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Die Rosen von Malfori

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Wegen der Länge und der vielen noch unbekannten Charaktere haben wir dieses Kapitel aufgeteilt. Hier ist somit der erste Teil.
Wir hoffen, dass die Fülle an neuen Namen nicht zu unübersichtlich wird. Ihr könnt uns auch jederzeit Fragen stellen. Komplett anzeigen

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Die Geweihte

Dunkelrot glänzte die Flüssigkeit in dem klaren Kristallglas im Licht der Kerzen, die den Raum an verschiedenen Stellen beleuchteten. Eine Öllampe erhellte den Arbeitsbereich auf dem dunklen Schreibtisch aus massivem Holz. Die Schnitzereien wirkten im flackernden Kerzenlicht besonders interessant, aber er hatte jetzt keinen Blick dafür. Er stellte gerade ein zweites Glas auf den Tisch und füllte dieses ebenfalls. Dann platzierte er es auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches, schob seinen Stuhl zurecht und sah noch einige Dokumente durch, während er auf den bestellten Besuch wartete. Er wollte die Wartezeit auf keinen Fall durch Untätigkeit verschwenden“. Und wie er seinen Gast einschätzte, würde er sich auf eine gewisse Wartezeit einstellen müssen. Sie würde sich sicherlich nicht besonders beeilen zu ihm zu kommen.
 

Sie hasste es zu ihm bestellt zu werden. Sie hasste seine Art sie und alle anderen wie Dienstboten zu betrachten, sie hasste seinen Mangel an Respekt und seine Arroganz. Und auch dieses Anwesen allein wollte sie schon in den Wahnsinn treiben. Kaum hatte sie es betreten, verfolgten sie drückende Kopfschmerzen, die ihre ohnehin schon schlechte Laune nur weiter drückten. Und sie war sich sicher, dass er all dies wusste, da sie es nicht unterlassen hatte ihm bei ihrer letzten Begegnung all dies vorzuwerfen. Und trotzdem hatte er die Unverfrorenheit besessen sie herzubestellen, als wäre sie eine weitere seiner Untergebenen. Sie verkrampfte die schlanken Finger um das gesiegelte Papier mit seiner höflich formulierten, aber sehr eindeutigen Anweisung aus der sie nur einen weiteren Beweis seiner Arroganz zog. Ihrer Meinung nach hatte sie ihm bereits deutlich gemacht, was sie von ihm hielt und der Vorstellung jegliche Art der Arbeit für ihn zu verrichten, mochte sie geartet sein wie sie wollte. In ihrer Rolle als Klerikerin der Sehanine fühlte sie sich keinem weltlichem Herrscher verpflichtet, nicht einmal dem Regenten in ihrer eigenen Heimat. Noch weniger also dem Fürsten von Malfori, mochte dieser Hegemon sein so viel er wollte. Die persönliche Abneigung die sie ihm gegenüber aufgebaut hatte, festigte diese Haltung nur. Hätte sie sich nicht durch die Eskorte die eines Tages an ihrem Elternhaus auftauchte genötigt gefühlt mitzugehen, wäre sie gar nicht erst hier.

Die livrierten Dienstboten huschten mit ausgesuchter Höflichkeit an ihr vorbei und begrüßten sie freundlich an jeder Türe, die sie zu passieren hatte. Doch hatte sie den Raum erst einmal verlassen, sahen sie sich gegenseitig fragend an. Es kam nicht oft vor, dass eine Klerikerin mit mühsam versteckter Wut an ihnen vorbei zum Fürsten wollte. Und wenn, dann waren diese Kleriker nicht auf Einladung hier.
 

Leise kratzte die Feder auf dem Papier, auf dass er noch schnell eine Unterschrift setzte, bevor er es mit einigen anderen erledigte Papieren zur Seite räumte. Zufrieden bildete er einen akkuraten Stapel und widmete sich dann einigen anderen Akten. Es herrschte eine Ordnung in diesem Raum, die sich auf sein ganzes Fürstentum erstrecken sollte. Und er war guter Dinge, dass dieser bestehenden Ordnung in Zukunft noch geordnetere Verhältnisse in angrenzenden Fürstentümern folgen sollten. Er beabsichtigte heute Nacht ein paar Hindernisse mehr auf diesem Weg beiseite zu räumen und einiges in die Wege zu leiten. Glücklicherweise wurden die Nächte im Herbst wieder länger und er hatte mehr seiner kostbaren Zeit, nicht nur um sie darauf zu verwenden. Er stand auf und schenkte sich selbst nach. Seine grünen Augen fixierten ruhig das gegenüberliegende Glas, dass noch immer unangetastet an seinem Platz stand. Wie gedacht ließ sie auf sich warten. Doch da er das bereits einkalkuliert hatte, war er nicht erbost über diese Verschwendung seiner Zeit. Er folgte seinen Tages-, bzw. Abendgeschäften wie gewohnt. Man würde ihn schon wissen lassen, wann er seinen bestellten Gast dazwischen schieben konnte.

Kaum hatte er sich gesetzt um eine Korrespondenz in Augenschein zu nehmen, klopfte es ungewohnt zaghaft an der Tür. Er rief seinen vor der Tür postierten Dienstboten herein um ihn zu fragen was los sei. Ein wenig unsicher trat dieser ein und schloss die Türe hinter sich. „Herr, draußen steht eine Klerikerin die ein wenig...wütend wirkt.“ „Hildegard von Weyersdorf?“ „Ja, das sagte sie.“ bestätigte der Diener, dem die fremde Frau vorhin nur ihren Namen entgegen geworfen hatte. Zu Höflichkeiten sah sie sich vor seiner Türe nicht mehr im Stande.

„Na dann schick sie rein.“. Der Hausangestellte nickte und verließ den Raum. Wenn sein Herr diese Frau zu sehen wünschte, würde das schon stimmen. Er hielt der Geweihten die Tür auf, die an ihm vorbei in das Arbeitszimmer rauschte. Das Symbol ihres Glaubens stolz an einer Kette auf ihrer Brust liegend. Statt ihrer üblichen metallenen Rüstung trug sie ein mit Stickereien verziertes, weißes Kleid, dass die Symbolik ihres Glaubens in der Ornamentik weiterführte. Er verstand was sie ihm durch diese Zurschaustellung sagen wollte und lächelte.

Er wies ihr mit der Hand den Platz gegenüber zu. „Hildegard, schön, dass du es einrichten konntest. Hattest du eine angenehme Reise?“ erkundigte er sich höflich. „Ja, eine äußerst angenehme Reise in Begleitung einiger Soldaten.“ gab sie sarkastisch zurück und blieb demonstrativ vor seinem Schreibtisch stehen. „Ich habe extra meinen Hauptmann geschickt um dich zu begleiten.“ entgegnete Victor von Malfori, der es als besondere Aufmerksamkeit betrachtete, dass er sogar seinen Hauptmann für eine niedere Aufgabe wie das Eskortieren freigestellt hatte, obwohl er woanders bessere Verwendung für ihn gehabt hätte.

„Ja, weil Ihr wusstet, dass ich jeden außer Elaril aus dem Haus gejagt hätte.“ Mit dem Hauptmann verband sie eine besondere Freundschaft, da sie Elaril vom Eiswasser immer hoch anrechnen würde, dass dieser ihr rückhaltlos vertraut und mehr als einmal sein Leben wegen ihr aufs Spiel gesetzt hatte. Weshalb sie ihm jeden Gefallen tun würde, sogar in Begleitung einer Eskorte aus Malfori zu deren Fürsten ziehen, wenn das halbe Dorf es mitbekam. Ihre armen Eltern..

Er hob das Glas an seine Lippen und trank einen Schluck. Weshalb begegnete sie ihm nur immer mit einer solchen Feindseligkeit? Zu den kopflosen Fanatikern die immer mal wieder versuchten ihn zu exorzieren, gehörte sie offensichtlich nicht.

„Um auf die in meiner Einladung erwähnte Sache zu sprechen zu kommen...“ doch sie unterbrach ihn barsch mitten im Satz. „Einladung? Bitte? Das war eine Vorladung ohne Angabe von plausiblen Gründen!“ Er setzte sich gerade auf und sagte ruhig zu ihr: „Es handelte sich lediglich um die Bitte zu einem persönlichen Gespräch zu erscheinen. Außerdem erwähnte ich bereits, dass ich dir einen Vorschlag unterbreiten möchte. Und es ist deutlich effizienter so etwas persönlich zu besprechen, als es in seitenlangen Briefen auszuweiten. Das vergeudet nur unnötig Zeit. Wieso also nicht das Ganze bei einem Glas Wein“ und er deutete auf das Glas auf der gegenüberliegenden Seite seines Tisches, an dem sich Hildegard von Weyersdorf nach wie vor weigerte Platz zu nehmen, „in gemütlicher Atmosphäre besprechen.“

„Gemütliche Atmosphäre.“ Sie entrang sich ein trockenes Lachen. „Aber sicher Fürst.“ Mit Sicherheit konnte nur jemand wie er ein Haus, dass solche Kopfschmerzen verursachte als gemütlich empfinden. In Gedanken fügte sie einen weiteren Punkt ihrer Liste an Dingen die sie an ihm hasste hinzu. Sie hasste es, dass er sie ungefragt duzte. Konsequent blieb sie bei einer distanzierten Anrede und perfektionierte sogar die Angewohnheit das Wort Fürst wie eine Beleidigung klingen zu lassen.

Mit einem innerlichen Seufzen stand Victor von Malfori auf und sah die junge Frau in seinem Arbeitszimmer an. Manchmal amüsierte ihre permanente Kratzbürstigkeit ihm gegenüber ihn, aber im Moment kamen sie einfach nicht weiter so.

Sie sah in seine grünen Augen, hinter denen sie immer auch das Raubtier erkennen konnte, das er war. Sie verstand einfach nicht, ob andere nicht sehen konnten was sie sah, oder ob sie einfach kein Problem damit hatten wie Eigentum eines Wesens behandelt zu werden, dass aufgrund physischer Überlegenheit einen Anspruch geltend machte, dem alle Welt sich einfach fügte. Sie würde sich nicht einfach fügen, auch wenn das in der Welt des Victor von Malfori keinen Unterschied machen würde. Aber für sie machte es etwas aus.

Er verstand diese Frau einfach nicht. Sie hatte ihm nicht wirklich etwas entgegen zu setzen und trotzdem verhielt sie sich angriffslustig. Und das seltsamste daran war, dass ihr bewusst zu sein schien wie aussichtslos ihr Drohgebaren eigentlich war. Wie als ob ein einzelnes Schaf in der Herde den Wolf in ihrer Mitte würde angreifen wollen, während alle anderen Schafe ihrem naturgegebenen Fluchtinstinkt folgten. Hildegard schien ein gesundes Maß an Furcht einfach zu fehlen. Und irgendwie faszinierte ihn dieses widernatürliche Verhalten dieses Menschen.

Mit geschmeidigen Schritten ging er langsam auf die Geweihte zu, die ihn dabei fixierte ohne zurückzuweichen. Das künstliche Licht ließ seine hellblonden Haare in einem warmen Goldton erscheinen, der dem Ton ihrer Augen ähnelte. „Warum so biestig, Hildegard?“ fragte er sie. „Passend im Umgang mit einem Biest.“ gab sie fast fauchend zurück, da sie sich allein durch seine bloße Nähe bedroht fühlte. „Oder irre ich mich etwa, wenn ich euch als Raubtier beschreibe, Fürst?“

„Keineswegs“, gab Victor zurück, trat aber nicht näher. Einen Moment lang wirkte es sogar, als habe er bei ihren Worten zurück gezuckt, aber das konnte nicht sein, wusste Hildegard, das war sicher nur das Spiel der flackernden Öllampen auf seiner hellen Haut gewesen. Wieso auch sollte der Fürst von Malfori, der mächtigste Dämon der Reiche, vor ihr zurückweichen? Hildegard hatte großes Vertrauen in ihre Göttin, aber das hier war unwahrscheinlich. Aber sie musste es nochmal versuchen, um Gewissheit zu erlangen. „Ihr könnt wohl kaum erwarten, dass ich nett zu einem Monster bin.“

Diesmal gab es kein Vertun, sie hatte zu genau darauf geachtet, wie er ihre Worte aufnahm. Und tatsächlich sah Victor aus, als habe sie ihn geschlagen. Entsetzt. Und getroffen. Für einen Moment schlug er den Blick nieder und zog sich dann auf seine Seite des Schreibtisches zurück. Mit Staunen beobachtete Hildegard diese Reaktion. Sollte es möglich sein, dass sie tatsächlich etwas gegen ihn in der Hand hatte?

Victor verfluchte sich innerlich. Hildegard wehrte sich quasi mit Händen und Füßen gegen ihn und er hätte nicht vergessen dürfen, dass das – für sie – kein Spiel war. Nur weil sie keine Angst zeigte oder hatte bedeutete das nicht, dass ihre absolute Abneigung nicht ernst zu nehmen war. Mit erzwungener Ruhe setzte er sich wieder auf seinen Stuhl und legte die Hände auf die dunkle Tischplatte. „Womit genau habe ich dir Grund gegeben, mich als Monster zu sehen?“

„Oh, bitte“, was sollte das denn für eine Frage sein? Als hätte sie ihm das nicht schon tausendmal vorgeworfen, seine Art, Menschen wie Schachfiguren zu benutzen, ihnen seinen Willen aufzuzwingen. „Ihr habt absolut keinen Respekt vor den Menschen oder dem Leben!“

„Ich hatte gehofft, ich wäre noch auf der Seite von arroganter und machtbesessener Tyrann, aber noch nicht bei Monster“, bekannte Victor leise und mit einem schiefen Grinsen. Was wie ein lockerer Scherz klingen sollte, erkannte Hildegard recht eindeutig als wenig gelungene Defensive. Und gerade das nahm ihr den Wind aus den Segeln.

„Der machtbesessene Tyrann war euer eigener Vorschlag, nur das arrogant stammte von mir, wenn ich mich recht erinnere...“ Mit einem frustrierten Gesichtsausdruck zog sie den Stuhl zurück und ließ sich hinein fallen. „Und was sollte ein arroganter und machtbesessener Tyrann nun von mir wollen? Wenn er sich nicht gerade mit irgendwelchem Papierkram beschäftigt?“, mürrisch zerrte Hildegard einen Zettel aus dem sorgfältig aufgeschichteten Papierstapel und brachte die darüber liegenden Blätter damit dazu, sich als Papierlawine über den Schreibtisch, und hätte Victor nicht blitzschnell reagiert, auch über den Boden zu ergießen. Während Victor seinen Stapel wieder zusammenschob, überflog Hildegard das Blatt. Anstelle eines Todesurteils oder etwas entsprechend tyrannischem handelte es sich allerdings nur um lange Zahlenreihen, die Gegenrechnung einer Steuerliste. Victor musste ihren Gesichtsausdruck gelesen haben, denn nachdem er sich ein bisschen gesammelt hatte, fragte er mit einer hochgezogenen Braue „Zu langweilig?“

„Puuuh...“ sie starrte noch einmal auf die trockenen Zahlenreihen. Lange Textabhandlungen zu irgendwelchen Themen las sie ja gern, aber Steuerrechnungen? Sie legte das Blatt gelangweilt wieder oben auf den von Victor soeben sorgfältig wieder aufgeschichteten Blätterstapel, keinen Gedanken daran verschwendend, dass sie möglicherweise soeben die gesamte Sortierung durcheinandergebracht haben könnte. „Ich könnte mir tatsächlich spannenderes vorstellen, ja. Zum Beispiel die Frage, warum ich hier bin.“ „Und ich mir die Frage, warum du mich so hasst.“ entgegnete er. Sie sah ihn verbittert an. „Ihr versteht mich wirklich nicht, oder?“ Ruckartig stand sie auf und trat um den Schreibtisch herum. „Versteht ihr denn die Menschen, über die ihr euch erdreistet herrschen zu wollen? Habt ihr wirklich eine Ahnung von ihrem Leben? Oh, ich wünschte ihr könntet das sehen, was ich gesehen habe!“ „Nun, da gäbe es vielleicht einen Weg...“, meinte Victor mit einem Schmunzeln, das deutlich Hintergedanken verriet und setzte dann, sich in seinem Stuhl zurücklehnend, hinzu: „Verstehst du die Menschen? Und selber einer zu sein ist eine erbärmliche Qualifikation. Verstehst du dich selbst? Immer? Ich hatte... ein paar Jahre mehr als du, um Menschen zu studieren und was ich gesehen habe, willst du nicht sehen. Neid, Missgunst, Herrschsucht und nicht gerade wenig mangelnde Weitsicht.“ Tatsächlich hatte er bei manchen Menschen das Gefühl, sie würden, wenn sie mit der Leiter 99 von 100 Äpfeln erreichen könnten, den Baum fällen um den letzten auch zu pflücken. Und sich im nächsten Jahr wundern, wieso es keine Äpfel gibt. Mit einem leisen Seufzen schob er das Blatt, das Hildegard völlig aus der Ordnung gerissen und oben auf den Stapel gelegt hatte, so zur Seite, dass er es später nicht für einen – eingeordneten – Teil des Stapels halten konnte. „Aber um zu deinem emphatischen Ausruf zurück zu kommen“, der Fürst machte eine kleine Kunstpause, um Hildegards kaum verhohlenen Ärger zu studieren, bevor er fortfuhr, „wäre es mir tatsächlich möglich, dir diesen Wunsch zu erfüllen. Mit deiner Erlaubnis, versteht sich.“

Das Gefühl, das diesen Worten folgte, war nicht per se unangenehm, aber durch und durch seltsam. Als würde etwas unsichtbares sich vorsichtig, wie ein Finger, den man jemandem auf die Schulter legt, um dessen Aufmerksamkeit zu gewinnen, sich von außen an Hildegards Geist legen. Die Präsenz berührte sie nur minimal, übte keinerlei Druck aus und, das konnte Hildegard instinktiv sagen, zog weder Informationen aus diesem Kontakt noch gab sie welche Preis. Aber die Möglichkeit, das zu ändern, schwang bereits darin mit.

Hildegard atmete tief durch und versuchte sich zu entspannen. Personen in ihren Geist eindringen zu lassen, war ihr neu und sie fühlte sich nicht gerade wohl damit, dass ausgerechnet Victor der erste sein solle, dem sie es erlaubte. Aber da sie es schließlich vorgeschlagen hatte, wollte sie nun auch keinen Rückzieher mehr machen. Sie versetzte sich also zurück zu dem Zeitpunkt, als sie mit Alarik und Dvalinn fast vom durchgegangenen Pferd des verletzten Missus überrannt wurde. Dann sah sie dessen Tod noch einmal mit an, folgte dem Weg und bestattete mit den Jungs die gefallenen Ritter. Darauf folgte der Besuch in Malfori, um den Leichnam von Rodenwalds zu überführen. Dann reisten sie nach Khazad-Mirr. Sie erinnerte sich an die bösen Vorahnungen, als sie die Gebissabdrücke fanden, das Grauen, als die ersten Untoten sie überfielen, an die Nächte die sie sich mit der stinkenden Leiche des toten Zwergenpriesters im entweihten Tempel der Mine verschanzt hatten, die ständigen Geräusche, das drückende Dunkel und der ewige Verwesungsgeruch, der über allem lag. Daran, wie sie dort zweifelten die Mine alle lebend wieder verlassen zu können. Sie sah noch einmal den grausigen Beschwörungskreis hinter dem absoluten Dunkel, die verzerrten Gesichter der Toten und erlebte die Angst um Alarik noch einmal durch, der ohne die Hilfe Rodericks fast zu einem Ghul geworden wäre. Dann sahen sie beide wieder Roderick, als er den fast toten Elaril aufgelesen hatte. Hildegard saß von Selbstvorwürfen gebeutelt an dessen Bett und hielt seine Hand, ohne dass er reagiert hätte.

Dann machte sie einen Sprung nach Ragnaron, wo sie sich als Mann verkleidet mit Dvalinn und Alarik von einer Miliz anheuern lassen sollten. Etwas, was sie wiederum Victor vorwarf, der sie alle erpresst hatte um genau dies zu erreichen.

Sie sah die ganzen verlassenen Stätten, die verhungernden Dörfer und die Gebeutelten des zu lange währenden Bürgerkrieges wieder.

Wieder saßen sie auf ihren Pferden, sahen von dort die Spur der Verwüstung, die sich durch das karge Land zog, vereitelten den Überfall auf ein Dorf und landeten schließlich in der richtigen Miliz. Dort verhalfen sie einem schwächelnden Jungen zur Flucht und verbrachten schließlich als ausgebildete Einheit mit einigen Männern eine schreckliche Nacht im Schutze einer Hütte, als diese abscheulichen Konstrukte die untoten Höllenhunden ähnelten sie anfielen.

Dann sah man wie sie Männer um sich scharten und eine Ansprache hielten in der Gewissheit, dass womöglich nicht alle von ihnen sich am Ende wieder sähen und ließen sich im Gewölbe mit den Untoten einmauern. Hildegard hatte nicht nur Sorge um die zivile Bevölkerung, sondern auch um die Männer und Frauen die ihr gefolgt waren um vielleicht hier ihr Ende zu finden. All diese Leute, egal ob Milizionäre, Kleriker oder Zwerge setzen hier ihr Leben für andere ein. Sie selbst hatten schon in Khazad-Mirr mehrmals mit dem eigenen Leben abgeschlossen und erwarteten für sich nichts mehr.

Es folgten einige unschöne Kontakte mit ihr meist unbekannten Untoten, die für sie recht glimpflich verliefen, bis sie am Ende in der Höhle des Zehrers standen. Diesen Kampf überlebten sie nur knapp, doch für die früher gekommenen Kameraden war es zu spät, sie konnten nur noch die übrig gebliebenen Leichenteile zusammen räumen. Dann raffte sie fast der nächste Untote dahin, doch sie kamen irgendwie lebend davon und standen am Ende wieder im Lager der Milizen und zählten die Überlebenden. Danach war ihr jedes einzelne Leben so wertvoll erschienen, dass sie selbst dem Anführer der Miliz nicht den Tod wünschen konnte, woraufhin sie mit Strategie und grober Beeinflussung die ganze Miliz übernahmen und alle Männer nach Hause schickten, sie sollten sich um ihre Familien und Dörfer kümmern, oder welche Gründen. Das Land war ausgeblutet genug.

Als letztes sah man sie alle noch einmal durch Ragnaron reiten, wo sie immer wieder Bäume sahen, die mit den sterblichen Überresten von Männern behangen waren.

„Ich weiß, dass nicht alle meinem Rat gefolgt sein werden. Aber zu diesem Zeitpunkt erschien mir jedes menschliche Leben zu wertvoll, um ein frühes Todesurteil darüber fällen zu können. Ich wollte den besseren unter ihnen eine Chance geben.“

Victor verfolgte die Bilder, die Hildegard ihm zu sehen gab, sehr aufmerksam.Obwohl er versuchte, möglichst wenig von seinen Empfindungen in ihren Geist fließen zu lassen, spürte sie zunächst eine gewisse Ungeduld, dann, als die Bilder der untoten Gegner eindringlicher wurden, vor allem, dass Victor diese Kreaturen abstoßend fand. Die sentimentalen Passagen schienen völlig an ihm vorbei zu gehen, anders dagegen die Schilderung der Not in Ragnaron. Während dieser Bilder spürte sie, dass der Fürst, in ihrem Kopf zumindest, deutlich aufmerksamer war. Aber auch besser darauf achtete, seine Gefühle dazu nicht bis zu ihr hinüberschwappen zu lassen. Victor saß ihr noch immer entspannt gegenüber und musterte sie aufmerksam. Er war es gewohnt, einen Teil seiner Gedanken auf diesen mentalen Bahnen zu bewegen und gleichzeitig seinen physischen Körper zu steuern.

„Die Idee, dass jedes dieser Leben kostbar, unendlich kostbar ist, ist sicher...“, Victor legte den Kopf schief und suchte nach einem Wort, das 'richtig, aber nicht ausreichend' zusammenfasste. Schließlich behalf er sich mit „Gut gemeint. Aber du wirst sicher verstehen, dass ich als Fürst gezwungen bin, andere Wertungen mit in die Gleichung zu nehmen.“ Über die noch immer bestehende Verbindung, aber auch an Hildegards Gesichtsausdruck konnte Victor deutlich erkennen, dass diese Wortwahl wenig geeignet war, die Klerikerin zu besänftigen. Nicht nur, dass er sie und ihre Freunde wie Schachfiguren hin und her schickte, offenbar waren Menschenleben für ihn auch noch Zahlen auf einer Liste, in einer Rechnung um den größtmöglichen Gewinn.

Victor schüttelte andeutungsweise den Kopf und im nächsten Moment formten sich vor Hildegards geistigem Auge neue Bilder, Bilder wie Träume oder Erinnerungen, aber nicht ihre eigenen, sondern Bilder die der blasse Fürst ihr zu sehen gab.

Männer, die dem Rosenbanner in die Berge von Ragnaron folgen. Männer, für die er verantwortlich ist, die „sein“ sind. Er kennt die Namen der höheren Offiziere und weiß bei den meisten auch, ob sie Familie haben. Mattheus von Rodenwald, Witwer, zwei unverheiratete Töchter. Dörfer voller ängstlicher Frauen, ein paar hungernde Kinder, Greise. Sein. Er ist hier, um durchzusetzen, dass die Grenze dessen, was unter seinem Schutz steht, fortan Ragnaron miteinschließt. Roderick, der ihn an der Schwelle abweist, als er sich für die Heilung Elaril's bedanken will. Versorgungswagen, die in stetem Zug aus der fruchtbaren Ebene ins Felsengebirge rollen. Was sein ist, soll in diesem Winter nicht verhungern. Das, was sein ist zu schützen, erfordert aber auch eine deutliche Trennung. Die letzten verstreuten Milizen, Heckenschützen, Partisanen erfahren keine Gnade. Er ist kein Gott, vor dem alle Menschen gleich sind, als Fürst hat er die klar umrissene Aufgabe sein Land und seine Leute zu schützen. Das Leben der versprengten Milizen muss ihm weniger wert sein als das seiner Leute, als dass der Menschen in den Dörfern,denen diese Männer mit Waffengewalt die Lebensmittel fortnehmen könnten, die sie durch den Winter bringen sollen.

Ihr Geist folgte diesen Bildern aufmerksam, doch ihr Körper reagierte weniger kontrolliert. Sie kannte das Gefühl Verantwortung für andere zu tragen, wenn auch in deutlich kleinerem Maßstab. Als sie sah wie Roderick Victor brüsk abwies, konnte sie ein Grinsen nicht unterdrücken. So war Roderick eben. Sie dachte an all die kleinen Konfrontationen zwischen ihnen beiden. Vermutlich war Roderick Victor gegenüber fast netter als zu Frauen. Doch zu fast allem anderen nickte ihr Kopf unbeabsichtigt, nur ganz leicht. Es waren Bilder die sie verstand. Sie glaubte zumindest ihn jetzt ein wenig besser verstehen zu können, wenn wohl auch nicht umgekehrt. Dass der Fürst, dessen Möglichkeiten nicht so limitiert waren wie die ihren zumindest eine Verantwortung für das Gros der Menschen spürte, diejenigen die er „sein“ nannte, beruhigte sie schon. Sie wollte Leben nur nicht als abstrakte Zahlen sehen. „Vielleicht habt ihr ja kein Verständnis für mich als Person. Aber ansonsten sind wir gar nicht so unterschiedlich, Fürst.“ flüsterte sie. „Und ihr seid vielleicht stärker, älter und erfahrener. Aber im Grunde genau so sterblich wie wir Menschen und auch nicht von Fehlern frei. Ist das nicht irgendwie beruhigend?“ Sie lachte leise. Dann sah sie ihn direkt an. „Mich zumindest beruhigt es.“ Ein leichtes Lächeln lag jetzt auf ihren Lippen, anstelle des unverhohlenen Zornes der vorher ihr Gesicht ungemein schlechter zierte. Sie wollte sich zum Gehen wenden. „Ich danke für das aufschlussreiche...Gespräch. Ich bin froh zu wissen was ich jetzt weiß. Und keine Sorge wegen Roderick, das war nichts persönliches. Der ist immer so. Er ist nicht wie die anderen, die nur Angst vor euch haben. Aber das muss ich euch ja nicht erzählen, das wisst ihr auch so.“ Hildegard machte eine wegwischende Handbewegung. „Immer wieder erlebe ich, wie ablehnend Menschen sich verhalten, wenn sie sich Fürchten. Die Fürchten sich schon von mir! Als ob ich ihnen was tun würde, ist das nicht lächerlich? Da kann man schon froh sein, wenn sich einer ablehnend verhält, weil er wirklich ein persönliches Problem hat. So wie ich mit euch.“ Sie lachte. „Oh, das hätte ich fast vergessen..“ ihr Blick wanderte zum unangetasteten Wein auf der anderen Seite des Tisches, ihres Glases mit Wein. Jetzt hätte sie wohl doch gerne einen Schluck gehabt. Sie sah Victor von Malfori wieder an, während sie noch vor ihm stand. „Ich denke ihr wollt mir nicht gerade die Hand zum Abschied geben, aber ich hoffe, dass wir uns nicht so bald wiedersehen, damit wir auch nicht so bald wieder aneinander geraten.“ Dabei legte sie ihm die Hand locker auf die Schulter. „Oh und eins noch. Ich würde es vorziehen, wenn ihr mich nicht einfach ungefragt Duzen würdet. Gehabt euch wohl, Victor.“ Dann schritt sie um den Tisch herum, griff nach dem Glas Wein und trank aus.

Victor hatte sich ihren etwas sprunghaften und, wie er fand, teilweise von durchaus nicht zulässigen Annahmen durchsetzen Monolog schweigend angehört und immer, wenn er hatte einhaken wollen, den Mund wieder geschlossen, weil Hildegard, offenbar unter dem Einfluss der neuen Eindrücke ein bisschen aufgekratzt, gleich weitergeplappert hatte. Und er hätte sie, an so einen Redeschwall nicht wirklich gewöhnt, beinahe auch wortlos gehen lassen, hätte sie ihm nicht die Hand auf die Schulter gelegt. Diese einfache, unbedachte Berührung jagte einen Schauder über Victors Haut.

„Darf ich euch noch eine Frage stellen, bevor ihr geht, Fräulein?“, wandte er dann mit ausgesuchter Höflichkeit ein, als sie das leere Weinglas wieder auf den Tisch stellte. Ein Teil von ihm zuckte zusammen. Der Wein war älter als sie und sie stürzte ihn herunter wie Wasser. Es lohnte wirklich nicht, für Menschen etwas besonderes aufzufahren. „Ich sehe, ihr macht euch eine ganze Reihe von Gedanken, aber ich bin mir nicht sicher: Hört ihr die auch, wenn ihr sie nicht aussprecht?“

„Wie bitte?“ Sie sah den plötzlich so ungewohnt höflichen Fürsten aus großen Augen an. Jetzt war sie doch schon so gut wie aus dem Zimmer verschwunden, womit wollte er sie denn nun schon wieder ärgern? Wollte er sie aufziehen? „Wie meint ihr das?“

„Ich meine“, Victor deutete ein Lächeln an und offensichtlich wollte er sie aufziehen, auch wenn sein Blick ganz offen und ehrlich wirkte, ein intensives Edelsteingrün, das sie keinen Moment aus den Augen ließ, als er ihr Weinglas aus der Karaffe nachfüllte, „dass ihr ohne Punkt und Komma redet. Bei einem anderen Kleriker hätte ich das ja auf den Beruf geschoben, deren Predigten hört außer ihnen selbst ja selten jemand zu, aber ich habe mir sagen lassen, die Kirche Sehanines sei nicht so sehr von der predigenden Fraktion. Mehr Wein?“

Mit Mühe versuchte sie ein Schmollen zu unterdrücken. „Danke. Ihr hättet auch direkt sagen können, dass ich zu viel rede. Aber wenigstens seid ihr ehrlich. Ich wüsste wie ihr wunderbar Gespräche mit mir vermeiden könntet: Ladet mich nicht vor.“ Sie überkreuzte die Arme. „Was wollt ihr eigentlich, außer mich aufziehen, meinen Stand beleidigen, meine Rasse kritisieren....?“ Doch sie konnte sich nicht verkneifen einen kurzen, leidenden Seitenblick auf das aufgefüllte Weinglas zu werfen. Immerhin hatte sie sich soeben bemüht den guten Wein so schnell sie konnte zu leeren, damit sie endlich gehen konnte. Natürlich könnte sie ihn auch stehen lassen... aber das wäre doch auch eine Form von Verschwendung. Wenigstens den Wein hätte sie sich als Belohnung dafür verdient extra den ganzen Weg aus Verlest hergekommen zu sein.

„Setzt euch, Hildegard. Eure Rasse, die ich keineswegs beleidigen wollte, ist nicht so kurzlebig, dass ihr den Wein nicht auch im Sitzen trinken könntet.“ Victor machte eine halb gelangweilte, halb einladende Handbewegung in Richtung des gepolsterten Stuhles, der auf der anderen Seite des Schreibtisches stand. „Ich habe euch gebeten herzukommen. Vorladungen sehen anders aus. Falls der Unterschied trotzdem nicht klar geworden ist, bitte ich das vielmals zu entschuldigen. Immerhin sprecht ihr aus, was ihr denkt, ihr glaubt nicht, wie dankbar ich euch dafür bin. Die Zahl der Menschen, die das in diesem Zimmer und in meiner Anwesenheit tun, ist bedauerlicherweise äußerst gering. Also...“ Victor hob seinen eigenen Pokal, in dem auf den ersten Blick die gleiche dunkelrote Flüssigkeit schwappte und prostete der Klerikerin zu, „ich danke dir.“

Hildegard seufzte, aber griff nach dem Weinglas und setzte sich hin. Immerhin kam sie so in den Genuss von noch etwas mehr von diesem Wein. Sollte Victor sich doch jetzt einmal aussprechen, sie war vorerst fertig. Vielleicht würde sie einfach dort sitzen, trinken und abwarten. Und...hatte er sich etwa gerade bei ihr entschuldigt? „Passt lieber auf was ihr sagt, Victor. Der Ältere bietet das Du an. Und wenn ihr so weiter macht, bin ich mir sicher dieses Angebot von euch gehört zu haben.“ Sie überschlug die Beine und lehnte sich mit einem Lächeln entspannt zurück. „Ich hätte nie gedacht eine Entschuldigung aus eurem Munde zu hören. Aber immerhin wart ihr schon bereit mir zuzuhören und sogar zu antworten und selbst Stellung zu beziehen. Also sollte ich euch wohl ebenfalls eine Chance geben euch auszusprechen, oder?“

„Wieso sollte ich mich aussprechen wollen? Das sieht am Ende noch so aus, als müsste ich mich vor Dir rechtfertigen“, Victor betonte die vertrauliche Anrede mit einem Zwinkern. „Aber du willst vermutlich wissen, wieso ich dich hergebeten habe. Ich hatte gehofft, nachdem du, und deine Freunde natürlich auch, dich als so... findig erwiesen hast in Ragnaron, dass du eventuell bereit wärst, noch eine kleine Aufgabe für mich zu übernehmen.“

Sie seufzte theatralisch und nahm erst in Ruhe einen Schluck Wein, bevor sie antwortete. „Victor, ich bin weder ein Söldner, noch ein Laufbursche. Ich dachte so weit hätte ich mich mittlerweile deutlich gemacht.“ Dann stützte sie sich auf den Schreibtisch auf und lehnte sich vor. „Und rechtfertigen...ist es nicht etwa das, was du vorhin getan hast? Also was für eine Aufgabe ist es, wegen der ich hergebeten wurde?“

„Das? Nein, das war mehr eine Erklärung, keine Rechtfertigung“, Victor machte eine wegwischende Handbewegung und nippte an seinem Glas, lehnte sich sogar entspannt in seinem Stuhl zurück, während er die über seinem Schreibtisch aufgebaute Hildegard musterte. „Und du wirst mir doch sicher zustimmen, dass Söldner und Laufbursche sehr engstirnige Kategorien sind, oder? Jeder Ritter ist ein Söldner und jeder Missus Dominici ein Laufbursche. Was sich ändert ist nur die Bezahlung und die Bedeutung der Botschaften.“

Hildegard von Weyersdorf lachte. Und ob das eine Rechtfertigung von Victor war! Dann sah sie Victor von Malfori mit einem selbstbewussten Grinsen ins Gesicht. „Oh, entschuldige bitte. Ich hätte das doch deutlicher machen sollen. Du hast tatsächlich Recht was das angeht. Also noch einmal genauer.“ Und jetzt ließ sie sich Zeit jedes Wort zu betonen. „Ich bin kein Laufbursche für dich. Ich bin Klerikerin, ich habe bereits einen anderen Auftraggeber.“ Dann lehnte sie sich wieder zurück. „Und außerdem bin ich nicht käuflich. Nicht von dir oder irgendjemand anderem.“ Dabei vergaß sie natürlich, dass sie auch als Klerikerin auf Geld angewiesen war und durchaus schon welches von verschiedenen Leuten angenommen hatte. Oft genug als Dank für Dinge die sie getan hatte. Doch es schien einen Unterschied für sie zu machen dazu Geld zu nehmen um sich in den Dienst einer Person zu stellen. Und sie könnte sich niemals gegen Geld in den Dienst Victors stellen. Das würde ihre Position ihm gegenüber schwächen. Es würde alles zwischen ihnen verändern, sagte ihr ein Gefühl.

Victor warf Hildegard noch einen nachdenklichen Blick zu. So sehr er ihre offene Art schätze, fragte er sich gerade doch, wieso er auf die Idee gekommen war, ausgerechnet diese Frau rufen zu lassen. Im Moment fielen ihm drei Dutzend Dinge an ihr ein, die ihn wahnsinnig machten und die Tatsache, dass sie offenbar eine Mischung aus Vorurteilen, voreiligen Schlüssen und persönlicher Antipathie gegen ihn kultivierte, war noch das kleinere Übel.

„Ich sehe, es gibt nichts, was ich dir in irgendeiner Weise anbieten könnte und was du haben wollen würdest. Danke für deine Zeit“, mit diesen Worten machte sich der Fürst daran, das vorher sorgfältig schräg positionierte Blatt wieder in den vor Hildegard geretteten Stapel einzuräumen.

Sie seufzte. „Ich glaube du hast mich missverstanden Victor. Entweder ich drücke mich wirklich dauernd falsch aus, was ich nicht von der Hand weisen würde, oder wir beide verstehen uns einfach nicht.“ Sie streckte ihren Arm aus und versuchte vorsichtig nach Victors Hand zu greifen. „Bitte schau mich an, Victor. Lege einmal alles beiseite was in der letzten halben Stunde passiert ist und sag mir doch einfach was du willst. Um was für eine Aufgabe geht es denn nun?“

Missverstanden? Wann, das erste oder das zweite Mal, als sie betont hatte, dass sie nicht bereit war, irgendeine Aufgabe für ihn zu erledigen, egal was, weil sie bereits einen göttlichen Auftrag hatte und damit offenbar außerhalb der Gesetzgebung und des Verständnisses sterblicher Menschen und Dämonen stand? Der Gedanke zuckte nur eine Sekunde lang auf und wurde dann völlig verdrängt von der Überraschung, dass sie seine Hand griff. Victors Blick als er aufschaute, sprach dann auch nur offen von dieser Überraschung, eine Geste, die den sonst schnell unnahbar wirkenden Fürsten menschlich und offen aussehen ließ. „Ich... in Ordnung. Aber nur, wenn du dich setzt, noch ein Glas Wein nimmst und mir zu Ende zuhörst.“

Hildegard nickte. „Gut, versprochen. Ich sage kein Wort bis du fertig bist, in Ordnung?“ Dann zog sie ihre Hand zurück, lehnte sich entspannt zurück und wartete darauf, dass er ihr Wein nachschenken würde. Dankbar nickte sie ihm zu und vermied es ihr Versprechen zu brechen, noch bevor er angesetzt hätte zu reden. Sein verwirrter Gesichtsausdruck und sein ungewöhnliches Verhalten, nachdem er sie beinahe schmollend weggeschickt hätte, ließ sie Lächeln. 'Schön, dass er nicht sofort die Segel streicht', dachte sie. Offensichtlich war es doch möglich wie zwei normale Menschen zu kommunizieren. Zumindest, so lange sie vorerst nichts sagte... was zwar nicht exakt die Definition von Kommunikation war, aber hinreichend genau für den Moment. Victor nahm sich die Zeit, Hildegards Glas vollzuschenken und sich selbst dann auch einen Schluck nachzufüllen, bevor er in einem weiteren Papierstapel nach ein paar Blättern fischte.

„Also gut. Du weißt sicher, dass ich vor kurzem ein paar neue Steuerreglungen eingeführt habe, die besonders religiöse Institutionen betreffen“, und das war exakt der Punkt, an dem er nicht wollte, das Hildegard einhakte, weshalb er sich beeilte, weiterzusprechen „Der Sinn des ganzen ist folgender, und verzeih, wenn ich ein bisschen weiter aushole: Die meisten Leute auf dem Land schicken, wenn sie sich überhaupt leisten können einen der Wanderlehrer zu bezahlen, ihren Ältesten zum Unterricht – vielleicht auch noch den zweiten Jungen, aber so gut wie nie ein Mädchen. Und das sollte man ändern, Mädchen sollten auch Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Oft übernehmen Tempel und Klöster die Funktion einer Schule, in anderen Dörfern ist man auf die Lehrer angewiesen. Die Idee ist, dass wenn die Staatskasse eine Zeit lang das Schulgeld für Mädchen übernimmt, das ein Selbstläufer wird. Keine Frau, die gesehen hat, wie weit eine gewisse Bildung sie bringen kann, wird sich damit abfinden, wenn ihre Töchter nicht Lesen und Schreiben lernen, oder?“ Auf halbem Weg durch seine Erklärung blickte er auf, um zu schauen, ob sein Gegenüber vielleicht schon einen fatalen Fehler in der Argumentation gefunden hatte.

Hildegard hörte gespannt zu, verkniff sich auch nur ein einziges Wort zu sagen und nickte immerhin, als sie merkte, dass sie fragend angesehen wurde. Zumindest dies sollte als einziges Mittel der nonverbalen Kommunikation wohl erlaubt sein, oder? Wenn sie schon sonst nichts zu diesem Plan sagen durfte. Immerhin wollte sie, dass er zu Ende sprechen konnte. Sie würde ihm gern zu dieser Idee gratulieren, ihn aber auch darauf aufmerksam machen, dass eine Weile wohl eine längere Weile sein müsse und dass man den Erfolg nicht garantieren könnte. Aber den Versuch wäre es ihr wert. Und sie hoffte ihm ebenso.

Da sie durch ihr Versprechen gehindert wurde 'sprich weiter!' zu sagen, versuchte Hildegard ihn aufmunternd anzusehen und Victor schmunzelte kurz, als er bemerkte, dass sie ihr Versprechen buchstabengetreu auslegte und fuhr fort: „Da das die Staatskasse über einige Jahre hinweg deutlich belasten wird, muss dieser Plan zumindest teilweise gegenfinanziert werden. Und da kommt die Tempelabgabe ins Spiel. Die religiösen Einrichtungen werden von Beamten besucht, ihre Ländereien und Betriebe geschätzt und entsprechende Steuern darauf erhoben. Da die Tempel gleichzeitig oft auch Schulen beherbergen, werden sie dazu ermutigt, auch Mädchen zu unterrichten – und vom Staat dafür entlohnt. Die Steuern sind so bemessen, dass einem Tempel, der mittels seiner Ländereien eine angemessen große Schule unterhält und der dafür sorgt, dass von den Kindern etwa die Hälfte Mädchen sind, durch das Schulgeld alle Steuern egalisiert werden. Ein Tempel, der eine überdurchschnittlich große Schule für seine Ressourcen unterhält, würde so Geld aus der Staatskasse erhalten statt Abgaben zu zahlen, ein Tempel dagegen, der entweder trotz reicher Ländereien keine Schule hat oder aus anderen Gründen keine Mädchen ausbilden will – nun, der muss draufzahlen. Die Schätzungen sind soweit abgeschlossen, die Zahlen sehen nicht schlecht aus, aber gelegentlich wird es von Nöten sein die Einhaltung der Vereinbarung zu überprüfen – und eine reisende Klerikerin könnte ja durchaus ein Auge darauf haben, ob in den Klassenzimmern auch die Zahl an Mädchen sitzt, von denen der Tempel behauptet hat, sie zu unterrichten...“

Sie saß wie auf glühenden Kohlen während sie auf eine Art Signal wartete, mit dem der Monolog Victors beendet wäre. Sie sollte sich etwas mehr entspannen, dachte sie. Einmal tief durchatmen, wie beim Gebet. Das würde sicher helfen gegen die Unruhe. War er denn noch immer nicht fertig? Sollte sie einfach noch mal nicken? Nicken wäre sicher eine gute Antwort.

Victor schaute das Nicken verständnislos an und machte dann eine ungehaltene kleine Handbewegung, die offenbar bedeuten sollte, dass sie jetzt etwas dazu sagen darf – und soll, sonst platzt der Fürst. Victor hatte seine Pläne zügig referiert, aber auch wenn er versucht hatte, das neutral darzustellen, konnte er nicht verhindern, dass seine Augen dabei stets ein bisschen mehr geleuchtet haben.

Sie blinzelte, unsicher, ob sie nun reden dürfe, oder nicht. War dieses Wedeln ein Signal? Wenn er jetzt eine längere Pause machte, hieß das sicher, dass er fertig sei, oder?

Noch immer starrte er sie erwartungsvoll an. Hildegard räusperte sich vorsichtig. „Darf ich jetzt wieder reden?“ Aber selbst nach der Bestätigung brauchte sie einen Moment um ihre Gedanken zu ordnen. Sie wollte nicht schon wieder einen Streit heraufbeschwören, nur weil sie unglücklich formulierte. Der kurze Waffenstillstand war ganz entspannend. Warum hatte er nicht gleich zu Beginn erklärt worum es ging? Sie hätte doch sofort zugestimmt. Aber wann hätte er es eigentlich tun sollen?

„Was soll ich sagen Victor? Du scheinst das ja bereits gründlich durchdacht zu haben und meine Einwände schon geklärt, bevor ich sie aussprechen konnte. Und ich möchte nicht schon wieder etwas...missverständliches sagen. Deshalb lass mich bitte auch erst ausreden. Ich bleibe dabei, dass ich mich nicht gegen Geld in den Dienst einer Person stelle. Ich halte nicht viel von Hörigkeit und gekaufter Loyalität. Ich möchte dir weder diese Absicht unterstellen, noch möchte ich einen Verdacht auf mich laden, in dem ich mich auf irgendeine Gehaltsliste setzen lasse. Ich stehe ja genau so wenig auf der von Verlest. Verstehst du was ich sagen will? Ich meine, dass du mich einfach darum hättest bitten können, weil es Dinge gibt für die man keine Gegenleistung braucht. Obwohl...eine Gegenleistung hätte ich schon erwartet und ja, auch von dir gewünscht. Und zwar eine respektvolle Behandlung.“

Das dritte Glas Wein veranlasste sie erst Recht ihm alles ins Gesicht sagen zu wollen. Und sicher war es auch der Grund für ihre ungewohnte Nervosität. Außerdem war ihr zum ersten male aufgefallen, dass er irgendwie verändert aussah, wenn sie ihn nicht gerade mit lange gehegtem Groll ansah. Aber sie konnte es nicht genau fassen, es war einfach irgendwie...anders. Sie stellte das Weinglas zur Vorsicht lieber wieder ab. „Und ich rede sicher schon wieder zu viel, oder?“

Victor schüttelte nach kurzem Nachdenken den Kopf. „Diesmal nicht, glaube ich.“ Einen Moment erwog er, dem ganzen doch noch eine Rechtfertigung folgen zu lassen, namentlich, dass er bei ihrer ersten Begegnung keine Zeit gehabt habe, sich auf Nettigkeiten zu verlegen – wenn man weiß, dass jeder Tag Verzögerung Menschenleben kostet und man weiß, dass man eine vielleicht nicht freundliche, aber wirkungsvolle Methode zur Hand hat, dann benutzt man eben die. Aber da Hildegard für den Moment zufrieden damit schien, die Vergangenheit ruhen zu lassen, brauchte er ihr auch nicht erklären, dass er weder vorgehabt hatte, sie dauerhaft auf eine Gehaltsliste zu setzen, noch, dass das Geleit, dass er ihr geschickt hatte, durchaus auch als Ehrengarde hätte aufgefasst werden können, wenn man sich nicht weigerte, diese Möglichkeit überhaupt in Betracht zu ziehen.

Stattdessen sagte er: „Wäre es dir eventuell möglich, auf deinen Reisen ein Auge darauf zu haben, ob die Tempelschulen ihre Unterrichtsvereinbarungen einhalten? Du würdest damit nicht nur mir, sondern vor allem den Mädchen einen großen Gefallen tun.“

„Aber ja doch, Victor“ gab sie lächelnd zurück. „Ich dachte genau das hätte ich gerade gesagt.“ Hildegard griff noch einmal nach ihren Weinglas um Victor zustimmend zu zu prosten. Bei sich dachte sie 'auf einen zweiten Versuch.'

Einen Moment überlegte er, ob er das Spiel gleich wieder lassen sollte, aber dann hob er sein Weinglas und ließ es mit hellklingendem Ton gegen Hildegards stoßen. „Das ist wirklich wunderbar. Ich ersetze dir selbstverständlich die Spesen.“

Für einen kurzen Moment sah sie ihn ungläubig an, dann brach sie in Gelächter aus. Aber schnell riss sie sich wieder zusammen und entgegnete mit einem Grinsen. „Selbstverständlich, Victor.“ Noch immer grinsend schüttelte sie sacht den Kopf. „Ich lehne Bezahlung ab, du bietest mir Spesen an.“ Sie nahm noch einen Schluck Wein. „Gut. Machen wir es so.“

„Du hast natürlich Recht, verzeih mir. Ich hätte sagen sollen: ich übernehme einen Teil der Spesen. Du bist ja ohnehin unterwegs und die Staatskasse ist belastet genug. Was sagst du zu vierzig Prozent? Sicher gewähren dir Tempel auch freie Kost und Unterkunft, oder? Offizielle Papiere kann ich dir leider nicht ausstellen, das würde der Idee einer verdeckten Kontrolle zuwiderlaufen.“ Mit einem Schmunzeln hob Victor sein Weinglas an die Lippen und beobachtete Hildegard über den Rand des Kelches hinweg. Jetzt, wo das ganze nach erfolgter Einigung nur noch ein belangloses Geplänkel war, blitzte so etwas wie Schalk in den smaragdgrünen Augen.

„Ach, eine verdeckte Kontrolle also? Ich muss mir also fadenscheinige Begründungen ausdenken, warum ich bei jeder noch so kleinen oder abgelegenen religiösen Einrichtung vorbeischaue und du willst mir nur 40 Prozent der Spesen ersetzen? Und ich bekomme nicht einmal so hübsches Briefpapier mit offiziellem Wappen drauf als Entschädigung?“ Hildegard kicherte. „Das klingt für mich nicht nach einem guten Angebot. Ich würde vorschlagen, dass Kost und Logis meine Sorgen sind, aber ich dir in Rechnung stelle, wenn ich mich dank des Sune-Tempels neu einkleiden muss.“ Sie lehnte sich vor über seinen Schreibtisch. „Und glaube mir, das käme dich sicher noch billiger als einen deiner Ritter dort wieder auszulösen. Dafür biete ich an dich freundlicherweise vorher zu benachrichtigen, falls ich mitbekommen sollte, dass mal wieder jemand vorbeikommen will zum Exorzieren. Was meinst du?“ Mit Sicherheit würde sie zumindest niemand verdächtigen für Victor von Malfori in Tempeln zu spionieren.

„Ich dachte, eine Sehanineklerikerin bräuchte gerade keine Begründung, um unterwegs zu sein und dabei ab und zu in einer abgelegenen Gegend in einem Tempel einzukehren. Einverstanden, sollten dich übereifrige Anhänger der Sune deiner Kleidung berauben, werde ich sie dir selbstverständlich ersetzen. Und die Warnung nehme ich gerne an – das vorher zu wissen macht es sehr viel einfacher, die Fanatiker in die Pause zu legen. Es ist immer so ärgerlich, wenn man die Arbeit von Stunden neu machen muss, nur weil ein Gift und Galle spuckender Eiferer meint, er müsste eine große Schau abziehen und einen Stapel Abrechnungen als 'dämonische-Schrägstrich-teuflische-Schrägstrich-gotteslästerliche Klammer auf,unzutreffendes streichen, Mehrfachnennungen möglich, Klammer zu, Schriften' vom Schreibtisch in den Kamin fegen.“

„Was, meiner Kleidung berauben??“ Eine leichte Röte zog sich unterhalb ihrer Sommersprossen entlang. „Nein, so war das natürlich nicht gemeint! Ich meine nur, dass Sune-Geweihte grundsätzlich an meinen Gewändern etwas auszusetzen haben! Sie haben einfach keinen Sinn für praktische Kleidung und mäkeln so lange herum, bis man sich lieber freiwillig umkleidet.“

„Es sind Suneanhänger. Sofern ich diesen Kult richtig verstanden habe, dürfte das, was sie an deinen Gewändern auszusetzen haben, die Tatsache sein, dass sie mehr als schätzungsweise 5-8% deines Körpers verhüllen. Außerdem, wenn sie sie dir nicht wegnehmen würden, müsste ich dir deine Sachen ja nicht ersetzen, oder?“

Victor beugte sich etwas vor, zum einen um Hildegards Glas aufzufüllen, zum anderen aber auch, um dieses zarte Erröten und die folgende Reaktion von Nahem betrachten zu können.

„Bitte? Nein, ich meine doch natürlich, sofern ich mich neu einkleiden muss, meine ich...“ Sie biss sich leicht auf die Lippen, weil sie merkte, dass sie unsicher wurde. Es irritierte sie immer zu merken, dass sie rot wurde. Und Victor von Malfori brachte sie tatsächlich in Verlegenheit. „Ihr bringt mich durcheinander Victor. Ich meine, du bringst mich durcheinander...“ 'Ach, verdammt! Glas nehmen und runter schauen bis der Moment vorüber ist, Hildegard!' „Oh, und danke für den Wein...“ Dabei studierte sie für einen kurzen Augenblick äußerst interessiert den Bodenbelag des Fürsten. 'Was für hübsche Holzdielen, gut aufbereitet für so ein altes Gebäude. Wobei, wie alt ist dieses Gebäude eigentlich?...' ihre Gedanken kreisten nun etwas ziellos um Belanglosigkeiten, bis sie sich erinnerte, dass es wohl höflich wäre von den Dielen wieder Abstand zu nehmen und zumindest grob in Richtung des Hausherren zu schauen.

Victors Gesichtsausdruck schwankte zwischen leicht irritierter Faszination über Hildegards Reaktion und kaum verhohlener Belustigung. „Das heißt dann – und korrigiere mich, wenn ich dich jetzt wieder falsch verstanden haben sollte – ich soll nicht deine verlorene Kleidung ersetzen, sondern dir ein Sune-Tempel taugliches Gewand finanzieren, ja? Einen Hauch von Nichts mit ein paar dekorativen Applikationen oder etwas in der Art?“

'Bei allen guten Göttern, das wird ja immer schlimmer!' Hildegard musste sich beherrschen um ihren Gesichtsausdruck nicht völlig entgleiten zu lassen. Machte er das mit Absicht? Zog er sie nur auf? „Bitte Victor, bei allem was dir lieb ist... lass uns bitte das Thema wechseln, du bringst mich wirklich in Verlegenheit! Ich möchte jetzt weder über Sune-taugliche, noch untaugliche Kleidung sprechen.“ Der Wein half ihr auch nicht gerade dabei ein Erröten zu unterdrücken. So langsam wurde ihr wirklich warm, aber der Tatsache konnte sie nun nicht entgegenwirken. Wenn sie wenigstens wieder auf ein neutrales Thema zurück kämen. Irgendetwas, dass sie nicht zwang mit Victor von Malfori über Sitten des Sune-Tempels oder deren präferierte Art sich zu kleiden zu sprechen. Immerhin war er auch nur ein Mann und dazu ein ziemlich fremder. Nicht, dass sie gerne mit ihrem Bruder oder ihren besten Freunden über dieses Thema debattiert hätte... was hatte sie sich auch dabei gedacht diesen Tempel überhaupt zu erwähnen? Um ehrlich zu sein überhaupt nichts...

Eindringlich, fast flehend sah sie Victor aus großen Augen an und hoffte er würde das Gesprächsthema kurzerhand wieder auf ein anderes Parkett verlegen, bevor sie aus Scham im gut gepflegten Dielenboden versinken müsste, oder der blasse Fürst den Schalk in sich wiederfand. War das etwa ein unterdrücktes Lachen auf seinen Lippen, oder bildete sie sich jetzt unter Einfluss des Weines schon Dinge ein?

Für einen Moment genoss Victor einfach noch das Schauspiel der errötenden Klerikerin vor sich. Warum war ihm eigentlich vorher nie aufgefallen, wie reizvoll die blonde Kratzbürste sein konnte? Aber vielleicht war das nur der Wein und das unstete Kerzenlicht, dass ihre Augen so weich schimmern ließ? Einen Moment später besann er sich darauf, dass ihr die ganze Situation ganz offensichtlich mehr als unangenehm war und dass es alles andere als höflich – und damit unverzeihlich – wäre, nicht das Thema zu wechseln. Ein anderes musste also entsprechend schnell gefunden werden. „Wann gedenkst du denn aufzubrechen, Hildegard?“ Es war vollkommen überflüssig, sie mit Namen anzusprechen, wenn sie die einzige Person im Raum war, aber er hatte ausprobieren wollen, wie ihr Name klang wenn man ihn weicher aussprach, passend zu ihren Augen.

'War dies der Rauswurf?', fragte sie sich und überlegte kurz, ob sie eigentlich zu viel getrunken hatte, oder noch elegant den Rückweg antreten könne. Aber mit Sicherheit wäre es besser jetzt bald zu gehen. „Ich, aufbrechen? Also eigentlich sollte ich ja so langsam... ich erwarte noch Nachricht von Elaril. Nach Dienstschluss, versteht sich.“ Aber sie wirkte deutlich erleichtert über den Themenwechsel. Victor von Malfori musste doch so etwas wie ein Herz besitzen. Sie war versucht ihm aus Dankbarkeit spontan die Hände zu drücken, aber der Moment währte nur kurz. Wäre es nicht eher...unpassend, wenn sie schon wieder über den Schreibtisch langte? Es kam ihr so vor, als hätte sie dies heute schon häufiger getan. Und warum dachte sie darüber nach, ob seine Haut immer kühl war? Das ging sie ja wohl auch gar nichts an. Starrte sie ihn jetzt etwa die ganze Zeit dümmlich an? Gerade fiel ihr auf, dass seine grünen Augen sie im flackernden Kerzenlicht wirklich an Edelsteine erinnerten.

Er lachte leicht. „Nicht jetzt. Ich wollte nur wissen, wann du generell gedenkst, wieder auf Reisen zu gehen. Und ich glaube nicht, dass Elaril so kühn ist, dir deine Nachricht in mein Arbeitszimmer schicken zu lassen“, setzte er mit einem kleinen Grinsen hinzu. Tyrann, schon vergessen, sagte das Schulbubengrinsen. Victors rechte Hand spielte abwesend mit dem Fuß seines Weinglases, schlanke blasse Finger, die aber nicht wirkten, als wären sie zwingend eiskalt. Da der Raum gut beheizt war, gab es überhaupt keine kalten Oberflächen, weder die gepflegten Dielen noch die aus dunklem Holz gefertigte und über die Jahre – vielleicht eher Jahrzehnte – weich geschliffene Tischplatte. Wie die meisten Gegenstände im Raum war der Tisch und das darauf liegende Schreibgerät von bester Qualität, aber schlicht. Das einzige, was Aufmerksamkeit und Licht fing und ab und an verschwenderische Funken sprühte, waren das Feuer und Victors Augen.

„Achso.“ Hildegard erwiderte das Lachen. „Das hängt von deinem Hauptmann ab, würde ich sagen. Ich wollte mich gerne ein paar Tage von der Reise erholen, bevor ich den Rückweg nach Verlest antrete. Und Elaril sollte mir eigentlich eine Nachricht in meine Pension senden, an welchem Tag er Zeit für seine weit gereiste Freundin hat, so lange diese doch einmal im Lande ist.“ Sie überschlug die Beine und fixierte Victor mit einem schelmischen Lächeln. „Weshalb fragst du? Kann deine fast kostenfreie Arbeitskraft dir etwa gar nicht früh genug mit der Arbeit anfangen?“ Ob sie ihn mal nach der Herkunft dieses Weines fragen sollte? Er würde ihre Eltern sicherlich interessieren, aber vermutlich käme man sowieso nirgends an ihn heran. Sie schwang den Rest ihres Weines ein paar mal im Glas und beobachtete die Bewegung. Manchmal zog die Reflexion rote Kreise über ihre Haut.

Diesmal war es Victor, der über den Tisch reichte, die Finger auf Hildegards Handgelenk legte und ihre Hand mit dem Weinglas mit sanften Druck wieder auf den Tisch brachte. Ein Druck, hinter dem die Option stand, trotz der schmalen und nur kühlen, nicht kalten Finger eine deutlich größere Kraft aufzubringen, falls nötig. Eine, der Knochen nur wenig entgegen zu setzen hatten. „Lass das.“

Irgendetwas an der Bewegung oder den Reflexionen hatte ihn offenbar in kürzester Zeit massiv gestört.

„Oh, tut mir leid.“ Völlig verwirrt und ohne Gegenwehr ließ sie Victor gewähren und setzte ihre Hand mit dem Weinglas wieder auf dem Schreibtisch ab. Zwei honigfarbene Augen blickten ihn plötzlich sehr fragend an. „Aber...was habe ich eigentlich getan?“ Hatte sie irgendetwas falsch gemacht? Und wenn ja, was? Vorsichtshalber ließ sie das Weinglas vorerst ganz los und legte die Hände in den Schoß.

Victor zog seine Hand langsam wieder zurück und schüttelte sich leicht. „Das Licht sah aus wie Blut“, erklärte er einfach und fügte, auf ihren weiterhin irritierten Blick, wieso ihn das stören würde, hinzu: „Und in meinem Glas ist den ganzen Abend über schon nur Wein.“

„Oh...“ es dauerte einen Moment bis der Inhalt über seine Worte in ihren Geist gewandert waren. „Oh! Tut mir wirklich leid Victor! Ich wollte dich nicht.....“ Sie rang vergeblich nach einer Formulierung und strich sich verlegen eine Strähne, die sich aus den langen Zöpfen gelöst hatte hinter das linke Ohr. Schließlich gab sie auf und seufzte schlicht. Sie sah ihn an und sagte sanft „Sag mir, wenn ich gehen soll Victor.“

„Das werde ich“, versprach er, verschwieg aber, dass das durchaus erst im Morgengrauen sein könnte. „Und du brauchst dir keine Sorgen machen, ich wollte das nur unterbinden, bevor... ich mich auf eine Art und Weise benehme, die für dich unangenehm ist.“ Pawlowsche Reflexe, wenn jemand quasi mit einem Dessert vor seiner Nase herumfuchtelte, konnte es eben vorkommen, dass er versehentlich seine Worte mit leisem Fauchen unterstrich, versuchte, den Geist der vermeintlichen Beute zu beeinflussen oder nicht darauf achtete, keine für menschliche Augen zu schnellen Bewegungen zu machen – das dämonische Äquivalent von Sabbern.

Hildegard nickte. „Ich mache mir aber keine Sorgen um mich, Victor. Ich dachte nur, dass du vielleicht lieber so langsam deine Ruhe haben möchtest, deinen Gast loswerden, dich um dich selbst kümmern und so weiter. Du hast sicher noch anderes zu tun diesen Abend, oder? Hast du nicht noch mehr 'Gäste' wie mich einbestellt?“ Zum ersten mal an diesem Abend zeigte sie sich ehrlich ein wenig besorgt um ihn. Sie hatte nicht auf die Zeit geachtet und würde sich im Moment auch nicht auf ihr eigenes Zeitgefühl verlassen wollen. Aber es kam ihr so vor, als wäre sie schon verhältnismäßig lange hier. Aber es war ihr nicht unrecht, seit sie im Grunde nur noch locker plauderten. Was war eigentlich passiert, dass sie es mittlerweile so empfand?

Zögerlich suchte ihre Hand wieder nach dem Weinglas, aber nicht ohne sich mit fragenden Blicken rückzuversichern, ob es in Ordnung sei, wenn sie den Rest jetzt austränke. Ihre schlanken Finger legten sich langsam um den Hals des Kelches, während die rechte Hand ruhig auf der Tischplatte lag. Sollte es für Victor unangenehm sein, würde sie den Wein einfach stehen lassen.

Victor ermutigte Hildegard mit einer kleinen Handbewegung, in Ruhe ihren Wein zu trinken. „Was keinen Aufschub duldet ist bereits erledigt.“ Der Fürst hatte bereits vor Hildegard Gäste empfangen und zog es auch sonst vor, die wichtigsten Besprechungen früh nach Einbruch der Dunkelheit zu legen – es war schlichtweg unhöflich, Menschen, die auch etwas vom Sonnentag haben wollten, für solche Sachen bis weit nach Mitternacht oder gar die frühen Morgenstunden warten zu lassen. „Und diese Steuerlisten laufen mir nicht weg.“ Er legte die Hand leicht auf den Papierstapel auf seinem Schreibtisch, offenbar das Arbeitspensum, dass er gerade stattdessen mit Hildegard verplauderte. Und er wunderte sich selbst darüber, wie wenig ihm die Zeit als verloren vorkam.

„Eigentlich schade, nicht?“ sie nickte kurz in Richtung des Papierstapels und lachte leicht.Victor war alt genug, er würde schon wissen was er tat. „Es wäre doch schön, wenn die Arbeit sich auch mal von selbst erledigen könnte.“ Sie war ieigentlich ganz froh ihre Zeit nicht immer mit den Rechnungsbüchern der Familie verbringen zu müssen. Wobei diese ihr noch angenehmer waren als die häuslichen Arbeiten, zu denen ihre Mutter sie immer wieder bewegen wollte. Sie hatte einfach kein Talent dafür, versuchte sie sich dann einzureden.

Am liebsten würde sie ihm helfen dieses bedrohlich aussehende Pensum abzuarbeiten, aber das war nun wirklich nicht ihre Aufgabe. Stattdessen setzte sie mit einem letzten Blick auf das Papier wieder ihr Weinglas an die Lippen und genoss die letzten Schlucke Rotwein. Dann überlegte sie kurz, stellte das leere Glas ab und fragte. „Das ist wirklich dein..Tagespensum?“

Er blätterte mit dem Daumen über die Ecke des Papierstapels und wiegte den Kopf einen Moment hin und her. „Mehr oder weniger. Hier sind noch ein paar Berichte darüber, wie viele Lämmer in diesem Frühjahr geboren wurden und die Schätzungen für notwendige Straßenreparaturen durch das Schmelzwasser und den starken Regen Ende April und Anfang des Monats. Das ist kein Tagesgeschäft, so gesehen“ Hildegard nickte und Victor fischte eine Reihe von mit schmalen Seidenkordeln zusammengehaltenen Berichten aus dem Stapel und verringerte diesen damit um etwas mehr als ein Drittel. „Das ist Tagespensum, Pi mal Daumen.“

Hildegard lehnte sich vor, stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch und staunte den Papierstapel an. Sie konnte gar nicht anders als jemanden mit dieser Disziplin zu bewundern. Spielerisch fuhr sie die unebenen Ränder der Blätter mit dem Zeigefinger nach. Ihre Augen glänzten. Allerdings nicht nur vor Bewunderung. Der Wein dürfte bald auch seine Rolle dabei spielen.

Sie wägte ab. Würde man all diese Energie in ihre Studien stecken...Allerdings bestand das Leben aus so viel mehr Dingen als nur Studien und sie wäre wohl auch ein schlechter Kleriker, wenn sie sich ausschließlich hinter ihren Büchern vergraben würde.

Sie versuchte einen Blick auf das oberste Blatt zu werfen, doch der auf dem Kopf stehende Text stellte mittlerweile eine kleine Schwierigkeit für sie dar. Also stand sie auf und ging um den Schreibtisch herum, bis sie die Seite lesen konnte. Der Inhalt sagte ihr nicht viel.

„Und damit verbringst du alle deine Abende?“ fragte sie den nun neben ihr sitzenden Fürsten. Die Stickereien auf ihrem weißen Kleid sollten mit Sicherheit silberne Halbmonde sein, doch das Kerzenlicht ließ sie eher golden glänzen. Der Ton passte deutlich besser zu ihrem Haar - dass ihr in dichten Zöpfen über den Rücken fiel während sie las - als Silber es könnte. Als sie den Kopf zu ihm drehte, hätte ihn beinahe einer der über die Schulter gefallenen Flechten am Arm berührt.

Hildegard streckte ihre rechte Hand aus um sie Victor fast freundschaftlich auf die Schulter zu legen, doch nur ihre Fingerspitzen setzten ganz leicht überhaupt auf dem glatten Oberstoff des Wamses auf.

Sie sah in seine schimmernden grünen Augen. „Ist das so, Victor?“

Victor schien ein bisschen erstaunt, dass Hildegard auf einmal so reges Interesse an seiner Arbeit zeigte und dafür sogar um den Tisch herum kam. Mit einem kritischen Blick auf die Geweihte versuchte er abzuschätzen, ob der jungen Frau der Rotwein vielleicht ein bisschen zu schnell zu Kopf gestiegen war, aber bis auf ein bisschen Farbe auf ihren Wangen und einen leichten Glanz in den Augen konnte er nichts erkennen, das darauf schließen lassen würde. Und es war ja auch nicht so, das sie sich auf seiner Schulter abstützen müsste, sondern ihre Finger lagen nur gerade so leicht auf dem Stoff auf, dass er sich einbilden konnte, sie müssten warm sein. „Die meisten“, räumte er ein, als ihm klar wurde, dass er irgendetwas auf ihre Frage antworten sollte, während ein Teil seiner Gedanken weiterhin damit beschäftigt war, den warmen, vollen Farbton ihrer Augen zu bewundern.

„So...“ die junge Klerikerin wirkte etwas nachdenklich. „Und was tust du, wenn du nicht am Schreibtisch sitzt und Papierkram erledigst? Ich meine, arbeitest du tatsächlich auch mal nicht? Hast du auch irgendwelche Freizeitbeschäftigungen?“ Sie stockte. „Oh, entschuldige. Das wirkt als würde ich dich ausfragen wollen. Aber mir ist nur gerade klar geworden, dass ich ja quasi gar nichts über dich weiß. Außer, dass du ein arroganter Tyrann bist, natürlich.“ Sie lächelte und ließ den Blick durch den Raum schweifen. War das sein Einrichtungsgeschmack, oder der seiner Vorgänger? Es dauerte eine ganze Weile bis sie sich mit leichtem Schrecken darauf besann, dass der Fürst zu ihrer Seite trotz seines Aussehens noch immer ein Dämon war und rein rechnerisch schon so einige hundert Jahre alt sein dürfte, eine Zeitspanne die sie sich mit ihren knapp über zwanzig Jahren nicht einmal wirklich vorstellen konnte.

Victor ahnte von Hildegards Überlegungen über seine Einrichtung natürlich nichts, denn er hatte sich höflich wieder vollständig aus ihren Gedanken zurückgezogen. Stattdessen fragte er sich, wie sie auf die Idee kam, dass er neben der Verwaltung von mittlerweile drei von vier Fürstentümern in den Reichen noch Freizeit haben könnte. Gut, in manchen langen Winternächten mochte das so sein, aber im Moment beanspruchten die chaotischen Verhältnisse in Ragnaron dauernd seine Aufmerksamkeit. „Nun, ich habe eine kleine Folterkammer im Keller und ab und zu lasse ich eine Jungfrau liefern...“

„Ach, doch nur so selten?“ sie kicherte. „Aber das könnte so einiges erklären...“ Hildegard ging langsam hinter Victors Stuhl vorbei und sah sich weiter im Raum um. Wie alt mochte er sein? Fünf oder sechshundert Jahre? Und sie schäkerten hier, eigentlich völlig lächerlich... „Und, sind es wenigstens hübsche Jungfrauen die von ihren Familien als Tribut geopfert werden?“

„Als würde ich mich mit weniger zufrieden geben!“ Der Fürst warf sich spielerisch in seinem Armstuhl in Pose, schüttelte dann aber mit leisem Lachen den Kopf. „Im Moment ist leider wirklich so viel zu tun, dass ich Nasszur vernachlässige, den Garten kaum sehe und so gut wie nie dazu komme, ein gutes Buch zur Hand zu nehmen. Und ich bin mir nicht mal mehr sicher, wo ich die Geige das letzte Mal hingelegt habe.“ Hildegard nickte in den Raum hinein. Das Problem nicht wirklich so etwas wie Freizeit zu haben, kannte sie. Wann hatte sie denn zuletzt etwas gelesen, was nichts mit irgendwelchen Studien zu tun hatte, einfach nur aus Freude am Lesen heraus? Die junge Frau wandte sich mit einem warmen Lächeln wieder zum Fürsten. „Vielleicht könnte ich jetzt ein gutes Buch genießen, wenn ich nicht zu dir nach Malfori gekommen wäre. Die zwei Wochen Reisezeit pro Strecke wären zumindest mal ein Buch gewesen, schätze ich. Und einen Folterkeller werden mir meine Eltern wohl kaum einrichten wollen. Oh, und falls es dich beruhigt, ich habe deinen Garten auf dem Weg gesehen, er scheint noch da zu sein.“

„Wenigstens das! Hast du vielleicht auch die Katze gesehen? Etwa so groß? Neigt dazu, sich auf Gäste zu legen?“ Victor zeigte mit der Hand die Rückenhöhe des Panthers, stand dann auf und streckte sich, bevor er an Hildegard vorbei zum Kamin ging und aus dem Korb daneben zwei trockene Holzscheite nachlegte. Knackend erwachten die Flammen zu neuem Leben. „Was das Buch angeht, kannst du dich gerne hier in der Bibliothek umsehen, vielleicht findest du etwas interessantes für die Rückreise.“

Die Klerikerin lachte. „Und soll ich das Buch dann auf dem Rücken des Pferdes lesen, während ich reite? Aber vielen Dank für das Angebot. Eventuell komme ich doch darauf zurück...Ich bin zugegeben neugierig auf die Bibliothek.“ Sie versuchte Victors Rückenansicht zu ignorieren, trat an das Feuer heran und hielt ihre Hände davor. Sie mochte das Flammenspiel von offenem Feuer und genoss die ausstrahlende Wärme. „Deine Katze fiel diesmal wohl nicht über mich drüber, tut mir leid. Vielleicht hatte sie gerade jemand interessanteren zum Umwerfen gefunden, als ich vorbeikam.“ Ein mindestens fünfhundert Jahre alter Dämon. Und sie sah es ihm nicht im geringsten an. Aber es schüchterte sie doch ein wenig ein. Mit Elfen und deren langen Lebensspannen war man als Verlester vertraut und ebenso hatte sie sich an den Gedanken gewöhnt, dass auch ihr Freund Dvalinn sie um ein deutliches überleben würde. Zumindest, wenn er sich nicht besonders dumm anstellte. Es galten eben andere Regeln für andere Rassen. Trotzdem hatten auch Dvalinn und Elaril wohl nur einen Bruchteil der Jahre von Victor erreicht.

Die junge Frau beobachtete ihre Hände im Gegenlicht des Feuers. Sie waren lang und schmal und zeugten vom wochenlangen Ritt und dem Umgang mit Waffen. Sie seufzte.

Victor sah Hildegard von der Seite her an und schwieg. Sicher, er hätte ausführen können, dass niemand sie zwang bis spätabends und zur totalen Erschöpfung zu reiten und sicher konnte man dann abends ein Buch lesen auf dem Rückweg. Aber das wusste die Klerikerin sicher auch selbst und sie wollte bestimmt nicht dauernd belehrt werden. Der Dämon hätte sich schmunzelnd bedankt dafür, dass Hildegard ihn so jung schätzte. Auch, wenn er nach den Maßstäben seiner Rasse noch keineswegs alt war. Wenn man einmal raus hatte, wie man den Mob mit den Fackeln und den Mistgabeln vermied, konnten Dämonen noch sehr viel älter werden. Und der einzige Feind, den sie dann noch zu fürchten hatten waren neben ihrer eigenen Arroganz ihresgleichen.

„Victor? Umfasst deine Bibliothek eigentlich auch Gedichtbände?“ "Dürfte man Bibliothek dazu sagen, wenn dem nicht so wäre?" Sie lächelte. „Auch in meiner Sprache, oder meinetwegen Zwergisch? Mein Elfisch ist...nicht so besonders. Und ich fürchte mit deiner Sprache tue ich mich noch schwerer.“ Hildegard war Verlesterin und sollte Schwierigkeiten mit Elfisch haben? Das war zugegeben ungewöhnlich. „Wie kommt das?“ „Was?“ fragte sie mit einem Lachen in der Stimme zurück. „Meinst du es gibt viele Sprachlehrer für Dämonisch?“ Sie drehte sich zu ihm um. „Nein, ich weiß schon was du meinst. Aber ich weiß nicht, was in meiner Akte stand, mit der du bei unserem ersten Zusammentreffen gewunken hast und in der angeblich irgendetwas belastendes über mich steht. Ich nehme eher an es ist belangloses. Aber falls diese Akte tatsächlich existieren sollte und auch nur einigermaßen vollständig ist, dann sollte man ihr entnehmen können, dass ich ein ehemaliger Ausreißer bin. Und das noch bevor meine heimische Ausbildung beendet war. Und zu meinen damaligen Versäumnissen gehören wohl auch einige Lektionen in Elfisch.“ Sie rieb sich ein letztes mal die Hände, die noch immer angenehm warm vom Feuer waren. Dann griff sie nach Victors Hand. „Nun gut, wirst du mir die Ehre erweisen und mir persönlich den Weg zur Bibliothek zeigen, oder soll ich draußen nach dem Weg fragen und behaupten du hättest es mir erlaubt? Was mir sicherlich jeder sofort glauben wird.“ Das Zwinkern in ihren Augen verriet, dass sie auf ihr selbst bei den Hausangestellten bekanntes, gespanntes Verhältnis anspielte.

Im ersten Moment wusste Victor gar nicht, was er tun oder sagen sollte. Hildegards Hände waren jetzt deutlich wärmer als seine, ihre Haut glühte förmlich auf seiner. Am meisten aber verwirrte – und entzückte, auch wenn er sich dieser Empfindung erst im Nachsatz klar wurde – die unbedachte Art, mit der sie seine Hand ergriff. Die meisten Menschen hatten vor seinem Amt oder seiner Person – oder beiden – soviel Angst und Respekt, dass sie jeden Körperkontakt mieden. Vielleicht war es auch teilweise der Wein, sinnierte er und achtete dabei nicht darauf, was er tat, bis er merkte, wie Hildegards Handrücken seine Lippen berührte und er sich selbst sagen hörte „Es wäre mir ein Vergnügen, dir persönlich die Bibliothek zu zeigen. Hier entlang.“

Sie spürte ein bekanntes Kribbeln und wusste, dass ihr die Röte nun definitiv zu Kopf gestiegen war. Ihr Herz klopfte viel zu schnell und sie hoffte, dass er zumindest das nicht bemerken würde als sie nach seinem Arm griff, den er ihr anbot. Selbst durch den festen Stoff der Jacke hindurch konnte sie die Kraft spüren, die sich darunter versteckte. Hildegard hielt den Kopf leicht gesenkt im Versuch sich nichts anmerken zu lassen.

Victor nahm das heftige Schlagen ihres Herzens eher am Rande wahr. Selbstverständlich war eine solche Veränderung nichts, was einem Wesen entging, dass sich vom Blut seiner Mitmenschen nährte, aber im Moment war er zu sehr darauf bedacht, Hildegard möglichst ohne einen weiteren Ausrutscher in die Bibliothek zu bringen. Was hatte er sich überhaupt dabei gedacht? Gar nichts, das war es. Gar nichts und jetzt hatte er noch immer den Duft ihrer Haut in der Nase, als er ihr die Tür zur Bibliothek offen hielt: Seife und Leder und Sommernacht und noch etwas anderes, wie frische Kräuter, gut, aber nicht zu süß.

Die wenigen Angestellten denen sie auf dem Weg in die Bibliothek begegneten, hielten sich höflich zurück und versuchten sich ihre Verwunderung nicht anmerken zu lassen. War dies die Geweihte die vor einer ganzen Weile wütend im Arbeitszimmer des Fürsten verschwunden war?

Die Bibliothek selbst beeindruckte Hildegard schon beim Eintreten. Sie ließ seinen Arm los und machte einige Schritte in den Raum hinein. Die Bibliothek mit ihren dunklen Holzregalen fasste mehr Bücher in ihren hohen Räumen, als Hildegard erwartet hatte. Sie staunte über die Auswahl an ledergebundenem und versuchte sich zuerst einen Überblick über die Sortierung zu verschaffen. In diesem Moment vergaß sie sogar auf die Kopfschmerzen zu achten, die zu einem stetigen Begleiter für sie zwischen diesen Mauern geworden waren. Sie drängte es beiseite. Doch wäre dieser ständige Druck nicht, sie würde freiwillig eine Woche oder mehr allein in dieser Bibliothek verbringen. Mit fast kindlicher Freude und leuchtenden Augen begann sie die Titel im nächstgelegenen Regal zu entziffern. Es gab wohl doch noch etwas, was ihr Freude bereitete. Die entzückte Geweihte drehte sich wieder zu ihrem Gastgeber um. „Großartig, Victor. Und wo genau finde ich jetzt was?“

Hinter Hildegard betrat Victor selbst den Raum und schloss die Tür hinter sich. Er lächelte über das Staunen der Klerikerin, auch wenn er das Gefühl gut nachvollziehen konnte. Selbst auf ihn hatten die hohen Regale und die langen, im Halbschatten liegenden Gänge immer wieder eine erhabene und beruhigende Wirkung. Mit einer Handbewegung forderte er Hildegard auf, ihm zu folgen. Gegenüber des Einganges war ein Kamin in einem Pfeiler eingelassen, davor standen zwei Sessel. Auf dem Sims des Kamins standen zu beiden Seiten Sturmlaternen, von denen Victor jetzt eine mit einem Holzspan am Feuer entzündete und das Glas vorsichtig über die Flamme herabließ. Normalerweise brauchte er diese Lichtquelle nicht, aber die Regale, die sich im hinteren Teil des Raumes befanden und die der Feuerschein des Kamins nicht mal mehr streifte, lagen um diese Zeit in tiefem Dunkel und Hildegard würde sonst nichts sehen.

„Die drei Regale auf der rechten Seite und die Rückwand sind vor allem Akten und Geschichtswerke, Chroniken, Annalen und dergleichen. Aber an allen Regalen findest du vor Kopf eine Tafel, auf der zumindest grob die Themenbereiche verzeichnet sind, die das Regal enthält. Lyrik müsste...“ Victor hielt auf zwei Regale eher in der linken Hälfte, unmittelbar neben der Kante des Pfeilers zu, die sich nach hinten in die Dunkelheit fortsetzen. „... hier sein. Ja.“

Konzentriert ging sie durch die Titel. Einiges kannte sie bereits, doch der Großteil war ihr nicht mal ein Begriff. Die obersten Titel konnte sie so ohne weiteres von ihrem Standpunkt aus nicht mehr lesen, aber vielleicht hätte sie auch auf ihrer Höhe noch Glück. Es dauerte einige Minuten, dann verkündete ein Ausruf der Freude davon, dass sie vermutlich etwas gefunden hatte. „Ah, ich habe Glück!“ triumphierend nahm sie einen recht unauffälligen Band aus dem Regal. „Das ist tatsächlich der zweite Band, den ich bisher nicht finden konnte.“ sie hielt Victor das Buch entgegen. „Wäre es in Ordnung, wenn ich mir den hier leihe?“

Victor hatte ihr, während sie gesucht hatte, schweigend die Lampe gehalten, damit sie die Titel auf den Buchrücken entziffern konnte. „Nur zu“, gestatte er bereits, bevor er einen Blick auf den Einband warf um zu erfahren, was sein Gast denn wohl gerade las.

Die junge Frau drückte das Buch mit einer Hand an sich und legte den freien Arm spontan um des Fürsten Hals um sich zu bedanken. Eine kurze Umarmung und sie löste sich schnell wieder von ihm. „Oh, tut mir leid, die Laterne! Ich vergaß für einen Moment, dass du mit echtem Feuer beleuchtest.“ Manchmal war sie wohl wirklich etwas zu impulsiv, ärgerte sie sich. In einer Bibliothek nahezu unverzeihlich, wenn es um Feuer ging. „Es ist nur...ich suche das Buch schon seit Jahren, weißt du. Ein glücklicher Zufall, dass du es in deiner Bibliothek hast. Ich habe den ersten Band noch als junges Mädchen gelesen und später als ich in Ausbildung war fiel es mir wieder ein, aber ich bekam die Bände unterwegs nicht zusammen.“ Sie blinzelte kurz. „Aber ich rede schon wieder zu viel und dazu auch nichts interessantes, tut mir leid. Sollen wir vielleicht lieber für den Rückweg auf eine nicht-brennende Lichtquelle zurückgreifen?“

Er hatte die Sturmlaterne trotz seiner Überraschung blitzschnell hoch und in Sicherheit gehalten, und senkte sie jetzt langsam wieder auf Schulterhöhe. „Ich wollte immer mal auf diese Leuchtwürmer umstellen, die die Zwerge verwenden, aber ich brauche normalerweise kein Licht und wenn andere Leute hier drin sind, dann eher tagsüber.“ Auch wenn der Rückweg bis in den Lichtschein des Kamins nicht wirklich lang war, folgte er ihrem Vorschlag und löschte die Laterne. Er nahm an, dass sie auf magischem Wege ein für die Bücher ungefährliches Licht erzeugen wollte und hatte, sofern sie dafür nicht irgendeine Sonnenlicht gleichende Komponente verwendete, nichts dagegen. Vor allem aber wollte er die wenigen Herzschläge – ihr Herz schlug schon wieder so laut – nutzen, bevor sie dieses Licht entzündete, um sie im Dunkeln zu betrachten. Im Gegensatz zu den meisten Rassen mit Dunkelsicht, die sich auf Schwarz-Weiß beschränkte, war die Nacht für ihn bunt, auch wenn sich die Farben von denen unterschieden, die er mit Licht wahrnahm. Das Dunkle Spektrum offenbarte ihm einen Anblick, der selbst Victor kurz hörbar nach Luft schnappen ließ.

„Victor, stimmt etwas nicht?“ rief sie besorgt in die plötzlich entstandene Dunkelheit, dann sprach sie schnell ein paar leise Worte und das Buch in ihren Händen begann zu leuchten wie eine Fackel die nicht verbrannte. Das von ihm ausgehende Licht erfüllte fast den ganzen Raum.

Doch als sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten, sah sie nichts bedrohliches und konnte nicht ausmachen was Victor gesehen haben mochte. Ein wenig verwirrt sah sie ihn an. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“ Sie ließ den Blick noch einmal durch den Raum schweifen, aber sah nichts außer den Regalen, den Sesseln und ein Buch auf dem Beistelltisch des einen. Es lag ein Lesezeichen darin, was Hildegard wiederum neugierig machte. Sie ging ein Stück darauf zu um den Titel zu lesen.

Als das Licht, das von dem Buch ausstrahlte, Victors Gesicht erreichte, wirkte er einen Moment lang fast enttäuscht. Die honigfarbenen Augen der Klerikerin hatten im Dunkeln einen noch eindringlicheren Ton angenommen, nicht unähnlich der Farbe, die schmelzendes Gold in der Glut hatte. Im Licht dagegen hatte er das Gefühl, nur eine spiegelnde Oberfläche betrachten zu können. Das zu erklären allerdings schien ihm ein wenig zu weit zu gehen, also sagte er schlicht „Ich habe nur etwas von dem Rauch eingeatmet, als ich die Flamme ausgeblasen habe, nichts weiter.“

Das Buch auf dem Beistelltisch war vielleicht, dem Lesezeichen nach, zu einem Drittel gelesen und die silberne Prägung auf dem blauen Leineneinband verriet, dass es sich um die Gemeinsprachliche Übertragung des Werkes eines wohl terranischen Naturphilosophen handelte.

Hildegard nickte beruhigt, offensichtlich zufrieden mit Victors Erklärung und strich mit der freien Hand über die Silberprägung. Sie liebte die Einzigartigkeit dieser gebundenen Kunstwerke, ob mit oder ohne Verzierungen. 'Naturphilosophie?' Hildegard schmunzelte. Er schien doch ein weites Interessengebiet zu haben. Aber gut, immerhin hatte er auch Jahre Zeit und es würde sicherlich langweilig werden sich immer nur mit den gleichen Themen auseinander zu setzen. Aber ansonsten hatte sie den Eindruck, würde er sich zu wenig Zeit für sich selbst gönnen und sich vermutlich viel zu sehr in diesen Bergen von Akten vergraben. Sie erinnerte sich an den Stapel an Papieren auf seinem Schreibtisch, die er als Tagewerk betrachtete und drehte sich um. „Habe ich dich eigentlich richtig verstanden, dass heute keine Angelegenheiten mehr anstehen die so dringend wären, dass du nicht noch ein wenig Zeit mit mir vergeuden könntest?“

„Ich bezweifle stark, dass ich 'vergeuden' gesagt habe, aber im Großen und Ganzen ist die Antwort: Ja.“ Sicher hätte man die Ausgabe aufwendiger gestalten können und viele der Lederbände in den Regalen waren Schmuckbände. In diesem Fall war es Victor allerdings eher darauf angekommen, überhaupt eine Abschrift des Werkes zu bekommen und nur für sich selbst orderte er keine überbordenden Extras. Er folgte der Bewegung ihrer Hand mit dem Blick und zuckte auf ihr Schmunzeln andeutungsweise die Schultern: Wenn sie, die sonst allzu praktische Klerikerin, Lyrik lesen konnte, konnte er ja wohl auch Naturphilosophie studieren.

„Wunderbar, darauf hatte ich gehofft!“ mit einem breiten Lächeln hakte sie sich bei ihm unter. „Dann sei doch so freundlich und begleite mich in den Garten, ich möchte deine Katze suchen.“ Das Buch würde ihnen auch draußen den Weg leuchten und für Hildegard als Beleuchtung auch im Garten völlig ausreichend sein, ihr ging es in erster Linie darum Nasszur zu finden und wenigstens ein bisschen Zeit mit seinem Besitzer zu gönnen. Dann könnte sie sich auch zufrieden verabschieden. Zumindest stellte sie es sich so vor. „Und dann könntest du mir unterwegs auch erzählen was du zurzeit liest. Falls es dir nichts ausmacht, natürlich.“

Der Fürst von Malfori schaute nicht wenig überrascht – zum wiederholten Male an diesem Tag – als Hildegard sich einfach bei ihm unterhakte. „Wenn du möchtest. Ich fürchte nur, es ist nicht besonders interessant zu erklären. Es geht vornehmlich um die Frage, woraus die stoffliche Welt aufgebaut ist und wie Veränderungen von Materie zu erklären sind. Der Autor entwickelt dabei ein vielleicht etwas naives System, das auf der Vermischung von fünf Elementen beruht. Insgesamt ist es aber ein faszinierender Ansatz, eine solche Erklärung quasi aus dem Nichts zu erdenken und logischer Prüfung zu unterziehen.“

Während er sprach, führte er Hildegard durch die Gänge des Schlosses und schließlich über eine Nebentür in den Garten hinaus. „Und wie benennt der Autor diese fünf Elemente, was sind sie für ihn?“ Sie hatte ihm aufmerksam zugehört, doch seine Reaktion als sie sich bei ihm unterhakte war ihr nicht entgangen. Und da sie vermutete der Körperkontakt könne ihm unangenehm sein, oder ihm als ungebührlich erscheinen, lies sie seinen Arm nach kurzer Zeit schon wieder los, als er ihr eine der Türen auf dem Weg aufhielt und hielt sich stattdessen mit beiden Händen an ihrem geliehenen, leuchtenden Buch fest.

„Feuer, Wasser, Luft, Erde und Äther. Wobei Äther die Quintessenz der anderen Elemente ist. Und man kann zwischen den anderen Elementen durch Verdichten oder das Gegenteil davon wechseln, beispielsweise wird komprimierte Luft Wasser, weiter komprimiert Erde oder aber leichter als Luft Feuer. Oder so ähnlich.“ Victor machte eine vage Handbewegung, die bedeuten konnte, dass er in letzter Zeit keine Muße gefunden hatte sich weiter einzulesen, aber genauso gut, dass er den Autor nicht vollständig verstanden hatte – oder das vorgestellte System stellenweise unklar oder unlogisch war. „Hmm...“ sie dachte kurz konzentriert nach, bevor sie die nächste Frage stellte. „Ich glaube ich verstehe Äther als Quintessenz der anderen vier Elemente nicht so ohne weitere Erläuterung. Und gibt es auch einen Ansatz zur Erklärung von Magie? Ich habe schon häufiger gelesen, dass Magie als eines der Elemente genannt wird, mögen es nun diese oder andere Fünf sein. Sowieso ist die Auswahl dessen was als Element verstanden wird immer faszinierend, oder?“ Sie begann ihre Überlegungen zu diesem Thema mit Gesten zu untermalen, was für sie völlig typisch war und hatte den Sinn ihres Ausfluges in den Garten schon verdrängt, bis sie mitten darin standen. „Achja, die Katze! Wo ist Nasszur denn nun?“ Suchend versuchte sie den Garten zu überblicken. Sie waren, ins Gespräch vertieft, schon ein Stück weit in den Garten hineingegangen und der Kiesweg hatte weich federndem Gras Platz gemacht. Überall dort, wo das magische Licht hinreichte, waren die Farben und Konturen der Rosenbüsche klar, die Schatten darunter und dahinter schwarze Scherenschnitte, während dahinter graue Büsche und bläuliche Schatten unter einem bleichen und von hohen, dünnen Wolken oftmals gedämpften Mond lagen.

„Ich fürchte, soweit bin ich noch nicht, Äther scheint für ihn leichter zu sein als alle anderen und die eigentliche Grundmaterie, aus der alles andere besteht. Und zu der Zeit und an dem Ort, an dem das Buch geschrieben wurde, gab es keine Magie. Oder wenn, müsste man sie sich über eine Manipulation des Äthers wirkend vorstellen.“ Er sah sich suchend um „Nasszur!“ Victor hatte nicht einmal sonderlich laut gerufen, aber Hildegard spürte instinktiv, dass dem hörbaren Ruf ein zweiter folgte. Das Gefühl war vergleichbar mit dem, als Victors Geist ihren berührt hatte, nur ungleich schwächer, als würde ein Teil seines Geistes ihren nur streifen und dann auf etwas anderes gerichtet sein.

'Ein Ort und eine Zeit ohne Magie?' verwundert versuchte Hildegard sich so etwas vorzustellen, aber konnte es nicht so recht. Magie war etwas so natürliches und genau so spürbar wie die Luft die sie atmete und die in Form eines Windhauchs über ihre Haut fuhr. Sie konnte sich keine Welt ohne vorstellen, die so plastisch und lebendig war wie die ihre. Sie fröstelte kurz während sie nachdachte und richtete ihre Gedanken dann beinahe genau so instinktiv auf das Rufen, dass sie geräuschlos zu hören glaubte. Sie war versucht sich dem Ruf zuzuwenden und nach dessen Ursprung zu suchen, aber schüttelte diese Gedanken ab. In diesem Augenblick fiel ihr auf wie viel klarer ihre Gedanken sich anfühlten, jetzt wo dieser ständige Schmerz in ihrem Kopf nachließ, über den sie kaum mehr nachgedacht hatte, der sie aber dennoch nicht ganz losließ. Erleichtert seufzte sie auf. „Und, kommt Nasszur?“

„Wehe ihm, wenn nicht“, antwortete Victor. Wenn man schon eine Raubkatze als Haustier hatte, musste die aufs Wort hören. Gerade solche Befehle wie 'Die Gäste sind kein Fresschen!' waren essentiell. Er hatte die Worte auch kaum zu Ende gesprochen, als es unter den Rosenbüschen raschelte und der Panther, einen Regen aus blutroten Blütenblättern mitreißend, vor ihnen auf dem Gras landete und gleich zum nächsten Sprung ansetzte. Victor hatte gerade noch Zeit, einen Fuß nach hinten zu stellen und dann hatte er sein „Kätzchen“ auf dem Arm.

Hildegard konnte ein Kichern ob dieses Anblicks nicht unterdrücken. Der Fürst mit seiner übergroßen „Katze“ hatte durchaus etwas skurriles. „Na da freut sich aber wohl jemand dich wiederzusehen, Victor!“ noch immer lachend suchte sie sich ein Plätzchen von dem aus sie die beiden amüsiert beobachten konnte. Sie zog es vor nicht zu riskieren, dass Nasszur auf die Idee kommen könnte mit ihr genau so verfahren zu können wie mit Victor, denn sie läge jetzt mit Sicherheit mit ein paar unschönen Prellungen unter der Katze auf dem Rücken.

Hildegard steuerte also die nächste Marmorbank an die sie fand und wartete ab. Sollte Nasszur tatsächlich zum Spielen kommen wollen, wäre sie zumindest auf dieser Höhe nicht mehr gefährdet sich den Hals zu brechen oder hätte Zeit noch schnell einen Zauber vorher auszusprechen. Auf niedriger Höhe mochte sie Victors ungewöhnliche Katze eigentlich recht gern.

Victor schmunzelte selbst über das Riesenkätzchen, dass er plötzlich auf dem Arm hatte, drückte die Nase einen Moment in Nasszurs Nackenfell und nötigte die Katze dann zurück auf den Boden, wo Nasszur ihn beinahe doch noch damit zu Fall brachte, dass er seinen massigen Kopf an Victors Knien rieb. Der Fürst brachte sich dagegen schnell neben Hildegard auf der Bank in Sicherheit und vergrub die schlanken, blassen Finger im Fell des Panthers, der sich mit einem an fernen Donner erinnernden Schnurren zwischen Hildegard und Victor zwängte, um möglichst ausgiebig und von allen verfügbaren Händen gekrault zu werden.

„Oha, na da ist ja wieder jemand anhänglich!“ Die Klerikerin legte das Buch zur Seite und beugte sich zu Nasszur herunter, kraulte diesen am Kopf und ging dann dazu über auf der ihr zugewandten Seite mit gleichmäßigen Bewegungen durch das schwarze Fell des Panthers zu streichen. Es hatte fast etwas meditatives die Riesenkatze zu streicheln und dabei ihrem tiefen Schnurren zu lauschen. Eine Weile saß sie schweigend, fuhr mit den Fingern durch das glatte Fell und beobachtete Victors blasse Hände. Im Halbdunkel des Gartens unterschieden sie sich gar nicht so sehr von den ihren, so lange nicht der Schein des Buches ihn gerade streifte. Sie setzte an von ihrer ersten Begegnung mit Nasszur zu erzählen. „Als wir das letzte mal hier waren, überraschte uns deine Katze ja ziemlich. Und sie schien einen ausgesprochen großen Gefallen an Dvalinn gefunden zu haben.“

„Das kann ich mir gut vorstellen. Er springt gerne Leute an und er soll das nicht, weil die meisten Leute dann umfallen. Zwerge mit ihrem tiefen Schwerpunkt haben immerhin die Chance, stehen zu bleiben.“ Nasszur, der zumindest ahnte, dass über ihn gesprochen wurde, drehte die Ohren bald hier, bald dorthin und pfotete mit eingefahrenen Krallen nach Victors Knie, als dieser für einen Moment das Streicheln einstellte. „Ja, genau du, alter Spring-ins-Feld“, bekam der Panther darauf zu hören, aber Victor nahm das Kraulen pflichtschuldig, wenn auch kopfschüttelnd wieder auf.

Als katzenkraulendes Herrchen hatte Victor irgendwie so gar nichts arrogantes, befand sie. Im Grunde war er sogar richtig süß in diesem Moment, stellte sie mit leichtem Erschrecken fest. Und sie hatte nicht mehr das Gefühl dieser unbedingten Bedrohung, die sie sofort auf Konfrontationskurs gehen ließ und die dafür sorgte, dass sich bei seinem Anblick alles in ihr sträubte. Die Aggression war verschwunden, irgendwann im Laufe des Abends verloren gegangen. Und sie wäre froh diesen deutlich angenehmeren Eindruck mit nach Hause nehmen zu können. „Ich glaube, dass auch Dvalinn Spaß daran hatte mit Nasszur zu spielen, also ist es nicht schlimm. Glücklicherweise schien er auch unterscheiden zu können, mit wem er das machen kann und mit wem nicht.“ Sie lachte. „Nicht wahr Nasszur?“

Dann drehte sie sich noch einmal zu Victor, ohne aufzuhören den schwarzen Panther zu kraulen. „Ich danke dir jedenfalls für den schönen Abend Victor. Ich glaube es ist deutlich besser so wie es jetzt ist, als noch vor ein paar Stunden.“

„Ich hoffe doch, dass er das weiß“, der Panther versuchte zwar, Hildegards Gebrauch seines Namens als Einladung auszulegen, ihr vielleicht auch mal auf den Schoß zu springen, aber Victor unterband schon den Versuch, als er merkte, wie die Katze die Muskeln anspannte, durch einen festen Griff ins Nackenfell und leichten Druck nach unten. Als Resultat rollte die schwarze Katze sich auf die Stiefel ihres Herren und ließ sich jetzt den Bauch kraulen. „Das freut mich“, antwortete er auf ihre andere Aussage etwas allgemein. Victor hielt nicht viel davon, über solche Dinge zu sprechen. Sie waren oder sie waren nicht, aber meistens redete man sie nicht herbei, sondern tot.

Sie nahm das Buch an sich, bückte sich kurz um Nasszur zu streicheln und stand auf. „Wiedersehen Nasszur, wiedersehen Victor.“ Sie klopfte ihm zum Abschied sanft auf die Schulter und ging.

Das rote Kleid

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Rückkehr nach Malfori

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Das Picknick

Am nächsten Tag erwachte Hildegard im luxuriösen Himmelbett und streckte sich einmal ausgiebig, bevor sie aufstand um sich zu waschen. Die Kopfschmerzen waren in der Zwischenzeit zurückgekehrt, aber noch überwog die gute Laune.

In ein schlichtes, langärmeliges Kleid aus hellem Leinen gehüllt und mit einem langen, seitlich geflochtenem Zopf verließ sie das Zimmer um nach etwas essbarem Ausschau zu halten. Es musste längst Mittagszeit sein. Sie irrte ein wenig durch die Gänge des Schlosses und fragte sich durch, bis sie die Küche fand. Dort hielt sie ein kleines Pläuschchen mit der Köchin, die sie von ihrem ersten Aufenthalt in Malfori noch gut in Erinnerung hatte. Damals hatte sie ihr und den Jungs frischgebackene Plätzchen aufgenötigt. Und auch diesmal konnte sie die Küche nicht verlassen, ohne viel mehr aufgedrängt zu bekommen als sie überhaupt in der Lage wäre zu Essen. Aber wie sollte man auch vernünftig gegen das Argument sie sei zu dünn argumentieren? Also schluckte sie und akzeptierte am Ende eine Menge, die nicht einmal die Jungs zusammen hätten vernichten können. Die junge Klerikerin versicherte sich ihrer Hilfe für die nächste Nacht und versprach morgen mit viel mehr Hunger wiederzukommen und ganz bestimmt eine gute Portion zu essen und nicht wieder die Hälfte am Ende übrig zu lassen. Insgeheim rechnete Hildegard eher damit, dass es zwei Drittel werden würden, sofern die gute Portion ähnlich aussah wie die heutige.

Da sie mit vollem Magen ungern ritt, beschloss sie anschließend erst einmal die Bibliothek aufzusuchen und schnell etwas nachzuschlagen. Es dauerte auch nicht lang, bis sie das gesuchte Nachschlagewerk fand. „Dulcis, dulce: süß, lieblich, angenehm, anziehend; lieb, geliebt, liebenswürdig; die Süße“. Hildegard musste unwillkürlich lächeln. Ihr Latein war nur sehr fragmentarisch, doch sie hatte geahnt, dass es ein Kosename sein würde. Nachdenklich wiederholte sie die Worte in Gedanken. Was war sie für ihn? Die Geweihte erhob sich um das Buch zurück zu stellen, der weite Rock raschelte beim Aufstehen. Nun würde sie wohl weniger aufpassen müssen ihn nicht ab und an mit Kosenamen zu bedenken. Sie ging zum kleinen Schreibpult, setzte einen Brief auf und steckte ihn ein. Dann nahm sie ein zweites Blatt und setzte - von immer wiederkehrenden Gedankenpausen durchbrochen - ein paar wohlüberlegte Zeilen darauf, bevor sie es duplizierte und beide Exemplare ebenfalls einsteckte. Dann fiel ihr Blick noch einmal auf die Sitzgruppe. Hildegard lächelte. Auf dem Weg hinaus steckte sie das angefangene Buch ein, von dem sie vermutete, dass Victor es zurzeit las und verließ dann das Schloss, um den nächsten ihr bekannten Wegschrein der Sehanine aufzusuchen und zwei der Briefe dort für ihre Kollegen zu hinterlassen. Es war bereits früher Abend, als Hildegard ihr Pferd beim Stallburschen wieder abgab und über den Schlosshof trottete. Ihr bliebe nun nicht mehr viel Zeit für Vorbereitungen, dachte sie sich. Gedankenverloren spazierte sie über das Gelände, am Rosengarten vorbei, bis zu den Übungsplätzen der Ritter, wo sie kurz stehenblieb um einen Blick auf die Übungen zu werfen und Hauptmann Elaril zuzuwinken, bevor sie umdrehte und zurück zum Haupthaus ging. Sie hatte keine rechte Vorstellung davon wie diese Nacht aussehen würde. Käme Victor sie abholen? Und wenn ja, wann? Würde er ihr Aufgaben übertragen, oder sollte sie einfach irgendwann bei seinem Arbeitszimmer vorstellig werden? Sie entschied sich erst einmal ein Bad zu nehmen und sich umzuziehen. Vermutlich wäre es besser etwas formelleres zu tragen als die einfache Cottehardie aus naturfarbenem Leinen. Hildegard entschied sich für eine grüne Seidencotte mit kurzen Ärmeln, die sie über das helle Unterkleid ziehen würde. Sie besaß einige Kleider in diesem Schnitt, da sie mit ihrer vorne liegenden Knopfreihe oder Schnürung auch praktisch für Alleinreisende waren, aber eine Abwechslung zu den eher formlosen Tuniken bildete, die sie gewöhnlicherweise auf Reisen trug. Ihre Mutter bemängelte zwar nach wie vor, dass sie modisch etwas zurückhing, aber immerhin sah sie ihre Tochter noch lieber in diesen Kleidern die zumindest die weibliche Figur betonten, als in der üblichen langen Tunika mit Gürtung.

Hildegard klingelte auf dem Zimmer angekommen nach warmen Badewasser und ließ sich mit einem wohligen Seufzen in die gefüllte Wanne sinken. Sie nahm das Buch zur Hand, dass sie aus der Bibliothek mitgenommen hatte, blätterte und las einige Seiten, bevor sie es vorsichtig auf einen bereitgestellten Stuhl zur Seite legte und diesen so weit von sich wegschob, dass kein Wasser an das Buch käme, wenn sie später aus der Wanne steigen würde. Dann ließ sie sich gemütlich tiefer in das Wasser sinken und verweilte so für einige Minuten, bevor sie sich die Haare wusch und diese gezwungenermaßen im Stehen ausspülte und einen mitgebrachten Balsam hineinknetete, während sie ihr überlanges Haar auswrang. Ob sie es nicht doch endlich kürzen sollte? Zumindest ein Stück... Sie legte ihr Haar zusammen und wickelte das erste bereitgelegte Handtuch darum und legte sich dann das zweite um, bevor sie vorsichtig die Wanne verließ.

Mittlerweile war die Sonne untergegangen, was für das Schloss eher eine Zunahme an Aktivität bedeutete, sobald der Herr des Hauses auf war und Anweisungen erteilte. Offenbar noch während Hildegard im Bad entspannt hatte, hatten dienstbare Hände etwas in den zu ihren Räumen gehörenden Salon bringen lassen, zum einen ein Bündel mit Akten über Handelsaufstellungen der letzten Monate, die vor allem den Fernhandel mit teuren Stoffen betrafen, zum anderen einen üppigen Strauß Rosen. Oben auf den Akten lag ein kleiner, handgeschriebener Zettel.

„Lesen und Rechnen, sagtest du, Dulcissima? Kannst du dir das ansehen und mir später sagen, was du davon hältst?“

Als Hildegard später angekleidet den Salon betrat, bemerkte sie überrascht, dass jemand in ihrer Abwesenheit im Salon gewesen sein musste. Sie las den Zettel, aber wandte sich trotzdem zuerst den Rosen zu um an ihnen zu riechen. Sanft strich sie mit einem Lächeln über die samtige Oberfläche, 'Victor gibt sich ja wirklich Mühe.' Dann schnürte sie das erste Bündel an Akten auf, besah sich kurz die ersten Seiten und suchte stirnrunzelnd nach ihrem Schreibzeug. Sie war nicht eng in das Handelsunternehmen der Familie einbezogen, aber immerhin informiert genug um auf den ersten Blick zu sehen, dass einige der Zahlen erschreckend hoch waren.

Tatsächlich ging aus den Unterlagen deutlich hervor, dass die Verlester Händler in ihren Verträgen mit dem Hause Malfori nicht unerhebliche Summen auf den üblichen Marktpreis draufschlugen, quasi um sich dafür zu entschädigen, dass sie mit dem Erzfeind ihres Fürsten überhaupt Geschäfte machten. Und einige der teuersten Stoffe, changierende und als Brokat gewebte elfische Seiden fehlten völlig in den Aufstellungen, obwohl es kaum denkbar war, dass der Hof in Malfori komplett darauf verzichtete.

Sie notierte die letzten Preise für vergleichbare Stoffe, die sie aus den Büchern der Familie in Erinnerung hatte auf einem Blatt und errechnete auf einem zweiten Durchschnittswerte einiger Einkäufe, die als Gesamtmengen angegeben waren. Danach verglich sie sämtliche Zahlen mit denen von ihrem ersten Blatt und stellte verschiedene Tabellen auf, sortiert nach Stoffarten und Handelspartnern. Als sie fertig war, knurrte ihr Magen und die Kopfschmerzen waren deutlich eindringlicher geworden. Sie hätte schon längst das Haus wieder verlassen sollen.

Die Klerikerin räumte die Aktenbündel wieder ordentlich zusammen, stapelte ihre eigenen Berechnungen daneben und verließ den Raum um mit einem Buch in der Hand der Bibliothek einen Kurzbesuch abzustatten. Dort sammelte sie die leuchtende Rose vom Vortag wieder ein, die sie selbst in ihren neu geflochtenen Zopf steckte und nahm noch eine Flasche Wein aus dem Kabinett. In der Küche hatte man zwischenzeitlich einen großen Korb für sie vorbereitet, den sie wie abgesprochen selbst abholte und mit in den Rosengarten nahm. Dort schlug sie das Buch wieder auf und richtete sich bequem auf einer Bank ein, nachdem sie sich die umliegenden Plätze gründlich angesehen hatte. Ein Weilchen würde sie noch auf Victor warten, bevor sie den Korb alleine auspackte. Victor allerdings ließ noch länger auf sich warten, der Fürst hatte eigene Erledigungen zu machen, die zunächst daraus bestanden, den elfischen Meisterschmied Ulórin zu empfangen und bei ihm die Anfertigung eines sehr spezifischen Schutzamulettes in Auftrag zu geben und im Anschluss eine längere Diskussion mit seinem Hauptmann Elaril vom Eiswasser zu führen, der, als ihm Sinn und Zweck der Anweisungen seines Herren nach und nach klar wurden, erst ein verwirrtes und dann ein zunehmend ungläubiges Gesicht machte.

Hildegard derweil wurde das Warten zu lang und sie beschloss den Korb mit sich auf eine der Wiesen zu nehmen. Dort entnahm sie ihm zum einen ein großes Tischtuch, dass sie an einer Stelle mit gutem Blick auf den Mond ausbreitete, zwei Gedecke mit Weingläsern, die Flasche Wein aus der Bibliothek, kleine Pasteten, kurz angebratene Fleisch-Medaillons und Obst. Sie füllte sich seufzend ihr eigenes Weinglas, nahm sich eine der Pasteten, prostete Victors leerem Platz zu und ließ die Gedanken schweifen.

Die Nacht war schon ein ganzes Stück weit fortgeschritten, als Victor endlich die Zeit fand, Hildegard zu suchen. Schon bevor sie die vom Gras gedämpften Schritte hörte, kündigte sich der Fürst dadurch an, dass etwas wie ein sachter Lufthauch über ihren Geist strich und die Kopfschmerzen, die im Garten zwar weniger drückend, aber dennoch allgegenwärtig waren, fortnahm. Hildegard rappelte sich erstaunt hoch, als die Kopfschmerzen verschwanden und hielt – unsicher, ob es wirklich mit Victor zu tun hatte – nach ihrem Liebhaber Ausschau. Ernüchtert blickte sie auf das vor ihr liegende Picknick, der Wein war schon halb geleert und das Essen sichtbar dezimiert. Vor allem das Obst hatte sie gedankenverloren in der letzten Stunde die sie hier gesessen hatte nahezu vollständig aufgegessen, während sie den fast vollen Mond betrachtet hatte. Plötzlich überkam sie das Gefühl, dass dieses Picknick vielleicht von Beginn an eine dumme Idee gewesen war, vielleicht fand er es nur lächerlich und ein halb geplündertes Essen war sowieso eine traurige Angelegenheit, vor die sie ihn nicht platzieren wollte. Schnell lief sie über die Wiese zum nächsten Weg um ihn dort abzufangen, falls er wirklich kommen sollte.

Kaum dass sie aufgestanden und auf den Weg getreten war, kam ihr Victor auch bereits entgegen.

„Verzeih, das hat alles etwas länger gedauert als ich dachte“, nicht zuletzt, weil Elaril entgegen seiner sonstigen Art heute alles dreimal erklärt haben musste. „Oh, schon in Ordnung Victor.“ Sie wirkte ein wenig gehetzt und strich sich verlegen ein paar Haare aus dem Gesicht, die sich aus dem langen Zopf gelöst hatten und atmete einmal durch. „Ich bin froh dich zu sehen.“ Sie lächelte ihn an und strich sich den Rock wieder glatt. „Ich habe deine Nachrichten bekommen, sowohl die Akten, als auch die Rosen. Meine Berechnungen liegen auf meinem...'Zimmer'. Was das und die Rosen angeht....“ Breit grinsend beugte die junge Frau sich zu ihm vor und küsste ihn auf die Wange. „Danke.“

„Bitte“, meinte er einfach, legte ihr dann die Hand unters Kinn und hob es nach dem Kuss auf die Wange erneut, um ihr einen Kuss auf die Lippen zu geben. „Was hast du unternommen heute?“, erkundigte er sich dann. Die Betonung auf „Zimmer“ überhörte er einfach und für den Moment schien es ihm auch noch nicht seltsam, dass Hildegard ihm mitten im Garten den Weg vertrat.

„Unternommen? Hm, ich war beim Schrein wie besprochen, habe mir die Akten angesehen, habe einen kleinen Spaziergang gemacht, etwas zu Abend gegessen... Davor auch irgendwann zu Mittag.... gelesen... und ein sehr erholsames Bad in dem sehr beeindruckenden Badezimmer genossen, dass du mir freundlicherweise für meinen Aufenthalt hier überlassen hast... Ich denke das war es soweit.“ Hildegard zuckte mit den Schultern. „Als du sagtest, dass ich in ein anderes Gästezimmer wechseln sollte, habe ich übrigens nicht mit so etwas gerechnet.“, sie lachte und fragte sich, was für Gäste normalerweise in solchen Räumen unterkommen. „Und wie war dein Abend, was hast du bisher schon gemacht?“ Sie hakte sich vertraulich unter und setzte dazu an Richtung Schloss zurück zu gehen um dort unauffällig einen Hausangestellten zu bitten die Reste des Picknicks wegzuräumen, als ihr plötzlich etwas einfiel. „Sag mal, ist Nasszur zufällig wieder im Garten unterwegs?“

Da er von dem verpassten Picknick nichts ahnen konnte, ließ er sich von Hildegard wieder in Richtung des Schlosses dirigieren. „Mit was hast du denn gerechnet? Mit dem Folterkeller?“, fragte er scherzend und winkte dann mit einer Hand ab. „Ich hatte ein paar Audienzen und bin deshalb noch nicht wirklich zum Arbeiten gekommen. Dauernd will irgendjemand was. Ich glaube, ich sollte ein paar aufgespießte Schädel vor dem Arbeitszimmer anbringen.“ Auf die Frage nach der Katze schloss er kurz die Augen und nickte dann. „Ja, ich glaube, er jagt Kaninchen.“ „Hier in der Nähe?“ Sie sah besorgt aus und drehte sich wieder um. „Ich fürchte ich muss doch noch kurz etwas erledigen. Aber falls du nachher neue Dekoration für dein Arbeitszimmer besprechen willst, ich wäre dabei. Vielleicht kann ich noch ein paar Ideen beisteuern.“ Schon im Gehen drehte sie sich kurz zu ihm um. „Ich bin gleich zurück. Oh, und was den Folterkeller angeht, 'hübsche Jungfrauen die von ihren Familien als Tribut geopfert werden', waren es, oder? Nun bin ich freiwillig hier und noch nicht einmal Jungfrau, wie du selbst sehr gut wissen solltest. Also nein, mit dem Folterkeller habe ich nicht gerechnet.“ Mit einem Zwinkern ließ sie ihn stehen und bog ab zurück auf die Wiese um die Reste des Picknicks zusammen zu räumen, bevor die Katze sich nachher doch noch entschloss unbewegte Ziele den Kaninchen vorzuziehen und dabei das gute Geschirr in Mitleidenschaft zog. Eine weise Idee, denn auch wenn Nasszur kein Freund von Obst war, hätte er die Pasteten sicher probiert. Und den Korb ohnehin. Und die Tischdecke auch. Vielleicht sogar das Buch.

Victor dagegen blieb ein bisschen irritiert auf dem Weg stehen, runzelte die Stirn und folgte ihr dann. Vielleicht konnte er ihr ja zur Hand gehen. Was er sah, als er die Rosensträucher hinter sich ließ wegen denen Hildegard diesen Platz ausgewählt hatte, war wie seine Geliebte mit dem Rücken zu ihm vor den Resten eines für zwei Personen eingerichteten Picknickplatzes kniete. Offenbar bemüht alles schnell im nebenstehenden Korb zu verstauen, bevor die Katze kam, oder er selbst.

Die Eile, mit der Hildegard die Reste des Picknicks zusammenräumte, verwirrte Victor eher noch mehr. Die Teller sahen doch sehr danach aus, als wäre das Essen bereits vorüber, umso mehr wunderte er sich, mit wem Hildegard im Garten gepicknickt hatte. Der Erste, der ihm einfiel, war Elaril vom Eiswasser, aber der Hauptmann war die meiste Zeit des Abends bei ihm gewesen, kam also nicht in Frage. Mit ein paar leisen Schritten schloss er zu Hildegard auf und ging in die Knie, um ihr zu helfen. „Ich sehe, du hast für's Abendessen Gesellschaft gefunden?“

Überrascht, dass Victor ihr doch gefolgt war, zuckte sie kurz zusammen als sie seine Schritte hörte und biss sich auf seine Frage hin auf die Lippe. Obwohl sie nach unten auf das Tischtuch sah, konnte er die zarte Röte auf ihrem Gesicht erahnen. Sie schüttelte leicht den Kopf. „Nein, lediglich der Mond hat mir Gesellschaft geleistet. Das zweite Gedeck wäre für dich gewesen. Aber ich wusste nicht, wann du Zeit finden würdest und habe das Warten irgendwann nicht mehr ausgehalten, es tut mir leid Victor.“ Traurig senkte sie den Blick und traute sich nicht den Fürsten direkt anzusehen, „ich wollte dich eigentlich überraschen, weil du den Eindruck machtest gern einmal überrascht werden zu wollen. Aber ich fürchte das war kein Erfolg von meiner Seite aus.“ Seufzend zuckte Hildegard mit den Achseln.

Victor hielt inne und blickte von den halb zusammengeräumten Gedecken auf und zu Hildegard. Jetzt fiel ihm auch auf, dass eines der Gedecke unbenutzt war und dazu die zarte Röte auf Hildegards Wangen. Mit einem entschlossenen Ruck breitete er das Tischtuch wieder auf dem Gras aus. „Du überraschst mich immer wieder, Dulcissima.“ Mit diesen Worten ließ der Fürst sich am Rand des Tischtuches nieder und griff nach Hildegards Handgelenk, um sie neben sich zu ziehen. Bereitwillig ließ sie sich ziehen und setzte den unbenutzten Teller, den sie eben noch wegstellen wollte, vor Victor ab. Mit einem warmen Lächeln zog sie den Korb heran und präsentierte ihm den Inhalt. „Es gibt Pasteten, kurz angebratenes Fleisch, noch ein klein wenig Obst und Wein. Zumindest eine halbe Flasche...“ Die Geweihte beförderte das zweite Weinglas aus dem Korb wieder auf das Tischtuch und sah ihn aus großen goldenen Augen an. „Ich habe recht lange hier gesessen, ich bitte um Entschuldigung. Eigentlich hätte ich erst mit dir anstoßen sollen.“ Sie lehnte sich zu ihm herüber und küsste ihn auf den Hals, während sie sich warm an seine Seite schmiegte. „Danke, dass du dich auch von einem längst angebrochenem Picknick nicht abschrecken lässt.“

„Danke, dass du auf die Idee kommst, für mich ein Picknick vorzubereiten“, entgegnete Victor, nahm die angebrochene Weinflasche aus dem Korb und schenkte beiden nach. Manche mochten die Idee im Garten zu picknicken für banal halten, aber Victor hätte nicht sagen können ob oder wann zuletzt jemand auf die Idee gekommen war, so etwas für ihn zu planen. Also beugte er sich kurz zu Hildegard, hauchte ihr einen Kuss auf die Haare und machte sich dann daran, den leeren Teller aus den Resten des mitgebrachten Essens zu füllen. Ein bisschen von allem. Leise lächelnd sah sie ihm beim Essen zu und nippte an ihrem Wein. Da sie bereits eine halbe Flasche allein geleert hatte, plante sie nicht mehr zu trinken als dieses eine Glas, dass er ihr noch eingeschenkt hatte. Nach einer Weile setzte sie zu einem Gespräch an, da sie ihn nicht die ganze Zeit still beim Essen beobachten wollte. „Du wolltest gerade etwas über neue Dekoration für dein Arbeitszimmer sagen? Oder willst du doch lieber erst von mir hören, wie dich meine Landsleute über's Ohr hauen? Eine Information, die dir sicherlich nicht ganz neu ist, wie ich annehme. Aber ich habe ein paar Schätzungen aufgestellt, über welche Summen oberhalb des üblichen Marktpreises wir reden. Ich zeige dir meine Berechnungen später, sonst ruiniere ich uns noch vollends das gemütliche Picknick.“ Sie lachte und nahm einen weiteren Schluck Wein, während sie ihm sanft über den Arm strich.

„Was du so Dekoration nennst...“, bemerkte er mit einem Kopfschütteln. Gut, es hieß ja, der Mensch sei dem Menschen ein Wolf, aber mehr als einmal hatte sich der Fürst in den vergangen Jahren gefragt, ob nicht der Schüler den Lehrer bereits überflügelt hatte. Menschen standen den alten Dämonenrassen in Grausamkeit und Erfindungsreichtum kaum nach. Und sie hatten die Gabe, solche Dinge als alltäglich hinzunehmen. Aber solche Themen eigneten sich wohl kaum für ein Picknick im Mondlicht, weshalb Victor den Gedanken nicht weiter verfolgte. „Neu nicht, nein, aber es wäre mir lieb, deine Berechnungen nachher zu sehen. Die Informationen, die ich ansonsten habe, sind ja auch nicht absolut objektiv.“ „In Ordnung, dann sehen wir uns das später mal gemeinsam an. Ich hätte zu dem Thema auch noch ein paar Fragen. Und du warst es doch, der mit solchen Scherzen angefangen hat, oder?“ Sie küsste ihn auf die Schläfe. „Wenn es ein paar Leute davon abhält dein Arbeitszimmer zu betreten, wenn du es mit falschen Schädeln oder Ritualkreisen verzierst, dann ist es meiner Meinung nach ihre eigene Schuld. Ich hoffe ich mache mich jetzt nicht unwiederbringlich unbeliebt damit, aber vermutlich ist mir der Sinn dafür verloren gegangen mit so etwas zimperlich zu sein. Allerdings dürfte es deiner Außenwirkung generell nicht besonders gut tun.“ Die Klerikerin seufze leise. Irgendwie trieb sie gerade die Romantik vollends von sich, in dem sie es zuließ, dass die Erinnerungen an grausige Ritualkreise und menschenfressende Untote wieder ihren Platz in ihrem Geist beanspruchten. Sie schüttelte sich kurz im Versuch diese Gedanken wieder zu vertreiben. Hildegard griff nach dem Obst im Korb und probierte von den Beeren. „Oh, diese Himbeeren sind wirklich lecker, die solltest du auf jeden Fall probieren! Sind das die, die hier im Garten wachsen?“ Freudig hielt sie ihm eine Beere hin um ihn abbeißen zu lassen. „Ich glaube wir sind einmal an einem Himbeerstrauch vorbeigelaufen.“

Victor dagegen hatte nicht vor, trübe Gedanken bei Hildegard aufkommen zu lassen. „Sie stehen an der Umfassungsmauer, ja.“ Dann griff er nach Hildegards Handgelenk, um die angebotene Beere samt der Hand, die sie hielt, näher zu ziehen und von der Himbeere abzubeißen. Die reifte Beere war weich, süß und trotz der geringen Größe so saftig, dass aus der verbleibenden Hälfte ein paar Tropfen granatfarbener Saft über Hildegards Finger liefen. Mit einem Lächeln beugte sich Victor vor und schloss die Lippen um das Beerenstück und die Fingerkuppen, bevor der Saft weiterlaufen und am Ende noch den Ärmel des hellen Unterkleides erreichen konnte. Als er den Beerensaft von ihrer Haut saugte und den Finger dann langsam wieder freigab, spürte sie kurz die Spitze eines Fangzahns über ihre Haut streichen, allerdings ohne Druck, so dass er sie nichtmal ritzte. „Wirklich köstlich.“ Noch immer lag ein schmales Lächeln auf Victors Lippen und das Glühen in den grünen Augen verriet, dass er nicht – oder nicht ausschließlich – von der Himbeere sprach.

Ihr Herz begann ein wenig schneller zu klopfen. Nur ein Blick in seine Augen und die Gedanken von zuvor waren wie weggefegt. Es waren nicht die optischen Reize des Dämonen, die ihr erst wirklich klar geworden waren, nachdem sie bereits Platz für ihn in ihrem Herzen gemacht hatte, die sie zu ihm hinzogen. Es war die Art wie er sie behandelte und wie er immer wieder ihre Unsicherheiten auflösen konnte, so dass sie in der Lage war selbstbewusst ihren Instinkten zu folgen. Einem Bauchgefühl nachgebend legte sie die Hände lächelnd um sein Gesicht und küsste ihn innig, bevor sie sich mit einem leichten Zucken um die Mundwinkel wieder zurücklehnte. „Ja, in der Tat.“ Dämonen waren die geborenen Verführer und was Victor nicht aus Erfahrung über Menschen wusste, machte er durch Instinkt wieder wett. Den Kuss erwiderte er leidenschaftlich und betrachtete die Klerikerin dann mit einem Lächeln. „Vielleicht sollte ich dann kleine Handzettel mit Miniaturen verteilen lassen, wie ich picknicke. Für meine Außenwirkung. Sind Welpen obligatorisch oder reicht es, wenn Nasszur versucht niedlich zu gucken?“ Die Klerikerin lachte. „Und was glaubst du dadurch zu erreichen?“ Sie strich ihm erst über die Wange und widmete sich dann wieder ihrem Weinglas. „Vermutlich würde es dann nur Gerüchte über ominöse Gerichte statt Pasteten geben. Und ich gebe zu mich ein wenig über die Vorstellung freuen zu können, die Abende mit dir mit weniger Leuten teilen zu müssen. Auch wenn ich weiß, dass es egoistisch und wenig ratsam wäre. Aber die Zeit die wir haben will ich zumindest nutzen.“ Sie beugte sich vor und küsste ihn wieder auf die Wange, um ihn nicht zu sehr vom Essen abzuhalten. Plötzlich begann sie zu schmunzeln. „Ich glaube bei mir hat Nasszur geholfen. Vielleicht wirkt das tatsächlich.“

„Warum habe ich öfter das Gefühl, dass meine Freunde meine Katze lieber mögen als mich?“, sinnierte er, schüttelte dann aber lachend den Kopf. „Wir haben alle Zeit der Welt. Leider müssen wir einen Teil davon mit Arbeit verbringen...“ Damit begann er langsam, die Reste des Picknicks wieder in den Korb zu packen und leerte mit einem beherzten Schluck sein Weinglas. „Aber ich glaube, Dulcissima, mit dir vor Augen wird alle Arbeit leicht und schnell von der Hand gehen.“ Nicht nur angenehme Gesellschaft und Hilfe, sondern auch den Preis der erarbeiteten Mußestunden, der mit einem Lächeln winkte. Hildegard lachte herzlich. Alle Zeit der Welt, sagte er? Ein paar Tage, dachte sie. Zumindest vorerst, sollte es nicht ein nächstes mal geben. „Du bist wirklich ein schrecklicher Charmeur, Victor. Vielleicht solltest du das auf Miniaturen festhalten. Ich wette das wirkt noch besser als deine Katze.“ Sie zwinkerte ihm zu und leerte gleichfalls ihr Weinglas. „Zumindest bei Frauen.“ Den Nachsatz hätte sie sich wohl besser gespart, rügte sie sich selbst. Aber er hatte sie für einen Moment an die Schmeicheleien von Narsil erinnert und das hatte ihr einen Stich versetzt. Zumindest kurz war der Gedanke durch ihren Kopf gezuckt, ob er wie Narsil so mit allen Frauen umging. Aber so lange sie die Einzige war, die zurzeit auf Malfori weilte und sein Lager teilte, hatte sie kein Recht sich zu beschweren. Nein, noch nicht einmal wenn dem nicht so wäre. Trotzdem konnte sie sich nicht helfen. Sie räumte ihr Glas zurück in den Korb und stand auf um das Tischtuch zusammen zu räumen. Dann warf sie noch das Buch hinein und hing sich den Korb über den Arm und hakte sich mit dem anderen bei Victor unter. „Ich würde gern zuerst den Picknickkorb zurück in die Küche bringen. Ich hoffe es war in Ordnung, dass ich deine Köchin hierfür eingespannt habe? Meine bescheidenen Kochkünste wollte ich dir wirklich nicht zumuten. Aber wenn du willst, dass ich mich generell etwas bedeckter halten soll, sag es mir bitte. Ich möchte nur sichergehen, dass ich keine voreiligen Schlüsse ziehe. Schon wieder.“ Sie drückte seinen Arm und warf einen letzten kontrollierenden Blick über den geräumten Picknickplatz.

„Ich wüsste nicht, wie ich das auf einer Miniatur darstellen sollte, Hildegard. Und auch nicht, wieso mir daran gelegen sein sollte, gerade die Frauen zu beeindrucken. Wirkt es denn bei dir?“, erkundigte er sich und reichte ihr höflich den Arm. Er spürte zwar deutlich, dass etwas anderes ihre Gedanken beherrschte und sie verstimmt war, aber er verbot sich selbst, in ihren Gedanken nach dem Grund dafür zu suchen. „Gib den Korb einfach dem nächsten Diener?“, schlug er vor. Das sparte den Umweg über die Küche. „Natürlich ist es in Ordnung. Sie ist die Köchin, oder? Sie ist da, um zu kochen. Und ich habe nicht vor, dich irgendwie bedeckt im Keller zu halten.“ Nicht, dass da Hildegard vielleicht auch etwas gegen hätte, wenn sie wie der bucklige Vetter weggesperrt würde. In Anbetracht der Tatsache, dass er noch einen ganzen Stapel Papierkram auf dem Schreibtisch hatte, führte Victor Hildegard dann auch zielstrebig ins Arbeitszimmer und ließ auf dem Weg einen Diener den Picknickkorb in die Küche und einen anderen Hildegards Notizen aus ihrem Zimmer bringen. Hildegard fügte sich kommentarlos in alles und äußerte sich nicht einmal zu der Frage, ob Victors Charme bei ihr wirkte. Sie hielt eine Antwort für überflüssig und hing derweil noch ein paar anderen Gedanken nach. Doch im Arbeitszimmer angekommen schüttelte sie diese ab und beschloss sich nun mit voller Konzentration der Arbeit zu widmen die da getan werden musste. Als die Notizen gebracht wurden, überflog Hildegard sie noch einmal, bevor sie sie mit Hinweisen an Victor von Malfori übergab. „Wie du siehst, ist der Aufschlag hier zum Teil schon beträchtlich. Bei einigen Händlern sogar etwas mehr als bei anderen. Ich frage mich, wie viel sie bei den teuersten Stoffen verlangen. Oder beziehst du Seidenbrokate von woanders?“ Die Klerikerin beugte sich über des Fürsten Schulter, während sie auf die Tabellen verwies und er die Zahlen betrachtete. Sanft legte sie ihm dabei eine Hand auf die Schulter. Mit der Konzentration auf die Arbeit waren die trüben Gedanken wieder verschwunden und hatten Platz gemacht für anderes. Es war ein überraschend angenehmes Gefühl nicht allein in einem Arbeits- oder Studierzimmer zu sitzen.

„Der Preis, den man dafür zahlen muss, Victor von Malfori zu sein“, klagte der Fürst mit mehr gespielter als empfundener Dramatik. „Der Preis für die wirklich hochwertigen Stoffe war absolut lächerlich hoch. Ich beziehe den Seidenbrokat mittlerweile vom Nebelmeer, aus Eilithion zumeist.“

Das bedeutete zwar, dass er vermutlich noch etwas mehr bezahlte als den überteuerten Verlester Preis, aber die Stoffe galten zum Teil als noch etwas feiner – und es gab ihm die Genugtuung, keinen Aufschlag zu zahlen, nur weil er der Staatsfeind Nummer eins war. „Und ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken, mir auch für die anderen Stoffe auf der Liste andere Bezugsquellen zu suchen. Die Terraner verkaufen ein passables Byssos, nicht die Qualität, die man in Verlest bekommt, aber für Tischdecken reicht das allemal.“

Verwundert sah die Geweihte den Fürsten an. „Aber gibt es dafür nicht ganz simple Lösungen? Ich weiß, ich bin selbst Verlesterin und Händlerstochter, aber deshalb muss ich noch lange nicht der Meinung sein, dass meine Landsleute sich nicht lächerlich benehmen. Ich weiß natürlich nicht, was der eigentliche Grund für das Ganze ist, auch wenn dir zugestanden sei, dass du tatsächlich ein Talent hast einigen Leuten ungünstig auf den Fuß zu treten, aber weshalb auch immer ist ein spezieller 'Fürst von Malfori-Steuersatz' lächerlich, denkst du nicht? Entweder man macht Geschäfte, oder man lässt es.“ Sie schüttelte etwas empört den Kopf über die Verlester Tuchhändler. „Zugegeben, ich war auch zu stolz um Geld von dir anzunehmen, aber das hatte andere Gründe. Und ich hätte keine Gewissensbisse, würde man, nein, würden wir kurzerhand dies alles umgehen. Oder anders gesagt, was spricht dagegen alles über einen Mittelsmann laufen zu lassen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass dir diese Idee nicht schon lange gekommen ist. Hattest du einen Grund sie zu verwerfen? Denn wie der Zufall es so will, ist deine aktuelle Geliebte wie gesagt eine Händlerstochter und hat auch Händler-Freunde...Ist das nicht ausgesprochen praktisch?“ Nachdenklich legte sie die Hand ans Kinn und murmelte mehr für sich selbst, „meine Familie hineinzuziehen wäre keine gute Idee, unfair und wohl kaum lange möglich. Aigolf könnte sich darauf einlassen und wäre eine unauffällige Wahl, ja... wer könnte eine Verbindung zwischen mir und Aigolf ziehen, außer unseren Freunden? Hm, möglich aber unwahrscheinlich. Es könnte gehen... Und Lur ist neutral und läge sogar in etwa auf meiner Strecke... Ich könnte mit ihm persönlich sprechen. Und die Jungs leben jetzt auch wieder in der Gegend.“ In Gedanken vertieft war sie eine kleine Runde hinter Victors Rücken gelaufen, die Dielen knarzten leise. Dann fiel ihr auf, dass sie noch gar keine Antwort erhalten hatte und vielleicht etwas völlig offensichtliches übersehen, weshalb Victor diese Idee nicht weiter verfolgt hatte. Fragend sah sie ihren Geliebten an, während sie wieder still an seinem Schreibtisch stehen blieb.

„Aus dem einfachen Grund, den du bereits genannt hast: ein Mittelsmann, der dazu dienen soll, die nachteiligen Preise der Verlester Händler zu umgehen, würde entweder den Stoff erneut verteuern – immerhin muss irgendwer ja auch diesen Mittelsmann bezahlen – und er würde damit rechnen müssen, Nachteile in seinen Geschäften mit Verlest zu bekommen. Und ich möchte eigentlich niemanden in diese reichlich lächerliche kleine Scharade der Verlester mit hineinziehen.“ Victors Blick war ihr, solange sie nicht direkt in seinem Rücken stand, durch den Raum gefolgt und er hatte ihr auch auf der gegenüberliegenden Seite seines Schreibtisches Platz eingeräumt, um dort zu arbeiten, wenn sie nicht gerade auf seine Schulter gestützt die gleichen Dokumente studierte wie er.

Sie gab ihm einen Kuss und setzte sich wieder hin. „Ich denke nicht, dass es auffallen würde, wenn Aigolf aus Lur die Stoffe einkaufte und es wäre immer noch günstiger... Aber wenn du sagst, dass du lieber alles woanders beziehen möchtest, kann ich das durchaus nachvollziehen.“ Hildegard faltete die Hände auf dem Tisch und seufzte leise. Offensichtlich sah ein Fürst sich mit allen möglichen Problemen konfrontiert, und seien es nur überteuerte Stoffpreise. „Gibt es denn sonst etwas, weswegen du überhaupt Handel mit Verlest führen musst? Oder irgendetwas, bei dem ich dir helfen könnte? Noch mehr Akten, zum Beispiel?“ Die Geweihte sah ihn erwartungsvoll an und streckte sich einmal im sitzen auf ihrem Platz. Der Abend wurde immer später, aber ihr war es lieber ihn hier mit ihm zu verbringen, als auch den Rest des Abends ausgeschlossen im Garten auf ihn warten zu müssen. „Du darfst mir ruhig irgendwelche Arbeit geben, wenn ich beschlossen habe zu Arbeiten, will ich auch was tun. Ich bin unheimlich praktisch veranlagt, was das angeht. Meine Eltern hatten schon vor mich mit einem Händler-Kollegen zu verheiraten, weil sie der Meinung waren ich wäre in dem Falle gut beschäftigt und untergebracht. Glücklicherweise trage ich ihnen diese Idee nicht nach, sie war wirklich gut gemeint.“ Die Klerikerin lachte und rückte seinen Aktenstapel zurecht. „Ich glaube allerdings nicht, dass ich wirklich einen Geschäftssinn geerbt habe. Es ist nur so, dass meine Erziehung mir in der Theorie erlauben würde das Geschäft weiterzuführen, falls nötig. Oder eben das gelernte für andere Dinge einzusetzen, wie zum Beispiel irgendwelche Unterlagen hier...“ Mit diesen Worten hob sie das oberste Blatt des höchsten Stapels an um es zu begutachten.

Victor hatte sich zuerst, als sie sich streckte, unwillkürlich über die Lippen geleckt, als sich in der Bewegung ihr Körper gegen den festen Seidenstoff des Kleides drückte. Auf den Hinweis allerdings, dass ihre Eltern versucht hatten, sie zu vermählen, verdunkelte sich sein Gesicht schlagartig und für einen kurzen Moment, bis der Fürst sich wieder gefangen hatte, flammten die altbekannten Kopfschmerzen wieder auf. „Pardon.“ Victor senkte den Blick und angelte dann ein paar Akten aus dem Stapel. „Nur die üblichen Grundhandelswaren. Wolle gegen Obst aus Verlest, um es ganz grob zusammen zu fassen. Dabei gibt es keine Probleme.“

Irritiert blinzelte Hildegard ihn an, als die Kopfschmerzen so plötzlich auftauchten und ebenso wieder verschwanden. Was war das nun gewesen? Hatte er sich dafür entschuldigt? „Gut, wenn es immerhin dabei keine Probleme gibt.“ Sie griff vorsichtig über den Schreibtisch und legte ihre Hand auf seine. „Victor, ist alles in Ordnung?“ Besorgt sah sie ihn an und versuchte zu erforschen, ob ihm vielleicht etwas fehlen könnte. Hatte er genug getrunken, brauchte er vielleicht etwas? Sie kannte sich mit den Besonderheiten von dämonischen Vampiren viel zu wenig aus, um wirklich beurteilen zu können, ob es ihrem Liebhaber körperlich an etwas mangelte. Für sie waren seine Hände fast immer kühl und seine Haut gleich blass.

Victor schloss die, wie üblich kühlen und blassen Finger um ihre und atmete nochmal durch. „Ja“, einen Moment zögerte er und erkundigte sich dann doch „Wer genau ist dieser Aigolf, den du in Lur wegen der Stoffe fragen könntest?“ Ein Freund, hatte sie gesagt. Sicher nicht irgendein Verlester Pfeffersack, mit dem man sie hatte vermählen wollen. Und sie hatte ja offenbar abgelehnt. Kein Grund also, jemanden auf möglichst blutige Art vom Leben zum Tode zu befördern, auch wenn eine kleine Stimme im Hinterkopf gerade ein Loblied auf solche Praktiken sang.

„Aigolf? Ein Lurer Händler, den ich vor ein paar Jahren kennen gelernt habe. Wir haben damals seinen Handelszug nach Ravensloft begleitet und sind seitdem Freunde. Ich habe sogar Hebamme bei der Geburt seines ersten Kindes sein dürfen. Ein sehr belesener Mann. Wieso fragst du? Doch Interesse?“ Hildegard stutzte kurz. „Und du bist dir wirklich sicher, dass dir nichts fehlt?“ Sie strich mit der anderen Hand sanft über seine weißen Finger und hielt dann inne, als die Erkenntnis langsam bis zu ihr durchsickerte. „Warte... das bezieht sich jetzt doch nicht etwa auf diese blöde alte Geschichte, die ich vorhin erwähnt habe? Wegen dem Händler, den ich ausgeschlagen habe zu heiraten?“ Sie begann zu schmunzeln und lehnte sich wieder ein Stück zurück, um ihren Geliebten besser beobachten zu können. „Victor von Malfori... du bist doch nicht etwa eifersüchtig?“ Die Geweihte versuchte ein Lachen zu unterdrücken und löste ihre Hand vorsichtig aus seiner. „Entschuldige bitte, ich lache nur, weil ich mich jetzt weniger schlecht fühle vorhin eifersüchtig gewesen zu sein, obwohl du mir eigentlich gar keinen Grund gegeben hast.“ Victor von Malfori eifersüchtig auf einen alternden Verlester Händler, dessen Hand sie sogar abgelehnt hatte? Konnte das wirklich sein? Sie stand auf und ging zu ihm, fuhr im zärtlich durch das Haar. „Ist das wahr, Victor? Dann verzeih bitte mein unbedachtes Geplapper, das wollte ich nicht.“ Auf die Armlehne seines Stuhles gestützt, küsste sie seine kühle Wange. „Ich treffe meine eigenen Entscheidungen und dazu gehört offensichtlich auch, eine Affäre mit dem Staatsfeind einer Vernunfts-Ehe vorzuziehen. Zu bedauern ist nur meine geplagte Familie.“

Victor schob seinen Stuhl zurück, zog Hildegard auf seinen Schoß und schloss die Arme um sie. „Die blöde alte Geschichte kann so alt nicht sein, du Ausreißer“, gab er brummelnd zu bedenken. Immerhin wusste er, dass Hildegard erst vor nicht allzu langer Zeit in ihr Elternhaus zurückgekehrt war und die Idee, sie mit einem Händler zu vermählen musste jünger sein. Vielleicht aus dem letzten Jahr, vielleicht sogar noch aus diesem. Mit einem unwilligen Knurren schob er den Gedanken beiseite und vergrub das Gesicht an Hildegards Hals. „Sollte irgendjemand deiner Familie deswegen Probleme machen, werde ich mich darum kümmern“, drohte er leise.

Sie hauchte einen Kuss auf sein Haar. „Oh, es ist schon fast ein Jahr her Liebster und seitdem hat niemand mehr darüber gesprochen. Und ich denke um meine Familie müssen wir uns vorerst keine Sorgen machen. Es dauert sicher auch eine ganze Weile, bevor Gerüchte in Verlest auftauchen, die mich involvieren. Hier kennt mich kaum jemand und selbst wenn es nach Wochen in Verlest heißt, der Staatsfeind habe eine neue Geliebte, wird sicher so schnell keiner eine Verbindung zu mir ziehen können. Ich denke meine Familie hat also eine gewisse Schonfrist.“ Hildegard sah lächelnd auf den Mann, der sich an sie schmiegte und strich ihm mit den Fingern über den Nacken. Es war genau wie sie es sagte, nur ihre Familie tat ihr in dieser Situation leid, da sie als Einzige wirklich etwas zu verlieren hatten. Aber sollte der Fürst sie über haben, noch bevor sich Gerüchte in ihrer Heimat ausbreiten konnten, hätte sie immer noch die Gelegenheit zu versuchen den Ruf ihrer Familie irgendwie zu retten. Aber es wäre ihr doch lieber er hätte es bis dahin nicht.

„Ich werde in Zukunft versuchen mehr aufzupassen was ich sage. Und du hast keinerlei Grund eifersüchtig zu sein, Victor. Außer höchstens auf deinen Wein, für den ich doch extra hergekommen bin.“ Auch wenn sie versuchte die Situation durch einen Scherz aufzulockern, waren ihre Worte voller Wärme. Und diesmal war es an ihr seinen Kopf leicht anzuheben um ihn zu küssen.

Was war denn bitte schon ein Jahr? Aber Victor wusste auch, dass er besser daran tat, das Thema nicht weiter zu vertiefen. Hildegard war hier und ihr Versuch, seine Laune durch einen Scherz zu heben, brachte seine Mundwinkel tatsächlich nach oben. Bereitwillig hob er den Kopf und ließ sich küssen. „Wenn du das sagst... ich werde jetzt nicht sagen, dass ich Recht hatte“, neckte er sie zurück und legte die Hände dann auf die Armlehnen seines Stuhls als Zeichen, dass er sie nicht länger gegen ihren Willen festhalten würde. Dennoch blieb Hildegard zunächst sitzen. „Sollen wir dann weitermachen? Ich hoffe ja immer noch, dass wir wenigstens noch ein kleines bisschen Zeit nur für uns vor Sonnenaufgang haben werden, wenn wir uns beide bemühen.“ Sie lachte und küsste ihn auf die Stirn. „Oh, und bevor ich es vergesse, wo ist eigentlich das rote ...Etwas hingekommen?“ Schmunzelnd erhob sie sich und ließ ihre Hand noch einmal sanft über seine Schulter gleiten, bevor sie sich zurück an ihren Arbeitsplatz begab.

„Das habe ich beschlagnahmt, bevor es irgendjemand in den falschen Schrank räumt. Soll ich es dir morgen Abend mitbringen?“, erkundigte sich Victor mit einem Schmunzeln und warf dem Aktenstapel auf seinem Platz dann einen abschätzenden Blick zu. Ob er es heute noch bis in die Bibliothek schaffen würde, war mehr als fraglich. Es war doch einiges liegen geblieben. „Wenn du lieber in die Bibliothek möchtest, lass dich nicht aufhalten“, bot er Hildegard an, bevor er sich wieder in die Arbeit stürzte. Allerdings suchte er, solange Hildegard ihm gegenüber arbeitete, ab und zu mit der Hand ihre Finger, strich, ohne aufzusehen, aber mit einem Lächeln auf den Lippen darüber und widmete sich dann der nächsten Angelegenheit.

„Das hängt ganz davon ab, ob ich es irgendwann noch einmal für dich tragen soll, Liebster. Und was soll ich in der Bibliothek, wenn du nicht da bist?“ gab sie keck zurück und blieb für den Rest der Nacht ihm gegenüber sitzen. Alleine lesen konnte sie morgen noch genug, so lange er Freude daran zu haben schien sie in seiner Nähe zu haben, auch wenn sie nur mit Arbeit beschäftigt waren, dann war ihr Platz genau hier.

Rechtzeitig, bevor der Morgen dämmerte, legte Victor von Malfori Feder und Papier nieder und so tat es auch seine Geliebte. Aber nicht ohne einen anständigen Kuss ließ sie ihn gehen. Sie verabschiedete ihn mit einer letzten Bitte, „Victor, darf ich mir vielleicht etwas wünschen? Irgendwann würde ich wirklich gerne noch einmal in deinen Armen einschlafen dürfen.“

„Dann musst du früher zu Bett gehen, Dulcissima“, antwortete er mit einem Blick zum Fenster. „Ich wollte nur den Wunsch schon einmal allgemein anmelden, für den Abend an dem es sich einrichten lässt.“, schmunzelte sie und verabschiedete sich in ihr Bett.

Kleine Schritte

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Die Ehefrau

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Elaril

Der September war gerade angebrochen und das fruchtbare Malfori bot einen bunten Anblick. Das Wetter war den Reisenden gnädig, nicht mehr so warm, aber sonnig und mit angenehmer Luft. Am späten Mittag entschieden sie aufgrund des guten Wetters und der schönen Natur eine Rast an der nächsten Landstraße einzulegen und erst zum Abend in einem Gasthaus einzukehren. Elaril und Hildegard stiegen ab, banden ihre Pferde fest und gaben ihnen Futter und Wasser, bevor sie selbst es sich bequem machten. Sie breiteten Proviant aus und unterhielten sich munter über Wasser und verdünntem Wein.

Doch eine Frage beschäftigte Hauptmann Elaril vom Eiswasser noch immer „Ich will dir nicht zu nahe treten damit, Hildegard. Aber ich kann mir immer noch nicht recht vorstellen, was passiert ist, dass deine Meinung über Fürst Victor so geändert hat. Ich kann mich noch gut erinnern, wie angespannt du warst, als du ihn letztes Jahr in Ragnaron sprechen wolltest. Ich gebe zu, dass ich die ganze Zeit besorgt vor dem Zelt gewartet habe, weil du fast den Eindruck machtest... also du wirktest schon sehr gereizt, Hilde.“ Fast ein wenig verlegen sah die Geweihte ihren Freund an. „Ja, du hast Recht, Elaril. Ich war sehr gereizt. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, ihm alles vorgeworfen, was wir in Ragnaron durchgemacht haben, weil ich ihn in gewissem Sinne dafür verantwortlich gemacht habe. Ich war aber auch wirklich sehr angegriffen zu der Zeit. Du weißt schon, wochenlang durch dieses ausgebrannte, karge Land reisen, sich von der Miliz anheuern lassen, dabei bloß nicht als Frau auffallen dürfen, dann das plötzliche Auftauchen von Untoten und alles was dann folgte... Und ich kann mir gut vorstellen, dass ich Victor doch ein wenig überrascht habe mit diesem Ausbruch.... Rückwirkend tut es mir sogar leid. Aber er hatte von Anfang an dieses Talent mich unsagbar zu reizen.“ „Ich verstehe gar nicht wieso, Hildegard. So weit ich es beurteilen kann, wurdest du durchaus höflich behandelt.“ „Höflich? Elaril, er hat uns erpresst, wie Laufburschen behandelt, ich hatte das Gefühl wir waren nicht mehr als billige Arbeitskräfte für ihn. Kleine Ameisen.“ „Aber Hildegard! Du hast eine Ehrengarde gestellt bekommen, die dich in Weyersdorf abgeholt hat. Ich wurde extra dafür freigestellt. Das ist nun wirklich nicht die übliche Behandlung für kleine Arbeitskräfte.“ „Ja, aber wann war das? Dieses Frühjahr, richtig? Nicht davor. Dass er sich überhaupt meinen Namen gemerkt hat...“ Elaril blieb stumm. War dieses Frühjahr etwa die Zeit gewesen, als diese Affäre seiner Freundin mit seinem Vorgesetzten begonnen hatte? Aber wie das? Selbst jetzt wirkte die Klerikerin noch fast aufgeregt bei der Erinnerung an die zurückliegende Zeit. Nach wie vor wollte er keine Details kennen, aber dieser Umschwung war ihm noch immer unverständlich. Hildegard bemerkte den grübelnden Ausdruck ihres Freundes und schwieg. Eine Weile hing jeder seinen eigenen Gedanken nach, bis die Sonne ein ganzes Stück über den Himmel gewandert war und man zur Weiterreise rüstete. Kurz bevor sie aufstiegen, hielt die Geweihte den Hauptmann kurz an. „Elaril? Ich glaube ich weiß, was dich so verwirrt. Was mein Problem mit Victor war, richtig? Ich habe darüber nachgedacht und auch, wenn ich nicht ganz stolz auf das Ergebnis bin, würde ich schon sagen, dass ich weiß was das Problem war: Mein Stolz. Ich versuche zwar immer wieder dagegen anzugehen, aber instinktiv will ich die Führungsposition im Rudel. Und man muss mir schon einen guten Grund geben, warum ich sie nicht haben sollte. Überlegenheit wäre zum Beispiel einer.“ Sie zuckte mit den Achseln. „Und als Folge davon hat alles in mir sich am Anfang so sehr gegen ihn aufgelehnt, ich habe gespürt, dass er mir sicher überlegen wäre, würde ich so dumm sein es auf ein Kräftemessen ankommen zu lassen. Und weißt du was das eigentlich komische ist? Dieses... unsinnige Verlangen ist auf nichts gegründet, rein gar nichts. Es hat keine Basis und dennoch muss ich immer noch daran arbeiten es in den Griff zu bekommen. Meine frühe Weihe hilft mir zumindest dabei mich etwas besser zu kontrollieren, schon mein Ausbilder hat erkannt, dass ich Demut lernen muss. Aber die Zeit in der ich eine Art Konkurrenz zwischen Victor und mir gespürt habe ist definitiv vorbei. Ich habe gemerkt, dass ich bei ihm sein will, ihn unterstützen, für ihn da sein, seine Trauer wegküssen, sein Lachen teilen und auch sein Lager. Ich will ihm mein Herz zu Füßen legen und hoffe er nimmt es als Entschuldigung an dafür, wie ungerecht ich mich ihm gegenüber verhalten habe. Verstehst du das?“

Elaril überlegte kurz und nickte dann. So langsam fing er an einige Dinge zu verstehen, abseits davon, dass es die Klerikerin offensichtlich heftig erwischt hatte. Und es formierten sich neue, andere Fragen in seinem Kopf.

Sie stiegen auf und ritten weiter bis zur verabredeten Nachtruhe in einer auf dem Weg gelegenen Unterkunft und dieses Thema war vorerst keines mehr in ihren Unterhaltungen. Die Abende verbrachte man zumeist zusammen in Gasthäusern, reiste ohne große Hast und genoss die schöne Natur und den Ausblick auf eben jene, von den Rücken der Pferde. Hildegard genoss es mal wieder in Begleitung eines guten Freundes reisen zu können, die Gesellschaft, gute Konversation und die angenehme Art des unkomplizierten Elfen. Sie bemerkte einmal mehr wie froh sie war, damals in Ravensloft seine Bekanntschaft gemacht zu haben. Seitdem hatte er schon so viel für sie getan, von einfachen Konversationsstunden in elfischer Sprache angefangen, bis hin zu schwerwiegenden Freundschaftsbeweisen ganz anderer Art. Der Hauptmann hatte von Anfang an ein Vertrauen in Hildegard gesetzt, dass sie überraschte. Seitdem versuchte sie dem Vertrauen, dass er ihr entgegenbrachte gerecht zu werden und würde für den Freund durchs Feuer gehen. Dabei war selbst die Tatsache, dass er Zeit ihrer Bekanntschaft in den Diensten des Fürsten von Malfori stand kein Hindernis gewesen. Wobei es eher ungewöhnlich war für einen Elfen, ausgerechnet Hauptmann der Truppen von Malfori zu werden. Ein Umstand, an den Hildegard nie einen Gedanken verschwendet hatte, da sie gerne die Position Elarils ausblendete um die Person und nicht den Posten zu sehen.

Eines Abends kam das Gespräch auf den Tag an dem sie sich trafen, in Ravensloft Stadt vor mehr als anderthalb Jahren. Ein Zeitraum der Hildegard überraschend kurz vorkam, für all die Ereignisse die sich in der Zwischenzeit zugetragen haben. Elaril hatte damals Victors Missus begleitet und die Klerikerin brachte ein Anliegen vor ihn, dass durchaus schwer wog.

Nach erfolgreich beendetem Auftrag begossen die jungen Ritter, die Eskorte des Missus, ihren Erfolg in einer Gaststätte und luden auch sie, Alarik und Dvalinn dazu. Und in den kommenden Tagen teilte man sich einen Reiseweg und freundete sich näher an.

Für immer unvergessen war der Abend, an dem der Elf den Zwerg im Wetttrinken besiegte.

Doch bei all den Anekdoten hatte die Klerikerin nie gefragt, wie Elaril nach Malfori gekommen war, auch wenn ihr damals schon auffiel, dass die Verlester Elfen so ihre Schwierigkeiten mit dem Malforier Hauptmann hatten.

Nachdenklich sah Hildegard ihren Freund über den Krug Bier hinweg an. Sie wusste nicht, wie er nach Malfori gekommen war, wann oder warum, nur das er ursprünglich vom Eiswasser stammte, noch recht jung war und eine Beziehung führte, die sie selbst schon längst zur Verzweiflung gebracht hätte. Treffen mit seiner Freundin liefen gewöhnlicherweise so ab, dass er sie zu einem Spaziergang oder ähnlichem ausführte und einige Stunden später wieder bei ihrem Vater absetzte. Und das, obwohl jeder für sich bestimmt das mehrfache an Hildegards Jahren auf die Waagschale brachte. Da waren selbst die Zwerge Dvalinn und Svea schneller gewesen!

Hildegard seufzte und stützte nachdenklich den Kopf in die Hand. Wenn sie schon so viel darüber nachdachte und es morgen sowieso wieder ignorieren würde, könnte sie ja eigentlich auch fragen.

„Du, Elaril? Wie kommt es eigentlich, dass du in Victors Diensten stehst? Und denkst du, dass es in Zukunft, naja, problematisch werden könnte, wegen mir und Victor und unserer Freundschaft?“

„Was das letzte angeht, kann ich dich beruhigen. Ich denke nicht, dass das ein ernsthaftes Problem werden wird. Wieso sollte es auch?“, Elaril nahm einen Schluck Bier, um Zeit zu gewinnen, seine Gedanken zu ordnen. „Seine Lordschaft hat mir eine Anstellung angeboten und das war das beste Angebot, dass ich je hatte, also habe ich zugesagt? So in etwa. Willst du auf etwas bestimmtes hinaus, Hilde?“ Dabei sah er die Klerikerin forschend an. „Nein, absolut nicht, Elaril. Mir ist nur aufgefallen, dass ich eigentlich gar nicht so viel weiß wie ich immer das Gefühl habe. Zumindest nicht in Relation zu dem Vertrauen zu dir. Und ich hoffe, dass unsere Freundschaft nicht darunter leiden wird. Also falls ich dir doch zu sehr auf die Nerven falle mit meiner Schwärmerei oder ähnliches, sag es mir bitte und ich versuche darauf zu achten mehr Rücksicht zu nehmen.“

Elaril verdrehte gespielt die Augen. „Ich werde es überleben. Immerhin bekomme ich es nur von einer Seite zu hören. Vermutlich solltest du den ganzen Kram, den du mir erzählst aber besser dem Chef erzählen, oder?“, fragte er mit einem Zwinkern und nahm noch einen Schluck Bier. Dass Hildegard ihm vertraute und das so offen aussprach, machte den Elfenhauptmann allerdings doch stolz und freute ihn. Und sollte sein Fürst wirklich diese Frau... nun, dann war es sicher umso besser, wenn zwischen ihnen auch weiterhin ein Vertrauensverhältnis bestand.

„Was soll ich deinem Chef denn sagen, bitte? 'Fürst, deine Mätresse hat sich Hals über Kopf verliebt'? 'Victor, ich schmeiß' meine Profession weg und werd' Hofkleriker auf Malfori mit Sonderkonditionen'? Oder 'Liebster, ich will alles für dich sein, aber bitte schick mich nicht weg und brich mir das Herz wie es Narsil getan hat'? Denn diesmal verkrafte ich das vielleicht nicht wieder....“

Elaril sah Hildegard über den Tisch hinweg an und sparte sich jeglichen Kommentar. Stattdessen stahl sich ein leichtes, fast ein bisschen spöttisches Lächeln auf seine Züge. Hatte sich die junge Frau ihm gegenüber eigentlich gerade selbst zugehört? Vermutlich nicht, befand er und zog also fragend die Augenbrauen hoch. „Und was meinst du, wie er darauf reagieren würde?“

Die Klerikerin lachte kurz auf. „Auf was davon? Vermutlich fragen wer Narsil ist, er scheint ein wenig zur Eifersucht zu neigen. Hoffentlich zumindest nicht über mich lachen...“ Sie wurde ernst und blickte in den Rest von ihrem Bier. „Hauptsache er lacht nicht. Ansonsten muss ich mir leider eine verlängerte Auszeit nehmen und darüber nachdenken, was ich eigentlich immer falsch mache in dieser Hinsicht und ob ich mir nicht besser wirklich eine andere Aufgabe suche und nie wieder Seelsorger für andere spiele.“ Sie nahm einen tiefen Schluck und ließ den letzten Rest Bier im Krug kreisen. „Heiler oder Wanderlehrer ist doch eine sehr hehre Aufgabe, nicht wahr?“

„Wieso kommst du auf die Idee, dass er überhaupt lachen würde“, die Vorstellung kam Elaril abstrus vor. Eigentlich sollte jeder Mann, dem eine Frau so ihr Herz anvertraute, sich geehrt fühlen und alles in seiner Macht stehende tun, damit sie sich dabei in keiner Weise schlecht oder peinlich vorkam. Und auch wenn der Elf gut wusste, dass nicht alle Menschen – oder, fürs Protokoll, Elfen oder Zwerge – so hohe moralische Ansichten hatten, Victor von Malfori glaubte er gut genug zu kennen um zu wissen, dass dieser sich sicher nicht über Hildegard lustig machen würde, selbst wenn sie zu viel in die Beziehung hinein interpretieren sollte.

„Ich hoffe natürlich, dass er genau das nicht tut, es ist nur das schlimmste, dass ich mir als Reaktion ausmalen kann. Eigentlich kann ich mir auch eher schlecht vorstellen, dass er so brutal mit mir umginge. Selbst Narsil hatte mehr Anstand, als er mir eine Abfuhr gegeben hat. Ich denke nicht, dass Victor weniger einfühlsam wäre. Aber ich kann sowas eben schlecht einschätzen.“

„Sag mal... du willst mir jetzt nicht wirklich erzählen, dass da zwischen dir und Narsil ernsthaft was war, oder? Ich meine, nichts gegen den Barden, aber ich dachte ihr wärt nur...“ So langsam dämmerte Elaril, dass er diese Woche noch etwas zu bereuen finden würde. Aber Narsil war ihm aus einer Laune heraus eingefallen und der Barde war doch ein Quell von guter Laune gewesen, wo immer er mit Hildegard unterwegs war.

„Du willst mich doch jetzt nicht etwa veräppeln, oder?“ Die Geweihte starrte ihren Freund für einen Moment fassungslos an. „Was glaubst du eigentlich, Elaril? Damals, als wir auf Malfori waren, als wir dich in Ragnaron eingesammelt haben und in der ganzen Zeit dazwischen... Für mich war Narsil mehr als nur ein Freund, er war der erste Mann der mich als Frau gesehen hat und dabei nett zu mir war. Er hat mir das Gefühl gegeben attraktiv zu sein und... naja, jedenfalls dachte ich wirklich es könnte etwas Festes und Dauerhaftes sein, denn genau das war was ich wollte. Er aber nicht. Und so ist es dann auseinandergegangen. Ich habe ihn noch einmal in Verlest getroffen letztes Jahr, um mit ihm darüber zu sprechen und habe dabei eine klare Absage bekommen. Seitdem bin ich sehr unsicher was Liebesdinge angeht, denn auch bei ihm dachte ich so liebevoll wie er mich behandelt, so gut wie er zu mir war und in Anbetracht dessen, was wir miteinander geteilt haben...“ Hildegard schluckte. „Ich hätte uns gerne auch in Zukunft als Paar gesehen, zusammen reisend, irgendwann vielleicht auch mit Kindern, ansonsten hätte ich eben Schüler aufgenommen, wenn er keine gewollt hätte.... sowas eben. Dumme, naive Mädchenträume die plötzlich geplatzt sind. Und du willst mir sagen, dass du die ganze Zeit nichts mitbekommen hast?“

Innerlich verfluchte sich Elaril für seine Dummheit. Verdammt, verdammt, verdammt. Das konnte nicht gutgehen. Hildegard hatte ja so Recht, der Chef neigte eher dazu, eifersüchtig zu sein, der Barde dazu, großspurig aufzutreten und wenn die beiden zusammen kamen, gäbe das ein Fiasko.

„Ich... ich weiß nicht. Ich habe gedacht, dieses vertrauliche, das wäre einfach Narsils Art und er wäre immer so. Ich meine, er hat Dvalinn Avancen gemacht und die beiden werden doch hoffentlich nicht auch...“ Der Elf war ein Bild panischen Schweigens.

Kurz stutzte die junge Frau und brach dann in Lachen aus. „Nein, ich denke nicht. Wirklich nicht. Bei aller Umtriebigkeit scheint Narsil doch immer eine klare Präferenz zugunsten der Damenwelt zu haben. Alles andere ist mehr Scherz und Spiel. Und das kann er gut. Und vertraulich geht er sicher mit fast jeder Frau um, da hast du wohl Recht. Was das angeht, hatte ich eine schlechte Wahl getroffen. Aber wie ich schon sagte, es ist sowieso nichts daraus geworden und darüber bin ich mittlerweile auch ganz froh. Das wäre nicht gut gegangen mit seiner... Art und mir. Aber wirklich bereuen kann ich es auch nicht, denn sonst wäre das mit Victor wohl auch weiterhin nichts geworden.“

„Ähm, ja, wie du meinst... ich habe nicht wirklich gedacht, dass er, also, mit Dvalinn...“ Elaril stellte fest, dass er noch immer keinen sinnvollen Satz zusammenbekam und brach erneut ab, grinste schief auf Hildegards Lachen und nahm noch einen großen Schluck Bier. Vielleicht malte er sich die Szene auch schlimmer aus, als sie werden würde.

Beruhigend legte die Geweihte ihm die Hand auf den Arm. „Ist schon in Ordnung, Elaril. Ich denke wir sollten jetzt auch langsam zu Bett gehen. Morgen geht es früh weiter. Aber ich muss sagen, dass es deutlich angenehmer ist in deiner Gesellschaft zu reisen, als die Strecke ganz allein zurücklegen zu müssen.“ Die Klerikerin leerte ihr Bier und verabschiedete sich in ihr Zimmer.
 

Der Mittag war längst vorüber, doch Elaril hatte plötzlich darauf bestanden noch bis Lur durchzureiten, bevor man im Goldenen Hahn eine Rast einlegen würde. Die letzten Tage noch war die Reise alles andere als eilig gewesen und der Hauptmann war eher für die Schönheit der Natur zu begeistern gewesen und gemahnte immer wieder zur Gemächlichkeit, damit er sie auch richtig genießen könne. Ihre ganze Reise hatte sich um einen Tag dadurch verzögert. Doch Hildegard ging davon aus, dass der Elf es genoss sein eigenes Tempo behalten zu können, wenn er schon ohne seine Truppen losgeschickt wurde. Und sein Auftrag nicht zur Eile trieb. Doch beim letzten Stück vor Lur wurde es dann doch dringlicher.

Als man endlich an der Taverne ankam, Pferde versorgt hatte und sich selbst etwas Ruhe gönnen wollte, war der Nachmittag schon ein paar Stunden alt und die Mägen knurrten entsprechend. Elaril ging voraus und hielt der Dame die Tür zum Schankraum offen. Als Hildegard hineintrat, brach ein Sturm der Stimmen los und alle riefen sie ein Willkommen.

Der Geburtstag Teil 1

Die Klerikerin war völlig überrumpelt und blickte sich erstaunt im Schankraum um, der gefüllt war mit bekannten Gesichtern, die sie erwartungsvoll und freudig anblickten und ihr zuwinkten mit Getränken, Kuchen und Essen an den Tischen.

Es war als wären die meisten ihrer ehemaligen Weggefährten im Schankraum versammelt, nicht nur Dvalinn und Alarik, die aufgesprungen waren und zur Tür kamen, um das Mädchen herzlich in die Arme zu schließen, sondern auch Wulfhinrich, Aigolf, Liudbrandt, sogar der Zwergenkleriker Hellond war anwesend. Und, wie Hildegard schnell bemerkte, ihre Familie, die schwangere Adalgund mit ihrem Mann und den Kindern natürlich ausgenommen. Das konnte absolut kein Zufall sein, nicht einmal ein besonders glücklicher, zumal Elaril über das ganze Gesicht grinste.

„Was ist das? Etwa eine Geburtstagsfeier für mich?! Oh Elaril, du Heimlichtuer! Das hast du doch gewusst, oder?“ Hildegard lachte und begrüßte alle mit Umarmungen, Küsschen und lieben Worten, drückte ihre Freunde an sich und bedankte sich für ihr Kommen. Und am meisten überraschte sie, dass ihre Eltern extra hergekommen waren und Hellond, zu dem sie seit letztem Jahr nur über Briefe Kontakt gehalten hatte. „Hellond, mein lieber Kollege! Dass du wirklich hier bist! Das freut mich sehr. Du hattest doch sicher eine wahnsinnig lange Anreise, oder etwa nicht? Darauf müssen wir gleich unbedingt etwas trinken!“

„Glaubst du mir, wenn ich behaupte, ich bin so überrascht wie du?“, lachte der Elf und begrüßte die Hälfte der Gäste, die er kannte, um sich danach freundlich der anderen Hälfte vorzustellen. Dann schob er sich an Hildegards Eltern vorbei zur Theke, um ein paar Worte mit Garn und Bertha im Vertrauen zu wechseln. Letzte kam gerade mit einem ofenfrischen Kuchen aus der Küche, den sie zusätzlich zu den anderen Leckereien noch auf einem der Tische unterbringen wollte. Das Resultat des kurzen Gespräches war offenbar Freibier für alle, um mit Hildegard anstoßen zu können.

Nachdem sie dies ausgiebig mit allen getan hatte, fing sie an von Tisch zu Tisch zu wandern und zumindest mit jedem der Gäste ein kurzes Gespräch zu führen. Als erstes zog es sie verständlicherweise zu ihrer Familie, die sie nun wirklich nicht im Goldenen Hahn in Lur erwartet hätte. Sie wandte sich zuerst an ihre Mutter, eine zierliche Frau von knapp einem Meter Sechzig. Die dunklen, von Grau durchzogenen Haare zu einem lockeren Knoten im Nacken zusammengesteckt, war sie auch mit Ende Vierzig noch eine sehr attraktive Frau, von der es hieß, dass sie mit der blassen Haut, den leuchtend blauen Augen und ihren dunklen Locken das schönste Mädchen im ganzen Dorf gewesen sein soll, wenn nicht noch darüber hinaus. Und bis auf die Sommersprossen und den zierlichen Körperbau teilte sie optisch rein gar nichts mit ihrer jüngeren Tochter Hildegard, ganz im Gegenteil zur älteren Adalgund.

„Mutter, dass du wirklich extra so weit gereist bist, überrascht mich wohl am meisten! Vielen vielen Dank dafür! Wie lange seid ihr denn schon hier, wann seid ihr angekommen?“

„Oh, das war noch gestern Abend, mein Liebling! Und es ist lange her, dass ich mal so weit fort war.“, lachte Swanahild und freute sich über das glückliche Gesicht ihrer Tochter. „Ich wollte eben nicht nachfeiern, siehst du. Also sind wir gefahren. Und gebracht hat uns freundlicherweise eine Kutsche, die dein Freund, dieser adrette Hauptmann, uns geschickt hat. Damit ließ es sich auch deutlich komfortabler reisen als auf dem Wagen, mein Kind.“

„Das stimmt“, pflichtete ihr Giselher - Swanahilds zweiter Mann - bei und seine grauen Augen blitzten, während er lächelte. „Es ist wirklich ungewohnt deine Mutter mit auf Reisen zu haben, aber auch sehr sehr schön.“ Gewöhnlicherweise begleitete Swanahild ihren Mann nicht auf Reisen, sondern verwaltete Haus, Hof und das gutgehende Handelsunternehmen der Familie, wenn die Männer fort waren. Es hatte ihr noch nie besonders gelegen lange unterwegs zu sein, sie fühlte sich in ihrem Heim einfach am wohlsten.

„Wir haben dir sogar deine Geschenke mitgebracht, zumindest einen transportablen Teil, der Rest wartet auf dich in Weyersdorf, bei deiner Schwester, Schwägerin und den Kindern.“ „Macht euch doch nicht so einen Aufwand wegen mir, ihr Lieben! Und apropos Geschwister, Leopold habe ich eben gesehen, aber Ada habt ihr schon zuhause gelassen, richtig? Wie geht es ihr denn?“„Ja, aber sie lässt dich lieb grüßen und erwartet dich dann in Weyersdorf. Die lange Reise wäre schon zu beschwerlich gewesen. Aber ansonsten geht es ihr gut.“ „Das ist schön zu hören, besser sie schont sich. Ich werde sie nach unserer Rückkehr direkt mal aufsuchen und nach ihr sehen.“

„Das solltest du, Hildegard.“, bekräftigte ihre Mutter. „Und dann musst du zur Anprobe, wir haben dir ein paar ganz besonders hübsche Stoffe ausgesucht und etwas neues für dich in Auftrag gegeben. Du sollst ja nicht immer das gleiche tragen müssen und vor allem nicht immer diese... Tuniken und weiten Kleider.“ Hildegard lächelte ein wenig gequält aber bedankte sich brav, bevor ihre Mutter direkt weiter fortfuhr. „Und denke daran Liebes, dass es schon dein dreiundzwanigster Geburtstag ist. Ich weiß, in deinem Alter will man so etwas nicht wahrhaben, aber irgendwann ist es zu spät für Kinder. Und du wirst nicht jünger. Also schau, dass du deine Chance nicht verpasst, in Ordnung? Ich würde mich freuen auch von dir eines Tages Enkelkinder geschenkt zu bekommen.“ „Ja, Mutter, ich werde daran denken. Vielleicht bekomme ich ja tatsächlich irgendwann die Enkel die du dir wünschst. Nicht, dass meine Geschwister nicht schon genug Enkel produziert hätten.“ antwortete die Klerikerin amüsiert. Mittlerweile war es ja durchaus im Bereich des Möglichen, dass dieser Wunsch sich erfüllen würde.

„Wo wir gerade bei dem Thema sind, hier, das ist für dich Hildegard.“ Giselher überreichte ihr ein ledergebundenes Buch mit einfachem Schmuckeinband, aber sehr reich verzierten Seiten, die mit farbigen Miniaturen versehen waren. „Das hier ist eine Sammlung regionaler Sagen. Deine Mutter meinte du hast es immer geliebt wenn dein Vater dir solche Geschichten erzählt hat und da dachten wir, vielleicht würde es dir gefallen deinen Neffen daraus vorzulesen, bis du vielleicht eines Tages eigene Kinder hast. Außerdem ist es eine wirklich schöne Ausgabe.“, erklärte der Händler der staunenden Klerikerin, die vorsichtig die leicht unregelmäßige Kontur der Seiten entlangfuhr und über den reichhaltigen Schmuck staunte. Dieses Buch bekäme sicher einen Ehrenplatz bei ihr.

„Und damit hast du auch schon etwas zu lesen für die Rückreise, ist das nicht praktisch, Liebes?“, ergänzte Hildegards Mutter strahlend. Hildegard bedankte sich artig und wurde direkt von ihrem Bruder Leopold abgeholt, der zuvor ein angeregtes Gespräch mit den ortsansässigen Händlern Aigolf und Liudbrandt nebst Gattinnen geführt hatte.

Diese folgten Leopold in Richtung des Geburtstagskindes, ließen ihrem Bruder aber selbstverständlich den Vortritt, bevor sie Hildegard auch nochmal herzlich gratulierten und ihre Geschenke überreichten. Aigolf hatte sich mit einem Zwinkern auf seine für einen Händler eher untypischen Lesegewohnheiten für einen Schmuckband elfischer Gedichte entschieden, der Elaril beinahe noch mehr entzückte als die eigentlich Beschenkte und Liudbrandt und seine Frau überreichten Hildegard einen farbenfrohen Umhang aus Wolle, wie man ihn in Terra herstellte.

Hildegard warf ihn sich zur Probe gleich um und bedankte sich ausgiebig. Beide Bücher an ihre Brust gedrückt suchte sie nach einer Stelle, einem freien Tisch an dem man die guten Gaben sicher unterbringen könnte, den Mantel zu tragen und die Bücher den ganzen Abend in der Hand zu halten, war keine Option. Vor allem nicht, da sich in kürzester Zeit noch mehr Geschenke hinzugesellten. Dvalinn hatte ihr passend zum Mantel eine Schließe gefertigt und Alarik eine Ledertasche gemacht und gefärbt, so dass man es als Ensemble tragen konnte. Von Svea bekam sie dazu ein Paar warmer Strümpfe für die kommende kalte Jahreszeit, in sehr feiner Handarbeit selbst gemacht und auch Sveas Familie, Vater und Bruder wollten sich beteiligen.

Hinter den vertrauten Gesichtern der Familie und ihrer engsten Freunde und hinter einem gewaltigen Strauß später Feldblumen kam allerdings auch weniger erwarteter Besuch zum Vorschein.

Narsil de Varro, ihr erster Mann und derjenige, der ihr vor einem Jahr das Herz gebrochen hatte. Er war derjenige, der als erster hinter die Fassade gesehen hatte und in Hildegard nicht die unnahbare Prüde, oder die leichte Lebefrau gesehen hatte, die Männer sonst üblicherweise zu erwarten schienen. Narsil hatte genug Erfahrung mit Frauen um eine schüchterne Jungfrau zu erkennen, die offensichtlich nur auf die Erlösung durch ihn gewartet hatte. Es war kein Wunder, dass sie nach wenigen Wochen bereits seinem Charme erlegen war, denn Narsil und die Frauen, das war eine ganz besondere Sache.

Hildegard hatte Spaß an und mit Narsil gehabt, doch viel zu schnell hängte sie ihr Herz an den Mann, der sie als erster wie eine vollwertige Frau behandelte. Als sie mit ihren Freunden in die Zwergenmine aufbrach, war es der Gedanke an Narsil, der ihr durch die Hölle von Khazad-Mirr half. Als sie ihn wie versprochen in Lur wiedertraf, war es Narsil der ihnen den Weg nach Malfori zeigte. Es war Narsil, der sie aufheiterte, ihr Freude bereitete und ein wenig Leichtigkeit auch in schweren Zeiten verlieh. Der Frauenheld wusste immer wann sie was benötigte und als er sie schließlich noch bis nach Ragnaron begleitete, wo sie versuchten ihren Freund Elaril noch einzuholen, begann sie zu glauben, dass es ihnen vielleicht auch in mehr als nur ein paar Wochen gemeinsamer Zeit nicht langweilig zusammen werden würde.

Hildegard überstand die Reise durch Ragnaron mit Alarik und Dvalinn, das Ausbildungslager der Milizen getarnt als Mann und ihr wiederholtes Zusammentreffen mit Untoten, mit denen sie sich diesmal wissentlich in eine Höhle einschließen ließen, mit dem Ziel falls nötig bis zum letzten Leben zu Kämpfen und im Falle des Versagens einfach Nichts und Niemanden mehr hinaus zu lassen.

Als sie endlich zurückkehrte in ihre Heimat war es Narsil den sie treffen wollte, um mit ihm zu besprechen, ob er irgendeine Chance für eine gemeinsame Zukunft mit ihr sah. Seine Antwort war damals sehr eindeutig gewesen und seit diesem Tag hatte Hildegard den Barden nicht mehr wiedergetroffen.

Die Geweihte riss sich zusammen und lächelte. „Narsil de Varro, na sowas. Mit dir habe ich wirklich nicht gerechnet. Es ist lange her, oder?“

„Ziemlich lange, ja“, antwortete der Barde mit seiner leichten Art, dem gleichen blitzenden Lachen, den gleichen funkelnden Augen. „Gut siehst du aus, Hildegard. Und alles Gute zum Geburtstag. Zum neunzehnten oder so?“, meinte er mit einem Zwinkern.

Selbst nach allem was zwischen ihnen passiert war, brachte dieser simple Versuch Hildegards Mundwinkel nach oben. Ein etwas müdes Lächeln, aber zumindest ein Lächeln. „Ja, genau. Vielen Dank Narsil. Du hast dich aber auch gut gehalten und offensichtlich deinen Humor in der Zwischenzeit nicht verloren. Vielen Dank für die Blumen.“ Sie nahm ihm den Strauß vorsichtig ab und fragte Bertha und Garn nach einer Vase. Tatsächlich liebte sie Blumen und freute sich wirklich, nur wie sie mit diesem plötzlichen Wiedersehen umgehen sollte, wusste sie nicht. War sie überhaupt noch wütend? Gekränkt, ein wenig, ja. Verletzter Stolz und Zurückweisung. Aber weshalb? Sie hätte ihn nicht zurück gewollt. Warum also das leichte Magengrummeln?

Gedankenverloren strich sie noch einmal kurz über die abgestellten Blumen, eine Geste die sehr typisch für sie war. „Bitte, gerne. Soll ich dir ein Bier holen? Deine Eltern sind wirklich nett, machen sich aber Sorgen, weil du soviel unterwegs bist, wusstest du das?“ Mit diesem leichten und, wie er selbst wusste, sinnlosen Plaudern wanderte Narsil um die Theke herum, vor der Hilde stand und während Garn gerade damit beschäftigt war, Alariks und Dvalinns Krüge zu holen, zapfte der Barde eben selbst.

Hildegard lehnte sich amüsiert auf die Theke. „Ja, das klingt wirklich nach meinen Eltern. Wie lange bist du denn schon hier und sag bloß Elaril hat dich auch eingeladen?“ Sie lachte leise. Kein Wunder, dass der Hauptmann etwas verstört wirkte, als sie ihm erzählte, dass mehr als nur Freundschaft zwischen ihr und Narsil gewesen ist. „Und, gibt es wichtige Neuigkeiten die ich wissen sollte, von denen der Barde weiß und mittlerweile sicher auch meine Familie?“

Narsil stützte sich von der gegenüberliegenden Seite auf den Tresen und senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern „Nun, ich habe gehört, es seien noch nicht alle Gäste eingetroffen...“ Bevor er aber weitere Andeutungen fallen lassen konnte, bekam er von Bertha ein Spültuch gegen die Schulter geklatscht „Dein Platz ist nicht hinter der Theke, junger Mann, Abmarsch!“

„Oh, wer kommt denn noch?“, fragte Hildegard erstaunt und sah sich im Raum um. Wer könnte denn noch fehlen? Roderick wäre ja wohl kaum wegen ihrem Geburtstag aus seiner Hütte zu locken. Die Geweihte musste über Narsils überraschtes Gesicht kurz lachen, als er für einen Moment erschrocken zuckte, als ihn das nasse Tuch am Hals berührte.

Lachend floh Narsil zurück auf die andere Seite „Na na, Hildegard, wir werden dir doch nicht die Überraschung verderben wollen. Garn! Hilfe, deine Frau vergreift sich an mir!“ meuterte er noch gespielt, wofür ihm Bertha nur nochmal mit dem Tuch drohte und Narsil ihr als Friedensangebot einen Luftkuss über die Theke hauchte, bevor er mit einem vollen Bierkrug verschwand.

Die Klerikerin beobachtete das Schauspiel und schüttelte leicht amüsiert den Kopf. Kein bisschen älter geworden der Barde, kein Stück sichtbar verändert. Er schien noch genau der selbe zu sein, der Hildegards Herz im letzten Jahr auf eine Berg- und Talfahrt geschickt hatte. Eine Sommeraffäre, mehr nicht. 'Oh, bitte, lasst das mit Victor nicht genau so enden!', flehte sie in einem stillen Stoßgebet ihre Götter an.

Narsil schien sich nicht verändert zu haben, aber wer wusste das schon genau. Sie allerdings fühlte sich durchaus verändert, wenn sich das auch äußerlich ebenso wenig zeigen dürfte. Was in einem Jahr so alles passieren konnte...
 

Hellond hielt sich ein bisschen zurück, bis sich der erste Ansturm gelegt hatte und stellte dann eine in einem Kasten sicher zu verwahrende zwergische Apparatur auf den Gabentisch. Als Hildegard auf das strahlende Gesicht des Zwergenklerikers nur fragend schaute, lieferte er auch die Erläuterung: es handelte sich bei dem Apparat um ein Gerät, das die Mondphasen abbildete und selbst in der Dunkelheit von Zwergentunneln – oder am hellichten Tag – exakt anzeigen konnte, wo und wann der Mond auf- oder unterging. „Oh, Hellond das ist ja großartig!“, rief die Geweihte fasziniert aus. „Kannst du mir erklären, wie das funktioniert? Es kann wirklich den Mondaufgang selbst bei Tag, oder in völliger Dunkelheit messen? Unglaublich. So wisst ihr also auch unter dem Berge wann Gebetszeiten sind, ja? Zwerge sind ja wirklich findige Techniker.“ So ganz genau konnte Hellond dann doch nicht erklären, wie das Gerät lief. Letztendlich maß es die Zeiten der Mondbahn über zahllose Federn und Zahnräder in seinem Inneren, musste, ähnlich einer mechanischen Uhr ab und zu aufgezogen werden und tat dann zuverlässig seinen Dienst, in dem die Zeiger auf verschiedenen Tafeln anzeigten, welcher Mond wann aufging, während ein Schwimmkompass auf dem Dach des Gehäuses erlaubte es korrekt auszurichten. „Es tut mir leid, ich bin auch nur ein Kleriker und wissen die Götter, wie das genau funktioniert“, schloss Hellond grinsend. Hildegard, durchaus sehr beeindruckt, stellte die geniale Gerätschaft wieder vorsichtig an seinen Platz, nachdem sie es ausgiebig bestaunt hatte. „Und das ist wirklich für mich? Vielen Dank Hellond!“ Wie alle anderen Gabenbringer bekam auch der Klerikerkollege einen flüchtigen Wangenkuss, für den sich Hildegard bei den Zwergen deutlich tiefer bücken musste. Kurzfristig wurde ein Zwergentisch mit den beiden Ehrenzwergen Hildegard und Alarik improvisiert, der eine Runde mit zünftigem Zwergenbier anstoßen wollte. Etwas, worum sich die Menschen nicht gerade rissen, aber was tat man nicht alles für die zwergischen Freunde? Immerhin war es eine Möglichkeit für die Geweihte ihr Zwergisch nicht ganz einrosten zu lassen. Für Alarik übersetzte sie ab und zu. Nur Svea warf dem vor ihr abgesetzten Bierkrug einen nachdenklichen Blick zu, sah sich kurz um und beugte sich dann rüber zu Hildegard um ihr mit nahezu zerknirschten Blick eine Frage zuzuflüstern. „Du, Hildegard? Könnte ich dich vielleicht um einen Gefallen bitten? Kannst du mein Bier austrinken und - falls es sein muss - auch das nächste? Ich...würde heute lieber keinen Alkohol trinken, weißt du.“ Die Klerikerin zog verwundert die Augenbrauen zusammen. „Ja, sicher, aber weshalb?“ „Naja, es ist so...“ unsicher rang die Zwergin ihre Hände unter dem Tisch und griff in ihre Schürze. „Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber vielleicht bin ich schwanger, Hildegard. Ich wollte aber noch nichts sagen, bevor ich mir ganz sicher deswegen bin, weißt du? Und deshalb wäre es nett, wenn du es auch nicht Dvalinn sagen würdest.“ „Ja, aber selbstverständlich! Herzlichen Glückwunsch Svea!“ , grinste die Geweihte ihre zwergische Freundin an. „Natürlich solltest du es Dvalinn sagen, sobald du dir sicher bist. Ich werde ihm nichts verraten!“ Dann beugte sie sich vor um Svea auf die Wange zu küssen und zog lachend ihren Bierkrug zu sich herüber. Alarik, der das verwundert beobachtete sah fragend zu den Frauen über den Tisch, was Hildegard lapidar mit einem „Svea hat heute keine Lust auf Bier, ihr Magen, weißt du? Deshalb hat sie es gerade mir überlassen, ist das nicht nett?“kommentierte, grinste und einen kräftigen Schluck tat auf den zu erwartenden Nachwuchs für ihre Freunde und damit auch für ihre erweiterte Familie.

Alarik hätte sich vielleicht noch Gedanken dazu gemacht, dass Svea ausgerechnet Hildegard ihr Zwergenbier vermachte, anstatt es beispielsweise ihrem Mann, Dvalinn, zu überlassen, aber in diesem Moment öffnete sich die Schanktür, um einen Anblick freizugeben, bei dem Alarik einfach nicht weiter an Zwerge denken konnte. Thais warf mit einer beiläufigen Geste die sorgsam gelegten Locken über die Schulter zurück, lächelte und meinte dann nach hinten über die Schulter „Ich habe dir doch gesagt, dass wir zu spät kommen werden, wenn du so trödelst!“, bevor sie eintrat und um den Tisch herumeilte, um Hildegard in die Arme zu schließen. Auf dem Weg berührte sie den Waldläufer kurz an der Schulter. „Meine liebe Hildegard, alles, alles Gute zum Geburtstag. Es tut uns so leid, dass wir so spät sind, aber du weißt ja, wie das mit Männern in einem gewissen Alter ist: dauernd muss man auf sie warten. Wir wären pünktlich gewesen, wenn unser Freund Theophil schneller gepackt hätte.“

„Thais, was für eine Überraschung! Schön, dass du auch hier bist. Und Theophil natürlich auch. Wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Dass ihr auch den langen Weg auf euch genommen habt.... Wollt ihr etwas trinken, oder ein Stück frisch gebackenen Kuchen? Setzt euch ihr Lieben!“ Hildegard umarmte auch den nachkommenden, deutlich älteren Herren, platzierte beide an einem Tisch und besorgte Getränke und Gebäck für die neuen Gäste. Dann setzte sie sich wieder dazu. „Wie war eure Reise?“

„Wie solche Reisen eben sind, meine Liebe. Lang, staubig, du weißt schon.“ Thais winkte lachend ab und setzte sich „Oh, der Kuchen sieht wirklich hervorragend aus. Ich wünschte, ich könnte so backen. Bei wem darf ich mich nachher bedanken?“ Man musste der Ravenslofterin immerhin zugestehen, dass sie ein gesellschaftsfähiges Kleid trug, ein fast schon etwas altmodisches Höllenfensterkleid aus glattem, mit Streublumen bestickten Seidentaft über einem Unterkleid, das allerdings so fein gewirkt war, dass es hart an der Grenze zu durchsichtig war, wann immer es Gegenlicht fing. Theophil umarmte Hildegard etwas umständlich. „Natürlich auch von mir die allerbesten Glück- und Segenswünsche zum Jahrestag deines Eintritts in dieses Leben. Und damit du dasselbige auch voll ausschöpfen kannst, habe ich dir dieses kleine Mitbringsel, sozusagen ein Destillat meines Forscherlebens, für dich mitgebracht.“

„Bertha hat den Kuchen vorhin erst aus dem Ofen geholt. Köstlich, nicht? Ich fürchte ich werde auch nie so eine gute Hausfrau.“, lachte die Klerikerin und besah sich Theophils besagtes Destillat. „Das Buch hast du selbst verfasst? Was ist das genaue Thema?“ Sie wusste, dass sein erklärtes Fachgebiet die Dämonen der Reiche waren, nicht zuletzt, weil sie ihn nur wegen seiner reich gefüllten Privatbibliothek zu diesem Thema kannte, die sie aufgesucht hatte, um über Ravija und ihre Familie zu recherchieren. Hildegard schlug das Buch auf und überflog das Vorwort interessiert. „Oh, es handelt sich um einen historischen Abriss der extraplanar geführten Kriege in den letzten 15 bis 20 Dekaden vor dem Wirken des großen Zusammenflusses. Ich habe mir allerdings erlaubt, im Vorwort ein bisschen auf einige Nebenschauplätze und Spezialprobleme hinzuweisen, die den allgemeineren Rahmen der Untersuchung an anderer Stelle gesprengt hätten.“

„Du kannst diese Detailfragen ja immer noch in einem anderen Aufsatz breittreten, Theophil“, versicherte ihm Thais und drückte Hildegard dann ein kleines, in Seidenpapier eingewickeltes Geschenk in die Hände. „Es ist nur eine Kleinigkeit, aber ich war mir sehr unsicher, was dir gefallen würde.“ Erstaunt besah sich die Geweihte das sorgsam verpackte Präsent und entfernte das Papier behutsam, wobei einige farbige Seidenbänder zum Vorschein kamen, die jeweils um eine farblich abgestimmte kleine Glasflasche gewunden waren. Hildegard entkorkte eine davon und stellte fest, dass rosa offensichtlich Rosenduft bedeute. „Die anderen beiden sind Lavendel und Zitronengras“, erläuterte Thais und beugte sich dann flüsternd ein wenig näher zur Klerikerin. „Und den anderen Teil bekommst du, wenn weniger neugierige Augen zusehen.“ Thais zwinkerte und fuhr wieder lauter fort. „Du trägst doch immer diese wunderbaren Flechtfrisuren und ich finde, eine Frau darf sich auch ruhig mal etwas mehr gönnen, wie zum Beispiel ein entspannendes, duftendes Bad. Nicht wahr?“ Da dies in der Tat das einzige war, dass sich Hildegard an Luxus ab und zu gönnte, war sie nicht sicher, ob sie bejahen oder verneinen sollte und bedankte sich einfach artig. Im Geiste dachte sie an ihr Bad in Malfori, dass so viel größer und luxuriöser eingerichtet war als das in Weyersdorf. Sowieso gab es meist nur einfache Holzzuber. Und vielleicht könnte sie im Dezember wieder ein duftendes Bad nehmen, vielleicht beruhigender Lavendel, und Victor könnte ihr noch einmal Gesellschaft leisten. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf ihre Züge und sie seufzte leise, während sie geistig abwesend die Flakons vor sich betrachtete. Dann kam ihr langsam zu Bewusstsein, dass sie nun an einem Tisch mit einem erklärten Experten saß, den sie auch das fragen könnte, was sie sich nicht getraut hatte an Victor zu richten. „Du, Theophil? Sicher kennst du dich auch mit der etwas neueren Geschichte der Dämonen aus, oder? Ich meine etwas, was nicht vor 20 Generationen war, sondern vielleicht innerhalb der letzten.... drei, vier oder fünf?“

Theophil warf sich, sofern das bei einem Mann seiner Statur überhaupt möglich war, in die Brust „Aber selbstverständlich kenne ich mich damit aus, Kindchen! Du sprichst immerhin mit einem anerkannten Experten auf dem Gebiet. Ich habe die dämonischen Häuser eingehend studiert, habe alle namhaften Werke dazu gelesen und die Hälfte der wichtigsten Literatur selbst geschrieben...“

Bevor der passionierte Forscher fortfahren konnte, drückte Thais ihm ein Weinglas in die Hand. „Am besten du stellst eine sehr konkrete Frage, Hildegard, sonst könnte es sein, er redet sehr lange. Was auf ausgedehnten Kutschfahrten sehr unterhaltsam und lehrreich ist, Theophil, aber bei Bier und Kuchen auf einem Geburtstagsfest nicht immer angebracht.“

„Oh, ich habe sehr konkrete Fragen!“, beeilte sich Hildegard zu sagen, stellte die Duftöle vorsichtig beiseite und wandte sich wieder an Theophil. „Also was die Dämonen der letzten paar Generationen angeht, wurden da auch schon mal Verbindungen mit Nicht-Dämonen eingegangen? Also abgesehen von Elfen natürlich, dass wissen wir als Verlester sehr gut und sehen ja, dass es funktioniert. Aber sonst?“ Sie lehnte sich auf den Tisch und sah ihren Gesprächspartner erwartungsvoll an. Konnten sie und Victor überhaupt Kinder bekommen, ginge das, kam so etwas vorher schon einmal vor?

„Also, selbstverständlich hat es ein paar Verbindungen mit anderen Rassen gegeben. Sowohl die Häuser von Ravensloft als auch die ältere Linie von Ragnaron sind wiederholt Ehen mit lokalen Stammesfürsten eingegangen, um ihre Gebietsansprüche zu festigen. Verbindungen mit Elfen oder Elfenhybriden sind ja bekannt, von Zwergen wüsste ich jetzt im Moment keinen verbürgten Fall, aber um aus Prof. Dr. P. Pomenyks leider sehr unvollständigen Reisebeschreibungen zu zitieren, gehen wir davon aus, dass Dämonen mit allen uns im Moment bekannten humanoiden Spezies kreuzbar sind.“ „Ah, sehr interessant!.“ Hildegards zufriedenes, nahezu triumphierendes Gesicht stand in keinem Verhältnis zu ihrer Frage, zumindest für alle anderen Anwesenden. Doch für sie war das eine Bestätigung dafür, dass ihnen, wenn sie denn beide wollten, zumindest keine solchen Steine im Weg liegen würden. Es stand ihnen also völlig frei und war nach derzeitigem Kenntnisstand keineswegs unmöglich. Das war alles was sie zu dem Thema wissen musste.

„Das hat mir schon sehr geholfen, danke Theophil. Und wie sieht es eigentlich mit der Geschichte der letzten... Jahrhunderte aus? Du musst wissen, ich habe mich vor kurzem versucht über die Geschehnisse in Malfori zu informieren, aber alles was ich in der Hand hatte waren Annalen über die Ernten und Wetterumschwünge der Jahre nach dem Krieg Turans gegen Kardosch. Ja, es ist klar wer den Krieg gewonnen hat und ja, es waren ein paar wichtige Daten dabei, aber an sich war das nicht was ich gesucht habe. Irgendwie schien einfach all das wichtige zu fehlen, was ich hätte wissen müssen! Solche Dinge wie zum Beispiel dass der Fürst von Malfori mal verheiratet war! Wisst ihr wie peinlich mir das war, dass ich diese Information offensichtlich nicht hatte? Wann war das? Ich habe keine Ahnung. Ich habe mir einen Fehltritt nach dem anderen geleistet. Oder Exil in Terra. Hätte ich das auch wissen sollen?!“

„Genaugenommen war der Fürst von Malfori sogar zweimal verheiratet, aber seine erste Ehe ist kurz nach der Exilierung annulliert worden. Es gibt da sicher noch ein paar weitere Eckdaten, die man zu den Geschehnissen in Malfori in den letzten drei-, vierhundert Jahren wissen sollte, ich kann dir da sicher ein paar gute Überblickswerke empfehlen – falls sie denn schon geschrieben sind. Ansonsten... wie dem auch sei, Hildegard, es freut mich zu hören, dass du offenbar in solchen Kreisen verkehrst, in denen eine Unkenntnis der Geschichte unseres Landes als, wie sagtest du so schön poetisch, „Fettnäpfchen“ empfunden wird.“ Fassungslos starrte sie ihn an. Es dauerte einen Moment, bevor sie vor lauter Benommenheit ihre Sprache wiederfand. „Zwei... mal? … Zwei. Mal.“ Es wurde nicht besser, umso häufiger ihr Kopf diese Information wiederholte. Sie konnte einfach nichts mit dieser Information anfangen, die ihr den Boden unter den Füßen wegzuziehen schien. „Zweimal also. Annuliert. Oh.“ Sie musste schlucken und wandte den Blick ihrem Rest Zwergenbier zu. Am besten sie trank jetzt alles auf einmal. „Ich habe mich also vor einer Woche mit einem Witwer UND Geschiedenen unterhalten, ohne auch nur die geringste Kenntnis dieser Sachlage. Toll.“ Und es hatte natürlich auch niemand ihr gegenüber ein Sterbenswörtchen darüber fallen lassen, weder Victor, noch Elaril. Am liebsten würde sie aus Scham, Wut und Trauer nachträglich im Erdboden versinken. Vermutlich hätte sie das alles wissen sollen. Vermutlich hätte ihr jemand etwas sagen sollen. Sie setzte an und leerte den Krug, ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Vielleicht sollte sie mal ein Wörtchen mit ihrem Freund Elaril sprechen. „Bitte gib mir doch einmal die Titel dieser Überblickswerke, Theopil...“, bat Hildegard mit tonloser Stimme.

„Aber sicher, Kindchen, sicher. Du kommst gerade aus Malfori, ja? Und hast mit ihm gesprochen? Das ist sicher sehr interessant, ich meine, was gäbe ich das Objekt meiner Studien so nah zu haben!“, schwärmte Theophil weiter und missachtete dabei vollkommen die Veränderungen in Hildegards Gesicht und Stimme. Thais dagegen, die für solche feinen Nuancen deutlich empfänglicher war, legte Hildegard sacht die Hand auf den Arm und sah sie fragend an.

Die junge Frau antwortete Thais mit einem fast flehenden Blick. Was gäbe sie darum eine Freundin zu haben, mit der sie in solchen Situationen und über solche Dinge reden konnte. Sie seufzte tonlos und blickte nach unten auf ihren leeren Krug. Nie hatte sie eine solche Freundin gefunden. Zu selten war sie an einem Ort geblieben und meist nur mit Männern unterwegs. Theophil dagegen bekam seine Antwort in Worten. „Ja, ich komme gerade aus Malfori und hatte die Ehre. Vielleicht … ergibt sich ja eine Möglichkeit, wenn ich das nächste mal dort bin. Ich müsste deshalb mal nachfragen.“

„Oh, das wäre ja wirklich ganz ausgezeichnet, wäre das“, freute sich Theophil und setzte gleich zur nächsten Geschichtsstunde an, hätte Thais ihn nicht unterbrochen. „Das reicht jetzt, Theophil, dein Wein wird schal und dein Kuchen … vermutlich auch. Außerdem warte ich seit einer halben Ewigkeit darauf, dass mich Hildegard endlich ihrer Familie vorstellt, ganz uneigennützig natürlich und nicht deshalb, weil es sich lohnen könnte jemanden zu kennen, der mit schönen Stoffen handelt. Dein Bruder ist aber auch ein gutaussehender Kerl, unternimmt er seine Fahrten selbst?“ Damit zog Thais Hildegard am Arm vom Tisch, hakte sich bei ihr unter und steuerte zunächst die Theke an, um Hildegards leeren Bierkrug durch einen vollen zu ersetzen – nur diesmal kein Zwergenbier.

„Äh, ja, tut er. Und ja, er ist ein gutaussehender Kerl, finde ich auch. Und er hat eine wunderschöne Tochter wie ich finde … Sie hat seine Augen. Und … „ Hildegard stockte mit ihrem neuen Bier in der Hand kurz hinter der Theke und sah Thais an. Eindringlich flüsterte sie ihr zu: „Thais, ich weiß einfach nicht mit wem ich reden soll. Bitte … würdest du mir ein paar Minuten zuhören? Nur unter vier Ohren nach Möglichkeit?“ Dabei nickte sie mit dem Kopf in Richtung der Treppe zu den Schlafräumen, weil sie wusste, dass dahinter ein kleiner toter Winkel war, in dem man halbwegs ungestört von anderen Geburtstagsgästen sprechen konnte.

„Sicher“, die Kurtisane schaute zwar ein bisschen erstaunt über die Dringlichkeit von Hildegards Bitte, aber dass etwas nicht stimmte, hätte ja ein Blinder mit einem Krückstock gemerkt. Oder zumindest eine Blinde. Also folgte sie Hildegard unter den Treppenabsatz und setzte sich mit erwartungsvollem Blick auf Garns Kartoffelkiste. „Ich bin ganz Ohr, schieß' los.“

„Bitte verzeih, dass ich dich so kurzfristig hierher gebracht habe. Aber ich habe das Gefühl wenn ich jetzt nicht mit jemandem reden kann, dann platze ich. Also....“ Die Klerikerin drehte eine nervöse Runde um sich selbst. „Ich weiß nicht wie ich es sagen soll, aber ich habe offensichtlich ein Verhältnis mit einem geschiedenen Witwer, über den ich wohl viel zu wenig weiß und auch nicht, wo mir der Kopf steht, noch wie ich generell damit umgehen soll. Und ich habe niemanden sonst, keine Freundin der ich so etwas anvertrauen kann. Und niemand außer Elaril weiß davon.“ Hildegard atmete einmal tief durch und sah Thais fragend an.

Thais brauchte einen Moment, bevor sie Hildegards hastig hervorgebrachte Worte ganz verstanden hatte. „Also er ist geschieden und seine Frau ist tot, ja? Das heißt er ist frei, es gibt keinen ernsthaften legalen oder moralischen Grund, weshalb ihr nicht wie zwei erwachsene Menschen ein Verhältnis führen könntet, ja? Hat er irgendwelche Kinder, die dich nicht mögen? Nennt er dich im Bett mit dem Vornamen seiner Verflossenen?“ Thais sah Hildegard an und wollte die Klerikerin schon freundschaftlich auslachen dafür, dass sie aus einer Mücke einen Elefanten machte, als Eckpunkte des vorherigen Tischgesprächs durchsickerten. Sie wusste zu wenig über ihn. Zweimal verheiratet, die erste Ehe annulliert. „Oh Götter“, mit diesem leisen Ausruf hielt sich Thais erst mal am Rand der Kiste fest. „Hast du wirklich ein Verhältnis mit dem Mann, von dem ich denke, dass du es hast? Gratuliere! Oh Götter!“ „Falls du denkst, dass es um den Mann geht, über den wir eben am Tisch gesprochen haben...“ Hildegard sah sich nervös um. „Dann ja, ja.“ Sie warf die Hände fragend und ein wenig überfordert in die Höhe. „Verstehst du mein Dilemma? Und selbst wenn nicht, dass ich nicht genau weiß wie ich damit umgehen soll, das ist doch nachvollziehbar, oder? Wie sage ich das meinen Eltern oder meinen Freunden? Sage ich besser gar nichts? Aber dann wird es vielleicht irgendwann Gerüchte geben und ich kann sie doch schlecht vor meinen Freunden dementieren. Und dann sind sie sauer, dass ich es ihnen verheimlicht habe.“ Hastig hatte die Klerikerin weitergesprochen und suchte Hilfe bei der Kurtisane.

„So etwas kann man einfach nicht verheimlichen, Liebes. Also musst du es ihnen sagen. Bist du denn glücklich? Ist er gut zu dir? Entschädigt er dich für das Dilemma?“ Nach dem ersten Schock hatte Thais tausend Fragen auf den Lippen und lehnte sich verschwörerisch zu Hildegard hinüber.

Ein wenig irritiert, aber glücklich darüber sprechen zu können, antwortete Hildegard der Kurtisane und wurde mal wieder ein klein wenig rot dabei. „Ja, er ist sehr gut zu mir und ich bin überglücklich, wenn wir zusammen sind. Das sollte mir eigentlich Entschädigung genug sein, auch wenn diese langen Reisestrecken zwischen uns sehr mühsam sind und wir so weit entfernt. Und man stößt die Eltern auch ungern damit vor den Kopf, dass die Tochter Geliebte des Staatsfeinds sein will, statt anständige Ehefrau eines netten Händlerkollegen. Aber da muss ich jetzt wohl durch, nicht wahr?“ Die Geweihte seufzte leise. „Thais, ich vermisse ihn schrecklich und ich will es einerseits allen offen sagen, aber auch vorsichtig sein um ihm nicht eventuell dadurch zu schaden oder gerade die Leute die mir am wichtigsten sind damit vor den Kopf stoßen.“ Sie senkte den Blick nochmal und nahm einen Schluck von ihrem Bier.

„Deine Eltern sind, nach allem, was ich heute Abend gesehen habe, ganz reizende Leute, die sicher nur wollen, dass du glücklich bist. Und deine Freunde natürlich auch. Dass du das gerade mit ihm bist, ist für sie sicher im ersten Moment schwer vorstellbar, aber da wirst du sie einfach überzeugen müssen. Du musst es ihnen ohnehin sagen, also tu es und strahle dabei, Liebes. Nichts ist so überzeugend, als wenn sie in deinen Augen sehen können, wie glücklich du bist. Denk an etwas wunderbares. Ihn wiederzusehen. Und versuch nicht dauernd rot zu werden dabei.“

Thais musste es ja wissen, immerhin hing ihr Erfolg oftmals davon ab, einem Mann Gefühle zu verkaufen, die vermutlich gar nicht da waren und das dann auch möglichst glaubhaft.

Hildegard hatte ihr aufmerksam zugehört und nickte am Ende. „Ja, in Ordnung. Danke Thais!!“ Die Klerikerin fiel ihr um den Hals und drückte ihre etwas kleinere Freundin kurz lachend an sich. „Ich bin so froh, dass du da bist! Du bist bestimmt die einzige die mich erst mal nicht völlig schockiert angesehen hat.“ „Oh, ich bin völlig schockiert, Liebes. Aber ich freue mich auch für dich. Dann ist der zweite Teil meines Geburstagsgeschenkes ja gerade richtig...“ Mit einem verschwörerischen Lächeln drückte Thais Hildegard ein weiteres Päckchen in die Hand, das etwas ebenfalls in Seidenpapier eingeschlagenes Weiches enthielt, das sich beim Auspacken als eine Hand voll Nachtwäsche aus filigraner Spitze und fließender, so dünner Seide herausstellte, die noch durchsichtiger war als Thais Unterkleid, sofern sie nicht gerade das Licht mit einem silbrigen opaquen Schimmer zurückwarf. „Oooh!“, rief die Geweihte leise aus und befühlte staunend und weiter errötend den zarten Stoff. „Noch einmal danke, Thais!“ Hildegard grinste sie an und ihre Sommersprossen standen in Konkurrenz zu der weichen Röte darunter. Sie packte das Hemdchen behutsam wieder ein, um es später unauffällig zu den anderen Geschenken legen zu können. „Was ist es denn, dass daran so schockierend ist? Dass er der Fürst ist und sich ausgerechnet mit einem einfachen Weibsbild wie mir beschäftigt? Dass ich mich mit dem Staatsfeind eingelassen habe?“ Sie überlegte kurz und fügte dann schüchtern hinzu, „Oder, dass ich naiv genug bin mich wieder Hals über Kopf in einen Mann zu verlieben, den ich nicht ganz haben kann? Und das heftiger denn je.“

„Schockierend daran ist, dass der einflussreichste Mann der Reiche jetzt erstmal vom Markt ist und dass ein einfaches Mädchen wie du – und damit meine ich keinesfalls irgendeinen Stand, Hilde, sondern ein normales, natürliches Mädchen – da offenbar das große Los gezogen hat, nach dem sich alle anderen Frauen die Finger lecken würden. Und diese Frauen beschäftigen sich sicher mehr als du mit der Frage, wie sie sich für einen solchen Mann besonders vorteilhaft erscheinen lassen können. Ich würde ja sagen, dass ich gerne zu deinen Füßen als Schülerin sitzen würde, aber das kann man nicht lernen.“ Jetzt war es an Hildegard ihre Freundin ein wenig schockiert anzusehen. „Oh, tut mir leid. Daran habe ich gar nicht gedacht, dass das so ist für dich... Und ich denke, dass ich noch sehr viel von dir lernen könnte, Thais...“

„Das glaube ich auch!“, pflichtete Thais ihrer Freundin bei, winkte dann aber sofort ab. „Was tut dir leid? Liebes, es ist ja nun nicht so, dass es nicht zum einen genug Männer für alle gibt und zum anderen auch nicht so, dass ich gerade was weiß ich für einen Plan gehabt hätte, gerade diesen zu umgarnen, den du mir dann zunichte gemacht hättest. Ich habe den Mann vielleicht zweimal in meinem Leben gesehen, von Weitem.“ „Oh, wann denn?“, hakte Hildegard interessiert nach und wie immer, wenn sie über Victor sprach, leuchteten ihre Augen. „Ich bin froh, dass du nicht sauer bist und es gibt garantiert noch viele andere nette Männer, da bin ich sicher!“ Sie kicherte leicht und nahm einen weiteren Schluck Bier. „Vielleicht sollte ich ja mal bei dir in die Lehre gehen, nach meinem Geburtstag.“ „Pft, wozu? Du scheinst doch alles richtig gemacht zu haben. Zuviel Wissen schadet da, das verstopft den Kopf. Schau dir Theophil an! Und wann? Vor ein paar Jahren, wann immer es dem Fürsten das letzte Mal geruht hat seinem Verwalter in Ravensloft persönlich einen Besuch abzustatten. Ich habe mir das genaue Datum nicht gemerkt.“

„Und? Er sieht gut aus, nicht? Dass ich wirklich so lange gebraucht habe um das auch zu sehen.“ Hildegard lachte laut und hielt sich dann die Hand vor den Mund. „Oh, ich sollte hier nicht so laut Lachen. Jedenfalls fühle ich mich schon viel besser, dank dir.“ Sie küsste die Kurtisane flüchtig auf die Wange und lächelte. “Und vielleicht kann ich ja beim nächsten mal etwas für Theophil tun, falls Victor sich einmal ein wenig Zeit für einen meiner Freunde freischaufeln kann. Ich werde ihn einfach lieb darum bitten. Dann kann er 'das Objekt seiner Studien auch einmal nah haben'.“ Hildegard kicherte wieder, das Zwergenbier vorhin war ihr etwas zu schnell zu Kopf gestiegen. „Sollen wir wieder zurück gehen?“

„Bevor uns jemand suchen kommt und wir behaupten müssen, wir hätten auf dieser Kartoffelkiste sonstwas angestellt meinst du?“ Thais lachte leise und hakte sich wieder bei Hildegard unter. „Theophil würde sich sicher sehr freuen, auch wenn das Gefahren birgt. Der größte Feind des Geschichtsforschers ist ja bekanntlich derjenige, der dabei gewesen ist. So, und jetzt stellst du mich aber deinem Bruder vor. Ich bin auch ganz brav und bringe den Vater deiner sicher schrecklich niedlichen Nichte nicht in Verruf. Ist sie blond? Blonde Kinder sind immer schrecklich niedlich, nicht wahr?“ „Oh, das hoffe ich doch von dir, meine Liebe! Und nein, die Kleine ist brünett wie ihre Mutter. Mit blauen Augen, fast wie meine Mutter. Und mit ihren zwei Jahren auch fast so groß.“ Hildegard lachte und dachte liebevoll an ihre Nichte und Neffen. Allesamt brünett in mehreren Abstufungen von Braun, mit kleinen oder großen Locken. Würde sie selbst mal blonde Kinder haben? Mit Victor höchstwahrscheinlich. Blondgelockt, grüne Augen, ganz wie der Vater. Wäre das nicht toll? Sie lächelte und stellte Thais ihrer Familie vor. „Das ist meine liebe Freundin Thais, die extra aus Ravensloft gekommen ist. Meine Liebe, das sind meine Mutter, ihr Mann Giselher und mein Bruder Leopold.“ Thais strahlte und löste sich von Hildegards Arm, um Leopold artig die Hand zu geben und Giselher dann mit einem Zwinkern zu Hildegard zwei Küsschen auf die Wangen zu hauchen. Bevor Swanahild ernsthaft protestieren konnte, bekam sie die gleiche Begrüßung. „Ich freue mich so, euch kennen zu lernen!“

„Oh, wir uns auch!“, entgegnete Swanahild. „Du bist die erste Freundin unserer Tochter, die wir kennen lernen. Wir haben schon befürchtet sie hätte keine weiblichen Kontakte außerhalb der Familie.“ Hildegards Mutter, die hoffte, dass die elegant frisierte junge Dame einen guten Einfluss auf ihre Tochter haben könnte, lachte herzlich. „Es ist sicher gut, wenn unsere Hildegard nicht vollständig vergisst, dass sie eigentlich eine Frau ist und jemand sie ab und an daran erinnert.“ Giselher, der sich dunkel erinnerte, dass Hildegard den Hauptmann auch in Ravensloft zum ersten mal getroffen hatte, fragte höflich nach „Ravensloft? Haben Sie, Ser Elaril und Hildegard sich dort kennen gelernt?“

„Oh, ich glaube es wäre übertrieben zu sagen, dass ich Ser Elaril vom Eiswasser wirklich kennen würde, außer der Tatsache, dass er offensichtlich ein Freund von Hildegard ist. Aber ja, Hilde und ich, wir kennen uns aus Ravensloft. Ich glaube aber nicht, dass sie das wirklich vergessen könnte, liebe Swanahild. Immerhin hat Hildegard die Männer doch immer so gut im Griff“, dabei warf sie einen lachenden Blick hinüber zu dem Tisch, an dem Dvalinn gerade von Elaril eine Revanche für einen verlorenen Trinkwettstreit forderte, was der Elf offenbar zum wiederholten Male und auch auf die Gefahr hin, ein Betrüger und Feigling genannt zu werden, ablehnte. Nicht, dass Dvalinn es ihm länger als zwei Minuten ernstlich nachtragen würde, denn auf einen Zwischenruf von Svea hin wechselte er sofort das Thema. Frauen. Und die blonden seien doch definitiv die Besten. Verhaltene Zustimmung von Elaril, der ein bestimmtes Gesicht vor Augen hatte, verhaltener Widerspruch von Alarik, deutlicherer von Narsil.

Hildegard seufzte. „Im Griff würde ich nicht direkt sagen. Aber ich habe mich immer redlich um die Jungs bemüht und seit der Hochzeit ist es Sveas Aufgabe dafür zu sorgen, dass Dvalinn sich wäscht und frische Kleidung trägt. Und ich denke für Alarik sorgt sie seitdem auch mit. Ich nehme an so fühlt es sich an, wenn die Kinder flügge werden, oder? Es ist ganz ungewohnt jetzt wieder selbst Vorschriften zu bekommen, statt welche zu machen.“ , endete sie mit einem Zwinkern zu ihrer Mutter. „Hätte ich gewusst, dass wir heute feiern, hätte ich mich sogar vorher umgezogen. Aber so werdet ihr mich wohl weiter in Reisekleidung ertragen müssen.“

Swanahild schüttelte leicht den Kopf. „Warte du mal, bis wirklich deine Kinder flügge werden, Liebes“, erinnerte sie Hildegard daran, dass sie von ihrer Seite auch noch Enkel erwartete. „Und wir lassen dir zu Hause noch ein paar schöne Kleider machen, Giselher hat extra ein paar besonders schöne Stoffe zur Seite gelegt, aus denen man dir endlich etwas... moderneres machen lassen kann.“

Thais unterdrückte ein Lachen und machte daraus ein Lächeln. „Was denn für Stoffe? Vielleicht muss ich Hilde ja mal begleiten.“

„Oh, ein paar schöne, weiche Seiden und eine feine Wolle für ein neues Winterkleid. Wunderbare Muster, wie ich finde und die Färbung ist sehr gelungen. Wenn du Interesse hast, mein Mann hat zumindest von der Wolle noch einen Ballen und von einigen Seidenstoffen zumindest genug für ein weiteres Kleid. Freunde von Hildegard sind stets willkommen. Gerne auch mit Familie.“, bot Swanahild an, die sich nicht ganz sicher über den Familienstand von Hildegards Freundin war. Ihr Mann nickte alles ab und Leopold bot den Damen Hilfe an. „Also wenn Thais möchte, kann ich sie, ob mit oder ohne Mann, Familie und Kinder, gerne einmal auf der Rückreise nach Weyersdorf in Ravensloft mitnehmen. Kann ich den Damen denn jetzt schon etwas gutes tun und neue Getränke besorgen? Giselher?“

„Ich komme gerne auf das Angebot zurück. Und ich brauche auch nicht viel Platz auf dem Wagen, ich lebe alleine. Leider lässt mir die Arbeit im Moment nicht wirklich Zeit für einen Mann.“ Nicht, dass am Ende noch jemand den guten Theophil für ihren Gatten hielt. Na, dass Bibliothekare nicht so viel Geld verdienten, sich eine so junge Frau zu leisten, war ja wohl hinlänglich bekannt.

„Ah, was machen Sie denn beruflich?“ erkundigte sich Giselher höflich, während Hildegards Mutter ihrer Tochter schon von den neuen, noch nicht existenten Kleidern vorschwärmte. „Oh, ich leite ein kleines, gutgehendes Geschäft zur Vermarktung von Luxusgütern.“, antwortete Thais ihm und er nickte, während Leopold anerkennend mit der Zunge schnalzte. „Respekt, meine Liebe. Wäre das nicht auch etwas für meine kleines Schwesterchen? Um ehrlich zu sein denke ich häufig, dass meine Mutter dazu neigt Hildegard einen Lebensstil aufzwingen zu wollen, von dem sie selbst glaubt, dass er gut sei. Nicht, weil er auch für Hildegard unbedingt gut sein muss. Ich meine sie war jahrelang unterwegs und kam zurück als hoch gebildete Klerikerin. Meine Schwester könnte selbst Karriere machen, wenn sie wollte und muss meinetwegen nicht nur die ihres Ehemannes voran treiben, wenn sie nicht will. Hildegard ist weder meine Mutter, noch Adalgund. Vielleicht ist das nicht ihr Weg, weißt du was ich meine? Also wenn es nach mir ginge, könnte sie gerne enger in die Geschäfte einsteigen, als nur zu helfen wenn mal Not am Mann ist. Vielleicht kann Hilde von dir noch lernen, Thais.“ Leopold zuckte entschuldigend mit den Achseln, weil er seine Mutter nicht vor ihrem zweiten Ehemann schlecht machen wollte, aber dies war nun einmal seine Meinung, bei all der Liebe die er beiden entgegen brachte.

„Leopold, ich schätze deine Schwester und ihre Bildung sehr, aber ich glaube, ihre Talente und ihre Interessen liegen nicht in meiner Branche. Und du hast ganz Recht, dass sie absolut in der Lage wäre, alleine ihren Weg zu gehen. Aber ich denke, unsere süße Hilde ist zu etwas anderem, höheren berufen. Oder soll ich dich demnächst um Hilfe bitten, wenn Not am Mann ist?“ Thais ließ sich den letzten Satz genüsslich auf der Zunge zergehen und warf Hildegard ein Zwinkern herüber, das manch gestandenen Mann auf die Knie geschickt hätte. Die Klerikerin, verwirrt zwischen den Ausführungen ihrer Mutter, was aktuell neueste Mode in Verlest sei, und Thais' Zwinkern, wusste nicht mehr wo ihr der Kopf stand und drehte den Kopf bald hier, bald dorthin. „Was, Not am Mann? Ist das jetzt mein Stichwort, ja?“ Leopold hingegen runzelte die Brauen und konnte sich keinen rechten Reim auf die Worte Thais' machen. „Nunja, man muss Hilde zumindest eingestehen, dass sie ein Talent dafür hat egal wo sie hinkommt Freunde zu finden. Das sieht man ja schon allein hier.“ Leopold wies mit seinem Bier in die Runde. „Und ob das jetzt einem Ehemann zu Gute kommt, oder ihrer eigenen Karriere. Schaden wird das sicher nicht.“ Damit schloss er und trank auf das Geburtstagskind, dass ihm lachend dankte und einen Blick in die Runde warf um abzuschätzen, ob sie sich einem oder mehreren ihrer Gäste noch einmal ausgiebiger widmen sollte.

Ein Gast jedenfalls forderte noch Aufmerksamkeit, denn kaum war ihre Familie einen halben Meter weg, tauchte Narsil neben Hildegard auf „Möchtest du mich deiner Freundin nicht vorstellen, Hilde?“

Hildegard musterte den Barden kurz von oben bis unten und schmunzelte dann. „Doch, natürlich kann ich dich vorstellen.“ Sie wandte sich an Thais und präsentierte ihren ehemaligen Liebhaber. „Thais, das ist Junker Narsil de Varro. Frauenheld und umherziehender Herzensbrecher. Narsil, das ist Thais, der du sicher nicht gewachsen bist. Ich wünsche euch viel Freude.“ Hildegard kicherte, zwinkerte Thais zu und bot an sich selbst und den anderen beiden neue Getränke zu holen, nachdem auf Leopolds Angebot vorhin niemand eingegangen war. Aber an sich wäre es doch auch zu schade, sollte sie nur eine Minute von dem verpassen, was passieren könnte. Narsil und Thais sahen einen Moment völlig entgeistert Hildegard an nach dieser Vorstellung, dann abschätzend einander. Narsil setzte seine beste Unschuldsmiene auf und dazu ein so bubenhaftes Grinsen, dass jede andere es ihm sicher abgenommen hätte. Thais konterte mit einem strahlenden Lächeln. „Ich freue mich sehr, dich kennen zu lernen, Narsil. Hildegard hat schon so viel von dir erzählt!“ Was de facto nicht stimmte, aber Mädchen tratschten doch gerne und Narsil de Varro sah exakt aus wie ein Mann, der erwartete, dass man über ihn sprach. Und die Aussage reichte, um das Lächeln in Narsils Augen einen Moment flackern zu lassen.

Hildegard beugte sich vertraulich zu Thais und flüsterte ihr leise ins Ohr. „Narsil war meine erste Liebe und ich bin ein wenig nachtragend, das ist alles.“ Sie legte ihrer Freundin lächelnd die Hand auf den Arm und sagte dann lauter. „Und hier ist er also nun völlig unerwartet auf meiner Geburtstagsfeier, ist das nicht eine Überraschung?“

Thais lachte auf Hildegards Worte leise und schien durchaus der Meinung zu sein, dass man das Männern gegenüber schon mal sein durfte „Er wird es sicher überleben, Liebes.“

Narsil grinste schief und zuckte mit den Schultern. „Ich hab eine freundliche Einladung von Elaril bekommen, was sollte ich machen? Man muss Feste feiern, wie sie fallen, oder? Und je mehr Freunde zu einem Geburtstagsfest kommen, desto besser.“

„Freunde?“, fragte Hildegard vorsichtig. „Narsil, ich habe seit dem Tag im letzten September nichts mehr von dir gehört und es hatte für mich ganz den Anschein, als wärst du weggelaufen, sobald du wusstest, dass ich gerne was ernstes gehabt hätte. Und jetzt bist du plötzlich hier als wäre nie irgendetwas gewesen. Das verwirrt mich. Ich respektiere durchaus, dass du andere Wünsche hattest als ich und kann ein nein akzeptieren. Aber das kommt für mich gerade trotzdem überraschend.“ Sie seufzte kurz und atmete tief durch. „Wir sind also einfach wieder Freunde, ja? Und keine Angst, ich will definitiv keine Beziehung mehr mit dir, die darüber hinausgeht.“

„Na ja, du hast ein bisschen Abstand gebraucht und dann warst du bei deiner Familie... weggelaufen würde ich das jetzt nicht gerade nennen“, lamentierte der Barde halbherzig und wechselte dann schnell das Thema: „Genau, Freunde. Und es würde mich natürlich freuen, wenn du das auch so unkompliziert annehmen könntest und damit klar kommst.“ War ja schließlich alles Hildegards Schuld gewesen, dass er sich rar gemacht hatte, nicht wahr? Wenn Frau nicht immer so übersteigerte, völlig unrealistische Erwartungen hätte, die alles so schrecklich kompliziert machten.

Sie ließ den Blick einmal zweifelnd über Narsil wandern. Er war damals ein sehr verlässlicher, guter Freund für sie gewesen, bevor sie versucht hatte etwas mehr aus ihm zu machen. Aber sein Verschwinden hatte Zweifel in ihr geweckt, was seine Verlässlichkeit anging, selbst als Freund ohne Option auf mehr. Aber wieso nicht ihm und sich eine neue Chance geben? Mit seinem Nein konnte sie umgehen und war längst froh, dass damals nicht mehr passiert war. Aber verschwinden sollte er nicht einfach so. Hildegard nickte und lächelte. „In Ordnung, Narsil. Stoßen wir an auf die Freundschaft.“

Ohne zu Zögern ließ Narsil seinen Bierkrug erst gegen Hildegards und dann gegen Thais' klicken. „Auf die Freundschaft. Das nächste mal aber bitte mit vollen Krügen, meine Damen. Ich hole euch schnell noch was!“ Der Barde machte dann auch wahr, was Leopold und Hilde nur angeboten hatten und blieb bei Hildegard stehen, als Thais sich mit ihrem Bier wieder an den Tisch setzte, um Theophil davon abzuhalten, Dvalinn Löcher in den Bauch zu fragen. „So, gut siehst du aus, Hilde. Alles klar bei dir?“ Lächelnd drehte sie sich zu ihrem ehemaligen Liebhaber und nun wieder Freund um und nickte. „Ja, ich denke mein Leben verläuft in außerordentlichen Bahnen. Die Jungs sind gut untergebracht, meine Familie hat mich wieder aufgenommen und ich arbeite an einem Buch in dem ich meine gewonnenen Erkenntnisse über Untote festhalte. Und was mein... Privatleben angeht...“ Die Klerikerin zwinkerte vielsagend und lächelte genüsslich. „Und, wie ist es dir ergangen, Narsil? Ich hoffe ehrlich, dass es dir ebenfalls gut geht.“

„Unkraut vergeht nicht, das weißt du doch“, meinte Narsil breit grinsend und beugte sich dann verschwörerisch vor „So so, ein Buch und ein befriedigendes Privatleben, hm? Na, das klingt doch ganz wunderbar.“ „Das ist es“, stimmte Hildegard breit lächelnd zu. „Gut, das Buch ist mehr eine Zusammenfassung von schrecklichen Erlebnissen, die ich für den absolut nicht wünschenswerten Fall festhalten will, dass eines Tages doch noch mal Informationen über Untote benötigt werden, aber das andere, der Mann den ich kennen gelernt habe, der ist ganz wundervoll.“ Die Geweihte seufzte verträumt und ihre Augen glänzten, nicht nur aufgrund der vielen Biere an diesem Abend. Angeheitert kicherte sie leise und legte Narsil die Hand auf den Arm. „Ich sollte wohl langsam aufhören zu trinken, bevor ich noch zu viel plappere.“ „Ach was“, Narsil stieß nochmal mit Hildegard an und grinste. „Du hast also jemanden kennen gelernt, das freut mich für dich. Und wo ist der Wunderknabe?“ Das war doch sehr geheimnisvoll, dass Hildegards Geburtstag in Abwesenheit dieses ach so tollen neuen Mannes in ihrem Leben gefeiert wurde. Vielleicht ein Klerikerkollege, der noch unterwegs war? Oder eine romantische, aber verbotene Liebschaft? „Psst, noch weiß doch kaum jemand davon, Narsil!“ Die Geweihte lachte leise, flüsterte dann aber ernster. „Es ist aber wirklich eine Liaison, die ich zuerst meinen Eltern erklären sollte, bevor ich es bei anderen breittrete. Ich hoffe das verstehst du, Narsil. Als mein Freund.“ Sie nahm die Hand von seinem Arm und spielte mit der Spitze eines ihrer langen Zöpfe. „Ich wünschte er könnte jetzt auch einfach hier sein, aber es geht nicht. Und ich vermisse ihn schon jetzt. Ihn, seine Stimme, seine Küsse...“

„Heidewitzka, Hilde, das klingt aber sehr aufregend. Eine heiße, verbotene Liaison also? Von der selbst deine Eltern noch nichts wissen?“, das klang für den Barden natürlich nur umso mehr nach etwas, worüber er gerne näheres erfahren hätte.„Wann ist eine 'heiße Liaison' denn verboten, Narsil?“ Sie sah ihn ernst an. „Offiziell ist er frei, um es mit den Worten von Thais zu sagen.Und ich werde es meinen Eltern erzählen. In Ruhe, wenn wir unter uns sind und nicht direkt auf einer großen Feier, umgeben von vielen Leuten.“

„Wenn da nicht irgendwo ein Haken ist, wieso ist er dann nicht hier und wieso wissen deine Eltern noch nichts, hm? Hm?“ Für Narsil klang das nur logisch, dass es einen Haken geben musste. Außerdem gab es in allen Geschichten, die es sich zu wissen lohnte, verbotene Liebe. Das forderte der narrative Imperativ. Und alle Geschichten, die es zu wissen lohnte waren die, die Narsil wusste oder wissen wollte. Per Definition. „Weil … da vielleicht ein oder zwei Haken sind. Aber was soll ich sagen? Es ist ja nicht so, als ob ich meinen Eltern etwas von dir erzählt hätte. Insoweit...“

Narsil grinste breit, er hatte nicht erwartet, dass Hildegard ihre kleine Affäre vor ihren Eltern breitgetreten hatte – die wenigsten seiner Frauen taten das. „Aber von diesem Mann willst du deinen Eltern erzählen, ich kann das sehen. Du leuchtest, seit wir das Thema haben.“ Ein gutes Auge für solche Gefühlsregungen gehörte zu einem erfolgreichen Barden nun mal dazu.

Die Klerikerin nickte lächelnd. „Ja, das will ich. Er hat nichts dagegen, ganz im Gegenteil. Er will meine Familie sogar einmal einladen. Und ich hoffe, dass es etwas dauerhaftes werden kann. Außerdem habe ich dann ein besseres Argument, warum ich nicht von meinen Eltern irgendwelche Männer vorgestellt bekommen will.“ Hildegard lachte. „Es wird ihnen vermutlich erst mal nicht gefallen, aber vielleicht können sie sich ja daran gewöhnen?“

„Bestimmt können sie das. Zumindest, wenn er es wirklich ernst mit dir meint“, immerhin hatten Hildegards Eltern offenbar schon langsam Sorgen, ob sie ihre Tochter mit nicht mehr ganz 19 überhaupt noch unter die Haube bekamen. Jeder halbwegs passende Mann, der es ernst meinte und sich auch noch leisten konnte, die Händlerfamilie einladen zu wollen, wäre willkommen. „Und wieso sollten sie ihn nicht mögen? Ist er so alt? Oder hässlich?“ „Oh, Narsil! Du bist wirklich neugierig!“ Die Geweihte lachte und kniff dem Barden spielerisch in die Wangen. „Ich werde dir nicht mehr verraten. Nicht, bevor ich mit meinen Eltern gesprochen habe. Und ihnen wird mit Sicherheit nicht gefallen, dass ihre Tochter nicht den Weg einschlägt, den sie sich für mich wünschen. Netten Händler heiraten, Kinder bekommen, nach Möglichkeit in Weyersdorf bleiben … also in etwa das, was meine Schwester getan hat. Wie sie überhaupt noch glauben können, dass das bei mir genau so funktionieren könnte..“ Hildegard schüttelte andeutungsweise den Kopf. „So gern ich meine Eltern habe, ich heirate nicht ihnen zu Liebe einfach irgendwen. Ich sehe mich auch nicht als Ehefrau und Mutter, abgeschieden irgendwo in Verlest, getrennt von meinem Beruf und nur als schmückendes Beiwerk an der Tafel für das geschäftliche Essen meines Mannes mit dessen Arbeitskollegen. Verstehe mich nicht falsch, ich kenne Frauen die damit sehr glücklich sind, oder wären, es ist nur nichts für mich. Oder kannst du dir das vorstellen?“ Narsil legte den Kopf schief und musterte Hildegard eingehend, bevor er lachend den Kopf schüttelte „Absolut nicht. Du brauchst einen Mann, dem du die Hölle heiß machen kannst, und sei es nur dadurch, dass du drohst, deine Sachen zu packen und wieder als Reiseklerikerin zu arbeiten. Und dein geheimnisvoller Fremder muss schon einige Talente haben, wenn er dich halten will.“ „Oh, das hat er!“, bekräftigte Hildegard überzeugt. „Ich glaube wenn jemand in den Genuss meines Temperaments gekommen ist und bewiesen hat, dass er damit zurecht kommt, dann er. Er lässt sich davon sicher nicht einschüchtern und das macht ihn unheimlich reizvoll.“ „Das glaube ich erst, wenn ich es sehe, Hilde!“, neckte der Barde sie freundlich. „Und das heißt also, du hast schon dein Temperament an ihm ausgelassen? Schlechter Start?“ Kurz entglitt Hildegard das Gesicht, der Barde hatte einfach zu genau den Nagel auf den Kopf getroffen. Verblüfft sah sie ihn an und wusste erst nicht, was sie antworten sollte. Sie hätte ihm sagen können, dass er fast dabei gewesen war, bei diesem schlechten Start. Zumindest im Schloss, wenn auch nicht im Raum während der Befragung, als Hildegard den Fürsten zum ersten mal getroffen hatte und diese spontane Antipathie entwickelte. Aber dann hätte sie ihm auch direkt alles sagen können, was sie gerade nicht tun wollte. Der Mann, der sie fallen gelassen hatte, sollte die Neuigkeiten nicht schneller erfahren als ihre Familie. „Das... ja, kann man so sagen.“ Narsil grinste über das ganze Gesicht, als Hildegards Züge kurz entgleisten „Oha, so schlecht? Na, der gute scheint sich ja mächtig ins Zeug gelegt zu haben, um dich umzustimmen. Nun komm schon, mir kannst du es doch wirklich sagen, oder?“

„Er ist ein fantastischer Liebhaber und ein fantastischer Mann.“, antwortete die Klerikerin trocken. „Und irgendwann werde ich es dir sicher sagen, Narsil. Aber nicht heute.“ Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und verabschiedete sich mit ihrem Getränk zurück zu ihrer Familie, die das Gespräch der Geweihten mit Junker de Varro etwas skeptisch beäugt hatte. Man wusste nicht, worum es ging, aber die Art und Weise wirkte überraschend vertraulich dafür, dass man nie zuvor seinen Namen gehört hatte. „Hildegard Liebes, habt ihr... etwas wichtiges besprochen?“ erkundigte sich Swanahild mit mühsam unterdrückter Neugierde. Die Geweihte lächelte ihre Mutter an. „Narsil und ich hatten einen kleinen Streit, nur ein Missverständnis, als wir uns das letzte mal gesehen haben. Aber jetzt haben wir das endlich friedlich beiseite gelegt.“ „Achso? Kennt ihr euch … denn lange?“ „Oh, eine Weile. Fast so lange wie Alarik, Dvalinn und ich, ja. Aber wir haben uns seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Deshalb ist es auch schön, dass wir das endlich geklärt haben.“

Swanahild nickte verständnisvoll und hing eine Weile ihren Gedanken nach. Ob dieser charmante Junker und ihre Tochter ein gutes Paar abgeben würden? Immerhin war er ein Verlester Adliger und auch wenn sie sich wirklich wünschen würde, dass ihre Tochter und der freundliche Elfenhauptmann sich einmal näher kommen würden, immerhin war er ein Elf und so furchtbar höflich, freundlich und unkompliziert, würde die Verbindung mit einem Verlester es deutlich einfacher machen. Und immerhin war der attraktive junge Mann zudem Junker! Zwar nicht der Erbsohn, aber was machte das schon? Es ging auch nicht darum, dass ihre Tochter möglichst hoch hinaus sollte, sie sollte einen guten, ehrbaren Mann finden. Einen der sie schätzte und sich nichts aus ihrem Alter machte. Aber wenn es ein so junger, charmanter Mann wäre... interessanter als einen weiteren Händler als Schwiegersohn zu haben mit Sicherheit.

Der Geburtstag Teil 2

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Weyersdorf

Swanahild sah mit einem vielsagenden Blick rüber zu ihrem Mann und sagte dann zu ihrer Tochter: „Kind, wir haben uns unterhalten und denken wir sollten einmal ganz in Ruhe über deine Zukunft reden.“ Hildegard schluckte und erwartete eine Standpauke. „Lass mich raten, Mutter. Ihr habt ein Problem mit meinem neuen Freund, richtig?“ Hildegards Mutter seufzte. „Er war wirklich ausgesprochen höflich und ein guter Gastgeber, das muss man ihm lassen. Zumindest bis zu einem gewissen Moment an dem Abend...“ Swanahild war immer noch nicht über die Unverfrorenheit hinweg, mit der Victor von Malfori am Abend ihre Tochter ausgenutzt und ihr womöglich die Chance auf eine bessere Partie genommen hatte. Das Kind hatte sich zwar nicht gewehrt, aber wer weiß unter welchem Einfluss sie abgesehen vom Alkohol gestanden hatte? Dämonen sagte man da ja einiges nach. Und sie als Eltern hatten nichts tun können, außer zuzusehen, wie der Dämon ihre Tochter auf ein Zimmer entführte um sie höchstwahrscheinlich zu missbrauchen. Der Mutter brach das Herz allein beim Gedanken daran und es schüttelte sie kalt.

„Aber nichts desto trotz ist er immer noch Victor von Malfori. Und du kannst unmöglich diese... Sache mit ihm einer anständigen Heirat vorziehen, oder? Nicht nur, dass du den Ruf der ganzen Familie ruinieren wirst, wenn das bekannt wird. Du verdirbst dir damit auch deine eigene Zukunft. Und denk erst mal an deine Nichten und Neffen, was wird man ihnen wohl sagen, wenn herauskommt, dass ihre Tante mit dem Staatsfeind...eine Liaison hat? Und das Geschäft! Stell dir vor wir gehen alle in den Ruin, willst du das wirklich Kind?“ An dieser Stelle unterbrach Giselher seine Frau, die für seinen Geschmack schon ein wenig zu dramatisch wurde. „Was deine Mutter sagen will Hildegard ist, dass es doch viele nette junge Männer auch in Verlest gibt. Und der ein oder andere wäre sicher nicht abgeneigt eine ernsthafte Beziehung einzugehen und eine Familie zu gründen. Und dabei sollte es auch kein wirkliches Hindernis sein, dass du eben... naja, keine Sechzehn mehr bist und.... und...“. „Und die Geliebte des Fürsten von Malfori?“, kam Hildegard ihm entspannt zur Hilfe, als er offensichtlich nach einer Formulierung rang. „Das... ist zwar nicht ganz das, was ich gemeint habe, aber ja...“. Mit einem resignierten Seufzen lehnte sich die Geweihte zurück gegen die Wand. Ihre Gefühle für Victor waren wohl keine gute Argumentationsgrundlage in den Augen ihrer Eltern.

„Was ist denn mit diesem hübschen und äußerst charmanten jungen Mann, Junker de Varro? Er schien dir doch durchaus zugeneigt zu sein, oder irre ich mich?“ versuchte Hildegards Mutter freundlich zu intervenieren. „Narsil?! Der würde eher aus einem offenen Fenster im dritten Stock springen, als mich zu heiraten. Narsil ist...beliebt bei vielen Frauen und bemüht, dass dies auch so bleibt. Er würde sich kaum auf eine festlegen wollen, glaubt mir. Das ist wohl nicht ganz die gute Partie die ihr euch erhofft hattet, oder?“

An dieser Stelle sahen sich Hildegards Eltern wieder konsterniert an. Dann seufzte Swanahild und antwortete ihrer Tochter: „Gut Hildegard, da magst du Recht haben. Aber es gibt sicher auch noch anständige Männer in deinem Bekanntenkreis, oder etwa nicht? Wir könnten dir sicher auch ein paar sehr ehrenwerte Junggesellen vorstellen, die ebenfalls Händler sind. Wäre das nicht etwas für dich? Ich weiß, dass du das Talent hättest dich in die Geschäfte einzubringen, wir haben dich schließlich unterrichten lassen wie deinen Bruder und intelligent bist du auch und hübsch ohnehin. Wer sollte einer Verbindung mit dir und unserem Familienunternehmen also abgeneigt sein? Du könntest ihn dir sogar aussuchen, Kind. Wir wollen dich schließlich zu nichts zwingen und dich auch keineswegs unglücklich mit irgendeinem Mann sehen, den du nur aus Gefälligkeit oder praktischen Gründen geheiratet hast. Aber wenn du sie erst mal kennen lernst, ist sicher auch jemand dabei der dir gefallen könnte, denkst du nicht? Wir wollen schließlich nur dein Bestes, Kind.“

„Und das schließt offensichtlich Victor von Malfori aus, habe ich Recht?“ Hildegard seufzte erneut. „Aber ihr habt eines vergessen: Was ist, wenn ich gerne seine Geliebte bin? Vielleicht bin ich ja ganz glücklich damit und will gar keinen anderen, was wäre dann?“ Diesmal stießen Hildegards Eltern unisono einen resignierten Seufzer aus. „Lass uns doch einfach später nochmal darüber reden, Hildegard. Vielleicht stellt sich das Thema in ein paar Tagen ja schon wieder ganz anders dar, wenn wir erst einmal wieder zuhause sind.“ Damit beendete Giselher das Gespräch vorerst und alle verfielen in ein brütendes Schweigen, bei dem jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Hildegards Eltern gingen im Kopf eine Kartei der akzeptablen Junggesellen und Witwer durch, die sie hofften kurzfristig noch einladen zu können und Hildegard dachte nach über ihre Beziehung zu Victor und ob sie wirklich ihr eigenes Glück über das Wohl ihrer Familie stellen konnte. Wer wusste schon, ob das mit ihnen beiden wirklich Zukunft hatte? Momentan konnte sie sich weder einen anderen Mann an ihrer Seite vorstellen, noch wünschen, aber könnte sie dafür wirklich das Wohlergehen ihrer Familie opfern? Der Menschen, die sie auch nach über zehn Jahren Abwesenheit wieder in ihrer Mitte aufgenommen hatten, ohne ihr Vorwürfe zu machen? Ganz selbstverständlich, als wäre sie nie weg gewesen? Sie gaben ihr Liebe und Geborgenheit und wollten wirklich nur Gutes für sie, und der einzige Wunsch den sie äußerten war nicht von ihr in Schwierigkeiten gebracht zu werden. Konnte sie ihnen das verübeln oder gar verwehren?

So oft handelte sie egoistisch, schon als sie weggelaufen war und selbst nach ihrer Rückkehr fügte sie sich nur schlecht ein, lebte zwar unter ihnen, aber doch irgendwie eher für sich. Wenn sie wollte, reiste sie nach Lur um ihre Freunde zu besuchen, oder begleitete Alarik zu einer Visite nach Ragnaron, um dessen Patenkind zu sehen. Sie lebte ihr eigenes Leben und war weniger Teil einer Familie, als eine eigenwillige Person die zufälligerweise Familie hatte.

Nein, irgendwie wurde das der Sache auch nicht gerecht, dachte Hildegard. So wenig Bedeutung hatte ihre Familie nicht, sie spielten definitiv eine Rolle. Sie gaben ihr ein festes Zuhause, in dass sie jederzeit zurückkehren konnte. Ein wenig Stabilität und Sicherheit in einem unruhigen Leben. Und das tat ihr gut, das wollte sie nicht verlieren.

Nachdem sie weggelaufen war, hatte fahrendes Volk sie aufgenommen und eine Familie für das angebliche Findelkind gebildet, dass nie über seine Herkunft sprechen wollte. Dann hatte sie einen Lehrmeister und Ausbilder als Vaterfigur, den sie begleitete bis zu seinem Tod. Danach war sie alleine durch die Reiche gereist, bis die Jungs eine neue Konstante in ihrem Leben bildeten, die sie nie wieder missen wollte. Sie wurden alles für sie in den wenigen gemeinsamen Jahren. Als sich die Reisegruppe anlässlich der Hochzeit von Dvalinn Dornssohn auflöste, der glücklicherweise entschied im Marktflecken Lur sesshaft zu werden und nicht im entfernten Norden, wurde Verlest für Hildegard wieder zur Heimat. Doch wirklich angekommen war sie auch nach ihrer Rückkehr wohl nie.

Hildegard blickte stundenlang auf die vorbeiziehende Natur, ließ den Blick über Büsche, Wälder und Felder schweifen jenseits der Straßen. Schließlich begannen ihre Eltern sich schon Sorgen um die Schweigsamkeit der Geweihten zu machen, die völlig in Gedanken versunken zu sein schien.

Am Abend schien ein Entschluss herangereift zu sein, als sie plötzlich und ohne Vorwarnung das Schweigen brach. „Mama? Es ist in Ordnung, ich bin bereit die Männer zu treffen. Aber wirklich nur treffen, ganz unverbindlich, ja? Bitte erwartet nicht mehr von mir und macht euch keine falschen Hoffnungen.“ Damit war das Thema für sie ausreichend besprochen und sie wollte nichts mehr dazu hören, was ihre Eltern soweit respektierten. Und da sie es in den folgenden Tagen nicht mehr erwähnten, taute die Klerikerin nach und nach wieder auf und entspannte sich, so dass sich doch noch eine lockere und familiäre Atmosphäre auf der Heimreise einstellen konnte.

Erst als sie wieder zuhause in Weyersdorf waren, wurde sie daran erinnert wie unangenehm die ganze Situation für ihre Familie war, die sämtlichen Bezug zu Victor im Hinblick auf ihre Reise verschwiegen. Hildegards Schwester Ada wurde nach ihrer Ankunft in Weyersdorf lediglich informiert, dass sie von der sehr aufregenden Überraschungsfeier zurück waren und nach wie vor galt Elaril vom Eiswasser als offizieller Urheber. Auch wenn es eher überraschte, dass ein Hauptmann der Familie einer Freundin eine Kutsche schickte, um diese in Weyersdorf abzuholen und zurück zu bringen, nur um den Geburtstag der Tochter gemeinsam feiern zu können.
 

Ungeahnt der Tatsache, dass ihre Tochter ihnen auf der für sie geplanten Überraschungsfeier ihren neuen Liebhaber vorstellen wollte, hatten die Eltern für drei Tage nach ihrer Rückkehr bereits einen geladenen Gast eingeplant, den sie ihrer Jüngsten unbedingt vorstellen wollten.

Conrad war Anfang 30, freundlich, höflich, eine angenehme Erscheinung mit gepflegtem Bart, kurzem braunen Haar, ein versierter Weinkenner und Händler für eben jene und diverse andere Spirituosen. Ein sehr vielversprechender Kollege von Hildegards Stiefvater, den Swanahild nicht ohne Hintergedanken zu ihnen nach hause eingeladen hatte. Sie bereitete ein mehrgängiges Menü persönlich, wenn auch mit tatkräftiger Unterstützung, für den erlesenen Gast zu und zwang ihre jüngste Tochter in ein neues, extra für diesen Anlass angefertigtes Kleid nach der neuesten Mode. Hildegard erschien also in ein langes Kleid aus fließender, fliederfarben changierender Seide gehüllt, dessen flacher Ausschnitt bis zu den äußersten Kanten der Schultern reichte. Von dort aus floss es in weiten, hellgrau gefütterten Ärmeln über ihre Arme und umhüllte ihren schmalen Körper sanft. Verziert war es mit Silber gewirkten, schmalen Borten und mit einem schmalen Band unter der Brust gegürtet. Die zerbrechlichen Schlüsselbeine freilassend, betonte es ihre großgewachsene, feingliedrige Statur. Statt Schmuck anzulegen, der ihr zu diesem für ihre Verhältnisse unüblichen Kleid und gerade für den Anlass zu viel erschien, hatte sie die Haare geflochten und hochgesteckt und ein Seidenband darum gewunden. Sie fühlte sich ein wenig verkleidet.

Es war als hätten ihre Eltern insgeheim entschieden ihre Tochter sei nicht patriotisch genug und müsse deshalb in diesem wahr gewordenen Verlester Modetraum in den Landesfarben in Erscheinung treten.

Galant und pflichtschuldig küsste der Besucher den Damen die Hand und setzte sich dann nach Aufforderung mit ihnen an den Tisch, auf dem die Speisen serviert wurden. Als Kenner wählte der Gast den Wein aus, worauf der Hausherr bestand. Hildegard verdrehte kurz die Augen, als keiner hinsah. Sie fand diese Manöver völlig unnötig, die dem Besuch schmeicheln sollten und sie auf irgendeine Art und Weise beeindrucken. Als nächstes folgte bestimmt die obligatorische Anpreisung der unverheirateten Tochter. Hildegard wartete gespannt darauf was ihre Eltern versuchen würden. Wie verzweifelt wollten sie sie wohl an den Mann bringen? Es wäre ohnehin erfolglos, der Mann war ein Langweiler. Das hatte sie bereits nach den ersten Momenten gesehen und alles was er tat und sagte bestätigte sie in dieser Annahme nur. Kein Charme, kein Esprit, nur höfliche Erziehung.

Allein in den letzten zehn Minuten drehte sich alles nur um den Wein den Conrad ausgesucht hatte, beschrieben bis ins kleinste Detail. Dabei hatte sie irgendwann einfach abgeschaltet, denn sie hatte keine Ahnung von Wein und nie behauptet welche zu haben. Das einzige was sie wusste war, dass derjenige den Victor immer für sie holte ihr wirklich gut gefiel. Dieser hier hingegen... nur ein schlechter Abglanz, genau so wie der Mann.

Sie nickte höflich und hob grazil ihr Weinglas, wobei der weiche Seidenstoff des langen Ärmels elegant ihren Arm herabglitt. Sicherlich waren ihre Eltern beeindruckt von der Eleganz die ihre Tochter an den Tag legen konnte, wenn sie wirklich wollte. Aber sie tat es wirklich nur ihnen zuliebe, als einmaligen Gefallen und unterdrückte den stechenden Wunsch ihrem Gegenüber mit ihrem höflichsten Lächeln ins Gesicht zu sagen, dass sein Wein leider keinen Vergleich zu dem ihres Liebhabers Wert war, genau so wie er selbst. Stattdessen lächelte sie und nickte, als Conrad das sanfte Bouquet lobte. In ihren Gedanken nannte sie ihn und den Wein fad.

Als nächstes kam das Gespräch auf das Thema Reisen und Hildegard erhoffte sich wenigstens

jetzt ein wenig interessantere Unterhaltung.

„Als Händler werdet ihr doch sicher auch ein wenig herumgekommen sein, nicht wahr? Was hat euch denn auf euren Reisen bisher am meisten fasziniert, Conrad?“, versuchte sie eine Brücke zu schlagen und ein besprechenswertes Erlebnis aus ihm herauszulocken. „Oh, das ist leicht beantwortet, mein Fräulein. Das faszinierendste ist doch sicher, dass der schönste Ort immer die Heimat ist, nicht wahr? Wo auch immer man hinkommt, man sehnt sich nach dem trauten Heim und sofern man eine Familie hat, die auf einen wartet, ist es die Ankunft daheim, die einen die langen Reisen ertragen lässt.“ Die Geweihte hakte noch einmal nach, nicht glauben wollend, dass dies der einzige Beitrag zum Thema Reisen und Fremde sein konnte.“Ja ja, aber ihr werdet doch sicher auch bereichernde Erfahrungen gemacht haben, Erkenntnisse über fremde Gegenden gewonnen oder ähnliches, vielleicht beeindruckende Naturschauspiele gesehen, interessante Personen getroffen...?“ „Nein, meiner Meinung nach gibt es nichts wirklich wichtiges oder sehenswertes außerhalb, ich Reise vor allem, weil ich muss. Beneidenswert ist das weibliche Geschlecht, dass nicht gezwungen ist das Haus zu verlassen, sofern die Mittel des Mannes es erlauben.“ Freundlich lächelte er sie an und Hildegard versteckte nur mit Mühe und Not eine Entgleisung ihrer Gesichtszüge. War das etwa sein Ernst? Und der ihrer Eltern ebenfalls? Hatten sie ihm überhaupt gesagt wer sie war? „Nunja, es gibt ja tatsächlich auch arbeitende Frauen in dieser Welt und man stelle sich nur vor, sogar solche die selbst durch die Reiche reisen...“. „Oh, natürlich gibt es die!“ bestätigte Conrad eifrig, „aber sollte ich jemals das Glück haben eine anständige Frau zu finden, würde ich meiner Gemahlin das alles ersparen wollen.“ Ungläubig sah die Geweihte ihren Gast aus großen Augen an, „aber was, wenn sie gerne reisen würde? Ich meine, als Begleitung eventuell....?“ „Aber Fräulein Hildegard, welche anständige Frau sollte das schon wollen? Ihre Frau Mutter und Sie...“ An dieser Stelle unterbrach Swanahild in einem verzweifelten Versuch die Situation noch irgendwie zu retten das Gespräch. „Haben Sie schon den Nachtisch probiert? Das ist selbstgemachter Apfelkuchen. Das war schon die liebste Süßspeise unserer Hildegard, als sie noch ein kleines Mädchen war.“ „Oh, tatsächlich? Ich sollte Ihnen unbedingt beim nächsten mal die Äpfel von meinem eigenen Apfelbaum mitbringen, ich ernte viel zu viele nur für mich allein. Ich bin mir sicher Sie können sie viel besser für einen so köstlichen Kuchen verwenden. Vielleicht könnte man auch einen zweiten Baum pflanzen, der Garten wäre groß genug. Ich habe ein kleines, aber solides Haus mit eigenem Garten geerbt und die Vorstellung, dass eines Tages die Enkelkinder etwas von dem Baum haben könnten, den man selbst noch gepflanzt hat ist doch etwas schönes, finden Sie nicht Fräulein Hildegard?“ „Doch doch, Kinder lieben Apfelbäume. Und ich finde bei Häusern kommt es definitiv nicht auf die Größe an, nicht wahr? Es sind die Bewohner die den Mauern Leben geben, egal wie diese gebaut sind und auch wo...“ „Da muss ich Ihnen beipflichten, ich bin erfreut zu hören, dass auch Sie denken, dass die Hausfrau das Herz des Hauses ist und wenn sie ihre Aufgabe mit Liebe und Gewissenhaftigkeit erfüllt, dann ist jedes Heim gleich groß.“ „Eigentlich dachte ich eher daran, dass man gemeinsam...“ setzte Hildegard an zu sagen, als sich Giselher einmischte. „Möchten Sie vielleicht noch etwas von dem Wein, Conrad? Und mögen Sie eigentlich auch fremdländische Speisen? Unsere Hildegard hat ein paar sehr gute Freunde, die ursprünglich aus dem weiten Norden kommen, es sind Zwerge. Und sowieso ist sie sehr an fremden Kulturen und auch Sprachen interessiert, nicht wahr? Sie beherrscht sowohl Elfisch als auch Zwergisch.“ „Oh, tatsächlich?“ antwortete Conrad erfreut mit einem anerkennenden Nicken zu Giselher. Dann drehte er sich lächelnd zu Hildegard, „was für eine Zierde für eine hübsche Frau.“ Conrad hob sein Weinglas ein Stück weit. „Aber belasten Sie ihr hübsches Köpfchen nur nicht allzu sehr mit ernsten Dingen. Elfische Lyrik und zwergische Epik mag ja schön sein, aber aus anderen Themen sollten Frauen sich lieber heraushalten. Denken Sie nicht, Giselher?“ „Nunja, meine Frau hat ihre Töchter ebenfalls Buchhaltung lernen lassen und Hildegard ist durchaus in der Lage..“ „Zu Rechnen, Schreiben und zu Lesen. Und sich selbst zu verteidigen und eine Meinung zu bilden, vielen Dank Giselher.“ Hildegard löste ihre verkrampften Hände aus ihrem Rockschoß. „Ich fürchte meine Eltern haben vergessen Ihnen gegenüber eine Kleinigkeit zu erwähnen, Herr Conrad. Ich bin eine Geweihte...“, „Oh...“, „...der Sehanine....“, „Oooh...“, „Ja, genau. Ich beherrsche nicht nur Elfisch, Zwergisch und Buchhaltung, ich bin auch ausgebildet in diversen Kampftechniken und ja, durchaus sehr interessiert an verschiedenen Kulturen. Und ich schätze die Erfahrungen neue Orte und Menschen kennen zu lernen, ich würde mich nur sehr ungerne in ein kleines, wenn auch solides Haus mit eigenem Garten mit Apfelbaum einsperren lassen. So gerne ich auch beweisen würde, dass auch arbeitende Frauen mit Welterfahrung anständig sein können, so sehr fürchte ich auch, dass mein Horizont zu groß ist für Ihr Anwesen. Außerdem muss ich sagen, dass ich das Bouquet dieses Weines leider eher kurz und klein finde, langweilig im Abgang und eher müde. Guten Abend.“. Damit erhob sie sich und verließ würdevoll die versammelte Abendgesellschaft um sich auf ihr Zimmer zurückzuziehen.

Damit hatte sich das Thema Herr Conrad endgültig erledigt und ihre Eltern waren nicht einmal böse darum. Sie schienen sogar ein wenig geknickt, dass sie eine so schlechte Wahl getroffen zu haben schienen. Aber die beiden kamen wohl nur in sehr wenigen Punkten überein, das sahen auch Hildegards Eltern. Dem nächsten Gast würden sie wohl doch besser vorher sagen, dass ihre Tochter eine weitgereiste Klerikerin ist, um gewisse Peinlichkeiten auszuschließen.
 

Innerhalb der nächsten zwei Wochen verfiel Hildegard immer mehr in eine schwermütige Stimmung und zwang sich lediglich für die beiden kurzfristig arrangierten Treffen mit „freundlichen Kollegen, die nur einmal zum Essen vorbeischauen wollten“ und - selbstverständlich rein zufällig ohne Frau waren – ein freundliches Lächeln aufzulegen. Immerhin konnten die beiden Männer nichts für dieses unangenehme Arrangement, weshalb die junge Frau versuchte beide Treffen mit ausgesuchter Höflichkeit und freundlichen Gesprächen zu absolvieren, allerdings nicht ohne deutlich zu machen, dass sie grundsätzlich nicht an einer Verbindung interessiert sei. Das Erlebnis mit Herr Conrad hatte sie sehr ernüchtert und sie zweifelte bereits stark daran, dass es überhaupt Männer geben sollte, die bereit wären ihr eine Chance zu geben, sobald sie mehr über sie wussten. So lange alle Männer die sie traf so dachten wie Conrad, hatte sie doch gar keine andere Chance als sich zu freuen, wenn sie immerhin einen Liebhaber fand dem es egal war, dass sie kein jungfräuliches Hausmütterchen war und der trotz Klerikalen Weihen noch eine Frau in ihr sah. Nicht ohne Grund war Narsil de Varro ihr erster Mann gewesen.
 

Trotz Hildegards Bedenken hatten ihre Eltern kurz nach ihrer Ankunft in Weyersdorf zwei weitere Männer zu sich eingeladen. Es war anzunehmen, dass der erste von beiden potentiellen Heiratskandidaten, ein Junggeselle Mitte 30, sich eher von der Hoffnung hatte verleiten lassen, dass die jüngste Tochter des Hauses ihrer Mutter ähnlich sehe. Sein überraschtes Gesicht als ihm eine große Blondine vorgestellt wurde - die ihm fast auf Augenhöhe begegnete - sprach ebenso dafür, wie sein Befremden gegenüber der Frau, die sich mit der Selbstverständlichkeit einer kampferfahrenen Geweihten bewegte, die schon in verschiedensten Situationen wortwörtlich ihren Mann stehen musste und keinerlei Anstalten machte für ihn ein lieblich-devotes Verhalten aufzulegen. Sie hatte es nicht nötig für ihn zu kokettieren, oder sich kleiner zu machen. Diese Erkenntnis hatte sie aus dem letzten Treffen mit Conrad gewonnen. Und wenn das ein Problem war, dann wäre sie eben nicht die richtige Frau. Und im Grunde musste sie auch gar nicht heiraten, dachte Hildegard. Wieso nicht so lange Victors Geliebte sein wie er sie wollte und wenn nicht mehr, irgendwo an einem ruhigen Fleckchen sesshaft werden? Sie konnte auch ihren Namen ablegen und ganz von vorne beginnen. Was wäre daran so verwerflich? Bevor sie zwanghaft einen Kerl wie diesen nahm - sie beobachtete gerade wie er versuchte sie unauffällig zu mustern und sein abschätziger Blick sprach Bände - konnte sie auch alleine bleiben. Er würde sie doch sowieso nicht wollen, ganz so wie er sie ansah.

Tonlos seufzend schob sie ihr Glas vor sich her und rührte lustlos in der Suppe.

Mit Victor war sie glücklich gewesen, er hatte sie gewollt. Wollte sie hoffentlich noch immer. Und in Malfori hatte keinen interessiert wer sie war, problematisch wurde es erst in Verlest.

Ihn hatte nicht interessiert ob sie andere Männer vor ihm gehabt hatte, ob sie nur Händlerstochter war oder was auch immer. Er hatte sie ernst genug genommen um mit ihr über das zu sprechen, was er gerade las, Naturphilosophie, terranisch. Er ließ sie teilhaben an seiner Arbeit! Und verdammt sollte sie sein, wenn sie das nicht zu schätzen wüsste. Und ja, sie wollte ihn, wollte ihn wie keinen anderen. Vielleicht hätten sie doch eines Tages gemeinsame Kinder und sie würde in Malfori sesshaft werden? Sicher wäre sie glücklicher mit ihm in dieser wie auch immer gearteten Zeit, als wenn sie ein ganzes Leben mit 'Herr-ich-hab-Angst-vor-großen-Frauen' verbringen müsste. Was verlor sie dabei bitte schon?

Verdrossen sah sie zu ihrem aktuellen Gast hinüber. „Bitte entschuldigen Sie Herr Alfred, was hatten Sie gerade über die aktuellen Absatzmärkte in Ravensloft gesagt? Manchmal verstehe ich Sie leider etwas schlechter, wenn Sie sich beim Sprechen so sehr in Giselhers Richtung drehen.“ Alfred war die überraschende Einmischung Hildegards sichtlich peinlich, denn er hatte schon seit einer halben Stunde an der teilnahmslosen Frau vorbei mit ihrem Stiefvater gesprochen. „Oh, es war nichts wichtiges, Fräulein Hildegard. Es geht nur um die Geschäfte, das ist eher ein Gespräch für uns Männer unter uns. Ihr Vater und ich sind Kollegen...“ „Das ist mir durchaus bewusst, Herr Alfred. Immerhin wurden Sie mir als Kollege vorgestellt und unterhalten sich jetzt schon seit der Vorspeise nur mit meinem Stiefvater über die aktuelle Preislage verschiedener Stoffe und die Veränderungen des Absatzmarktes. Ich habe durchaus Ohren, wie Ihnen bereits aufgefallen sein dürfte, wo sie doch immer wieder so angestrengt an meinem Gesicht vorbei darauf starren. Ich beiße übrigens nicht, oder würde das noch etwas verbessern?“ Nun lief Kollege Alfred sichtbar rot an vor Zorn. Er war es nicht gewohnt, dass irgendjemand so mit ihm redete und schon gar nicht die Tochter eines Kollegen, die er extra zu sehen gekommen war, um sie als potentielle gute Partie zu begutachten. Leider entsprach sie so gar nicht seinen Erwartungen, viel zu groß, viel zu unelegant und am schlimmsten, viel zu vorlaut.

„Aber Hildegard, Kind!“ fiel Swanahild ganz entrüstet ein, das erste was sie an diesem Abend zum Gespräch beitrug. „Oh, ich dachte nur ich müsste vielleicht irgendwie ausgleichen, dass ich nicht aussehe wie du oder Adalgund. Aber Herr Alfred scheint nicht besonders angetan zu sein von der Aussicht gebissen zu werden, oder? Könnten Sie denn vielleicht noch einmal den Teil wiederholen, wo Sie, ich zitiere, von dem blutsaugenden Ungeheuer erzählen, dass Schuld ist, dass die Situation für alle Verlester Tuchhändler schlechter aussieht? Ich meine ja nur, weil ich mir schwerlich vorstellen kann wie er Ihre Geschäfte in Ravensloft negativ beeinflusst haben könnte. Und haben Sie sich eigentlich mal Gedanken darüber gemacht, wer für den guten Zustand der Straßen sorgt, die Sie nach den Grenzen von Verlest mit Ihren Waren befahren?“ „Nun reicht es aber wirklich! Bitte entschuldigen Sie mich, Herr Giselher, aber Sie können nicht erwarten, dass ich mir das weiter von Ihrer Tochter bieten lasse! Zumindest wundert es mich nicht länger, wieso sie dieses reizlose Weibsbild noch nicht losgeworden sind. Guten Abend noch.“ Damit warf Alfred seine Serviette auf das Tischtuch und verließ den Raum. Hildegard ließ den Kopf hängen und starrte auf die Hände in ihrem Schoß. Hatte sie das wirklich gerade getan? Sie wollte ihren Eltern wirklich keinen Ärger machen, aber irgendwann hatte sie sich einfach nicht mehr beherrschen können. Eine halbe Stunde lang hatte sie mitangesehen wie er sie mied und nur ab und zu musterte wie ein hässliches Zugpferd, aber als er dann noch anfing über Victor herzuziehen... Und sie wusste wie viel Zeit, Mühe und Geld Victor in die Sorge für eben solche Leute steckte, und dann waren sie undankbar und beleidigend... Irgendwann wurde es ihr einfach zu viel. Leise rollten ein paar Tränen ihr Gesicht herab und sie bedeckte die Augen mit zitternden Händen.

„ Na na. Schon gut Kind. Mach dir keine Sorgen. Er war einfach nicht der richtige für dich, hätte dich nicht gut behandelt. Kein anständiger Kerl. Und ein wichtiger Kollege war er auch nicht.“ Tröstend legte Giselher seiner Stieftochter die Hand auf die Schulter und gab seiner Frau ein unauffälliges Zeichen ihre Tochter doch bitte nach oben zu begleiten. „Bitte...es tut mir leid. Ich will euch doch wirklich nicht in Schwierigkeiten bringen! Ich...liebe euch doch, ihr seid meine Familie...“ mit sanftem Druck schaffte Swanahild ihre schluchzende Tochter nach oben in ihr Zimmer, während sie einige besorgte Blicke mit ihrem Mann Giselher austauschte, der grübelnd am Tisch zurück blieb.

Später saß Swanahild noch am Bett ihrer Tochter, die mittlerweile sehr still geworden war. Völlig in sich versunken starrte sie ins Leere, während ihre Mutter ihr über den Arm streichelte. Allein der Anblick brach der Mutter fast das Herz.

„Schätzchen, ich weiß du tust das gerade uns zuliebe. Und wir wollen wirklich nur dein Bestes. Aber ich kann einfach nicht mitansehen, wie du darunter leidest. Wir sagen das ganze einfach ab, oder du bleibst zumindest in Ruhe hier oben, wenn Herr Hinrich vorbeikommt. Um ihn auszuladen, ist das ganze wohl schon zu kurzfristig...“

„Nein nein, schon gut Mutter. Wie sähe das denn aus, wenn die Tochter sich gar nicht blicken ließe... Ich gebe mir Mühe mich diesmal besser zu benehmen.“

Swanahild schluckte. „Wir sagen einfach du bist plötzlich erkrankt, Hildegard. Ein leichtes Fieber...“ „Nein, das musst du nicht tun.“ Unterbrach sie Hildegard und hielt die streichelnde Hand ihrer Mutter sanft fest. Sie blickte ihr in die Augen. „Ich schaffe das schon, Mutter. Immerhin bin ich doch schon groß, oder? Was wäre ich für eine schlechte Geweihte, wenn ich damit nicht fertig werden würde? Wie sollte ich dann anderen Menschen eine Hilfe oder Stütze sein? Wir bekommen das schon hin.“

Stolz und gerührt sah Swanahild ihre jüngste Tochter an und nickte. „In Ordnung, Hildegard. Hinrich ist aber auch wirklich ein sehr netter Mann, ich kenne ihn bereits seit längerem. Diesmal bin ich mir sicher, dass ihr euch gut verstehen werdet. Ansonsten würde ich dir das unmöglich noch einmal antun können.“ Sie küsste ihrer Tochter die Stirn und stand auf. „Gute Nacht Häschen, schlaf gut.“ Dann verließ sie das Zimmer und kehrte zurück zu ihrem Mann, der sie bereits erwartete.
 

Am nächsten Tag erschien Hildegard sittsam gekleidet in eine Cottehardie aus fester, rostroter Seide. Die Kanten der Ärmel und der Ausschnitt waren versehen mit kleinen Stickereien von gelben und orangeroten Blüten, die mit dunkelgrünen Blattwerk miteinander verbunden waren. Unauffällig blitzte das eierschalenweiße Innenfutter des Kleides an diesen Stellen hervor. Die Reihe kleiner Messingknöpfe lief wie Schmuck über ihre Brust hinunter.

Das lange Haar hatte die Mutter an diesem Morgen persönlich mit unzähligen Bürstenstrichen gekämmt, indem sie immer wieder beruhigend durch das Haar ihrer Tochter fuhr. Anschließend hatte die junge Frau ihr Haar geflochten und in einem Knoten am Hinterkopf zusammengefasst.

Die Stimmung im Hause war eher gedrückt, als der Besuch ihnen angekündigt wurde.

Formvollendet, aber mit höflicher Zurückhaltung begrüßte der Händlerkollege und Witwer Hinrich die Damen und setzte sich mit ihnen an den Esstisch. Er machte weder Anstalten Hildegard mit irgendetwas speziell beeindrucken zu wollen, noch nahm er sie oder ihre Mutter vom angeregten Gespräch aus. Seine ungekünstelte Art und die freundlichen braunen Augen nahmen Hildegard genug für den sympathischen Witwer ein, als dass die Stimmung im Laufe des Essens sich deutlich lockerte. Hinrich war etwa im gleichen Alter wie ihr Stiefvater, hatte eigene Kinder von denen er liebevoll erzählte, der jüngste würde einmal sein Nachfolger werden, während der ältere Sohn eine Anstellung im Dienste eines Verlester Stadtbeamten hatte, und erweckte nicht den Eindruck irgendwelche Erwartungen an Hildegard zu stellen. Er schien tatsächlich nur für ein gemütliches gemeinsames Essen vorbeigekommen zu sein.

Besonders angetan war Hildegard von Hinrichs Erzählungen über seine Reisen, es erinnerte sie an die Zeit als kleines Mädchen, als ihr Vater nach jeder Geschäftsreise ausmalen musste was er gesehen hatte, in den buntesten Farben die ihm zur Verfügung standen.

„Das klingt wirklich sehr faszinierend, was Ihr da erzählt, Hinrich! Ich habe noch nie einem elfischen Fest am Nebelmeer beiwohnen dürfen. Noch nicht einmal den Flug der Wyvern habe ich wirklich selbst gesehen!“ „Wenn ihr wollt, Fräulein Hildegard, könnt Ihr mich mit eurer Familie beim nächsten mal gerne begleiten. Mein ältester Sohn wird ebenfalls seine Verlobte mitbringen, die dem Schauspiel zum ersten mal beiwohnt. Und wenn es euch wirklich interessiert, ein Bekannter hat ein Buch speziell zu diesem Thema verfasst, ich könnte euch vorab ein Exemplar vorbeibringen. Natürlich nur, wenn ihr wollt.“, bot Hinrich höflich an. Hildegard drückte kurz seine Hand. „Aber selbstverständlich, wenn man schon einmal die Gelegenheit bekommt! Aber bitte macht Euch wegen mir keine Mühe, nur wenn es sich auch wirklich einrichten lässt. Nicht wahr, Mutter?“ Swanahild nickte. Erfreut lächelte Hinrich in die Runde. „Ach was, wenn junge Leute sich noch für so etwas traditionelles interessieren, ist das doch immer alle Mühe wert und ein Grund zur Freude. Seid Ihr auch an traditionellen Festen anderer Regionen interessiert? Ich sehe Ihr tragt das Zeichen einer Sehanine-Geweihten. Ein äußerst respektabler Stand, wenn ich das so sagen darf. Es heißt viele der Geweihten dieser Kirche besäßen ein reges Interesse an kulturellem Austausch und hätten einen Sinn für die Schönheit der Natur.“ Hildegard nickte eifrig. „Ja, auf meinen Reisen gehören die vielen Dinge die ich von anderen Regionen und auch anderen Personen gelernt habe zu den wichtigsten Erfahrungen. Der Austausch mit anderen Rassen und Religionen ist wirklich wichtig, wenn man nicht nur in seiner eigenen kleinen Welt leben will. Es gibt vieles, was über das Offensichtliche und Ertastbare hinausgeht. Und nur Wissen und Erfahrung bringen uns weiter.

Außerdem sind Menschen doch unheimlich spannend, oder? Was natürlich auch für Zwerge und Elfen gilt.“

„Hildegard hat auch einige zwergische Freunde, nicht wahr Liebling? Und dann wäre da noch dieser sympathische Elfen-Hauptmann, der diese Überraschungsfeier für sie zum Geburtstag geplant hat...“ „Du meinst Elaril vom Eiswasser, richtig?“ unterbrach Hildegard ihre Mutter, ohne zu erwähnen, dass Elaril im Grunde nur von Victor vorgeschickt wurde. Ihre Eltern wussten dies auch ohne ihren Einwand. „Ja, genau! Und im letzten Jahr hast du doch deinen Freund Dvalinn und diese Zwergen-Gesandtschaft in den hohen Norden begleitet.“ „Ja, witziger weise wollten wir nur Dvalinns Familie in Khazad Sosnojask besuchen, haben uns die Wegstrecke aber mit einer Gesandtschaft des Königs unter dem Berge geteilt. Balint Steingesicht hat die Delegation angeführt und unter ihnen war sogar ein Kleriker des Dumathoin. Es sind richtige Freundschaften entstanden in der Zeit und ich selbst stehe heute noch mit dem Kleriker in Kontakt.“ Hildegard lachte in Erinnerung an die deftigen Zwergen-Feiern und schwor Hellond bald wieder einen Brief zu senden. Hinrich hörte interessiert zu und hakte dann ein. „Das klingt ja wirklich nach einem großen Glücksfall, nicht jeder Mensch erfährt die Ehre mit einer Delegation von Balint Steingesicht reisen zu dürfen. Ich bin mir sicher, ihr werdet viel dort im Norden gesehen haben und auch weite Kontakte geknüpft. Stimmt es, was man über zwergisches Essen sagt?“ „Wenn man sagt, dass es für Menschen so gut wie ungenießbar ist, dann ja.“ witzelte Hildegard. „Und ihr habt ganz Recht, es war wirklich ein besonderer Glücksfall für uns. Allein die Gesellschaft, und dann noch das Wissen was sie vermittelt haben. Ihr spielt nicht zufällig Zwergen-Schach, Hinrich? Wenn ich nicht in Lur bin, fehlt mir tatsächlich ein Übungs-Partner.“ Freundlich blickten Hinrichs Augen auf die vielversprechende junge Frau vor sich. Sollte sie einwilligen, wären ihre Kontakte sicherlich nur zum beiderseitigen Vorteil. Ganz zu schweigen von den Gesprächen, die sich nicht nur um die neueste Mode und den letzten gesellschaftlichen Anlass drehen mussten. Söhne hatte seine verstorbene Frau ihm glücklicherweise schon geschenkt, aber seit ihrem Tod vermisste er die Gesellschaft, die gemeinsamen Abende und die Gespräche am morgendlichen Frühstückstisch. Und Hildegard wäre womöglich sogar daran interessiert sich am Geschäft zu beteiligen. Auf jeden Fall faszinierte ihn ihre Begeisterungsfähigkeit.

„Zwergenschach leider nicht, aber wäre Ihnen auch ganz gewöhnliches Schach Recht, mein Fräulein? Dann ließe sich sicher etwas arrangieren.“ 'So stelle ich mir meinen Onkel vor, wenn ich einen hätte', dachte Hildegard. '“Schade, dass sie doch so weit weg wohnen, Herr Hinrich. Aber ich bin mir sicher, dass sich ein Abend finden lassen wird, an dem wir beide Zeit hätten.“ „Mit Sicherheit, Fräulein Hildegard.“

Längst war die Zeit fortgeschritten seit dem Mittagessen und man war zu Tee und Kuchen übergegangen, den dienstbare Hände zwischendurch auf ein Zeichen der Hausherrin hin aufgetragen hatten. Es gab selbstgebackenen Obstkuchen, eine Spezialität von Swanahild die ausgiebig von allen gelobt wurde. Nach dem letzten Bissen ließ Hinrich nachdenklich das Besteck sinken und warf einen Blick nach draußen. Es wäre sicherlich besser ein paar Dinge mit Hildegard allein, ohne das Beisein ihrer Eltern zu besprechen. „Was für ein wundervoller Kuchen! Allerdings würde ich mir nach dem Essen sehr gerne ein wenig die Füße vertreten. Wie wäre es, Fräulein Hildegard, würden Sie mich für einen kleinen Spaziergang nach draußen begleiten und mir den Garten zeigen, von dem ich schon so viel gehört habe?“ „Aber gerne doch!“ willigte Hildegard ein, die sich ebenfalls nach ein wenig frischer Luft sehnte. Höflich kam Hinrich um den Tisch herum, half der jungen Dame auf und geleitete sie unter den wohlwollenden Blicken der Eltern nach draußen, während die Geweihte fröhlich weiterplapperte. Nach den letzten Treffen war dieses eine reine Erholung und sie hatte längst den Grund seines Besuches verdrängt, sah ihn nur noch als den Freund ihrer Eltern, der zum Essen zu Besuch kam und sich ausnahmsweise für ihre Meinung und ihre Geschichten interessierte.
 

Ihre Eltern blieben derweil am Esstisch sitzen und warfen sich vielsagende Blicke zu. Keiner wagte es auszusprechen, bevor die Tochter mit den guten Nachrichten wieder zurück kam, aber beide glaubten sie mit Hinrich letztendlich doch noch einen treffenden Mann gefunden zu haben. Swanahild war die erste die das Schweigen brach: „Nun, ich bin ja mal gespannt, was uns die beiden zu erzählen haben, wenn sie zurück sind. Ich bin mir sicher sie werden gerade noch ein paar...wichtige Dinge zu klären haben, meinst du nicht Giselher?“ „Du möchtest doch nur von mir hören, dass ich deine Vermutung teile, oder Liebling? Wenn das so ist, dann stimme ich dir zu, ja. Ich denke auch, dass die beiden sich ausgesprochen gut zu verstehen scheinen. Aber warten wir lieber erst einmal ab. Bevor wir es nicht selbst aus dem Mund deiner Tochter hören, ist nichts sicher.“ „Das stimmt, Schatz. Aber ich denke diesmal passt es. Und keiner wird dieser Verbindung abgeneigt sein. Wir hätten gleich daran denken können, dass jemand so weit gereistes selbst jemanden mit Erfahrungen bevorzugen könnte.“
 

Die beiden Hauptpersonen um die sich dieses Gespräch drehte, traten im gleichen Moment auf einen der Rosensträucher zu, die dem Haus seinen Namen gaben. Hildegard strich sanft über ein paar aufgeblühte Rosenblüten und befühlte die samtige Oberfläche der Blütenblätter. Wie sehr sie sich doch mittlerweile nach Malfori, dem Rosengarten dort und vor allem nach ihm sehnte.

Mit einem leisen Räuspern unterbrach Hinrich die Gedanken der Klerikerin. „Darf ich?“ Vorsichtig brach er eine der Blüten ab, entfernte ein paar Dornen und steckte die Rose behutsam in Hildegards Haarknoten. Dabei strich er so sanft über ihr Haar, dass sie es kaum spürte. Als er sie wieder anblickte um sein Werk zu bewundern, sah die Geweihte ihn unerwartet traurig an.

„Was habt ihr denn plötzlich, Fräulein Hildegard? Habe ich etwas falsch gemacht, bin ich euch vielleicht zu nahe getreten? Wenn Ihr es wünscht, können wir auch alles ein wenig langsamer angehen.“ „Nein nein, Ihr habt euch absolut nichts vorzuwerfen Hinrich! Ich war nur kurz in Gedanken woanders, es tut mir leid. Ich muss um Verzeihung bitten.“

„Keineswegs, Fräulein Hildegard. Es ist ja nur natürlich, wenn eine junge Frau wie Sie bei diesem Thema etwas nervös wird. Ich möchte aber keineswegs, dass es für Sie unangenehm wird. Deshalb dachte ich es sei besser, wenn wir uns ohne Ihre Eltern noch einmal unterhalten. Sie sind eine wunderhübsche, interessante Frau, Hildegard. Ich bewundere Ihre Einstellung und denke, dass wir beide eine durchaus gute Ehe führen könnten, sofern Sie ebenfalls nicht abgeneigt wären. Sie könnten ein Leben vor den Toren Verlest führen, einer der schönsten Städte der Reiche. Ich würde mich auch über Ihre Begleitung auf der einen oder anderen Reise freuen und hätte nichts dagegen, wenn Sie ihre Freundschaften weiter pflegen. Außerdem habe ich bereits zwei erwachsene Söhne, wir ständen diesbezüglich also unter keinerlei Druck und könnten uns Zeit lassen, je nachdem wie Sie sich am wohlsten fühlen.“

Hildegard hatte Hinrich erst mit offenem Erstaunen, dann mit fast weinerlichem Blick angesehen. Der Schreck war ihr bis in die Knochen gefahren, so bald sie realisiert hatte, wovon er sprach. Jetzt wagte sie es gar nicht ihn zu unterbrechen, weil sie nicht wusste was sie ihm sagen sollte, dass ihre Situation auf schonendste Art deutlich machte. Aber sie hatte ihm offensichtlich gedankenlos Hoffnung auf eine Zusage gemacht, die sie ihm nicht würde geben können. Nicht einmal für ihre Familie konnte sie alles verleugnen. Es würde bedeuten auch ihren Glauben zu verraten. Nein, das konnte sie nicht.

Hinrich, der die feuchten Augen der Geweihten für Rührung hielt, die es im Grunde ja auch war, seufzte am Ende seines Vortrages und blickte die junge Frau liebevoll an. „Haben Sie keine Angst offen zu sprechen, Fräulein Hildegard. Was halten sie von dem allen?“ Betreten schluckte sie und schlug kurz die Augen nieder. „Ich....ich danke Ihnen Hinrich für Ihre Ehrlichkeit und ihr aufrichtiges Wohlwollen. Leider muss ich Sie erneut um Verzeihung bitten, doch diesmal dafür Ihnen keine positive Antwort geben zu können. Sie sind ein wunderbarer Mann und ich habe das Gespräch mit Ihnen wirklich sehr genossen, allerdings...“, sie blickte sich kurz absichernd nach Zuhörern um, ihre Stimme klang belegt, „kann ich Ihnen mein Herz nicht versprechen, da ich es bereits einem anderen Mann geschenkt habe.“ Hinrich stutzte. Trotz seiner Enttäuschung tat ihm Hildegard in diesem Moment mehr leid, sie wirkte plötzlich so zerbrechlich und ihr Blick war voller Kummer. Er hatte nur eine vielversprechende Partie verloren, keine Liebe. Aber sie schien von deutlich üblerem geplagt. „Aber wieso sagen Sie das nicht einfach Ihren Eltern, Fräulein Hildegard? Ich bin mir sicher sie wären erfreut, dass sie jemanden gefunden haben, der Ihnen offensichtlich so viel bedeutet.“ Bedrückt neigte Hildegard den Kopf. „Das sind sie leider nicht, sie haben ihn vor drei Wochen kennen gelernt und waren nicht besonders erfreut. Er... ist ein wundervoller Mann, aber leider nicht das was meine Eltern sich gewünscht hätten. Es ist beiderseits eine, wie soll ich sagen, unpassende Partie: Und die Umstände... ich möchte Sie da wirklich nicht mit belasten, Herr Hinrich.“ Nun hätte er der Geweihten am liebsten beruhigend auf den schmalen Rücken geklopft. Wenn sie seine Tochter wäre, würde er vielleicht auch anders handeln, aber in dieser Situation hatte er nur einen guten Rat: „Reden Sie doch noch einmal in Ruhe mit Ihren Eltern darüber und auch mit ihm. Vielleicht lässt sich ja doch noch eine befriedigende Lösung für alles finden. Und falls nicht...“, scherzte er, um die Situation ein wenig aufzulockern. „Sie wissen ja jetzt wie Sie mich erreichen, nicht wahr Fräulein Hildegard?“ Sie lächelte tatsächlich und schenkte ihm einen warmen Blick. „Es bleibt übrigens bei der Einladung, ich hoffe Sie können sie wahrnehmen.“ Hildegard griff seine Hand und drückte sie kurz. „Vielen Dank, Herr Hinrich. Sie können sich kaum vorstellen wie dankbar und erleichtert ich jetzt bin.“ „Doch, das kann ich.“ lächelte der Händler. „Wären Sie so gut sich in meinem Namen nochmal bei Ihren Eltern zu bedanken? Es war ein wirklich schöner Tag, aber ich sollte so langsam aufbrechen, bevor es zu spät wird. Ich denke wir hören voneinander?“ „Mit Sicherheit!“ antwortete Hildegard freudig lächelnd und begleitete ihren Besuch bis er vom Hof ritt. Dann ging sie zurück zu ihren Eltern und wappnete sich innerlich für ein Gewitter.

Zwei aufmerksame Augenpaare richteten sich voller Spannung auf die eintretende Klerikerin und fragten still in den Raum hinein. „Und? Wo ist Herr Hinrich? Was habt ihr besprochen?“ Hildegard seufzte, setzte sich zu ihren Eltern an den Tisch, legte die Hände ruhig auf die Decke und begann dann erst zu sprechen. „Es tut mir wirklich leid, aber ich kann das nicht. Hinrich lässt euch lieb grüßen, die Einladung gilt noch und er bedankt sich für den schönen Tag und das leckere Essen. Wir sollten ihm irgendwann einen Gegenbesuch abstatten, aber nicht mit mir als Heiratskandidatin.“ Enttäuscht blickten ihre Eltern sich an. „Also doch nicht, wie schade... Nunja, es ist wie es ist, man kann es schlecht erzwingen.“ Besorgt und fragend sah Giselher sie an. „Was gedenkst du nun zu tun, Hildegard?“ „Ich weiß es nicht. Aber.... nein, ich weiß es wirklich nicht.“ Sie vergrub den Kopf in den Armen. „Ist es okay, wenn ich eben zu Adalgund gehe?“ Die Eltern bejahten und ließen ihre Tochter nachdenklich ziehen.
 

Die ältere Schwester Adalgund, die mit ihrem Mann und den zwei Kindern in einem Haus ein ganzes Stück nach Weyersdorf rein, lebte, war schon immer ein ganz anderer Typ gewesen als Hildegard. Als Kinder hatten sie nicht viel gemeinsam gehabt, eine kam nach der Mutter und die andere wollte lieber draußen mit den Jungs auf Bäume klettern, anstatt weiter an dem schönen Stickmuster zu arbeiten. Doch als Erwachsene hatten sie sich neu angenähert und waren nach Hildegards Rückkehr in den Schoß der Familie Freundinnen geworden. Als eine der ganz wenigen Frauen im Bekanntenkreis der Klerikerin war Adalgund, kurz Ada genannt, einer der wichtigsten Gesprächspartner bei speziellen Themen. Und die unschickliche, aber intensive Liebesbeziehung zu einem älteren Mann, seines Zeichens Fürst von Malfori und Staatsfeind Nummer eins, gehörte mit Sicherheit zu den ganz speziellen Themen.

Als Hildegard von Weyersdorf das Haus ihrer Schwester erreichte, neigte sich der Abend über das Land und die überraschte Adalgund wollte sogleich die Neuigkeiten über Hildegards Treffen hören. Doch als sie den Gesichtsausdruck ihrer jüngeren Schwester sah, beschloss sie erst einmal ihre Kinder zu Bett zu bringen und dann in Ruhe ein paar Frauengespräche zu führen.

Als sie es sich schließlich in der guten Stube am Kamin gemütlich gemacht hatten, wartete die junge Hausfrau ab, bis ihre Schwester lange genug in die Flammen gestarrt hatte und reden wollte. Vorsichtig setzte Hildegard an zu erzählen. „Du erinnerst dich ja an die Überraschungsfeier für mich in Lur, richtig? Und auch, dass danach alles irgendwie seltsam war bei uns und plötzlich diese ganzen Treffen mit Männern für mich einberaumt wurden?“ Adalgund nickte. „Aber du weißt nicht, warum das so ist, oder?“ „Nunja“, antwortete die zweifache Mutter, „ich weiß, dass ihr mich sehr aus allem herausgehalten habt, ich hoffe doch nicht wegen meiner Schwangerschaft? Aber ich weiß auch, dass Leo sehr schlecht den Mund halten kann, wenn es um seine Schwestern geht. Und das vor allem mir gegenüber, immerhin kenne ich ihn schon seit fünfundzwangig Jahren, da wird es schwer mir so etwas wichtiges zu verheimlichen.“ „Du weißt also von unserem Überraschungsgast, von dem niemand vorher etwas ahnte?“ „Es ist also wahr, Hildegard? Ich konnte es nicht so recht glauben, als ich es hörte. Nicht einmal von Leopold.... aber... du hast also wirklich einen Liebhaber, ja?“

Hildegard grinste schief. „Ist es wirklich das, was dich am meisten erstaunt? Er ist nicht mein erster, wenn wir schon dabei sind. Aber erzähl das bloß nicht weiter, derjenige welcher war dummerweise auch dort und ich hatte schon Angst es würde noch Ärger geben deshalb.“ „Ärger wegen wem?“ fragte Adalgund zurück. „Ach, wegen allen eigentlich...“, seufzte Hildegard. „Hat... hat Leopold erwähnt um wen es sich handelt?“ Adalgund nickte. „Ja, hat er tatsächlich. Das ist also auch wahr, ja Hildegard? Ich meine... wirklich Victor von Malfori?“ Diesmal war es an der Geweihten zu nicken. „Ja, das ist wahr Adalgund. Wirklich und wahrhaftig der Staatsfeind. Ich weiß... das muss ein ziemlicher Schock gewesen sein...“, „Ohja, das war es allerdings Liebes!“, „...und es klingt vermutlich nach wie vor etwas unglaubwürdig...“, „Auch das muss ich bejahen, Hildegard...“, „Vielen Dank für dein Vertrauen in mich.“, schloss die Klerikerin zähneknirschend.

„Du musst zugeben, es kann einen doch etwas überfordern, wenn der eigene Bruder mit der Nachricht rausrückt, dass die kleine Schwester eine Liaison mit einem Fürsten begonnen hat. Und dann wäre es auch mehr oder weniger egal mit welchem, schockierend wäre es alle mal.“, antwortete Adalgund mit einem Schulterzucken. Hildegard lehnte sich in ihrem Polster zurück. „Es hätte ja noch schlimmer kommen können.“ „Wohl kaum, Hildegard.“ Geknickt sah die Klerikerin ihre Schwester an. „Du hast Recht.“ Sie seufzte. „Als Verlesterin habe ich vermutlich den schlimmsten Frevel begangen. Als Frau... ist mir das alles reichlich egal. Ich meine...“ hilflos warf sie die Arme in die Luft. „Ist es denn so schlimm?“ fragte Adalgund neugierig. „Wie... ist er denn so?“ Hildegard legte den Kopf schief und sah ihre Schwester skeptisch an. „Wie meinst du das, Ada?“ „Naja, ich habe ihn immerhin noch nie getroffen, nicht wie ihr. Und wenn mein kleines Schwesterchen sich ausgerechnet dem erklärten Erzfeind an den Hals wirft, dann muss ja irgendwas an ihm sehr ...überzeugend sein.“ Genüsslich beobachtete Ada wie ihre Schwester rot wurde bis unter beide Ohren. „...ich bin größer als du, Ada. Immer noch....“ „Keine Ausflüchte, Hildegard! Sag mir was dran ist an dem Mann!“ Hildegards Gesichtsfarbe wurde noch dunkler und sie stammelte vor sich hin. „Er, äh... ist äußerst charmant, sieht gut aus, groß, blond, tolle grüne Augen... aber eigentlich ist es nicht das, was du hören willst, oder?“

„Nein. Es ist auch kaum sein Titel, der dich so spontan überzeugt hat. Stehst du auf ältere Männer? Dämonen? Beißt er? Ist er gut im Bett?“ „..er ist wirklich ein sehr zuvorkommender Mann, groß und... seine Augen... ach, verdammt! Ada du ziehst mich doch eh nur auf! Lerne ihn gefälligst selbst kennen!“

Die werdende Mutter sah auf ihren runden Bauch herab. „Das hätte ich ja gern getan, aber die Reise war dafür doch schon etwas zu weit in dem Moment. Außerdem hat mich ja niemand vorgewarnt.“ „Mich ja auch nicht, Adalgund, mich auch nicht. Ich würde ihn dir ja gerne ein andermal vorstellen, wenn ich ihn je wiedersehen darf....“, seufzte eine traurige Hildegard. „So schlimm?“ zweifelte Adalgund. „Aber... ist Victor von Malfori nicht... ein Dämon? Ich meine, wie kommt es, dass ausgerechnet er? Und ausgerechnet du? Was treibt dich ausgerechnet zum Fürsten von Malfori und was treibt einen Dämon dazu sich überhaupt für eine Frau wie dich, ich meine natürlich eine menschliche, bürgerliche Frau, zu interessieren?“

„Den zweiten Teil kann ich dir schlecht beantworten, Ada. Ich frage mich das auch nach wie vor. Ich bin nur ein Mensch, weder von Stand, noch eine stadtbekannte Schönheit wie Mutter. Oder du.“ An dieser Stelle winkte Adalgund mit ernstem Gesichtsausdruck ab, während Hildegard fortfuhr, „Dann bin ich Wanderklerikerin und komme ausgerechnet noch aus Verlest. Es ist als wäre ich all das, was mich unmöglich machen sollte für ihn in Personalunion! Wenn es nicht der Reiz daran ist, was bewegt diesen Mann dann, Adalgund? Ich wäre froh, wenn ich es wüsste. Wäre ich seine Freundin und nicht seine Geliebte, würde ich ihm wohl auch sagen such dir was besseres. Er könnte mit Sicherheit eine passendere Frau finden die ihm genau so zugetan ist wie ich“, Hildegard seufzte traurig. „Denn du hast Recht, er ist immerhin noch Fürst und Hegemon der Reiche und mal ganz abgesehen davon ist er in erster Linie ein wirklich reizender Mann. Gebildet, höflich und unglaublich zärtlich. Ich hätte nie gedacht, dass es jemanden wie ihn überhaupt gibt, geschweige denn, dass ich das Glück hätte auf ihn zu treffen. Ich weiß, dass meine Sicht auf ihn früher ganz anders war, geprägt vor allem durch verletzten Stolz. Ja, er hat uns erpresst um uns für seine Zwecke einzuspannen, aber wir hätten uns trotzdem weigern können.Was mich stört ist weniger die Tatsache, dass er dieses Mittel gewählt hat, ich weiß auch, dass es für ihn nur natürlich ist jemanden zu schicken, zu dem er sonst keinerlei persönliche Bindung hat, sondern dass er dachte, dass er ausgerechnet mit uns so verfahren könne! Wir waren einfach ersetzbar für ihn, unwichtig, völlig bedeutungslos. Das hat mich so wahnsinnig gestört.“ Hildegard lachte bitter. „Die Geweihte die keine Ameise sein wollte im Königreich des Victor von Malfori und die jetzt fast alles für eben diesen Mann tun würde. Warum ausgerechnet... das ist tatsächlich eine gute Frage Ada.“ Sie legte die Hände in den Schoß und starrte darauf, als ob die weißen Finger ihr eine Antwort geben könnten. Adalgund betrachtete ihre Schwester besorgt. „Ada? Kannst du mir sagen, warum ich darauf keine Antwort habe? Und trotzdem das Gefühl, dass es egal ist und ich einfach nur bei ihm sein will?“ Adalgund ging zu ihrer Schwester, nahm sie in den Arm und drückte sie an sich. Als sie begann zu sprechen, löste sie sich wieder ein Stück und streichelte Hildegards Haar. „Du hast dich ganz offensichtlich verliebt, Hildegard. Und das ist etwas schönes. Ich verstehe nur nicht ganz, wie das kommen konnte. Und du wohl auch selbst noch nicht, oder Hilde?“ Die Geweihte schwieg einen Moment und grübelte. „Ich... ich bin mir nicht sicher. Ja, wir hatten eine mehr als schlechte Ausgangsposition. Doch die ganze Situation hatte sich ja schon etwas beruhigt. Und dann kam der Abend.... der Abend an dem wir eine Nacht miteinander verbracht haben. Und jetzt frag bitte nicht wie ausgerechnet das passiert ist, ja? Jedenfalls habe ich befürchtet er würde mich nach dieser Nacht direkt wieder rauswerfen, aber das hat er nicht getan. Er wollte den nächsten Abend mit mir Essen und als wir danach unter uns waren... es ist gar nichts passiert, außer dass wir stundenlang zusammen in der Bibliothek saßen und uns küssten. Wir haben nicht gesprochen, denn es schien alles unnötig. Als ob wir alles wichtige damit sagen könnten, wie wir uns geküsst haben. Es war unglaublich schön, er war absolut hinreißend und gleichzeitig der sanfteste Mann, den ich mir vorstellen kann. Und danach... war für mich irgendwie schon alles klar. Im Grunde ist das alles was ich hier versuche nur eine Farce gegenüber meinem eigenen Herzen. Dass ich zugestimmt habe andere Männer zu treffen, nur der Familie zu Liebe, weil ich euch wirklich nicht mit meiner ungehörigen Liebe in Schwierigkeiten bringen will. Aber eigentlich weiß ich doch schon längst, dass ich im Grunde keinen anderen will. Ich stehe in einem absoluten Dilemma, Adalgund! Auf der einen Seite will ich etwas richtig machen und nur einmal tun was gut für euch ist, anstatt wieder und wieder mit meinem Egoismus zu eurem Schaden zu handeln. Auf der anderen Seite schaffe ich es nicht ihn loszulassen, weil ich es einfach nicht will. Allein wenn ich darüber nachdenke nie wieder seine weichen Locken zu spüren, nicht mehr zu sehen wie liebevoll er mich ansieht, nicht mehr in seinen Armen liegen zu können, dann.... möchte ich am liebsten sofort wieder aufbrechen, weil ich es kaum noch aushalte von ihm getrennt zu sein.“

„Ach, Hildegard!“ Adalgund drückte den Kopf ihrer Schwester wieder an ihre Brust und seufzte. Fast kamen ihr, die einen Hang zur romantischen Liebesdichtung und den traurigen Sagen des Elfenvolkes hatte, die Tränen bei den Schilderungen ihrer jüngeren Schwester. „Hilde Liebes, du scheinst da etwas gefunden zu haben, von dem die meisten Frauen ihr Leben lang nur träumen können. Und wenn ich nicht als Teil des familiären Handelsunternehmen spreche, sondern einfach als deine große Schwester, die dich liebt, dann würde ich sagen... nimm es, so lange du kannst!“ Hildegard prustete los, als Adalgund so ganz aus ihrer gefühlsseligen Stimmung heraus mit diesem handfesten Ratschlag kam und die junge Mutter stimmte spontan mit in das Lachen ihrer Schwester ein. „Aber ich meine das wirklich ernst Hilde! Es ist schön, dass du auf uns alle hier Rücksicht nehmen willst. Und dieser Hang zum Märtyrertum mag dir ja ganz gut anstehen, so als Geweihter. Aber wenn du mich fragst, ich würde einfach hingehen und sagen 'Victor, ich will mit dir zusammen sein, aber wir brauchen eine Lösung die gut für die Familie ist.' Und dann schaust du mal weiter. Soll er doch mal was tun für seine Freundin, der Hegemon! Wofür ist er denn Fürst, hm? Da kann er ja ruhig mal zeigen was er kann und was du ihm wert bist.“ „Also Adalgund!“, rügte Hildegard entrüstet ihre ältere Schwester, die trotz allem eine sehr praktische Sicht auf die Dinge hatte, „wie kannst du sowas vorschlagen? Schämst du dich nicht? Auf keinen Fall werde ich hingehen, Victor all meine Probleme vor die Füße kippen und dann noch erwarten, dass er sie für mich löst! Außerdem klingt das fast nach käuflicher Liebe, wovon du da gerade redest!“ Adalgund schmunzelte noch immer. „Aber mitnichten, Hildegard. Ich sage ja auch gar nicht, dass du dich bezahlen lassen sollst, so etwas würde ich dir niemals raten! Ich meine nur, dass es doch ganz natürlich ist, dass der Mann auch etwas für die Frau tun kann, wenn er etwas von ihr will. Er will doch auch weiterhin etwas von dir, oder etwa nicht? Und immerhin ist es dann nicht nur deine Schuld, wenn deine Familie in Schwierigkeiten gerät, sondern auch seine. Also ist es genau so gut sein Problem.“ Hildegard wurde still und dachte nach. So ganz Unrecht hatte ihre Schwester damit nicht, da ließ sich schlecht etwas gegen sagen. Vorausgesetzt natürlich, dass Adalgund damit Recht hatte, dass Victor sie wirklich auch weiterhin als seine Geliebte wollte. Selbst wenn sie Forderungen stellte. Aber hatte er nicht selbst gesagt, es wäre ihr gutes Recht auch Forderungen zu stellen? War sie zu vorsichtig aus ihrer Angst heraus ihn wieder zu verlieren? Aber verbaute sie sich dadurch nicht selbst die Chance auf eine Partnerschaft, wie sie sie sich wünschte, wenn sie sich selbst immer kleiner machte für ihn?

„In Ordnung, ich werde mit ihm reden.“ lautete schließlich die Resolution der Geweihten und Adalgund klatsche fast Beifall. Die Beziehung dieser beiden war besser als alle Dichtung! Das zu verfolgen versprach deutlich mehr Amüsement als über irgendwelche fiktiven Liebespaare zu lesen und ihre lächerlichen Probleme. Nichts davon konnte so haarsträubend sein wie das hier, denn kein elfischer Poet hätte sich jemals so ein Paar ausgedacht wie dieses.
 

Hildegard kehrte zurück in ihr Elternhaus und bereitete eine Nachricht für Victor vor, die sie ihm dank Magie auf mentalem Wege zukommen ließ.

„Liebster, ich würde gern mit dir sprechen. Ist es in Ordnung, wenn ich wieder nach Malfori aufbreche? Ich vermisse dich schrecklich.“

„Komm, wann immer du willst, meinetwegen so schnell wie möglich.“, lautete seine Antwort und Hildegard begann zu packen.
 

Am nächsten Morgen erschien sie mit ernstem Gesicht nach dem Gebet zum Frühstück, ihre Reisekleidung lag schon auf dem Bett parat und die gepackten Taschen standen daneben. Doch obwohl ihre Entscheidung längst gefallen war, wollte sie ihre Eltern vorsichtig an das Thema heranführen. Sie trug ein einfaches Hauskleid und gab sich gelassen, trank mit den Eltern Tee und wartete ab, bis sie auf den gestrigen Abend und das Gespräch mit Adalgund angesprochen wurde. Sie wusste irgendwann würde ihre Mutter damit herausplatzen. Es dauerte bis der Frühstückstisch abgeräumt wurde, dann fragte Swanahild direkt heraus: „Und? Wie war es bei Adalgund? Geht es ihr gut? Was habt ihr besprochen? Ich hoffe nichts, was sie aufgeregt hätte...“

„Keine Angst, Mutter. Ada wusste längst Bescheid. Außerdem ist sie schwanger, nicht schwer krank. Und so weit, dass das Kind jeden Moment kommen könnte, nur wenn sie einen Schritt zu viel tut, ist es nun wirklich nicht.“, antwortete Hildegard ruhig. „Ihr habt also...über ihn gesprochen, richtig?“ Nach wie vor vermied Swanahild den Namen Victor auszusprechen. „Das dachtest du dir doch bereits, nicht wahr? Ja, wir haben über 'ihn' gesprochen und ja, bevor du noch weiter fragen kannst, Adalgund war etwas überrascht, aber neugierig, nein, sie scheint kein großes Problem darin zu sehen und ja, ich würde gerne wieder nach Malfori und mit 'ihm' sprechen.“ „Worüber wollt ihr denn sprechen?“ fragte Swanahild skeptisch. „Über das, was Adalgund sagte.“ Hildegard zuckte mit den Schultern, dann starrte sie für eine weitere Minute grüblerisch in ihren Tee, bevor sie weitersprach. „Ich weiß, dass euch diese Beziehung nicht recht ist und ich weiß auch, dass ich euch dadurch unwillentlich schaden könnte. Das schmerzt mich wirklich sehr und ich schäme mich fürchterlich für meinen Egoismus, aber trotzdem möchte ich ihn wiedersehen.“ „Kind, dass ist keine Beziehung wie du es nennst, du bist lediglich die Mätresse eines Mannes von dem du nicht weißt, wie lange er dir wohlgesonnen bleibt. Und wer weiß schon was passiert, wenn sich seine Einstellung zu dir ändert? Wenn er dich nur wegschicken würde, sobald er den Gefallen an dir verliert, wäre das ja noch glimpflich. Trotzdem wäre zu dem Zeitpunkt dein Ruf ruiniert und deine Zukunft. Du darfst dich nicht benehmen wie ein naives Mädchen von fünfzehn Jahren, Hildegard!“ An dieser Stelle räusperte sich Giselher. „Wir sehen ja ein, dass weitere arrangierte Treffen mit Männern zurzeit keinen Sinn haben, wir wollen dich ja nicht quälen, Hildegard. Aber im Großen und Ganzen stimme ich mit deiner Mutter überein. Es ist zu gefährlich diesem Mann vorschnell so viel Vertrauen entgegen zu bringen, du solltest vorsichtiger sein. Allein die Tatsache, dass du so plötzlich deine Meinung geändert hast sollte doch zur Skepsis raten, oder? Ja, er ist ein äußerst einnehmender Mann, das haben wir auch festgestellt. Höflich und entgegenkommend, das macht es aber nur gefährlicher. Kein ganzes Fürstentum wird ohne Grund seit Generationen vor ihm gewarnt.“

Das Gesicht der Klerikerin wurde weiß. Der unausgesprochene Vorwurf 'wer weiß, was er dir angetan hat oder noch antun könnte' brannte bitter, ebenso die Vermutung sie wäre nur ein Opfer der unbekannten und unbegreiflichen Möglichkeiten eines ach so fürchterlichen Dämonen geworden. Kurzzeitig ergriff sie die Wut. Dachten ihre Eltern wirklich so schlecht von ihm und trauten sie ihr so wenig zu, dass sie sich ohne weiteres so sehr gegen ihren Willen beeinflussen ließ, dass sie sogar dauerhaft die Mätresse eines Mannes wurde den sie eigentlich zutiefst verabscheute? Diese Macht traute sie nicht einmal Victor zu und vor allem nicht diese Bösartigkeit. Hildegard schluckte ihren Ärger herunter und zwang sich ruhig zu bleiben, immerhin waren ihre Eltern nur um sie besorgt. „Ich bin froh, dass ihr mir gegenüber so ehrlich seid und mir jetzt die volle Wahrheit sagt über das was ihr denkt, auch wenn es mich sehr verletzt. Mir ist bewusst, dass es schwer sein muss zu glauben, dass jemand wie Victor ein ehrliches Interesse für mich entwickelt. Ich wundere mich ja selbst darüber. Aber denkt ihr nicht auch, dass er sich nicht die Mühe machen würde eine Geburtstagsfeier für mich zu organisieren, selbst eine Woche nach Lur zu reiten um teilnehmen zu können um dort meine Familie und meine Freunde kennen zu lernen, wenn ich ihm völlig egal wäre? Ich denke jedenfalls, dass ihr ihn nur besser kennen lernen müsstet um das zu sehen, was ich sehe.“ Damit stand sie auf und schob ihren Stuhl zurück an den Tisch. „Jedenfalls werde ich wieder aufbrechen und vielleicht finden wir ja auch eine Lösung, die die Familie nicht so sehr belastet. Es ist ja nicht so, als ob mich jeder in Malfori kennen würde und euch mit mir in Verbindung brächte... Und wenn es sein muss, dann gebt doch einfach vor die jüngste Tochter sei wieder verloren gegangen. Ich werde jedenfalls nicht entgegen meinem eigenen Glauben handeln und Liebe heucheln, nur um eine weniger brisante Verbindung einzugehen. Lieber habe ich nur eine kurzzeitige Beziehung, oder lebe eine Weile als Mätresse. Mir ist es egal was die Leute sagen, so lange es nur mich betrifft und so lange ich glücklich mit dem Mann bin. Dann sollen die Leute das eben nennen wie sie wollen. Mir ist das immer noch lieber als einen Meineid zu schwören. Und mein Wort habe ich noch nie gebrochen...“

„Aber Kind! Du musst doch auch an die Zukunft denken! Jetzt bist du vielleicht noch jung und würdest noch einen anderen finden, aber wenn du älter wirst und mit der Vergangenheit....“ wandte Swanahild ein. „Hast du nicht mit über dreißig noch einmal geheiratet, zu einem Zeitpunkt wo du bereits drei Kinder hattest?“ entgegnete Hildegard bitter, aber schämte sich sogleich ihrer harschen Worte, als sie das Gesicht ihrer Eltern sah. „Bitte verzeiht... ich wollte doch nur sagen, dass Mutter doch auch einen zweiten wunderbaren Mann gefunden hat. Wieso sollte mir diese Option also völlig versperrt sein? Bin ich wirklich so hässlich und unvermittelbar?“ „Nein, natürlich nicht, Kind! Das meint auch keiner. Ich meinte nur, dass es schwer wird mit dem Makel die Mätresse des....Fürsten von Malfori gewesen zu sein. Das könnte durchaus den ein oder anderen Mann abschrecken...“ „Na gut, dann tut es das eben. Na und? Mutter, ich mache mir nichts aus diesen Männern. Und selbst wenn ich danach keinen mehr finde, bin ich immer noch Klerikerin und kann mich durchaus selbst versorgen. Außerdem habe ich immer noch Freunde und Familie und ihr werdet mich doch mit Sicherheit nicht alle verlassen, nur wegen Victor, oder? Ich komme schon zurecht, egal was die Zukunft bringt. Ich bin doch bisher auch irgendwie klar gekommen.“ Die Geweihte ging um den Tisch herum um ihre Eltern zu umarmen. „Ich danke euch, dass ihr euch um mich sorgt. Doch ich glaube, dass ihr euch gar nicht so viele Sorgen machen müsstet. Denkt einfach daran, dass ich jemanden gefunden habe der mich so nimmt und schätzt wie ich bin. Ist das nicht ein Glücksfall und ein Grund sich zu freuen?“ Hildegard drückte ihre Eltern und löste sich dann wieder. „Ich bitte euch, lasst mich jetzt ziehen, selbst wenn ihr euch nicht für mich freuen könnt. Und ich komme ja sehr bald wieder. Immerhin kann ich doch Adalgunds Niederkunft nicht verpassen, oder?“ Lächelnd wandte sich die Klerikerin um und gab einem Burschen Bescheid ein Pferd für sie satteln zu lassen und ging dann nach oben um ihr Gepäck zu holen. Ihre Eltern blieben betreten und still zurück, aber erwiderten immerhin Hildegards Winken zum Abschied, wenn auch nicht mit dem gleichen Enthusiasmus wie sie.

Laszlo

Kaum hatte sie das Heimatdorf verlassen, begann sie den Druck hinter sich zu lassen und sich mehr und mehr auf Victor und Malfori zu freuen. Am nächsten Abend informierte sie ihn, dass sie gedachte über Lur zu reisen und sie voraussichtlich in fünfzehn Tagen auf Malfori sein könnte. Fünfzehn lange Tage, aber die Vorfreude würde nur wachsen und auf die Jungs in Lur freute sie sich ebenfalls sehr. Im Gepäck hatte sie diesmal neben Büchern diverse Sätze an Kleidern mit verschiedenen Unterkleidern, man wusste ja nicht wie lange das Wetter so warm bleiben würde, ein wenig praktische Reisekleidung und den Wappenring von Ravija.

Die bekannten Geräusche der Rüstung beim Reiten, des Pferdes und die vorbeiziehende Landschaft hatten wie immer eine entspannende Wirkung auf sie. Es brachte das Gefühl mit sich, dass ihre Göttin ihren Blick wieder freier auf sie richten konnte, wenn sie jeden Morgen mit einem Gebet begann und jeden Abend so beendete. Einem Gebet und einem leichten Lächeln bei dem Gedanken in ihrem Kopf, dem Gesicht Victors, wenn er sie auf Malfori begrüßen würde.
 

Die erste Woche reiste sie bei angenehmen Wetter mit viel Sonnenschein bis Lur, machte zwischendurch Rast an besonders malerischen Streckenabschnitten mit blühenden Wiesen, oder bewunderte die sich färbenden Laubwälder auf ihrem Weg. Bald wäre es Zeit für die Apfelernte, auf den Feldern war lange schon die Ernte eingeholt und neu ausgesät worden. Ihre Mutter schnitt vermutlich gerade persönlich die Rosen noch vor dem bevorstehenden Winter zurück und in Malfori würde sich auch bald jemand darum kümmern müssen. Schade, dass sie im Oktober nicht mehr in den blühenden Rosengarten würde zurückkehren können. Aber mit Sicherheit hätten sich Victors Gärtner auch für den Herbst etwas einfallen lassen.

Der Wind rauschte angenehm in den Bäumen und trieb Tagsüber die wenigen Wolken vor sich her über den weiten Himmel. Die Wanderklerikerin liebte dieses Gefühl von offener Weite, die immer wieder aufkommenden Windstöße, die den Staub der Straße aufwirbelten, noch bevor die Hufe des Pferdes es tun konnten und den Geruch von feuchtem Grün, gefettetem Leder und Wildblumen, die sich unter alles mischte. Einer der vielen Gerüche von Freiheit die sie kennen gelernt hatte. Eine Zeit lang ließ sie ihr Pferd mit geschlossenen Augen den Weg entlang traben und versuchte sich ganz auf diese Gerüche zu konzentrieren und das Gefühl, dass die wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrer Haut hinterließen. Ein Blick die Weite entlang und sie nahm den Helm ab, bis sie ihr Abendlager erreichte. Umgeben von raschelndem Heu und einem nicht ganz klaren Abendhimmel.

Der Weg, ein natürliches Habitat der Wanderklerikerin.
 

In Lur angelangt, verbrachte sie einen fröhlichen Abend mit ihren Jungs in der Taverne. Sie hatte sie auf der Reise kontaktiert um ihre Ankunft in Lur anzukündigen und wurde dementsprechend wieder willkommen geheißen. Man hatte sich nur wenige Wochen nicht gesehen, feierte dieses Wiedersehen aber dennoch feucht-fröhlich. Besonderen Anlass um Anzustoßen gab diesmal die Schwangerschaft von Svea, von der Dvalinn stolz und begeistert erzählte wie der werdende Vater, der er nun war und Hildegard gab sich alle Mühe ehrlich erstaunt und überrascht zu wirken. Für Dvalinn hörte sie stundenlang zu, als es um Kindererziehung ging und sprach ihm Mut zu, versprach Hilfe, Tante und Freundin zu sein, so gut sie konnte und ihm und Svea beizustehen bei allem wo sie helfen könnte. Außerdem, so erinnerte Hildegard ihren Freund, war Alarik fast immer in der Nähe, genau so wie Sveas Familie. Diese zur Familie erweiterte Freundschaft, die sich aus ihrer gemeinsamen Zeit als Abenteurer ergeben hat, sollte immer Bestand haben. Und um sich dieses gegenseitig zu versichern, trank man noch ein, zwei weitere Biere darauf. Das was das Schicksal gefügt hatte, brachte so leicht nichts wieder auseinander, auch nicht nach ihrer aktiven Reisezeit.
 

Nach einem fröhlichen Abend mit den Jungs in der Taverne folgte ein gemütliches Frühstück mit Svea, der sie herzlich gratulierte, da sie nun ja offensichtlich Gewissheit hatte. Außerdem tauschten die beiden Frauen Informationen aus, was im Dorf vorgefallen war, nachdem die Geburtstagsgesellschaft aufgebrochen war. Wie erwartet hatte der Auftritt des Hegemons einen Eindruck hinterlassen, der nicht am nächsten Tag einfach verebbt war. Trotzdem schien alles soweit ruhig gewesen zu sein, als sich die Geburtstagsgesellschaft nach und nach verlief.
 

Nach dem verlängerten Frühstück brach die Geweihte mit vollgepackten Provianttaschen auf und setzte ihren Weg nach Malfori winkend fort. Man würde sie auf der Rückreise bereits wieder hier erwarten, der Abschied war nicht für lang. Ein weiterer Tag der sie näher nach Malfori bringen würde, breitete sich vor ihr aus. Weit kam sie allerdings nicht mehr.
 

Etwa einen halbstündigen Ritt später sprang ihr, in der Nähe eines kleinen Waldstücks bei Lur, ein aufgeregter Mann in den Weg, der hektisch von einer Reisegruppe und einem Verletzten erzählte. Sein Begleiter sei unterwegs vom Pferd gefallen und jetzt nicht mehr in der Lage weiter zu reiten. Als reisende Klerikerin war Hildegard ein absoluter Glücksfall für diese Männer und ihre Rettung.

Hildegard, ganz in ihrem Element als Heilerin, versprach ihre Reise kurz zu unterbrechen und sofort mitzukommen, um sich des Verletzten anzunehmen. Sie ließ sich auf dem Weg die Lage des Verletzten schildern und tappte völlig ahnungslos in eine Falle.

Denn in besagtem Waldstück wartete schon ein alter Bekannter auf sie. Der ehemalige Milizenführer hatte ein halbes Dutzend Briganten um sich geschart, allesamt feindselig dreinschauende Männer. In gekochtes Leder und lädierte Kettenrüstungen gehüllt und auf struppigen, aber dennoch stämmigen Pferden erwarteten sie die Klerikerin bereits.

Schon fast zwei Tage zuvor war sie einem Späher aufgefallen, als sie ihr Pferd Richtung Lur lenkte, obwohl man eigentlich ein anderes Ziel erwartet hatte.

Froh über diese glückliche Gelegenheit hatte Laszlo Anweisung gegeben der Frau zu folgen und sie beobachten zu lassen. Kurz darauf erhielt er bereits Berichte über ein Treffen von Hildegard mit einem Zwerg und einem kräftig gebauten Mann, mit denen sie offensichtlich vertraut war.

Als sie sich anschickte aufzubrechen, war der Späher augenblicklich umgekehrt um Bescheid zu gegeben. Die bereits kampfbereiten Männer hatten sogleich Stellung in besagtem Waldstück bezogen. An einer schlecht einsehbaren Weggabelung, welche von hohen Bäumen und dichtem Buschwerk verborgen wurde lauerten sie der Klerikerin auf.
 

Als sie vier der Reiter auf der Straße vor sich erblickte verlangsamte ihr Pferd seine Schritte. Ein mulmiges Gefühl überkam sie. Irgendein Instinkt schickte dringende Warnrufe. Das sollte die besagte Reisegruppe sein?

Doch als sie ein bekanntes Gesicht mit einem verschlagenen Lächeln in der Gruppe ausmachte, war es bereits zu spät um umzukehren. Sie zögerte den Bruchteil einer Sekunde und als in ihrem Rücken weitere Männer aus dem Wald traten wusste sie, dass sie damit die Gelegenheit sich mit Schutzzaubern zu belegen vertan hatte. Manchen Instinkten sollte man vielleicht doch trauen.
 

Sofort griff sie nach ihrem Schild, doch die Klerikerin bekam ihn nur halb zu fassen als der erste Angriff von einem Mann hinter ihr auf sie niedersauste. Sie konnte ihren Schild soeben noch zwischen sich und den Morgenstern ihres Angreifers bringen. Die Dornen der Waffe durchschlugen die Oberfläche des Schildes begleitet von einem stumpfen Geräusch und hätten sich wohl in Hildegards Arm gebohrt, wären sie nicht im zähen Kern ihres Schildes hängen geblieben. Dennoch war die Wucht des Schlages so groß, dass sie den Halt um den Griff des Schildes verlor und dieser ihr durch die Finger glitt. Ohne mit der Wimper zu zucken konnte sie jedoch nachgreifen und fing den Schild auf, diesmal sogar mit der Hand da wo sie hingehört. Ihr Pferd wieherte und machte Anstalten zu bocken, doch sie behielt es unter Kontrolle, konnte es sogar herum lenken und sich seitlich zur Straße stellen, sodass sie keinen Feind mehr im Rücken hatte. Von ihrer schnellen Reaktion überrascht zögerte ihr Angreifer einen Moment, was Hildegard die Gelegenheit gab, mit einem Stoßgebet an Sehanine eine spirituelle Waffe herauf zu beschwören. Unter verheißungsvollem Knistern manifestierte sich ein schwebender Kriegshammer, der sich sogleich gegen die Männer wandte. Die Klerikerin hatte schnelle Reflexe und war trainiert dafür mit Waffen und Magie zeitgleich zu Kämpfen, sollten es Situationen wie diese erfordern.
 

Hatte ihr dieses Manöver ein wenig Luft verschafft musste sie jedoch erkennen, dass sie nun den Wald in ihrem Rücken hatte und die Reiter sie nun einkreisten. In die Ecke gedrängt und gegen eine Übermacht kämpfend weigerte sie sich jedoch aufzugeben. Hildegard konnte nur erahnen was sie von ihr wollten und genaueres herauszufinden versprach auch nicht ungefährlicher zu sein als zu kämpfen. Hildegard biss die Zähne zusammen. Die nächsten möglichen Schritte jagten wie ein Strom durch ihren Kopf und plötzlich fühlte sich alles andere ungewöhnlich kühl und langsam an.
 

Die Männer die zuvor vor ihr gestanden hatten gaben ihren Pferden die Sporen und stürmten auf sie zu. Bevor sie die Klerikerin erreichen konnten, hatte diese einen weiteren Zauber gesprochen. Ein gleißendes Licht schleuderte sich ihnen entgegen und blendete sie, sodass sie in ihrem Ansturm gebremst wurden und strauchelten, einer fiel getroffen von seinem Ross. Während dessen hieb Sehanines heiliger Hammer auf die Männer zu ihrer linken ein und beschäftigte diese.

Doch die Geweihte konnte die Übermacht die ihr gegenüberstand nicht ewig hinhalten. Mittlerweile hatte sie ihren eigenen Kriegshammer gezogen und erwehrte sich der Angreifer die ihr entgegentraten. Der Mann mit dem Morgenstern war nachgerückt und behakte sie weiter. Mit jedem Schlag den er auf ihren Schild niedergehen ließ stieß er ihr einen barbarischen Schrei und einen ganzen Schwall von Speichel entgegen. Sie spürte ihren Arm unter den stetigen Schlägen der schweren Waffe schmerzen und müde werden. Die Erschütterungen zogen wie Blitze durch ihren Körper. Und die Umgebungsgeräusche bestanden nur noch aus dem Schnauben der Pferde und der Männer und dem Klang von Waffen und Schilden die gegeneinander prallten.

Hildegard hatte nicht die Kraft und Ausdauer um ihre Gegner zu überkommen. Irgendetwas musste geschehen, jetzt, sie musste jetzt etwas tun, bevor es zu spät wäre.

Als sich die Dornen des Morgensterns wieder einmal in ihren Schild bohrten riss sie diesen plötzlich zur Seite, ihr Gegenüber hatte nicht damit gerechnet, die Waffe entglitt seinem Griff und landete im Grün. Doch in dem Augenblick indem sie ihren Schildarm entblößte stieß ein anderer Reiter mit seinem Speer zu. Die Spitze bohrte sich von unten zwischen zwei Schuppen ihrer Rüstung und ihr Oberarm krampfte unter einem heißen Brennen. Entfernt meinte sie ihre eigene Stimme kurz gehört zu haben.

Während sie aushielt teilte der von ihr beschworene Kriegshammer weiter Schläge aus. Einmal änderte er in letzter Sekunde die Richtung und erwischte einen Briganten am Kopf. Ein grobes Knacken verkündete, dass ihn der Hammer nicht nur gestreift hatte. Der helle Stoff der Polsterung unter seiner Kettenhaube verfärbte sich langsam rot und er fiel aus dem Sattel.

Die Männer die Hildegard geblendet hatte erholten sich langsam und sie sah sich immer mehr Angreifern gegenüber. Mit einem glücklichen Schlag ihres Kriegshammers gelang es ihr einem der Reiter einen kräftigen Treffer auf die Brustplatte zu setzen. Laszlo der gerade selbst zum Schlag ausholen wollte wurde von diesem verzweifelten Angriff dermaßen überrascht, dass ihm der Atem wegblieb und es ihn von seinem Pferd direkt auf den harten Waldboden beförderte.

Der Schmerz und die Müdigkeit in Hildegards Schildarm forderten jedoch ihren Tribut, sie konnte den schweren Schild den Dvalinn ihr angefertigt hatte nicht länger hochhalten. Weiterhin Schläge mit ihrer Waffe austeilend wich sie langsam zurück und breitete sich darauf vor eine größere Menge an Magie aufeinmal einzusetzen. Ein Angriff der die Gegner zumindest so lange aus dem Konzept bringen sollte, dass sie einen Vorteil herausschlagen könnte.

Hildegard atmete ein und plötzlich verlor sie das Gleichgewicht, ihr Pferd stolperte und fiel. Ein stechender Schmerz durchbohrte die rechte Seite ihrer Hüfte; irgendein Ast war gesplittert und hatte sich in ihr Fleisch gebohrt. Atemlos zwang sie sich aufzustehen. Sie könnte sich ins Unterholz schlagen und versuchen ihnen zu entkommen. Doch es wäre nur eine Frage von Minuten bis sie sie hätten, sie waren in der Überzahl und sie war verletzt.

Verzweifelt erhob sie ihren Kriegshammer zur Parade, ihre Schildseite wurde von den Überresten einer alten toten Eiche gedeckt.

Zwei Männer sprangen von ihren Pferden und umliefen sie um ihr in den Rücken zu fallen. Sie wehrte weitere Schläge ab spürte aber mit jedem, wie ihre Kräfte zunehmend schwanden und die Schmerzen nun auch in ihrem Waffenarm immer unerträglicher wurden. Warum war sie nur so schwach? Umso länger der Kampf dauerte, umso hoffnungsloser sah es für sie aus, darüber machte sich Hildegard keine falschen Illusionen. Sie biss die Zähne zusammen und hielt innerlich fluchend durch. Aufgeben war auf keinen Fall eine Option. Auch wenn sie nur eine einzelne, körperlich leider unterlegene Frau war, sie war immer noch ausgebildete Klerikerin und hatte göttlichen Beistand. Irgendwie musste es noch Möglichkeiten geben. Sie versuchte sich unter der Deckung auf die Heilung der schlimmsten Verletzungen zu konzentrieren, als die Männer die sie umlaufen hatten ihren Rücken erreichten. Mit überbordendem Lebenswillen der in den glühenden goldenen Augen lag, richtete sie ein Stoßgebet an die Mondgöttin, vor ihren Augen färbte sich die Welt in leuchtendere Farben. Doch dieses flammende Gefühl endete zusammen mit dem Gebet frühzeitig, als der Schlag einer Keule auf ihren Hinterkopf sie ins Reich der Schwärze beförderte, während sie sich mit verzweifelter Kraft gegen einen Angriff von vorne verteidigen musste. Die Geweihte lag still und reglos auf dem Boden, alle Zauber erloschen.

Kurze, angespannte Stille und dann ging ein Gefühl des Triumphs durch die Truppe, die sich zum Teil heftig angeschlagen der verzweifelten Angriffe der Klerikerin hatten erwehren müssen, bis Laszlo seine Männer zurechtwies. „Nun stellt euch mal nicht so an, ihr Memmen! Wie wollt ihr es bitte mit dem Zwerg aufnehmen, wenn ihr euch schon bei der Frau anstellt wie ein Haufen aufgescheuchter Hühner?“

Ein wenig ernüchtert sahen die Männer einander an. „Und jetzt? Ist sie tot?“ „Nein, sie lebt noch, glaube ich. Ist nur Bewusstlos das Weib.“, stellte einer von ihnen fest, der sie vorsichtig mit der Stiefelspitze zur Seite kippte, um ihr ins Gesicht sehen zu können. „Na los, dann runter mit der Rüstung du Idiot! Und direkt Fesseln und Knebeln, das Weib ist eine üble Hexe.“

„Und was machen wir mit Lero? Hat sich wirklich von der Frau den Kopf einschlagen lassen...“

„Der Hund... wir können ihn nicht liegen lassen, dann fällt alles auf. Aber wie schleppen wir zwei unauffällig am helllichten Tag mit?“ „Na los, ausziehen! Wir packen nur die Rüstung und alle Wertgegenstände ein! Dann kann keiner eine Verbindung zu uns ziehen. Und Überfälle kommen halt vor. Und im nächsten Dorf wird wohl irgendwer einen Wagen haben.“

Gesagt, getan, alle Männer fügten sich den Worten Laszlos und man folgte bis zum Einbruch der Dunkelheit nur den einsamsten Schleichwegen bis zur nächsten Siedlung, wo man unauffällig einen Karren stahl, auf den die noch immer bewusstlose Klerikerin verfrachtet wurde. Alles was potentiell gefährlich sein könnte hatte man ihr abgenommen und bewahrte es vorsichtshalber nicht auf dem Wagen auf. Hildegard trug lediglich noch ihre Kleidung am Leibe, keine Rüstung und keine Waffen. Selbst das heilige Symbol ihrer Gottheit und den Schmuckgürtel mit den Drachenapplikationen hatte man ihr mitsamt den Gürteltaschen entwendet und nicht nur der obligatorische Stiefeldolch fehlte, sondern direkt die kompletten Stiefel.

Gefangenschaft

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