich dachte, als ich mich einige Stunden später ziemlich angetrunken darauf einließ, über Nacht bei Gackt zu bleiben.

Anfangs sträubte ich mich allerdings ein bisschen, als ich mich verzweifelt an den Türrahmen der Küche klammerte, weil ich sonst sicherlich umgekippt wäre. Gackt hingegen schien es recht gut zu gehen, denn er war noch in der Lage, logisch zu argumentieren.

„Komm schon, Hyde“, sagte er nicht zum ersten Mal zu mir, „der Weg ist viel zu weit und du bist nicht mehr nüchtern. Schlaf dich erstmal aus, bevor du dich quer durch Tokyo schlägst.“

„Ngnnn … nee“, lallte ich und versuchte, die Welt irgendwie dazu zu bewegen, sich nicht mehr zu drehen, „Ken-chan wartet und … hier is doch kein … Platz.“

„Du redest Blödsinn, Hyde“, beschwichtigte Gackt mich dann wieder, lachte allerdings ob meiner Bemühungen, die natürlich zum Scheitern verurteilt waren, „für dich ist hier immer Platz und Ken wird es schon verstehen, wenn ich ihn anrufe und es ihm erkläre.“

„Aber … ich darf nich wieder in dein Bett …“

„Ich wollte dich ja auch auf der Couch einquartieren. Mach dir da also mal keine Sorgen. Komm schon, Hyde, komm …“

Und das war wohl auch das Kommando dafür, dass ich die Klappe halten und endlich einlenken sollte. Er ließ mich nun auch nicht mehr unbeholfen durch den Flur seiner Wohnung stolpern, sondern war an mich herangetreten und schloss mich in die Arme, stützte mich, damit es die Wand nicht mehr tun musste. Und kaum, dass er mich festhielt war dieses Gefühl von heute Nachmittag wieder da: Diese innere Zufriedenheit, die ich verspürte, wenn ich ihm nahe war.

„Na los, Hy-chan.“

„Hmm …“, brummte ich und lief ein bisschen holperig mit, während Gackt mich quasi ins Wohnzimmer schleppte. Dabei schmiegte ich mich an ihn und lächelte wahrscheinlich selig, denn so fühlte ich mich auch.

Vor der Couch angekommen, ließ Gackt mich los und ein bisschen unglücklich auf das Polster fallen, was wohl auch irgendwo meine Schuld war, da ich wie ein nasser Sack an ihm hing. Und weil ich nicht erwartet hatte, dass es so schnell schon abwärts gehen würde, hatte ich ihn nicht losgelassen. Ich hing noch immer an Gackts Arm, sodass ich ihn etwas mit nach unten zog. Er landete jedoch nicht auf mir, sondern konnte sich noch kurz vorher abfangen. Lachen tat er trotzdem leise ob dieser Aktion.

„Mensch, Hyde …“, schmunzelte er, ehe er sich wieder aufrichtete, um die Decke, die sonst immer schön zusammengelegt am einen Ende des Sofas lag, über mir auszubreiten. Schließlich war es gerade erst April und die milden Temperaturen sollte man nicht unterschätzen. Zumindest dachte sich das Gackt wohl, wo er sich doch schon die ganze letzte halbe Stunde Sorgen um meine Gesundheit machte. Und er hörte damit auch nicht auf: „Wenn du was brauchst, dann ruf einfach. Ich lass meine Tür offen, also sollte ich dich hören. Okay? … Hyde?“

„Hnn … okay …“, reagierte ich mit etwas Verzögerung und drehte mich auf die Seite, sodass ich auf Gackts Knie sah, wenn ich denn die Augen öffnete. Aber ich war anscheinend betrunken und müde genug, um das nicht mehr allzu gut hinzubekommen. Deshalb gab ich es schnell auf und antwortete ihm stattdessen blind.

„Okay, dann gute Nacht“, wünschte Gackt mir noch … aber er bewegte sich noch nicht von der Stelle. Stattdessen beugte er sich erneut zu mir hinab, um mir – wie heute Nachmittag schon – einen kurzen Kuss auf die Stirn zu setzen.

„Hmmm …“, seufzte ich leise und bekam erst dann von ganz weit weg irgendwie mit, wie Gackt den Raum verließ und außerdem das Licht ausschaltete. Gacchan … Gacchan … Mit den Gedanken bei ihm driftete ich schließlich in einen tiefen Schlaf über. Doch ich ließ ihn auch im Traumland nicht los, denn dort erfüllte sich endlich alles, was ich in der Realität nicht haben konnte.
 

*
 

24. April …
 

„Jetzt sag doch endlich was dazu!“

„Hm … was soll ich denn sagen?“

„Keine Ahnung … irgendwas … ich muss doch was tun.“

„Ach, Doiha …“, seufzte Tetsu und blickte mich sowohl ernst, als auch ein bisschen erschöpft an, „es tut mir ja wirklich leid, aber du hast dich selbst in die Situation gebracht, obwohl du das Risiko kanntest. Wieso hast du denn nicht von Anfang an darüber nachgedacht, was du im Fall der Fälle machen willst?“

„Weil alles so … na ja, ganz vernünftig klang es nicht, was Gacchan da gesagt hat“, begann ich, meinen besten Freund aufzuklären und stotterte dabei eher herum, als dass ich es wirklich flüssig herausbrachte … was mich nur noch dümmer wirken ließ als ohnehin schon, „aber er hat mir eben seine Sicht der Dinge erklärt und da schien es mir den Versuch wert zu sein …“

„Damit du merkst, dass du dich nur noch mehr in ihn verliebst“, ergänzte Tetsu für mich, obwohl ich es so deutlich gar nicht hatte sagen wollen. Aber ja, er hatte recht: Je mehr Zeit ich mit Gackt verbrachte, desto klarer wurde mir, dass meine Gefühle für ihn trotz der Tatsache, dass er sie nicht erwiderte, immer stärker wurden. Und der Traum vor ein paar Tagen war das letzte Indiz dafür gewesen, das ich nun wirklich nicht mehr hatte ignorieren können.

Das war mir dann auch alles so peinlich und unangenehm gewesen, dass ich mich am nächsten Morgen recht einsilbig gegeben und Gackt somit auch noch gesorgt hatte, weil ich so komisch war, wie er gesagt hatte. Das hatte die ganze Sache natürlich nicht besser gemacht, denn wo ich mit meinen blöden Träumen quasi schon unsere Abmachung untergrub, bereitete ich ihm nun auch noch Sorgen. Mit Gackt im selben Raum zu sein, mit ihm zu reden, diesen Gesichtsausdruck zu sehen und trotzdem zu versuchen, ganz auf locker zu machen, als ob alles in Butter wäre, hatte ich dann absolut nicht mehr ertragen und war noch vor dem Frühstück aufgebrochen. Und zu allem Überfluss hatte ich ihm vorgelogen, dass ich etwas Dringendes erledigen müsste. Damit er nicht wieder auf die Idee kam, mich zum Bleiben zu bewegen. Wie resistent ich dagegen war, hatte ich ja am Abend zuvor nur zu gut feststellen können. Dass ich dabei reichlich angetrunken war, spielte da auch keine Rolle mehr, denn ich war Gackt ganz eindeutig verfallen – ob nun nüchtern oder nicht. Und dass ich das nun endlich geschnallt hatte, bedeutete gleichzeitig, dass ich unbedingt etwas tun musste … nur was, das wusste ich noch nicht.

Aus genau diesem Grund hatte ich mich auch direkt an Tetsu gewandt und ihn um Hilfe gebeten, allerdings hatten seine seine Uni-Angelegenheiten und mein Job in der Poolhalle dafür gesorgt, dass wir uns erst heute hatten treffen können – so was machte man schließlich nicht per Telefon, E-Mail oder anderen unpersönlichen Kram aus! – und die Tage seitdem waren ziemlich schlimm gewesen. Immerhin hatte ich Gackt bei meiner Flucht aus seiner Wohnung versichern müssen, dass es mir auch wirklich gut ging und ich mich so schnell wie möglich bei ihm meldete. Natürlich hatte ich beides nur getan, um endlich aus dieser seltsamen Lage herauszukommen, und auch das hatte nicht unbedingt zur Besserung beigetragen. Ganz im Gegenteil, denn es hatte dafür gesorgt, dass ich seither wie auf glühenden Kohlen saß, damit ich gemeinsam mit Tetsu eine Lösung für mein Problem erarbeiten konnte, um wiederum endlich Gackt anrufen und ihm Entwarnung geben zu können. Bis dahin fühlte er sich bestimmt in seinen Sorgen bestätigt und … ach, fuck! Ich wollte doch nur mit diesem Kerl befreundet sein – wieso wurde mir das bloß so schwer gemacht?!
 

„Willst du wirklich wissen, was ich denke? Was du meiner Meinung nach jetzt tun solltest?“, fragte Tetsu mich schließlich, als sich meine Gedanken schon wieder so blöd im Kreis drehten und ich einfach keinen Ausweg daraus fand. Nun, er war dann mein Ausweg.

„Natürlich!“, rief ich schon fast und rutschte unruhig auf der Kante meines Bettes herum, wie um noch etwas näher an meinen besten Freund heranzukommen, der sich wie so oft meinen Schreibtischstuhl gekrallt und sich verkehrt herum darauf niedergelassen hatte. Aber was sollte ich auch sonst machen? Schließlich hatte ich ihn ja genau deshalb darum gebeten, bei mir vorbeizukommen!

„Also gut“, begann Tetsu betont, sodass mir schon jetzt nichts Gutes schwante, „mach Schluss damit. Triff dich nicht mehr mit ihm, rede nicht mehr mit ihm, vergiss ihn und beende die ganze Sache ein für alle Mal. Ich weiß, das gefällt dir jetzt überhaupt nicht, aber Doiha … du musst einsehen, dass diese Beziehung zu Gackt ein Fehler ist. Ihr habt es versucht und seid gescheitert … ihr habt es sogar noch weiter versucht, aber die Freunde-Schiene hat auch nicht geklappt. Alles, was er dir jetzt noch bringen kann, ist, dass du dich schlecht fühlst, weil du einfach nicht loslassen kannst und dich permanent nur dazu zwingst, das zu unterdrücken, was du wirklich willst. Wie ihr überhaupt auf diese bescheuerten Regeln kommen konntet! Es ist auch nicht in Ordnung von ihm, dich nicht endlich ziehen zu lassen. Wenn du ihm wirklich was bedeuten würdest, dann würde er doch sehen, wie schwer dir das alles fällt, und von sich aus Schluss machen. Aber er bleibt egoistisch und nimmt stattdessen in Kauf, dass du dabei verletzt wirst …“

„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, entgegnete ich, als Tetsu eine kleine Pause machte und kurz schwieg, „ich hab Gacchan wirklich sehr gern … ich liebe ihn und seitdem wir wieder Freunde sind, geht es mir doch wesentlich besser als vorher. Ich will ihn einfach nicht mehr vermissen müssen … und was ist denn so schlimm dran, wenn er weiter mit mir befreundet sein will, wenn ich das auch will? Ich sehe da eigentlich-“

„Das ist es ja genau, Doiha!“, fuhr Tetsu mir jedoch dazwischen, „du willst ja gar nicht nur mit ihm befreundet sein. Auch wenn ihr ausgemacht habt, dass ihr nur Freunde bleiben wollt, ist bei dir irgendwo das Gefühl, dass Gackt ja vielleicht doch irgendwann anfängt, dich zu lieben. Und weil das vielleicht passieren könnte, kannst du deine Gefühle ja schlecht aufgeben. Das musst du dir noch nicht mal bewusst denken, damit es da ist. Das ist jetzt nicht direkt deine schuld, Doiha, aber du bist der einzige, der das beenden kann, indem du die Sache mit Gackt beendest. Und ich bitte dich, dass du das auch wirklich tust. Ich mache mir schließlich auch Sorgen um dich … wir alle tun das.“ Er meinte es ernst, das war mir nur zu klar. Sein Blick, seine Tonlage und nicht zuletzt seine Worte selbst verrieten es mir. Und irgendwo hatte er sogar recht, schließlich hatte ich ja selbst schon festgestellt, dass das keine reine Freundschaft war, die ich da für Gackt empfand. Dass ich mir Hoffnungen machte, dass es eines Tages seine Gefühle wären, die sich änderten, war da auch nicht zu weit hergeholt. Aber was war schlimm daran?

„Ich kann das nicht“, sagte ich wieder und seufzte leise, „es ist Gacchan und … er hat so traurig ausgesehen, als er mich gefragt hat, ob wir es noch mal als Freunde versuchen wollen oder nicht. Ich will ihm ja auch nicht weh tun, wenn ich ihn einfach abschiebe, nachdem alles so gut geklappt hat.“

„Das Problem hattest du aber schon von Anfang an, Doiha“, erinnerte mich Tetsu dann, „und wir haben dir alle geraten, dass du drüber nachdenken sollst, was für dich selbst am besten ist. Ich will hier nicht der Spielverderber sein, der gegen jemanden wettert, den du gern hast, aber ich denke, dass du dich falsch entschieden hast. Ich denke, dass du den Kontakt wirklich abbrechen musst, um selber zur Ruhe kommen zu können. Ich will nämlich nicht, dass du dich für diesen kleinen Egoisten kaputtmachst.“

„Gackt ist kein Egoist!“, brauste ich auf einmal auf und merkte, wie sehr ich die Richtung, in die dieses Gespräch gerade ging, verabscheute. Und nicht nur das: Ich bereute sogar irgendwie, dass ich Tetsu angebettelt hatte, mir zu helfen. Ich hatte wohl erwartet, dass er mir wie beim letzten Mal noch einmal meine Möglichkeiten aufzeigte und mir den Rest überließ. Ich wollte die Gründe, die mich bei Gackt hielten, bestätigt und nicht widerlegt haben. So viel also dazu, dass mir einfach nur jemand sagen sollte, ob ich mich am besten für oder gegen Gackt entscheiden sollte. „Er macht sich genauso Sorgen um mich wie du!“

„Und wieso nimmst du ihn dann in Schutz und schreist mich an?“

„…“

„Ja?“

„Du verstehst mich einfach nicht!“, lautete schließlich meine Antwort auf Tetsus Frage. Dann herrschte erst einmal Stille, in der Tetsu mich nur anstarrte und mehrmals den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, ihn aber unverrichteter Dinge wieder schloss. Ich biss mir derweil auf der Unterlippe herum und merkte selber, wie kindisch dieser Satz klang. Zurücknehmen wollte ich ihn allerdings auch nicht. Ich hatte meinen Standpunkt klar gemacht und wenn Tetsu nicht damit klarkam … doch er schien sich geschlagen gegeben zu haben, selbst wenn er noch einmal deutlich machte, dass er nicht plötzlich meine Meinung teilte.

„Okay, okay …“, sagte er, seufzte und hob abwehrend die Hände, „ist deine Sache, was du jetzt tust. Ich wollte nur das Beste für dich, aber Verliebte soll man ja nicht aufhalten … oder so in der Art. Ich geh dann wohl besser mal. Sag einfach Bescheid, wenn man wieder normal mit dir reden kann oder-“

„Was?!“, rief ich dazwischen, als ich seine Worte hörte und er sich außerdem von meinem Schreibtischstuhl erhob, „wieso willst du denn jetzt gehen?“ Okay, das war jetzt richtig armselig von mir, aber ich fühlte mich im Moment einfach wieder so überfordert von allem, dass ich vermutlich zusammenbrechen würde, wenn man mich nicht an die Hand nahm. Ich saß zwischen den Stühlen und so sehr ich mir auch den Kopf zerbrach, ich kam auf keine Lösung. Tetsu konnte mich doch nicht wirklich damit allein lassen wollen!

Er schien das aber schon so zu sehen, denn er seufzte erneut: „Weil ich mir hier gerade den Mund fusselig rede und du trotzdem nicht drauf hörst. Du kannst doch nicht von mir verlangen, dass ich ewig bei dir bleibe und dir Vorträge halte, wenn du sowieso auf stur stellst und dann deinen Dickkopf durchsetzt. Ich bin nämlich nicht hergekommen, um dir Honig ums Maul zu schmieren, sondern um dir wirklich zu helfen.“

„Helfen? Wer braucht Hilfe?“, hing sich auf einmal noch jemand Drittes in unser Gespräch rein, „müssen wir mal wieder zu Haido-chans Rettung eilen? Unsere Jungfer in Nöten, haha.“

„Ken-chan!“, moserte ich und verschränkte die Arme vor der Brust, nachdem ich den ersten Schrecken überwunden hatte. Wie auch immer er es geschafft hatte, aber ich hatte die Wohnungstür nicht gehört und damit nicht mitbekommen, wie er nach Hause gekommen war. Und jetzt stand er plötzlich im Türrahmen zu meinem Zimmer und feixte.

„Na, na, mal nicht so finster, Kurzer“, meinte Angesprochener allerdings gelassen, betrat mein Zimmer endgültig und lehnte sich gegen meinen Schreibtisch – als ob er mit Tetsu eine Verschwörung gegen mich bilden wollte, „was ist denn überhaupt passiert? Du bist die Tage schon so komisch drauf gewesen.“ Er hatte es also bemerkt? Obwohl auch er ziemlich viel um die Ohren gehabt hatte und eigentlich fast nur zum Schlafen zu Hause gewesen war? Dadurch hatte ich nicht die Gelegenheit bekommen, ihn darauf anzusprechen, und mir gedacht, dass es ausreichen müsste, wenn ich Tetsu um Hilfe bat – schließlich war der auch seit Jahren schon mein bester Freund.

„Also? Raus mit der Sprache!“

„Na ja … es geht darum, dass …“, setzte ich an, aber Tetsu grätschte mir dazwischen und brachte die Sache mittels eines einzigen Wortes auf den Punkt.

„Gackt“, schnaubte mein bester Freund und brachte uns damit sofort wieder dahin zurück, wo wir aufgehört hatten. Dafür setzte er sich auch wieder auf meinen Schreibtischstuhl.

„Aha“, sagte Ken zwar, machte aber dennoch ein ziemlich fragendes Gesicht, „und was ist mit ihm schon wieder? Ich dachte, ihr hättet euch vertragen und würdet jetzt auf Freunde machen.“

„Wir machen nicht auf Freunde, wir sind Freunde!“, korrigierte ich ihn und ahnte schon, dass auch Kens Ankunft nicht viel verbessern würde.

„Dann bleibt trotzdem noch wie Frage, was wieder das Problem ist.“

„Dass Doiha sich was vorlügt“, kam Tetsu mir erneut zuvor, „er ist mehr denn je in Gackt verliebt und will einfach nicht einsehen, dass das alles nicht funktionieren wird. Aber wenn ich ihm sage, dass er es beenden soll, dann stellt er auf stur und will es nicht hören. Dabei denke ich doch auch nur dran, was für ihn am gesündesten ist.“

„Es geht mir einfach darum, dass ich uns damit nur unnötig weh tun würde – uns beiden“, begann ich schon wieder, mich zu erklären.

„Das hatten wir doch eben schon, Doiha“, seufzte Tetsu wieder, „du darfst hier nicht daran denken, wie es ihm geht, wenn er nicht dran denkt, wie es dir im Moment geht. Du musst das beenden, damit du über die Sache hinwegkommen und glücklich werden kannst, auch wenn's erst mal schwer ist.“

„Ich will aber nicht leiden müssen, um glücklich werden zu können. Ich will mit Gackt glücklich werden, mehr nicht!“, jammerte ich nun schon ein bisschen und wandte mich dann hilfesuchend an Ken, „das ist doch verständlich, oder? Ken-chan?“

Der antwortete aber nicht sofort, sondern kratzte sich erst einmal an der Stirn und machte ein verkniffenes Gesicht. Und dann – endlich! – stand er mir bei: „Na ja … es ist schwer, jemanden gehenzulassen. Ich kann also verstehen, wenn du dir und Gackt das nicht antun willst.“ Doch an seinem Tonfall konnte ich hören, dass nun sein eigentlicher Ratschlag kommen würde, der mir nicht gefallen würde: „Allerdings muss ich Tetsu recht geben: Wenn du ihn liebst und er dich nicht, dann kann das eigentlich nicht gut ausgehen. Glaub mir, wenn einer von beiden zu sehr klammert, wird das für den anderen schnell nervig und er ergreift die Flucht. Ich hab das schon zigmal durch und am Ende ist es immer hässlich ausgegangen, weil die Mädels, die da mit im Spiel waren, zu viel von mir erwartet haben, obwohl ich ihnen gesagt habe, wie das laufen wird. Im Grunde ist das mit dir und Gackt grade haargenau dasselbe. Und du willst doch bestimmt nicht, dass er irgendwann von dir so genervt ist, dass er dich abschiebt. Das wird dich nur noch mehr verletzten, als wenn ihr euch jetzt beide auf diese Trennung einigt.“

„Das wird nicht passieren“, lautete jedoch meine Antwort – und es war eine verzweifelte, denn ich wusste ja eigentlich ganz genau, dass er da aus Erfahrung sprach und deshalb quasi recht haben musste. Und trotzdem wollte ich, dass es anders war, denn egal, was er sagte und wie viel Sinn seine Worte machten, ich wollte nicht unter einer Trennung von Gackt leiden müssen.

„Nein, du willst nur nicht, dass das passiert“, schlussfolgerte Ken dann auch richtig – anscheinend war mein Gesichtsausdruck verzweifelt genug, damit er es direkt ablesen konnte, „aber wenn er nicht auch bald anfängt, dich zu lieben, dann wird es passieren. Und es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber ich denke nicht, dass du darauf hoffen kannst. Ihr wart monatelang zusammen, ihr habt diesen ganzen Pärchenkram gemacht und hattet wer weiß wie viel Sex. Du hast dich in ihn verliebt … denkst du nicht, dass er sich in der Zeit nicht auch in dich hätte verlieben müssen? Er hat dich sogar betrogen, Hyde, selbst wenn es ihm leidgetan hat. Und dass du ihm das verziehen hast, zeigt nur, wie sehr du da drinsteckst. Was passiert, wenn er das nächste Mal was mit jemandem anfängt, weil ihr ja nur Freunde seid?“

„Ich … nein, das … ich weiß nicht …“, stammelte und jammerte ich weiter. Eigentlich wimmerte ich es nun fast schon, denn ich merkte ganz genau, wie mir die Tränen aufstiegen. Ich wollte Gackt nicht verlieren, aber ich wusste genau, dass es mir das Herz brechen würde, wenn Gackt sich auf jemand anderen einlassen würde. Auch diesen Punkt hatte ich bisher nicht bedacht. Im Grunde wusste ich gar nicht, wie ich mir das alles vorgestellt hatte … vermutlich so, dass es einfach wie bisher weitergehen würde oder … ich hatte keine Ahnung. Und so langsam wurde mir immer klarer, dass Tetsus und Kens Vorschlag wirklich der einzige Weg war, der mich langfristig gesehen vor großem Unglück beschützen konnte.

Es brachte nichts, sich einreden zu wollen, dass die beiden maßlos übertrieben, dass ja nicht wirklich etwas passiert wäre und ich nur bemerkt hätte, dass ich Gackt immer mehr liebte und es mir ansonsten gut ging. Es ging mir eben nicht gut, selbst wenn es Gackt war und er mir niemals bewusst weh tun würde. Es hatte mich schon einmal an den Rand der Verzweiflung getrieben und im Grunde ging es hier immer noch um das gleiche Problem. Meine rosarote Brille wurde langsam, aber sicher immer durchsichtiger.

Und dennoch war da diese Seite in mir, die es nicht wahrhaben wollte, für die unsere guten Zeiten viel zu kostbar waren, als dass sie Gackt so einfach loslassen konnte. Es ging nicht und deshalb wollte sie auch den Kontakt nicht abbrechen, egal, wie klar mir alles mittlerweile sein mochte.

„Ach, Doiha“, murmelte Tetsu, als er sich schließlich doch erhob. Allerdings nicht, um zu gehen, sondern um zu mir zu kommen und mich in die Arme zu nehmen – genau so wie damals, ehe ich diese Beziehung mit Gackt begonnen hatte. Auch da hatte Tetsu nur mein Bestes gewollt – nämlich, dass ich mich mit Gackt vertrug, weil mich alles andere so fertig gemacht hatte. Doch ich gab ihm nicht die Schuld für mein derzeitiges Elend, denn in diesem Moment hatte noch nicht einmal ich vorhersehen können, dass ich nur kurze Zeit später in einer Beziehung stecken würde.

„Tet-chan …“, schniefte ich.

„Ist schon gut“, antwortete er daraufhin sanft, „ich will nur nicht, dass du auf die Nase fällst. Im Gegensatz zu Gackt habe ich nämlich nicht vor, dich einfach mit dem ganzen Mist allein fertig werden zu lassen. Wenn er schon dumm genug ist, nicht zu merken, wie sehr du unter eurer sogenannten Freundschaft leidest, dann sollte er wenigstens Verständnis zeigen und dich gehen lassen, wenn du es ihm sagst.“

Es ihm sagen … ich nickte.

Ja, ich würde es ihm sagen müssen … nur wann ich dazu in der Lage wäre, das war die Frage.
 

tbc.

Love Addict

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Fruits of Chaos

4. Mai …
 

Alles wie immer, war mein letzter Gedanke gewesen, ehe ich an diesem Morgen wieder im Land der Träume versunken war. Es war noch halb in der Nacht gewesen, auch wenn es schon langsam hell geworden war. Ein paar Stunden später, als man es dann wirklich als Morgen oder fast schon als Vormittag bezeichnen konnte, sah das leider etwas anders aus. Sehr anders. Aber wenigstens … wachte ich auf.
 

Als ich die Augen öffnete, stach mir das Licht beinahe schmerzhaft ins Gesicht, da Gackt sich letzte Nacht tatsächlich nicht bemüht hatte, die Jalousien herunterzulassen. Reflexartig kniff ich daher nicht nur die Augen zu, sondern schirmte sie auch mit der rechten Hand ab und murrte außerdem unzufrieden. Dabei ließ ich natürlich Gackts Hand los, die noch immer auf meinem Bauch lag … und veranlasste ihn anscheinend auch dazu, mich fester in seine Umarmung zu ziehen. Ich war immer noch ziemlich müde und etwas umnachtet, sodass ich wie letzte Nacht schon nicht wirklich realisierte, was wir da taten, als ich mich auf seine Reaktion hin ebenfalls enger an seinen Körper schmiegte. Ich konnte dann sogar Gackts Atem in meinem Nacken spüren, was mich milde lächeln ließ. Und das wurde dann auch noch etwas breiter und sehr viel schmutziger, als ich spürte, wie etwas Hartes gegen mein Gesäß drückte.

Es erinnerte mich an die zahlreichen Gelegenheiten in unserer Beziehung, da wir gemeinsam im selben Bett aufgewacht waren und uns zur Begrüßung des noch jungen Tages erst einmal uns selbst und unseren Bedürfnissen gewidmet hatten – egal, ob wir nun richtig Sex gehabt hatten oder nicht. Es war einfach wunderbar gewesen, so voller Zuneigung, und nach der letzten Nacht und dem atemberaubenden Sex, nach dem ich mich so gesehnt hatte, war es nun auch wieder so. Ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus und ich war wirklich glücklich … für ungefähr zwei Sekunden, denn dann strömte auf mich ein, was ich in der letzten Nacht so erfolgreich verdrängt hatte: Ich hatte mich so sehr danach gesehnt, Gackt endlich wieder nahe sein zu können, weil wir uns vor ungefähr drei Monaten getrennt hatten. Und ich lag nur hier, weil er mich quasi angebettelt hatte, dass wir wieder Freunde wurden. Ich hatte mich geweigert und schließlich unter der Bedingung eingewilligt, dass wir die Grenze der Freundschaft um nichts in der Welt überschritten – also keine Flirterei, keine Küsse, kein Fummeln und erst recht kein Sex. Kein Sex!

Augenblicklich fühlte ich mich überhaupt nicht mehr wohl in meiner momentanen Position, in Gackts Armen und dazu auch noch splitterfasernackt. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, doch es war nicht das gute Gefühl, das Gackt in der Vergangenheit oft genug in mir ausgelöst hatte. Stattdessen war es pure, bittere Reue – Reue über das, was wir getan hatten, was ich getan hatte. Schließlich war ich es gewesen, der alle Vorsicht fahren gelassen und das Intermezzo von letzter Nacht überhaupt erst angezettelt hatte. Ich erinnerte mich an alles, an jedes Detail, ob nun gut oder schlecht, und die Erinnerung sagte mir, dass Gackt eindeutig nicht damit gerechnet hatte, so von mir überfallen zu werden. Dabei konnte ich ihm natürlich genauso vorwerfen, dass er nicht mehr dagegen getan hatte, als ein bisschen verwundert zu sein. Aber im Augenblick empfand ich es als viel schlimmer, dass ich meine eigenen Regeln gebrochen hatte. Selbst wenn Gackt mich zurückgehalten hätte, wäre es vorbei gewesen. Und das war es, was absolut niemand mehr leugnen konnte – am allerwenigsten ich selbst. Die Blase, in die ich mich eingeschlossen hatte, die alles hatte abprallen lassen, was mich hätte stutzig werden lassen, war im Endeffekt doch noch geplatzt, und ließ mich mit der kalten, grausamen Wahrheit zurück.
 

Aber auch mit dieser Erkenntnis war es noch nicht vorbei, denn ich fühlte mich mittlerweile so unwohl, dass ich nicht anders konnte, als – wieder einmal – die Flucht ergreifen zu wollen. Ich wollte einfach nur weg, doch das ging schlecht, da Gackt mich immer noch im Arm hielt. Jede Bewegung, die ich machte, bekam er mit und würde sicherlich wach sein, noch bevor ich all meine Kleider vom Boden aufgelesen und angezogen hatte.

Doch noch bevor ich meine Fluchtgedanken überhaupt richtig in Angriff nehmen konnte, wurde mir noch etwas klar: Es war vorbei und es würde nichts nützen, wenn das nur einer von uns beiden wusste … also, richtig wusste und die Gründe kannte. Im Klartext hieß das, dass ich nicht gehen durfte, ehe ich nicht mit Gackt darüber gesprochen und alles geklärt hatte. Ich durfte mich diesmal nur nicht wieder um den Finger wickeln lassen … wobei ich bezweifelte, dass Gackt das diesmal schaffen würde. Es war zu spät, es war kaputt.
 

Frustriert schloss ich die Augen und atmete noch einmal tief durch, um mich dafür zu wappnen, was ich gleich würde tun müssen. Und ich konnte jetzt schon spüren, wie sich in meinem Hals ein dicker Kloß bildete und meine Augen feucht wurden. Alles in mir sträubte sich mit Kräften, dass ich diesen Schlussstrich zog … und gleichzeitig wusste ich doch, dass es das Beste war – es war das pure Chaos.

Ich wischte mir noch einmal über die Augen und massierte mir kurz die Nasenwurzel, ehe ich mich aufrichtete und eine Hand nach Gackt ausstreckte. Eigentlich hatte ich ihn an der Schulter wachrütteln wollen, doch im letzten Moment entschied ich mich dafür, es nicht zu tun. Stattdessen nutzte ich die letzte Gelegenheit für Zärtlichkeiten aus und strich im sanft durch seine verstrubbelten Haare und über die Wange. Er schlief so friedlich und ahnte gar nicht, was gleich geschehen würde – und das machte es nur schwerer, bei meiner Entscheidung zu bleiben und nicht ins Wanken zu geraten. Ich wollte nicht … aber es musste sein, rief ich mir ins Gedächtnis.

„Gackt … Gacchan“, sagte ich schließlich leise und strich ihm weiter über die Wange, zeichnete seine Lippen und seine Nase nach, „Gacchan, du musst aufwachen … ich muss dir was sagen.“ So wie ich mich zuvor schon gesträubt hatte, wünschte ich mir jetzt verzweifelt, dass er die Augen nicht aufschlug, um mir zuzuhören. Es tat jetzt schon so furchtbar weh, dass es kaum auszuhalten war. Wie würde es sich nur anfühlen, wenn ich mich dann tatsächlich von ihm trennte? Ich würde es bald erfahren, denn meine Versuche, Gackt aus dem Traumland zu wecken, fruchteten endlich, obgleich ich vielleicht nicht sonderlich hartnäckig gewesen war. Wie ich vorhin auch, rieb er sich über das Gesicht – doch er wollte nur den Schlaf aus den Augen bekommen und nicht Tränen fortwischen.

„Guten Morgen“, begrüßte er mich dann, setzte sich auf und schenkte mir eines seiner atemberaubenden Lächeln, die mich sonst immer in ein Hochgefühl versetzt hatten. Die dafür gesorgt hatten, dass ich mich mehr und mehr in ihn verliebte. Doch heute war es anders – und das schien auch Gackt zu bemerken, denn dieses herrliche Lächeln verschwand ziemlich schnell, nachdem er mich angesehen hatte. „Was ist los?“, fragte er stattdessen.

Der Kloß in meinem Hals verhinderte, dass ich ihm klar antworten konnte. Aus meinem Mund kam nur ein erbärmliches Krächzen, eine Mischung aus verschiedenen Lauten … ich wusste auch gar nicht, wie ich es richtig anfangen sollte. Und das war dabei herausgekommen.

„Hyde …“, sofort war Gackt bei mir, lehnte sich nach vorne und legte seine Hände auf meine Wangen. „Was ist denn los?“, wiederholte er, „geht es dir nicht gut?“

Ich schüttelte den Kopf und schluckte dabei heftig, in der Hoffnung, den Kloß vertreiben und endlich zu Wort kommen zu können. Es tat wieder weh.

„Keine Sorge“, wollte Gackt mich beruhigen, „ich bin da. Sag mir einfach, was los ist und wir finden eine Lösung. Ich versprech's dir.“ Und dann drückte er mir einen kurzen Kuss auf den Mund – wohl in der Hoffnung, dass es mir dann leichter fallen würde, ihm von meinen Problemen zu erzählen. Ein kurzer Kuss war es nur, weil ich nach hinten zurückwich und mich komplett von ihm losriss, sobald ich seine Lippen auf meinen gespürt hatte. Ich wusste nicht, ob das schon Zeichen genug war, um Gackt darauf zu bringen, um was es mir ging, aber ich wollte mir darüber auch keine Gedanken machen. Es durchzuziehen, es ihm zu sagen, würde all meine Kraft kosten; ich konnte also nichts davon mit sinnlosen Überlegungen verschwenden.

Es dauerte noch ein paar Momente, in denen wir beide schwiegen und ich stattdessen noch ein paar Mal schluckte, um meine Kehle zu befreien. Es wirkte endlich, wenn es auch nicht allzu viel brachte. Trotzdem war ich endlich in der Lage, Worte auszusprechen und Sätze zu formen, so schrecklich und verzweifelt sie auch klingen mochten: „Ich … es geht nicht mehr. Wir können … wir können das nicht mehr machen.“

„Was?“, hakte Gackt tonlos nach, doch ich wusste, dass er genau verstanden hatte, worum es mir ging. Er konnte nicht so dumm oder blind sein, um es wirklich nicht zu ahnen. Vielleicht spielte er nur auf Zeit oder … konnte sich einfach nur nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass es gleich vorbei sein würde. So wie ich. Es tat ihm weh. So wie mir.

„Uns sehen“, antwortete ich, nachdem ich noch einmal einen tiefen Atemzug hatte nehmen müssen, um das jetzt möglichst in einem Rutsch durchziehen zu können. Denn ich glaubte nicht, dass ich noch einmal die Kraft dazu haben würde. Es ging hier schließlich nicht darum, die Sache auszudiskutieren. Ich kannte Gackts Standpunkt nur zu genau und meinen sogar noch besser. Und trotzdem musste ich etwas tun, das dem widersprach … ich würde es tun. „Wir hatten ausgemacht, dass wir nur Freunde sind und nichts anderes.“

„Sind wir doch auch“, beteuerte Gackt, „das war nur ein Ausrutscher, eine einmalige-“

„Nein, war es nicht!“, platzte ich daraufhin heraus und sah ihn so fest an, wie ich nur konnte. Das war nicht so leicht, denn Tränen begannen nun, mir die Sicht zu verschleiern, „es war vielleicht ein Ausrutscher, aber es wird keine einmalige Sache bleiben, wenn wir uns weiter sehen. Ich liebe dich, Gacchan, ich liebe dich immer noch und … und vielleicht sogar mehr als vorher. Ich hab gehofft, dass es mit der Zeit einfach weggeht, aber das ist es nicht … und das wird es auch nicht, wenn wir weiter so tun, als wäre nie was zwischen uns gewesen!“ Tränen strömten mir jetzt über die Wangen und tropften auf die Bettdecke und meine Hände in meinem Schoß. „Du kannst mich nicht lieben und das wird sich auch nicht ändern. Und es reicht mir einfach nicht, wenn … wenn ich dich nicht ganz haben kann. Ich halt das nicht mehr aus!“
 

Danach schwiegen wir für einen Moment, in dem ich die Faust gegen meinen Mund drückte und diesmal überall hin blickte, nur nicht zu Gackt. Ich wusste, dass ich ihm damit ebenso weh tat wie mir, und das wollte ich nicht sehen. Ich hatte Angst vor dem, was kommen würde – ganz gleich, was es war. Wahrscheinlich würde er sauer sein, dass ich erst mit ihm schlief und ihn dann von mir wegstieß. Doch seine tatsächliche Reaktion hatte ich nicht erwartet.

„Es tut mir leid.“

„Was?“ Nun schaute ich doch zu ihm.

„Es tut mir leid“, sagte er noch einmal, „ich wollte nicht, dass es dazu kommt. Ich hab dir ja selbst noch gesagt, dass du anderen keine unnötigen Hoffnungen machen sollst, als wir uns kennengelernt haben. Und jetzt bin ich auch nicht besser.“

„Ach, Gacchan!“ Ich konnte es nicht fassen. Es war als ob, egal was er tat, ich mich einfach nur noch mehr in ihn verlieben konnte. Er war so lieb, so unendlich lieb – auch jetzt noch! – dass jeglicher Zorn, den ich auch nur ansatzweise hätte verspüren können, sofort verpuffte. Ich wünschte mir nur, dass er sich auch in mich verliebt hätte, das wäre dann wahrscheinlich das Glück meines Lebens gewesen. Aber nein, das war mir nicht vergönnt. Warum konnte er mich nur nicht lieben? Warum nicht? „Warum?“, fragte ich dann auch noch halblaut – eher für mich selbst als für irgendjemand anderen.

Er schien es trotzdem verstanden zu haben, denn er antwortete mir und klang dabei so aufrichtig, wie ich es mir nur vorstellen konnte: „Ich weiß es nicht. Da ist so viel … aber …“

„Aber es reicht nicht“, vollendete ich seinen angefangenen Satz und schaute ihm nun doch wieder in die Augen.

„Nein, das ist es auch nicht“, widersprach Gackt mir jedoch. „Ich bin gerne mit dir zusammen, nur … es fühlt sich nicht wie sonst an, wenn ich in jemanden verliebt war. Es ist … ich kann es nicht genau sagen … Ich hätte mich wirklich gerne in dich verliebt, allein schon weil du es verdient hast … und weil du mir wirklich viel bedeutest, das musst du mir glauben!“ Ich nickte an dieser Stelle stumm. Zu mehr war ich nicht fähig, denn auch wenn seine Worte mir helfen sollten, so taten sie mir doch nur noch mehr weh und zeigten mir, dass es nicht einmal einen winzigen Funken Hoffnung für mich gab … oder je gegeben hatte. „Ich hab drauf gewartet, dass es passiert, aber es kam einfach nicht.“
 

„Hm …“, brummte ich. Das war es dann also. Alles war gesagt, wir konnten niemandem mehr etwas vorlügen – weder uns gegenseitig noch uns selbst. Der Moment des Abschieds war gekommen. Stumm stand ich auf und schlüpfte in meine Sachen, die auf dem Fußboden verstreut gelegen hatten. Dabei drehte ich ihm den Rücken zu, denn ich fühlte mich noch immer sehr labil. Der Schmerz in meinem Inneren betäubte mich etwas, aber … ich traute mir einfach nicht wirklich.

Und dennoch konnte ich nicht einfach so gehen, ohne einen richtigen Abschied, einen letzten Augenblick, der nur uns beiden gehörte und sich nie aus unserem Gedächtnis löschen würde. Denn so sehr ich mir misstraute, so sehr vertraute ich Gackt – noch immer.

Dazu räusperte ich mich, um meine Kehle erneut freizumachen, hockte mich mit einem Knie zurück auf die Matratze und streifte dann das schwarze Armband aus Onyx-Kugln ab, das ich in der letzten Zeit so gut wie immer getragen hatte. Und Gackt reagierte haargenau so wie ich es mir vorgestellt hatte.

„Ich kann das nicht zurücknehmen“, sagte er, noch bevor ich es ihm geben konnte, „ich hab es dir geschenkt und ich will, dass du es behältst … als Erinnerungsstück.“ Mir gefiel, was ich da hörte, und doch … und doch war mir nur zu bewusst, dass ich mich nicht darauf einlassen durfte. Ich durfte mich nie wieder in auch nur der geringsten Weise auf Gackt Camui einlassen – und sei es drum, dass es nur um ein Armband ging.

„Ich würde nicht von dir loskommen“, entgegnete ich, nahm seine Hand und legte das Schmuckstück hinein, ehe ich sie mit meinen umschloss. Erneut schien Gackt es zu verstehen, denn er widersprach nicht. Er ließ einfach es nur zu, gönnte mir diesen Moment.

Vielleicht ahnte er aber auch schon, was ich als Nächstes vorhatte. Er hielt vollkommen still, als ich mich nach vorn lehnte, um ihm einen Abschiedskuss zu geben. Es war der sanfteste Kuss, den wir je miteinander geteilt hatten, und wenn es nicht das Ende gewesen wäre, dann hätte ich sicherlich nicht genug davon bekommen können. Seine Lippen strichen nur federleicht über meine, als ob er Angst hätte, dass ich zu Staub zerfallen könnte, sobald er mehr Intensität und Leidenschaft hineinlegte. Nun … vermutlich lag er damit sogar richtig. Ich hatte nie herausgefunden, wie er es anstellte, aber immerhin war Gackt sehr gut in der Lage, in mir zu lesen wie in einem offenen Buch. Nur dieses eine Mal nicht – nur einmal hatte er mich nicht zu deuten vermocht und dafür hatte er sich gerade den wohl wichtigsten Teil unserer verdrehten Beziehung ausgesucht.

Wenn ich das umgekehrt auch gekonnt hätte, wäre dann irgendetwas anders verlaufen? Wäre ich weniger verletzt worden oder vielleicht sogar gar nicht? Wären Gackt und ich dann nur normale Freunde geworden, die ab und zu etwas miteinander unternahmen, um Zeit totzuschlagen oder weil sie die Anwesenheit des anderen schätzten? Ich wusste es nicht und im Grunde war es auch unfair, dass Gackt so viel mehr über mich zu wissen schien als ich über ihn. Doch das Herz will, was das Herz will, und in meinem Fall hatte es sich damit so derbe auf die Schnauze gelegt, wie es schlimmer nicht gehen könnte. Es gab keinen anderen Ausweg, als diesen …

Der Kuss dauerte nur ein paar Sekunden, denn wir wussten beide, dass es nicht mehr zu reparieren war. Wortlos richtete ich mich auf, ließ Gackt los, dessen Finger meinen langsam entglitten, und ging ebenso wortlos hinaus in den Flur. Vorne an der Tür zog ich mir die Schuhe an und weinte dabei, ohne auch nur einen einzigen Laut zu machen. Kein Wimmern, kein Klagen – ich musste stark sein … stark werden, denn ich konnte mir nur zu genau vorstellen, durch welche Hölle ich in den nächsten Wochen gehen würde. Und ich war froh, dass Gackt taktvoll genug war, um mich allein gehen zu lassen.
 

Die frische Luft, die mir um die Nase wehte, als ich hinaus auf die Feuertreppe trat, um meinen üblichen Rückweg anzutreten, tat unglaublich gut. Es fühlte sich an, als ob ich seit Wochen keinen Fuß mehr vor die Tür gesetzt hätte und jetzt endlich … frei wäre. Diese Gedanken und dieses Gefühl schmeckten ein wenig bitter, denn es kam mir so vor, als würde ich Gackt ein Unrecht antun. Er hatte mich nie in einen Käfig gesperrt, sondern ich selbst hatte das getan. Er hatte mir die Wahl gelassen und ich hatte mich darauf eingelassen.

Während mich meine Füße die Metallstufen hinabtrugen, spürte ich, wie etwas in meiner Hosentasche vibrierte, und nur eine halbe Sekunde später, ertönte auch eine kurze Melodie. Mein Telefon; ich hatte eine Nachricht bekommen und blieb auf Höhe des zweiten Stockwerks stehen. Mit ein wenig Angst, steckte ich die Hand in die Tasche, um das Handy herauszufischen. Sollte Gackt womöglich … doch meine Panik war unbegründet. Es war nicht Gackt, der mir direkt nach dem Verlassen seiner Wohnung etwas hinterherschicken wollte, sondern Tetsu:
 

Kommst du heute Abend mit einen trinken? Diese Arbeit macht mich sonst noch wahnsinnig!
 

Seine Abschlussarbeit, natürlich. Was sollte ihn am frühen Vormittag auch sonst die Laune derartig verderben? Ich gluckste leise und es fühlte sich ebenfalls befreiend an. Schnell tippte ich eine Antwort.
 

Hast du irgendwas Bestimmtes im Auge?
 

Seine Rückmeldung kam nur Sekunden nach meiner:
 

Nope, einfach nur saufen. Und Ken-chan beim Aufreißen zusehen. Bist du dabei?
 

Ich schrieb ihm, dass er mit mir rechnen konnte und schickte die Nachricht ab, ehe ich mein Adressbuch aufrief und dort nach einer ganz bestimmten Nummer suchte. Das Menü zeigte mir mehrere Optionen an – anrufen, Nachricht senden, Bild und Ton zuweisen, kopieren, verschieben und schließlich …
 

Wollen Sie den Kontakt GACKT unwiderruflich löschen?
 

Ja … das wollte … musste ich. Und das tat ich auch. Jetzt war ich wirklich frei und konnte mich aufmachen – hinein in das Leben nach meinem Intermezzo mit einem Fremden.
 

Leb wohl, Gacchan, hoffentlich wird dein nächster Versuch besser als der, den wir mitienander hatten.

Hello

Drei Jahre später, 16. Mai …
 

„Urgs, wieso ist das denn wochentags hier so gerammelt voll? Haben die alle nichts zu tun?!“, murrte ich halbherzig, während ich mich hinter Tetsu durch die Menge einer Einkaufspassage schob, die tatsächlich selbst für Tokyo in diesem Moment ungewöhnlich dicht war.

„Keine Ahnung, vielleicht ein Schlussverkauf“, stellte mein bester Freund seine Vermutungen an, „guck doch mal, Doiha, das sind fast alles nur Frauen. Scheint wohl irgendwo ein neues Geschäft aufgemacht zu haben und jetzt gibt es Sonderangebote bis zum Umkippen. Wir könnten ja mal-“

„Nein!“, fuhr ich ihm entschieden dazwischen und packte ihn am Ärmel, um ihn bloß nicht zu verlieren, „geht uns nichts an, was hier ist.“

„Ich weiß, ich weiß. Wir sind ja sowieso schon spät dran“, entgegnete Tetsu zwar, aber ich konnte das sehnsuchtsvolle Seufzen in seiner Stimme nur allzu deutlich hören.

„Du meinst wohl, du bist spät dran“, korrigierte ich ihn deshalb und warf einen grinsenden Blick über die Schulter, „du hast dich echt kaum ein Stück verändert, seit wir aus der Uni raus sind. Immer noch alles auf den letzten Drücker.“

Er streckte mir die Zunge heraus und griff nun auch seinerseits nach dem Träger meiner Umhängetasche, weil das Gedränge wirklich ziemlich eng war. Doch was er auch tat oder sagte: Ich hatte vollkommen recht – das sahen auch andere so, und immerhin waren wir nun alle drei Jahre älter. Ken hatte es mittlerweile zum Doktoranden geschafft, Yuki hatte noch immer seine alte Arbeit, die ihm trotzdem noch sehr viel Spaß machte, Tetsu stand mit seiner Stelle bei einem Indie-Label ebenfalls mitten im Leben und ich hatte auch etwas in meiner Richtung ergattern können und restaurierte nun alte Handschriften im nationalen Literaturarchiv. Ich war vor Freude fast im Dreieck gesprungen, als ich die Zusage bekommen hatte, und auch danach hatte dieses Gefühl nicht nachgelassen. Ohne Zweifel, ich mochte meinen Job, ich mochte ihn so sehr, dass ich mir gar nicht so oft frei nahm, sondern lieber weiter an den Handschriften arbeitete, sie untersuchte und wieder herrichtete, damit man sie studieren oder der Öffentlichkeit zeigen konnte.

Heute war allerdings einer meiner seltenen freien Tage und als ob das Schicksal es gewusst hätte, hatte es mir doch noch etwas aufgeladen. Oder ich gab ganz einfach Tetsu die Schuld daran, denn er war es schließlich, der seinen eigenen Jahrestag mit Ayana vergessen hatte und mich jetzt durch Tokyos zahlreiche Kaufhäuser schleifte, um noch in letzter Minute ein Geschenk für den besonderen Anlass zu besorgen. Es war immerhin das Fünfjährige der beiden und er befürchtete – zurecht, wie ich annahm – dass Ayana ihn sonst aufs Übelste bestrafen würde. Seinen Kopf würde sie schon dran lassen, aber ich vermutete, dass sie ihn sträflich ignorieren und Tetsu dann ständig seine Freunde – mich, Ken und Yuki – vollheulen würde, wie schlecht es ihm doch ging. Ken würde das mit einem „Du fauler Sack hast es verdient“ abwinken und ihn dann bei mir abliefern, aber so sehr ich Tetsu sonst auch mochte, das konnten meine Nerven auf die Dauer nicht aushalten. Da rannte ich lieber durch die halbe Stadt, als mir das anzutun.

Nun, zurück zum Kaufhaus und den Leuten und dem, was ihre Aufmerksamkeit so sehr auf sich zog, dass sie es noch nicht einmal bemerkten, wenn man sich entschuldigend und winkend an ihnen vorbeiquetschen wollte. Einige von ihnen schienen sogar zu denken, dass wir uns an ihnen vorbeidrängeln wollten, um uns einen besseren Platz zu sichern. Und genau das war es wohl, warum das ganze Tamtam so langsam auch mein Interesse erregte – man war schließlich Mensch und damit ziemlich neugierig. Aber so sehr ich den Hals auch reckte, ich war gerade einmal groß genug, um die Köpfe der Menge zu sehen, und einfach viel zu klein, um auch nur ansatzweise etwas erkennen zu können.

„Sieht so aus, als wäre irgendein Promi hier“, warf Tetsu ein, dem die ganzen kleinen Mädchen direkt vor seiner Nase eine bessere Sicht zu bescheren schienen (und natürlich war er auch etwas größer als ich), „die haben da vorne einen Glaskasten aufgebaut und da sitzt jemand drin. Für's Radio, denke ich. Bestimmt so ein Schönling aus dem Fernsehen, deshalb stehen die ganzen Mä- …“

„Ja?“ Ich hatte es mittlerweile aufgegeben, selbst etwas erkennen zu wollen, und sah nun stattdessen verdutzt zu meinem besten Freund, nachdem der mitten im Wort einfach nicht mehr weitergesprochen und stattdessen die Augen für einen Moment aufgerissen und den Mund dann schlagartig zugeklappt hatte. „Was ist? Wer ist es denn nun?“

„Äh … niemand“, stammelte Tetsu jedoch und machte mir damit nur umso deutlicher, was ich schon vermutete: Irgendwas stimmte da nicht. Und dass er auf einmal hartnäckig versuchte, mich wieder zum Gehen zu bewegen, machte es nicht unbedingt besser. „Lass uns nicht länger rumstehen, sonst lyncht mich Ayana noch. Wir haben nicht mehr so viel Zeit, was Gutes zu finden.“

„Sind wir für die Spielchen nicht ein bisschen zu alt?“, witzelte ich, reckte mich aber trotzdem noch einmal, in der Hoffnung, dass die zwei Schritte, die mich Tetsu weiter nach vorn geschubst hatte, mir ein wenig mehr Sicht verschafft hatten.

„Doiha, bitte. Ich will nicht, dass-“

Aber was er wollte, erfuhr ich nicht mehr, denn der Mob vor uns begann plötzlich zu kreischen und mit den Armen in Richtung des Glaskastens zu wedeln, den ich nun mittlerweile auch sehen konnte. Und ich wollte meinen Ohren nicht trauen, als ich erkannte, was sie da riefen: „Gackto-san! Gackto-saaaaan!!!“

Nein, das war er nicht. Es gab sicher hunderte, tausende von Menschen, die diesen Namen trugen. Tetsu hatte vermutlich recht und es war nur ein Schönling aus dem Fernsehen, der den jungen Mädchen und den Frauen mittleren Alters für ein paar Monate den Kopf verdrehte, ehe er wieder in die vollkommene Vergessenheit hinabrutschte. Es war Zufall, nur ein Zufall, nur … war es nicht, denn ich bemerkte nun, wieso sie plötzlich mit dem ganzen Lärm begonnen hatten: In dem Glaskasten war jemand aufgestanden, der der Menge in einer Mischung aus Schüchternheit und Freundlichkeit zuwinkte. Außer seinen durchgestylten blonden Haaren konnte ich nur noch seinen linken Arm erkennen, an dessen Handgelenk ein Band aus großen schwarzen Kugeln hing.

„Doiha …“, unternahm Tetsu einen erneuten Versuch, meine Aufmerksamkeit zu erlangen und mich aus der Menge zu schieben. Doch es war zu spät. Ich war nun selber nicht besser als die drängelnden, quietschenden Menschen, als ich mir mit der Ellenbogentechnik meinen Weg nach vorne erkämpfte. Ich wollte an das Glas, ich wollte unbedingt sehen, wer dort war. Ich war nur nicht sicher, welche Erkenntnis mir lieber war: Dass ich mich geirrt hatte oder dass dort vorne tatsächlich Gackt saß, Gacchan, und sich bejubeln ließ. Und wenn er es war, wie würde er dann reagieren, wenn er mich sah? Wie würde ich reagieren?!

Ich hatte schon lange nicht mehr an ihn gedacht und das war auch gut so, denn die Zeit nach unserer endgültigen Trennung war noch viel schlimmer gewesen als die unserer vorübergehenden. Es hatte mich jede Menge Kraft, Nerven und schließlich auch Tränen gekostet, bevor es wieder bergauf gegangen war, bevor ich wieder nach vorne hatte blicken können. Und meine Freunde hatten erneut alle Hände voll zu tun gehabt, damit ich nicht vollkommen abstürzte und am Ende vielleicht noch … sie hatten es wirklich nicht leicht mit mir gehabt und nun … begann alles wieder von vorn?

Womöglich sollte ich nicht hingehen, ich hatte noch immer Zeit, einfach stehenzubleiben und mich stattdessen wieder nach hinten aus der Menge herauszukämpfen – einfach mit Tetsu weiter durch die Läden zu ziehen und so zu tun, als wäre nichts gewesen. Die Person da vorne, wer auch immer sie war, ging mich nichts an, sollte mich nicht interessieren … und doch tat sie es, denn ich hatte den Ausdruck auf Tetsus erschrockenem Gesicht gesehen, und das sagte mir eigentlich schon alles, was ich wissen musste.

Ich konnte es nicht lassen, ich konnte es einfach nicht: Ich brachte auch noch die letzten beiden Reihen von Menschen hinter mich, die zwischen mir und dem Glaskasten standen, und sah ihn dann endlich. Er hatte einiges mit seinen Haaren gemacht und er trug unverkennbar MakeUp. Aber ansonsten war es wie eine Reise in die Vergangenheit. Gacchan … er konnte noch so sehr versuchen, eine höfliche und bescheidene Miene an den Tag zu legen, sein diebisches Lächeln kam immer wieder an die Oberfläche und ließ die Mädchen um mich herum in Verzückung aufseufzen. Wenn sie nur wüssten …

Gackt bemerkte mich nicht, obwohl ich direkt auf der anderen Seite der Scheibe stand. Er war anscheinend viel zu sehr in das Gespräch mit dem Mann vertieft, mit dem er an einem Tisch saß. Der hielt ihm ein Mikrophon hin, auf dem das Logo eines bekannten Radiosenders abgebildet war, und Gackt sprach ungeniert hinein. Bisher hatte ich nicht darauf geachtet, doch hier vorne konnte man tatsächlich hören, was im Inneren des Kastens gesagt wurde.

„Nun, Gackt-san“, ergriff der Radiomoderator wieder das Wort, „Sie sind gerade erst am Anfang Ihrer Karriere und haben die Herzen unserer weiblichen Hörer trotzdem schon im Sturm erobert. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis? Was inspiriert Sie?“

„Hm“, machte Gackt erst einmal, als das Mikro erneut an ihn gereicht wurde, und machte dann eine kurze Pause, in der er sich über die Lippen leckte. Er sah hinreißend dabei aus. „Ich denke, Sie werden enttäuscht sein, wenn ich diese Frage beantworte. Mich inspiriert alles. Die großen und auch die kleinen Dinge des Lebens. Das schreibt wirklich die besten Geschichten und es fühlt sich dann alles … echter an, denke ich.Es gab da auch einmal jemanden, der mir wichtiger war als jeder andere Mensch. Wir haben mittlerweile keinen Kontakt mehr, aber aus unserer gemeinsamen Zeit stammen meine kostbarsten Erinnerungen. Sie geben mir sehr viel Kraft.“

Meinte er etwa mich? Nein, das konnte nicht sein. Er hatte mich niemals geliebt, also musste er an jemand anderen denken. Jemanden, den er nach mir kennengelernt hatte … oder vorher. Das würde auch erklären, warum er mich nie geliebt hatte, obwohl wir uns so nahe gewesen waren.

Mein Blick verschwamm und ich wischte mir schnell mit der Hand über die Augen. Ich konnte es jetzt nicht gebrauchen, hier in Tränen auszubrechen. Ich wollte nicht wieder so schwach sein, ich durfte nicht.

Doch als ich mich gerade abwenden und gehen wollte, kündigte der Radiomensch etwas an: „Hier gibt es für Sie, liebe Hörer, nun exklusiv den ersten Live-Auftritt der neuen Single von Gackt. Sie haben sie schon fleißig gekauft und ihm damit eine weitere Platzierung unter den Besten verschafft, aber ich versichere Ihnen, dass es sich lohnt dabeizubleiben. Hier ist Vanilla!“

Und tatsächlich: Von mir unbemerkt war Gackt aufgestanden und hatte sich in den hinteren Bereich des Glaskastens zurückgezogen, wo bereits ein paar Musiker mit ihren Instrumenten auf ihn warteten. Ich erkannte You und Chacha und noch zwei weitere Männer. Warum waren sie mir vorher nicht aufgefallen? War ich so fixiert auf Gackt gewesen, dass ich sie tatsächlich in dem nicht allzu großen Raum übersehen konnte?

Was machte ich hier? Wieso tat ich mir das überhaupt an? Ich war doch über ihn hinweg und es gab kein Zurück mehr davon. Wir hatten unsere Chance gehabt und auch schon eine zweite – eine weitere würde es nicht geben. Das würde ich nicht zulassen und sicher würde es Gackt ebenfalls nicht wollen. Er war gerade dabei, berühmt zu werden. So wie es aussah, er hatte eine neue Erfüllung gefunden. Musikbusiness … die Klavierstunden, die sein Vater ihm in seiner Kindheit aufgezwungen hatte, taten nun also endlich ihre Wirkung. Glückwunsch, Gacchan, das freut mich für dich.
 

Zum Abschied warf ich noch einen Blick auf ihn – schon wieder, wie mir dabei durch den Kopf schoss, sodass ich mich unwillkürlich fragte, ob es diesmal tatsächlich der letzte war. Ich hatte so ein flaues Gefühl im Magen, eine Mischung aus Trauer und Aufregung, denn in diesem Moment bemerkte ich, dass Gackt mich ansah. Sein Blick schweifte nicht einfach nur über mich hinweg, weil ich zufällig ganz vorne in der Menge stand. Nein, er sah mich direkt an, durchschaute mich vollkommen und dann lächelte er sein umwerfendes Lächeln, dass ich nur allzu gut kannte.

Gacchan … da war es wieder. Alles.


Nachwort zu diesem Kapitel:
„Schreibe über das, was du kennst“, sagte Drew Barrymore einmal in einem ihrer Filme, und ich finde diesen Rat eigtl gar nicht mal so schlecht. Deshalb verwurste ich viel von dem Scheiß, der mir tatsächlich mal passiert ist – in abgewandelter Form natürlich – in meinen Fics. Diesmal ist es kein wirklicher Scheiß, sondern Uni-Kram. Denn so ziemlich alles, worüber Hyde am Anfang hier so motzt, entspricht Tatsachen (und es kommt später noch was, was zumindest an meiner ehemaligen Uni ebenfalls hinhaut). Und die Laune ist nun echt mal im Keller, wenn man in die 'Ferien' geht und auch dann noch vor nem Berg Arbeit steht, weil plötzlich sämtliche Prüfungsleistungen, die man zu erbringen hat, Hausarbeiten sind. Mein persönlicher Gipfel waren vier in sieben oder acht Wochen im vorletzten Semester – hab ich dann auch nicht geschafft, sondern musste um ne Verlängerung bitten, weil man es ja alles ordentlich machen will und sich selbst Hausarbeiten von nur 12-15 Seiten eher selten einfach mal so wegschreiben lassen. Studierte werden es kennen ^^
Ich habe übrigens NICHT Kunst studiert, also bitte seht es mir nach, wenn da irgendwas falsch ist. Ich hab es so vage wie möglich gehalten, um keine groben Schnitzer reinzuhauen ^^“

Witzigste Info der kompletten Fic: Eigtl sollte das hier ja mal wieder ein One Shot werden und das, was jetzt in Kapitel zwei ausgelagert wurde, schloss eigtl mal an die „Das Phantom und die Schlampe“-Bemerkung an. Aber als ich dann irgendwas bei 16 Seiten hatte und immer noch quasi in der „Einleitung“ steckte, hab ich es dann geteilt. Aufmerksame Beobachter des Fortschrittcounters können sich sicherlich jetzt schon vorstellen, wie lange der Spaß hier noch gehen wird. Ich hoffe doch mal, dass das niemandem was ausmacht ^^“ Fertig ist es ja schon (bis auf die zweite Hälfte, die noch gebetat werden will/muss =_=) und wird deshalb zügig hochgeladen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine verehrten Leserlein, Sie sahen: Earu kommt absolut nicht aus dem Quark … auch wenn es im Kapitel an sich doch ein wenig sehr rasant und uU sogar gesprungen wirkt *hust*Liebesgeständnis*hust* Ich hab schon mit dem Gedanken gespielt, das Kapitel noch mal iwo zu splitten, aber keine schöne Stelle gefunden, und außerdem geht’s in Kapi 3 auch wieder mit der Gegenwart weiter~~~
Und wo wir schon dabei sind: Wie wird sich das Treffen der beiden Herren wohl noch entwickeln, jetzt wo der Hintergrund so schön klar ist? Opinions, anyone? X3

PS: Ja, ich steh auf Latein ^^“ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Höhö~ ich mag das Kapitel … und die Stelle, wo die beiden Herren draußen miteinander reden und Miesepeter!Hyde endlich mal ein bisschen auftaut. Allerdings denke ich hier auch (ähnlich wie in Kapitel 2), dass es vllt ein wenig arg schnell mit den beiden geht. Diese Knutscherei am Anfang fühlt sich jedes Mal so ein bisschen gezwungen an, wenn ich drüber nachdenke, und alles andere, was darauf dann aufbaut, fließt dagegen so schön. Liegt das an mir oder seht ihr das auch so? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
First: Ihr werdet mich jetzt sicher für vollkommen bescheuert halten ^^" Aber vergesst bitte nciht, dass in der fic einige Zeit vergangen ist und Hyde somit tatsächlich Gelegenheit hatte, sich da in was reinzusteigern ... und seltsam ist die Beziehung der beiden sowieso ... aber da geht noch mehr xD

Ansonsten:
Meine Damen und Herren, ich präsentiere den Grund, wieso ich diese Fic eigtl schreiben wollte: der Song (den es so gar nicht gibt … und man entschuldige bitte die bescheuerte Namenskombi x3). Aber in meinem Leben gibt es da so einen Song, bei dem ich grundsätzlich immer einen einen bestimmten Typen denken muss, der mit mir zur Schule gegangen ist. Ich war in der Schule das, was man so als graues Mäuschen bezeichnen könnte. Bin ich im Grunde immer noch. Und der Kerl war so lebhaft, verstand sich mit allen und war halt einfach nur cool. Ich glaub, ich war sogar ein bisschen in ihn verknallt. Er hat dann bei so einem Projekttag vom Religionsunterricht aus den DJ für ein Theaterstück gemacht und zu der Zeit lief überall und nirgends „Believe Me“ von Fort Minor (Lots and lots and lots of love an Mike Shinoda <3). So auch dort, als wir nach dem Event aufgeräumt haben. So hat sich das dann in mein Hirn eingebrannt. Und dieses Gefühl der Erinnerung wollte ich mit der Fic vermitteln. Im Nachhinein betrachtet ist das überhaupt nichts geworden und ich hab den Eindruck, dass ich so eine Fic immer noch schreiben will, aber ich denke, dass das, was hier letzendendlich entstanden ist, auch seinen Charme hat, right? x3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Tada~ das Wiedersehen! Und ich hab sie Taiko no Tatsujin spielen lassen x3 Ich hoffe mal stark, dass ich es verständlich beschrieben habe, weil ich selber noch nie an so einer großen Konsole gestanden hab. Ich hab's nur als Spiel für den NDS und trotzdem ist das so fürchterlich suchtfördernd wie kaum ein anderes Game. Da geht man zwar mit dem Gedanken ran, nur mal kurz einen Song zu machen und sitzt ne Stunde später immer noch dran, weil es so viel Spaß macht. Unser Herr von und zu Sadist hat es ja auch für sich entdeckt – auf der PSP allerdings. Wer es nicht kennt, der kann sich ja mal bei YT auf die Suche begeben, denn es gibt ein absolut goldiges Video, in dem er „Sakuranbo“ von Ai Otsuka spielt und sich dabei auf einem Bürostuhl im Kreise dreht <3
Und bevor ihr das tut, könnt ihr mir ja vllt noch ein bisschen Feedback dalassen. Ich hab bei dem Kapitel irgendwie das Gefühl, dass es ein bisschen langweilig geworden ist … aber ich weiß ja auch, was im nächsten kommt *mit Augenbrauen wackel* xD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ah well, so viel zu erzählen, aber ich will hier nicht auch noch nen Roman druntersetzen. Derzeit haben meine Kapitel ja ohnehin schon ne ganz gute Länge, würd ich mal sagen. Also, fassen wir den Spaß mal zusammen:

1. Bis auf die Anpassungen, die für die Story vorgenommen wurden, saht ihr hier waschechtes Unileben in Deutschland: Die Orga ist teilweise pures Chaos, Geld ist auch kaum da und ich hab für meine Abschlussarbeit auch ganz genau durchkalkuliert, wie viel Zeit ich für's Recherchieren, Schreiben und Korrigieren brauchen durfte. Ergebnis: auf den Tag pünktliche Abgabe ^^v
2. Willkommen zum fröhlichen Protagonisten-quälen! Gebt's zu, nach FIRE habt ihr doch schon drauf gewartet, dass Hyde sich durch nen riesigen Berg Drama wühlen muss =D
3. Opinions bis hierher, anyone? ^^
4. Ich mach dann erstmal ein kleines Päuschen. Aber keine Sorge, bald geht's weiter! :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich mag das Kapitel :3 Besonders die Szene mit dem Kaffee und dann natürlich der Deal am Ende.
Ich hatte zwar schon vorher gesagt, dass nach dem Widersehen der beiden Herren Protagonisten alles glatter läuft und jeweils aufeinander aufbaut, aber ich denke, dass man doch erst jetzt sagen kann, dass es endlich richtig losgeht … am Ende von Kapitel acht *hust* x3
Wie das wohl werden wird – so ganz ohne Liebe und ein Sexleben? Was denkt ihr, wie sich die Beziehung der beiden gestalten wird? (Die Luzi darf hier übrigens nicht mitraten, da sie den ganzen Spaß schon bis zum Ende kennt ^^) Und ich könnte an dieser Stelle auch mal anmerken, dass ich diese FF mehr oder minder blind geschrieben habe – fast komplett ohne Konzept, sondern nur mit einem fixen Ende. Ich hoffe, man merkt das nicht so sehr … manche behaupten ja auch, dass die besten Stories die sind, die einfach so bei rauskommen, ohne dass man sich vorher allzu viele Gedanken drüber macht. Scheint zu nem gewissen Grad zu stimmen, denn mich hat es schon etliche Fics gekostet, weil ich von der Durchplanerei einfach so gelangweilt war, dass ich gar keine Lust mehr hatte, die Geschichte dann extra noch zu schreiben. Ich war vor einer Weile, als ich das hier geschrieben habe, also genauso überrascht davon wie ihr hier :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soho~ Leute, wie fandet ihr das? Mir kommt es ja mal wieder ein bisschen gerafft vor (könnte dran liegen, dass es das auch ist) und mit der Teilung bin ich auch nicht so ganz zufrieden. Aber auf der anderen Seite wollte ich eben auch nicht noch mehr rumschwafeln, was sie tagein tagaus so miteinander genau anstellen. Man liest ja nicht, um den selben Alltag präsentiert zu bekommen, den man selber auch schon hat. Action muss her und am besten noch Leid, denn wie sagte *keine Ahnung, hab's vergessen* so schön: Wir wollen das lesen, was uns selbst nicht passieren soll. Und ich muss sagen: Stimmt! :3
Wie seht ihr das? War's zu gehetzt oder genau richtig zusammengefasst? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So~ was Süßes für Zwischendurch :3 Hat wahrscheinlich zwar immer noch so um die 2500 Wörter, aber für die Verhältnisse dieser Fic ist dass dann doch relativ kurz. Ist im Grunde ja auch nur eine Art Filler, aber ein bisschen Glück wollen wir den beiden ja auch noch zugestehen, ehe die Achterbahn weitergeht.

Und die wunden Stellen bei zu häufigem Sex gibt es übrigens wirklich. Hat mir mal eine Freundin erzählt, der das passiert ist – an dieser Stelle dann auch schöne Grüße, selbst wenn sie das hier wohl niemals lesen wird ^_^ /))
Also Kinder, nicht übertreiben, sonst wird’s unangenehm x3 Sexbesessen ist Gackt hier auch Wirklich nicht, aber es ist schon Absicht, dass er so scharf drauf ist, nachdem Hyde ers endlich zulässt, dass sie miteinander schlafen. Ich weiß nicht genau, ob es mir gelungen ist, das richtig rüberzubringen, aber das werdet ihr ja noch sehen …
In diesem Sinne – cheerio, Leute, und lasst mir doch ein bisschen Feedback da ^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Drama, Baby!

(Nope, diesmal keine seltsamen Random!Facts zum Kapitel. Gackts und nicht zuletzt Yous Verhalten ist schon seltsam genug. Was bei den beiden wohl so abging und was Hyde wohl alles nicht mitbekommen hat? Bald geht’s weiter~~~) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Willkommen zur Heulparade. Hyde kommt mir in dem Kapitel irgendwie zu sehr wie ein Mädchen vor. Ich hab aber auch keine Ahnung, wie es in verliebten Männern so aussieht. Die Krux der weiblichen Boys Love-Autoren ûu
Wir befinden uns ja nun auch in ner ziemlich ähnlichen Situation wie damals bei FIRE. Seid euch aber gewiss, dass dieser Hyde nicht mit einer Wozu-brauch-ich-diesen-Idioten-eigentlich?-Attitüde ankommen wird. Der hier weiß ja, dass er verliebt ist … und dafür ist der Schlag ins Gesicht umso härter. Nah~ *Hyde knuddeln geht* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Kapitel werden immer kürzer ._. Aber keine Angst, dass ich irgendwann bei 150-Worten angekommen bin. Das hier ist einfach nur ne Ausnahme, weil es ziemlich langweilig gewesen wäre, noch detaillierter zu beschreiben, wie Hyde sich dem Elend hingibt und sich in seiner Wohnung verkriecht. Er schlief halt viel … und würde das wohl auch noch weiter tun, wenn die Meute nicht angerückt wäre. Lieb von ihnen, oder? :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Kommt euch Hyde konfus vor? Aber andererseits ist er auch nur ein Mensch und damit so furchtbar irrational. In diesem Kapitel, in dem ja nicht wirklich was passiert, steckt trotzdem ziemlich viel von mir drin. Ich bin auch ein eher pragmatischer Mensch, der alles möglich nach dem Für und Wider abwägt … nur um dann nach dem Gefühl zu entscheiden, bis der Kopf sich wieder einschaltet. Menschlich, würde ich sagen ^^“ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Verehrte Leserlein, Sie sahen: dämliche Jingles, die entstehen, wenn man sich im Konzertkarten-kauf-Krieg befindet. Der kleine Dreizeiler existiert nämlich in abgewandelter schon seit 2010, als ich in der Bibliothek saß und eigtl was tun sollte, gedanklich aber nur damit beschäftigt war, zu hoffen, dass ich meine Tickets für die erste deutsche Gackt/YFC-Tour bekam x3

Und yay, Sakura hatte einen Gastauftritt =D Im Nachhinein weiß ich trotzdem nicht so ganz, ob es allzu viel genutzt hat oder eher so ein kleines Bonus-Ding war. Aber die ganze Fic ist ja auch irgendwie seltsam … ich hoffe, ihr werdet mich am Ende nicht hassen ^^“ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hach~ Nostalgie. So in der Art hab ich mich auch verabschiedet, als ich aus meiner Studentenbude raus musste. Und komischerweise war es dort auch voll von einer bestimmten Person, obwohl diese nie auch nur einen Fuß in die Wohnung gesetzt hat. Wegen dieser Präsenz hab ich sogar mal heulend auf meinem Bett gelegen, weil es mich einfach so erdrückt hat.
Aber nun zu freudigeren Dingen: Sie reden wieder miteinander :D Und sie wollen wieder Freunde sein :DD Aber ob das gut gehen kann – nachdem es SO auseinander gegangen ist? ^^“““ Was meint ihr dazu? :3~~~

PS: Jep, heute zwei Kapitel. Weil Baum *hust*und mir sonst vllt noch die Leser weglaufen ^^"*hust* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So~~ wieder so ein Filler-Kapitelchen … und gleichzeitig auch nicht ^^ Denn auch, wenn eigtl gar nicht so viel passiert, ist es doch nötig für die Stimmung, weil ich nicht einfach zum nächsten Punkt übergehen kann, ohne das alles ordentlich vorzubereiten. Werdet ihr ja bald noch sehen. Und die nächsten beiden Kapitel werden dann auch wieder länger :3 Ich hatte einfach nur keine Lust zu beschreiben, wie sie jetzt noch ausgehen, denn DAS wäre dann wirklich reiner Filler gewesen ^^“ In diesem Sinne: Wir sehen uns im nächsten Kapitel und Feedback ist gerne gesehen x3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Tja … wer eins und eins zusammenzählt, wird sich sicherlich schon denken, dass wir bald am Schluss angekommen sind. Nach dem April kommt schließlich schon der Mai und der gute Hyde hat jetzt eigtl auch nur noch eins zu tun: Auf Tetsus Rat zu hören … eigtl. Ich will ihn übrigens nicht als Buh-Mann darstellen. Als Hydes Freund ist er auch nicht ganz objektiv, aber zumindest etwas objektiver als der Zwerg. Zumal ich haargenau die gleiche Situation selber durch habe. Ich hab es damals auch einfach nicht geschafft, mich von einer bestimmten Person endlich zu trennen, und es ging mir damit furchtbar mies. Derweil hab ich mich bei zig verschiedenen Leuten ausgekotzt und sie um Rat gebeten und so so viele haben gesagt, dass ich es bleiben lassen soll, wenn es mich nur runterzieht. Und hab ich es gemacht? Nein, natürlich hab ich es nicht gemacht und stattdessen andere vollgeheult, auf der Suche nach einem Lösungsvorschlag, der mir in den Kram passt. Ich kann nur schätzen, wie vielen ich damit auf den Sack gegangen bin: zu vielen. Und hier haben wir nun die Kompensation of doom ^^“ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So Leute, damit hätten wir es dann … fast. Ein Epilog kommt (wie fast immer bei mir) noch, allerdings wissen wir ja alle, dass auch Epiloge nicht einfach mal kurz den kompletten Ausgang der Story ändern. Der wird dann auch keine ganze Woche auf sich warten lassen. Mal schauen, wann ich dran denke ^^“ Das Kapitel soll nur erst mal ein bisschen wirken, ehe ich mich dann von der Story verabschiede. Quatschen wir dann hier nicht noch unnötig rum. Opinions, anyone? :D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, Ende. Wie fandet ihr ihn also – den Ausgang? Und die ganze Geschichte über diese merkwürdige Beziehung Hydes mit einem 'Fremden'. Mir wurde zwischendurch recht oft bestätigt, dass man kaum voraussehen könnte, was als nächstes passieren würde oder wie die Story ausgehen könnte – obwohl ich eigtl gedacht hatte, dass „October to May ~ Intermezzo with a Stranger“ schon genug aussagen würde. Es gab aber auch Rückmeldung über einen meiner beiden großen Schnitzer: Wieso zur Hölle liebt Gackt Hyde nicht? Tja, das war so einer der Faktoren, die ich als gegeben angesehen hatte, aber der Logik halber ist es natürlich irgendwo Unsinn, da er sich am Anfang so anhänglich verhält. Ich möchte an der Stelle dann auch noch mal betonen, dass es trotzdem nicht nichts ist und der liebe Herr selbst gesagt hat, dass es sich einfach nur nicht so wie immer anfühlt. Ich schiebe es noch immer auf die Subjektivität von Hydes Sich der Dinge, dass wir nicht alles erfahren ;3 (Der andere Schnitzer ist übrigens der Durchhänger zwischen Februar und März/April, wo es dann leider erst um Finale wieder an Fahrt aufnahm. Hat man gemerkt, ne? Ich hätte nicht so viel labern und mehr einkürzen sollen. Aber ich werde aus meinen Fehlern lernen – sowohl aus dem einen als auch aus dem anderen.)
Ich habe auch sehr versucht, das ganze möglichst glaubhaft darzustellen und mich nicht nur auf die Beziehungskiste zu konzentrieren, sondern auch noch ein zweites Thema mit reinzubringen. Bot sich an, da ich grade mit meinem Studium fertig geworden war, als ich die ersten paar Absätze just for fun verfasst habe Ich denke, dass mir zumindest das ganz gut gelungen ist. Damals hätte ich allerdings auch nicht gedacht, dass mal so ein Ungetüm draus werden würde, was dann auch noch in solche Bahnen geht ^^“

Und ehe ich komplett tschüss sage, hätte ich da noch vier Seiten Text, die in den letzten Tagen plötzlich unbedingt raus wollten. Da ich mir das offizielle Ende nicht versauen möchte, findet ihr das Bonus/Sequel-Kapitelchen in meinem Schreibblog: http://earupp.wordpress.com/2014/03/04/gakuhai-words-of-love/
Wem das Ende aber so zusagt, wie es hier ist, der spart sich das kleine Drama einfach.

In diesem Sinne: Tudelu~ ;3 Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (21)
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Von:  Shimanai
2014-03-02T01:44:05+00:00 02.03.2014 02:44
Also.. ich steh grad irgendwo zwischen "Warum muss das so enden?!" und "Trotz allem ein wunderschönes Ende, wenn auch etwas traurig".

Alles in allem kennst du meine Meinung bereits. Zwar ist es wirklich schade, dass es eine Geschichte ist, in der die beiden nicht zusammen bleiben, aber auf der anderen Seite würde es jetzt so richtig erzwungen erscheinen, wenn Gackt sich plötzlich doch verliebt hätte^^

Eine grandiose Geschichte, wo viel wie ein Auto gestarrt wird, Hyde brav leidet und Gackt... ist naja... Gackt eben... undurchschaubar und egoistisch mit den besten Absichten^^°
Würde diese Story ja sehr gerne promoten, nur wird das leider nichts bringen... außer ich schaffe es irgendwann, das Ding da zu übersetzen *lach*
Und totes Fandom hin oder her, es wird immer noch so einige geben, die diese Stories gerne lesen. Also vielen Dank fürs Hochladen und lesen lassen ;D
Von:  aknankanon
2014-02-24T21:49:58+00:00 24.02.2014 22:49
Also ich wäre ja für die dritte Möglichkeit. Das Gackt noch mit einer Überraschung kommt. Vielleicht ist ihn ja doch inzwischen klar geworden, dass er sich auch in Hyde verliebt hat? Es würde mich freuen, wenn er wieder mit Hyde ein Paar sein will und es dann auch bleibt. Es sollte wirklich keine Frau und keinen anderen Typen geben, der Hyde auch nur annähernd das Wasser reichen könnte. Hyde ist das beste, was ihm passieren konnte. Vielleicht hat You ja Gackt auch schon mal, in Hinsicht auf Hyde, auf den Zahn gefühlt und ihm gehörig den Kopf gewaschen? Es bleibt also spannend.

Von:  Shimanai
2014-02-02T04:11:28+00:00 02.02.2014 05:11
Also, ich kann mich mit seinem Verhalten durchaus identifizieren. Ganz genau so schön konfus wie ein Mensch sein muss^^
Achja, du hast "Es tut mit leid, Gacchan." geschrieben. ^^°

Und ein weiteres Kapitel voll mit Selbstzweifel und der Frage, was es bringt, mit ihm zu reden^^ Auch wenn ich diese Gefühlsduselei bewundere, weil sie gut geschrieben ist und alles andere als langweilig rüberkommt, so würde ich mir langsam doch wünschen, dass endlich etwas weitergeht.
Von:  aknankanon
2014-02-01T21:09:54+00:00 01.02.2014 22:09
Das macht jetzt aber gar keinen Spaß mehr. ich mag keine Trennung zwischen den beiden. ich hoffe, sie kommen wieder zusammen und bleiben es dann auch? Ansonsten wieder ein Superteil.
Von:  aknankanon
2014-01-27T15:35:16+00:00 27.01.2014 16:35
nö. bitte keine trennung. die sind so ein schönes pärchen. auch im real life. ^^
Von:  Shimanai
2014-01-27T11:10:23+00:00 27.01.2014 12:10
Uuuh! Er leidet, wie schön! Lass ihn leiden, sich von innen heraus zerfressen^^
Ich empfand es selbst beim Lesen nicht als zu kruz, von dem her kann ich mich nicht beschweren ;D
Es ist unglaublich knuffig, dass Hyde Gackt immer noch so verteidigt... und dass Gackt es erzählt hat, ist auch irgendwie lieb^^
Ich wünsche Hyde viel Glück!
Aber... warte, wir sind bei Kapitel Nummer 14, hattest du nicht mal erwähnt, es gibt 21? Also, sorry Hyde, du musst noch weiter leiden, auch wenn ich denke, es ist ohnehin bereits ziemlich heftig... *grins*
Freue mich auf nächsten Samstag.

Und ich wünsche mir, dass Hyde sich von Gackt entliebt, dafür Gackt sich in ihn verliebt und dass Hyde dann der Böse ist^^° Und dadurch, dass Hyde Gackt dann nicht mehr will, ja, was dann? Ach, egal, habs vergessen^^°
Von:  Shimanai
2014-01-24T14:02:28+00:00 24.01.2014 15:02
Gnaaah! Gackt, rück doch einfach gleich mit der Wahrheit raus! Hach, wieder so schön typisch menschlich... hachja, das Drama geht weiter. Ich schließe mich dir an und komm mit Keksen, selbstgemachtem Schokokuchen und einer Tasse Tee vorbei, um ihn aufzuheitern. Auf Gackt bin ich aber nicht sauer, komischerweise... ich weiß zwar nicht, wie es sich als homosexueller (oh Gott, hätte ich "schwul" geschrieben, hätte es so negativ geklungen, ist dieses Wort generell schon so extremst abwertend? O___o) Mann anfühlt, plötzlich mit einer Frau zu schlafen und noch dazu einen Filmriss zu haben (zumindest lässt Gackt's Beschreibung der Tatsachen darauf schließen... hat das Mädel ihm was untergemischt oder war er SO besoffen?)
Ja, er wirkt ein wenig mädchenhaft... aber... das passt schon, japanische Männer sind ohnehin meistens sehr mädchenhaft (hier in Japan sind scheinbar glatt die Mädels diejenigen die zum Date bitten... dann sollte ich mich mal dahinterklemmen xD Wobei, ich bin auch grad eher dabei, bis zum Valentinstag zu warten... doch irgendwie hat mir grad das Kapitelchen hier ein klein wenig Angst eingejagt, wenn du verstehst was ich meine ;D)
Bin gespannt drauf, wie du Hyde genau leiden lässt. Und wie meine Vermutungen dastehen werden...
Dürfte doch eh bald wieder ein neues kommen, oder? Hab mir ja reichlich Zeit gelassen, dir den Kommi anzufertigen ^^° Sorry dafür.
Von:  Shimanai
2014-01-12T14:10:53+00:00 12.01.2014 15:10
Mäh, da haben wir's! Das DRAMA~~~!
So... geht er "fremd"? Hat er einfach keinen Bock mehr auf Hyde?
Mehr kann ich kaum sagen, außer dass Hyde in meiner Hinsicht doch ein wenig sehr kindisch war... ich meine, ein letztes Mal noch Spaß zu haben und danach alles zu machen hätte die Lage doch sicherlich nicht so sehr verschlechtert, oder? Vielleicht hätte es ihm sogar etwas mehr... Kreativität, Schwung, was auch immer verpasst^^
Naja, wenn das aber so liefe, entwickelt sich ja kein DRAMA~~~... also, ich bleib weiterhin Leserin dieser Fic ;D
Was gibt's noch? Eigentlich nichts... ist ja außer diesem Streit und der Flaute nicht viel passiert... Also, quäl ihn schön weiter, zerstöre seine Gefühle und dann lad endlich das verdammte Ende hoch, weil ich kann mich einfach nicht entscheiden! Geht die nur die Fic bis Mai oder endet die Beziehung im Mai? Das ist es was mich quält... Wenn wir davon ausgehen, dass die Beziehung endet, dann will ich aber wissen, wie, warum und ob Gackt wieder der Arsch ist.
Warum schreibst du eigentlich nie aus seiner Sicht? Ich möchte seinen Leidensweg sehen^^
Von:  Shimanai
2014-01-06T10:43:15+00:00 06.01.2014 11:43
"Für alle Minderjährigen, die das letzte Kapitel nicht lesen konnten, hier mal ganz unromantisch die groben Fakten:" Ich hab mich schlapp gelacht^^
Du weißt ja sicherlich auch warum, hahaha

Und mich hat eher die Tatsache, dass du meintest, dass der Witz um Pansexuell lahm ist, amüsiert, als dass mich der Kommentar genervt hätte. Vielleicht hättest du das aber auch im Nachwort schreiben können, schließlich hast du es glaube ich sogar bei ff.de weggelassen...

Gabs da nichtmal einen Teil aus den PlatinumBoxes, wo G mit der Druckmassage bestraft wurde und der Typ meinte, er würde seine Prostata zu viel benutzen? Und Gackt meinte drauf "I know that!"
Tja, wer würde es sich denn wohl nehmen lassen, denjenigen auf den man schon lange scharf ist - und bei dem man jetzt endlich darf - zu nehmen, oder? Wobei ich mal ganz ehrlich ein klein wenig eifersüchtig auf Hyde bin.
Ich will auch so eine tolle Schulbegleitung! (und nein, ich rede weder von der Betatschelei noch von der Sache auf dem Klo... aber einfach nur G dabei haben wärs wohl! Im Kunststudium könnte er sich sicher gut mit seinen Visualives einbringen xD)
Haben die beiden immer ne Tube Gleitmittel dabei? O__o Oder war das mal wieder eine Improvisationssache?
Aber... gibts diese "Wiedergutmachung" zu lesen? o////o

Zu viele Fragen, aber ich mag das Kapitel auch wirklich^^ Eine schöne Idylle als Ruhe vor dem Sturm, oder?
Von:  Shimanai
2013-12-30T02:42:30+00:00 30.12.2013 03:42
Neuer Stand der Dinge: Ich wette, dass Hyde jetzt ein Mordsdrama draus macht. Nebenbei kommt Gackt nicht damit klar, denn obwohl er eine Beziehung vorgeschlagen hat, verliebt er sich in eine andere Person. Oder er will nicht wahrhaben, dass da jetzt doch noch Gefühle drin sind...

Gott, diese Story ist so unklischeehaft, dass es echt schwierig ist, zu wissen, was da geschehen kann... Nur dein Hinweis darauf, dass es mit dem Protagonisten-Quälen noch weitergeht, zeigt, dass da noch DRAMAAAAA~a entsteht...
Oder sagen wir mal so: einige Verhaltensweisen sind durchaus klischeehaft, aber das was dann daraus entsteht, also die Reaktion darauf sind oft nicht gerade sehr klischeehaft und selbst wenn, man weiß eben nicht, was darauf folgen könnte...

Naja, ist ja jetzt auch Banane, ich freu mich jedenfalls wenns weitergeht^^


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