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Lost Future - Dark Paradise?

Same as it never was...
von

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Raph 29
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Last life in ruins...

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Day of mourning...

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New hope

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Alone in this world?

10 Jahre später - Oktober…
 

Gedankenverloren gleitet er mit der Zunge über den Rand des hauchdünnen Papierstreifens. Der schale Geruch alten Tabaks steigt ihm dabei in die Nase und kitzelt ein leises Verlangen in ihm wach. Noch vor ein paar Jahren hätte er nie gedacht, dass er sich das Rauchen einmal angewöhnen würde. Splinter hätte ihm schon allein für den Gedanken die Hölle heiß gemacht. Mit einem melancholischen Lächeln rollt er die Zigarette zusammen und denkt dabei an seinen verstorbenen Meister. Splinter war immer der Ansicht, dass Alkohol und Drogen nichts für einen Ninja sind. Damit hatte er vermutlich auch Recht, aber wenn man es genau nimmt, sind solche Dinge für niemanden eine gute Wahl. Im Hause Hamato waren sie streng verboten. Nicht einmal Bier oder alkoholhaltige Pralinen waren erlaubt. Umso mehr hat Raph die Abende genossen, an denen er mit Leo um die Häuser ziehen konnte. Dort konnten sie sich mal ein Bier oder ein paar Drinks gönnen und solang sie nicht betrunken nach Hause gekommen sind, war alles in Ordnung. Splinter fand es zwar nicht schön, zu wissen, dass seine Jungs getrunken haben, aber verboten hat er es ihnen nicht.
 

Wahrscheinlich aber auch nur aus dem Grund, dass sie es nicht Zuhause gemacht haben und auch nie mehr als angeheitert zurückgekehrt sind. Gut kann sich Raphael noch daran erinnern, wie er mit Leo zusammen an der Bar gesessen und sie sich gegenseitig aufs Korn genommen haben. Nüchtern war Leonardo so schrecklich empfindlich wenn man ihn geärgert hat, doch nach einem Bier hat er schon genauso fiese Worte gebraucht, wie es sonst Raphael eigen war. Es war herrlich und sie haben sich oft stundenlang so blöd angemacht und gelacht. Keiner der anderen Gäste schien zu verstehen, wie die beiden Jungs so mit einander umgehen können, ohne sich gegenseitig an die Gurgel zu springen. Blanke Ironie, dass sie das immer den Rest des Tages getan haben. Leo in diesen Momenten so locker zu erleben, war immer etwas ganz besonders für den Saikämpfer. Nur da schien er zu merken, dass sie Brüder sind, da sie sonst so grundverschieden waren, dass es schwer zu glauben war, dass sie dieselben Eltern gehabt haben sollen. Was würde er jetzt dafür geben, mit Leo ein Bier trinken zu können. Doch nach über zehn Jahren ist alles Bier schal, ungenießbar oder längst getrunken. Und über seinen ehemaligen Leader will er gar nicht erst nachdenken.
 

Langsam reißt er ein Streichholz an der Lehne des Throns an und hält es an die Spitze der Zigarette. Verträumt saugt er den Rauch ein, spürt wie er sein Hirn vernebelt und bläst ihn wieder aus. Das zartgraue Wölkchen schwebt einen Moment vor seinem Auge und verteilt sich dann unbemerkt in dem großen Saal. Wirklich schmecken tut ihm das Zeug nicht, auch nicht nach all der langen Zeit, doch irgendwie befreit es seine Gedanken und beruhigt ihn auf seltsame Weise. Wenn Splinter das gewusst hätte, hätte er ihm das Rauchen dann wohl gestattet? Schmunzelnd schüttelt er den Kopf. Nein, mit Sicherheit nicht. Doch nun kann der Meister es dem Schüler nicht mehr verbieten. Und selbst wenn er es versuchen würde, ist Raph immerhin schon fast dreißig und muss sich solche Tadeleien ja nicht mehr unbedingt gefallen lassen. Dennoch würde er es ihm zu liebe sofort wieder aufgeben. Es ist fast fünf Jahre her, seit er es sich angewöhnt hat, dennoch hat er es nie geschafft mehr als sechs Stück davon an einem Tag zu vernichten. Hauptsächlich benutzt er sie zum Nachdenken oder um sich für etwas zu belohnen, dass er nach langer Zeit geschafft hat.
 

Da alles aber nur sehr schleppend vorangeht, gibt es nicht allzu viele Augenblicke um sich zu belohnen, daher dient sie ihm wirklich mehr als Denkanstoß und um runterzukommen. Mit leerem Blick macht er einen weiteren Zug und verzieht dabei leicht das Gesicht, als sich der bittere Geschmack in seinem Mund ausbreitet. Kurz darauf strömt der Rauch durch seine Nase in die Freiheit und ist vergessen. Der Rote kann sich noch sehr gut an seinen ersten Versuch erinnern. Damals tränte ihm höllisch das Auge und ihm war so schlecht, dass er sich mehrmals übergeben musste. Dennoch hat er es wieder versucht und dann ging es auch. Gedanken hat er sich deswegen nicht gemacht. Früher, in einer anderen Zeit und einer Welt, die längst vergangen ist, hatte er allerhand Freunde, die geraucht haben und daher wusste er, dass vielen beim ersten Mal schlecht wird. Das gehört einfach dazu, wenn man seinen Körper überzeugen will, Gift zu schlucken. Früher oder später akzeptiert er es und wird süchtig. Doch trotz seines Kummers und allem um sich herum, schien Raph nie süchtig nach diesen Dingern zu werden. Fragt sich nur ob er sich darüber freuen soll oder nicht…
 

Sie halfen ihm über nichts hinweg und sie haben ihm auch keinen Trost gespendet. Allerdings erzeugen sie dieses leichte Gefühl in seinem Kopf, das ihm beim Denken hilft und das genügt ihm vollkommen. Lässig klemmt sich der Saikämpfer die Kippe zwischen die Lippen und steht auf. Er verschränkt die Hände hinter dem Rücken und schlendert qualmend wie eine kleine Lock, zu dem großen Fenster hinüber. Durch die Scheibe kann er beobachten, wie Chen die Foot-Ninja trainiert. Sie können ihn jedoch nicht sehen, wie er erfreut festgestellt hat, da das Glas nur auf einer Seite durchlässig ist und auf der anderen aussieht wie ein gewaltiger Spiegel. Durch ein Mikrofon, das in die Wand eingelassen ist, kann Raph ihre Gespräche mit anhören oder sie zu sich rufen. Doch im Moment genügt es ihm, dem komischen Treiben beizuwohnen. Chen ist ein ganz ausgezeichneter Lehrer, was wohl auch daran liegt, dass sein ursprünglicher Berufswunsch eigentlich Lehrer war. Nur hätte er Japaner nie gedacht, dass er mal Ninjutsu statt amerikanischer Gesichte unterrichten würde. Trotz allem scheint er aber sehr zufrieden mit seiner Arbeit zu sein.
 

Er legt unendlich viel Geduld an den Tag, um seinen ungeschickten und oftmals sehr unmotivierten Schülern die Techniken beizubringen. Man sieht ihm nur zu gut an wie mühsam und kräfteraubend das Ganze ist, dennoch verliert er nie die Beherrschung. Raph hat noch nicht mal erlebt, dass Chen irgendwann mal laut geworden und einen von ihnen bestraft hätte. Seine Ruhe ist echt beneidenswert, dennoch wär sie überhaupt nichts für den Rüstungsträger. Er befürchtet, dass Chen all seinen Ärger einfach in sich hineinfrisst und er irgendwann explodieren wird. Ein leichter Schauer läuft ihm über den Rücken. Der Schwarzhaarige kann auch ganz anders, das hat er immerhin am eigenen Leib erfahren, als er von ihm angegriffen wurde. Der Ältere hat eine dunkle Seite an sich, die er bestens zu verstecken weiß und das macht Raphael schon manchmal Sorgen. Der Gedanke löst leichtes Misstrauen in ihm aus, weiß Chen doch mehr über ihn als alle anderen hier zusammen. Stumm mustert er die gut fünfzig vermummten Gestalten, die sich um den Japaner scharen und versuchen seine Übungen zu begreifen.
 

Mittlerweile sind sie vollständig und Raph denkt nicht, dass es nötig ist noch mehr Leute zu rekrutieren. Sollten sich weitere Männer freiwillig melden, bitte. Sollen sie es tun. In den Augen ihres Führers sind sie mehr als genug. Schließlich sind sie nicht mehr im Krieg und er braucht keine tausend Mann starke Armee um sich horten. Je mehr Soldaten es werden, desto unwohler fühlt sich Raph in ihrer Gegenwart. Die einstigen Foot-Ninja sind längst dahingeschieden. Eine Sache, um die sich Chen diesmal allein gekümmert hat. Raph hat ihm lediglich gesagt, dass er sie loswerden soll. Wie, spielte dabei keine Rolle, nur sollten sie nicht die Möglichkeit haben, zurückzukommen oder sich gegen sie zu stellen. Der junge Mann hat das Ganze ziemlich schnell erledigt und Raph weiß bis heute nicht wie. Doch er hat einen seltsamen Glanz in diesen grauen Augen gesehen, der ihm gezeigt hat, dass alle Foot das Zeitliche gesegnet haben und ihr Mörder nicht gerade Reue für seine Tat empfindet. Ganz anders Raph, den es schon fertig gemacht hat, nur einen von ihnen zu töten, ohne das er es eigentlich wirklich wollte.
 

Chen schien damit keinerlei Problem zu haben. War das Ganze für ihn vielleicht einfach nur die Erfüllung eines Befehls? Leicht schüttelt der Rothaarige den Kopf, um diesen Gedanken loszuwerden. Der andere wirkt so sanftmütig, dass es einem schwer fällt, etwas anderes zu glauben und doch ist es so. Ein ungutes Gefühl, dennoch würde Raph niemandem mehr Vertrauen schenken als ihm. Warum weiß er selbst nicht genau. Irgendetwas tief in ihm sagt ihm, dass es das Richtige ist. Stumm betrachtet Raphael die beinahe kläglich wirkenden Versuche seiner neuen Soldaten. Es sind alles Flüchtlinge, die er in den letzten zehn Jahren aufgenommen hat. Die jungen Männer, die hier ihr Glück versuchen, sind früher entweder bei der Army gewesen, bei den Mariens oder haben Kraftsport gemacht. Alle vertraut mit hartem Training und bereit für ihr Land zu kämpfen. Dennoch traut er ihnen nicht so über den Weg wie er es bei Chen macht. Viele von ihnen kannten den alten Shredder und waren nicht gerade begeistert von ihm. Andere hatten schon damals den Wunsch mal in seiner Truppe mitkämpfen zu dürfen.
 

Nun haben sie die Möglichkeit, aber der einstige Shredder ist nicht mehr da und das frustriert die Männer. Raph ist schließlich kein Vergleich zu dem gefallenen Tyrannen. Klar versucht sich Raphael möglichst hart zu geben und ihnen Angst zu machen, dennoch fällt es ihm schwer. Schließlich will er sein Selbst nicht verlieren und erneut in diese Tiefe abdriften. Dies hat aber zur Folge, dass nicht alle seine Männer so loyal sind wie er es sich wünscht. Daher kann er ihnen nicht sein völliges Vertrauen schenken und ist froh, dass sie für ihn nichts weiter als namenlose, wandelnde Schatten sind. In den letzten Jahren ist viel passiert. Das alte Krankenhaus wurde so gut es geht saniert und zu einer Unterkunft umgebaut. Man könnte sie jetzt wohl mit einer Art Studentenwohnheim oder so vergleichen. Es gibt unzählige Zimmer, in denen zu meist zwei bis drei Leute ihre Schlafplätze haben. Es gibt eine große Küche, in der ganz spartanisch mit Holz, Kohle oder Gas gekocht wird. Jede Menge Lagerräume stehen zur Verfügung und es gibt eine behelfsmäßige Krankenstation. Insgesamt wohnen dort an die fünfhundert Menschen jeden Alters und jeder Herkunft.
 

Damit ist das Krankenhaus mehr als ausgelastet und sie sind bereits dabei, einen Anbau zu planen. Die neuen Foot wohnen hier im Bunker, so wie es die alten getan haben. Je nach Erfahrung und Qualifikation hat jeder der Flüchtlinge eine bestimmte Arbeit. Meistens richtet es sich danach, was sie früher einmal gemacht haben. Wer schon mal auf dem Bau zu tun hatte, hilft nun dabei, neue Unterkünfte zu errichten, was einen Großteil der Leute ausmacht. Kinder und alte Leute sind von dieser Arbeit entbunden. Dennoch machen auch sie sich nützlich, wenn sie körperlich in der Lage dazu sind. So helfen sie beim Waschen, Kochen oder bei Feldarbeiten. Sie unterrichten die Jüngeren und helfen einander. Zu Raphaels größter Freude zählen drei Flüchtlinge, die erst letzten Monat angekommen sind. Zwei Krankenschwestern und ein Tierarzt. Die Schwestern kümmern sich um die Alten und vor ein paar Tagen ist es ihnen auch gelungen, einer Frau bei der Geburt ihres ersten Kindes zu helfen. Ein sehr gutes Zeichen in den Augen des Roten. Die letzten Frauen, die schwanger waren, haben entweder ihr Kind bei der Geburt verloren oder sind selbst gestorben.
 

Ein schwerer Schlag, doch nun besteht endlich Hoffnung die Zivilisation wieder aufzubauen! Der Tierarzt tut sich noch etwas schwer mit seiner Arbeit. Viele Tiere zum Behandeln gibt es hier nicht. Gut, sie versuchen hier Schweine, Hühner und auch Kühe zu halten, aber die Tiere brauchen eher selten einen Arzt. So besteht seine Hauptaufgabe darin, sich um die Verwundeten zu kümmern. Seien es nun neue Flüchtlinge oder Foot-Ninja. Dies behagt ihm gar nicht, da der menschliche Körper doch ganz anders zu behandeln ist wie der eines Tieres. Ihm graut es davor irgendwann an den Punkt zu gelangen, an dem er jemanden operieren muss. Ganz zu schweigen davon, dass ihm nicht nur viel Wissen sondern auch die nötigen Maschinen fehlen. Die Foot haben zwar allerhand zusammengetragen, doch es wird wohl kaum für eine lebensrettende Operation reichen. Das Meiste wurde im Krieg eh zerstört. Das einzig wichtige Gerät, das sie hier für die Behandlung haben, ist eine Herz-Lungen-Maschine. Doch was soll man mit den Anzeigen anfangen, wenn man sie nicht ändern kann? Natürlich gibt es hier auch allerlei Medizin, zumindest welche, mit einem langen Haltbarkeitsdatum.
 

Das Meiste ist jedoch über die Jahre längst unwirksam geworden. Die Dosen für Menschen und Tiere unterscheiden sich zudem auch rapide. Und nicht alles was für Tiere gut ist, ist es auch für Menschen. So etwas wie Narkosemittel gibt es hier nicht. So müsste eine OP ohne sie durchgeführt werden. Dem Arzt graut es davor, zu groß ist seine Angst, jemanden umzubringen statt ihm zu helfen. Raph hat ihm jedoch klargemacht, dass er ihre einzige Hoffnung ist, bis sie eines Tages vielleicht einen richtigen Arzt und bessere Geräte finden. Und damit war die Diskussion beendet. Noch immer liegt die Stadt in Trümmern und die Aufräumarbeiten gehen nur sehr langsam voran. Es ist wichtiger sich um die geretteten Leute zu kümmern, als den Schutt wegzuräumen. Zudem fehlen ihnen jede Menge Wissen und Maschinen, was die Arbeit erheblich ins Stocken bringt. Wenn man all diese kleinen und großen Tragödien wegnimmt, ist Raph aber schon ziemlich zufrieden mit dem, was sie in den letzten Jahren gemeinsam auf die Beine gestellt haben. Und je mehr Leute hierher kommen, desto leichter wird es!
 

Am Abend – Kilometer entfernt…
 

Langsam senkt sich die Sonne am Horizont und hüllt Manhattan allmehlig in den Schleier ein, der die bevorstehende Nacht ankündigt. Der Tag war angenehm warm und klar. Doch jetzt, Ende Oktober, werden die Nächte nach und nach immer kühler und kündigen den nahenden Winter an. Schon in zwei oder drei Wochen könnte der erste Schnee fallen, aber noch scheint diese Tatsache weit entfernt. Allerdings ist das Wasser des East River schon gefährlich kalt und nicht mehr zum Schwimmen geeignet. Umso mehr verwundert es einen, zu sehen, wie in der aufkeimenden Dämmerung hektisch Blasen vom Grund aufsteigen. Diese Blasen treiben in einem Nebenarm des East Rivers, genannt Bronx Kill. Der Name klingt nicht sonderlich einladend und dass soll er auch nicht unbedingt. Dieser schmale Zulauf, der Port Morris und die Insel Randall´s Island voneinander trennt, hat eine besonders tückische und starke Strömung und hat damit schon viele Schiffe in ihr feuchtes Grab geschickt. Der einzige noch intakte Anleger der Insel erhebt sich als dunkles Gebilde vor dem Sonnenuntergang und genau vor ihm steigen die ganzen Blasen auf.
 

In dem aufgewühlten Wasser erscheinen immer mehr Blasen, die mit leisem Klang zerplatzen. Es sieht aus, als wäre dort etwas versunken und all die Luft entweicht nun. Oder als würde jemand kurz vor dem Ertrinken stehen und verzweifelt versuchen sich an die Oberfläche zu kämpfen. Langsam erhebt sich ein dunkler Schatten vom Grund des Wassers und nähert sich der Oberfläche. Dabei werden die Blasen noch einmal stärker und wühlen das kalte Blau noch mehr auf. Momente später stößt eine Hand aus den Fluten und sucht verzweifelt nach einem Halt. Eine zweite Hand gesellt sich dazu und kurz darauf taucht auch ein Kopf auf. Heftig nach Luft schnappend und mit weit aufgerissenen Augen rudert die Gestalt mit den Armen. Das blonde Haar hängt dem Jungen tropfend ins Gesicht und versperrt ihm fast die Sicht. Er mag kaum älter als sechzehn sein, sieht jedoch in seiner Panik wie ein kleines Kind aus. Hilflos strampelt er näher an den Anleger heran und versucht sich daran festzuhalten. Das Holz ist dick mit Moos und Algen überwachsen und so rutschig wie poliertes Eis. Verzweifelt klammert sich der Junge fester daran.
 

Genau in diesem Moment gibt der Pfahl nach und bricht zusammen. All die Jahre, in denen sich niemand um ihn gekümmert hat, haben ihm schwer zugesetzt. Mit lautem Klatschen schlägt er neben dem Jungen ins Wasser und zerfällt dabei wie trockener Sand. Der blonde Junge verliert dadurch das Gleichgewicht und versinkt für einen Augenblick erneut im Wasser. Als er wieder auftaucht, kann er noch sehen wie der gesamte Anleger auseinanderbricht und ins Wasser stürzt. Das aufschlagende Holz erzeugt in der aufgewühlten See einige große Wellen, die den Jungen ein weiteres Mal unter Wasser drücken. Atemlos und völlig kraftlos taucht er wieder auf und versucht sich oben zu halten. Den Tränen nahe betrachtet er die hölzernen Reste des Anlegers, die von den Fluten in den East River hinaus gesogen werden. Die Strömung zieht heftig an ihm, doch er weiß beim besten Willen nicht wie er an Land kommen soll. Verzweifelt blickt er sich um. Alles was er sieht ist eine hohe Betonmauer, die die Insel an dieser Seite begrenzt. Der Anleger war an dieser Stelle der einzige Zugang zum trockenen Land. Entkräftet schwimmt der Junge zur Mauer hinüber, doch sie ist viel zu glatt und zu hoch, um an ihr hinaufzuklettern.
 

So wird er also keinesfalls nach oben kommen. Fieberhaft denkt er nach, während er große Mühe hat sich über Wasser zu halten. Er hat einfach keine Kraft mehr und ihm ist so schrecklich kalt. Seine Füße sind schon ganz gefühllos und seinen Fingern geht es nicht viel besser. Er könnte um Hilfe rufen, doch dieser Gedanke kommt ihm gar nicht erst. Nein, kein einziger Gedanke durchströmt seinen Kopf. Er scheint vollkommen leer zu sein. Keine Gedanken, keine Erinnerungen und auch keine Ideen. Er weiß nicht, wer er ist und er weiß auch nicht wie er hier ins Wasser kommt. Er weiß nicht einmal wo er hier überhaupt ist. Das einzige was er weiß ist aber, dass er schnell aus dem verfluchten Wasser raus muss, bevor er noch erfriert oder ertrinkt! Langsam gleitet seine eine Hand an seiner Hüft hinab und ertastet dort einen Gegenstand. Kann er ihm wohlmöglich helfen hier rauszukommen? Hoffnungsvoll holt er ihn an die Oberfläche und betrachtet ihn. Mit gerunzelter Stirn starrt er das Ding an und kann sich dennoch nicht erklären was es darstellen soll. Dennoch liegt es irgendwie so vertraut und gut in seiner Hand, fast als wäre es ein Teil von ihm.
 

Bei dem Gegenstand handelt es sich um einen rundgeschliffenen Holzstab, an dessen einem Ende eine lange Metallkette befestigt ist. Am Ende der Kette befindet sich ein zylindrisches Gewicht. Am anderen Ende des Stabes springt eine gebogene Klinge heraus. Scharfgeschliffen glänzt sie im letzten Licht des Tages. Allerdings kennt er weder den Namen dieses seltsamen Gebildes, noch weiß er, dass es sich um eine Waffe handelt. Eine Waffe, mit der er schon sein Leben lang trainiert hat, unzählige Kämpfe bestritten und dessen Benutzung ihm sogar im Schlaf gelingt. Er weiß nichts. Doch tief in seinem Inneren hört er eine leise Stimme, die ihm sagt wie er sie benutzen muss. Es kommt einem Reflex gleich und seine Bewegungen sind so geschmeidig, als hätte er nie etwas anderes getan. Geschickt lässt er die Klinge an der Kette über seinem Kopf kreisen und wirft sie dann in einer fließenden Bewegung an der Mauer empor. Trotz dieser tiefverwurzelten Geschicklichkeit staunt er nicht schlecht, als die gebogene Klinge über die Mauer fliegt und sich dort verkeilt. Prüfend ruckt er mehrfach an der Kette, doch sie scheint zu halten.
 

Der Blonde sammelt all seine Kräfte zusammen und zieht sich langsam an der Kette hinauf. Auf dem feuchten Beton finden seine blanken Füße kaum einen Halt. Dennoch gibt er nicht auf. Sein Körper scheint eine Tonne zu wiegen, als er endlich den oberen Rand der Mauer erreicht. Kraftlos lässt er sich auf der anderen Seite auf den Boden fallen und bleibt dort japsend wie ein Fisch auf dem Trockenen liegen. Inzwischen ist die Sonne vollständig verschwunden und die Temperatur um mehrere Grad gefallen. Der Mond wirft sein kaltes Licht auf ihn und lässt ihn erzittern. Er friert ganz entsetzlich. Schwach richtet sich der Junge auf und versucht so viel Wasser wie möglich aus dem zerschlissenen, grünen Overall und dem orangen Shirt, das er trägt, auszuwringen. Er schüttelt seinen Kopf und ein Regen aus tausenden Tröpfchen verteilt sich in der Nacht. Die Sachen, die er trägt, sind an vielen Stellen zerrissen. Schuhe hat er keine, dafür entdeckt er an seinen Hüften noch mehr seltsame Gegenstände. Sie sind ihm ebenfalls fremd, obwohl er auch mit ihnen aufgewachsen und trainiert hat. Doch die Erinnerung daran hat er nicht mehr.
 

Gedankenverloren tapst er an die Mauer heran und blickt auf das weite, dunkle Wasser hinaus. Wild bricht sich die Strömung am Beton und die Wellen machen dabei klatschende Geräusche. Außer den tosenden Fluten sieht er nichts und sonst scheinen auch keine Geräusche zu herrschen. Alles kommt ihm so fremd vor. Hat das Gewässer einen Namen und wenn ja, welchen? Was ist das hier für eine Insel, falls es überhaupt eine ist? Langsam dreht er sich um und blickt auf den kleinen Hafen. Viel ist von ihm nicht übrig geblieben. Andererseits war diese Anlegestelle nie ein richtiger Hafen gewesen. Hier tauten hauptsächlich kleine Freizeit- oder Sportboote an. Früher war mehr als die Hälfte von Randall´s Island mit Vegetation bedeckt. Ein großer Park direkt am Wasser zählte zu den beliebtesten Plätzen. Dazu kamen großen Tennis- und Sportanlagen, die sich über weite Teile der Insel zogen. Gebäude gab es nicht viele und wenn waren es verschiedene Ausbildungsbehörden, zum Beispiel für die Feuerwehr oder Pflegepersonal. Da ist es kaum verwunderlich, dass der blonde Junge nichts weiter als Grün vor sich sieht.
 

Mannshohes Gras bildet den Großteil des Anblicks. Es gibt nur wenige Bäume, da die meisten im Krieg verbrannt sind. Die wenigen, die jetzt wieder gewachsen sind, haben es schwer sich Gras und Sträuchern gegenüber zu behaupten. Der Blauäugige fühlt sich verloren und einsam, als würde er in einem Dschungel feststecken. Nirgends ist ein Licht auszumachen. Doch wenn irgendwo Menschen leben, müsste es doch auch Licht geben. Erst recht wo die Sonne gerade erst untergegangen ist. Er versteht nicht, was eigentlich los ist. Sein Kopf ist so schwer und pocht unaufhörlich. Kein einziger Gedanke möchte sich darin formen, um ihm auch nur eine seiner Fragen zu beantworten. Ein heftiger Windstoß fegt über ihn hinweg und lässt ihn erzittern. Es wird sehr kalt und er ist immer noch ganz nass. Müdigkeit zerrt heftig an ihm. Er muss sich dringend einen Platz für sich Nacht suchen. Auf wackligen Beinen macht er sich auf den Weg. Vor ihm erstreckt sich schier endloses Grün, durch das er sich mühsam hindurch kämpft. Es kommt ihm so vor, als würde diese grüne Wand niemals enden. Dann stolpert er plötzlich über einen Stein und fällt auf die Knie.
 

„Verdammt…“, platzt es mit brüchiger Stimme aus ihm heraus. Dann verstummt er auf einmal und blickt sich mit großen Augen um. In der immer mehr zunehmenden Dunkelheit erblickt er vor sich tatsächlich eine Straße. Der Mond kommt hinter einer Wolke herauf und schenkt ihm etwas Licht. Sein kindlich wirkendes Gesicht hellt sich sichtbar auf, als er den kratzigen Asphalt unter seinen Fingern spürt. Glauben kann er es noch nicht ganz. Doch es ist wahr! Er hat wirklich eine richtige Straße gefunden und wo eine Straße ist, da sind ganz bestimmt auch Menschen! Neue Hoffnung keimt in ihm auf. Und nun, da der Mond scheint, kann er in einiger Entfernung sogar ein Gebäude erkennen. Doch irgendetwas stimmt damit nicht. Er braucht eine Weile bis er merkt, was es ist. Dann jedoch trifft es ihn schwer. Das Gebäude ist völlig zerstört! Was ist hier passiert? Ziellos blickt er sich weiter um. *Er steht langsam auf. Seine Beine fühlen sich schwer an, sein Magen fühlt sich schwer an. Nur sein Kopf fühlt sich merkwürdig leicht an; ein mit Gas gefüllter Ballon, der an einem Bleigewicht gefesselt ist. Er ertrinkt plötzlich in Einsamkeit, leidet unter dem hellen und trotzdem bedrückenden Bewusstsein, ein Lebewesen zu sein, das von seinesgleichen verstoßen wurde.
 

Tränen laufen ihm heiß an den Wangen hinab und er schlingt zitternd die Arme um seinen Körper. Schluchzend geht er weiter, immer auf der Suche nach anderen Menschen und einen Platz zum Schlafen. Nach und nach versiegen seine Tränen wieder und sein Blick wird klarer. Unweit kann er ein weiteres Gebäude erkennen. Mit wenig Hoffnung nähert er sich. Es ist weit weniger zerstört wie das andere, doch das macht es nicht unbedingt besser. Niemand ist hier, er ist und bleibt völlig allein. Doch er kann nicht mehr weiter. Alles schmerzt und er ist so schrecklich müde. Vorsichtig betritt er das alte Gebäude, das vor vielen Jahren einmal der New Yorker Feuerwehr als Trainingslager gedient hat. Als sich der Blonde umsieht, beschleicht ihn immer mehr das Gefühl, dass die Menschen diesen Ort ziemlich schnell verlassen haben. Vieles steht noch ungerührt an Ort und Stelle, als warte es nur darauf benutzt zu werden. Frierend durchstöbert er alle Räume, die sich gefahrlos betreten lassen und sammelt ein, was ihm hilfreich erscheint. Schließlich lässt er sich in einem der Räume nieder und schlägt sein Lager auf.
 

In einem Schrank hat er ein paar Decken gefunden. Eine davon rollt er zu einem Bündel zusammen, das ihm später als Kissen dienen wird. Zwei weitere legt er auf den harten Boden und die letzten zwei wird er dann benutzen, um sich zu zudecken. In einem anderen Schrank hat er jede Menge Papier gefunden, dass er nun in eine Blechtonne stopft. Nach schier unendlich vielen Versuchen gelingt es ihm, damit ein Feuer zu machen, an dem er sich aufwärmen kann. Nun endlich kann er sich auch von den nassen Sachen befreien. Er wirft sie zum Trocknen über zwei Stühle. Leider hat er weder etwas zum Anziehen noch etwas Essbares befunden. Also wickelt er sich nackt, zitternd und mit knurrendem Magen in die Decken ein und rutscht so dicht wie möglich an das Feuer heran. Es dauert lange, ehe ihm warm wird, doch kaum das er sich hingelegt hat, ist er auch schon eingeschlafen. Er träumt von Dingen, die er nicht versteht und dennoch scheinen sie ihm vertraut zu sein. Aber schon kurze Zeit später verfällt er in einen so tiefen Schlaf, dass er nichts mehr träumt und sein Körper sich endlich etwas erholen kann.
 

Am nächsten Morgen…
 

*Als der Blonde aufwacht, singen die Vögel voller Zuversicht. Das Tageslicht ist stark und hell, es muss früher Vormittag sein. Er hätte sogar noch länger schlafen können, aber das lässt sein Hunger nicht zu. In seinem Inneren tobt eine große Leere von der Kehle bis ganz hinunter zu seinen Knien. Und genau in der Mitte tut es weh, richtig weh. Es ist, als wird er irgendwo dort drinnen gezwickt. Dieses Gefühl erschreckt ihn. Er war schon früher hungrig gewesen, aber nie so hungrig, dass es auf diese Weise wehgetan hat. Er muss heute dringend etwas zu Essen finden, sonst wird ihn bald all seine Kraft verlassen. Wackelig kommt er auf die Beine und streift sich seine inzwischen trockenen Sachen über. Noch immer weiß er nicht wer er eigentlich ist, woher er kommt und ob es vielleicht sogar jemanden gibt, der irgendwo auf ihn wartet. Sein Kopf scheint genauso leer zu sein wie sein Magen. Seinen Hunger kann er hoffentlich bald stillen, doch wird ihm irgendwann jemand sagen können, wie er heißt? Aber damit es ihm jemand sagen kann, muss er erst einmal einen anderen Menschen finden!
 

Mit einem letzten Fünkchen Hoffnung verlässt er sein provisorisches Lager und macht sich auf die Suche. Stunden vergehen, in denen er sich beinahe ziellos durch fast undurchdringbares Grün kämpft. Nur an manchen Stellen wächst weniger Vegetation, sodass er eine Straße oder ein Gebäude findet. Doch jedes Mal bietet sich ihm dasselbe, enttäuschende Bild der Zerstörung. Die Bauten sind entweder völlig zusammengebrochen oder stark beschädigt. Dennoch findet er nirgends Anzeichen für menschliches Leben, geschweige denn irgendetwas Essbares. Das Einzige was er inzwischen mit Sicherheit sagen kann, ist, dass er sich auf einer Insel befindet und sie scheint völlig verlassen. Verloren beginnt er die Insel zu umrunden, um einen Weg zum Festland zu finden. Weit kommt er jedoch nicht, da ihm einfach die Kraft fehlt. Er kann sich beim besten Willen auch nicht erinnern, wann er das letzte Mal etwas gegessen hat oder was war, bevor er im Wasser aufgetaucht ist. Seine Beine werden immer schwerer und schließlich kann er keinen Schritt mehr weiter. Unbeholfen lässt er sich auf die Knie fallen und beginnt stumm zu weinen.
 

Wie ein kleines Kind drückt er dabei seine Fäuste gegen die Augen und schnappt angestrengt nach Luft. Die Verzweiflung umarmt ihn wie eine sehnsüchtige Geliebte. Doch diese Geliebte ist eiskalt und wünscht ihm alles Schlechte dieser Welt. Langsam droht er sich in ihr zu verlieren. Er spielt sogar kurz mit dem Gedanken, sich einfach hinzulegen und auf sein Ende zu warten, als er plötzlich etwas rascheln hört. Was folgt gleicht einem Reflex, der tief in ihm verwurzelt zu sein scheint. Schlagartig hören seine Tränen auf zu fließen, er hält die Luft an und macht sich ganz klein, als hätte er Angst gesehen zu werden. Instinktiv und vollkommen ohne das er es je erklären könnte, wandern seine Hände an seinen Hüften hinab zu den seltsamen Waffen, angeln sie aus ihren Halterungen und umklammern sie so fest, dass seine Finger ganz weiß werden. Seine Augen huschen nach allen Seiten und seine Ohren lauschen auf das kleinste Geräusch. Dann auf einmal wieder ein Rascheln ganz in seiner Nähe. Er kann sehen wie sich das hohe Gras vor ihm bewegt, als würde ein böiger Wind hindurch fegen. Sein ganzer Körper spannt sich schmerzhaft stark an.
 

Ohne es bewusst wahrzunehmen, bereitet sich sein Körper auf einen möglichen Angriff vor und er kann nichts dagegen tun. Was auch immer sich dort im Gras versteckt, sobald es sich zeigt, wird er es angreifen und wenn es sein muss auch bekämpfen. Langsam kommt das Rascheln näher und die Halme schwanken nun wie bei starkem Seegang. Dann endlich teilt sich das Grün und eine Gestalt tritt in die Nachmittagssonne hinein. Der blonde Junge springt in einer einzigen, schnellen Bewegung auf und will nach vorn stürmen, als er im letzten Moment erkennt, dass von seinem Gegenüber wohl keine Gefahr ausgehen wird. Wie angewurzelt bleiben beide Seiten stehen und starren sich einfach nur an. Schließlich scheint die Hirschkuh nicht der Ansicht zu sein, dass von diesem seltsamen Wesen eine Gefahr ausgeht und so setzt sie sich einfach wieder in Bewegung. Sie ist jung, hier auf dieser Insel geboren und hat in der ganzen Zeit noch nicht einen Menschen gesehen, was bei der dichten Vegetation auch kein Wunder ist. Zudem gibt es hier außer einigen Ratten keine Raubtiere die sie fürchten müsste.
 

Völlig perplex starrt der Junge weiterhin die Hirschkuh an und lässt dabei die Waffen sinken. So etwas Schönes hat er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen, oder zumindest kann er sich nicht daran erinnern. Mit offenem Mund beobachtet er wie das Tier langsam, ohne Scheu und von einer unheimlichen Eleganz umgeben, an ihm vorbei läuft. Unentwegt zuckt sie dabei mit Ohren und Nase und behält das seltsame Wesen mit dem wenigen Fell genau im Auge. Man weiß ja nie, ob es vielleicht doch noch gefährlich ist, immerhin trennen sie kaum zehn Meter voneinander. Ganz langsam steckt der Junge seine Waffen wieder ein und starrt die Hirschkuh mit großen Augen an. Jedem anderen, der halbverhungert hier herumirrt, wäre wohl in den Sinn gekommen, dass Tier zu töten und daraus ein Festmahl zu machen, doch ihm nicht. Er ist so fasziniert von diesem Anblick, dass er seinen Hunger sogar vergisst. Mit gemächlichen Schritten ihrer langen Beine entfernt sich die Hirschkuh immer weiter von ihm. Schließlich gelangt sie an die nächste Wand auf mannshohem Gras und stoppt. Mit schiefgelegtem Kopf beobachtet der Junge sie.
 

Warum hält sie einfach an? Ehe er sich eine Antwort überlegen kann, beginnt sein Magen lautstark zu knurren. Die Hirschkuh zuckt mit den Ohren und wendet ihren Kopf zu ihm um. Wieder zucken ihre Ohren und sie bewegt die Nase. Ein leichter Rotschimmer bildet sich auf den Wangen des Blonden, so als wäre es ihm peinlich, dass sie seinen Hunger so überdeutlich hören kann. Die Hirschkuh wedelt ein paar Mal mit ihrem kurzen Schwanz und öffnet dann das Maul. Heraus kommt ein leiser Ton, fast wie von einer kaputten Hupe. Überrascht zuckt der Blonde zusammen. Wieder legt er den Kopf schief, da er nicht versteht, was sie ihm damit mitteilen will. Ein weiteres Mal zucken Ohren und Nase der Hirschkuh, ehe sie ihren Schwanz aufstellt und das weiße Fell auf der Unterseite präsentiert. Dann stolziert sie in das Gras hinein und ist kurz darauf verschwunden. Der Blonde sieht wie sich das Gras bewegt und es raschelt, als sich das Tier hindurch bewegt. Dann schient es anzuhalten. Wieder ertönt dieses merkwürdige Hupgeräusch, diesmal nur lauter, damit er es wohl besser hören kann.
 

Will sie ihm damit etwa irgendwas sagen? Er kann sich jedoch so überhaupt nicht vorstellen, was dieses Tier von ihm wollen würde. Wieder das Geräusch – noch etwas lauter, fast schon ungeduldig. „Will sie vielleicht, dass ich ihr folge?“, flüstert er sich selbst zu. Vorsichtig macht er einen Schritt vorwärts und im selben Moment bewegt sich auch die Hirschkuh im Gras wieder. Diese Tatsache scheint seine Frage zu beantworten und so bahnt er sich seinen Weg durch das Grünzeug. Wenige Meter vor ihm raschelt die Hirschkuh durch das Gras. Sie scheint überhaupt keine Angst vor ihm zu haben. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreicht er endlich das Ende und betritt eine betonierte Fläche. Sie war vielleicht einmal ein Parkplatz. Zumindest ist sie ziemlich groß. Hier und da wurde der Beton von ein paar Pflanzen aufgesprengt, doch das meiste ist noch heil, was nach so langer Zeit ohne Menschen, die sich darum kümmern ein echtes Wunder ist. Verwundert blickt sich die Blauäugige nach der Hirschkuh um. Warum hat sie ihn hierher geführt? Die Hirschkuh steht ein paar Meter abseits und trötet ihn ein letztes Mal an, dann verschwindet sie im Grün und wart nicht mehr gesehen.
 

Mit fragendem Gesichtsausdruck bleibt der Junge zurück und versteht überhaupt nichts mehr. Als er auch das Rascheln der Hirschkuh nicht mehr hören kann, lässt er seinen Blick über den Platz schweifen. Am hinteren Ende erblickt er ein kleines Gebäude, das eine Garage sein könnte. Schmale Betonstreifen führen von dort aus zu einer eispurigen Straße, die vielleicht zu einer Brücke oder Ähnlichem führen könnten. Doch die Vegetation ist zu dicht um etwas zu erkennen. Neben dem kleinen Gebäude steht ein großer Baum, der hoch in den Himmel hineinreicht. Der Blonde traut seinen Augen kaum, aber der ganze Baum hängt voller dicker, großer Äpfel! Hat die Hirschkuh tatsächlich gemerkt, dass er Hunger hat und ihn deswegen hierher gebracht? Er kann es einfach nicht glauben. Heiße Tränen rinnen an seinen Wangen hinab. Endlich scheint er mal etwas Glück zu haben! Haltlos stolpert er auf den Baum zu. Wind kommt auf und weht einige der überreifen Früchte von den Ästen herunter. Schluchzend sammelt der Junge sie ein und setzt sich in den Schatten des Baumes. Endlich kann er seinen Hunger stillen und muss sich keine Gedanken mehr machen!
 

Nach einer ganzen Weile lehnt er sich pappsatt gegen den Stamm des Baumes und schließt erschöpft die Augen. Um ihn herum liegen fast zwei Dutzend Kerngehäuse, die langsam von ein paar emsigen Ameisen in Beschlag genommen werden. Nach und nach driftet der Junge in den Schlaf über. Doch ehe er anfangen kann zu träumen, rumort es plötzlich in seinem Magen. Erschrocken reißt er die Augen auf und setzt sich gerade hin. Heftige Krämpfe erfassen ihn und er krümmt sich unter ihnen zusammen. „Was – was – ist nur los?“, presst er verzweifelt hervor. Kaum, dass er die Worte ausgesprochen hat, drängt sich alles an die Oberfläche und er muss sich so heftig übergeben, dass ihm fast die Luft wegbleibt. Das Erbrechen scheint überhaupt kein Ende nehmen zu wollen. Alles schmerzt und ihm wird fast schwarz vor Augen. Dann endlich scheint er alles von sich gegeben zu haben und lehnt sich zitternd und nach Luft schnappend an den Baumstamm zurück. Tränen rinnen abermals an seinen Wangen hinab und er versteht einfach nicht, was los ist. Stimmt irgendwas mit den Äpfeln nicht oder liegt es wohlmöglich an ihm?
 

Er findet keine Antwort, weiß nur, dass ihm schon schlecht wird, wenn er nur an die Äpfel denkt. Er zittert wie verrückt und ihm ist auf einmal so schrecklich kalt. Waren die Früchte vielleicht vergiftet? Oder ist er krank? Nach einigen Minuten gelingt es ihm aufzustehen und zum Eingang des Gebäudes zu wanken. Die Tür ist nicht verschlossen und als er hineingeht, stellt er fest, dass es tatsächlich eine Garage ist. Ein altes Auto nimmt den meisten Platz darin ein. Auch der Wagen ist nicht verschlossen und so rollt sich der Junge einfach auf dem Rücksitz zusammen und fällt augenblicklich in tiefen Schlaf. Er ahnt nicht, dass er keineswegs krank ist. Dennoch fehlt ihm einiges. Es ist nicht klar, was dazu geführt hat, dass er an die Wasseroberfläche gelangen konnte oder welche Fehlfunktion an Baxters Strahlenkanone ihn vor zehn Jahren hat einfrieren lassen, statt ihn in seine Atome zu zerlegen. Doch sein Kopf hat damals einen mächtigen Schlag abbekommen, der sein Gedächtnis gelöscht hat. Einzig Reflexe und Instinkte sind ihm geblieben, wozu auch sein Ninja-Sinn zählt, doch das er einst ein aufstrebender Ninja war, weiß er nicht mehr.
 

Er weiß nicht, dass er eine Familie hatte, von der nur noch einer übrig geblieben ist und er weiß auch nicht, der Shredder an alledem Schuld ist. Die schwere Gehirnerschütterung, die ihm seine Erinnerungen genommen hat, ist auch für seine körperliche Verfassung verantwortlich. Genau diese Verletzung hat ihm auch vorgegaukelt, dass er eine Hirschkuh sieht, die ihn zu einer Nahrungsquelle führt. In Wirklichkeit war dort kein Hirsch, nur eine große Ratte, die sich durch das Gras gekämpft hat. Sie ist an ihm vorbei gehuscht, hat ihn angefacht und ist verschwunden. Sein umnachteter Verstand hielt sie jedoch für eine sagenhafte Schönheit, die ihm in der Stunde der Not zur Seite steht. Der Apfelbaum ist jedoch echt und seine Früchte ebenso. Jedoch ist sein Körper viel zu angeschlagen, um mit der schieren Masse überhaupt fertig werden zu können, die er sich in seiner Gier zugemutet hat. In seiner hilflosen Verzweiflung versucht der namenlose Junge, der einst das wilde Herz der Ninja Turtles war und den Namen des berühmten Künstlers Michelangelo trug, noch mehrfach die Äpfel zu essen. Jedes Mal jedoch mit demselben Ergebnis.
 

Am nächsten Tag…
 

Die Sonne steht hoch am Himmel und der blonde Junge setzt verzweifelt seinen Weg fort. Auch heute konnte er noch nichts essen. Alles was er versucht hat, kam früher oder später wieder hoch. Sein Hals schmerzt mittlerweile so stark, dass er gar nicht mehr versuchen will etwas zu essen. Das viele Erbrechen hat ihn nur wertvolle Kraft gekostet, die er eh nicht hatte und so kann er sich inzwischen kaum noch gerade auf den Beinen halten. Er schlurft langsam einen Weg entlang, der zu einer Brücke führt, die Randall´s Island mit dem Festland verbindet. Beim Gehen, wenn man seine kläglichen Bemühungen überhaupt noch als Gehen bezeichnen kann, schwankt er so stark hin und her, dass er wie ein völlig Betrunkener wirkt. Mehrfach fällt er auf die Knie und rappelt sich nur schwerlich wieder auf. Jedes Aufrappeln fällt ihm schwerer. Langsam betritt er die Brücke und denkt noch, dass sie ihn vielleicht doch noch zu ein paar Menschen bringt, die ihm helfen können. Doch noch ehe er den Gedanken richtig festigen kann, wird ihm endgültig schwarz vor Augen. Seine Kräfte verlassen ihn völlig und er fällt haltlos zu Boden.
 

Bewusstlos bleibt er auf dem rissigen Beton der Brücke liegen. Etwa eine Stunde später nähern sich vier Gestalten der Stelle von Festland aus. Es sind Foot-Ninja, die den Auftrag haben, die Insel nach etwas Brauchbarem abzusuchen. Soweit kommen sie aber nicht. Als sie den reglosen Körper des Jungen auf der Fahrbahn sehen, bleiben sie abrupt stehen. Ihnen ist bewusst, dass sie jeden Menschen ins Versteck bringen sollen, doch lohnt sich das überhaupt noch? Vorsichtig nähern sich die Männer der Person am Boden. Einer von ihnen geht auf die Knie und sucht nach einem Pulsschlag. Nach ein paar Augenblicken erhebt er sich wieder und gibt seinen Kollegen zu verstehen, dass sie ihn mitnehmen können. Soweit er es beurteilen kann, scheint es dem Jungen aber nicht sonderlich gut zu gehen und wahrscheinlich wird er auch keine zwei Stunden mehr leben, aber das ist ja dann das Problem eines anderen. Außerdem haben sie vor ein paar Jahren auch begonnen, alle Leichen einzusammeln und zu verbrennen, um die Ausbreitung irgendwelcher Krankheiten so gering wie möglich zu halten. So oder so muss Shredder über diesen Fund informiert werden.
 

Den Meister interessieren die Leichen eigentlich überhaupt nicht. Er sieht sie sich höchstens an, um festzustellen, ob er denjenigen vielleicht mal gekannt oder einer der anderen Flüchtlinge ihn wohlmöglich kannte und der Tote somit vielleicht ein richtiges Begräbnis verdient hätte, statt als namenlose Asche im East River verstreut zu werden. Chen hingegen interessiert sich für jeden, ob nun tot oder lebendig, denn er führt streng Buch über alle Menschen, was sich ab und an schon als nützlich erwiesen hat. Also machen sich die Foot mit ihrem Fund wieder auf den Weg zum Versteck. Ihr Suchauftrag ist bei so einem Fund nur zweitrangig, von daher können sich die Männer über einen leichten und kurzen Auftrag freuen. Und vielleicht besteht ja sogar die Möglichkeit, dass sie den Rest des Tages frei bekommen! Sie ahnen ja auch noch nicht, dass ihr Fund eine ganz besondere Bedeutung hat und was er alles verändern wird…

New chance without memory...

Eine Stunde später…
 

Murrend drückt Raphael seine Zigarette aus und streicht unbeherrscht mit dem Bleistift über das Papier. Es erinnert weit mehr an die Zeichnung eines kleinen Kindes als an die Aufstellung seiner Männer für die morgigen Missionen. Seufzend stößt er die Luft aus. Warum muss es auch so schwierig sein? Nicht zum ersten Mal fragt sich der Saikämpfer ob der alte Shredder jemals solche Probleme gehabt hat. Doch er kommt immer wieder zu dem Ergebnis, dass dem ganz sicher nicht so war. Die Foot haben ihren alten Meister gefürchtet. Aber die neuen Foot scheinen dieses Gefühl ihrem neuen Meister gegenüber nicht sonderlich oft zu haben. Ständig hat irgendwer irgendwas zu nörgeln. Der eine will lieber das machen, der andere wäre lieber mit dem in einem Team und so weiter. Wirklich zum Haare raufen. Wie gern würde er ihnen den Hals umdrehen, um diesem respektlosen Gezeter ein Ende zu setzen, doch dann hätte er am Ende der Woche keine Männer mehr. Also einfach die Zähne zusammenbeißen und brav lächeln! Vielleicht hat der eine oder andere dann einen kleinen Unfall? Doch solang er sich noch auf Chen verlassen kann, wird es auch ein Morgen geben…
 

Wenn man vom Teufel spricht, so eilt Chen gerade in diesem Moment den Gang zum Thronsaal entlang. Der Fund, den eines der Teams gemacht hat, geht nicht spurlos an dem Schwarzhaarigen vorbei. Zwar weiß er beim besten Willen nicht, um wen es sich bei dem Jungen handelt, zu lang liegt die Erinnerung zurück, doch die Waffen, die er bei sich trägt, lassen Chen vermuten, dass er doch einiges an Talent hat und daher unentbehrlich für die Foot sein könnte. Eine Tatsache, die er seinem Meister nicht vorenthalten möchte und junges Blut kann man immer gebrauchen! So klopft er beherzt an die schwere Stahltür, die zum Saal führt. Nur gedämpft kann er die missbilligende Antwort von der anderen Seite hören. Als Chen eintritt, wird ihm schnell klar, dass sich Raph noch immer mit der Truppenaufstellung herumschlägt und noch kein Stück weitergekommen ist, seit die Foot heute Morgen ausgeschwärmt sind. Beinahe mittleidig mustert er seinen Meister, ehe er zu ihm herantritt. Abwesend starrt der rote Ninja weiterhin auf das lädierte Papier. „Was willst du?“, kommt es daher nicht sonderlich freundlich von ihm, da er sich in seinem Denkprozess unterbrochen fühlt.
 

„Die Störung tut mir wirklich sehr leid, Meister, aber…“, setzt Chen an. „Schwafle nicht, sondern komm zum Punkt!“, unterbricht Raphael ihn ziemlich rau. Dieses ganze Denken und Organisieren ist einfach nichts für ihn und es ist mit den Jahren auch nicht leichter geworden. Nun, da alles an ihm hängt, versteht er endlich was für eine Last Leo und Donnie immer mit sich herumgetragen haben. Unter den harten Worten des Führers zuckt Chen kaum merklich zusammen. Er kann nur zu gut verstehen, wie ihm das alles auf die Nerven fällt, dennoch will er sich ja auch nicht helfen lassen. Der Japaner tritt einen Schritt näher heran und fängt von vorn an. „Team 5 hat vor kurzem einen neuen Überlebenden gefunden, Meister.“ Raphael hört ihm zwar zu, dennoch starrt er auch weiterhin verbissen auf sein fast unlesbares Gekritzelt. „Das ist wirklich schön, Chen. Aber ich hab dir schon mehrfach gesagt, dass du mir nicht jeden Neuzugang vorbeten musst! Es ist immer dieselbe Prozedur: ihnen werden die Waffen abgenommen, falls sie welche haben und dann kommen sie zur Erstversorgung auf die Krankenstation. Ist das denn so schwer?“
 

Raphaels Geduld hängt an einem dünnen Faden. Er dachte wirklich, dass Chen es langsam begriffen hätte, hat er ihm doch von den letzten zehn oder zwölf Leuten nur flüchtig in seinen Berichten erzählt. Warum muss er ihn dann denn jetzt stören, wo er so gar keinen Nerv dafür hat? „Das ist mir durchaus bewusst, Meister Shredder. Aber vielleicht solltet Ihr euch doch mal ansehen, was er für Waffen dabei hatte…“, versucht es der Schwarzhaarige. Genervt fährt sich Raph mit der Hand übers Gesicht und versucht sich an seine immer kleiner werdende Beherrschung zu klammern. „Herr Gott, Chen! Siehst du denn nicht, dass ich versuche zu arbeiten? Mal mir doch einfach ein Bild von der goldenen Knarre oder dem diamantenbesetzen Messerchen und dann verschwinde endlich!“, faucht der Saikämpfer seinen Untergebenen an. Dennoch starrt er auch weiterhin auf das Stück Papier. Unter den harten Worten zuckt der junge Japaner diesmal deutlich mehr zusammen. Er sieht sich schon Inbegriff zu gehen und das Ganze auf später zu verschieben, als die Kettenwaffen in seinen Händen leise klirren.
 

Das Geräusch scheint Raphael weit mehr zu erreichen, als die hilflosen Worte seines Gegenübers. Das markante Klingen der Kettenglieder begleitet ihn schon sein Leben lang, zumindest hat es ihn sein gesamtes letztes Leben begleitet. Es ist ihm so ins Blut übergegangen wie all die Moves, die er von seinem Meister Splinter gelernt hat. Es ist ein Geräusch, das so sehr zu seinem verstorbenen Bruder passt, wie die Tatsache das dessen Lieblingsessen Pizza war. Lautlos formen seine Lippen den Namen, an den er in den letzten zehn Jahren Tag und Nacht gedacht hat, ihn aber nur selten aussprechen konnte ohne gleich in Tränen auszubrechen: Mikey. Ruckartig hebt er den Kopf und sieht zum ersten Mal wirklich zu Chen hinüber. Dieser steht bewegungslos da, blickt hoffnungsvoll zu ihm hinüber und hält die Waffen in seinen Händen. Raphael kann kaum glauben, was er dort sieht. Als wäre er vom Anblick seines Herren hypnotisiert, gleitet Chen das zylindrische Gewicht der Kusarigama aus den Händen und landet mit einem dumpfen Knall auf dem roten Teppich. Diese ungewollte Geste scheint für den Roten einem Startschuss gleichzukommen.
 

Achtlos wirft er Papier und Bleistift zu Boden und erhebt sich ungelenk vom Thron. Mit offenem Mund, weit aufgerissenem Auge und nicht im Stande etwas zu sagen, stapft Raph auf ihn zu, gleich einem Welpen, der gerade erst gelernt hat nicht bei jedem zweiten Schritt umzufallen. Dennoch glaubt der Japaner, dass genau das jeden Augenblick passieren könnte. Schließlich steht der junge Clanführer vor ihm und mustert die Waffen vollkommen fassungslos. Dann ganz plötzlich reißt er sie Chen aus den Händen und umklammert sie mit zitternden Fingern. Das alles kann doch gar nicht möglich sein! Seine Männer und er selbst haben den East River an die tausend Mal durchkämmt und nichts weiter gefunden als Leos zerbrochenes Katana. Wo in Gottes Namen kommen dann jetzt Mikey´s Waffen her? Es besteht absolut kein Zweifel, dass die Nunchakus und die Kusarigama seinem Bruder gehören. Doch was für ein Mistkerl hat es gewagt, sie an sich zu nehmen und dann auch noch hier damit aufzutauchen? Unbändige Wut staut sich in ihm an. In seinen Gedanken kann es unmöglich sein, dass Mikey selbst noch am Leben ist.
 

Wenn dem auch nur ansatzweise so wäre, hätten sie ihn doch in diesen verdammten zehn Jahren finden müssen! Wutschnaubend dreht sich Raph zu Chen um. „Wo ist dieser verfluchte Mistkerl, der es wagt diese Waffen mit sich zu führen?“, knurrt er dem verwirrten Mann entgegen. „Er ist auf der Krankenstation, so wie es immer Euer Befehl war, Meister…“, er schluckt hart. So aufgebracht hat er den Saikämpfer schon lange nicht mehr erlebt. Doch warum macht ihn der Anblick der Waffen nur so fertig? Ob es etwas mit seiner verstorbenen Familie zu tun hat? Chen kann sich nicht mehr daran erinnern, welche Waffen seine Familie besessen hat, doch Raphaels Wutausbruch zufolge, müssen es wohl ganz Ähnliche gewesen sein. Der Rote umklammert die Waffen noch fester und läuft dann Richtung Tür. Der Zustand, in dem er sich befindet, behagt Chen überhaupt nicht und so läuft er ihm nach. „Bitte wartet, Meister!“ Raphael bleibt so abrupt stehen, dass der Schwarzhaarige fast mit ihm zusammengestoßen wäre. Wütend dreht sich der ehemalige Hamato zu ihm um. „Ich bin sicher, du hast noch viel zu tun, also kannst du jetzt gehen, Chen!“
 

„Ich bitte Euch, Meister, tut nichts Unüberlegtes…“, versucht er ihn zu beruhigen. Doch Raph lässt sich überhaupt nicht darauf ein. „Ich hab gesagt du kannst jetzt gehen! ALSO GEH!“, wirft der Foot-Clan-Führer ihm unbeherrscht entgegen und stößt ihn dann grob von sich. Unter dem strengen Auge des Rothaarigen richtet sich Chen langsam wieder auf. „Jawohl, Meister…“, kommt es leise von ihm, ehe er sich vorsichtig verbeugt und dann den Saal verlässt. Als die Tür ins Schloss fällt, beruhigt sich der Rüstungsträger wieder und starrt die Waffen an. Wer auch immer sie hierher gebracht hat, wird es teuer bezahlen! Mit schweren Schritten setzt er seinen Weg fort und erreicht bald darauf die Krankenstation. Kaum ein Mensch begegnet ihm. Die meisten Foot sind noch unterwegs und die Flüchtlinge verbringen die letzten warmen Tage des Jahres so oft wie möglich draußen. Dort wartet eh die meiste Arbeit. Schließlich müssen die Unterkünfte noch für den Winter vorbereitet werden. Raph ist sehr froh darüber. Würde ihm jetzt jemand begegnen und vielleicht auch noch eine dumme Frage stellen, würde er nicht wissen, ob er sich beherrschen kann.
 

Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden anzuklopfen, reißt der Saikämpfer die Tür zum Krankenzimmer auf. Polternd schlägt sie gegen die Wand und beschert dem armen Tierarzt damit fast einen Herzinfarkt. Die beiden Krankenschwestern sind zum Glück gerade auf der anderen Insel und kümmern sich dort um ein paar Leute, die schon die ersten Anzeichen der Grippe mit sich rumtragen. Bei Raph´s überschäumenden Verhalten wären sie sonst wohl noch in Ohnmacht gefallen, taucht er doch sonst nie hier auf. „Meister Shredder, was…?“, setzt Sam überrascht an. Allerdings wird er forsch von seinem Gegenüber unterbrochen. „Wo ist er?“ Wild funkelt den Tierarzt das verbliebene, gelbgrüne Auge seines Führers an. Die unbändige Wut sprüht geradezu daraus hervor. Sam will schon fragen, wen Raph überhaupt meint. Doch dann deutet er einfach auf ein Bett, das hinter einem Vorhang verborgen ist. „Er ist…“, setzt er an, um dem Roten zu erläutern wie es dem Neuzugang geht, doch Raphael unterbricht ihn wieder. „Schweig und verschwinde!“ Irritiert starrt Sam ihn an. „Aber, Meister!“ „Ich hab gesagt du sollt VERSCHWINDEN!“
 

Dass war mehr als nur deutlich für das sensible Gemüt des Veterinärs. Ohne einen weiteren Versuch zu unternehmen den Zustand seines Patienten zu erläutern, sucht der junge Mann das Weite. Nun endlich ist der rote Ninja allein und kann diesem hinterhältigen Mistkerl den Schädel einschlagen. Mit einer endlos liebevollen Geste legt Raph die Nunchakus seines verlorenen Bruders auf einen Beistelltisch und greift sich die Kusarigama. Mit einer Hand umklammert er den Griff und betätigt den Mechanismus, der die versteckte Klinge herausspringen lässt. Nach all den vielen Jahren ist der sichelförmige Stahl noch immer blank, glänzend und rasiermesserscharf. Wehmütig betrachtet der Ninja die Waffe einen Augenblick. Dann umklammert er den Griff fester und holt aus, während er mit der andern Hand den Vorhang zur Seite zieht. In blinder Wut lässt er die Klinge hernieder sausen, möge sie denjenigen in diesem Bett ein schnelles und viel zu gnädiges Ende bereiten! Es muss schnell gehen, auch wenn er diesen Mistkerl lieber ganz langsam zu Tode quälen möchte. Doch seine Gefühle sind so sehr am Ende, das er jeden Moment zusammenbrechen könnte.
 

Die Spitze der Klinge ist nur noch Zentimeter vom Schädel ihres Opfers entfernt, da registriert Raph plötzlich wer dort im Bett liegt. Wie zur Salzsäule erstarrt bremst er den Angriff in letzter Sekunde ab und die Waffe landet polternd auf dem Boden. Sein Auge spielt ihm einen Streich, ganz sicher. Er hat es den ganzen Morgen so überanstrengt und jetzt gaukelt es ihm etwas vor. Ungläubig wendet er sich ab und reibt sich das Auge und die Schläfen. Auf einmal hat er ganz schreckliche Kopfschmerzen. Er atmet ein paar Mal durch und dreht sich dann wieder zum Bett herum. Doch das Bild ist immer noch dasselbe! Dort in diesem Bett liegt ein Junge von vielleicht gerade mal sechszehn Jahren. Ein dicker Verband liegt um seinen Kopf, dennoch schaut ein Büschel wilder, blonder Haare heraus. Neben dem Bett steht ein Stuhl auf dem die Kleider des Jungen liegen: ein grüner Overall und ein oranges Shirt. Über der Lehne hängt ein schmales, oranges Stoffstück bei dem es sich nur um Mikey´s Bandana handeln kann. Doch das alles ist vollkommen unmöglich! Mikey müsste tot sein. Er hat selbst gesehen wie das Wasser ihn verschluckt hat!
 

Selbst wenn er das alles irgendwie überlebt haben sollte, müsste er jetzt 26 Jahre alt sein! Dennoch sieht der Junge dort im Bett keinen Tag älter aus als von zehn Jahren. So kindlich, rein und voller Unschuld wie es ihm schon immer eigen war. Raph ist vollkommen durcheinander. „Ich muss fantasieren! Ja, genau! Eine andere Möglichkeit gibt es gar nicht. Ich hab mir so lange gewünscht ihn wiederzusehen, dass mir mein Hirn jetzt einen Streich spielt! – Und klar sieht er immer noch aus wie damals, ich kann ja auch gar nicht wissen wie er mit 26 aussieht, da er nie so alt geworden ist! Für mich war er immer der kleine Bengel, der mich in den Wahnsinn getrieben hat…“ Sein Kopf droht fast zu platzen. Seine Wunschgedanken lösen sich langsam in Luft auf, doch der Junge im Bett sieht weiterhin aus wie sein kleiner Bruder. „Ich versteh es einfach nicht…“, beginnt Raphael zu jammern. Langsam sinkt er neben dem Bett auf die Knie. Vorsichtig streckt er eine Hand aus und gleitet vorsichtig über die Wange des Jungen. Die Haut unter seinen Fingern fühlt sich so herrlich warm und weich an, ganz so wie er sie in Erinnerung hat.
 

Der Junge rührt sich nicht, scheint zu schlafen und Raph fühlt sich zurückversetzt in die Zeit vor dem Krieg. Zurück in eine Zeit, in der er Nacht für Nacht versucht hat seinem Bruder auf unmoralische Weise nahe zu sein. Damals hat Mikey nichts von alledem bemerkt und einfach weitergeschlafen. Jetzt ist es Raph egal. Er will, dass er aufwacht und mit ihm spricht. Ihm beweist, dass das Ganze nicht doch ein viel zu schöner Traum ist. Sanft streicht er weiter über die Wange des Jungen. „Hey, Mikey, Zeit aufzumachen!“ Doch nichts geschieht. Der Blonde liegt weiterhin vollkommen reglos da und atmet langsam ein und aus. Reflexartig legt Raph ihm zwei Finger an den Hals und sucht nach der Hauptschlagader. Er findet seinen Puls, schwach aber gleichmäßig. Irgendetwas stimmt nicht. Mikey schläft nicht! Überfordert erhebt sich der Saikämpfer und rüttelt an dem Jungen. „Wach auf, verflucht noch mal!“ Doch auch das bringt nichts. Wenn sein Verstand ihm schon weiß machen will, dass Mikey dort im Bett liegt, warum lässt er ihn denn dann nicht auch aufwachen und alles wieder so sein wie früher?
 

Er begreift es einfach nicht. Heiße Tränen beginnen hinter seinem Auge zu brennen, doch er vertreibt sie energisch. Ruckartig steht er auf und stapft zur Tür hinüber. Haltlos reißt er sie auf. „SAM – SAM, verdammt noch mal, wo steckt dieser dämliche Viehdoktor?“, ruft er auf den Flur hinaus. Raph ist schon kurz davor jegliche Beherrschung zu verlieren, als Sam vorsichtig den Kopf um die Ecke steckt. „Ihr – Ihr habt gerufen, Meister…?“, kommt es vorsichtig von ihm. Als Raph ihn sieht, beruhigt er sich schlagartig und blickt den jungen Arzt voller Panik an. Dieser erwidert seinen Blick mit dem Ausdruck eines scheuen Hamsters, der vor einer hungrigen Katze hockt. Er steht kurz vor einer Schockstarre, ist jedoch noch zur Flucht bereit, sollte Raph erneut die Stimme erheben und ihn anschreien. Mit seiner sensiblen Persönlichkeit ist es ein echtes Wunder, dass Sam den Beruf des Tierarztes überhaupt ausüben kann, ohne jedes Mal einen Nervenzusammenbruch zu erleiden, wenn ein Tier unter seinen Händen stirbt. Nun die Verantwortung für Menschen tragen zu müssen, hat das Ganze nur noch schlimmer gemacht.
 

„Komm wieder rein, ich hab ein paar Fragen an dich…“, kommt es schließlich in einem erzwungen ruhigen Ton von dem Rüstungsträger. Sam macht vorsichtig zwei Schritte Richtung Tür. „In Ordnung. – Doch bitte schreit mich nicht wieder an…“, flüstert er schon fast. Raphael ringt sich ein beschwichtigendes Lächeln ab, muss sich aber fest auf die Zunge beißen, um ihm keine patzige Antwort zu geben. Er weiß wie schwer Sam seine Arbeit fällt und das er damit nicht glücklich ist, doch Raph fühlt sich im Moment nicht viel besser, in Anbetracht das dort drinnen Mikey liegt und er einfach nicht weiß warum. „Ich werde mir Mühe geben…“, versichert ihm der Saikämpfer und beißt sich abermals auf die Zunge. Unsicher mustert der Tierarzt den jungen Mann vor sich, ehe er sich an ihm vorbei ins Krankenzimmer schleicht und dabei peinlich genau darauf achtet, den größtmöglichen Abstand zu seinem Gegenüber zu wahren. Der Rote folgt ihm und kann bei dieser Show nur hilflos mit dem Auge rollen. Als er den Raum betritt, ist Sam zu einem Regal in der Ecke gehuscht und sucht nach der Krankenakte, die von jedem Neuzugang angelegt wird.
 

Während der Arzt die namentlich sortierten Akten durchsieht, wandert Raphaels Blick unweigerlich zum Bett hinüber. Der blonde Junge darin wird so klein und zierlich, als hätte er eine wirklich schlimme Krankheit. Am liebsten würde Raph jetzt zu ihm hinüber gehen und ihn fest in die Arme schließen. Ihm all seine Liebe und seine Trost spenden, die er in den vielen Jahren für ihn bereit gehalten hat. Doch das geht nicht. Als neues Oberhaupt des Foot-Clans und wohlmöglich einziger Herrscher dieser neuen Welt, kann er sich solche Gefühlsausbrüche nicht leisten solange ein anderer im Raum ist. Daher schluckt er schweren Herzens seine Emotionen herunter und zieht stattdessen einen Stuhl an das Bett heran und setzt sich. Stumm starrt er auf den Jungen, bis er ein zaghaftes Räuspern von Sam vernimmt. Erwartungsvoll wendet er ihn den Blick zu, doch allein schon diese Geste scheint den Arzt fast aus der Fassung zu bringen. Er scheint einen unglaublichen Respekt vor dem Ninja zu haben, oder unglaubliche Angst, obwohl Raph ihm nie einen Grund dazu gegeben hat, außer dass er schnell laut wird.
 

Der Tierarzt schluckt schwer, ehe er den Mund öffnet und mit zitternden Händen aus der dünnen Akte vorliest. „Der Patient wurde heute um 14:22 Uhr von den Foot-Ninjas hergebracht. – Er ist männlich, weiß, vermutlich amerikanischer Abstammung, naturblond, blauäugig, geschätzt zwischen 15 und 18 Jahre alt, 170 Zentimeter groß und 53 Kilo schwer. Des Weiteren…“ Diese ganzen offensichtlichen Fakten interessieren Raph keines Wegs, doch er beherrscht sich und lässt Sam weitersprechen. Als der Veterinär jedoch Mikey´s Gewicht nennt, zuckt der Saikämpfer leicht zusammen. Sein kleiner Bruder war zwar immer schon leicht gebaut, aber das ist wirklich zu wenig. Kein Wunder also, dass er so ausgezehrt und kränklich aussieht. ‚Er muss tagelang nichts gegessen haben…‘, geht es ihm durch den Kopf. Eine Tatsache, die für Mikey völlig undenkbar scheint, selbst wenn man nicht weiß was er für ein Vielfraß ist. Besorgt schaut er ihn an und ringt um Fassung, während Sam gerade verliest was er alles bei sich getragen hat. „Sam? Können wir das vielleicht überspringen und du sagst mir einfach wie er heißt und wie es ihm geht?“
 

Etwas irritiert sieht der Angesprochene von dem Blatt Papier auf und versucht den seltsamen Ausdruck in dem gelbgrünen Auge zu deuten. Es scheint fast so als würde sich sein Führer Sorgen um den Jungen machen. Eine Tatsache, die Sam noch nie beobachtet hat. Schließlich hat sich Raph auch noch nie die Mühe gemacht, sich nach einen von ihnen zu erkundigen, geschweige denn hier herunter zu kommen und ihn in Augenschein zu nehmen. „J-ja, ok. A-aber das kann ich leider nicht. – Er hatte keinen Ausweis oder Ähnliches bei sich…“, erwidert Sam unsicher und versucht sich dabei schon fast hinter der Akte zu verstecken. Raph tut das Ganze aber mit einer Handbewegung ab. Schließlich weiß er ja wie der Junge heißt und im Ernstfall kann Sam ihn ja auch fragen wenn er aufwacht. Raph wird ihm seinen Namen zumindest nicht verraten. Niemand soll wissen, dass sie Brüder sind, sonst könnte es vielleicht gefährlich werden. „Schon gut. Erzähl mir etwas über seinen Zustand.“, fordert der ehemalige Hamato nun ein. Sam nickt eifrig und blättert dann in der dünnen Akte herum, wobei er sie fast fallen lässt.
 

Geduldig beobachtet der Rüstungsträger in dabei. Innerlich wünscht er sich aber, dass sich Sam mal ein paar Eier wachsen lässt und diese Schulmädchennervosität endlich ablegt. „Ähm – Sein Körper weißt allerhand Narben auf, die aber von älteren Verletzungen herstammen. – Er ist ziemlich abgemagert. Sein Rachen ist ganz wund, vermutlich hat er sich einen Virus oder Ähnliches eingefangen und hat sich in den letzten Stunden oder Tagen häufig übergeben müssen.“ Das beantwortet immerhin schon mal eine Frage, die sich Raph gestellt hat. „Ich hab ihm eine Infusion gegeben, um den ganzen Verlust wieder aufzuarbeiten. – Zudem hat er eine Platzwunde am Hinterkopf. Sie ist ziemlich tief, doch der Knoche darunter scheint nicht beschädigt zu sein. Die Wunde hat schon angefangen zu heilen, was mich vermuten lässt, dass er sie sich ebenfalls vor ein paar Tagen zugezogen haben muss. – Außerdem hat er mehrere Schnittwunden an den Fußsohlen. Da er ohne Schuhe unterwegs war, hat er sich wohl an den Trümmern verletzt. Alle Wunden waren ziemlich schmutzig, weswegen ich ihm Antibiotika gegeben hab. Leider hab ich nichts anderes und ich hoffe, ich kann damit vermeiden, dass er sich eine Blutvergiftung zuzieht…“
 

Unsicher blickt er den Rothaarigen an, als könnte dieser ihm etwas nennen, das den Zustand des Jungen verbessern könnte. Doch Raph schweigt und lässt das Ganze erst mal auf sich wirken. Was hat Mikey nur alles durchgemacht und wo hat er die ganze Zeit gesteckt? Fragen die ihm als einziger nur sein Bruder beantworten kann. „Wann denkst du wird er aufwachen?“ Unsicher blickt der Arzt zu dem Blonden hinüber. „Das kann ich leider nicht sagen. – Die Foot haben ihn bewusstlos auf einer Brücke gefunden. – Seitdem ist er noch nicht wieder zu sich gekommen. Und ich fürchte der Schlag auf den Kopf und der Energiemangel haben ihn in eine Art komatösen Zustand sinken lassen. Zudem hat er Fiber, was meine Befürchtung nur noch unterstützt. – Wenn die Medikamente noch rechtzeitig anschlagen, kann er in ein paar Stunden schon wieder auf den Beinen sein, andernfalls kann es noch Tage oder sogar Wochen dauern. – Oder vielleicht auch gar nicht mehr…“ Den letzten Satz flüstert er so leise, das Raph ihn schon gar nicht mehr versteht, dennoch hat er gewusst, dass so eine Möglichkeit besteht. Mit Kopfverletzungen ist nicht zu spaßen, erst recht nicht wenn er damit schon tagelang durch die Gegen geirrt ist.
 

„Meister Shredder, darf ich Euch etwas fragen…?“, kommt es vorsichtig von dem Tierarzt. „Warum nicht?“, erwidert Raphael abwesend und starrt nur weiterhin auf den schlafenden Jungen. „Ähm – mir scheint, dass Euch der Junge irgendwie nahe geht und ich frage mich, ob das einen bestimmten Grund hat…“ Der Saikämpfer braucht einen Augenblick bis er antworten kann. „Vor sehr vielen Jahren kannte ich mal einen Jungen, der ihm sehr ähnlich sah und der mir viel bedeutet hat. Er ist gestorben und ich konnte es nicht verhindern. - Daran musste ich denken, als ich ihn gesehen hab. – Daher hoffe ich, dass es mit ihm nicht auch so endet…“, sichtlich kämpft Raph mit sich und Sam tut es jetzt schon leid, dass er überhaupt gefragt hat. „Entschuldigen Sie, dass war keine gute Frage…“ „Nein, schon gut. Das konntest du ja nicht wissen. - Vergessen wir es einfach und hoffen das Beste.“ Raph ringt sich ein Lächeln ab, doch Sam hadert dennoch mit sich, überhaupt gefragt zu haben. Nach ein paar, schweigenden Momenten entschuldigt sich Sam. Er muss noch auf die Nachbarinsel und sehen wie die beiden Krankenschwestern vorankommen.
 

Raph kann es nur recht sein, dann kann er etwas Zeit allein mit Mikey verbringen und muss seine Gefühle nicht mehr so zwanghaft verstecken. Lange Zeit sitzt der rote Ninja da und beobachtet den reglosen Jungen. Nach einer Weile erreichen seine sentimentalen Gefühle ihren Höhepunkt und er fängt an mit ihm zu reden. Erzählt ihm Geschichten aus ihrer gemeinsamen Kindheit und vieles andere, an das er sich noch erinnert. Mehrmals versucht er ihn wachzurütteln, da es ihn in den Wahnsinn treibt keine Antwort von ihm zu bekommen. Doch an seinem Zustand ändert sich nichts. Dies stimmt den jungen Führer nur noch trauriger. Mehrmals fragt er sich, warum ihm eine höhere Macht seinen geliebten Bruder zurückgebracht hat und ihn dann damit quält, zusehen zu müssen wie er ihm wieder endleitet. Am Ende fordert die Erschöpfung ihren Tribut. Als Sam am späten Abend in das Krankenzimmer zurückkehrt, liegt Raph schlafend mit dem Oberkörper auf dem Bett. Seine Rüstung hat er irgendwann abgelegt. Die Einzelteile liegen auf dem Boden verstreut.
 

Seinen eindrucksvollen Meister so zu sehen, ist für ihn ein komisches Gefühl. Ohne seine Rüstung sieht er so friedlich aus wie ein ganz normaler, junger Mann. Das einzig Störende in diesem Bild stellt nur die Augenklappe da, die Raph wieder einen eher verwegenen Ausdruck verleiht. Unbeholfen tapst Sam von einem Bein aufs andere, doch schließlich nimmt er seinen Mut zusammen und rüttelt vorsichtig an Raphaels Schulter. Ein tiefes Brummen ist die Antwort und es macht dem Veterinär schnell klar, dass Raph ohne Rüstung vielleicht harmloser wirkt, es aber keines Falls auch ist. Erschrocken entfernt er sich wieder, doch der Saikämpfer erwacht langsam aus seinem Schlaf. Blinzelnd und desorientiert schaut er sich um, bis sein Blick auf den Arzt fällt. Als sich ihre Blicke treffen, wird Raph wieder bewusst was passiert ist und er setzt sich kerzengerade hin und räuspert sich. „Was guckst du denn so?“, fährt er sein Gegenüber etwas schroff an. Sam entfernt sich noch zwei Schritte. „Es tut mir leid! – Ich dachte nur, es wäre vielleicht besser wenn Sie in ihr eigenes Bett gehen würden, ehe sie sich noch den Rücken verrenken…“
 

Hey, brother

There's an endless road to be discovered
 

Erst jetzt schaut Raph flüchtig auf die Wanduhr und ist überrascht von der späten Stunde. Und als hätte Sam es heraufbeschworen, jagt ein stechender Schmerz durch seinen Rücken, als er versucht aufzustehen. Ungelenk plumpst der Rothaarige wieder auf seinen Hintern und wirft einen warnenden Blick zu seinem Gegenüber. Der Tierarzt schweigt und blickt stattdessen zu seinem Patienten hinüber. „Es hat sich nichts verändert, oder?“, fragt der Saikämpfer, während er einen weiteren Versuch unternimmt aufzustehen. Diesmal schafft er es auch. Doch die Gelenke in seinem Rücken geben ein unschönes Knacken von sich, bei dem Sam eine Gänsehaut bekommt. Kaum merklich verzieht der Führer das Gesicht und streckt sich, wobei noch mehr Knacken zu hören ist. „Nein, alle Werte sind unverändert…“ „Na schön, dann sollten wir wohl beide lieben ins Bett gehen…“, schlägt Raph vor, während er seine Rüstung zusammensammelt. „Ja, gut. – Braucht Ihr noch irgendetwas?“ „Nein, geh nur. Ich komm gleich nach.“ Kaum hat der Meister ihm das gestattet, schlüpft Sam auch schon durch die Tür und verschwindet ins Nebenzimmer, wo er seinen Schlafplatz hat, um im Ernstfall schnell zur Stelle zu sein.
 

Hey, brother

Know the water is sweet but blood is thicker
 

Mit schweren Schritten und schon wieder halb schlafend stapft Raphael zur Tür. Doch noch ehe er die Hand auf die Klinke legen kann, vernimmt er ein tiefes Stöhnen hinter sich. Ruckartig dreht er sich herum. Zuerst denkt er, er hätte es sich nur eingebildet, doch dann sieht er wie sich Mikey schwach unter der Decke bewegt. Sein Herz setzt für einen Moment aus, ehe es mit doppelter Geschwindigkeit wieder loslegt und Raph fast den Atem raubt. Unbeholfen lässt er seine Rüstung wieder zu Boden gleiten und nähert sich dem Bett. Schmerzlich windet sich der blonde Junge unter der Decke und wirft den Kopf von einer Seite auf die andere, fast so als hätte er einen Albtraum. Wie hypnotisiert lässt sich der Rote wieder auf den Stuhl sinken und ergreift eine Hand seines Bruders. Sie ist eiskalt. Als Raph ihre Finger miteinander verschränkt, klammert sich der Junge wie ein Ertrinkender an ihn. Diese Geste erschreckt den sonst so touchen Ninja. Mikey scheint sich mit aller Macht an die Oberfläche zu kämpfen und greift dabei nach jedem Strohhalm. „Mikey? – Hörst du mich? Du musst aufwachen!“
 

Oh, if the sky comes falling down, for you

There's nothing in this world I wouldn't do
 

Es scheint als würde der Blonde ihn hören, doch es gelingt ihm nicht die Augen zu öffnen. „Bitte, Mikey, wach auf!“, bettelt er schon fast. Eine unbekannte Verzweiflung ergreift ihn. Wäre doch Donnie jetzt hier, er wüsste ganz sicher was helfen würde. Die Erinnerung an seine Brüder schmerzt noch viel mehr, jetzt wo einer von ihnen hier ist und er ihm nicht helfen kann. „Bitte, wach auf…“ Raph ist den Tränen nahe und gerade als er sich ihnen endlich ergeben will, rührt sich Mikey nicht mehr. Geschockt starrt der Ältere ihn an. Jedes weitere Wort bleibt ihm im Hals stecken. Dann plötzlich zucken Mikey´s Augenlider. Schwach beginnt er zu blinzeln und schließlich sehen sich die beiden Brüder nach über zehn Jahren das erste Mal wieder in die Augen! Raph ist vollkommen fassungslos. Alle Gefühle stürzen auf ihn ein und am liebsten würde er den Jungen jetzt in seine Arme reißen und nie mehr loslassen. Ehe er das jedoch tun kann, dringt Mikey´s Stimme schwach an sein Ohr. „Wo bin ich? – Was ist passiert?“ Hilflos versucht er sich in dem völlig fremden Raum umzusehen und hält sich mit der freien Hand den dröhnenden Kopf.
 

Hey, brother

Do you still believe in one another?
 

„Du bist in einem Krankenzimmer. Ein paar Männer haben dich bewusstlos auf einer Brücke gefunden.“ Raph fällt dich Beherrschung unglaublich schwer, doch er will seinen Bruder nicht gleich überfordern, immerhin ist er ja verletzt. „Ja – die Brücke. – Ich wollte Menschen suchen und dann wurde plötzlich alles schwarz…“ Ihre Blicke treffen sich wieder und jetzt merkt Mikey auch, dass Raph seine Hand hält. Irritiert blickt der Jüngere ihn an und windet dann schnell seine Finger aus der Hand des anderen. Er scheint sogar vor ihm zurückzuweichen. Überrascht lässt Raphael es geschehen. „Wer bist du?“, fragt der Blauäugige leicht verängstigt über die unerwartete Nähe. Für Raph ist es wie ein Schlag ins Gesicht. Sein eigener Bruder erkennt ihn nicht mehr? Was soll er jetzt nur tun? Ihm die Wahrheit sagen oder ihn anlügen? Zehn Jahre haben an ihm viel verändert, doch eigentlich ist nicht zu übersehen, dass er immer noch derselbe ist. Dann fällt ihm Mikey´s Kopfverletzung wieder ein. Donnie hatte mal erzählt, dass man sein Gedächtnis verlieren kann, wenn man einen Schlag auf den Schädel bekommt. Vielleicht ist es ja das?
 

Hey, brother

Do you still believe in love, I wonder?
 

„Ich bin so was wie der Chef hier. Aber eigentlich ist das im Moment nebensächlich. Verrat mir doch deinen Namen, damit ich dir helfen kann.“, versucht der rote Ninja es stattdessen. Abschätzend blickt der blonde Junge ihn an. In seinem jugendlichen Gesicht beginnt es zu arbeiten. Doch es scheint ihm ziemlich schwer zu fallen darüber nachzudenken. Abermals drückt er sich die Hände gegen die pochenden Schläfen und beißt die Zähne zusammen. Für Raph ist es nicht zu übersehen, das Mikey wohl wirklich an Gedächtnisschwund leidet. „Ich – ich – weiß ihn nicht! Ich weiß meinen eigenen Namen nicht!“, bricht es plötzlich aus dem verzweifelten Jungen heraus. Hemmungslos rinnen Tränen über seine Wangen. Dem Saikämpfer bricht es das Herz ihn so zu sehen. Und doch kann er ihm nicht helfen. Soweit er weiß, sind diese Lücken nur vorübergehend und früher oder später wird er sich wieder an alles erinnern. Bis dahin allerdings wird Raph es tunlichst vermeiden, ihm auf die Nase zu binden, dass sie Brüder sind. Es würde nur Unruhe in seine Männer bringen, weil sie denken könnten, dass er Mikey dann bevorzugt behandeln wird.
 

Oh, if the sky comes falling down, for you

There's nothing in this world I wouldn't do
 

Außerdem wird es noch schlimm genug für den Nunchakuträger werden, wenn er sich wieder an alles erinnert und feststellt, dass er nun Mitglied im Foot-Clan ist und sein eigener Bruder Shredders Posten übernommen hat. Diese Entscheidung fällt Raph schwerer als jede andere in seinem Leben, doch er hat keine andere Wahl. Andererseits hat er damit die Chance eine neue Beziehung zu ihm aufzubauen, einiges anders zu machen, was er in seinem früheren Leben vielleicht bereut hat. Und vielleicht kann er sich so auch Mikey nähern ohne in ihm ein falsches Gefühl auszulösen, nur weil sie blutsverwand sind. Er könnte eine richtige Partnerschaft mit ihm führen, ohne das seine Männer mehr dagegen sagen können, als das ihr Führer jetzt unter die warmen Brüder gegangen ist. Diese Gedanken wecken etwas mehr Hoffnung in dem Rüstungsträger. Etwas unbeholfen zieht er den weinenden Jungen in seine Arme und streicht ihm beruhigend über den Rücken. „Hey, ist schon gut! Er wird dir schon wieder einfallen und bis dahin überleg ich mir halt einen anderen Namen für sich, ok?“ Nur ein wenig entspannt sich der Junge in seinen Armen. „O – o – kay…“, wimmert er.
 

What if I'm far from home?

Oh, brother, I will hear you call
 

Raph beginnt zu überlegen, während der Blonde sich langsam mit dem Gedanken anfreundet, einem völlig Fremden so nahe zu sein. Der Saikämpfer würde ihn schon gern bei seinem richtigen Namen nennen, doch er weiß nicht, ob es nicht jemanden in seiner Truppe oder unter den Flüchtlingen geben könnte, dem das Ganze komisch vorkommt und es dann Probleme gibt. Aber etwas Ähnliches wird es doch sicher geben, dass er benutzen kann. Im Geiste geht er sämtliche Spitznamen durch, die Mikey im Laufe seines Lebens so bekommen hat. Mit seinem Namen lässt sich ja einiges machen, doch nicht alles hat dem aufgeweckten Jungen zugesagt, weswegen sie dann eigentlich bei Mikey hängengeblieben sind, da es seine kindliche Ader ziemlich gut zur Geltung gebracht hat. Ein Name hat ihm jedoch nie gefallen: Michael. Er wusste selbst nicht warum. Vielleicht weil er mal einen Mitschüler mit diesem Namen hatte, der immer fies zu ihm war. Also wäre das wohl der richtig Name, um ihn jetzt zu benutzen. Dann merkt Raph wohl auch am ehesten, wenn Mikey wieder er selbst ist und sich über diesen unmöglichen Namen beschwert.
 

What if I loose it all?

Oh, brother, I will help you back home
 

„Was hältst du von Michael?“, fragt der Ältere vorsichtig. Langsam richtet sich der Junge wieder auf und reibt sich kindlich die Tränen aus den Augen. Japsend schnappt er nach Luft und beruhigt sich allmehlig wieder. „Ich – ich denke, - dass klingt ganz gut…“, gibt er unsicher von sich, muss er sich doch erst noch an diesen fremdklingenden Namen gewöhnen. Ein kleines, aber sanftes Lächeln huscht über Raph´s Züge. „Ok, Michael. An was kannst du dich denn noch alles erinnern? Du hast gesagt, du hast nach Menschen gesucht.“ Ein wenig Enttäuschung schwingt durch seinen Kopf, hatte er doch die leise Hoffnung gehegt, dass dieser verhasste Spitzname Mikey vielleicht die Erinnerung zurückbringt. Mit einem deutlich erschöpften Ausdruck im Gesicht, lehnt sich Michael mit dem Rücken gegen die Wand und denkt nach. „Alles, an das ich mich erinnern kann, ist vor ein paar Tagen passiert. – Um mich herum war alles dunkel und kalt. Ich hab versucht Luft zu holen, doch es ging nicht. Schließlich hab ich gemerkt, dass ich unter Wasser bin und hab es dann irgendwie an die Oberfläche geschafft.“
 

Oh, if the sky comes falling down, for you

There's nothing in this world I wouldn't do
 

Schweigend lauscht Raph seinen Worten und macht sich dabei so seine Gedanken. ‚Er ist im Wasser zu sich gekommen? Etwa im East River? Schon möglich, aber warum haben wir ihn dann in den letzten zehn Jahren nicht gefunden? Wir haben alles so oft abgesucht! Vielleicht ist er auch schon viel länger umhergeirrt ohne sich erinnern zu können und ist dann irgendwie ins Wasser gefallen? Doch warum ist er dann keiner Tag älter als damals?‘ So viele Fragen, Raph platzt fast der Kopf und dennoch wird Michael ihm keine davon beantworten können. „Oben war es auch dunkel. Die Sonne war schon untergegangen. – Ich wollte ans Ufer, doch da war eine Mauer, die ich nicht raufgekommen bin. Dann hab ich diese merkwürdigen Dinger an meinem Gürtel entdeckt und mich damit hochgezogen.“ Gedankenverloren deutet der Junge auf die Kusarigama und die Nunchakus, die noch immer auf einem kleinen Tisch in der Nähe liegen. „Am Ufer war auch alles dunkel. Nirgends hat Licht gebrannt, obwohl es noch gar nicht mitten in der Nacht war. – Dass hat mich gewundert und ich hatte Angst. Irgendwie hatte ich das Gefühl vollkommen allein auf der Welt zu sein…“
 

Hey, brother

There's an endless road to be discovered
 

Eine einzelne Träne kullert an seinen geröteten Wangen hinab. Raphael kann ihn vollends verstehen. Nach dem Kampf mit Shredder, als er als einzig Überlebender in einem Flammenmeer stand kam er sich auch vor wie der letzte Mensch auf Erden. Seine Hände krampfen sich auf seinem Schoß zusammen und es erfordert seine ganze Willenskraft sie wieder zu öffnen. Er will es unbedingt vermeiden, den Jungen jetzt irgendwie mit seinem Verhalten zu verschrecken. „Ich bin durch die Nacht geirrt und hab einen Platz zum Schlafen gesucht. Den hab ich auch gefunden, doch mir ist nicht ein einziger Mensch begegnet. – Und irgendwie waren auch alle Gebäude, die ich gesehen hab, kaputt. Dass hat mir nur noch mehr Angst gemacht und ich kam mir noch einsamer vor…“ Schließlich erzählt er weiterhin wie er nach Essbarem gesucht hat, es aber nicht bei sich behalten konnte und letztendlich zusammengebrochen ist. „Was ist nur passiert? Wo sind all die Menschen?“, fragt Michael nach einer langen Pause. Nachdenklich betrachtet der Ältere ihn und dann ringt er sich zu einer Antwort durch.
 

Hey, brother

Do you still believe in love, I wonder?
 

„Vor zwölf Jahren hat ein tyrannischer Möchtegernherrscher einen Krieg angezettelt, der die ganze Welt in Schutt und Asche gelegt hat. – Die Menschen haben sich versucht gegen ihn zu wehren oder sie sind geflohen, in der Hoffnung einen Platz zu finden, den er noch nicht vernichtet hat. Der Krieg dauerte zwei Jahre. Meine Familie und ich haben sich diesem Mistkerl in den Weg gestellt. – Es ist uns gelungen seine Männer niederzustrecken. Doch seine Waffen waren mächtiger als wir. Ich musste mit ansehen wie er meine gesamte Familie getötet hat. – Erst danach ist es mir gelungen ihn zu vernichten…“ Raphaels Stimme bebt bei jedem Wort, doch er kann sich zusammenreißen – fürs Erste. An Michael geht die Geschichte jedoch nicht so spurlos vorbei. Mit offenem Mund hört er schweigend zu, während neuerliche Tränen sein zartes Gesicht benetzen. „Dass – dass ist ja schrecklich!“, presst er flüsternd hervor. Stumm nickt der Saikämpfer und sammelt sich ein wenig.
 

Oh, if the sky comes falling down, for you

There's nothing in this world I wouldn't do
 

„Nach meinem sinnlosen Sieg über diesen Tyrannen hab ich dessen Platz eingenommen und versuche jetzt unter seinem Namen die Welt wieder aufzubauen und seine Missetaten ungeschehen zu machen. – Ich habe starke Kämpfer an meiner Seite, die täglich nach neuen Überlebenden des Krieges suchen und so auch dich gefunden haben. Ich versammle alle Menschen hier an diesem sicheren Ort und versuche ihnen ein neues Zuhause und eine neue Zukunft zu geben.“, sanft lächelt er dem Jungen zu, der die Geste nicht weniger sanft erwidert. „Du bist stark und hast ganz ausgezeichnete Waffen bei dir. Von daher würde es mich sehr freuen, wenn du in meiner Truppe mitmachen möchtest.“ Langsam reicht Raph ihm eines der Nunchakus herüber. Unsicher nimmt der Junge es in die Hand und scheint damit doch nichts anzufangen zu wissen. „Ja – ich denke, dass könnte ich machen. – Zumindest wenn mir jemand zeigt wie man damit richtig umgeht…“, zweifelnd sieht er den Älteren an. „Das ist kein Problem, wie haben hier einen ausgezeichneten Trainer, der dir alles beibringen wird, was du wissen musst.“
 

What if I'm far from home?

Oh, brother, I will hear you call
 

Ein vorfreudiges Lächeln breitet sich auf den Zügen des Blonden aus. Dann beginnt er erschöpft zu gähnen und steckt Raph gleich mit an. Langsam erhebt sich der Rothaarige. „Ich denke, wir reden morgen weiter. Jetzt solltest du dich ausruhen und Kraft tanken. Immerhin wartet eine wichtige Aufgabe auf dich!“ „Ja, dass mach ich…“, kommt es zwischen einem weiteren Gähnen von Michael, ehe er zurück unter die Bettdecke huscht und die Augen schließt. Mit einem letzten, sanften Lächeln sammelt Raphael endgültig seine Rüstung ein und begibt sich in sein Zimmer. *Mikey ist hier, und alles wird gut werden, denkt Raph, und es erfordert seine ganze Anstrengung, dass er nicht in äußerst unmännliche Tränen ausbricht. Doch hinter der verschlossenen Tür sieht es ganz anders aus. Ungeachtet schmeißt er seine Rüstung zu Boden und wirft sich dann auf sein Bett. Nun, da er ganz allein ist, kann er endlich seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Ungehemmt kullern Tränen über seine Wangen und sein hoffnungsloses Schluchzen erfüllt den Raum.
 

What if I loose it all?

Oh, brother, I will help you back home
 

Mikey ist vielleicht wieder bei ihm, doch irgendwie ist er es ja auch nicht. Es ist so schrecklich seinem eigenen Bruder so nahe zu sein und doch weiß dieser nicht, dass sie Brüder sind. Gemeinsam haben sie so vieles durchgemacht und doch ist nun nichts mehr davon geblieben. Neuanfang schön und gut. Doch wie soll er das anstellen, wenn er jedes Mal heulen möchte sobald er dem Jungen auch nur ins Gesicht sieht? Die einzige Hoffnung ist, dass er sich bald wieder an alles erinnert. Doch macht es dass dann wirklich besser für sie beide?
 

Oh, if the sky comes falling down, for you

There's nothing in this world I wouldn't do

To reminisce of my brother...

Zwei Monate später - Dezember…
 

Die Zeit ist vergangen und die Wunden sind verheilt. Doch leider weiß Michael noch immer nicht, wer er wirklich ist und wie nahe er seinem eigenen Bruder gegenüber steht. Trotz alledem ist er seinem früheren Ich unbewusst so nahe wie es nur geht. Der Blonde hat seine alte Fröhlichkeit und aufgeweckte Art zurückgewonnen, von seinem endlosen Appetit ganz zu schweigen. Die Geschicklichkeit mit seinen Waffen schien er nie wirklich verloren zu haben, sind sie in seinem Inneren doch eingebrannt wie heißer Stahl in Holz. Umso überraschter war Chen, als er Michael das erste Mal trainieren sollte. Der Japaner hatte sich schon gewundert, warum Raph ihm gesagt hat, dass er den Jungen besonders hart rannehmen und mit ihm nicht so nachsichtig wie mit den Foot sein soll. Den ersten Übungskampf hat Raphael äußerst genau über die große Scheibe im Thronsaal beobachtet. Und ganz so wie er es vermutet hatte, war es dann auch gewesen. Michael weiß vielleicht noch immer nicht wie er wirklich heißt und wo er herkommt, doch die Moves, die Splinter ihm vor ewigen Zeiten eingebläut hat, sind zu einem unauslöschbaren Instinkt geworden.
 

Mit einem zufriedenen Lächeln konnte Raph also beobachten, wie Michael mit unglaublicher Eleganz und Schnelligkeit Chens Angriffen ausgewichen ist. Wo der Junge nach dem Aufwachen noch nicht einmal wusste wie die Waffen, die er bei sich trug, heißen oder wie man sie benutzt, so war in diesem Moment davon nichts mehr zu spüren. All seine Bewegungen glichen angeborenen Reflexen, die den Blonden selbst ganz überrascht haben. Diese erstaunlichen Fähigkeiten und Fortschritte haben auch den selbsternannten Sensei Chen mit Stolz erfüllt und so trainiert er Michael besonders intensiv. Doch nicht nur seine wiederentdeckte Kampfkunst erinnert den Führer an seinen kleinen Bruder, seine ganze Erscheinung schreit geradezu danach. Mit seiner fröhlichen und ausgelassenen Art gewinnt er jeden für sich und erhellt damit die Gesichter aller Flüchtlinge wie es sonst hier keinem gelingt. Er ist hilfsbereit und für jeden Spaß zu haben. Sein Hunger kennt keine Grenzen, auch wenn es hier leider noch keine Pizza gibt. Doch immerhin haben sie in all den Jahren allerhand Bücher und Comics gefunden, die der Junge in jeder freien Minute gierig verschlingt.
 

So kommt es dem roten Ninja immer öfter so vor, als wäre nie etwas zwischen ihnen passiert; als hätte es nie einen Krieg gegeben, der sie zehn Jahre voneinander getrennt hat. Mit einer Ausnahme. Da Raph ja hier der Führer ist und Michael zu den Foot-Soldaten gehört, legt der Blonde eine Höflichkeit an den Tag, die er sein früheres Leben lang nie besessen hat. Nur zu gut kann sich Raph noch daran erinnern wie viel Nerven es Splinter gekostet hat, Mikey davon abzubringen jeden der ihm begegnet ist, als seinen Kumpel anzusprechen. So ist es mehr als seltsam für den Saikämpfer von dem kleinen Wirbelwind ehrfürchtig als Meister bezeichnet zu werden. Zudem verbeugt sich der Junge mindestens genauso oft wie Chen vor ihm, was Raph fast in den Wahnsinn treibt. Wüsste er nicht, dass eigentlich Mikey vor ihm steht, würde er denken, dass sich Leo die Haare gebleicht hätte und ihm damit einen ganz miesen Streich spielt. Dennoch hegt der Saikämpfer die Hoffnung, dass sich das mit der Zeit legen wird. Spätestens wenn er sich wieder an alles erinnern kann. Zudem wirkt es äußerst grausam Mikey in der trostlosen Uniform der Foot zu sehen.
 

Er muss zwar sein Gesicht nicht verbergen und das enge Schwarz übt eine unglaubliche Anziehung auf den Einäugigen aus, dennoch scheint es dem Blonden seine ganze Persönlichkeit zu nehmen. Der einzig individuelle Tatsch daran bildet das orange Bandana, das dem Jungen nun als Gürtel dient. Die anderen Foot haben sich in der Zwischenzeit auch daran gewöhnt, so ein junges Kerlchen in ihrer Mitte zu haben. Dennoch ist ihnen der Neid anzusehen, wenn sie trainieren, ihnen jedoch nicht wirklich etwas gelingen will und es Michael scheinbar so leicht fällt. Das ihr Führer ihn in irgendeiner Weise bevorzugen könnte, fällt ihnen noch nicht auf, da Raph sich alle Mühe gibt, es zu unterbinden. So beginnt auch dieser Tag mit einem ausgiebigen Training für alle und dann werden die Missionen für heute vergeben. Da bis jetzt noch kein Schnee gefallen ist und die Temperatur tagsüber noch knapp über dem Gefrierpunkt liegt, ziehen die Foot immer noch in die zerstörte Stadt aus und durchsuchen die Trümmer nach brauchbaren Materialien. Eine Arbeit, die trotz der langen Zeit noch weitere Jahre in Anspruch nehmen wird. Die Flüchtlinge indes arbeiten fleißig weiter daran neue Unterkünfte zu errichten, da fast täglich weitere zu ihnen kommen.
 

Noch etwas schnaufend betreten die Foot-Ninja nach dem Training den Thronsaal, um ihre Aufgaben für heute entgegen zu nehmen. Michael ist ganz besonders aufgeregt, da er hofft, heute endlich auch einmal mit auf Mission gehen zu dürfen, als immer nur den Flüchtlingen bei ihrer Arbeit zu helfen und zu trainieren. Mit leuchtenden Augen steht er zwischen den völlig vermummten Foot und blickt zu seinem Meister hinüber. Dieser drückt in aller Seelenruhe seine Zigarette aus und greift nach dem Papier, auf dem die Truppenverteilung niedergeschrieben ist. Das Gekritzel scheint keine Ordnung aufzuweisen, von Lesbarkeit ganz zu schweigen, dennoch ist Raph sehr zufrieden mit seiner Arbeit, hat sie ihm doch wieder einiges abverlangt. Geduldig überfliegt er die Seite, während sich die Foot in Formation begeben und dann vor ihm auf die Knie gehen. Mit seinen zottigen, blonden Haaren wirkt Michael zwischen ihnen wie ein Stern in absolut finsterer Nacht. Nicht zum ersten Mal muss Raph bei diesem Anblick unweigerlich lächeln, war Mikey für ihn doch schon immer sein Stern, der ihn aus der Dunkelheit befreit hat.
 

Gemächlich erhebt sich der Rüstungsträger von seinem Thron und beginnt die einzelnen Teams ihren Quadranten zuzuordnen. Jedes Team, das seinen Standpunkt kennt, erhebt sich leise und verschwindet dann aus dem Saal. So dünnt sich die Schar von Männern vor Raphael schnell aus. Als einziger übrig bleibt wie immer Michael. Erwartungsvoll rutscht der Junge auf seinen Knien hin und her und blickt seinen Führer mit großen Kulleraugen an. Der Ältere mustert ihn eine ganze Weile schweigend, ohne dass der Nunchakuträger die Hoffnung zu verlieren scheint. Innerlich fällt es dem Saikämpfer ziemlich schwer sein aufgewecktes Gegenüber erneut enttäuschen zu müssen. In seinen Augen ist Michael einfach noch nicht so weit mit den anderen auf Mission zu gehen, ganz zu schweigen davon allein eine derartige Aufgabe zu übernehmen. Zu kurz war die Zeit, die er erst völlig wieder auf den Beinen ist. Außerdem fällt es ihm irgendwie schwer, den Jungen aus den Augen zu lassen. Er fühlt sich für ihn verantwortlich, mehr denn je noch als früher noch, doch er kann ihn schlecht den ganzen Tag an die Hand nehmen.
 

Daher gibt er ihm Aufgaben, bei denen er sich in seiner Nähe befindet und die möglichst ungefährlich sind. Doch je öfter er das tut, desto weniger scheint es Michael zu gefallen, seinen Befehlen Folge zu leisten. „Ok, Michael. Ich möchte, dass du rübergehst und den Frauen beim Waschen und Kochen hilfst. Anschließend wirst du den Männern auf der Baustelle helfen.“, kommt es von dem Clan-Führer. Mit jedem seiner Worte schwindet ein Grad mehr von der Vorfreude des Blonden, bis er schließlich betrübt zu Boden blickt. Er hat sich so auf eine richtige Aufgabe gefreut und nun darf er nur wieder das Hausmädchen spielen. Der Junge beißt sich auf die Unterlippe und seine Hände verkrampfen sich auf seinem Schoß zu Fäusten. Raph sieht ihm deutlich an, dass er angestrengt versucht seine Enttäuschung herunterzuschlucken. Und er kann ihn bestens verstehen. Ihm ging es nicht besser, als Splinter dasselbe früher mit ihnen gemacht hat. Leo und Donnie durften immer die tollen Sachen machen, während er und Mikey zuschauen mussten. Nun, da er erwachsen ist, versteht er, dass Splinter damals genau das Richtige getan hat und versucht es weiterzugeben.
 

Doch genau wie Raph damals, möchte auch Michael jetzt nicht verstehen, warum er einfach nicht ernst genommen wird und man ihm keine richtige Aufgabe zutraut. Es fällt Raphael wahrscheinlich wesentlich schwerer seinen Bruder so zu enttäuschen, als es Splinter damals fiel, aber er will ja nur das Beste für seinen Schützling. Im Gegensatz zu dem Blonden weiß Raph ganz genau, dass Mikey schon damals an Selbstüberschätzung und akuter Konzentrationsschwäche gelitten hat und das hat sich nicht geändert, nur weil er keine Erinnerung mehr an damals hat. Stumm betrachtet der Führer seinen jungen Soldaten. „Hast du mich nicht verstanden?“, fragt er ihn schließlich nach einer weiteren Minute des Schweigens. Leichter Zorn schwingt in seiner Stimme mit. Sonst hat sich Michael trotz seiner Unzufriedenheit immer getrollt und brav gemacht, was man ihm gesagt hat, doch heute nicht. Er hockt weiterhin wie ein trotziges Kind auf seinen Knien und starrt zu Boden. Langsam hebt er nun den Kopf und blickt ihm verständnislos entgegen. Schmollend schiebt er jetzt auch noch die Unterlippe vor, was ihn noch mehr wie ein kleines Kind aussehen lässt.
 

Bei diesem Anblick muss sich der Ältere ehrlich zusammenreißen, um nicht zu lachen. Es kommt und kam nicht oft vor, dass der Blonde in so einen trotzigen Zustand verfällt. Wahrscheinlich weil er damals wusste, dass er bei Splinter da nicht weit kommt und bei seinen Brüdern hat es auch nur selten funktioniert. Doch jetzt ist seine Unwissenheit groß und er denkt vielleicht, dass er Shredder wohlmöglich überreden kann. Doch ihn so kindlich anzuschmollen wird ihm da nicht sonderlich weit bringen. Außer vielleicht er möchte, dass Raph einen Lachanfall bekommt. Der Nunchakuträger ist weiß Gott nicht der Typ, der finster dreinschaut oder besonders aufmüpfig wird, umso lustiger ist daher sein Anblick. Allerdings lässt sich Raph nicht erweichen, es ist immerhin zu Michaels eigener Sicherheit. „Ich hab dich was gefragt, also antworte gefälligst!“, kommt es betont streng von dem Rüstungsträger. Der Junge gibt ein missgünstiges Schnauben von sich. „Ich habe Euch sehr wohl verstanden, doch ich kann es einfach nicht akzeptieren!“ Michael versucht wütend zu klingen, doch ein Anflug von Traurigkeit mischt sich in seine Stimme.
 

Versucht geduldig legt Raph seine Ellenbogen auf die Armlehnen, verschränkt die Finger vor seinem Gesicht und bettet sein Kinn darauf. Er trägt seinen Helm nicht, daher kann der Jüngere genau sehen wie es in dem Gesicht des anderen arbeitet. „Du versuchst dich also meinem Befehl zu widersetzen, hab ich das richtig verstanden?“ Das einzelne, gelbgrüne Auge funkelt dem Blonden mit aufkommender Wut entgegen. Nicht wissend, zu was sein Meister alles in der Lage sein kann, stellt sich der ehemalige Hamato ihm jedoch entgegen. „Ich widersetzte mich Eurem Befehl keineswegs, ich hätte nur gern einen anderen!“, erwidert er immer noch schmollend. Beinahe herablassend betrachtet Raphael ihn erneut. Früher hätte Mikey es nicht gewagt ihm zu widersprechen, doch gerade deswegen macht es Raph jetzt so neugierig wie lange er es aushalten wird. Der Junge kann sich noch so sehr anstrengen, er wird seine Meinung dennoch nicht ändern. Doch der Blonde hatte schon immer eine ausgeprägte Hartnäckigkeit an sich, wenn ihm etwas nicht passte. „Das ist überaus interessant. Und wenn ich dir keine andere Aufgabe gebe?“, hakt der Rote nach.
 

Falls es überhaupt noch möglich ist, setzt der Kleinere nun ein noch schwollenderes Gesicht auf und verschränkt trotzig die Arme vor der Brust. An Unhöflichkeit ist der Anblick kaum noch zu überbieten, doch Raph sieht es noch gelassen und versucht streng zu bleiben. „Dann verlange ich eine Erklärung von Euch, warum ich nicht mit den anderen auf Mission gehen darf!“, platzt es ungehalten aus dem Jungen heraus. Langsam wird es dem Führer nun doch etwas zu bunt. „Ist dir eigentlich klar wie respektlos du hier gerade mit mir redest, junger Mann?“, fragt er ihn daher und lehnt sich drohend nach vorn. Zu seiner Überraschung ignoriert der Junge ihn jedoch. Er steht sogar auf und kommt zwei Schritte auf ihn zu. „Ihr sagt mir ständig, was ich für ein toller Kämpfer bin und das die anderen nicht mal ansatzweise so gut sind wie ich! Also warum lasst Ihr mich dann keine vernünftige Aufgabe erledigen?“ Seine Stimme ist deutlich lauter geworden und hat ihren traurigen Unterton völlig verloren. Nun scheint er einfach nur noch enttäuscht und wütend zu sein. Inzwischen gefällt Raphael dieses Spielchen aber überhaupt nicht mehr.
 

Wenn er weiterhin so mit sich reden lässt, werden bald alle Foot glauben, sie könnten so mit ihm umspringen, wenn ihnen etwas nicht passt. Und dann wird alles, was er sich mühevoll aufgebaut hat, in totalem Chaos enden. Mit einem wütenden Knurren erhebt sich der Foot-Clan-Führer von seinem Thron und stellt sich vor den Jungen. Dieser blickt ihm furchtlos entgegen und weicht keinen Zentimeter zurück. Grob packt Raphael ihn am Kragen und hebt ihn schier mühelos auf Augenhöhe, als wäre er nichts weiter als ein Kissen. Überrascht zuckt der Junge etwas zusammen und versucht sich frei zu strampeln. Der Ältere lässt ihm jedoch keine Chance. „Nun hör mir mal genau zu, du Früchtchen! Wenn ich dir eine Aufgabe gebe, dann hast du sie gefälligst auch ohne Wenn und Aber zu erledigen. Andernfalls werde ich dir deinen Hinter versohlen, dass du die nächsten zwei Wochen nicht mehr sitzen kannst, ist das klar!“, knurrt er dem Blonden entgegen. Dieser zuckt nun doch etwas ängstlich zusammen und blickt ihn hilflos an. „Ja, aber…“, setzt er dennoch vorsichtig an. Doch Raph wirft ihn einfach grob zu Boden.
 

Schmerzlich richtet sich der Junge etwas auf und blickt zu ihm hoch. „Es mag zwar sein, dass du der Beste unter meinen Kämpfern bist, doch das gibt dir noch lange nicht das Recht frech zu werden. Dir fehlt einfach die Erfahrung. Du musst dich blind auf deine Kammeraden verlassen können und sie sich auf dich. In einem Team gibt es kein ‚ich will‘, sondern immer nur ein ‚wir machen‘. Und bis du das begriffen hast, wirst du auch weiterhin Wäsche waschen, Kochen und auf dem Bau helfen! Und jetzt geh mir aus den Augen, ehe ich dich für den Rest des Tages unter Arrest stelle!“ Wütend deutet Raphael auf den Ausgang und hofft, dass er zu dem Jungen durchgedrungen ist. Er will ihn nicht bestrafen müssen und schon gar nicht verhauen, doch sollte er auch weiterhin Wiederworte geben, bleibt ihm nichts anderes übrig. Scheinbar hat seine Ansprache aber Wirkung gezeigt. Ziemlich kleinlaut erhebt sich der Junge, entschuldigt sich in aller Höflichkeit und schlurft dann zum Ausgang. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fällt, lässt sich der Saikämpfer ziemlich deprimiert auf seinen Thron fallen. Es tut ihm schon ziemlich weh, so hart zu ihm gewesen zu sein.
 

Andererseits war Raph früher weit ungehaltener zu ihm. Hat ihn fast täglich auch ohne ersichtlichen Grund verprügelt und sich nicht ein Wiederwort gefallen gelassen. Damals hätte es Mikey gar nicht gewagt, ihm so vehement zu widersprechen. Seine Gefühle spielen völlig verrückt. Doch er kann dem Jungen ja schlecht auf die Nase binden, dass er sich Sorgen um ihn macht oder gar, dass er in ihn verknallt ist und sich nichts sehnlicher wünscht, eine zügellose Nacht mit ihm zu verbringen. Dann würde er erst recht jeglichen Respekt von seiner Seite verlieren. Diese verdammte Amnesie! Mit einem langgezogenen Seufzer dreht sich der Rothaarige eine neue Zigarette und zündet sie an. Doch schon nach einem Zug schmeckt sie so widerlich, dass er sie wieder ausdrückt. Im Moment scheint Rauchen nicht das richtige Mittel zu sein, um sich etwas abzulenken, also muss er sich wohl etwas anderes einfallen lassen. Er gibt ein neuerliches Seufzen von sich, ehe er sich einen von Chens Berichten greift, die auf einem kleinen Tischchen neben seinem Thron liegen. Vielleicht kann er darin ja etwas Erfreuliches lesen, das seine Stimmung etwas hebt.
 

In der Zwischenzeit wandert Michael mit hängenden Schultern den Flur entlang, die Treppe hinunter und holt sich aus seinem Schlafzimmer eine Jacke. Bei Temperaturen knapp über null Grad wird er sie auf jeden Fall brauchen. Auf dem Weg zurück zur Treppe kommt er an etlichen Lagerräumen vorbei. Hinter den Türen werden alle Dinge, die die Foot im Laufe der Jahre gefunden haben und die jetzt noch nicht sonderlich brauchbar sind, gelagert. Sortiert nach verschiedenen Kriterien warten die meisten von ihnen darauf wieder benutzt zu werden. Bei vielen Dingen, wie zum Beispiel Radios oder Fernsehgeräten, wird es aber wohl noch Jahre dauern, bis die Zivilisation so weit ist ihre Meinung wieder in alle Welt zu senden. Nachdenklich steht der Blonde vor einer der Türen. Die Räume sind immer verschlossen, damit niemand auf irgendwelche dummen Ideen kommt und nur Raph und Chen haben Schlüssel dafür. Zudem wird streng Buch darüber geführt, was dort lagert und wer etwas davon bekommen hat. Einige Male konnte Michael aber schon einen Blick hineinwerfen, so weiß er, dass dort viele interessante Dinge liegen, die er nur zu gern einmal benutzen würde, es ihm aber verboten ist, sie zu haben.
 

Doch im Augenblick ist ihm alles ziemlich egal. Das Gespräch mit Shredder ist kein bisschen so verlaufen wie er es sich vorgestellt hat. Er ist deswegen immer noch beleidigt. Das er für sein Verhalten ernsthaft bestraft werden könnte, ist ihm einerlei. Er möchte seinen Tag einfach nur ein wenig aufregender gestalten. Etwas unsicher blickt er sich nach allen Seiten um, ehe er eine kleine Haarnadel aus seiner Tasche zieht. Geduldig bewegt er sie in dem Schlüsselloch. Es braucht eine ganze Weile, ehe er das erlösende Kicken hört und der Knauf sich drehen lässt. Mit einem letzten Blick nach allen Seiten schlüpft er in das Lager hinein. In einem Regal neben der Tür findet er ein Sturmfeuerzeug und macht sich damit Licht. Hier drinnen gibt es zwar auch Lampen, doch er fürchtet, dass ihr Licht für jemanden der vorbeigeht, unter der Tür sichtbar sein könnte. Geduldig schlendert Michael an den einzelnen Regalen vorbei und sieht sich um. Schließlich findet er in einem davon, was er gesucht hat und verstaut alles in der Innertasche seiner Jacke. Anschließend legt er das Feuerzeug zurück und verschwindet schnell.
 

Früher oder später wird natürlich jemand merken, dass die Tür nicht mehr verriegelt ist, aber immerhin könnte es ja jeder gewesen sein. So macht er sich keine weiteren Gedanken und verschwindet auf die Nachbarinsel, um beim Waschen und Kochen zu helfen. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass die Frauen nichts für ihn zu tun haben und auch eigentlich lieber unter sich wären. So gern sie den Jungen auch alle haben, so unbehaglich fühlen sie sich bei der Arbeit in Gegenwart der Foot-Soldaten. Dem Nunchakuträger ist es egal und so begibt er sich nach draußen, wo die Männer dabei sind neben dem alten Krankenhaus neue Unterkünfte zu errichten. Hier wird sich sicher etwas finden, wobei er helfen kann. Suchend schaut er sich um. Auch hier machen die Männer nicht gerade den Eindruck, als würden sie sich über seine Anwesenheit freuen. Wenn nicht gearbeitet wird, unterhalten sie sich ausgelassen mit ihm über Gott und die Welt. Doch kaum sind sie auf der Baustelle, ist jeder nur mit sich selbst beschäftigt. Kaum jemand wechselt ein Wort mit einem anderen und jeder versucht sich aus dem Weg zu gehen.
 

Die Männer arbeiten zwar an demselben Projekt, doch zusammenarbeiten tun sie dabei nicht wirklich. Jeder macht sein eigenes Ding und ignoriert die anderen dabei fast völlig. So kommt es nicht selten vor, dass sich die Männer gegenseitig anrempeln und dann in Streit geraten oder sogar kurz davor stehen sich zu prügeln. Langsam dämmert es dem Jungen bei diesem Anblick, was Raph wirklich gemeint hat, als er sagte, in einem Team gehe es nicht um ‚ich will‘ sondern um ‚wir machen‘. Michael würde zwar gern helfen, doch niemand lässt ihn. Ihm kommt der Gedanke, dass Shredder nicht ihn selbst mit seiner Ansprache gemeint hat, sondern alle hier. Und eigentlich soll der Blonde nicht an seinem Sozialverhalten arbeiten, sondern die anderen dazu bringen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Er soll ihnen ein Gemeinsamkeitsgefühl zeigen, weil er von allen Soldaten am aufgeschlossensten ist und sich unter normalen Umständen auch mit jedem versteht. Doch wie in aller Welt soll er das nur anstellen, wenn keiner der Männer ihm auch nur zuhören möchte? Nachdenklich blickt er sich um und sucht nach etwas, das er tun kann.
 

Alle hier, er selbst eingeschlossen, sind Flüchtlinge. Doch es klafft irgendwie eine große Lücke zwischen denen, die als Shredders Soldaten fungieren und denen, die nur ihre Arbeit verrichten. Die normalen Flüchtlinge möchten eigentlich so gut wie nichts mit den Foot zu tun haben, da sie ihnen besser gestellt vorkommen und die Gedanken an den Krieg noch in ihnen verwurzelt sind. Immerhin dürfen die Foot in dem sicheren Bunker wohnen und müssen sich nicht an der alltäglichen Arbeit beteiligen, bekommen aber dennoch Essen und saubere Kleidung von ihnen. Indes müssen sich die Flüchtlinge selbst um alles kümmern und sind ständig darauf angewiesen, dass Shredder so gnädig ist, sie hier überhaupt wohnen zu lassen. Was wäre, wenn ihr großer Führer mal einen wirklich schlechten Tag hat und beschließt, sie alle loswerden zu wollen, so wie die letzten Foot? Das wollen sie sich gar nicht vorstellen. Daher sehen sie Michael auch nicht als helfende Hand an, sondern eher als eine Art Spion, der herausfinden soll, ob die Flüchtlinge vielleicht so etwas wie einen Aufstand planen. Dass dem überhaupt nicht so ist und Raph wirklich nur das Beste für sie alle will, glauben die Wenigsten.
 

Schließlich entdeckt Michael etwas, das er tun kann. Viele Rohstoffe, die die Männer hier verbauen, stammen aus alten Autos. Da die Wagen eh nicht mehr zum Fahren zu gebrachen sind, weil sämtliche Straßen durch Trümmer so gut wie unpassierbar sind, werden sie ausgeschlachtet. So wurden beispielsweise die ganzen kaputten Fenster des alten Krankenhauses durch Autoscheiben ersetzt. Ähnlich wurden auch die Gummis zum abdichten verwendet; Sitze dienen als Stühle oder als Schlafplatz; aus dem Metall wurden Schuppen und andere Dinge gefertigt und die Kabel wurden für die Stromversorgung benutzt. Wie der Bunker, wird auch alles auf dieser Insel durch Wasserkraft angetrieben. Die kräftigen Fluten des East River trieben einen großen Generator an, der die Insel mit Strom versorgt. So gibt es Licht, Heizung und warmes Wasser. Dennoch finden so gut wie keine Elektrogeräte Anwendung. So wird die Wäsche trotz allem auf altmodische Weise in einem Kessel und mit Waschbrettern gereinigt, gekocht wird zumeist auf offenem Feuer und Unterhaltungsmedien gibt es gar nicht.
 

Das Leben gleicht eher dem von vor zweihundert Jahren. Stören tut das im Grunde niemanden, auch wenn sich der ein oder andere ganz sicher wünscht, er könnte mal wieder auf der Couch sitzen und Musik hören oder einen Film schauen. Das wäre durchaus möglich, da in den Lagerräumen auch allerhand TV-Geräte, CDs, Videorekorder, DVDs und Radios lagern. Allerdings werden sie nur sehr selten benutzt und auch nur zu besonderen Anlässen, damit die Leute nicht in alte, faule Verhaltensweisen zurückfallen, die Manhattan jahrzehntelang beherrscht haben. Faulheit ist etwas, dass sich die Leute in dieser neuen Welt nicht mehr leisten können und sich auch nicht wieder angewöhnen sollen. Wenn sie ihre Arbeit jedoch gut machen, werden sie mit solchen Dingen belohnt. So wird zum Beispiel einmal im Monat eine Art Filmnacht abgehalten, wo die Leute vor einer großen Leinwand beisammensitzen oder es gibt einen Tanzabend am Lagerfeuer. Michael hat jedoch das Gefühl, dass diese kurzen Freuden alter Gewohnheiten die Leute letztendlich nur traurig stimmen, da sie viel zu schnell vorüber gehen und sie nicht selbst bestimmen können, wann es wieder so weit ist.
 

Auch dabei müssen sie auf Shredders gute Laune hoffen. Eigentlich ziemlich ungerecht, wo der Führer doch jeder Zeit Zugang zu solchen Gerätschaften hat und sie benutzen könnte, wann immer ihm der Sinn danach steht. Die Leute wissen jedoch nicht, dass so etwas absolut nicht in Raphaels Interesse liegt. Klar hat er früher gern Musik gehört und sich einen Film angesehen oder Videospiele gezockt, doch wirklich fehlen tut ihm das Ganze jetzt nicht. Zumal er auch wirklich genug andere Dinge im Kopf hat und daher gar keine Zeit dazu findet. Das Fernsehen vermisst Michael auch nicht wirklich. Natürlich gefallen ihm die Filme, die manchmal gezeigt werden sehr, doch es würde ihn nicht stören, wenn es sie nicht gäbe. Bei Musik sieht es da schon ganz anders aus. In seinem früheren Leben war Mikey äußerst begeistert von Musik und hat ständig vor sich hin gesungen und sich auch mal selbst daran versucht, das ein oder andere Lied zu schreiben oder es auf der Gitarre nachzuspielen. Daran kann er sich jetzt zwar nicht mehr erinnern, aber der Drang von Musik umgeben zu sein, brennt in ihm wie ein kleines Feuer, das sich nicht löschen lässt.
 

Mit dem Gedanken, sich von der Musik etwas beflügeln zu lassen, setzt sich Michael in eines der Autos, das noch ausgeschlachtet werden muss. Das rege, aber schrecklich schweigsame, Treiben der anderen Männer hört nicht auf, ganz so als würden sie gar nicht wahrnehmen, dass er überhaupt hier ist, um ihnen zu helfen. Im Gegenteil. Wie schon die Frauen, scheinen sich die Männer eher von seiner Gegenwahrt gestört zu fühlen. Sie werfen ihm missgünstige Blicke zu, wenden sich schnaubend ab und die wenigen Unterhaltungen zwischen ihnen ersterben. Jeder konzentriert sich nur noch auf sich selbst und keiner möchte wirklich etwas mit ihm zu tun haben. Doch außerhalb der Arbeit unterhalten sie sich normalerweise sehr angeregt über Gott und die Welt mit ihm. Wirklich traurig wie der Blonde findet. Wie soll man so bloß ein ‚wir machen‘ zu Stande bekommen? Seufzend lässt sich der Junge auf den zerschlissenen Fahrersitz fallen und holt die Dinge aus seiner Jacke, die er aus dem Lagerraum hat mitgehen lassen. Dabei handelt es sich um ein paar Batterien, einen tragbaren CD-Player und ein halbes Dutzend CDs.
 

Seelenruhig schiebt er die Batterien in den dafür vorgesehenen Schlitz und entknotet das Kopfhörerkabel. Dann reiht er die verschiedenen CDs auf dem Armaturenbrett auf und greift sich eine davon. Bei den CDs handelt es sich alles um Mixaufnahmen, also von keiner bestimmten Band. Eher ein Best of der 80er und 90er Jahre. Verträumt betrachtet der Junge die funkelnde Scheibe, die unsichtbar mit Musik beschrieben ist, ehe er sie in den Player drückt. Die Bands und Songtitel auf der Hülle sagen ihm überhaupt nichts. Könnte er sich jedoch daran erinnern, würde er sich wohl freuen, dass einige seiner absoluten Lieblingslieder dabei sind. Während er auf Play drückt, beobachtet er die Männer, die sich inzwischen völlig von ihm abgewendet haben. Ihre finsteren Gesichter passen herrlich zum grauen, kalten Dezemberwetter. Die Wolken hängen so tief und schneegeschwängert am Himmel, dass man fast das Gefühl hat, man würde sich daran den Kopf stoßen. Die Temperatur liegt zwar noch knapp über null, doch die Luft riecht schon so stark nach Schnee, dass es wahrscheinlich heute Nacht, spätestens Morgen die ersten Flocken geben dürfte.
 

Und wenn das erst passiert, dann ist die Stimmung unter den Arbeitern noch weit getrübter, als jetzt. Falls sie dann überhaupt noch arbeiten können. Von alledem vollkommen unbeeindruckt beginnt sich die CD in dem Player zu drehen und kurz darauf spielen die ersten Noten. In diesem Moment scheint die Welt wie verwandelt zu sein. Die launischen Gesichter der Männer werden auf einmal nichtssagender und gehen schließlich in der Musik unter. In Michaels Kopf breitet sich eine ganz andere Welt aus. Eine Welt, die nur er hören kann und außer ihr gibt es nichts anderes. Ein zufriedenes Lächeln breitet sich auf dem jungen Gesicht aus und seine Augen beginnen zu funkeln. In diesem Moment scheint es nichts Schöneres zu geben, als diese Musik. Sie erfüllt sein ganzes Denken und hebt seine getrübte Stimmung so hoch, als wäre heute der erste Frühlingstag und alles würde neu beginnen. Gefangen in dieser magischen Welt aus fremden Stimmen, lehnt sich der Junge einen Augenblick zurück und schließt die Augen. Die Männer, die an dem Auto vorbeigehen, denken sogar er würde dort sitzen und schlafen und sind dadurch nur noch verstimmter.
 

Ohne von alledem zu wissen, legt Raphael den letzten Bericht zurück auf den Tisch. Wie er darin gelesen hat, ist so gut wie alles für den ersten Schneefall vorbereitet. Es gibt genug Essen, Wasser und auch warme Kleidung um etliche Tage auszuharren, sollte es extrem werden und sie vielleicht sogar einschneien. Der Rote hält dies zwar für ausgeschlossen, doch man weiß ja nie. Die Welt hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Der Mensch produziert keine Treibhausgase mehr und pustet auch sonst nichts Schädliches in die Luft, was zu extremen Wettererscheinungen führen könnte, wie es manchmal vor dem Krieg der Fall war. Andererseits haben sie im Ernstfall auch nichts, dass ihnen hilft. Sie können nur warten bis es zu tauen beginnt und sich dann ins Freie kämpfen. Doch zumindest werden sie nicht erfrieren. Die Strömung des East River ist so stark, dass es nahezu unmöglich ist, dass er jemals zufrieren und so die Generatoren lahmlegen würde. So etwas wie Zufriedenheit macht sich in dem ungewollten Führer breit. Auf dem Papier sieht jedoch alles ziemlich schön aus, es wäre gut sich auch vor Ort davon zu überzeugen.
 

Der Gedanke gefällt ihm und er könnte wirklich mal etwas frische Luft vertragen. Und vielleicht wäre es auch ganz gut, mal nachzusehen, ob Michael seine Aufgabe erfüllt oder nicht. Der Blonde hatte sich zwar für sein Fehlverhalten entschuldigt und versprochen, die ihm aufgetragene Arbeit zu erledigen, doch Raph weiß nur zu gut, was für ein Sturkopf sein kleiner Bruder früher gewesen ist. Gemächlich erhebt sich der Saikämpfer von seinem Thron und streckt sich ausgiebig. Nachdem er noch einmal herzhaft gegähnt hat, macht sich Raph auf den Weg zur Nachbarinsel. Während dieser Wanderung setzt sich Michael wieder aufrecht hin und fängt damit an, die Dichtungen aus den einzelnen Scheiben zu ziehen, um so das Glas freizubekommen. Ein Lied wechselt dabei das andere ab und der Junge merkt gar nicht mehr, dass er ja eigentlich nicht allein ist. So lässt er sich von den Rhythmen mitreißen.
 

„We built this city

We built this city on rock and roll

We built this city

We built this city on rock and roll.”
 

Schon bald wird seine Stimme lauter und die ersten Männer drehen sich verwundert zu ihm um. Sie tauschen verwirrte Blicke aus. So etwas haben sie hier noch nicht erlebt.
 

„Say you don't know me

Or recognize my face

Say you don't care

Who goes to that kind of place
 

Knee deep in the hoopla

Sinking in your fight

Too many runaways

Eating up the night.”
 

Ungeniert macht der Junge einfach weiter und scheint dabei nicht zu merken, dass er überhaupt so laut singt, dass ein anderer es hören könnte. Als der Nunchakuträger die Seitenscheibe aus ihrer Halterung zieht und sie zu den anderen im Lagerraum des Krankenhauses bringen will, wippt er im Takt mit dem Fuß und wackelt sogar ein wenig mit seinem Po. Mit der Scheibe beladen dreht er sich schließlich zu den Männern um und erstarrt augenblicklich mitten in der Strophe. Es gelingt ihm gerade noch so, das Glas nicht fallenzulassen. Er schluckt schwer, als er in ihre Gesichter blickt. Doch irgendwas ist komisch. Sie wirken gar nicht wütend, vielmehr überrascht und erfreut? Michael ist sehr unsicher und blickt sich scheu um. Im Geiste malt er sich schon aus, dass Raph ihn dafür bestrafen wird und ihm rutscht das Herz in die Hose. Bevor seine Panik ihn jedoch übermannen kann, erhebt einer der Männer die Stimme. Wie ferngesteuert stellt der Blonde die Scheibe dabei ab und zieht sich die Kopfhörer aus den Ohren. „Ich kenne das Lied! Damit bin ich aufgewachsen!“, verkündet der Mann den anderen.
 

Plötzlich setzt ein angeregtes Tuscheln unter ihnen ein wie es der Junge noch nicht erlebt hat. Es ist fast so, als würden sie fröhlich an einem Lagerfeuer hocken, statt hier in der Kälte zu stehen und zu schuften. Weitere Männer melden sich, dass sie das Lied kennen und sie fangen an darüber zu diskutieren wie denn der Titel war und wer es gesungen hat. Zwei von ihnen versuchen sogar dort weiterzumachen, wo Michael eben geendet hat, doch sie sind sich uneinig wie die Strophe richtig geht. Der ehemalige Turtle traut seinen Augen nicht. Sie scheinen ihm überhaupt nicht böse zu sein. Ganz im Gegenteil, sie scheinen sich zu freuen, mal etwas Musik bei der Arbeit hören zu können. Ein erfreutes Lächeln breitet sich auf seinen Zügen aus und ihm kommt eine brillante Idee. Während die Männer in ein immer hitzigeres Gespräch verfallen und Raph inzwischen die Oberfläche erreicht hat, verschwindet Michael einfach. Erbost erblickt Raphael die Arbeiter, die allerdings alles andere zu tun zu haben scheinen, als arbeiten. Von seinem kleinen Schützling ist auch nichts zu sehen, dabei hat er ihn schon bei den Frauen vermisst, die ihm sagten, dass er eigentlich hier sein müsste.
 

Suchend blickt sich der Saikämpfer nach seinem jungen Soldaten um. Schließlich sieht er wie der Junge mit einem dicken Kabel in den Armen zu den Männern zurückkehrt. Aus sicherer Entfernung beobachtet der Führer wie Michael die Motorhaube eines der Autos öffnet und das Kabel mit der Batterie verbindet. Die Tanks aller Autos sind leer. Nur gelegentlich werden die Batterien über den Generator mit Strom versorgt, um die Lampen als Lichtquelle zu benutzen. Dazu schalten sie die Wagen dann in den Leerlauf. Mittlerweile haben die Männer bemerkt, dass der kleine Foot-Ninja das Kabel angeschlossen hat und nun die Motorhaube hinunterlässt. Vorfreude breitet sich in ihren Gesichtern aus. Doch Raph versteht nicht, was das Ganze soll. Es ist praktisch helllichter Tag, wozu sollten sie also ein Kabel anschließen, wenn sie kein Licht machen wollen? Aufgeregt läuft Michael um den Wagen herum, lässt sich auf den Fahrersitz plumpsen und dreht den Schlüssel in den Leerlauf. Sämtliche Leuchten auf dem Armaturenbrett flammen auf. Die Benzinanzeige beginnt hektisch zu blinken, doch sie wird strikt ignoriert.
 

Michael hat nur Augen für das Radio. Geschickt fummelt er die CD aus dem tragbaren Player und schiebt sie in den Schlitz unter dem Radio. Er wählt den Song an, den er gerade gehört hat und öffnet dann alle Türen, damit jeder ihn hören kann. Als das Lied zu spielen beginnt, dreht er die Regler hoch und steigt auf das Autodach. In dröhnender Lautstärke donnern die Noten über die Insel hinweg und die Stimmen der Sänger schallen weit hinaus in den Wald. Raphael versteht gar nichts mehr. Doch die Männer verfallen schlagartig in ein aufgeregtes und erfreutes Jubeln. Kurz darauf stimmen sie alle mit ein und ihre vereinten Stimmen erhellen den grauen Tag.
 

„Marconi plays the mamba

Listen to the radio

Don't you remember?

We built this city

We built this city on rock and roll
 

We built this city

We built this city on rock and roll

We built this city

We built this city on rock and roll
 

Someone always playing

Corporation games

Who cares they're always changing?

Corporation names.”
 

Die Ausgelassenheit scheint keine Grenzen mehr zu kennen. Jeder von ihnen hat sich anstecken lassen. Wie durch ein Wunder reißt sogar die düstere Wolkendecke an einigen Stellen auf und die Sonne schickt ihre hellen Strahlen auf die kühle Erde. Dies scheint die Anwesenden sogar noch mehr zu beflügeln und ihre Stimmen werden noch einen Schlag lauter. Unzählige Erinnerungen an eine fast vergessene Zeit leben in ihnen wieder auf. Erinnerungen an einen besonders schönen Tag, den ersten Kuss oder das langersehnte Date mit einem Mädchen – alles Dinge, die sie dachten verloren zu haben, als der Krieg die Welt und ihre schönen Gedanken in Fetzen riss.
 

„We just want to dance here

Someone stole the stage

They call us irresponsible

Write us off the page
 

Marconi plays the mamba

Listen to the radio

Don't you remember?

We built this city

We built this city on rock and roll
 

We built this city

We built this city on rock and roll

We built this city

We built this city on rock and roll.”
 

Beschwingt durch den Rhythmus der Musik ergreifen die Männer ihre Werkzeuge und setzen singend ihre Arbeit fort, diesmal gemeinsam. Sie nehmen Michael in ihrer Mitte auf, als hätten sie nie etwas anderes getan. Raphael kann es nicht fassen. Mit offenem Mund steht er da und beobachtet wie die Männer und Michael Hand in Hand arbeiten und dabei ausgelassen dieses alte Lied singen. Langsam geht ihm ein Licht auf. Alles, was den Leuten gefehlt hat, war etwas, das sie antreibt. Der Drang zu Überleben bestimmt ihren Alltag schon lange nicht mehr und so sehnen sie sich nach etwas anderem, das sie aufbaut und ermuntert weiterzumachen. Und was könnte den Gemeinschaftssinn der Menschen mehr antreiben als Musik, die sie alle verbindet? Ein Lächeln breitet sich auf seinem sonst so harten Gesicht aus. Michael hat seine Aufgabe endlich verstanden wie es scheint. Den Menschen wieder einen Sinn geben und sie antreiben. Der Rote hat sich zwar nicht vorgestellt, dass es so ablaufen oder gar so simpel sein könnte, aber am Ende zählt ja auch nur, dass er es geschafft hat. Mikey hatte schon immer ein ganz besonders sensibles Händchen für die Gefühle anderer und konnte sich sehr gut in sie hineinversetzen.
 

„It's just another Sunday

In a tired old street

Police have got the choke hold

Oh, and we just lost the beat
 

Who counts the money?

Underneath the bar

Who rides the wrecking ball?

Into our guitars
 

Don't tell us you need us

'Cause we're just simple fools

Looking for America

Calling through your schools.”
 

Sie fröhlich zu stimmen, war stets etwas, dass zu seiner Lebensaufgabe gezählt hat und er scheint dieses Talent nach alledem nicht verloren zu haben. Fast schon verträumt lauscht Raph dem Chor ungleicher Stimmen und denkt zurück an die Zeit, als die Welt noch eine andere war. Schließlich landet er wieder im Hier und jetzt und stellt fest, dass das Lied nicht besser sein könnte. Nicht weil alle es zu kennen scheinen, sondern weil die Botschaft genau zu ihrer Situation passt. Sie bauen zwar keinen neue Stadt, noch nicht, aber sie tun es gemeinsam und mit Musik im Herzen. *10 Jahre nach der Terrorherrschaft, die eine Schneise von Tod und Zerstörung durch New York gezogen hat, ist die Luft erfüllt vom Klang der Hammerschläge, vom Geruch neuen Bauholzes, und die Menschen sind durchdrungen von Optimismus und einem Gefühl der Unverwüstlichkeit. Wenn er gewusst hätte, dass es so einfach ist, hätte er ihnen wohl schon viel früher etwas Musik auf der Baustelle gestattet. Doch er war immer der Ansicht, dass sie das vielleicht zu sehr ablenken könnte und dann Unfälle passieren.
 

„I'm looking out over that golden gate bridge

Out on a gorgeous sunny Saturday

I've seen that bumper-to-bumper traffic

Don't you remember, remember?
 

Here's your favorite radio station

In your favorite radio city

The city by the bay, the city that rocks

The city that never sleeps.”
 

Doch wenn Raph es sich so überlegt, sind es alles erwachsene Männer, die ihre Arbeit verstehen und ganz gewiss vorsichtig sein werden. Ein weiteres Lächeln huscht über sein Gesicht und er lässt den Blick schweifen. Wie er schon in Chens Bericht lesen konnte, sieht es hier auf der Baustelle ziemlich gut aus. Das Krankenhaus ist vollständig winterfest gemacht, Vorräte, Wasser und Kleidung verstaut und bereit für ihren Einsatz. Die letzten Stunden oder Tage vor dem ersten Schneefall nutzen die Männer nun lediglich, um noch kleinere Arbeiten zu erledigen. Sie haben einen Schuppen fertig gestellt, indem vorwiegend die Werkzeuge und Baumaterialien Platz finden und sie schlachten die letzten Autos aus, damit wieder genügend Platz vorhanden ist, um neue Wagen vom Festland herzubringen. An einigen anderen Stellen sind schon Vorbereitungen für einen weiteren Anbau zu sehen, der starten kann, sobald der Winter sich wieder verzieht. Alles in allem ist Raphael sehr zufrieden. Jeder scheint mittlerweile auch seinen Platz in der Gemeinschaft gefunden zu haben und so wird Michael bei der nächsten Mission der Foot wohl dabei sein können.
 

„Marconi plays the mamba

Listen to the radio

Don't you remember?

We built this city

We built this city on rock and roll
 

We built this city

We built this city on rock and roll

We built this city

We built this city on rock and roll!”
 

Zufrieden wartet Raph ab, bis das Lied zu Ende ist und dann macht er sich auf den Rückweg nach South Brother Island. Ehe der Tag von der Nacht abgelöst wird, hat er noch jede Menge zu tun. Zum Beispiel muss er sich nun überlegen, für welche Mission er den Blonden einteilen kann, ohne ihn damit zu überfordern oder gar die anderen Foot. Schon damals brauchte Mikey eine gewisse Führung. Selbst Entscheidungen treffen gehörte nicht zu seinen Stärken und Leo musste ihm sehr oft mehrmals ausführlich erklären, was er zu tun hatte. Raph ist sich sicher, dass seine Foot nicht gerade angetan von so etwas sein werden. Doch allein kann er Michael unmöglich losschicken. Dafür ist er einfach noch zu unerfahren, auch wenn er seinen Ninja-Sinn nicht verloren hat. Doch er könnte ihn zusammen mit Chen in einen Truppe stecken, wenn dieser Zeit dafür hat. Dann können die beiden gemeinsam losziehen und dann wäre der Blonde auf jeden Fall in guten Händen! Der Gedanke ist durchaus annehmbar, also wird er Chen später einfach fragen, ob er diese Aufgabe ein paar Mal übernehmen kann, bis Michael sicher genug ist mit den anderen mitgehen zu können.
 

Kurz nach Mitternacht…
 

Es ist schon lange Zeit zum Schlafen und Raphael hat sich aus genau diesem Grund auch schon vor Stunden ins Bett gelegt, doch Schlaf findet er nicht wirklich. Das Ganze ist nicht sonderlich neu für ihn. Seit er sich mehr oder weniger dafür entschieden hat, der neue Shredder zu sein und hier eingezogen ist, gab es nur wenige Nächte, in denen er unbeschwert Ruhe finden konnte. Und er muss sich schon anstrengen, um zurück zurechnen, wann er das letzte Mal wirklich ohne Unterbrechung durchgeschlafen hat. Zwar ist alles schon so lange her und er hat sich zumindest oberflächlich damit abgefunden, den Großteil seiner Familie nie wiederzusehen, doch in seinem Inneren wütet es trotzdem. Seit er weiß, dass Mikey zumindest körperlich wieder bei ihm ist, ist es viel besser geworden, doch Durchschlafen fällt ihm trotz alledem schwer. Nach all den vielen Jahren gibt er sich immer noch die Schuld am Tod seiner Brüder und seines Meisters und dies lässt ihn einfach nicht zur Ruhe kommen. Er denkt zwar nicht mehr so oft an sie, doch sein Unterbewusstsein kämpft dennoch weiterhin damit.
 

So verbringt er nicht selten eine Nacht, die von schrecklichen Albträumen durchzogen ist und ihm somit immer wieder um den erhofften Schlaf bringt. Hunderttausend Mal musste er daher schon mit ansehen, wie seine Familie vor seinen Augen zu Grunde gerichtet wurde. Der Gedanke, nicht eingreifen zu können, bringt ihn dabei fast um den Verstand. Ihre flehenden, von Angst durchzogenen Gesichter. Die Augen von Tränen erfüllt, die Körper geschunden und dazu das ewigwehrende Lachen von Oroku Saki! Es ist, als würde er selbst tausend Tode sterben, da es die furchtbare Erinnerung daran immer wieder aufreißt. Wenn der Traum vorüber ist, findet er auch nur selten wieder Schlaf und bleibt stattdessen die ganze Nacht wach und denkt an die alten Zeiten zurück, in denen sie mit dem Shellraiser durch die glitzernde Stadt gefahren sind und die Gegend unsicher machten. An die vielen, schönen Stunden, die sie zusammen verbracht haben, Pizzaessend auf der Couch oder schwitzend beim Training. Manchmal gelingt es ihm aber auch wieder einzuschlafen, doch das macht es nicht besser, denn dann geht der Albtraum wieder von vorne los. Ein endloser Kreislauf des Grauens.
 

Raph liegt ruhelos in seinem viel zu großen, viel zu leeren Bett und wälzt sich stöhnend von einer Seite auf die andere. Krampfhaft versucht er dem Schrecken vor seinem inneren Auge zu entkommen, doch es ist zwecklos, solange er nicht das ganze Ausmaß gesehen hat. Hilflos ruft er im Traum gefangen nach seinen Brüdern und seinem Sensei. Doch sie können ihn nicht hören, werfen ihm nur ihre gequälten Blicke zu. Ihre Schmerzensschreie dröhnen in seinem Kopf und drohen damit ihn zum Platzen zu bringen. „Nein, bitte nicht…!“, wimmert er verzweifelt und klammert sich mit aller Kraft am Laken fest. Die Decke hat er schon völlig von sich gestrampelt. Langsam und ungeachtet gleitet sie zu Boden und bleibt dort als unförmiger Haufen zurück. Endlich erreicht er das gnadenlose Ende des Traums. Er sieht mit an wie seine Familie von Shredder in Stücke gerissen wird und dann in den Fluten des East River versinkt. Dem Saikämpfer ist durchaus bewusst, dass es sich so nicht abgespielt hat, doch es fühlt sich an, als wäre es Wirklichkeit. Er sieht wie ihre entstellten Gesichter im Wasser versinken und hört Sakis durchtriebenes Lachen und dann…
 

…Dann erwacht er mit einem erstickten Schrei. Wie vom Blitz getroffen sitzt er kerzengerade im Bett, schnappt angestrengt nach Luft und fühlt sich wie erschlagen. Desorientiert blickt er sich im Zimmer um und betet dafür, dass der Albtraum zu Ende ist. Schließlich lässt er sich mit dem Rücken gegen die Wand fallen und versucht sein Herz zu beruhigen. Verloren sieht er sich in dem großen Raum um, der ihm so sehr wie ein Gefängnis vorkommt. Schon nach dem ersten Albtraum vor zehn Jahren hat er sich angewöhnt, dass Nachttischlicht nicht mehr auszumachen, wenn er schlafengeht. Der warme Lichtkegel gibt ihm zumindest etwas Sicherheit, dass er nicht mehr in dieser schrecklichen Finsternis gefangen ist. Dennoch hat es ihn einiges an Überwindung gekostet, etwas so kleinkindermäßiges tun zu müssen, nur um nicht schreiend in der Dunkelheit zu sitzen. Nicht zum ersten Mal denkt er dabei zurück an die Zeit, als noch alles in Ordnung schien. Damals war es Mikey gewesen, der des Öfteren von Albträumen heimgesucht wurde. Ein wehmütiges Lächeln huscht über sein erschöpftes Gesicht, als er daran denkt wie der Blonde dann immer zu ihm gekrochen kam.
 

Es war so wunderbar ihn in den Armen zu halten und ihm dabei die Sicherheit zu geben, die er in seinem eigenen Zimmer verloren hatte. Eine einzelne Träne schiebt sich aus Raphaels verbliebenem Auge und er wischt sie langsam weg. Ein Seufzen entkommt ihm. Wie gern hätte er jetzt Mikey hier bei sich im Bett, nur um sich besser zu fühlen und vielleicht doch etwas Schlaf zu finden. Doch Michael ist nicht mehr der anhängliche Junge von damals. Körperlich schon, doch im Kopf kann er sich nicht mehr daran erinnern, was sie alles miteinander geteilt haben. Und es sehe bestimmt äußerst komisch aus, wenn er jetzt zu dem schlafenden Jungen ins Zimmer huscht und ihn fragt, ob er den Rest der Nacht bei ihm verbringen kann, weil er sich allein unwohl fühlt. Oh, nein! Die Zeiten solch ungezwungener Nähe sind vorbei und der Nunchakuträger würde das Ganze vielleicht sogar falsch interpretieren und denken, dass er ihm nur an die Wäsche will. Ganz egal. Auf jeden Fall wäre es dem Jungen schrecklich unangenehm und würde Raph ganz sicher auch in kein gutes Licht als Meister rücken. Solche Wünsche kann er sich also gleich aus dem Kopf schlagen.
 

Dennoch überfällt ihn regelmäßig ein Gefühl von hilfloser Begierde, die nur sein kleiner Bruder beenden kann. Wie schon all die Jahre zuvor verzehrt er sich noch immer nach ihm und sehnt sich nichts mehr herbei, als eine Nacht mit ihm. Tragischer Weise weiß er beim besten Willen nicht, wie er den Jüngeren in diese Richtung dirigieren soll, ohne gleich zu aufdringlich zu wirken oder in seinen Augen als perverser Lüstling da zustehen. Schließlich ist er fast doppelt so alt wie Michael und ihm im Rang deutlich überlegen. Warum muss auch immer alles so schwierig sein? Hatte er doch gehofft, dass es wesentlich einfacher sein würde, wenn Michael sich hier erst eingelebt hat. Wahrscheinlich überstürzt er das Ganze einfach nur, weil er es sich schon so endlos lange wünscht? Doch Raph war nie besonders geduldig. Selbst wenn er es versucht, macht ihm sein Körper einen Strich durch die Rechnung, indem er dieses nagende Gefühl alles andere überlagern lässt. Wieder ein Seufzen. Jetzt ist es wohl angebracht, sich erst mal einen freien Kopf zu verschaffen, andernfalls könnte es sein, dass Michael heute Nacht noch einen äußerst unschönen Besuch bekommt.
 

Schwerfällig schwingt er die Beine aus dem Bett und hebt die herabgefallene Decke wieder auf. Anschließend schlüpft er in seine Stiefel und wirft sich seinen Bademantel über. Ihm ist bewusst, dass es draußen jetzt vielleicht Minusgrade hat und er sich erkälten könnte, wenn er nur in Stiefeln, einer Shorts und dem Bademantel an die Oberfläche geht, doch es ist ihm egal. Vielleicht werden die Albträume weniger, wenn er im Fiberwahn gefangen in seinem Bett liegen muss? Die Hoffnung besteht zumindest. Außerdem will er ja nicht die ganze Nacht draußen bleiben, sondern nur ein oder zwei Kippen rauchen und dann wieder versuchen einzuschlafen. Sein Körper fühlt sich wie gerädert an und einige seiner Gelenke geben ein unschönes Knacken von sich, als er langsam Richtung Tür schlurft. Leicht verzieht der Rothaarige dabei das Gesicht und gähnt dann erschöpft. Seine halbherzige Müdigkeit verfliegt jedoch augenblicklich, als der die Tür öffnet und ein merkwürdiges Geräusch vernimmt, das er nicht gleich einordnen kann. Was wohl auch daran liegt, dass er es hier noch nie gehört hat. Irritiert tritt er einen Schritt auf den Flur und blickt sich stirnrunzelnd um.
 

Die Fackeln auf dem langen Gang tauchen alles in ein spärliches, aber vollkommen ausreichendes Licht. Dennoch kann Raphael im ersten Moment nicht erkennen, was dieses merkwürdige Geräusch verursacht. Sein Blick verfinstert sich und er wendet den Kopf noch weiter nach rechts, um den gesamten Flur besser einsehen zu können. Da ihm nur noch das linke Auge geblieben ist, hat er rechts einen toten Punkt, an dem vieles Dunkel bleibt, auch wenn er mit erheblichem Training diesen auf ein Minimum herunter gebracht hat. Als er sich nun linksseitig anstrengt, um alles im Blick zu haben, nimmt er am unteren Rand seines Sehfeldes eine schwache Bewegung wahr. Vorsichtig schaut er nach unten und zuckt dann überrascht zusammen. Dort auf dem Boden, direkt neben seiner Tür, hockt eine Person. Sie hat die Knie angezogen und das Gesicht darin vergraben und – weint? Beim zweiten Hinsehen erkennt der Führer, dass es sich bei diesem Häufchen Elend dort auf den Steinen um Michael handelt. Als ihm dies wirklich bewusst wird, jagt ein heftiger Stich durch sein Herz und löst dabei augenblicklich seinen alten Beschützerinstinkt aus.
 

Langsam geht er neben dem weinenden Jungen auf die Knie und legt ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. Der Blonde zuckt heftig zusammen und zieht geräuschvoll die Luft ein, ehe er blitzartig den Kopf zu ihm herumdreht. In dem zarten, jugendlichen Gesicht des Nunchakuträgers spiegelt sich all das Elend wieder, das Raph gerade in seinem Traum durchgemacht hat. Seine Wangen glühen, die Augen sind vom Weinen ganz geschwollen und die himmelblauen Juwelen schwimmen in einem endlosen Meer aus Tränen. Seine Unterlippe zittert und als der erste Schreck überwunden ist, fängt er bitterlich an zu Schluchzen. Der Anblick könnte für Raph wohl kaum grausamer sein. Es ist, als würde er in einen Spiegel blicken können, der ihm die Vergangenheit zeigt. Mikey hat zwar nie weinend vor seiner Tür gehockt, doch der Ausdruck in seinem Gesicht ist genau derselbe wie damals. Das Herz des Saikämpfers zieht sich schmerzlich zusammen und er würde jetzt nichts lieber tun, als ihn einfach nur in die Arme nehmen und ihm zeigen, dass es nichts gibt, was seine Tränen begründen könnte.
 

Doch das kann er einfach nicht machen, so sehr er es sich auch wünscht. Die Zeit der brüderlichen Nähe ist einfach noch nicht wieder da und als Führer des berüchtigten Foot-Clans kann er sich so eine Blöße einfach nicht geben, nicht mal, wenn niemand zusieht. Stattdessen schluckt er seine Gefühle hart herunter und mustert den Jungen streng. „Was machst du hier mitten in der Nacht?“, fragt er ihn forsch. Merklich zuckt der Junge unter der rauen Stimme zusammen und senkt beschämt den Blick zu Boden. Er hat Angst und wusste einfach nicht, wohin er sollte. Schließlich ist er ja kein kleines Kind, das nachts zu seinen Eltern ins Bett krabbelt. Er weiß zwar nicht warum, aber in Raph´s Nähe hat er sich irgendwie immer sicher gefühlt, selbst wenn der Rote sich stets abweisend zu ihm verhält. Doch das kann er seinem Meister ja schlecht sagen und er wäre sicher sehr enttäuscht von ihm, wenn er ihm erzählen würde, dass er hier hockt, weil er Angst allein in seinem Zimmer hat. Allein schon bei dem Gedanken ist er selbst von sich angewidert. „Ich hab dir eine Frage gestellt, Soldat!“, kommt es nachdrücklich von dem Älteren, während er sich wieder erhebt.
 

Erneut zuckt der Junge zusammen, zittert heftig und immer mehr Tränen bahnen sich ihren Weg ins Freie. „Ich…“, stammelt er erstickt, doch mehr bringt er nicht zu Stande. Nun langt es dem Rothaarigen allmehlig. Er mag vielleicht oftmals ein echtes Arschloch sein, aber seinen weinenden Bruder konnte er noch nie ertragen. Wieder zieht sich sein Herz schmerzlich zusammen, als würde es in einem Schraubstock klemmen, der immer weiter zugedreht wird. Er kann seine Führer-Fassade nicht mehr länger aufrecht halten, dafür ist die Erinnerung einfach zu stark und die Liebe zu diesem Jungen zu endlos. Er muss ihm einfach helfen! Zwar wird es nicht so sein wie damals, doch vielleicht bringt es sie beide trotzdem näher zusammen. Mitleidig blickt er auf den Jungen hinab, der abermals versucht eine Erklärung für sein Verhalten hervor zu stammeln. Mit einem stummen Seufzen greift Raph in sein Zimmer. Dort hängt an der einen Seite des Spiegels, der neben der Tür steht, seine Lederjacke. Beherzt ergreift er dann die Hand des Jungen und zieht ihn auf die Füße. Erschrocken sieht der Blonde ihn an, vermutet er doch, jetzt betraft zu werden.
 

Überrascht stellt Michael allerdings fest, dass dem ganz und gar nicht so ist. Stattdessen drückt Raph ihm die Lederjacke in die Arme und schließt dann seine Zimmertür von außen. Noch immer mit Tränen in den Augen blickt der Blonde die Jacke fragend an. Derweil wendet sich der Einäugige zum Gehen. Er hat schon ein paar Schritte den Gang entlang getan, als er merkt, dass Michael ihm nicht folgt. Er bleibt stehen und blickt über die Schulter zu dem irritierten Jungen hinüber. „Zieh die Jacke über und komm endlich oder willst du ganze Nacht dastehen und gucken wie ein Reh im Scheinwerferlicht?“ Mit großen Augen sieht der Blonde zu ihm hinüber und presst sich die Jacke an die bebende Brust, doch er macht keine Anstalten Raph´s Worten Folge zu leisten. Innerlich rollte der Führer mit den Augen. Ist der Blonde wirklich so perplex wegen der Geste, dass er sich nicht mehr rühren kann? „Michael!“, kommt es streng von dem Älteren, was den Jungen erneut zusammenzucken lässt. „Das war ein Befehl und keine nette Bitte! Also beweg dich endlich!“ „Ja-wohl…!“, erwidert der Kleinere hastig und schlüpft in die Jacke.
 

Mit schnellen Schritte, aber gesenktem Kopf, folgt er seinem Meister schweigend bis an die Oberfläche. Noch weiß er nicht ganz, was das hier werden soll, doch sein Führer wird schon einen Grund dafür haben. Als sie in die eisige Nachtluft hinaustreten, schlingt der Junge die Arme um seinen Körper und wünsch sich, er hätte wenigstens eine Hose angezogen. Der Rothaarige lässt sich die Kälte jedoch nicht ansehen, obwohl in diesem Moment ein frostiger Windstoß seinen Bademantel bauscht und ihm am ganzen Körper eine Gänsehaut verpasst. Mit flinken Schritten steuert Raphael auf einen Kreis aus liegenden Baumstämmen zu. In ihrer Mitte sind die Reste eines Lagerfeuers zu sein, das die Foot gemacht haben, um dort in ihrer wenigen Freizeit zu reden oder Karten zu spielen. Geschickt schichtet der ehemalige Turtle neues Holz auf und bald darauf brennt ein frisches Feuer. Mit einem Seufzen lässt sich Raph auf einen der Stämme sinken und winkt Michael zu sich heran, der bis eben noch ziemlich verloren neben dem Eingang gestanden hat. Diesmal braucht er jedoch keine extra Einladung, was wohl der Kälte zu verdanken ist.
 

Zitternd setzt sich der Junge mit gebührendem Abstand neben seinem Meister und rückt so dicht wie möglich an die wärmenden Flammen heran. Wie schon im Flur, zieht er auch jetzt wieder die Beine an, schlingt die Amre darum und bettet seinen Kopf auf die Knie. Mit leeren, traurigen Augen starrt er dann in die orangeroten Flammen, die sich in die Nacht erheben. Mitleidig sieht Raph ihn aus dem Augenwinkel an und stochert dabei mit einem Ast in der alten Asche herum. Mit der Spitze des Astes schiebt er einen kleinen Stein in die Glut und wirft den Ast hinterher, ehe er die Stille unterbricht. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Was hast du mitten in der Nacht vor meiner Tür gemacht – und warum hast du geweint?“, fordert Raphael nun zu wissen. Bei den letzten Worten schwingt schon fast hörbar Mitleid in seiner Stimme. Vielleicht merkt Michael das in diesem Moment, da er nun antworten kann, wo er es vorhin nicht konnte. „Ich – ich hatte einen Albtraum…“, murmelt er leise, sodass Raph es über das Knistern des Feuers gerade noch hören kann. Neuerliche Tränen sammeln sich in den blauen Augen, die sonst vor Fröhlichkeit überschwappen.
 

Bei dem Wort Albtraum muss der Saikämpfer unweigerlich an den seinigen denken. Kann so was Zufall sein? Eher unwahrscheinlich, wo er sich doch jede Nacht damit rumplagt und dabei noch nie gemerkt hat, dass Michael vor seiner Tür hockt und sich die Augen ausweint. Gedankenverloren dreht sich der Ältere eine Zigarette und entfacht sie an den züngelnden Flammen. Er macht einen langen Zug und stößt den Rauch langsam wieder aus. Dann blickt er abermals zu seinem Sorgenkind. Bekümmert stellt er fest, dass Michael wieder ein paar Tränen über die Wangen laufen. „Erzähl mir, was du geträumt hast.“ Unsicher sieht der Junge zu ihm hinüber und blickt dann wieder ins Feuer. „Ich – ich denke, dass möchte ich nicht…“, erwidert der Nunchakuträger verhalten. Raph nimmt einen weiteren Zug und bläst den Rauch durch die Nase. „Es ist egal, was du möchtest. Es hilft, wenn man darüber spricht, sonst wird es dich nie loslassen.“, erklärt Raphael und könnte sich innerlich selbst für diese dämliche Weisheit ohrfeigen, hat er doch bis heute nicht einmal Chen erzählt, dass ihn jede Nacht derselbe Traum verfolgt.
 

Doch Michael schweigt und starrt nur mit feuchten Augen in die Flammen. Seufzend raucht Raphael weiter. ‚Warum antwortet er mir nicht? Hat er Angst, dass ich lachen könnte? Oder vertraut er mir einfach nicht genug, um sich mir zu öffnen…?‘ Sorgenvoll mustert er den Jungen, doch seine Gedanken beginnen abzuschweifen. Die blonden Haare des Kleineren glänzen in Schein des Feuers. Seine feuchten Augen funkeln wie Sterne. Seine sonst so gebräunte Haut sieht im wabernden Lichtschein blass aus, bis auf die vom Weinen roten Wangen. In der übergroßen Lederjacke wirkt seine zierliche Gestalt verloren und furchtbar klein. Der Anblick lässt Raph erneut daran denken wie gern er ihn tröstend in die Arme schließen möchte. Doch er schiebt ihn beiseite. Stattdessen lässt er sein einsames Auge weiter wandern. Die Jacke reicht dem Jungen bis über den Po. Der untere Rand eines uralten, verblichenen T-Shirts schaut darunter hervor, welches er zum Schlafen benutzt. Wenn sich Raph eben an ihre Begegnung im Flur erinnert, fällt ihm ein, dass er das Shirt kennt. Ironischer Weise hat Mikey es schon damals getragen und eigentlich gehörte es ursprünglich Donnie.
 

Fragt sich, ob das jetzt wenigstens ein Zufall ist? Wahrscheinlich schon, denn immerhin hätte dieses Shirt auch jeder andere anziehen können, da er die meisten Klamotten seiner Familie an die Flüchtlinge verteilt hat. Allerdings ist sich der Rothaarige sicher, dass es niemandem so gut stehen würde wie Michael. Es ist zwar sehr alt und wird vielleicht nicht mal die nächste Wäsche überstehen, doch an seinem Körper sieht es einfach nur perfekt aus. Der ausgeblichene, violette Stoff reicht ihm bis zu den Knien, sodass fast der Eindruck entsteht, er würde ein Kleid tragen oder er wäre noch ein kleines Kind, das die Sachen seines Vaters trägt. Die zierliche Statur des Nunchakuträgers verschwindet darunter vollkommen, nur die linke Schulter ist entblößt, da dort der Ärmel immer wieder herunterrutscht. Jetzt ist die blanke Schulter zwar nicht zu sehen, doch Raph kann sich noch gut an sie erinnern. Allein ihr Anblick hat ihm schon damals genügt, um heiß zu werden. Jetzt ist es nicht viel besser. Er hat sie auf dem Flur gesehen und konnte sich gerade noch zusammenreißen, den Jungen nicht gegen die Wand zu stoßen und ihn gleich dort auf dem Flur zu nehmen.
 

Jetzt überkommt ihn wieder dasselbe Gefühl und er ist sich nicht sicher, ob er es wirklich unterdrücken will. Zumal Michael ihm nun einen noch viel ansprechenderen Anblick bietet. So wie der Junge dort mit angezogenen Beinen sitzt, ist der Saum des Shirts von seinen Knien gerutscht und gibt seine durchtrainierten Schenkel preis. Die ebenmäßige Haut ist übersät mit hauchfeinen, weißen Narben, die nicht mal den Ansatz dessen aufzeigen können, was er alles in seinem Leben durchgemacht hat. Die sanfte Rundung seines, in Raph´s Auge so unglaublich perfekten, Pos ist ebenfalls sichtbar, einschließlich eines schmalen Streifens seiner hautengen, schwarzen Shorts. ‚Oh, Gott…!‘, geht es dem Führer durch den Kopf und es scheint wahrlich der einzige klare Gedanke darin zu sein. Sein Herz beginnt schneller zu schlagen und sein Atem wird angestrengter. Er schluckt hart und leckt sich verlangend über die Lippen. In diesem Moment ist er nur einen Sekundenbruchteil davon entfernt, den Jungen auf den Stamm hinunter zu drücken und sich rücksichtslos das zu nehmen, was er sich seiner Meinung nach schon seit Jahren verdient hat.
 

Er kann deutlich spüren wie es in seiner Shorts gefährlich eng wird und er all seine Bedenken über Bord wirft. Scheißegal, was Michael davon halten wird und wie laut er auch schreien mag, er wird und kann einfach nicht aufhören! Seine Beherrschung ist völlig am Boden. Als er sich jedoch zu dem Jungen herumdrehen will, um seinen perfiden Plan in die Tat umzusetzen, jagt plötzlich ein glühender Schmerz durch seinen Zeigefinger. Überrascht zuckt er leicht zusammen und lässt die Zigarette fallen, die während seines angestrengten Denkprozesses vollkommen runter gebrannt ist und ihm nun die Haut versenkt hat. Wütend starrt er den qualmenden Stummel im Sand an und tritt dann ungehalten mit dem Stiefel darauf. Michael hat von alledem nichts mitbekommen. Er sieht nur weiterhin verschlossen ins Feuer. Raph hingegen saugt vorsichtig an der verbrannten Haut seines Fingers und wird sich mal wieder bewusst, was er eigentlich gerade gedacht hat und wie kurz er davor war, es wirklich zu tun. Damit würde er jedoch nicht nur Michael verletzten, sondern auch sich selbst, da dann das zarte Vertrauen zwischen ihnen wahrscheinlich für immer dahin wäre.
 

Scheinbar ist Rauchen wohl doch keine so sinnlose Angewohnheit… Langsam beruhigt sich sein Körper wieder und die Erregung nimmt ab. Er räuspert sich, um wenigstens etwas von Michaels Aufmerksamkeit zu bekommen. Zumindest die Augen des Blonden bewegen sich in seine Richtung, mehr jedoch nicht. „Hab ich dir mal von meinem kleinen Bruder erzählt?“, wirft der Rothaarige schließlich in die Runde, als er wieder klar denken kann und dreht sich eine neue Zigarette. Zaghaft und traurig wendet der Junge ihm nun doch das Gesicht zu. Ein paar Dinge hat Raph ihm tatsächlich schon erzählt, doch sie haben in ihm keinerlei Erinnerungen geweckt. „Ein wenig…“ In seiner Vergangenheit schwelgend, klemmt sich Raphael die Kippe zwischen die Lippen. „Mein kleiner Bruder hatte auch ständig Albträume. Er hatte danach immer Angst in seinem Zimmer zu schlafen und kam dann in mein Bett. Für ihn war ich immer sein großer Beschützer gewesen, der stets all die Monster von ihm ferngehalten hat. – Naja, zumindest bis zu dem Tag, an dem ich ihn nicht mehr beschützen konnte…“ Traurigkeit legt sich in seine sonst so harte Stimme.
 

Michael weiß, was damals mit der Familie seines Meisters passiert ist, doch darüber hinaus hat er ihm bisher nur belanglose Kleinigkeiten erzählt. Dass er jetzt etwas so intimes von ihm erzählt bekommt, rührt den Blonden einfach nur. „Ich denke, Ihr wart ein ganz toller Beschützer und Euer Bruder hat Euch sicher sehr lieb gehabt.“, kommt es zaghaft von dem Nunchakuträger. Als Raph ihn daraufhin ansieht, wendet der Kleinere den Blick ab und starrt wieder aufs Feuer. Jedoch kann der Saikämpfer deutlich sehen wie sich die Wangen seines Gegenübers tiefrot verfärben. Ein kleines Lächeln breitet sich auf Raph´s Gesicht aus. ‚Der Gedanke des Beschützers scheint ihm wohl zu gefallen…‘ „Da hast du sicher recht. – Vielleicht magst du mir ja jetzt von deinem Traum erzählen?“, versucht es der Ältere noch einmal. Seufzend blickt der Junge noch einen Moment ins Feuer. Es fällt ihm schwer, offen mit seinem Führer über Dinge zu reden, die nichts mit der Arbeit zu tun haben. Irgendwie erscheint ihm das nicht richtig. Dennoch weiß er nicht, wieso. Verloren grübelt er nach und Raph lässt ihm die Zeit dazu, sitzt nur stumm mit seiner Zigarette neben ihm.
 

Was hat der Blonde eigentlich zu verlieren, wenn er ihm von seinem Traum erzählt? Vermutlich nicht viel, schließlich hat Raphael ihm ja auch etwas erzählt. Ein wenig beginnt der Kleinere zu träumen. Er stellt sich vor wie der Rothaarige mit seinen Brüdern in den Kampf zieht und sich in einer brenzligen Situation vor sie stellt, um sie zu beschützen. Der Gedanke gefällt ihm gut, denn immerhin ist der Saikämpfer eine starke und imposante Persönlichkeit und so schnell erschüttert ihn nichts. Als großer Bruder muss er einfach wundervoll gewesen sein. Michaels Herz krampft sich schmerzhaft zusammen. Wie sehr wünscht er sich, er hätte auch so einen Bruder. Oder hat er ihn vielleicht sogar und hat es vergessen, weil er sich an einfach nichts erinnern kann? Die Vorstellung ist einfach grausam. Ein paar Tränen suchen sich ihren Weg über seine Wangen und er fängt leise an zu schluchzen. Wehmütig sieht Raph zu ihm hinüber. Den Anblick des Jungen kann er jedoch einfach nicht länger ertragen. Daher rückt er zu ihm heran, legt ihm vorsichtig den Arm um die Schultern und drückt ihm beruhigend an seine Brust.
 

Erschrocken zuckt der Jüngere zusammen und versucht Abstand zu gewinnen, doch Raph hält ihn eisern fest. Schließlich beendet Michael seinen Widerstand und lässt sich von ihm halten. Eigentlich ist es sogar ein sehr schönes Gefühl. Seine straken Arme geben ihm das Gefühl, das ihm nichts und niemand mehr schaden kann und er verströmt eine herrliche Wärme, die Geborgenheit verspricht. Mit halbgeschlossenen Augen sitzt er da, lässt sich trösten und fängt langsam an zu träumen. Nicht zum ersten Mal kommt dem Nunchakuträger der Gedanke seinem Meister auf eine Weise nahe sein zu wollen, die eigentlich nicht normal ist. Unweigerlich röten sich seine Wangen wieder und er schluckt schwer. Nein, solche Gedanken muss er sich aus dem Kopf schlagen, sein Meister ist ganz sicher nicht der Typ, der auf andere Jungs steht. „Und?“, fragt Raphael beiläufig, während er die Zigarette ausdrückt. „Ich – also – ich hab geträumt, dass ich an einer Art Strand war. Ich konnte das Wasser hinter mir sehen. Mit mir waren noch andere Leute da, doch ich kannte sie nicht, obwohl sie irgendetwas Vertrautes ausgestrahlt haben…“, setzt der Blonde an.
 

Nachdenklich blickt Raph ins Feuer. „Doch es hatte nichts Fröhliches. Die Leute hatten alle Angst und haben Waffen bei sich gehabt. Ich stand mit den Nunchakus da. Um uns herum stand alles in Flammen…“ Kaum merklich zuckt Raphael zusammen. So wie es sich anhört, hat Michael von dem letzten Kampf gegen Shredder geträumt und das ist nun wirklich nichts, was Raph gern hören würde. „Ist schon gut, du musst nicht weitersprechen. Den Rest kann ich mir denken.“, gibt er daher von sich und irritiert den Jungen damit doch etwas. Fragend blickt der Blonde ihn an. „Hab ich etwas Falsches gesagt?“, fragt er unsicher. Der Rothaarige löst sich von ihm und steht auf. „Nein, du kannst ja nichts für deinen Traum. Doch es hört sich genauso an wie die Schlacht, in der ich meine Familie verloren habe…“ Bedrückt senkt der Junge den Kopf. „Das tut mir leid.“ Doch der Saikämpfer winkt nur ab. Stattdessen greift er nach einem kleinen Eimer in der Nähe, in dem Wasser zum Löschen des Feuers steht. Durch die vorherrschende Kälte hat sich auf der Wasseroberfläche eine feine Eisschicht gebildet.
 

Als Raphael das Feuer ertränkt, wird ihm erst klar wie kalt es inzwischen geworden ist. Sein Atem quillt in dicken Wölkchen aus seinem Mund hervor. „Komm, wir gehen.“, entgegnet er dem Jüngeren. Michael folgt ihm leicht betrübt, wollte er seinen Meister doch nicht an so etwas erinnern. Noch ehe sie den Einstieg erreichen, fallen die ersten, feinen Schneeflocken vom Himmel. Trotz der Kälte, die den beiden mittlerweile ziemlich in den Knochen steckt, verweilen sie noch einen Moment und betrachten das Schauspiel. Es sieht aus, als würden hunderte, kleiner Sterne zu Boden sinken. Doch dies ist nur der Anfang. Bis zum Morgengrauen wird sich eine zentimeterdicke Schneedecke gebildet haben, die das weitere Arbeiten erheblich erschweren wird. Deutlich beginnt der Blonde zu zittern und Raph schiebt ihn weiter zum Eingang, da er sich trotzdem nicht vom Anblick des fallenden Schnees lösen kann. Im Bunker dagegen ist von Schnee und Kälte nichts zu spüren. Überall ist es angenehm warm, sodass Michael schon nach wenigen Metern die geliehene Jacke auszieht und sich unter den Arm klemmt.
 

Schweigend folgt er seinem Meister den Gang entlang zur Treppe. Diesmal benutzen sie aber nicht den direkten Weg, was den Jungen doch verwundert. Demonstrativ bleibt Raph schließlich vor einer Tür stehen und Michael erkennt schnell, dass es sich um den Lagerraum handelt, aus dem er heute Morgen die Sachen hat mitgehen lassen. Ertappt zuckt er zusammen, in dem Gedanken jetzt noch ordentlich Ärger zu bekommen. „Ich weiß, dass du die Tür aufgebrochen hast. Dass kann ich nicht gutheißen, auch wenn mich dein Geschick beeindruckt.“ Langsam zieht der Saikämpfer den Schlüssel aus der Tasche seines Bademantels und verriegelt die Tür wieder. „Ich hab auch gesehen, was du mitgenommen und damit angestellt hast. Ich war dort, um mir die Baustelle anzusehen, als ihr gerade so fröhlich anfingt zu singen. Falls man dieses schiefe Getöse überhaupt als Singen bezeichnen kann.“ Seiner Stimmlage ist nicht anzumerken, ob er sauer oder einfach nur enttäuscht ist und Michael fühlt sich dadurch nur noch schlechter. Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf steht er da und wünscht sich, er wäre trotz Albtraum in seinem Zimmer geblieben.
 

„Was machst du denn für ein langes Gesicht, Junge? Immerhin solltest du dich freuen, du hast deine Prüfung endlich bestanden und wirst an der nächsten Mission teilnehmen!“ Nun hört man seiner Stimme einen Funken Stolz und Begeisterung an und der Blonde hebt ungläubig den Kopf. Jetzt versteht er gar nichts mehr. „Ihr seid mir nicht böse?“ „Nein. Vielleicht etwas angefressen, weil du die Sachen ohne meine Erlaubnis entwendet hast. Ansonsten bin ich sehr zufrieden mit dir.“ Ein nachsichtiges und ehrliches Lächeln breitet sich auf den sonst so ernsten Zügen des Führers aus. Dies weckt auch etwas Hoffnung in dem Jungen und er versucht ebenfalls zu lächeln. „Und ich darf ab jetzt wirklich mit auf Mission?“, hakt er nach. „Ja. Aber erst mal nur mit Chen und seinem Team und auch nur wenn er Zeit hat auf dich aufzupassen, ansonsten wirst du hier weiterarbeiten.“, nimmt Raph ihm ein wenig den Wind aus den Segeln. Doch das scheint den Jungen überhaupt nicht zu kümmern. Stattdessen ist ihm die Vorfreude deutlich anzusehen und er muss sich ziemlich zusammennehmen, um Raph nicht gleich um den Hals zu fallen.
 

„Oh, danke, vielen Dank! Ihr werdet es ganz sicher nicht bereuen!“, flötet der Blonde begeistert. „Das will ich auch hoffen und jetzt komm.“ Es dauert nicht lange und sie stehen vor Raphaels Zimmer. Ungeachtet seines kleinen Begleiters betritt Raph das Zimmer. Erst als er am Bett ankommt, merkt er, dass der Junge verloren vor der Tür stehen geblieben ist und ihn ansieht. Noch nie zuvor hat Michael sein Zimmer betreten und auch jetzt sieht er keinen wirklichen Anlass dafür unaufgefordert zu folgen. Etwas verwundert legt Raph die Stirn in Falten. „Willst du den Rest der Nacht da stehenbleiben? Komm endlich rein und mach die Tür zu.“, fordert er ihn auf. Unsicher verweilt der Blonde noch einen Moment auf der Schwelle, dann tritt er ein und schließt leise die Tür hinter sich. Doch irgendwie fühlt er sich jetzt nicht mehr so wohl. Der Rothaarige kommt zu ihm hinüber, nimmt ihm die Jacke ab und hängt sie wieder über die Seite des Spiegels. Dann wendet er sich wieder zum Bett und streift sich auf dem Weg dorthin den Bademantel an. Vergessen landet er vor dem Bett und Michael sieht seinen Meister zum ersten Mal nur in Shorts.
 

Er schluckt hart, als er beobachten kann wie sich unter dem engen, schwarzen Stoff die Muskeln seines Pos und der Hüften bewegen. Mit roten Wangen wendet er den Blick ab und als Raph sich umdreht, kann er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Irgendwie niedlich wie er dort so steht und versucht ihn nicht anzustarren, auch wenn Mikey das früher nicht gestört hat. Aber schließlich wusste Mikey sein Leben lang wie seine Bruder in Unterwäsche oder sogar ganz nackt aussehen. Jetzt ist es für ihn jedoch völlig neu, aber irgendwie gefällt es Raph ihn so aus der Fassung zu bringen und er wird noch viel mehr davon verlieren, wenn er erst merkt, was der Ältere eigentlich will. Der Rothaarige geht auf die linke Seite des Bettes, schlägt die Decke zurück und setzt sich auf die Laken. „Nun komm schon her und leg dich hin, ich will endlich schlafen.“, fordert Raph in grinsend auf. Der Gedanke behagt dem Jungen überhaupt nicht. Er soll sich das Bett mit seinem Meister teilen? Das soll doch wohl ein Schmerz sein! „Ich fürchte, dass kann ich nicht.“, erwidert der Blonde zaghaft und wendet sich zu Tür um.
 

Er hat sie gerade mal einen Spalt geöffnet, da legt sich Raph´s Hand auf den kalten Stahl und schlägt sie wieder zu. Erschrocken zuckt der Jüngere zusammen. Er kann die Wärme spüren, die von dem Körper hinter ihm ausgeht und ein Schauer läuft ihm über den Rücken. Dann Raph´s heißer Atem an seinem Ohr. „Du kannst auch auf dem harten Boden liegen, wenn dir das lieber ist, doch du verlässt diesen Raum nicht, ehe ich es dir erlaube.“ Er will dem Kleineren keine Angst machen oder dergleichen, dennoch scheint es eher so zu sein. „Meister, ich…“, setzt Michael an, doch er wird unterbrochen. „Weißt du, bevor ich dich vor meiner Tür fand, hatte ich auch einen Albtraum und ich dachte, gemeinsam wäre es einfacher wieder Schlaf zu finden…“ Ohne ein weiteres Wort begibt sich Raph wieder zurück zum Bett und überlässt den Jungen sich selbst. Grübelnd blickt dieser weiterhin auf das glatte Metall der Tür und versucht seine Gedanken zu ordnen. Seine merkwürdigen Gefühle für Raph drängen sich dabei immer wieder in den Vordergrund. Vielleicht hat er ja doch etwas für ihn übrig? Welcher erwachsene Mann würde sich sonst mit einem Halbwüchsigen das Bett teilen?
 

Unsicher dreht sich der Blonde herum. Raphael hat es sich inzwischen bequem gemacht und wartet auf ihn. Die Müdigkeit ist ihm deutlich anzusehen und auch Michael ist alles andere, als wach. Scheu nähert er sich schließlich doch dem Bett und klettert auf den freie Seite. „Na siehst du, war doch gar nicht so schwer.“, entgegnet ihm der Rothaarige und breitet die Decke über sie beide aus. Noch immer mit einem seltsamen Gefühl legt sich Michael auf das Kissen und Raph tut es ihm gleich. Nur wenige Minuten später kann der Nunchakuträger das gleichmäßige, tiefe Atmen seines Bettnachbarn hören und weiß, dass dieser bereits eingeschlafen ist. Vorsichtig riskiert er einen Blick. Da die Nachttischlampe noch immer an ist, kann er deutlich die entspannten Züge des anderen sehen. Er wirkt so unglaublich friedlich, fast schon unschuldig und sein Anblick erfüllt Michaels Herz mit einer tiefen Zuneigung. Lächelnd betrachtet er ihn und verliert den Rest seiner Scheu. Er rückt sogar ein Stück näher an ihn heran und rollt sich dicht neben ihm zusammen. Langsam schließt er die Augen. Kurz darauf öffnet er sie jedoch wieder, weil sich Raphael auf den Rücken gedreht hat.
 

*Raph hat eine etwas schiefe Nasenscheidewand und beginnt jetzt leicht zu schnarchen, ein Geräusch, das Michael als angenehm empfindet. Es ist gut, das Bett mit einem anderen Menschen zu teilen, einem wirklichen Menschen, der wirkliche Geräusche von sich gibt - und ihm manchmal die Decke wegzieht. Er lächelt in Zwielicht der einzelnen Lampe. Dann kehren seine Gedanken wieder zu seinem Albtraum zurück. Erneut breitet sich ein Unwohlsein in ihm aus, erst recht, weil auch Raph meinte er hätte einen Albtraum gehabt. Sollte er deswegen bei ihm bleiben, damit auch der starke Führer keine Angst haben muss? Irgendwie kann er sich gar nicht vorstellen, dass es überhaupt etwa gibt, dass dem Rothaarigen Angst machen könnte. Raphael meinte aber, dass sein Bruder früher immer schlimm geträumt hat und sich dann nur wohl gefühlte, wenn er bei ihm schlafen konnte. Der Blonde kann das gut nachvollziehen. Raph verströmt eine unglaubliche Aura, die Schutz verspricht. Während der Junge so vor sich hin denkt, dreht sich der Saikämpfer erneut herum. Diesmal jedoch auf die Seite, sodass Michael ihm wieder direkt ins Gesicht sehen kann.
 

Irgendwie scheint er dabei auch näher zu ihm gekommen zu sein. Nur wenige Zentimeter trennen ihre Gesichter noch voneinander. Gerade als sich der Kleinere mit dieser Nähe versucht anzufreunden, streckt Raph unbewusst im Schlaf den Arm aus und legt ihn um die Schulter des verwirrten Jungen. Zur Krönung des Ganzen scheint Raph der Gedanke zu gefallen, jemanden im Arm zu halten, vielleicht denkt er dabei auch an seinen kleinen Bruder? Jedenfalls zieht er Michael nun sogar zu sich heran, bis der Blonde fest in seiner Umarmung liegt. Raph seufzt im Schlaf und drückt sein Gesicht in die wirren, blonden Haare des Jüngeren. Hilflos liegt der Nunchakuträger da und weiß nicht so recht, was er tun soll. Seinem Meister scheint es ziemlich gut zu gehen, doch ihm selbst fällt es schwer, sich so plötzlich fallen zu lassen. Allerdings zieht die Müdigkeit immer heftiger an ihm, sodass er sich nur noch ein paar Momente darüber Gedanken machen kann, ehe ihm die Augen zufallen und er sich fester an sein Gegenüber kuschelt. Unbewusst fügt sich so ein Stück Vergangenheit wieder zusammen und lässt die beiden näher zueinanderfinden…

Never touch my property!

Zwei Monate später - Februar...
 

Langsam aber sicher lernt Raphael mit dem nagenden Gefühl umzugehen, das ihn immer wieder dazu verleiten will, Michael zu unterwerfen und sich einfach zu nehmen, wonach sein Körper schon so ewig verlangt. Er will nicht abstreiten, dass es ungebrochen vorhanden ist und auch irgendwann die Oberhand gewinnen wird, doch sein Gewissen drängt sich oftmals zu sehr in den Vordergrund, als das er es ignorieren kann. Man könnte schon fast sagen, dass es ein schlechtes Gewissen ist, das seit der Nacht vorhanden scheint, indem der Albtraum sie beide verbunden hat. Die Unsicherheit in den Augen des Blonden spiegelt sich immer wieder in Raphaels Gedanken wieder und zeigt ihm, dass der Junge doch eine gewisse Furcht vor dem hat, was passieren könnte und er vielleicht sogar ahnt, was Raph in Betracht zieht zu tun. Das Letzte, was der Saikämpfer aber will, ist das Michael davor Angst hat, sich ihm hinzugeben. Er soll es aus freien Stücken tun, hat Raph doch nicht zum ersten Mal bemerkt, dass der Nunchakuträger scheinbar auch Gefühle für ihn hegt. Deutlich hat er dies gespürt, als der Junge bei einem erneuten Albtraum doch tatsächlich an seine Tür geklopft hat.
 

Das ist gut einen Monat her und damals war Michael schon weit lockerer. Raph konnte gut spüren, wie sich der Junge nach der schützenden Nähe seines Führers gesehnt hat. Sie beide haben es genossen, eng aneinander geschmiegt dazuliegen und sich gemeinsam von den schrecklichen Bildern ihrer Traumwelt zu befreien. Seitdem geht es dem Rothaarigen auch schon erheblich besser. Der furchtbare Albtraum vom Tod seiner geliebten Familie sucht ihn nun viel seltener heim und er kann endlich mal ein paar Nächte am Stück durchschlafen. Zwar konnte er seinen kleinen Bruder bisher nur zwei Mal in den Armen halten und ihm Trost spenden, dennoch scheint es weit mehr bei ihm selbst bewirkt zu haben, als er anfangs dachte. So kann er weit entspannter seiner Arbeit nachgehen und das merken auch alle anderen. Die Meisten empfinden es als äußerst angenehm, auch wenn sie nicht wissen, was der Grund dafür ist. Doch ihren Führer freundlich, ja schon fast ausgelassen zu erleben, ist etwas, dass sie nicht gedacht hätten jemals zu sehen. Es hat das gesamte Zusammenleben vereinfacht und die Flüchtlinge haben weniger Sorgen und gehen ebenso freundlich miteinander um.
 

So haben sie beispielsweise auch Michael in ihrer Mitte aufgenommen und teilen nun auch viel mehr Gespräche mit ihm, ohne Furcht zu haben, er könnte spionieren und schlecht über sie mit Raph sprechen. Das freut den Jungen ungemein, auch wenn er sich nicht ganz sicher ist, wo der plötzliche Sinneswandel der Leute herkommt. Allerdings ist nicht jeder so positiv angetan von der wiedergefundenen guten Laune des Meisters. Die Foot-Ninja diskutieren heimlich miteinander, was oder vielleicht sogar wer dafür verantwortlich sein könnte. So entstehen unter den Männern die wildesten Theorien. Eine davon besagt, dass Raph irgendwo einen Vorrat an Alkohol bunkert und nach all der Zeit nun rausgefunden hat, welche Dosis es braucht, um ihn heiter durch den Tag zu bringen, ohne die lästigen Kopfschmerzen an nächsten Morgen. Allerdings hat sich diese These nach einer Weile in Luft aufgelöst, da sie sich nicht beweisen lässt. Vielen der Männer kommt er nahe genug, dass sie den Alkohol in seinem Atem riechen müssten. Zumal sieht man nie eine Flasche in seiner Nähe und wenn er etwas trinkt, dann ausschließlich Kaffee und diesem merkt man keine Spezialzutat an.
 

Eine weitere Theorie ergibt sich aus der naheliegenderen Tatsache, dass sie ihren Meister doch des Öfteren rauchen sehen. Dies brachte die Männer auf den Gedanken, dass sich Raph vielleicht nicht nur Tabak in seine Zigaretten dreht, sondern auch mal das eine oder andere berauschende Kraut, das er vielleicht auf einem Streifzeug durch den verwilderten Wald der Insel gefunden hat. Doch auch diese Annahme wurde bald verworfen. Einige der Männer haben schon Erfahrungen mit dergleichen gemacht und wissen wie das dann aussehen müsste. Ihr Meister hingegen zeigt keinerlei Anzeichen einer Sucht und man sieht ihm auch keine Nebenwirkungen oder Entzugserscheinungen an. Hinzu kommt, dass er viel zu selten eine raucht und der Qualm zeigt weder eine veränderte Farbe, noch kann man etwas anderes riechen, als Tabak. So bleiben nicht mehr viele Möglichkeiten, die zu seiner erhellten Stimmung beitragen könnten. Doch sie wissen, auch aus Erzählungen der Flüchtlinge, dass Raph viele Jahre allein war. Da ist es also am Naheliegesten, dass er wohl eine kleine Freundin gefunden hat, die ihm vollkommen den Kopf verdreht.
 

Beschwingt durch das Gefühl der Liebe und dem gestillten Verlangen, das ihn lange quälte, ist er somit viel entspannter und ausgeglichener. Klare Sache also! Nun stellt sich den Foot aber die Frage, wer die Dame ist, die es geschafft hat, den verschlossenen Ninja aus seinem Panzer herauszulocken? Offensichtliche Anzeichen gibt es scheinbar keine. Raphael hat so gut wie kaum Kontakt zu den Flüchtlingen und wenn doch, entsteht dieser hauptsächlich durch Chen oder Michael, die ihm Bericht erstatten oder seine Forderungen weitertragen. Allerdings könnte der ehemalige Turtle ja auch ein ganz Ausgebuffter sein und so trifft er sich nur ganz heimlich im dunklen Kämmerlein mit seiner Angebeteten und zwingt die Dame dabei zur äußersten Verschwiegenheit. Das würde immerhin einiges erklären und so klammern sich die Foot an diesen Gedanken, auch wenn es sie wurmt, nicht zu wissen, um welche Frau es sich handelt. Zwei der dunklen Kämpfer kommen aber auch auf eine andere Idee, die ihnen treffender erscheint, da sie dem Gedanken selbst nicht abgeneigt sind. Was ist, wenn es sich nicht um eine Frau handelt, sondern um einen Mann?
 

Sich ihren temperamentvollen Meister als schwul vorzustellen, fällt auch den beiden Foot schwer, aber es kann ja immerhin sein, dass Raphael beiden Geschlechtern zugeneigt ist, womit die beiden immerhin Recht hätten. Und da er eine imposante und dominante Persönlichkeit ist, dürfte es nicht so schwer sein, einen jungen Mann zu finden, der seinen passiven Gegenpart einnimmt. Den beiden Foot fällt dabei einer ganz besonders ins Auge, da er eigentlich immer in seiner Nähe ist und auch ständig von Raph beobachtet wird. Hinzu kommt außerdem, dass das Kerlchen in letzter Zeit einiges an Freiheiten dazugewonnen hat. Hierbei kann es sich eindeutig nur um Michael handeln! Der Altersunterschied ist zwar nicht gerade klein und der Junge ganz sicher sehr unerfahren, sodass es für Raph sicherlich nicht so leicht war, ihn aufs Kreuz zu legen, doch es ist nicht zu übersehen, dass der Junge sich stets bemüht seinem Meister zu gefallen. Nach langem Hin und Her ist es dem Roten dann wohl doch gelungen, zu bekommen, worum er lange genug gekämpft hat und daher schlägt sich dies dann in seiner guten Laune nieder und er gestattet dem Jungen zum Dank einige Freiheiten.
 

Die anderen Foot wollen von solchen Schwulitäten nichts wissen. Nicht, weil sie es Raphael nicht zutrauen, sondern weil sie selbst davon angewidert sind und so bleibt die Aufklärung dieser Theorie an den beiden Begründern hängen. Diese haben jedoch keinerlei Probleme damit, da sie selbst schon die eine oder andere Erfahrung gesammelt haben und Michael in ihren Augen auch genau die richtige Wahl dafür ist. Der Bengel würde für ein bisschen Aufmerksamkeit von seinem Meister wahrscheinlich einfach alles tun! Daher dürfte es nicht allzu schwer sein, ihm ein wenig zu entlocken oder sogar etwas Spaß mit ihm zu haben. Vor lauter Arbeit kommen die Foot eher selten bis gar nicht zu einer solchen Gelegenheit innigen Kontakt mit anderen zu schließen. Und die meisten Flüchtling sind nicht sonderlich angetan von den Kriegern, was es wiederum schwer macht. Untereinander passt es auch nicht wirklich, da bis auf die zwei alle scheinbar eher dem weiblichen Geschlecht zugetan sind. Das eine oder andere Mal haben die beiden es miteinander versucht, doch im Endeffekt konnten sie sich nicht damit anfreunden, dass einer von ihnen den passiven Part übernehmen muss.
 

Michael hingegen strahlt etwas aus, das einem verrät, dass er eine starke Hand bevorzugt, die ihn führt und genau das können ihm die zwei Foot-Ninja geben. Wenn der Junge dann etwas lockerer ist, können sie das Ganze dann vielleicht sogar aufrechterhalten, ohne dass Raphael davon Wind bekommt und wohlmöglich Besitzansprüche geltend macht. So kann jeder von ihnen sein Vergnügen haben und alles ist prima. Wenn der Bengel sich gut anstellt, können sie ihn vielleicht sogar dazu überreden, beim Meister mal ein gutes Wort für sie einzulegen, damit sie auch mal etwas besser gestellt werden. Ein toller Gedanke. Nun müssen sie nur noch einen geeigneten Augenblick finden, indem sie den Blonden mal allein antreffen und der Rest wird ein Kinderspiel! Schneller als erwartet ergibt sich so eine Gelegenheit an diesem Nachmittag. Die Foot sind von ihren Missionen zurück und begeben sich in den Trainingsraum, um den Tag mit ein paar Übungen ausklingen zu lassen. Auch Michael steht zwischen ihnen und gemeinsam blicken sie alle auf Chen, der das Training mit ein paar kurzen Worten einleitet.
 

Da der Tag ziemlich an den Nerven aller gezerrt hat, sollen die Übungen nun der Entspannung von Körper und Geist dienen. Für Ende Februar ist es noch äußerst kalt und es liegt auch jede Menge Schnee, der hartgefroren das Vorrankommen sichtlich behindert. Alle sind erschöpft und durchgefroren und wollen eigentlich nur noch ins Bett. Doch nicht allen geht es so schlecht, dass sie nicht auf dumme Gedanken kommen. Trotz der endlosen Stunden in der klirrenden Kälte ist Michael beispielsweise immer noch munter und ausgelassen, was er wohl allein seinem hyperaktiven Wesen zu verdanken hat. Gerade deswegen sind die Foot-Ninja doch arg genervt von dem kleinen Wirbelwind. Zwei von ihnen macht das Ganze jedoch nichts aus. Im Gegenteil, sie belächeln die aufgeweckte Art des Jungen und lassen ihre Fantasien schweifen. So viel Ausdauer hat immerhin auch etliche Vorteile! Ehe sie sich jedoch auf den Knaben konzentrieren können, müssen sie Chens Unterricht über sich ergehen lassen. Nicht ohne ein deutliches Murren an ihren Lehrmeister zu senden, begeben sich alle an ihren Platz.
 

Chen beobachtet jeden einzelnen von ihnen genau, ehe er sie anweist, die verschiedenen Lockerungsübungen durchzugehen, die sie im Laufe der Zeit von ihm gelernt haben. Anschließend folgen etliche Dehnübungen, um die eingeschlafenen und unterkühlten Muskeln wieder aufzuheizen. Hierbei ertönt wieder deutliches Murren aus der Truppe, das nicht selten von einigen Flüchen durchdrungen wird, wenn dem einen oder anderen die Muskeln schmerzen oder verkrampfen. Der Japaner hört großzügig über diese unschönen Äußerungen hinweg, auch wenn es bei besonders fantasievollen Worten schon ziemlich schwierig wird. Es vergeht einiges an Zeit, bis die Männer aufgewärmt und gelockert genug sind, damit fortgefahren werden kann. Nach so einem Tag verkneift es sich Chen aber, die Foot unnötig lange zu quälen. Schließlich war er selbst lange genug mit Michael dort draußen, um zu wissen wie unangenehm das Wetter heute ist. So soll es ihm heute genügen, wenn sie zum Abschluss nur noch etwas meditieren und sich dann ausruhen, damit sie morgen wieder einsatzbereit sind. Allerdings ist die Meditation auch nicht ganz ohne.
 

Ungeübten Personen hilft sie ganz sicher nicht bei der Entspannung, da die schwierige Haltung noch eher dazu verleitet sich noch mehr zu verkrampfen. Doch die etlichen Monate und Jahre der Übung, die die meisten Männer hinter sich haben, hat diese Meditation zumindest soweit gelockert, das keiner von ihnen mehr Schmerzen dabei erleiden muss, auch wenn sie noch lange nicht perfekt ausgeführt wird, wie Chen leider zugeben muss. Doch da sie hier keineswegs beim Militär oder dergleichen sind, müssen die Männer die anstrengende, uralte Form der Konzentration aus längst vergangenen Samuraitagen auch nicht stundenlang halten, wie es in manchen Schulen verlangt wurde. Hier dient sie lediglich dazu, runter zu kommen, sich seines Körpers bewusst zu werden und um festzustellen wie viel Kraft nach diesem anstrengenden Tag noch in einem steckt. Eigentlich macht man diese Übung daher auch am Anfang des Tages, wenn man die meiste Kraft und Konzentration hat. Chen ist allerdings der Ansicht, dass es nicht schaden kann, noch ein wenig von den Männern abzuverlangen, damit sie auch wirklich Schlaf finden und nicht auf irgendwelche dummen Gedanken kommen wie nächtliche Pokerspiele oder dergleichen.
 

Leider ahnt der Japaner nicht, dass sich zwei unter den Männern befinden, die schon seit einigen Tagen dumme Gedanken haben und nur darauf warten, sie ausleben zu können. Nichtsahnend leitet Chen seine Truppe also an, sich in die richtige Position zu begeben. Dafür stellt er sich vor die versammelten Foot-Ninja und beginnt die einzelnen Schritte der Übung zu erläutern, die sie alle eigentlich mehr als auswendig kennen und doch kaum beherrschen. Von einem erneuten Murren lässt er sich rein gar nicht beeindrucken und macht stur weiter. So weist er sie an, sich mit leicht gespreizten Beinen hinzustellen. Dabei sollen die Füße etwa dreißig bis vierzig Zentimeter Abstand voneinander haben. Dann leicht in die Knie einsinken und das Becken dabei nach vorne kippen, damit sich der untere Teil der Wirbelsäule begradigt. Um auch den oberen Teil der natürlichen S-Krümmung zu entlasten, schiebt man den Kopf nach hinten und lässt sich dann locker in die Stellung reinhängen, als wäre man eine Marionette, die an einem Faden von der Decke hängt. Von der Seite betrachtet, bildet der Rücken nun eine fast perfekte, gerade Linie.
 

Zum Schluss hebt man die Hände vor das untere Zentrum und bildet mit ihnen einen offenen Halbkreis. In der japanischen wie auch der chinesischen Medizin wird der Körper in drei Kraftzentren aufgeteilt, in denen sich die Lebensenergie – im japanischen genannt Chakra, im chinesischen Chi – sammelt und von dort auf den gesamten Körper verteilen lässt. Das untere Zentrum befindet sich dabei zwei fingerbreit unter dem Bauchnabel und wird in beiden Kulturen als Mittelpunkt des Körpers angesehen, indem sich die meiste Energie sammeln und in den Angriff oder die Verteidigung lenken lassen kann. Das zweite Zentrum befindet sich auf Höhe des Herzens und wird als Sitz des Geistes und der Gefühle angesehen. Wird hier Chakra angesammelt, hilft es einem die Absichten seines Gegenübers zu spüren und ihm so das Überraschungsmoment zu zerstören. Das dritte Zentrum befindet sich auf der Stirn und wird auch das dritte Auge genannt. Wird hier Energie angesammelt, kann man die Bewegungen des Gegners vorhersehen, ohne ihn selbst anzuschauen. So kann man beispielsweise erspüren, was jemand tun will, der hinter einem steht.
 

Bei der Übung kann man je nach Erfahrung jedes der drei Zentren ansteuern, indem man die Hände davor hebt. Je höher man die Hände jedoch hebt, desto schwieriger wird die Übung natürlich, weswegen Chen nur die einfachste Methode für sein Training ausgewählt hat. Doch auch diese verlangt den Männern genug ab. Steht man also in der richtigen Haltung, sollten sich alle Muskeln locker anfühlen, was besonders in den Armen und Beinen nach einiger Zeit äußerst schwierig wird. Zum Schluss schließt man die Augen und stellt sich das Chakra als ein Licht vor, das begleitet von einem leichten Wärmegefühl durch den Körper fließt. Durch Konzentration versucht man die wirbelnde und unkontrollierte Energie in eine Bahn zu lenken. Diese Bahn verläuft in einem Oval von der Nase einmal um den Körper herum zum Kopf zurück und sammelt die Energie dann als Kugel im unteren Zentrum. Hat sich das Chakra dann gebündelt, kann man es bewusst in die Regionen des Körpers leiten, die für einen Angriff gebraucht werden, wie zum Beispiel die Hände. Dort entsteht dann ein warmes Kribbeln, dass das fließen der Energie anzeigt. Ist man geübt, kann man dies während eines Kampfes schon durch tiefes Einatmen erreichen, ohne in Stellung zu gehen.
 

Davon sind die meisten der Anwesenden aber meilenweit entfernt. Michael hingegen merkt man an, dass er dabei schon einiges an Erfahrung hat. Wenn Raph ihn beim Training beobachtet, kann er manchmal kaum glauben, dass dort eigentlich sein kleiner Bruder steht. Früher war Mikey eher ungeschickt und hilflos bei solchen Übungen, erst recht wenn es um Konzentration ging. Heute hingegen ist er trotz schwacher Konzentration der Streber der Truppe, der jede Übung beim ersten Mal hinbekommt und den Neid der anderen auf sich zieht, wie es einst nur Leonardo eigen war. Eine seltsame Welt. Während die Foot nun in dieser Position verharren und sich krampfhaft versuchen ihre Energie als ein Licht vorzustellen und dieses dann auch noch an einem Punkt zu sammeln, geht Chen durch ihre Reihen und kontrolliert ihre Haltung. Obwohl sie diese Übung jeden Tag machen, muss er bei fast allen Männern etwas beanstanden und korrigieren. Bei gut fünfzig Personen dauert das eine Weile und so fangen die Muskeln schnell an zu zittern und verkrampfen sich. Doch der Japaner lässt sie noch eine Weile schmoren, ehe er ihnen gestattet, die Pose zu lösen.
 

Murrend reiben sich die Männer die schmerzenden Arme und Beine. Endlich erlaubt ihnen der Sensei zu gehen und so trotten sie langsam Richtung Ausgang und steuern auf ihre Schlafzimmer zu. Chen verschwindet ebenfalls, da er noch einiges zu erledigen hat. Doch nicht alle von ihnen sehnen sich schon nach ihren Betten. Michael ist noch hier und räumt ein wenig auf und auch die beiden Foot mit ihren unschönen Gedanken sind geblieben. Schließlich bietet sich nicht alle Tage die Gelegenheit, den Bengel allein anzutreffen! Die beiden Maskierten werfen sich bedeutungsschwangere Blicke zu, während sie den Jungen dabei beobachten wie er die Holzwaffen vom morgendlichen Training in einer Kiste verstaut. Außer ihnen befindet sich inzwischen niemand mehr im Raum und alle Türen sind verschlossen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich noch einmal jemand hierher verirrt, liegt geradezu bei null. Die gesamte Insel bereitet sich nun auf die Nachtruhe vor und das Letzte, woran sie denkt, ist weiteres Training. Also freie Bahn für allerhand Unziemliches! Eine gewisse Vorfreude liegt auf den verhüllten Gesichtern der beiden Männer.
 

Lange mussten sie auf so einen Augenblick warten, scheint doch kaum jemand hier ihre Neigungen zu teilen. Allmehlig beendet der Nunchakuträger seine Arbeit und wendet sich zum Gehen um. Überrascht stellt er jedoch fest, dass er gar nicht wie gedacht allein im Raum ist. Schnell wandelt sich seine Überraschung jedoch in ein strahlendes Lächeln. Warum auch nicht? Er ahnt ja nicht, was auf ihn zukommen mag. Die beiden Foot geben sich ebenfalls freundlich. „Na, Michael, du scheinst ja noch gar nicht müde zu sein?“, fragt der eine. „Nein, keineswegs!“, entgegnet ihnen der Junge voll gewohntem Sonnenschein. „Das ist gut. Chen hat uns nämlich gebeten noch eine Übung mit dir durchzugehen.“, kommt es nun von dem anderen. Etwas verwundert legt der Chaosninja den Kopf schief. „Echt? Mir hat er nichts gesagt…“ Irritiert blickt Michael die beiden an. „Naja, er hatte es eilig und hat es uns auch nur zwischen Tür und Angel mitgeteilt.“ „Genau. Aber er meinte, dass wir die Übung unbedingt jetzt noch versuchen sollen, weil er dir morgen dann etwas ganz Besonderes zeigen will…“ Leicht nervös betrachten die Foot den Jungen.
 

Michael denkt kurz nach. Die beiden fürchten schon, dass er ihre Lüge durchschauen könnte, doch dann lächelt er ihnen wieder begeistert zu. „Ok, in Ordnung! Was soll ich machen?“ Die beiden Männer funkeln sich siegessicher an. Das ist schon fast zu einfach! Allerdings bemerken die drei nicht, dass sie nicht völlig ungesehen sind. Raphael sitzt auf seinem Thron und ist schon fast über den Berichten, die er versucht zu lesen, eingeschlafen. Als ihm das klar wird, legt er den Papierstapel zur Seite und erhebt sich schwerfällig. Gähnend streckt er seine müden Knochen, die ein unschönes Knacken von sich geben. „Ich sollte dringend ins Bett gehen…“, murmelt er vor sich hin, während er sich auf den Weg zur Tür macht. Dabei fällt ihm auf, dass im Trainingsraum noch Licht brennt. Irgendein Trottel wird es wohl vergessen haben auszumachen. Augenrollend wendet sich der Saikämpfer der großen Scheibe zu. Neben dem Lautsprecher gibt es auch einen Lichtschalter, was Raphael äußerst praktisch findet, da er so nicht erst einen Umweg machen muss. Verwundert stellt er aber fest, dass der Trainingsraum gar nicht leer ist.
 

Mit gerunzelter Stirn erblickt er Michael und zwei der Foot-Ninja. Doch was treiben die drei dort, wo doch schon längst Schluss für heute ist? Geistesgegenwertig betätigt Raph den Schalter für den Lautsprecher und will ihnen eigentlich sagen, dass sie in ihre Zimmer gehen sollen, doch er hält inne und lauscht. Derweilen haben sich die drei aufgestellt, als würden sie wirklich trainieren wollen. Doch noch weiß der Blonde beim besten Willen nicht, was für eine Übung ihn erwartet. Mit großen, wachen Augen beobachtet er wie sich jeder der beiden Foot auf eine seiner Seiten stellt, sodass er zwischen ihnen steht. „Ok, bei der Übung geht es darum, dass du auch in einer bedrängten Situation völlig entspannt bleibst und dich nicht wehrst, bis du die Chance siehst, dich zu befreien. Das mit der Befreiung ist dann Teil dessen, was Chen dir morgen zeigen wird. Also halt einfach still und versuch locker zu bleiben.“, erläutert der eine Foot, während er seinem Kollegen wissend in die verborgenen Augen sieht. Dieser nickt bestätigend und ein verstecktes Grinsen bildet sich unter seiner Maske aus. Etwas verwundert lauscht Raphael weiterhin dem Gespräch.
 

Was für einen Grund sollte Chen haben, Michael ausgerechnet mit den beiden trainieren zu lassen, wenn doch morgen ausreichend Zeit ist, um ihm die Übung zu zeigen? Diese Tatsache kommt den ungewollten Führer doch recht merkwürdig vor. Schließlich kann Chen ja nicht überwachen, ob die beiden seine Anweisungen auch richtig umsetzten, sodass sich am Ende nicht einer von ihnen verletzt. Es macht Raph mehr als stutzig, sodass er beschließt, noch einen Moment länger hierzubleiben, um ein Auge auf die übereifrigen Foot zu werfen. Gedanklich versucht er sich dabei an die Übungen zu erinnern, die ihm sein eigener Sensei vor unendlich langer Zeit beigebracht hat. Doch er kann sich beim besten Willen an keine erinnern, in der man von zwei Gegnern in die Mangel genommen wird und dabei völlig reglos und entspannt alles mit sich machen lassen soll. Irgendwas ist da äußerst faul! In der Zwischenzeit denkt Michael, dass er verstanden hat, was er bei dieser Übung machen muss. Der Tatendrang etwas Neues zu lernen, steht ihm ins Gesicht geschrieben, sodass Raph erneut an Leo erinnert wird.
 

„Ok, fertig, Michael?“, fragt einer der Maskierten. Mit einem beinahe ungeduldigen Lächeln tapst der Junge von einem Fuß auf den anderen, als müsse er ganz dringend auf die Toilette. „Ja, bereit!“, flötet er. In diesem Moment wirkt der Junge wieder ganz wie der Mikey, den Raph vor so vielen Jahren für verloren hielt – aufgekratzt bis zum Letzten. Ein sanftes Schmunzeln schleicht über seine sonst so harten Züge und er betrachtet den Blonden so voller Liebe wie er es sonst nur macht, wenn Michael neben ihm schläft. Doch schon einen Moment später krampft sich sein Herz schmerzhaft zusammen und das schöne Gefühl zerspringt in tausend spitze Scherben, die sich ungehindert in seinen Schädel bohren. Er kann nicht glauben, was sich dort vor seinem Auge abzuspielen beginnt. Die beiden Foot fixieren den ahnungslosen Jungen zwischen sich und umklammern seine Handgelenke, damit er nicht um sich schlagen kann. Dann schiebt der eine ihm das Hemd hoch, entblößt seine schmale Brust und streicht ungehindert über die leicht gebräunte Haut, während der zweite sich damit befasst, den kleinen Ninja die Hose zu öffnen.
 

Von alledem ziemlich überfordert, zuckt der Nunchakuträger erschrocken zusammen und versucht sich freizukämpfen. Wirklich gelingen tut ihm dies nicht, da die beiden Foot zusammen einfach zu stark für ihn sind und ihn zudem auch noch so bedrängen, dass er sich eh kaum bewegen kann. Panik macht sich in ihm breit, das Blut steigt ihm in die Wangen und Tränen glänzen in seinen Augen. „Nein, nicht! Was soll denn das? Lasst mich sofort los!“, versucht er es mit bebender Stimme, doch die beiden Männer beginnen nur gehässig zu lachen und lassen sich kein bisschen stören. Raph hingegen ist außer sich. In ihm entbrennt ein Feuer, dass er all die Jahre dachte verloren zu haben, da es niemanden mehr gab, den er beschützen konnte. Nun lodert es wieder auf, weit wilder und ungebändigter, als je zuvor. Vor seinem geistigen Auge laufen all die Bilder der Vergangenheit ab, auf denen sich Leute unbefugt seinem Bruder genähert haben. Ob sie nun gute oder schlechte Absichten hatten, war dabei völlig egal. Raphael war so voller Eifersucht, dass er niemanden in die Nähe seines geliebten Bruder gelassen hat, ohne kurz vor einer Explosion zu stehen.
 

Mikey hatte schon immer eine ziemliche Wirkung auf seine Umgebung, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Frauen wie Männer gleichermaßen haben sich nach ihm umgedreht und oftmals deutlich ihr Interesse gezeigt, obwohl er dafür noch viel zu jung war. Mit den Jahren ist dies nur noch schlimmer geworden und Raph´s Eifersucht nur noch größer. Das ging so weit, bis der Saikämpfer der Ansicht war, dass niemand jemals gut genug für seinen Bruder sein kann und das der einzige Partner an seiner Seite nur er selbst sein darf. So kam es auch, dass Raph sich in ihn verliebt hat und er sich auch körperlich sehr zu ihm hingezogen fühlte. Wie oft hatte er sich deswegen mit Leo gestritten, der ihn mehr als einmal dabei erwischt hat, wie er nachts versuchte sich Mikey unsittlich zu nähern? Sein Babybruder wurde zu einer echten Obsession, der er nicht mehr entkommen konnte. Doch ehe es ihm gelang, Leo zu überlisten und sich von Mikey zu nehmen, was ihm so lange den Schlaf geraubt hat, erklärte Shredder der Welt den Krieg und alles änderte sich. Seine Gefühle wurden nur noch stärker, doch es blieb keine Zeit mehr ihnen nachzugeben.
 

Er glaubte, für immer verloren zu haben, was er auf der Welt am meisten liebte, bis Mikey wieder zu ihm zurückfand. Der Blonde erinnert sich vielleicht nicht mehr an die innige Beziehung, die er zu seinen Brüdern pflegte, doch Raph hat es nie vergessen, wie hätte er auch? Durch die fehlende Erinnerung konnte sich Raphael aber ungehindert dem Jungen nähern, da keine familiäre Hürde sie mehr trennte. Allerdings war es nicht so einfach, sodass es ihm bis zum heutigen Tag nicht gelungen ist, den Jungen völlig für sich zu gewinnen. Dennoch ist seine Eifersucht ungebrochen. Der alte Beschützerinstinkt bricht aus ihm hervor und macht ihn wieder zu dem gnadenlosen Krieger von damals, der niemanden in der Nähe seines Eigentums duldet! Die hilflose Verzweiflung in den Augen seines geliebten Bruders stachelt alles nur noch weiter an. „Ihr verfluchten Mistkerle!“, schnaubt der Führer haltlos. Knurrend wie ein wildes Tier stapft Raphael auf die Tür des Thronsaals zu. Wenige Augenblicke später öffnet er die Tür zum Trainingsraum und umklammert dabei seine Sais so fest, dass seine Hände ganz weiß werden und die Sehnen darauf wie Starkstromkabel hervortreten.
 

Die Foot bemerken ihn nicht, zu sehr sind sie in ihr perfides Spiel vertieft. Michael ahnt ebenfalls nicht wie nahe die Rettung ist. Ihm laufen inzwischen die Tränen über die Wangen und er wimmert so herzzerreißend wie ein geprügelter Welpe. Raphael sieht nur noch rot. Eigentlich würden diese beiden Dreckskerle es verdienen, dass man sie mit einem stumpfen Messer kastriert und ihnen das Unheil dann zum Fraß vorwirft. Doch trotz seiner Wut ist sich der Saikämpfer bewusst, dass ihn dies nur zu etwas machen würde, dass er eigentlich nicht ist und auch niemals sein wollte – ein Ebenbild des Mannes, dessen Rüstung er gerade trägt. Noch weit schlimmere Fantasien breiten sich in seinem Kopf aus und nur unter größter Anstrengung gelingt es ihm, sie wegzusperren. Er will auf keinen Fall wieder jemanden in Wut töten! Stattdessen lockert er den krampfhaften Griff um seine Waffen und schleudert sie auf die Foot-Ninja. Wie die Klingen eines Messerwerfers wirbeln die Gabeln durch die Luft. Mit unheimlicher Präzision schlagen die Griffenden so wuchtig gegen die Stirn der beiden Männer, dass sie nach hinten geworfen werden und bewusstlos auf den Boden schlagen.
 

Ein kreisrunder Abdruck bildet sich auf der dünnen Schädelhaut und Blut sickert an ihren Schläfen hinab. Klappernd landen die Saigabeln auf dem Steinboden. Im selben Augenblick sinkt Michael kraftlos auf die Knie und sein qualvolles Schluchzen erfüllt den großen Raum. Noch bevor der Junge richtig realisieren kann, dass seine Pein ein Ende hat, ist Raphael auch schon bei ihm und legt ihm eine Hand über die Augen, damit er die bewusstlosen Foot-Ninja nicht sehen muss. Michael verspürt jedoch keinerlei Verlangen danach, die Männer anzusehen, die ihn eben zu unaussprechlichen Dingen zwingen wollten. Stattdessen klammert er sich weinend an der kalten Rüstung seines Meisters fest und presst das Gesicht gegen das glatte Metall. In diesem Augenblick gibt es wieder Meister noch Schüler, noch sonst etwas. Raph nimmt ihn fest in die Arme, so fest, dass es eigentlich schon wehtun müsste und blickt dabei voller Hass auf die beiden Männer, die ihm angeblich bedingungslose Treue und Loyalität geschworen haben. „Keine Angst, es ist vorbei. – Und es wird nie wieder vorkommen, dass verspreche ich dir!“, haucht der Führer dem aufgelösten Jungen ins Ohr. Ein paar Augenblicke später öffnet sich vorsichtig die Tür zum Trainingsraum.
 

Unsicher steckt Chen seinen Kopf durch den Spalt. „Meister Shredder?“ Seine Stimme klingt sichtlich besorgt. Der Angesprochene wendet ihm langsam das Gesicht zu, indem so viel Hass geschrieben steht, dass es den Japaner zusammenzucken lässt. Deutlich kann der Schwarzhaarige dabei beobachten, wie sein Führer den weinenden Jungen in seinen Armen noch fester an sich drückt, als fürchte er, Chen könnte ihm etwas antun wollen. „Wie viel hast du gesehen?“, kommt es kalt von dem Roten. „Ich denke genug, um das Bild, das ich jetzt sehe, zu rechtfertigen…“ „Gut. Dann weißt du sicher auch, was du jetzt zu tun hast? – Also kümmere dich um die beiden!“, kommt es tonlos von dem Jüngeren. Für einen Moment sieht es so aus, als würde ein dunkler Schleier über Chens Augen hinweg gleiten. Er zeigt Raph, dass der Japaner genau das tun wird, was er selbst nur gedacht hat. Doch das ist in Ordnung. Chen ist bei solchen Dingen viel skrupelloser und empfindet dabei auch keine Reue, solange er seinen Meister damit zufriedenstellen kann. Tief verbeugt sich der junge Japaner vor ihm und schreitet dann mit eiskaltem Gesicht auf die beiden Männer zu.
 

Vorsichtig erhebt sich Raph und nimmt Michael dabei auf die Arme. Wie ein kleines Kind klammert sich der Junge noch immer weinend an ihm fest. „Ach, und Chen? Michael wird morgen weder am Training und an einer Mission teilnehmen!“ Mitleidig betrachtet der Schwarzhaarige das aufgelöste Bündel auf den Armen des Clan-Führers. „Selbstverständlich, Meister Shredder! Das steht ganz außer Frage.“ Einen Moment blicken sich die beiden Männer tief in die Augen, dann dreht sich Raphael um und trägt den Jungen hinaus. Chen sieht ihm noch einen Augenblick hinterher, dann wendet er sich den beiden Männern auf dem Boden zu. Wieder gleitet der dunkle Schleier über seine ausdruckslosen Augen hinweg, während sich in seinem Kopf die Bilder eines grausamen Endes für ihren Verrat formen. Mit einem düsteren Lächeln beugt sich der selbsternannte Sensei hinab und schleift die bewusstlosen Männer in die nahegelegene Waffenkammer. Was dort hinter der geschlossenen Tür passiert, will sich nicht einmal Raphael in seinen dunkelsten Träumen vorstellen. Fest steht nur, dass die beiden Foot-Ninja nach diesem Tag nie wieder gesehen wurden und zwei neue Männer ihren Platz einnehmen…
 

Vorsichtig legt Raph den immer noch zitternden Jungen auf dem großen Bett ab. Der zierliche Körper wirkt darin vollkommen verloren, was den Älteren gleich noch trauriger stimmt. Der Blonde rollt sich auf der Seite zusammen, als hätte er schlimme Bauchschmerzen und schnieft unter angestrengtem Luftholen. Doch seine Tränen versiegen langsam. Etwas hilflos steht Raph neben dem Bett und weiß nicht so recht, was er jetzt tun soll. Das, was eben beinahe passiert wäre, macht ihm wieder einmal klar, dass seine eigenen Gedanken und Fantasien in genau dieselbe Richtung gehen. Innerlich könnte er sich dafür ohrfeigen. Erst heute Morgen hatte er Michael beim Training mit Chen beobachtet. Sein Auge konnte sich an dem verschwitzten Körper des Nunchakuträgers gar nicht sattsehen und seine Gedanken schweiften so sehr ab, dass er nur mit Müh und Not seine Erregung in Zaum halten konnte, ohne nach nebenan zu stürmen und den Jungen auf den Rücken zu werfen. Von Tag zu Tag wird es nur noch schlimmer und seine geistige Gegenwehr immer geringer. Er weiß beim besten Willen nicht wie lange er sich noch beherrschen kann, ohne das sein Verhalten in den Augen der anderen seltsam wirkt.
 

Doch jetzt, wo er den verzweifelten Jungen dort liegen sieht, vergeht ihm jeglicher Gedanke daran und er könnte sich selbst dafür verfluchen, dass er an so etwas überhaupt denkt. In der letzten Zeit war es ihm so gut gelungen, sich dem Kleinen zu nähern und sein Vertrauen zu stärken, sodass es vielleicht nicht mehr lange gedauert hätte, bis er einen weiteren Schritt hätte wagen können. Doch diese beiden seltendämlichen Foot-Ninja haben ihm alles kaputt gemacht! Wer weiß, ob Michael es jetzt überhaupt noch zulassen wird, dass sich ihm irgendjemand derartig nähert? Die Angst in seinen unschuldigen Augen zu sehen, war so schrecklich. Allerdings ist Raphael heilfroh, dass er rechtzeitig zur Stelle war, um das Schlimmste zu verhindern. Nicht auszudenken, was sonst vielleicht alles passiert wäre und wie weit die Foot ihr Spielchen ungehindert getrieben hätten. Dann verstummt das Schiefen des Jungen und Raph wendet ihm den Blick zu. Doch der Anblick, der sich ihm bietet, bringt ihn selbst fast zum Heulen. Noch immer zusammengekauert liegt der Blonde mit weit aufgerissenen Augen da und starrt leeren Blickes ins Nichts.
 

Er sieht aus wie ein Geisteskranker, der kurz vor einem Anfall steht. Schnell setzt sich der Rothaarige neben ihm aufs Bett und legt ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. Unwillkürlich zuckt der kleine Ninja zusammen. Er kann es nicht verhindern, obwohl er weiß, dass es nur sein lieber, guter Meister ist, der hier bei ihm sitzt und versucht ihn zu trösten. Das Zusammenzucken seines geliebten Bruders macht Raphael klar wie gerne er den beiden Foot dafür eigenhändig den Hals umdrehen würde. Sie haben seine monatelangen Bemühungen innerhalb weniger Minuten vollkommen zerstört! Doch er atmet tief durch und versucht seine negativen Gefühle nicht auf den labilen Jungen zu übertragen, das würde alles nur noch schlimmer machen. Stattdessen streichelt der Saikämpfer ganz sanft über die Schulter des Liegenden und versucht so etwas Ruhe in dessen Körper zu bringen. „Du brauchst dich vor nichts mehr zu fürchten. Was eben war, wird nie wieder vorkommen, darauf gebe ich dir mein Wort! – Keiner wird dich jemals wieder anrühren, ohne dass du es nicht willst…“
 

Die Worte erreichen den Jungen mit so sanfter und ehrlicher Stimme, dass Michael kaum glauben kann, dass sie von seinem temperamentgesteuerten Meister kommen. Eine Träne der Rührung landet auf dem Laken, ehe er Junge ein schwaches Nicken von sich gibt. Raph ist sich nicht ganz sicher, ob der Blonde ihm Glauben schenkt, doch etwas Besseres fällt ihm im Moment nicht ein. Wiedereinmal wünscht er sich, sein Bruder Leo wäre hier. Der Schwerkämpfer fand immer die richtigen Worte in jeder noch so anormalen Situation, doch Raph ist in solchen Dingen völlig hilflos. Zwar scheinen die richtigen Worte in seinem Kopf zu sein, doch sie auszusprechen stellt ihn vor eine unüberwindbare Hürde, weil er fürchtet dann als schwach dastehen zu müssen. Mit der Zeit hat er dazugelernt, dennoch bleibt es schwierig. Angestrengt versucht der junge Führer nachzudenken, was nach so einem Erlebnis noch helfen könnte. Dabei denkt er an Donnie, der im Gegensatz zu Leo nicht nur auf emotionaler Ebene helfen konnte, sondern auch auf körperlicher. Um sich von einem solchen Schock am besten zu erholen, hilft Schlaf ungemein!
 

Donatello hat mal erzählt, dass ein Mensch, der unter Schock steht, auf ganz instinktive Weise versucht Schlaf zu finden, um das Erlebte besser verarbeiten zu können. Dabei ist es nur förderlich, wenn man der betreffenden Person hilft, sich zu entspannen. Michael wirkt aber ganz und gar nicht müde, er starrt nur weiterhin ausdruckslos ins Leere wie eine übergroße Puppe. Doch Raph hat eine Idee. Vorsichtig steht er auf und geht hinüber ins Bad. Dabei fällt ihm auf, dass der Junge keinerlei Reaktion zeigt, so als würde er die Anwesenheit seines Meisters gar nicht mehr wahrnehmen. Das gefällt den Älteren kein bisschen. Er darf nicht zulassen, dass der Nunchakuträger sich abschottet, sonst findet er vielleicht nie wieder in ein normales Dasein zurück und wird in seiner Angst untergehen. Im Bad angekommen durchwühlt Raph den Medizinschrank über dem Waschbecken, bis er eine Flasche mit kleinen Kapseln findet. Sie enthalten ein pflanzliches, aber starkes Schlafmittel, das der Tierarzt eigenhändig zusammengemischt hat.
 

Der Saikämpfer hatte gehofft, dass die Kapseln ihm würden helfen über seine Albträume hinweg zu kommen. Leider haben sie ihm nichts genützt. Zwar konnte er damit schneller und leichter einschlafen, doch die Träume kamen trotzdem und wurden sogar schlimmer, weil er nicht mehr so schnell aufwachen konnte. Eigentlich wollte er die Kapseln schon vor einer Weile entsorgen, nachdem er gemerkt hat, dass Michaels Nähe ein weit besseres Schlafmittel ist, doch er hat es immer wieder vergessen und jetzt ist er heilfroh darüber. Er nimmt ein Glas zur Hand und füllt es mit Wasser, während er kurz nachdenkt. Die Kapseln sind so dosiert, dass Raph bei seiner Größe und Statur zwei Stück nehmen sollte, um einen erfolgreichen Effekt zu erzielen. Sein Bruder ist allerdings kleiner und leichter als er, weswegen wohl eine genügen dürfte. In jeden Fall wird der Inhaltsstoff ihn für mehrere Stunden außer Gefecht setzen und danach geht es ihm mit Sicherheit viel besser. Also schnappt sich Raph das Glas und eine der Kapseln und geht wieder ins Zimmer zurück. Auch jetzt zeigt Michael nicht die kleineste Reaktion.
 

Der Rote setzt sich wieder zu ihm aufs Bett, diesmal jedoch vor ihn und streckt ihm das Glas und die Kapsel entgegen. Fragend betrachtet der Junge beides mit seinen traurigen Augen. „Das ist ein Mittel, dass dir helfen wird einzuschlafen. Schlaf ist jetzt wichtig für dich, damit du das Erlebte besser verarbeiten kannst…“, versucht es der Größere und hofft, dass er dabei überzeugend klingt. Eine ganze Weile mustert der Junge sowohl die Kapsel, als auch ihn. ‚Wahrscheinlich wägt er ab, ob Schlaf ihm wirklich helfen kann oder nicht…‘, geht es Raph durch den Kopf, während er geduldig wartet. Schließlich bringt der Junge ein zaghaftes, kleines Lächeln zustande und greift nach der Kapsel. „Danke…“, flüstert er dabei kaum hörbar, doch Raph fällt ein großer Stein vom Herzen. Innerlich dankt er seinen verlorenen Brüdern für ihre Weisheiten, die er früher nie richtig zu schätzen wusste und nun endlich weiß, dass alles einem helfen kann, mag es auch noch so dämlich oder langweilig klingen. „Du bist ein guter Junge!“, verkündet er dem Blonden, während er ihm durch die wirren Haare streicht.
 

Keine zwei Minuten später schläft Michael so tief und fest, dass Raphael schon Angst bekommt, die Dosis könnte ihm schaden. Doch seine Atmung und sein Puls scheinen normal und er bewegt sich sogar. Vorsichtig macht sich der Clan-Führer daran, ihm die Stiefel auszuziehen, um es ihm so bequem wie möglich zu machen. Im Tiefschlaf gefangen dreht sich der Junge dabei auf den Rücken und Raph entgeht nicht, dass seine Hose seit vorhin immer noch offen steht. Wie gebannt starrt sein verbliebenes Augen auf den glatten Stoff der Shorts, der unter den offenen Knöpfen zum Vorschein kommt. Sein Herz beginnt zu rasen und seine Atmung beschleunigt sich. Er kann den Blick nicht lösen und fühlt sich zurückversetzt in die Zeit von vor zwölf Jahren. In eine der vielen Nächte, in denen er versucht hat, unbemerkt seinem Bruder an die Wäsche zu gehen. Allerdings hat es nie so wirklich funktioniert. Doch jetzt ist Leo nicht hier, um ihn aufzuhalten und das Schlafmittel wird verhindern, dass er Junge auch nur ein bisschen davon mitbekommt! Raphaels Gedanken überschlagen sich und er schluckt schwer.
 

Den Blick fest auf sein Ziel gerichtet, krabbelt er über den Jungen und gleitet langsam mit der Hand unter dessen Hemd. Die Haut unter dem engen, schwarzen Stoff ist noch immer so weich und warm wie er sie in Erinnerung hat. Erregt beißt er sich auf die Unterlippe und schließt das Auge, während seine Finger sich weiter voran schieben. In seinen Lenden beginnt es erwartungsvoll, beinahe schmerzhaft zu pochen. Dieses Gefühl, das ihn sonst immer nur noch mehr angetrieben hat, zerstört nun alles. Erschrocken reißt er das Auge auf und weicht ans Fußende des Bettes zurück. Scharf zieht er die Luft ein und starrt verzweifelt auf den schlafenden Jungen. Dieser dreht sich nichts ahnend einfach auf die Seite und schläft seelenruhig weiter. Schwer atmend schluckt Raph. „Was – was- wollte ich da gerade tun? – Bin ich denn völlig übergeschnappt?“ Eine Antwort findet er nicht, doch nun weiß er endlich, wie sich Leonardo gefühlt haben muss, wenn er sah wie Raph über Mikey gehockt hat und dies schockiert ihn zutiefst. Schmerzlich wird ihm klar, dass er gerade etwas noch viel Schlimmeres vorhatte, als die beiden Foot-Ninja vorhin!
 

Angewidert von sich selbst, zieht er die Beine an, schlingt die Arme darum und bettet sein Gesicht auf die Knie. Er versucht einen Moment in sich zu gehen, um runter zu kommen, doch da meldet sich sein vernachlässigter Unterleib lautstark zu Wort. Wutentbrannt springt Raphael vom Bett auf und stürzt ins Badezimmer. Dort reißt es sich die Rüstung und die Kleider vom Leib, als stünde beides in Flammen. Zornig starrt er seine Erregung an, die sich ihm unschuldig und erwartungsvoll entgegenstreckt. „Wie kannst du nur so verdorben sein und so etwas von mir verlangen?!“, faucht er sie an. „Ich haben solange auf den richtigen Augenblick gewartet, da wirst DU doch auch noch etwas länger warten können, verdammt noch mal! Und glaub ja nicht, dass ich mir nach der Aktion eben auch noch die Finger an die schmutzig machen werde, mein Freund! Oh, nein! Du gehst heute ohne Nachtisch ins Bett!“ Mit diesen Worten steigt Raph schnaufend unter die Dusche und dreht das kalte Wasser voll auf. Die eisige Temperatur bringt sein Herz fast zum Stillstand, dennoch lacht er gequält. „Na, wie gefällt die das, du elendes Miststück?“, fragt er seine schwindende Erregung, erhält jedoch keine Antwort.
 

Er steht fast zehn Minuten unter der kalten Dusche. Danach spürt er keinen einzigen Teil seines Körpers mehr und zittert wie verrückt. Nur mit Mühe gelingt es ihm deshalb, sich seine Shorts wieder anzuziehen. Schlotternd stapft er zurück ins Zimmer und betrachtet den schlafenden Jungen im Bett. Vorsichtig legt er sich neben ihn und zieht die Decke über sie beide. Vergräbt sich richtig darin, um wieder ein Gefühl in seinen Körper zu bekommen. Ungeachtet seiner Qualen dreht sich Michael zu ihm herum und kuschelt sich ungeniert an seine bebende Brust. Raph bleibt wie versteinert liegen und wartet ab. Doch sein aufdringliches Anhängsel scheint für heute die Nase gestrichen voll zu haben und gibt daher keinen Pieps von sich. Eine gewisse Erleichterung macht sich in ihm breit. Der schlafende Junge kuschelt sich noch enger an ihn, völlig ahnungslos. Heiße Tränen rinnen Raph über die Wange und er verflucht sich selbst. Dann schließt er die Arme um seinen kleinen Babybruder und drückt ihn fest an sich. „Ich liebe dich so sehr, Mikey!“, presst er unter Tränen hervor. Wenige Minuten später ereilt auch ihn der Schlaf.

The secret grot

Einen Monat später – März…
 

Für Ende März ist es definitiv viel zu warm. Als dieser arbeitsreiche Tag in den Nachmittag wechselt, liegt die Temperatur bei knapp dreißig Grad. Eine willkommene Abwechslung, wo der harte, unnachgiebige Winter die beiden Inseln noch vor drei Wochen unter einer dicken Schneedecke begraben hat. Nun blüht das Leben wieder auf. Die letzten Tage waren von Sonnenschein und Regen dominiert und eher kalt, doch jetzt scheint ein gnädiger Herr hoch oben auf seiner Wolke der Ansicht zu sein, den Foot und den Flüchtlingen mal etwas Gutes tun zu wollen, nachdem sie so lange Zeit zusammengerottet unter den Schneemassen ausharren mussten. Höchstwahrscheinlich wird sich die Hitze eh nur ein, zwei Tage halten und dann wieder in Regen und Nebel übergehen und sich somit in das unbeständige Aprilwetter verwandeln, das man hier zu Lande gewohnt ist. Doch solange es so schön ist, nutzt jedes Lebewesen die Chance für einen Neubeginn. Vögel singen lautstark, schicken ihre Melodien über die ganze Insel und jagen dabei in halsbrecherischen Manövern durch die Lüfte, um genug Nahrung für ihre frischgeschlüpften Küken zu finden.
 

Überall in den Wäldern kann man es rascheln hören, während die Tiere auf der Suche nach einem geeigneten Partner sind oder ihren neugeborenen Nachwuchs von einem Versteck ins nächste bringen. Die Bäume knospen zu hunderten, das Gras wird wieder grün und an vielen Stellen kann man die ersten Blumen am Wegesrand bewundern. Die Trümmer der vergessenen Stadt New York werden langsam, aber bestimmend wieder von der Natur eingenommen und unter zarten Geflechten und Ranken verborgen. Und in den vielen Spalten und Hohlräumen sind auch hier Tiere emsig dabei, sich ein Heim zu schaffen. Auf den Brother Islands sind die Flüchtlinge damit beschäftigt, die letzten Reste des Winters zu entfernen und all ihre Arbeiten wieder nach draußen zu verlagern. So hängen die ersten Leinen zwischen den Bäumen und trocken die Wäsche, Feuerstellen sind an einigen Orten zu sehen und Stühle und Tische werden aufgestellt, um das Essen in den warmen Sonnenstrahlen genießen zu können. Kinder laufen laut lachend hintereinander her, während die Erwachsenen sich um die wenigen Nutztiere und die Beete kümmern, die sie den Rest des Jahres mit Nahrung versorgen werden.
 

Alles scheint perfekt und zu neuem Leben erwacht. Doch die plötzliche Hitze macht einigen Leuten auch zu schaffen. Besonders die Älteren ziehen es vor, sich in das kühle Krankenhaus zurückzuziehen, bevor ihr Kreislauf schlappmacht. Die Foot-Ninja fühlen sich in ihren tiefschwarzen Uniformen auch nicht sonderlich wohl, wo sie den ganzen Tag in der prallen Sonne durch Alt New York gezogen sind, um dort weiterhin aufzuräumen. Die Lustlosigkeit, die die Männer dabei ergriff, blieb Chen nicht lange unbemerkt. So ist er auch nicht verwundert, als die Foot nun nach Missionsende an ihn herantreten und ihn darum bitten, den Rest des Tages frei zu bekommen, um in der Bucht zwischen den Inseln schwimmen zu gehen. Eingehend mustert der junge Japaner die völlig vermummten Männer, dennoch kommt es ihm so vor, als könne er das Flehen in ihren Augen selbst durch den Stoff hindurch sehen. Sein Blick schweift durch die Runde und endet bei Michael. Er trägt keine Maske und daher sind seine großen, blauen Hundeaugen nicht zu übersehen. Aber was spricht schon dagegen, ihnen diesen Wunsch zu erfüllen? Schließlich haben sie ihre Arbeit für heute tadellos erledigt.
 

„Ich denke, dass geht in Ordnung. Für heute hatte ich eh nichts mehr für euch zu tun und ich bin sicher, Meister Shredder sieht das genauso. Doch spätestens zum Training heute Abend seid ihr wieder hier, verstanden?“ Sein strenger Blick trifft die Männer, die eifrig nicken und wild durcheinander seinen Worten zustimmen. „Gut, dann verschwindet!“, gibt er mit einem leichten Lächeln von sich. Es dauert nur wenige Sekunden, dann hat sich die Truppe vor ihm zerstreut und eilt mit fröhlichen Jubelrufen Richtung Ausgang. Chen blickt ihnen noch einen Moment nach, wobei ihm die Foot wie ein Haufen fröhlicher Kinder vorkommt, die zum Spielplatz aufbrechen. Gedanklich schüttelt er bei dieser Vorstellung den Kopf und widmet sich dann wieder seinen Aufgaben. Derweil drängen sich die Eliteninja an die Oberfläche und folgen einem ausgetretenen Pfad zum Rand der Insel. Schließlich erreichen sie eine Art kleine Lichtung, wo das Gras und die Sträucher plattgetreten sind und Raph ohne ihr Wissen vor langer Zeit eine Leiche zu Wasser getragen hat. Das Wasser des East River ist heute erstaunlich ruhig und glitzert spektakulär im Schein der tiefstehenden Nachmittagssonne.
 

Lange lassen die Männer diesen Anblick nicht auf sich wirken. Nur wenige Minuten vergehen, dann haben sich alle ihrer Kleider entledigt und setzten sich auf den Rand der Insel. Von hier aus geht es steil hinab ins metertiefe Wasser. Besagtes Wasser ist zudem fast unerträglich kalt, da es bisher keine Wärmeperiode gab, die es hätte aufheizen können. Daher sitzen die nur mit ihren Unterhosen bekleideten Männer eine ganze Weile auf dem Rand und halten dabei die Füße in die eisigen Fluten. Gänsehaut breitet sich auf ihren Körpern aus, während die Sonne vehement versucht ihnen die Schultern zu verbrennen und das Hirn zu braten. Schließlich geben sie sich einen Ruck, immerhin haben sie sich extra frei geben lassen, um schwimmen gehen zu können, da wäre es doch echt schade, wenn sie es jetzt doch nicht tun würden. Mit lauten Schreien, die sich anhören, als würden sie allesamt abgestochen werden, springen sie ins Wasser. Sekunden später tauchen sie zitternd und fluchend wieder auf, dennoch halten sie es nicht für notwendig, wieder herauszusteigen. Ihre Körper werden sich schon an die Kälte gewöhnen und wenn sie sich erst etwas bewegt haben, dann geht es viel besser.
 

So dauert es nicht lange, bis sie anfangen, sich gegenseitig nass zu spritzen, sich durchs Wasser zu jagen oder kindlich versuchen den anderen unterzutauchen. Alle haben ihren Spaß und so ist die Kälte schnell vergessen. Michael hat zum ersten Mal das Gefühl nicht der Außenseiter in der Truppe zu sein, da sie nun alle unmaskiert sind und wie ganz normale Menschen aussehen. Die dumpfen Stimmen hinter dem schwarzen Stoff haben nun endlich ein Gesicht für ihn. Das wilde Gebaren der Männer hält erstaunlich lange an, ehe es ihnen doch zu kalt wird. Durchgefroren und am ganzen Leib heftig zitternd, steigen sie aus dem Wasser und lassen sich auf der Lichtung von der Sonne wieder aufwärmen. Keiner von ihnen bemerkt, dass Michael verschwunden ist. Nicht einmal als sie sich wieder anziehen und die Sachen des Jungen als einzige zurückbleiben. Die Foot begeben sich wieder in den Bunker, ohne auch nur einen Gedanken an den Blonden zu verschwänden. Dem Nunchakuträger geht es dabei ganz ähnlich. Auch er hat die anderen völlig vergessen, von der Zeit ganz zu schweigen. Es ist einfach alles viel zu aufregend.
 

Schon als die wilden Kabbeleien der Foot-Ninjas ihren Höhepunkt erreicht haben, hat sich der Kleine aus dem Staub gemacht. Er ist abgetaucht in eine unentdeckte Welt, die unter der Oberfläche liegt. Mit großen Augen schwimmt er durch das fast klare Wasser und erblickt überall interessante Dinge. Einige Fische flitzen an ihm vorbei und kämpfen sichtlich mit der tückischen Strömung unter Wasser. Der Weg zum Grund ist weiter, als es sich Michael vorgestellt hat. Der Boden ist übersät von Müll, Geröll, Steinen und gesunkenen Booten. In der Ferne kann er die Röhren ausmachen, die die Inseln und das Festland miteinander verbinden. Doch da ist noch etwas. Die beiden Inseln sind fest mit dem Grund des East River verbunden. Von hier unten wirken sie wie seltsam geformte Bäume, deren Kronen aus den Fluten aufragen. Neugierig schwimmt der Junge näher zu dem ‚Stamm‘, der South Brother Island mit dem Grund verbindet. Je tiefer er taucht, desto ruhiger scheint die See zu werden und so entdeckt er in der Nähe des Bodens noch viel mehr Lebewesen. Fische in allen Größen, bunte Krebse, ja sogar einen Tintenfisch, der in einer schwarzen Wolke vor ihm zu fliehen versucht.
 

Nach einem kurzen Luftholen schwimmt er in einem Bogen um die stammähnliche Verankerung der Insel. Eine dunkle Stelle in dem Felsgestein weckt sein Interesse. Als er sich ihr nähert, wird er von einer heftigen Strömung erfasst und fast gegen den Stein geschleudert. In letzter Minute gelingt es ihm zu entkommen. Nun befindet er sich direkt vor dieser dunklen Stelle, die sich als Loch im Fels entpuppt. Vielleicht sogar der Eingang zu einer Höhle? In diesem Moment vergisst er noch weit mehr. Er macht sich keine Gedanken, ob ihn irgendwer vermissen könnte, nein, er will einfach nur wissen, was das für ein Loch ist. Zielstrebig überwindet er den letzten Meter und schwimmt dann hinein. Die Öffnung im Fels hat einen Durchmesser von gut zwei Metern, sodass sie kein Hindernis für ihn darstellt. Um ihn herum ist es nun stockdunkel und er droht seine Orientierung zu verlieren. Da sieht er auf einmal über sich etwas glitzern. Vielleicht eine Verbindung zur Oberfläche? Das wäre gut, da ihm allmehlig die Luft ausgeht. Eifrig schwimmt er nach oben auf das Funkeln zu und stößt kurz darauf durch die Wasseroberfläche.
 

Bevor er richtig registriert, dass er oben ist, füllen sich seine Lungen schon mit Luft. Michael macht ein paar tiefe Atemzüge und sieht sich dann um. Beim Anblick der Umgebung werden seine Augen ganz groß und der Kiefer klappt ihm herunter. Er ist tatsächlich in einer Art Höhle gelandet, so etwas wie eine Grotte, in deren Mitte sich der Zugang mit dem Wasser befindet. Der Hohlraum scheint die gesamten Ausmaße der Verbindung zwischen Insel und Meeresboden einzunehmen. Es wirkt wie ein großer Raum mit einer hohen Decke. Nun kann der Blonde auch sehen, was das Glitzern verursacht hat, das ihm den Weg wies. An der Decke der Höhle sitzen hunderte Glühwürmchen, die ihr Licht in einer pulsierenden Woge an und ausknipsen. Ihr Licht wiederum bringt kleine Bestandteile des Felsens zum Funkeln, als wären unendlich viele Diamanten darin verarbeitet. Ein atemberaubender Anblick. Es scheint wie in einem Märchen. Ein Gefühl von romantischer Geborgenheit breitet sich in ihm aus und erwärmt sein Herz. Etwas schwerfällig zieht er sich auf einen Vorsprung und legt sich dann auf den nackten Fels.
 

Der Untergrund ist schrecklich hart und unbequem. Spitze Steine ragen heraus und stechen ihm schmerzhaft in den blanken Rücken. Dennoch bleibt er einfach liegen und betrachtet die vielen Glühwürmchen bei ihrer Lichtershow. Es dauert nicht lange, da machen ihn die tanzenden Pünktchen schläfrig. Schon kurz darauf döst er ein. So merkt er nicht wie die Zeit vergeht und sich langsam der Abend über diesen Teil der Welt legt. Zur selben Zeit beendet Raphael sein Gespräch mit Chen, der ihm erzählt hat, was bei den heutigen Missionen herausgekommen ist. „Das hört sich alles ziemlich gut an. Vielleicht kriegen wir die Zone 34 ja bis Ende des nächsten Monats durch…“, kommt es nachdenklich vom Führer des Foot-Clans, während er Chens Bericht durchsieht. „Das sollte durchaus mögliche sein, Meister Shredder.“, erwidert der Japaner. Bestätigend nickt Raphael und legt die Papiere zur Seite. „In Ordnung. Sag Michael Bescheid, dass ich ihn sehen möchte, dann kannst du das Training vorbereiten.“, weist er den Älteren an. Höfflich verbeugt sich der Angesprochen vor seinem Herren und macht sich dann auf den Weg.
 

Allerdings weiß Chen nicht, dass Michael noch immer nicht wieder da ist und so sucht er ihn beinahe vergebens. Schließlich fragt er einen der Soldaten, da der Junge schließlich mit ihnen zusammen schwimmen gegangen ist. Dieser weiß jedoch auch nichts und hat bei der ausgelassenen Stimmung auch nicht wirklich darauf geachtet, ob er mit ihnen wieder hierher zurückgekommen ist oder nicht. Chen dankt ihm, doch nun steht der Japaner vor einem kleinen Problem. Etwas unsicher klopft er an die große Tür des Thronsaals und tritt ein. Raphael sitzt mit gesenktem Kopf da, eine qualmende Zigarette klemmt keck in seinem Mundwinkel, während er sich nachdenklich Notizen macht. Ohne aufzusehen, beginnt er zu reden, nicht ahnend, dass Michael gar nicht vor ihm steht. „Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du brauchst eine Extraeinladung, Michael. Folgendes…“, setzt der Foot-Clan-Führer an. Nun hebt er aber den Kopf und ist sichtlich irritiert, Chen vor sich zu sehen und nicht den Nunchakuträger. „Was machst du hier? Ich hab doch gesagt, du sollst mir Michael herschicken! Wo steckt der Bengel schon wieder?“, fährt er den Japaner rau an.
 

Zwar sind seine Worte noch nicht so inbrünstig wie sie sein könnten, dennoch überkommt den Älteren ein ungutes Gefühl. Er weiß nicht, was es ist, aber ihm ist schon öfter aufgefallen, dass Raph ein etwas seltsames Verhalten an den Tag legt, wenn es um den blonden Jungen geht. Irgendetwas ist zwischen den beiden, er weiß jedoch nicht was. Zwar kommt er nicht im Geringsten auf den Gedanken, dass die beiden irgendwelche zärtlichen Gefühle für einander übrig haben könnten, doch ihm kommt immer wieder in den Sinn, dass es wohl etwas mit Raphaels verstorbener Familie zu tun haben muss. Gut möglich, dass der Junge ihn an seinen kleinen Bruder erinnert und er daher eine Art Beschützerwahn entwickelt hat, da er fürchtet, ihn auch verlieren zu können. Doch hier gibt es viele Jugendliche und auch Kinder und zu keinem scheint er so eine Bindung zu haben, obwohl es ganz sicher welche gibt, die seinen Brüdern ähnlich sind. Aber da er mit keinem davon das Umfeld so sehr teilt wie mit Michael, scheint sich dergleichen bei keinen anderen aufbauen zu können. Eine eiskalte Hand gleitet seinen Rücken hinunter, wenn er in Raph´s wartendes Gesicht blickt.
 

„Es tut mir leid, Meister. Ich konnte Michael nirgends finden…“, gibt er schließlich zu. „Was soll denn das heißen?“, fragt der Rothaarige mit strengem Ton. Er sieht seinem Gegenüber an, dass er aus irgendeinem Grund nervös ist und das macht den Saikämpfer stutzig. Etwas verloren verlagert Chen sein Gewicht von einem Bein auf das andere. Raphael wird deutlich, dass der Japaner so eine Art Fluchthaltung einnimmt, da er wohl befürchtet, seine Antwort könnte ihn verärgern. Irgendetwas ist schiefgelaufen und Chen bereut seine Entscheidung, welche auch immer er getroffen hat. Dies alles stimmt den Rothaarigen nur noch argwöhnischer, doch er versucht sich friedlich zu geben, um wenigstens eine Antwort zu bekommen. „Nun ja, also, es war so. Die Foot baten mich darum Schwimmengehen zu dürfen, da es heute ja so unglaublich warm ist. – Ich hab zugesagt. – Michael ist mit ihnen gegangen, doch keiner von ihnen hat ihn seither gesehen. – Sie wissen nicht mal, ob er mit ihnen zurückgekommen ist…“, kommt es abgehackt von dem Älteren, dem durchaus bewusst ist, dass der verschwundene Junge seinem Meister viel bedeutet, auch wenn er nicht wirklich weiß wieso.
 

Jedes seiner Worte nagt unerbittlich an der Selbstbeherrschung des jungen Führers und schließlich kann er nicht mehr an sich halten. Gerade als Chen den letzten Satz beendet, klappt Raph der Kiefer herunter und seine halbgerauchte Zigarette landet schwelend auf dem roten Teppich zu seinen Füßen. Kaum das sie dort gelandet ist, springt der Saikämpfer auch schon von seinem Thron auf und wirft dabei Papier und Stift zu Boden. Sein Gesicht ist eine Mischung aus Entsetzen, nackter Angst und grenzenloser Wut. Bei seinem Anblick zuckt Chen sichtbar zusammen und weicht einen Schritt zurück. „WAS?!“, tönt die Stimme des Führers durch den Saal. Chen zuckt abermals zusammen. Als er sich wieder soweit unter Kontrolle hat, Raph die Situation friedlich zu erläutern, steht der EX-Hamato schon direkt vor ihm. Sie blicken sich mitten in die Augen. Manchmal wirkt Raphael so plump, angestrengt, laut und langsam, doch eigentlich ist er es gar nicht, wie Chen schon des Öfteren feststellen musste. Dennoch überrascht es ihn immer wieder. „Ich…“, setzt er an, wird jedoch augenblicklich von dem Roten unterbrochen.
 

„Die Foot unterstehen deiner Obhut! Du hast dafür zu sorgen, dass sie jederzeit einsatzbereit sind und dazu gehört auch, dass du genau weiß, wo sich jeder einzelne von ihnen rumtreibt! Dass gilt insbesondere für Michael!“ „Ja, Meister – ich werde ihn sofort suchen…“ Ehe er sich umwenden kann, wird er plötzlich grob von Raph zu Boden gestoßen. Unsanft landet er auf seinem Hintern und hat auf einmal die scharfen Krallen an Raphaels rechter Hand vor Augen. „Du wirst gar nichts! Ich werde ihn suchen und wenn ich ihn finde, dann Gnade dir Gott, dass er unverletzt ist, ansonsten werde ich dich hiermit zu Sushi verarbeiten!“ Bedrohlich glänzt der metallene Handschuh im Licht. „Und lass dir gesagt sein, ich war immer ganz miserabel bei Küchenarbeiten!“ Mit jagendem Herzen blickt Chen an dem scharfgeschliffenen Stahl vorbei in das gelbgrüne Auge. Es scheint förmlich Funken zu sprühen und weckt keinen Zweifel, dass sein Besitzer die Wahrheit spricht. „Sehr wohl, Meister…“, kommt es leise von Chen, während er Raphael hinterher blickt, wie dieser den Saal verlässt.
 

Der Saikämpfer ist mehr als nur außer sich. Hätte Chen ihm auch nur ein Wiederwort gegeben, er hätte für nichts mehr garantieren können. Die Worte seines Beraters haben ihn direkt ins Herz gestochen, gleich einem rostigen Nagel. All seine Ängste sind wieder hochgekommen. Was ist, wenn Michael wirklich etwas passiert ist? Er vielleicht verletzt ist oder sogar ertrunken, weil sich scheinbar keiner der Foot um ihn schert? Nicht auszudenken! Schließlich würde er seinen überalles geliebten Bruder so ein zweites Mal verlieren und diesmal gibt es vielleicht keine neue Chance. Es würde seine ganze Welt zusammenbrechen lassen, diesmal endgültig. Schweren Schrittes eilt der Rote zum Ausgang des Bunkers und von da aus zur Badestelle der Foot. Mit jagendem Herzen und keuchendem Atem erreicht er den Rand der Insel. Die Sonne steht mittlerweile so tief, dass ihr aufgeblähter, rotoranger Rand das Wasser berührt. Noch immer ist es ziemlich warm, doch man spürt schon, dass diese Nacht die Hitze mit sich nehmen wird und sie so schnell nicht wieder hergibt. Auch das Wasser ist unruhig geworden, so wie die Bewohner der Insel es eigentlich gewohnt sind.
 

Mit hilflosem Blick schaut sich der Rothaarige um, in der Hoffnung irgendwo einen Hinweis auf den Verbleib des Jungen zu finden. Doch das blutrote Licht der untergehenden Sonne brennt ihm im Auge, sodass es fast unmöglich ist die Wasseroberfläche abzusuchen. Als er sich weiter umsieht, entdeckt er auf einem Busch die Sachen des Blonden. Dort sind die langen Stiefel, seine Hose und sein Hemd, ja sogar seine Waffen, doch keine Spur von ihm. Raphael wendet noch einmal den Blick auf das glühende Wasser, doch es ist zwecklos. Eiskalte Panik ergreift sein Herz und umklammert es wie ein Schraubstock. Sauer kann er Angst hinten in seiner Kehle schmecken. Kurz darauf trüben Tränen seinen Blick. Er ballt die Hände zu Fäusten und versucht einen klaren Gedanken zu fassen. Doch wie der Blick auf das Wasser, gelingt ihm auch das nicht. Schließlich holt er zitternd tief Luft. „MICHAEL!“, brüllt er laut über die aufgewühlte See hinweg, doch es kommt keine Antwort. Nur ein paar Vögel fliegen hektisch auf und äußern sich dabei lautstark über die Störung. Raph beachtet sie nicht. Für ihn gibt es nur noch eines, das er tun kann.
 

Eilig entledigt er sich seiner Rüstung und wirft sie achtlos zu Michaels Sachen. Schuhe, Hemd und Hose folgen wenige Sekunden später. Hastig setzt er sich auf den Rand der Insel und steckt die Beine ins Wasser. Erneut wird sein Herz in einem Schaubstock eingezwängt. Diesmal jedoch nicht aus Angst, sondern aus Schock. „Heilige Scheiße…“, flucht er leise vor sich hin, als die Kälte wie tausende Nadeln durch seine Beine jagt. Er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen wie die Foot in diesem Eiswasser schwimmen konnten. Raphael ist zwar einiges gewohnt, aber das ist wirklich heftig. Ungelenk lässt er sich ins Wasser gleiten, bis nur noch sein Kopf zu sehen ist. Die Kälte überkommt ihn so heftig, dass ihm fast die Luft wegbleibt und er mehrere Versuche braucht, um seine geschrumpften Lungen davon zu überzeugen, seinen Körper weiterhin mit Sauerstoff zu versorgen. Schon jetzt fühlen sich seine Arme und Beine völlig taub an, dabei braucht er sie doch so dringend. Während er immer wieder tief Luft holt, versucht er sich an vergangene Zeiten zu erinnern. Sie waren sooft zusammen schwimmen gewesen.
 

Mikey kam einem dabei wahrlich wie eine Schildkröte vor. Er konnte länger als alle anderen die Luft anhalten. Er war ein sehr guter Schwimmer, schnell und wendig wie ein Fischotter und mit einer unglaublichen Ausdauer. All diese Fähigkeiten wird er jetzt wohl kaum verloren haben, dennoch kann ihn die leicht zu unterschätzende Strömung mitgerissen haben. Raph macht einen weiteren Atemzug und taucht dann unter. Die Kälte umhüllt nun seinen Kopf und es fühlt sich an, als würde er jeden Moment explodieren. Doch er zwingt sich weiter, er muss seinen Bruder finden! Der Saikämpfer taucht tiefer hinab, versucht irgendetwas in dem dunkler werdenden Wasser auszumachen. Sein ganzer Körper schmerzt, sodass er schon nach kurzer Zeit wieder auftauchen muss. Überanstrengt holt er Luft und taucht erneut ab. Verzweifelt versucht er sich irgendwie zu orientieren. Aber die Kälte dringt immer weiter und immer erbarmungsloser in seinen Körper vor. Er schafft es nicht, ist am Ende, dennoch kann er sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, einfach aufzugeben, nur weil sein Körper schlappmacht.
 

Im Gegensatz zu Mikey hatte er nie eine besonders gute Kondition. Seine Kraft reichte immer nur für einen Augenblick und dann musste es erledigt sein, andernfalls hatte er ein Problem. Mikey hingegen hatte immer jede Menge Puste, doch ihm fehlte die Kraft, um sich ausreichend zu verteidigen. So hatte jeder der Brüder seine Vor- und Nachteile, doch noch nie hat sich Raph so sehr selbst verflucht wie jetzt, dass er die geringste Ausdauer von allen hat. Verzweifelt versucht er seine letzten Kräfte zu mobilisieren, um an die Oberfläche zurück zu schwimmen. Zu spät… Sein Körper ist vollkommen der Taubheit erlegen und reagiert auf keinen Befehl mehr. Ihm geht die Luft aus. schließlich wird ihm schwarz vor Augen und er sinkt langsam Richtung Grund. Alles scheint verloren. Die Foot ein zweites Mal ohne Führung, der einst so stolze Hamato-Clan endgültig ausgelöscht. Was dem wahren Shredder nicht gelang, erledigt nun die raue See. Sie vereint die vier Brüder und ihren Sensei nach so langer Zeit endlich wieder miteinander und verschluckt sie für alle Ewigkeit. Oder soll es doch noch nicht soweit sein?
 

Ein dunkler Schatten gleitet elegant durchs Wasser, scheint dabei in grenzenloser Leere zu schweben. Er steuert direkt auf den versinkenden Saikämpfer zu und zieht ihn mit sich, tiefer und tiefer in die Dunkelheit. Raph bekommt von alledem nichts mehr mit. Sein Körper und sein Geist entfernen sich immer weiter von einander und drohen ihre Verbindung völlig zu verlieren. Vor seinem inneren Auge laufen Bilder einer längst vergangenen Zeit ab. Einer Zeit, in der noch alles in Ordnung war und sich keiner von ihnen über Shredder und seine Foot Gedanken machen musste. Eine Zeit unbeschwerter Kindertage. Seine Brüder so vor sich zu sehen, raubt ihm nur noch mehr den Verstand und dennoch kann er sich nicht davon losreißen. Doch etwas daran ist komisch. Normalerweise ist in einem Traum doch alles so wie man es damals erlebt hat oder wünscht es so erlebt zu haben, doch er kann die Stimmen seiner Familie nicht hören, obwohl sie ganz eindeutig mit ihm reden. Nur eine Stimme dringt an sein Ohr, die von Mikey. Doch sie ist zu tief, passt nicht zu dem kindlichen Bild und sie nennt ihn auch nicht beim Namen, sondern ruft immer wieder ‚Meister, Meister…‘
 

Raphael versteht nicht was los ist. Plötzlich entfernt sich sein Traumbild von ihm, alles wird schwach und konturlos. Nur Mikey´s Stimme bleibt ihm erhalten. Zumindest glaubt er, dass es die Stimme seines Bruders ist, auch wenn sie nicht zur Szene passt. Sie lockt ihn immer weiter an die Oberfläche, verbindet seinen Geist wieder mit seinem Körper. Langsam kehrt auch der Schmerz zurück und macht ihm klar, dass er wohl doch nicht ertrunken ist. Heftig hustend kommt Raph wieder zu sich. Wasser spritzt ihm aus dem Mund und warme Luft durchflutet seine Lungen. Schwerfällig dreht er langsam den Kopf von einer Seite auf die andere und stellt dumpf dabei fest, dass er auf etwas äußerst Hartem liegt. Es fühlt sich an wie Stein. Spitze Kanten, die sich in seine Haut bohren und neuerliche Kopfschmerzen in seinem Schädel entfachen. „Oh, gut, Ihr seid wach!“, dringt eine erleichterte Stimme an sein Ohr. Es scheint dieselbe zu sein, die er in seinem Traum gehört hat. Träge öffnet er sein verbliebenes Auge und versucht herauszufinden, wo er sich befindet. Viel sieht er jedoch nicht. Bis auf unzählige Lichtpunkte über ihm, kann er nichts ausmachen.
 

Sind es die Sterne, ist er wieder an Land? Doch wer hat ihn hierher gebracht? Wer ist der Fremde, dessen Stimme ihn an seinen kleinen Bruder erinnert? „Meister, alles in Ordnung?“, dringt wieder die Stimme an sein Ohr. Schwerfällig dreht er seinen Kopf in die Richtung und versucht mit seinem einen Auge auszumachen, wer dort bei ihm ist. Sein Kopf ist so leer, dass ihm niemand einfällt. Es ist, als wäre er nach ewigen Zeiten aus einem Koma erwacht und könnte sich nur daran erinnern, dass es niemanden mehr gibt, den er kennt. Oder so, als hätte er sein Gedächtnis verloren wie Michael. Moment mal! Michael?! Schlagartig fällt ihm alles wieder ein. Sein eines Auge ist weit aufgerissen und er begibt sich so ruckartig in eine sitzende Position, dass sein Schädel heftig dagegen protestiert. Vor seinem Auge verschwimmt erneut alles und droht ihn wieder in die Finsternis zu ziehen. Er gibt ein schmerzliches Keuchen von sich und drückt sich die Hand gegen die pochende Stirn. Alles dreht sich und er schwankt. Bevor er jedoch ohnmächtig auf den harten Fels aufschlagen kann, ergreifen ihn plötzlich zwei sanfte Hände und halten ihn aufrecht. „Meister?“
 

Die Stimme klingt erschrocken, doch sie ist viel näher. Vorsichtig wendet Raph seinen schmerzenden Kopf zur Seite. Vor seinem eingeschränkten Gesichtsfeld tauchen zwei so leuchtend blaue Augen auf, dass er sie zuerst für eine Sinnestäuschung hält. Dann klärt sich sein Blick und er erkennt einen blonden Jungen, der ihn besorgt ansieht. Doch es ist nicht nur irgendein blonder Junge, es ist Michael! Raph traut seinem Auge kaum. Er war losgezogen, um den verschwundenen Jungen zu finden und nun hat der Nunchakuträger ihn gefunden. Raphael fällt ein Stein vom Herzen, hatte er doch befürchtet, ihn wieder verloren zu haben und selbst beim Versuch ihn zu finden umzukommen. „Geht´s wieder, Meister?“, kommt es immer noch sorgenvoll von dem Kleineren. Doch der Rote antwortet ihm nicht, zu überwältigt ist er von der Tatsache, seinen Bruder lebend wiedergefunden zu haben. In diesem Moment vergisst er wieder einmal, dass er Shredder ist und der Blonde keine Ahnung davon hat, dass sie eigentlich Brüder sind. Haltlos packt er den Jüngeren und zieht ihn fest in seine Arme. Überrascht und sichtlich überfordert lässt der Chaosninja es geschehen, auch wenn er nicht versteht, was plötzlich mit seinem Herrn los ist.
 

Raph vergräbt sein Gesicht in den wirren, blonden Haaren und atmet tief ihren feuchten Duft ein. Tränen rinnen an seinen Wangen hinab. „Oh, Gott, ich dachte, ich hätte dich verloren…“, teilt er dem verwirrten Jungen mit. Seine Stimme bricht augenblicklich und Michael stellt erschrocken fest, dass sein sonst so aufbrausender Meister weint. Deutlich spürt er dessen heiße Tränen an der kühlen Haut seines Halses. „Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein, hörst du?“, kommt es erneut mit bebender Stimme von dem Älteren. „Ich verspreche es. Doch bitte nicht mehr weinen, Meister…“, kommt es nun schluchzend von dem Jungen, der sich nun haltsuchend an den anderen klammert. Kaum merklich zuckt Raph zusammen. Ihm war gar nicht bewusst, dass er weint. Er hat sich von seinen Gefühlen einfach übermannen lassen und sich dabei eine Blöße gegeben, die den anderen irritiert. Auch wenn es ihm schwerfällt, so klammert sich Raphael an all den Rest Beherrschung, den er noch finden kann. Missbilligend räuspert er sich und schiebt den Jungen dann von sich weg.
 

Die großen, blauen Augen sehen ihn fragend an. Der Saikämpfer räuspert sich erneut. „Ich weine nicht, niemals! Wie kommst du bloß auf so einen absurden Gedanken? Das sind nur die Wassertropfen, klar?!“, gibt er missmutig von sich und mustert Michael streng. „Tschuldigung…“, murmelt der Junge und wischt sich die feuchten Wangen ab. Grummelnd blickt sich der Foot-Clan-Führer in der seltsamen Höhle um. Sie sind also nicht wieder an Land, sondern wie es scheint, immer noch unter Wasser. „Was zum Teufel machst du hier eigentlich? Chen ist krank vor Sorge, weil er dich nicht finden konnte! Herr Gott noch mal!“ Geschickt verschweigt er dem Jungen, dass er selbst noch weit mehr Sorge um ihn hatte, als Chen es jemals haben könnte. Schuldbewusst senkt der Junge den Kopf. „Es tut mir leid, Meister. – Ich hab die Zeit vergessen und bin hier unten eingeschlafen…“, gesteht Michael, den Tränen nahe. Das Ganze ist so typisch sein kleiner Bruder, dass Raph ihn am liebsten wieder in die Arme schließen würde, doch er reißt sich zusammen. Schließlich soll dem Bengel bewusst werden, dass er einen Riesenfehler gemacht hat.
 

„Nächstes Mal bleibst du gefälligst bei den anderen, ganz egal, was auch immer du siehst oder findest! Andernfalls werde ich dich hart bestrafen!“ In Raphaels Ton liegt genau die richtige Menge an Strenge, um dem Kleinen deutlich zu machen, dass es sein voller Ernst ist. „Es wird nie wieder vorkommen, Meister! Ich verspreche es…“ Nun schwappen die Tränen wieder über und kullern ungehalten über die roten Wangen des Jungen. Er schluchzt ungehalten und verkrampft seine Hände im Schoß. Dem Älteren fällt es schwer, diesem Anblick standzuhalten. Schon damals konnte er es nicht ertragen seinen Babybruder weinen zu sehen. Er kam sich immer schuldig vor, egal was gewesen war. Und er weiß bis heute nicht, wie er ihn trösten soll, ohne schwach zu wirken. Erst recht nicht, weil sie nun keine Brüder mehr sind und der Junge ja Respekt vor ihm haben soll. Eine Weile lässt er den Blonden mit seinen Tränen allein und betrachtet ihn nur, doch dann hält er es nicht mehr aus. Sanft legt er ihm die Hand unters Kinn und hebt seinen Kopf. „Nun hör schon auf zu weinen…“ Seine Worte haben jegliche Härte verloren, klingen nun wieder betroffen und etwas hilflos.
 

Schniefend sieht der Nunchakuträger ihn an und versucht sich zu beruhigen. Der Rothaarige erinnert sich indes, wie Mikey früher immer weinend vor seinem Futon gehockt hat, wenn er einen Alptraum hatte. Der Junge hat sich bei ihm immer sicher gefühlt. Beim Gedanken wie er damals zusammen mit seinem Bruder im Futon lag, dicht aneinander gekuschelt, wird ihm ganz warm ums Herz. Schnell fällt ihm auch wieder ein, wie seine Gefühle damals verrückt gespielt haben. Kaum, dass ihm das wieder einfällt, schweifen seine Gedanken auch schon in diese Richtung ab. Michael hat sich inzwischen wieder beruhigt, doch Raph berührt immer noch sein Kinn. Tief sehen sich die beiden in die Augen, umgeben von hunderten funkelnder Glühwürmchen. Der Saikämpfer streckt seinen Daumen aus und gleitet damit sanft über die weichen Lippen des Blonden. Michaels Augen beginnen zu leuchten und er blickt unverwandt in das Gesicht vor sich. Raph spürt den warmen Atem des Jungen auf seinem Finger und stellt sich unweigerlich vor, wie es wäre, den Jungen jetzt nieder auf den harten Fels zu drücken und ihn einfach zu nehmen.
 

Sein Körper reagiert augenblicklich auf diesen Gedanken. Sein Herz beginnt zu rasen, er schluckt trocken, sein Atem geht schwerer und es zieht verlangend in seinen Lenden. Ja, es wäre so einfach und niemand würde sie hier sehen können. Er mustert den Jungen vor sich eingehend und stellt dabei fest, dass Michael wohl ganz ähnliche Gedanken hat. Seine Wangen glühen, auch sein Atem geht schwerer und in seinem Blick liegt ein Flehen, das er noch nie zu vor gesehen hat. Raph streicht mit der Hand über die Wange des Jungen, dieser schmiegt sich einer Katze gleich dagegen. Dann schließen sich die blauen Augen und der Kleine beugt sich vor und spitzt die Lippen, als wolle er einen Kuss von seinem Gegenüber. Raph kann sein Glück kaum fassen, der Bengel macht es ihm schon fast zu einfach. Sollte sein sehnlichster Wunsch heute Nacht wirklich in Erfüllung gehen? Begeistert von diesem Gedanken schließt Raph ebenfalls sein Auge und beugt sich vor. Dabei verlagert er sein Gewicht allerdings ziemlich ungünstig. Kurz bevor sich ihre Lippen endlich berühren, schrammt Raph mit seinem Knie an einem spitzen Stück Felsen entlang.
 

Schmerzlich zuckt er zurück und realisiert, dass das hier zwar ein ungestörter Ort ist, aber leider auch ein sehr unbequemer. Würde er den Jungen auf den Felsen drücken, hätte das nichts mit Befriedigung zu tun, sondern würde nur dazu führen, dass sie sich beide ziemlich verletzen. So schön der Gedanke auch war, es geht absolut nicht. Schweren Herzens schiebt der Rote seine Begierde ein weiteres Mal zur Seite. Als nichts passiert, öffnet Michael irritiert die Augen und blickt seinen Meister fragend an. Der Ältere strahlt jedoch alles andere als Begeisterung aus. „Lass den Mist! Ich bin immer noch sauer mit dir. Außerdem müssen wir hier raus, bevor die Nacht das Wasser noch kälter werden lässt.“, blafft der Ältere ihn hart an. Doch innerlich will Raphael gar nicht, dass es aufhört und er will auch nicht so fies zu ihm sein müssen, nur um sein Gesicht vor ihm wahren zu können. Manchmal genießt er seinen Staus als Meister, manchmal verflucht er ihn zu tiefst. Es ist nicht zu übersehen, wie bei seinen Worten etwas in dem Jungen zerbricht. Der freudige Glanz verschwindet und der Blonde senkt erneut den Kopf und kämpft mit den Tränen. „Jawohl, Meister…“
 

Seine Stimme klingt brüchig und er kämpft mit aller Macht dagegen an, nicht wieder zu weinen. Es bricht dem Älteren das Herz ihn so zu sehen. Andererseits freut sich ein Teil von ihm auch, da er sich sicher sein kann, dass Michael ganz ähnliche Gefühle hat wie er selbst. Schweigend erheben sich die beiden Ninjas und tauchen ins eiskalte Wasser ein. Jede Bewegung fällt ihnen schwer und nur gemeinsam gelingt es ihnen wieder heil an die Oberfläche zu gelangen. Steif vor Kälte und völlig außer Atem schleppen sie sich auf den Rand der Insel. Erschöpft fallen sie nebeneinander ins noch warme Gras. Die Sonne ist inzwischen im Meer versunken und die Nacht hereingebrochen. Unzählige Sterne funkeln über ihnen und in einem entfernten Busch zirpen träge ein paar Grillen. Die zwei gönnen sich einen Moment Ruhe, ehe sie zum Eingang des Bunkers zurückkehren. Mit unter die Arme geklemmten Sachen, tapsen sie auf blanken Füßen durch den Korridor. Michaels Zimmertür kommt in Sichtweite, doch Raph packt den Jungen grob am Arm und schiebt ihn weiter. „Du kommst mit, ich hab noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen!“
 

Erschrocken fügt sich der Blonde und folgt ihm wortlos. Ihr Weg führt sie hinab auf die unterste Ebene. Unterwegs treffen sie Chen, der kaum ausdrücken kann, wie erleichtert er ist, den Jungen gesund und munter wiederzusehen. Dennoch macht Raph ihm klar, dass das nicht sein Verdienst ist und er ihm diese Unachtsamkeit nicht so schnell vergessen wird. Schließlich stoppen die zwei von Raph´s Zimmer. Mit gesenktem Kopf folgt der Blonde seinem Meister in den Raum. Er will sich gar nicht vorstellen, was für ein Donnerwetter ihn jetzt erwarten wird. Ängstlich bleibt der Kleine neben der Tür stehen und presst seine Sachen an die Brust. Der Saikämpfer bedenkt ihn mit einem undurchdringlichen Blick, während er die Tür ins Schloss gleiten lässt und anschließend verriegelt. Beim Klicken des Riegels zuckt der Nunchakuträger unweigerlich zusammen. Einen Moment später reißt Raph ihm die Klamotten aus der Hand und wirft sie achtlos zu Boden. Kurz darauf stößt der Ältere ihn grob gegen die Stahltür und presst ihn fest gegen das kalte Metall. Ein Zittern geht durch den Blonden, da er fürchtet nun verprügelt zu werden.
 

Umso überraschter ist er daher auch, als Raphael nun stürmisch seine Lippen auf die seinigen drückt und ihn zu einem hemmungslosen Kuss verführt. Überrumpelt reißt der Kleinere die Augen auf und weiß nicht wie ihm gerade geschieht. Er bekommt kaum Luft und sein Hirn ist zu keinem klaren Gedanken mehr fähig. Noch ehe er sich dazu überwinden kann, den langerhofften Kuss zu erwidern, spürt er wie Raph seinen pochenden Unterleib gegen den seinigen presst und sich verlangend an ihm reibt. Das ist zu viel für Michael. Küssen ist ja schön und gut, aber das geht dem Blonden dann doch viel zu schnell. Schließlich kann er sich noch nicht einmal vorstellen, wie und ob das überhaupt bei zwei Männern funktioniert. Ein heftiges Zittern durchzieht seinen Körper und er drückt abwehrend die Hände gegen die Brust seines Meisters. Der Rothaarige spürt den Widerstand, auch wenn er ihn nicht wahrhaben will. Schließlich löst er sich von dem Jungen und blickt ihn enttäuscht an, sieht die Angst in seinen Augen Nun ist es an Michael beschämt zu sein, weil er seinem Gegenüber etwas Langerhofftes verweigern muss. „Es tut mir leid, Meister…“, kommt es leise von ihm.
 

„Schon gut – Ich denke, du sollest jetzt lieber gehen, bevor ich etwas wirklich Unüberlegtes tun werde…“ Raphaels Stimme ist vollkommen neutral, als wäre zwischen ihnen gerade überhaupt nichts gewesen, doch innerlich versucht er verzweifelt seinen Körper davon abzuhalten, den Jungen zu Boden zu werfen und wie ein Tier über ihn herzufallen. Sein Tun ist nicht gerade von Erfolg gekrönt, weshalb er schnell Michaels Sachen aufhebt und sie ihm in die Arme drückt. Stumm bittet der Junge noch einmal um Verzeihung, doch der Meister hat keinen Nerv mehr dafür. Seine Beherrschung ist am Boden und dass schon seit so vielen Jahren, das jedes weitere Wort einfach alles zerstören würde. Also entriegelt er stattdessen die Tür und schiebt den Jungen nach draußen. Nun steht Michael auf dem leeren Flur und fühlt sich unendlich mies. Aber vielleicht kann er sich ja doch dazu überwinden, seinem Meister den Wunsch zu erfüllen? Er müsste ihn nur davon überzeugen, etwas langsamer zu machen und ihm Zeit zu geben, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Doch ehe er sich umdrehen kann, fällt hinter ihm die Tür hart und erbarmungslos ins Schloss.
 

Deutlich kann der Blonde hören, wie die Tür wieder verriegelt und er somit ausgesperrt wird. Einen Augenblick später hört er hinter dem dicken Stahl leises Fluchen und ein dumpfes Poltern, so als hätte jemand mit der Faust gegen eine Schranktür geschlagen oder etwas Schweres zu Boden geworfen. Ihm ist sogar so, als könnte er seinen Meister enttäuscht, ja sogar wütend knurren hören. Michael fühlt sich unendlich schlecht. Er hat seinem Herrn solchen Kummer bereitet und dann verweigert er ihm auch noch die Möglichkeit zur Versöhnung. Niedergeschlagen schlurft der Kleine nach oben in sein Zimmer und verkriecht sich in seinem Futon. Derweil reibt sich Raph seine schmerzende Faust und betrachtet knurrend den Sprung in der Holztür des Schrankes. „Verdammter Mist!“, presst er hervor und zieht sich dann in sein einsames, viel zu großes Bett zurück. Er versucht sich wieder einmal mit dem Gedanken anzufreunden, dass er sich heute Nacht nur selbst Gesellschaft leisten kann, ungeachtet wie sehr es ihn auch anwidern mag…

Advence...?

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Dissolute...

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

You are my star!

Drei Monate später – Juli…
 

Die laue Nacht hat sich über die beiden Inseln gesenkt und alles liegt in tiefem Schlaf. Alles? Nein, nicht alles. In der dichten Bewaldung treiben sich allerhand kleine und größere Tiere herum und suchen nach Futter und Deckung. Und auch so mancher Mensch fühlt sich von der Dunkelheit wie magisch angezogen. Verträumt sitzt Michael am Ufer des East River und lässt gedankenverloren die nackten Beine durch das noch sonnenwarme Wasser gleiten. Sein Blick ist gen Himmel gerichtet und betrachtet dort die unzähligen Sterne, die ihm immer wieder das Gefühl geben, klein und unbedeutend in einem grenzenlosen Kosmos zu sein. Doch es stimmt ihn nicht traurig, eher nachdenklich. Sind dort draußen andere Lebensformen oder ist der Mensch allein in seiner selbstgefälligen Herrlichkeit? Eine Frage, die ihm niemand beantworten kann. Es scheint ja schon an eine Unmöglichkeit zu grenzen, herauszufinden wie viele Überlebende der Krieg hinterlassen hat und wo sie sich verstecken. Ob es noch irgendwo Hoffnung gibt oder dies hier die einzige Zuflucht ist, die der Menschheit geblieben ist. Seufzend lässt er sich nach hinten ins kühle Gras fallen.
 

Einen Moment betrachtet er noch die glitzernden Punkte hoch über sich in der völligen Schwärze des Himmels, dann fallen ihm langsam die Augen zu. Er weiß nicht wie lange er so daliegt, in einer Scheinwelt zwischen Wachsein und Schlaf, doch irgendwann merkt er, dass er nicht mehr allein ist. Eine unruhige Nervosität macht sich in ihm breit. Als Ninja hätte er viel aufmerksamer sein und seine Umgebung ständig im Blick haben müssen, doch nun ist es zu spät. Wer immer dort in seiner unmittelbaren Nähe ist, hat ihn längst entdeckt und er hat keine Zeit mehr zu reagieren. Hilflos hält er still und versucht sich nicht zu bewegen. Dennoch sind all seine Muskeln bis zum Zerreißen angespannt und im Geiste überlegt er sich, ob es ihm wohl gelingen könnte, unbemerkt an seine Nunchakus heranzukommen. „Michael?“ Die Stimme ist irgendwie vertraut, also öffnet der Blonde vorsichtig die Augen. Über ihn gebeugt steht Chen und wirkt etwas irritiert. Beim Anblick seines Sensei entspannt sich der Junge und gibt ein erleichtertes Seufzen von sich, welches den Japaner noch mehr irritiert.
 

„Alles in Ordnung?“, fragt der Schwarzhaarige etwas besorgt. Lächelnd richtet sich Michael auf. „Ja. Ich war nur eingedöst und dachte du wärst ein Angreifer…“, gesteht er ihm. „Dann hast du aber noch mal Glück gehabt und ich werde deine Nachlässigkeit diesmal übersehen.“, erwidert Chen sein Lächeln und setzt sich neben ihn ins Gras. Für einen Moment herrscht Stille und beide betrachten den funkelnden Himmel über sich. Schließlich bricht Chen das Schweigen. „Was machst du eigentlich hier draußen? Du müsstest längst im Bett sein.“, fragt er den Jungen. In seiner Stimme schwingt etwas Mahnendes mit, woraufhin Michael schuldbewusst den Kopf senkt. Bisher ist es ihm immer gelungen, unbemerkt hier zu sitzen, da der Ältere sehr darauf bedacht ist, dass seine Schüler auch stets ausgeruht in den Tag starten und so ein Höchstmaß an Konzentration und Kraft vorweisen können. Dass das nicht immer klappt, ist ihm durchaus bewusst, aber er versucht das Ausmaß so gering wie möglich zu halten. „Ich konnte nicht schlafen und dachte, dass mich die Sterne vielleicht beruhigen würden…“, gibt der Blonde schließlich zu. „Mir scheint, dass das funktioniert hat, wenn du schon eingedöst bist.“
 

Langsam lässt sich Chen nach hinten ins kühle Gras sinken und verschränkt die Hände hinter dem Kopf. Michael tut es ihm gleich und so sehen beide verträumt zum Himmel empor. „Ja, schon. Aber müde bin ich deswegen noch immer nicht.“, gibt der Blonde resignierend zurück. „Aber allzu lange wird es dann bestimmt nicht mehr dauern. – Vielleicht hilft es ja, wenn ich dir eine Geschichte erzähle?“ Überrascht blickt der Junge ihn an. Er hört sehr gern Geschichten, doch müde ist er davon noch nie geworden. Dennoch ist seine Neugierde geweckt. „Was denn für eine Geschichte?“ „Eine alte chinesische Legende.“, erwidert Chen. Irritiert legt Michael die Stirn in Falten. „Chinesisch? Ich dachte du bist Japaner…“ Der Ältere gibt ein kleines Lachen von sich. „Das stimmt auch, aber viele Legenden und Bräuche Japans stammen ursprünglich aus China und wurden dann übernommen. So zum Beispiel viele Feste und Erzählungen.“ „Ah, ok. Dann lass mal hören!“ „Gut, schau in den Himmel! Siehst du dort die Milchstraße?“ Mit dem Finger deutet der junge Mann auf das helle Band, das sich über die dunkle Nacht erstreckt.
 

„Ja, klar. Ist ja nicht zu übersehen.“, entgegnet der Chaosninja. „Jetzt sieh dir den hellen Stern dort neben der Milchstraße an. Das ist Wega. Im japanischen heißt er Orihime, was so viel wie Weberprinzessin bedeutet.“ Wieder deutet er mit dem Finger die Richtung an, in die Michael schauen soll. Verstehend nickt der Junge. „Und jetzt sieh auf die andere Seite der Milchstraße. Dort ist ebenfalls ein heller Stern. Er heißt Altair. Im japanischen heißt er Hikoboshi, was so viel wie männlicher Stern oder Hirtenstern bedeutet.“ Die blauen Augen des Schülers folgen dem Finger des anderen über den Himmel hinweg. „Während sich die Erde und die Sterne auf ihren Umlaufbahnen bewegen, kommt einmal im Jahr der Tag, an dem diese beiden Sterne in die Milchstraße eintauchen und sich so für eine einzige Nacht treffen, ehe ihre Bahnen sich wieder trennen. Und genau zu dieser alljährlichen Begegnung gibt es eine alte chinesische Legende, die später auch zu einem Fest in Japan wurde – das Sternenfest. Man könnte es wohl am ehesten als eine Art Valentinstag im Sommer bezeichnen, da es eine Liebesgeschichte ist, die Verbundenheit symbolisieren soll.“
 

Mit großen Augen betrachtet Michael die beiden Sterne, die schon so nah an der Milchstraße sind, dass man sie fast nur noch durch ihre Helligkeit ausmachen kann. Ganz unweigerlich muss er dabei an Raphael und sich selbst denken, die sich die ganze Zeit über so nahe waren und doch so fern, bis sie schließlich doch zusammengefunden haben. Allerdings hofft er natürlich, dass sie sich nicht so schnell wieder trennen müssen wie die beiden Sterne. „Die Legende besagt, dass Orihime die Tochter des Himmelskönigs Tenko war. Sie hatte eine besondere Begabung für die Weberei und hat wunderschöne Kleidungsstücke am Flussufer gewebt. Der Fluss ist die Milchstraße, der zwei Städte voneinander trennt. Tenko war immer höchst erfreut von der Begabung und dem Fleiß seiner Tochter. Sie konzentrierte sich ausschließlich auf ihre Arbeit und hatte daher keine Zeit, um etwas anderes zu tun. So auch nicht, um nach der großen Liebe zu suchen. Dennoch wünschte sie sich nichts mehr, als einen Mann an ihrer Seite. Diese Tatsache machte sie unglaublich traurig, weshalb ihr Vater beschloss, ihr zu helfen.
 

Er arrangierte ein Treffen mit Hikoboshi, der auf der anderen Seite des Flusses lebte und dort als Kuhhirte arbeitete. Die beiden waren sehr angetan voneinander und verliebten sich. Wenig später heirateten sie. Glücklich vereint fuhren sie auf Hochzeitsreise. Doch die Reise dauerte so lange, dass Tenko sehr zornig wurde, weil die beiden ihre Aufgaben vollkommen vernachlässigten. Orihime webte nicht mehr und Hikoboshis Kühe wurden schwach, magerten ab und verirrten sich sogar in den Weiten des Himmels. Daraufhin beschloss er die beiden zu bestrafen…“ „Das ist echt gemein!“, wirft Michael plötzlich ein und sieht traurig zum Himmel empor, wo die beiden Sterne so nah und doch noch immer voneinander getrennt sind. Wehmütig lächelt Chen und erzählt weiter. „Tenko trennte die beiden schließlich, indem er den Fluss der Milchstraße so tief und wild machte, dass es unmöglich war, ihn zu überqueren. So war es den beiden auf ewig verboten sich wiederzusehen. Orihime wurde daraufhin schrecklich unglücklich und bat ihren Vater inständig darum, ihren geliebten Mann wiedersehen zu dürfen. Nach langem Überlegen und vielen Tränen gab Tenko schließlich nach.
 

Er erlaubte dem Paar sich einmal im Jahr, am siebten Tag des siebten Monats, zu sehen, wenn sie dafür den Rest des Jahres ihrer Arbeit nachgehen.“ „Das ist wirklich traurig, wenn sie sich so lieben und sich dann nur einmal im Jahr sehen dürfen…“ Traurig betrachtet Michael erneut die beiden Sterne, dann kommt ihm ein Einfall. „Sagtest du siebter Tag des siebten Monats? Das ist doch morgen!“, aufgeregt blickt der Blonde sein Gegenüber an. „Ja, ganz genau. Morgen Nacht können sich Orihime und Hikoboshi endlich wiedersehen. – Die Legende erzählt weiter, dass die beiden bei ihrem ersten Treffen sehr aufgeregt waren. Tragischer Weise mussten sie feststellen, dass der Fluss keine Brücke mehr hatte, mit der sie ihn überqueren konnten. So schien ein Treffen trotz der Erlaubnis Tenkos dennoch unmöglich. Verzweifelt überlegten die beiden, was sie tun konnten und baten schließlich einen Schwarm Elstern um Hilfe. Diesen Schwarm kann man sogar sehen, wenn die beiden Sterne sich treffen, weil dann ein dunkleres Band an dieser Stelle der Milchstraße verläuft. Die Elstern breiteten ihre Flügel aus und formten so eine Brücke.
 

Nun endlich konnten sich die beiden sehen. Die Elstern berichteten ihnen aber, dass sie ihnen nur bei schönem Wetter helfen können, da der Fluss sonst zu wild ist. So beten die Japaner jedes Jahr dafür, dass an diesem Tag der Himmel wolkenfrei ist, damit die Sterne nachts sichtbar werden und die Vögel die Brücke für die beiden Liebenden bilden können. Sollte dies nicht der Fall sein, müssen die beiden ein weiteres Jahr warten. Die Menschen glauben, dass es ihnen Glück, Liebe und Wohlstand bringt, wenn es den beiden gelingt über den Fluss zu einander zu finden. Ist dem nicht so, werden sie Pech haben.“ „Man, was für eine Geschichte! Wirklich traurig und das mit dem Wetter ist auch echt heftig. Ich stell mir gerade vor wie sehr sich die beiden freuen, sich endlich wiederzusehen und dann regnet es und die Vögel können ihnen nicht helfen. Das ist schrecklich…“, betrübt setzt sich Michael wieder aufrecht hin. „Da hast du Recht. Aber da es ein Sommerfest ist, ist die Wahrscheinlichkeit für gutes Wetter auf jeden Fall sehr hoch.“, versucht Chen ihn aufzumuntern. Doch so wirklich scheint es nicht zu klappen.
 

Michael ist sehr emotional und nimmt sich vieles sehr schnell zu Herzen. „Deshalb beten die Menschen ja auch für gutes Wetter. Und wenn man seinen Liebsten in dieser Nacht küsst, soll einem das ewige Liebe versprechen und den beiden so das Wiedersehen erleichtern.“ Nun endlich ein Lächeln von dem Blonden. „Das ist ein schöner Gedanke. Und ich danke dir für die Geschichte!“ „Ich hoffe, sie hilft dir beim Einschlafen. Komm, ab ins Bett!“, fordert er den Jungen auf. Gemeinsam erheben sie sich und kehren zurück in ihre Zimmer. Dennoch liegt Michael noch eine Weile wach in seinem Futon. Nachdenklich lässt er sich die Geschichte von Chen noch einmal durch den Kopf gehen. Sie ist so traurig, hat aber auch irgendwie etwas Hoffnungsvolles, da die beiden Liebenden ja immer wieder zueinander finden. Stillschweigend fragt sich der Blonde, ob Raphael die Geschichte wohl auch kennt. Immerhin hatte er durch seinen Sensei ja auch japanische Wurzeln. Und was er bisher so von Splinter gehört hat, hat dieser auch sehr gern Geschichten erzählt. Vielleicht lässt sich damit ja etwas anfangen und sie können gemeinsam einen romantischen Abend verbringen?
 

Dieser Gedanke gefällt dem Blonden ziemlich gut. Die Vorstellung mit seinem Liebsten unter einer Million funkelnder Sterne zu sitzen und darauf zu warten, dass sich zwei davon endlich wieder treffen, ist wirklich schön. Und dann, wenn der große Augenblick gekommen ist, vielleicht einen Kuss von ihm erhaschen? Ein sehnsüchtiges Lächeln breitet sich auf Michaels Zügen aus, ebenso ein roter Schimmer auf seinen Wangen. Die Idee eines Kusses unter den Sternen, lässt ihn wie ein kleines Schulmädchen in seinen Fantasien schwelgen. Nun muss es ihm nur noch gelingen, Raph morgen Abend dazu zu bringen mit zu machen. Einfach wird es nicht werden, immerhin will er ja nicht gleich alles verraten. Grübelnd liegt er da und versucht den Tagesablauf für Morgen durchzugehen. Wie immer ist viel zu erledigen und jede Menge Training steht auch auf dem Plan. Wahrscheinlich hat sein Meister auch alle Hände voll zu tun und bestimmt keinen Nerv für so etwas Albernes. Dies stimmt ihn wieder traurig. Doch so schnell gibt er nicht auf, es muss eine Lösung geben! Angestrengt grübelt er weiter, doch er kommt nicht weit.
 

Schon wenige Augenblicke später versinkt er in einen tiefen Schlaf. In seinen Träumen sieht er Orihime und Hikoboshi. Wie sie einander kennenlernen, heiraten und schließlich getrennt werden. Ihr Wiedersehen ist so wunderschön, dass Michael gar nicht mehr aus seinem Traum aufwachen möchte. Sein Wecker ist aber anderer Meinung und läutet vehement in seinem schrillen Tonfall. Zuerst bekommt der schlafende Junge gar nicht mit, dass es sein Weckruf ist, sondern hält es für Tenko, der wieder etwas zum Schimpfen gefunden hat, um das liebende Paar zu strafen. Dann jedoch driftet er langsam in Richtung Oberfläche und merkt allmehlig, dass das unschöne Geräusch nicht die zeternde Stimme des Himmelskönigs ist, sondern sein Wecker. Schwerfällig öffnet der Blonde die Augen und starrt das unentwegt läutende Gerät an, als wüsste er gar nicht worum es sich handelt. Mit einem Seufzen reibt er sich die Augen und schaltet schließlich den Nerv tötenden Lärm ab. Beim Anziehen fällt ihm wieder ein, was gestern Abend los war und das sich heute die beiden Sterne treffen werden.
 

Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus und Tatendrang motiviert ihn, sich noch etwas einfallen zu lassen. Doch erst mal muss er jetzt zum Training, damit er keinen Ärger bekommt. Das Ganze bringt er auch ganz gut hinter sich, auch wenn Chen ihn ein paar Mal ermahnen muss, aufmerksamer zu sein. Die anschließende Patrouille gibt ihm noch mehr Zeit zum Nachdenken. Allerdings fällt ihm nichts Gescheites ein, da Raph ein unberechenbarer Sturkopf ist. Wenn er keine Lust hat, dann hat er keine Lust, ganz gleich wer ihn um etwas bittet. Resignierend lässt der Junge die Schultern hängen und versucht sich erst mal wieder auf seine Aufgaben zu konzentrieren. Vielleicht ergibt sich ja doch ganz zufällig eine gute Gelegenheit? Ohne es wirklich zu wissen, hat Michael aber schon eine richtige Vermutung an den Tag gelegt: Raph ist alles andere als gut gelaunt. Missmutig kämpft er sich durch jede einzelne Minute des Tages und nichts scheint ihn dabei aufmuntern zu können. Nach einem Grund für seine schlechte Laune braucht man ihn gar nicht zu fragen, er regt sich einfach grundsätzlich über jede Kleinigkeit auf.
 

Und manchmal gibt es einfach zu viele Kleinigkeiten, um ihn irgendwie fröhlicher zu stimmen. Es geht schon damit los, dass sich die Foot immer mal wieder über etwas beschweren, von dem sie eigentlich wissen, dass es sich nicht ändern wird, wenn sie schimpfen. Dann haben die Flüchtlinge auch gern mal was zu meckern oder einfach nur ein unlösbares Problem und schon steht alles Kopf und bleibt an ihm hängen. Schon in Kindertagen war Raph nicht der Beste darin, Probleme logisch und gefasst zu lösen oder gar in einer sinnvollen Reihenfolge abzuarbeiten. Er ging immer mit dem Kopf durch die Wand und wenn das nicht klappte, wurde er einfach noch wütender und hat fester zugeschlagen. Irgendwann muss man damit doch zum Ziel kommen! Dass dem oftmals nicht so war, hat er nicht eingesehen, egal wie offensichtlich das Ganze auch war. Das Schlimmste ist aber, dass er nun allein ist. Kein Splinter mehr, kein Leo oder Donnie, die ihn auf den rechten Weg versuchen zu bringen oder ihm einen Teil seiner Probleme abnehmen. Daher kann er manchmal überhaupt nicht glauben, wie er es die letzten zehn Jahre geschafft hat, hier alles aufzubauen und am Leben zu erhalten.
 

Dies liegt wahrscheinlich aber auch nur daran, weil er am Anfang noch die echten Foot-Ninja hatte, die gewusst haben, was getan werden muss und ihn im Ernstfall auf den richtigen Weg gebracht haben. Und natürlich Chen, der so viel für ihn getan hat. Wie Leo ist er immer strebsam und fleißig und auch wenn Raph es nicht zugeben würde, war dies immer am Hilfreichsten, schon damals, als die Welt noch unangetastet war. Doch im Gegensatz zu Leo oder Splinter fehlt Chen ihm gegenüber das Durchsetzungsvermögen. Früher oder später ergibt sich der Japaner den Befehlen seines Meisters einfach wortlos, anstatt darauf zu beharren, Raphaels Worte niederzuringen. Im Endeffekt ist er also doch auf sich allein gestellt und das bringt ihn langsam aber sicher um den Verstand. Nicht selten hat er sich schon die Frage gestellt, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, dass all die Menschen seinen Befehlen untertan sind. Wäre es nicht besser, sie ihre eigenen Entscheidungen treffen zu lassen? Doch wenn man es recht bedenkt, würde das die verbliebene Menschheit nur weiter in den Ruin treiben.
 

Ohne eine Führungsperson, die alles mehr oder weniger unter Kontrolle hat, würden die Leute wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen und das zieht wiederum Gewalt und Elend mit sich. Allerdings kann die falsche Führungsperson genauso viel Gewalt und Elend verbreiten. Beide Versionen haben der Menschheitsgeschichte schwer zugesetzt, doch sie hat sich immer wieder erholt. Dafür war aber jedes Mal eine radikale Veränderung nötig. In Raphaels Fall könnte dies bedeuten, dass sie ihn stürzen oder sogar töten, damit ein anderer seinen Platz einnehmen kann oder sie frei nach eigenen Wünschen leben können. Bei diesem Gedanken wird ihm sehr unwohl. Schließlich stand am Ende auch der Original-Shredder allein und von seinen Männern im Stich gelassen da und fand so seinen Tod durch die Hand des neuen Shredders. Doch im Gegensatz zum alten Shredder ist Raph bei weitem nicht so grausam, was das Leben unter seiner Fahne viel erträglicher machen sollte. Erschwert wird dieser Gedanke aber durch die Tatsache, dass die Leute um ihn herum noch nie unter der Befehlsgewalt eines einzelnen leben mussten.
 

Klar gab es Präsidenten und Bürgermeister, doch kaum jemand arbeitete direkt für diese Leute und musste daher Befehle ausführen. Mit Splinter als Clan-Führer hatte Raph zumindest eine Vorstellung davon bekommen, wie es eigentlich aussehen sollte. Aber sie waren auch nur zu fünft und nicht über fünfhundert und sie waren Familie keine Fremden. Es ist alles so schwierig. Kein Wunder also, dass Raph entgegen seiner aufbrausenden Natur oftmals auch sehr nachdenklich und vorsichtig ist. Allerdings versucht er die möglichen Intrigen seiner eventuellen Beseitigung zu verdrängen und hofft mal, dass Michael im Ernstfall etwas aus erster Hand mitbekommt. Schließlich arbeitet er mit den meisten Leuten eng zusammen und bekommt so vielleicht auch etwas Dahingehendes mit. Deprimiert erhebt sich Raphael aus seinem Stuhl. Es ist Zeit für einen klaren Kopf und rauchen hilft ihm dabei immer am besten. Daher schnappt er sich seine Sachen und begibt sich nach draußen. In all seiner Nachdenklichkeit und Arbeit hat er gar nicht mitbekommen, dass es schon dunkel geworden ist. Verwundert blickt er zum Himmel auf, zuckt dann mit den Schultern und sucht sich ein ruhiges Fleckchen am Wasser.
 

Der Tag war warm und schwül. Wahrscheinlich wird es bald regnen. Zu wünschen wäre es, die Insel ist sichtlich ausgetrocknet und die Pflanzen sehnen sich nach Wasser. Momentan ist der düstere Himmel aber noch wolkenlos und überschwemmt von Millionen Sternen. Schwerfällig lässt sich der Rothaarige am Ufer nieder und zieht seine klobigen Stiefel aus. Mit einem wohligen Seufzen lässt er seine nackten Beine dann ins angenehm kühle Wasser gleiten. Langsam und bedächtig beginnt er damit sich eine Zigarette zu drehen. Sein Auge gleitet dabei über die spiegelglatte Wasseroberfläche. Nur selten erlebt man den tückischen East River so friedlich. Die Oberfläche mag vielleicht glatt sein, doch an seinen Zehen kann der junge Ninja die Strömung zerren spüren. Der Mond wirft sein Licht auf das Wasser, gleich einem schmalen Grinsen in Silber getaucht. Brummend klemmt sich der Saikämpfer die Kippe zwischen die Lippen, reißt ein Streichholz an und saugt den bitteren Geschmack des Tabaks ein. Leichte Schläfrigkeit überkommt ihn und so lässt er sich nach hinten ins trockene Gras sinken und verschränkt die Hände unter dem Kopf.
 

Derweilen hat sich auch Michael seinen Weg an die Oberfläche gebahnt und sucht nach seinem Meister. Überrascht stellt er fest, ihn dort am Wasser liegen zu sehen, wo er selbst erst gestern Nacht gelegen hat. Sein Gesicht hellt sich auf. Immerhin muss er sich so nicht mehr überlegen, wie er den Älteren nach draußen locken kann. Vorsichtig nähert er sich seinem dösenden Gegenüber. Doch noch ehe er ihn erreicht, ertönt die Stimme des Roten. „Hey, Michael…“, gibt er von sich, obwohl sein sichtbares Auge die ganze Zeit geschlossen war und der Blonde dachte, leise genug gewesen zu sein. Erschrocken erstarrt der Chaosninja in seiner Bewegung, gibt ein helles Quicken von sich und zuckt zusammen. Er selbst hatte Chen nicht kommen hören und sich dafür verflucht. Dass sein Meister ein echter Ninja ist und viel Erfahrung hat, begeistert ihn immer wieder, da er so gar nicht behände wirkt. Aber Michael weiß ja auch nicht, dass Raph seine Bewegungen schon seit vielen Jahren kennt und verinnerlicht hat.
 

Mikey war schon immer etwas ungeschickt und so leise wie er dachte, war er auch nie. Sein Bewegungsmuster ist für Raph so unverwechselbar wie der Geschmack von Tabak auf seiner Zunge. Hätte er den Jungen auf diese Weise nicht bemerkt, so hätte spätestens sein Quicken ihn verraten. Dieses Geräusch scheint Mikey schon in die Wiege mitbekommen zu haben und gibt es zu jeder möglichen Situation von sich, wenn er sich ertappt fühlt oder erschreckt. Es klingt so schrill, dass einem das Ohr platzen könnte und Raph würde es unter tausenden wiedererkennen. Daher breitet sich in diesem Augenblick auch ein freches Grinsen auf seinen Lippen aus. Den Bengel zu erschrecken gehörte schon immer zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Ohne sich nach ihm umzuwenden, kann er im Geiste genau sehen, wie sich der Blonde theatralisch mit der Hand an die Brust greift und nach Luft schnappt und genau das macht Michael in diesem Moment. „Mach dir bloß nicht ins Hemd, sonst kannst du gleich wieder gehen!“, zieht er den Jungen auf.
 

Nun endlich setzt er sich auf und blickt sich nach dem Blonden um. Dieser steht immer noch etwas überrascht da. Doch dann löst sich seine Starre und er setzt sich neben seinen Meister ans Ufer. „War ich wirklich so laut?“, fragt er geknickt. „Etwa so laut wie eine Biene im Abflussrohr!“, kommt es grinsend von dem Älteren. Enttäuscht lässt der Nunchakuträger den Kopf hängen. Er gibt sich doch selche Mühe. Lachend knufft Raph ihn mit dem Ellenbogen in die Seite. „War doch bloß ein Scherz, Junge. Doch das Gras ist so trocken, dass ich jeden deiner Schritte hören konnte.“, versucht er ihn wieder aufzumuntern. Nachdenklich streicht Michael mit der Hand durch das vergilbte Gras und hört es leise rascheln. Er war so auf seinen Meister fixiert, dass er dieses Geräusch gar nicht wahrgenommen hat. Gedankenverloren blicken beide über das Wasser. „Was machst du hier draußen?“, fragt der Rothaarige schließlich. „Eigentlich hab ich nach dir gesucht.“ „Aha und was willst du von mir?“ „Ich wollte, dass du mit mir nach draußen ans Wasser kommst.“, gibt der Blonde schüchtern zu.
 

„Na, die Sache hab ich dir dann wohl schon mal abgenommen. Und was noch?“, bohrt der Saikämpfer weiter, während er sich eine neue Zigarette dreht. Im Augenwinkel sieht er, wie sich ein roter Schimmer auf den Wangen des Jungen ausbreitet. „Ich wollte mir mit dir die Sterne anschauen.“, erwidert der Blonde, während seine Wangen noch dunkler werden. Raph legt die Stirn in Falten. Da steckt wohl noch etwas mehr dahinter, als bloßes Sternegucken. „Ach ja? Schön, dann schau halt.“ Geschickt reißt er ein Strichholz an und pustet dann blauen Dunst in die düstere Nacht hinein. Leicht schmollend schiebt Michael die Unterlippe vor. Das ging schon mal nach hinten los. Aber Raph war noch nie der romantische Typ und hält auch jetzt noch nichts davon. Daher macht er vieles eher, um Michael eine Freude zu machen, als aus eigenem Antrieb. Doch noch weiß er nicht so richtig, worauf der Junge hinaus will. Daher gibt er sich kühl, bis er es herausfindet und dahingehend agieren kann. Einen Moment liegen die beiden schweigend in Gras nebeneinander, dann startet der Blonde einen neuen Versuch.
 

„Kennst du eigentlich die Geschichte vom Sternenfest?“ „Du meinst die von dem Liebespaar, das sich nur einmal im Jahr treffen kann?“ Langsam kann sich Raph vorstellen, worauf der Junge hinaus will. „Ja, genau.“ Nachdenklich brummt der Rothaarige vor sich hin. „Klar, mein Sensei hat sie mir früher oft erzählt und noch viele mehr…“ Die Begeisterung in seiner Stimme lässt zu wünschen übrig und dies merkt auch Michael. Es wirft den Blonden wieder ein Stück in seiner Hoffnung zurück, doch aufgeben will er noch lange nicht. „Heute ist die Nacht, in der sich die beiden wiedersehen werden…“, bemerkt Michael möglichst beiläufig. „Ach ja? Wo hast du denn das her?“ Der Saikämpfer selbst wüsste nicht unbedingt, welches Datum oder welchen Tag es heute hat. Da müsste er schon jemanden fragen. Aber hier gibt es einige angergierte Leute, die trotz des Krieges und all der Zerstörung immer darauf bedacht waren, das korrekte Datum festzuhalten. Und sei es nur, um ein bisschen Normalität in das Chaos zu bringen, von dem sie umgeben sind. „Chen hat mir die Geschichte gestern Abend erzählt.“, erwidert der Nunchakuträger.
 

Raph grinst in sich hinein, während Wölkchen aus Zigarettenqualm vor seinem Auge aufsteigen. Er hat es sich schon irgendwie gedacht. Chen hat so einiges von Splinter und das Geschichtenerzählen gehört definitiv dazu. „Das hätte ich mir ja denken können. Und du wollest jetzt, dass ich mit dir zusehe, wie sich die beiden treffen, ja? Und weiter?“, jetzt will Raph es genau wissen. Die Röte im Gesicht des Jüngeren nimmt wieder zu. „Nun ja – die Geschichte ist so traurig. – Ich meine, dass sie sich nur einmal im Jahr sehen können, obwohl sie sich doch so sehr lieben. – Da hab ich mich gefragt, ob es bei uns auch so enden könnte. – Dass uns etwas trennt, meine ich…“, Michaels Augen glänzen verdächtig. Noch ein paar Worte mehr und er wird in Tränen ausbrechen. Das gefällt Raph überhaupt nicht mehr. Er konnte noch nie gut damit umgehen, wenn sein geliebter Babybruder zu weinen angefangen hat und das wird sich wohl auch nie ändern. Beinahe fieberhaft versucht er eine Lösung zu finden. Allerdings blockiert ihn die Geschichte etwas dabei. Ähnlich wie Leo war auch Mikey immer fest davon überzeugt, dass solche Geschichten einen wahren Kern haben.
 

Nur schwer ließ er sich davon überzeugen, dass dem nicht so war. Raph und Donnie waren immer praktisch veranlagt. Was sie nicht sehen oder anfassen konnten, das gab es auch nicht. Leo und Mikey hingegen haben stets an das magische Einhorn geglaubt und nichts konnte sie davon abhalten, egal wie sehr mal ihnen auch versichert hat, dass es nicht existiert. Kein Wunder also, dass Michael solche Geschichten für bare Münze nimmt. Und die Welt in der sie jetzt leben, schreit geradezu nach etwas Schrecklichem, das ihnen widerfahren könnte. Noch ahnt keiner von ihnen wie schnell so etwas eintreten wird… Unweigerlich muss Raph an seine Gedanken von vorhin denken, dass man ihn stürzen oder sogar töten könnte. Das ist nicht gut. Sie sollten beide lieber auf andere Gedanken kommen. Schließlich ist das Zusammenleben unter diesen Bedingungen schon schwer genug, da braucht es nicht noch ein glimmendes Streichholz mehr, das einen richtigen Waldbrand entfacht. Innerlich schlägt er sich mit der Hand gegen die Stirn. Jetzt wäre etwas Romantik oder zumindest etwas Aufmunterndes schwer angebracht, doch wie gesagt, ist er kein Freund von solchen Dingen und war es auch nie.
 

Angestrengt grübelt der Rothaarige nach, während Michael schweigend und den Tränen nahe neben ihm liegt. Allzulange darf er den Jungen auch nicht warten lassen, sonst denkt er wohlmöglich noch, dass das zwischen ihnen nur ein Spiel ist und er ihm gar nicht so viel bedeutet. Die Wahrheit ist aber, dass er Raphael einfach alles bedeutet, er es nur nicht sagen kann. Tief atmet der Saikämpfer durch und wirft seine Kippe ins Wasser. Mit leisem Zischen erlischt die Glut und sie treibt langsam davon. Dann wendet sich Raphael zu ihm, baut sich über ihm auf und versperrt ihm so den Blick auf die Sterne. Noch immer liegt in den blauen Seelen eine schreckliche Traurigkeit und die Tränen scheinen näher als je zuvor. Der Ältere setzt einen sehr ernsten Gesichtsausdruck auf, der Michael nur noch trauriger macht. Doch Raph lässt nicht zu, dass er sich von ihm abwendet. „Ja, du hast recht, die Geschichte ist traurig und zwischen uns könnte allerhand passieren, dass gebe ich ganz offen zu. Aber ehe ich zulasse, dass uns etwas trennt, wird die Hölle zufrieren, Kleiner! Nichts und niemand wird uns trennen, wenn ich es verhindern kann!“
 

Seine Worte sind genauso streng und ernst wie sein Gesichtsausdruck und zeigen Michael damit aber sehr deutlich, wie wahr sie sind. Durchdringend mustert das einzelne gelbgrüne Auge ihn und auch darin ist die Wahrheit seiner Worte deutlich zu lesen. Eine einzelne Träne rinnt dem Nunchakuträger die Wange hinab, dann breitet sich ein zaghaftes Lächeln auf seinen Lippen aus. „Ganz ehrlich?“, fragt der Blonde dennoch. „Ganz ehrlich!“, erwidert der Rote mit einem sanften Lächeln. Langsam beugt er sich zu dem liegenden Jungen hinunter und küsst ihn zärtlich. Michael erwidert es voller Freude, verzieht dann jedoch das Gesicht. Leicht irritiert trennt sich Raphael von ihm. Gespielt angeekelt streckt der Blonde ihm die Zunge heraus. Der Tabakgeschmack liegt dem Saikämpfer noch bleischwer auf der Zunge und dafür kann sich Michael nun wirklich nicht begeistern. „Tja, dass tut mir jetzt aber leid.“, entgegnet Raph ihm grinsend. „Wenn es dich so stört, können wir ja auch reden.“, neckt er ihn. Michael grinst. „Niemals!“ Fordernd zieht er den Älteren wieder zu sich hinunter und vereint ihre Lippen miteinander, unter den funkelnden Sternen und der grinsenden Mondsichel, während sie Orihime und Hikoboshi endlich wiedersehen.

Abused...

Einen Monat später – August…
 

Zärtlich und doch fordernd gleiten die kräftigen Hände des Saikämpfers über den zierlichen Körper unter sich. Von Lust erfüllt stöhnt der Blonde auf und windet sich unter ihm. In ihrer Erregung gefangen merken die beiden nicht, dass sie heimlich beobachtet werden. Die Tür steht nur einen winzigen Spalt offen, ist beim Schließen nicht richtig ins Schloss gefallen, und nun gibt sie den Blick auf die Heimlichkeiten dahinter preis. Drei ungläubige Augenpaare drängen sich vor dem engen Spalt zusammen und können kaum fassen, was sie dort sehen. Andererseits lässt dieser Anblick sie Dinge verstehen, die sie bis dato noch nicht begreifen konnten. Doch jetzt fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen und eine hinterhältige Kälte breitet sich in ihnen aus. Ja, nun endlich haben sie etwas gefunden, mit dem sie arbeiten können! Vorsichtig und möglichst leise entfernen sich die drei Foot-Ninja vom Zimmer ihres verhassten Führers und verschwinden im Zwielicht des langen Flurs. Nur ihr bösartiges Tuscheln ist noch einen Augenblick auf dem Treppenabsatz zu hören, dann verstummt auch es und sie verziehen sich in ihr Zimmer.
 

Die nächsten Tage schieben sich ruhig dahin, zumindest hat es von außen hin den Anschein. Jeder geht fleißig seiner Arbeit nach und nichts deutet auf ein mögliches Komplott hin. Doch die drei Foot-Ninja sind mit ihren Gedanken ganz wo anders. In ihren Köpfen sehen sie ihren ach so tollen Führer auf den Knien, gepeinigt von der Schande, vertrieben von seiner Unfähigkeit. Wenn sie ihn endlich los sind, dann werden neue Seiten aufgezogen und alles anderes. Zu dritt werden sie hier alles auf den Kopf stellen und eine ganz neue Zivilisation aufbauen, die eigens ihren Befehlen folgt! In ihren Augen taugt der Rothaarige überhaupt nicht zum Clan-Führer und ansonsten auch zu nichts anderem. Doch so einfach ist ein Machtwechsel nicht, das ist ihnen durchaus bewusst. Sie müssen Raph zur Niederlegung seines Amtes zwingen und dann wird er in die Verbannung geschickt oder doch einfach getötet. Dabei ist Zweiteres natürlich wesentlich verlockender. Dann zumindest kann sich niemand mehr auf seine Seite schlagen, außer sie wollen, dass es ihnen ebenso ergeht. Allerdings ist es bis dahin noch ein weiter Weg und sie müssen Raph erst mal dazu bringen oder in einen Hinterhalt locken.
 

Andererseits hat sich der Saikämpfer den Grundstein dafür schon unbewusst selbst gelegt, als er mit dem blonden Bengel ins Bett gestiegen ist. Michael wird ihr Fahrschein in eine bessere Zukunft sein und schon an diesem Abend wird er von seinem unschönen Glück erfahren! Alles Weitere wird ein Kinderspiel. So entwickeln sich die Gedanken immer weiter und die Intrigen wachsen mit jeder Minute, die der Tag dahinscheidet, bis sich schließlich die Nacht über die Inseln legt und alles mit ihrem Schweigen erfüllt. Nach und nach begeben sich alle in ihre Zimmer und Betten. Abgesehen von den drei Foot-Ninja, die sich stattdessen zu Michaels Zimmer auf machen und den Jungen dort überraschen. Sichtlich irritiert sieht der Blonde die drei vermummten Gestalten an. Ihr heimlicher Anblick stellt schon lange kein Unbehagen mehr für ihn da, doch dass sie ausgerechnet jetzt mit ihm reden wollen, verwundert ihn schon. Mit schief gelegtem Kopf steht er da, war gerade dabei sich auszuziehen, weshalb er nur noch seine Hose trägt, und mustert die Männer, die sich in sein kleines Zimmer drängen.
 

Allein schon die Tatsache, dass der Bengel von Anfang an ein eigenes Zimmer hatte und auch sonst allerhand Privilegien genießt, hätte die drei schon viel früher auf den Gedanken bringen müssen, dass irgendetwas nicht stimmt. Schließlich ist er sonst auch nur ein Foot-Ninja wie sie und in ihren Augen nicht mal ein guter. Er baut ständig nur Mist und dennoch wird er dafür nur im seltensten Fall bestraft und dann auch nicht mal ansatzweise so sehr wie die anderen Foot. Ist aber auch kein Wunder, wenn er mit dem Führer schläft und sich so Vorteile verschafft. Echt ein ausgebufftes Kerlchen! Stellt sich nur die Frage, ob Michael bei all seinen Spielchen mit Raph je einen Gedanken daran verschwendet hat, dass ihnen beiden dieses Verhältnis einmal zum Verhängnis werden könnte? Wenn nicht, wird ihm dieser Gedanken nun sicher ganz schnell kommen! Noch immer fragend blickt der Junge die drei Männer an, die sich unter ihren Masken das fiese Grinsen zu verkneifen versuchen. „Gibt es etwas Wichtiges oder welchen Grund hat dieser Überfall?“, würde Michael jetzt gern mal wissen, obwohl er ‚Überfall‘ eher als Witz meint.
 

Das Grinsen der drei wird zu einem hörbaren Kichern, das den Blonden stutzig macht. „Mit ‚Überfall‘ liegst du gar nicht mal so schlecht!“, verkündet der eine. Die anderen beiden kichern nur noch mehr. Genervt verschränkt der Nunchakuträger die Arme vor der blanken Brust. Doch plötzlich wird es still. Das alberne Kichern endet. Und obwohl der Junge ihre Gesichter nicht sehen kann, kommt es ihm so vor, als seien sie schlagartig vor Ernsthaftigkeit erstarrt. Ehe ihm klar wird, dass das nicht gut sein kann, stürmen die Foot schon vor, packen ihn und schleudern ihn hart zu Boden. Schmerzhaft schlägt sein Kopf auf die Dielen und er sieht für einen Moment Sterne. Benommen versucht er sich aus ihrem Griff zu befreien, doch gemeinsam sind sie viel stärker, als er. Instinkttief holt der Blonde Luft, um zu schreien. Bevor er jedoch diesen wohlmöglich rettenden Laut ausstoßen kann, zieht einer der drei ein Messer und hält es ihm direkt unter die Nase. Hilflos erstickt der Schrei in der Kehle des Jungen und er liegt reglos, mit weit aufgerissenen Augen da. „Schlauer Junge! Mach lieber nichts, was du bereuen könntest!“, kommt es streng von dem Messerträger.
 

Stumm nickt der Nunchakuträger und das Messer entfernt sich ein paar Zentimeter, bleibt jedoch in Sichtweite, falls der Bengel doch etwas versuchen sollte. Prüfend blicken die drei einander an und machen sich verständlich, jetzt zum nächsten Teil des Plans überzugehen. „Ok, Michael, jetzt reden wir mal Klartext!“, verkündet der Foot auf der rechten Seite mit dunkler Stimme. „Wir wissen, was du und Shredder hinter verschlossenen Türen so treibt!“ Schlagartig weicht alle Farbe aus dem Gesicht des Blonden. Innerlich ist er irgendwo dankbar dafür, dass die Männer ihn zu Boden drücken, denn diese Offenbarung hätte jetzt sicher dazu geführt, dass er der Ohnmacht nahe gekommen wäre. Das bedrückende Gefühl der Besinnungslosigkeit übermannt ihn dennoch so heftig, dass er nur ein gequältes Stöhnen von sich geben kann. Übelkeit steigt in ihm auf, ihm wird heiß und kalt, als würde er eine Erkältung ausbrüten. Raph hat stets betont, dass sie vorsichtig mit ihren Spielchen sein müssen, doch irgendwie müssen die Foot es dennoch bemerkt haben. „Unser Schweigen kostet dich einiges, Junge. Und ich denke, du wirst dem Ganzen schnell zustimmen. Du willst ja ganz sicher nicht, dass alle hier erfahren, was los ist und es deinem geliebten Führer dann an den Kragen geht!“
 

„Ganz genau! Mit all seinen Regeln und Vorschriften macht er uns das Leben schon schwer genug. Daher warten die Leute nur auf einen solchen Fehltritt, um ihn abzuservieren! Und du willst doch ganz sicher nicht, dass man ihm wehtut, oder?“ Ein gehässiges Lachen geht durch die Runde und lässt den Jungen erzittern. „Nein – nein, das will ich nicht! – Bitte, tut ihm nicht weh!“, presst der sonst so fröhliche Junge den Tränen nahe hervor. „Ich wusste doch, wir verstehen uns!“, erwidert der Foot auf der linken Seite. „Was wir dir hier gesagt haben, bleibt natürlich unter uns, versteht sich. Sollten wir rausfinden, dass du uns verraten hast, dann kannst du dich von Shredder verabschieden!“ „Ja! Mein Schwert freut sich jetzt schon, ihm seinen arroganten Schädel von den Schultern zu schlagen!“, verkündet der Foot mit dem Messer. Verstört zuckt Michael zusammen. „NEIN! Bitte nicht! Ich tue alles, was nötig ist! Ihr habt mein Wort!“ Nun fließen die Tränen. Ihr Anblick erfreut die drei Maskierten und sie geben erneut ihr gehässiges Lachen von sich. „Gut, dann kommen wir doch gleich mal zum Geschäft und ergründen, was Shredder so anziehend an dir findet!“
 

Eine lähmende Angst macht sich in dem Jungen breit. Er weiß zwar nicht ganz, was ihn nun erwartet, doch nach dieser Verkündung kann er es sich ziemlich gut vorstellen. Oder auch nicht. Das skrupellose Treiben der Foot ist weit schlimmer, als es sich Michael hätte vorstellen können. Die Schmerzen weit erdrückender, als alles, was er je erlebt hat, hinzukommen die Ungewissheit, die Scham und die blanke Angst. Zitternd windet sich der Junge unter jedem einzelnen von ihnen und erträgt die Demütigungen, die sie ihm zuteilwerden lassen, alles nur, um den Mann, den er so sehr liebt, nicht zu verlieren. Wenn dies bedeutet, dass er dafür so grauenvolle Schmerzen über sich ergehen lassen muss, ist er gern bereit, alles zu ertragen und noch weit mehr. Dieser Mann, Raphael, gab ihm so viel. Ein Zuhause, Geborgenheit, Sicherheit und so viel Liebe, da ist es nur fair, wenn er jetzt für ihn durch die Hölle geht. Er war und ist sein treuer Diener und wird seinen Meister unter keinen Umständen enttäuschen!
 

Blut und Schweiß fließen. Der Blonde hat jegliches Zeitempfinden verloren. Doch irgendwann endet es. Die Männer verschwinden und lassen ihn allein in seinem finsteren Zimmer zurück. Sein Körper brennt. Ein unerträgliches Pochen breitet sich immer weiter in seinem Inneren aus. Er spürt sein heißes Blut in jeder Wunde wie ein glühendes Messer. Der trocknende Schweiß auf seiner Haut lässt ihn erzittern. Jeder Muskel schreit um Gnade. Etwas, das Michael die ganze Zeit über verwehrt wurde. Er hätte auch keine Gnade gewollt, hätte sich stattdessen gewünscht, sie würden einen anderen Weg finden, ihn zu bestrafen. So vereint mit Raph zu sein, war für ihn das Schönste, was er sich vorstellen konnte. Nun jedoch musste er erfahren, dass es auch ganz anders sein kann. Stumm seinem Schmerz und seinen Tränen ergeben, liegt er auf dem Boden und fragt sich immer wieder wie er Raphael so noch unter die Augen treten soll. Er liebt ihn über alles und würde sein Leben für ihn geben. Doch das, was sie so zärtlich verbannt, ist nun wie sein geschundener Körper gerissen und er weiß nicht, ob er jemals wieder Freude bei einer derartigen Annäherung empfinden kann…
 

Die nächsten Tage vergehen – irgendwie zumindest. Der Nunchakuträger weiß selbst nicht, wie er es fertiggebracht hat, sie hinter sich zu lassen. Oder viel mehr, wie es ihm gelungen ist, dass kein anderer auf ihn aufmerksam wurde. Es hat ihn all seine Kraft und Anstrengung gekostet, am nächsten Morgen überhaupt aufstehen zu können. Sein Körper war wie gelähmt und schrie bei jeder Bewegung unmissverständlich vor Schmerz. In den Stunden danach wurde es nicht viel besser. Es gleicht einem Wunder, dass er das Training und die anschließende Patrouille ohne Zwischenfälle hinter sich gebracht hat. Dennoch ist er sich nicht ganz sicher, ob Chen eine Veränderung an ihm bemerkt hat und dies nur für sich behalten hat. Was ist, wenn er selbst auch mit den Foot unter einer Decke steckt und er niemandem mehr vertrauen kann? Das wäre definitiv das Ende! Eine Woche ist nun seit dieser schrecklichen Nacht vergangen und Raph´s Laune ist mal wieder ziemlich am Boden. Der Tag verlief alles andere als gut, das bestätigt ihm auch das Getuschel der Foot. Doch dafür hat Raphael keine Ohren. Michael hingegen macht sich Sorgen.
 

Wenn sein Meister so schlecht gestimmt ist, hilft ihm normalerweise nur eine Sache, um schnell wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Doch der Chaosninja fürchtet, dass er diesmal alles andere als hilfreich für den Rothaarigen sein wird. Die Schmerzen quälen ihn immer noch und er möchte nicht, dass Raph ihn so sieht, schon gar nicht seinen geschundenen Körper. Es würde nur zu Fragen führen, die er nicht beantworten kann, ohne das Leben seines Meisters aufs Spiel zu setzen. Dennoch will er ihn nicht noch wütender machen. Vielleicht kann er ihn ja ein bisschen ablenken? Vorsichtig betritt er das Zimmer seines Meisters. Dieser kommt gerade aus dem Bad. „Hey, nicht so schüchtern, mein Kleiner!“, entgegnet er dem Blonden und nähert sich ihm. Gemeinsam gehen sie zum Bett hinüber. Nervös schluckt Michael, doch er kann es noch vor seinem Gegenüber verbergen. In Raph´s Auge liegt noch die Wut, die ihn den ganzen Tag begleitet hat, doch nach außen hin versucht er sich entspannt zu geben. Es kostet ihn einiges an Überwindung, doch er will seine schlechte Laune ja nicht unbedingt an Michael auslassen, immerhin hat der Junge ja nichts Falsches getan.
 

Im Gegenteil, sein Anblick macht ihm klar, wie sehr er seine Nähe genießt und wie sehr er ihn braucht. Dementsprechend haben sie sich kaum auf dem Bett niedergelassen, da drückt Raph den Jungen auch schon in die Laken und verführt ihn wortlos zu einem innigen Kuss. Hingerissen lässt Michael es geschehen und verliert sich beinahe in dem schönen Gefühl, das sich zwischen ihnen bildet. Doch in seinem Geist dominiert die Angst. Er muss sich etwas einfallen lassen, um Raph am Weitermachen zu hindern, sonst wird es unschön enden. Allerdings ist der Saikämpfer ganz anderer Meinung. In ihm rumort es. All seine Gefühle sind darauf ausgelegt, sich mit dem Jungen zu vereinigen und all die schlechten Gedanken so für eine Weile von sich zu stoßen. Nichts könnte ihn jetzt noch davon abbringen. Der Kuss erreicht seinen Höhepunkt, da begeben sich Raphaels Finger schon auf Wanderschaft und schleichen sich unter das Oberteil des Blonden. Etwas erschrocken beendet der Nunchakuträger den Kuss und legt den Kopf auf die Seite. Dies wird von dem Älteren auch sogleich ausgenutzt. Seine Lippen und Zähne bewegen sich geschickt über die empfindliche Haut und bescheren dem Jüngeren einen wohligen Schauer.
 

Doch er kann sich nicht darauf konzentrieren, wenn in seinem Kopf alles danach schreit, es zu beenden, bevor Raph sieht, was er nicht sehen soll. „Raph, warte…!“, presst er hervor und erntet dafür ein etwas verstimmtes Brummes seines Gegenübers. „Was?“, fragt der Rote leicht gereizt. Innerlich zuckt der Kleine zusammen. Es ist nur verständlich, dass sein Meister bei seiner derzeitigen Laune es überhaupt nicht ertragen kann, jetzt auch noch von ihm gezügelt zu werden. Hin und hergerissen hadert der Junge mit sich. Schließlich erhebt sich der Rothaarige etwas und sieht ihn an. Finster mustert er ihn mit seinem durchdringenden Auge. Michael weicht seinem Blick aus. „Ich mag nicht…“, murmelt er ihm zu. Verwundert legt Raphael die Stirn in Falten. „Warum? Sag bloß, du hast Migräne.“, witzelt der Ältere. Einen Moment braucht der Blonde, um diese Anspielung zu verstehen. Ja, er hat mal gehört, dass Frauen diese Ausrede immer benutzen, wenn sie keine Lust haben. Was eigentlich vollkommen sinnlos ist, da Sex die Symptome erst recht lindert, das aber die meisten Männer und wahrschleich auch die meisten Frauen gar nicht wissen.
 

Mit roten Wangen wendet Michael den Blick auf die andere Seite. „Nein, hab ich nicht. – Ich mag nur einfach nicht…“ Dummerweise fällt ihn nämlich überhaupt keine Ausrede ein, warum sie es nicht tun sollten und der Meinung scheint auch Raph zu sein. „Na, hab dich mal nicht so! Danach werden wir uns beide besser fühlen!“ Kaum hat er den Satz beendet, beugt er sich auch schon wieder hinab, die Lippen an seinem Hals und die Hände unter seinem Shirt. Überdeutlich kann Michael die Erregung des anderen an sich spüren. Es verdeutlicht ihm, dass er sich schnell etwas einfallen lassen muss. Nervös grübelt er. Dann plötzlich merkt er, wie Raph an seiner Hose herumfummelt. Ein Schreck jagt durch den Jungen. „Fass mich nicht an!“, platzt es verzweifelt aus dem Blonden heraus, bevor ihm überhaupt klar wird, was er da gesagt hat. Der Saikämpfer traut seinen Ohren kaum. „Was war das gerade?“, knurrt er dem Jüngeren entgegen. Dieser ist jedoch immer noch so in seinem Abwehrmanöver vertieft, dass er keine Kontrolle über seine Worte zu haben scheint. „Du sollst mich nicht anfassen!“, faucht er regelrecht zurück und Raph entgleiten alle Gesichtszüge.
 

Doch anstatt es dabei bewenden zu lassen und dem Jungen seine Ruhe zu gönnen, steigt erneut Wut in Raphael auf. Er konnte noch nie gut mit Abweisungen umgehen. Zudem ist er es absolut nicht gewohnt, dass sein kleiner Bruder ihm Vorschriften macht, Gedächtnisverlust hin oder her. Sein Stolz lässt diese Frechheit einfach nicht zu! *Das warme Gefühl sexueller Erregung ist plötzlich verschwunden. Er schlägt ihm ins Gesicht. Es geschieht, bevor er überhaupt weiß, dass er es tun wird. Die Hand eines Menschen ist wie ein Tier, das nur halb gezähmt ist; meistens ist es gutmütig, aber manchmal beißt es das Erste, was es sieht. Michaels Kopf wird zur Seite geworfen. Der Junge reißt überrascht die Augen auf und versteht kaum, was gerade passiert ist. Reglos liegt er auf dem Bett und versucht eine Erklärung zu finden. Dann spürt er den Rothaarigen über sich. Wutschnaubend knurrt er vor sich hin und zerrt an ihm. Dann ein widerliches Geräusch, als in der Beinahestille des Zimmers das Oberteil des Blonden entzweireißt. Nun ist alles vorbei, so denkt er. Raph wird sich nehmen, was er will und ihn dann vor die Tür setzen – Adieu Liebe, das war´s!
 

Und genau das hatte der Rothaarige tatsächlich vor. Er wollte sich nehmen, was ihm seiner Meinung nach zusteht, egal was für Einwände der Bengel auch haben möge. Doch nachdem der störende Stoff nun nicht mehr seinen Blick verdeckt, schlägt langsam, aber äußerst schmerzhaft das Begreifen auf ihn ein. Erschrocken über den Anblick, der sich ihm so unerwartet bietet, zieht er hörbar die Luft ein. Sein verbliebenes Auge weitet sich und kann den Blick nicht von dem entblößten Körper des Jungen nehmen. Sein Mund klappt auf und all seine Wut ist schlagartig verflogen, wie zuvor seine Erregung. Nun begreift er, was der Blonde versucht hat vor ihm zu verstecken und warum er sich ihm so heftig entgegengestellt hat. Der durchtrainierte Körper des Nunchakuträgers ist übersät mit blauen Flecken, Schrammen und Kratzern. Für Raph ist es ganz eindeutig, dass sie nicht vom Training herrühren können, dafür ist der Junge viel zu geschickt und abgehärtet. Nein, ihm muss etwas Schreckliches widerfahren sein. Seiner abweisenden Haltung ihm gegenüber, kann dieses etwas nur eines sein. Ein Schauer jagt Raphaels Rücken hinunter, als er sich vorzustellen versucht, was alles nötig war, um ihm diese Verletzungen zu zufügen.
 

Dann wandert sein Blick unweigerlich zum Gesicht des Jungen, auf dessen Wange sich deutlich sein eigener Handabdruck abzeichnet. In pochendem Rot schreit er Raph förmlich entgegen und maßregelt ihn damit. Was hat er nur gemacht? Warum konnte er es nicht gutseinlassen, wenn der Junge nicht mit ihm schlafen will? Warum musste er wieder seinen Willen durchzusetzen versuchen? Nach so vielen Jahren und Hindernissen hätte man annehmen können, dass er mal etwas dazugelernt hat. Doch dies fiel ihm schon immer unglaublich schwer. Und seine Wut blockiert ihn auch nach so langer Zeit noch. Hinzu kommt, dass Splinter nicht mehr da ist, um ihm wenigstens ein bisschen Kontrolle zu gewährleisten. Ohne seinen stets bemühten Meister hatte er weder die Ausdauer noch den tieferen Sinn darin gesehen, sein Training dahingehend selbstständig fortzuführen. Nicht zum ersten Mal verachtet er sich dafür. Viel zu oft hat ihm seine Wut auch hier schon im Weg gestanden, doch er sah es nicht als schlimm an, da er dachte, damit seine Männer besser unter Kontrolle halten zu können. Es jetzt an seinem Babybruder auszulassen, ist aber ein gewaltiger Unterschied und ein schwerer Fehler obendrein.
 

Mit feuchten, verängstigten Augen sieht der Junge zu ihm auf, während der Handabdruck auf seiner Wange immer noch dunkler zu werden scheint. Die Mahle auf seinem Körper schreien geradezu hervor und Raph kann den Anblick kaum ertragen. Schuldbewusst entfernt er sich von dem Blonden und setzt sich neben ihn. „Tut mir leid…“, murmelt er ihm leise zu und versucht zu verarbeiten, was er gerade gesehen und beinahe getan hat. „Mir tut es auch leid, ich hätte dich nicht anschreien dürfen…“ Die Worte des sonst so fröhlichen Ninjas brechen Raph fast das Herz. Abrupt wendet er sich ihm wieder zu. Überrascht zuckt der Blonde zusammen. „Sag mir, was passiert ist! Wer hat dir das angetan?“, fordert der Führer zu wissen. Michael wendet den Blick ab. „Das – das ist beim Training passiert…“, gibt er wenig überzeugend von sich. Doch der Saikämpfer kennt ihn zu gut, um darauf reinzufallen. Mikey hatte noch nie ein besonderes Talent zum Lügen und besitzt es auch jetzt nicht. „Erzähl keinen Scheiß! Damit du so aussiehst, hätte ich dich höchstpersönlich verdreschen müssen, verdammt noch mal!“, fährt der Ältere ihn an.
 

Nun schwappen die Tränen über. „Ich wollte das alles nicht!“, platzt es ungehalten aus dem Jungen heraus. „Ich wollte nicht, dass sie dir wehtun!“ Wie immer überfordert, wenn sein Bruder zu weinen beginnt, weiß Raph nicht so richtig, was er tun soll. Normalerweise hat Donnie das dann immer geregelt. Er war immer gut in solchen Gefühlsdingen. Doch nun ist er nicht mehr da und Raph muss selbst sehen, wie er damit fertig wird. Ungelenk zieht er den Weinenden in seine Arme. Krampfhaft klammert sich der Blonde an ihm fest. „Ich denke, ich weiß, was dir passiert ist und verstehe nur zu gut, warum du mich so harsch abgewiesen hast. Doch du musst mir jetzt sagen, was los war! Wer hat dir das angetan und was hat das mit mir zu tun?“ Ruckartig löst sich der Orange von ihm und blickt ihn entsetzt an. „Nein! Das kann ich dir nicht sagen! Wenn sie es merken, dann werden sie dir etwas ganz Schlimmes antun…!“ Hysterie liegt in seiner Stimme und er fängt unweigerlich an zu zittern. Dieses Zittern macht Raph überdeutlich klar, wie fest Michael von dem überzeugt ist, was ihm die Kerle erzählt haben. Doch er kann einfach nicht locker lassen.
 

Wer auch immer Hand an ihn gelegt hat, hat es gewagt sein Eigentum zu beschmutzen und hat somit die Höchststrafe verdient! Selbst wenn er Michael nicht als sein Eigentum betrachten würde, wäre diese Tat kein Kavaliersdelikt! Sie leben hier zwar in anderen Zeiten und viele Gesetzte haben ihre Rechtmäßigkeit verloren, aber Vergewaltigung ist und bleibt auch jetzt noch eine schlimme Straftat und muss geahndet werden! „Niemand wird mir etwas tun, nur weil du mir sagst, was passiert ist. Wer auch immer das getan hat, wird hart bestraft werden. Dafür werde ich sorgen! Und wenn die versuchen sollten, mir an den Kragen zu gehen, dann werden sie ihr blaues Wunder erleben. Sie wissen nicht, mit wem sie sich anlegen! Keiner von ihnen hat auch nur ansatzweise die Kraft und Technik, um mich in die Knie zu zwingen, also sag mir, was passiert ist!“ Raphaels Worte kommen mit so viel Überzeugung daher, dass er sie selbst schon beinahe glaubt. Doch tief drinnen weiß er, dass er vielleicht der Stärkste hier ist, aber gegen einen ausgeklügelten Hinterhalt wird ihm das auch nicht unbedingt helfen können.
 

Doch darum geht es gar nicht. Es geht einzig und allein darum, die Täter zu bestrafen, die seinem geliebten Babybruder dies angetan haben. Alles andere ist nebensächlich. Wenn hier irgendjemand ein Problem mit ihm hat, dann soll er das gefälligst mit ihm persönlich regeln und sich nicht an Unschuldigen vergreifen! Mit leichtem Zweifel betrachtet Michael seinen Meister einen endlosen Moment lang. Vielleicht denkt er dabei an dasselbe wie Raph oder er wägt ab, ob es nicht möglicherweise einen anderen Weg gibt, es ihm nicht sagen zu müssen. Schließlich atmet der Junge zitternd ein und aus, wischt sich die Tränen vom Gesicht und beginnt dann langsam und bedächtig zu erzählen, was ihm widerfahren ist. Von Wort zu Wort scheint er verzweifelter zu werden und Raphael kann sich nur zu gut vorstellen, welchen inneren Konflikt der Jüngere austrägt, um überhaupt antworten zu können. Andererseits ist der Saikämpfer von den Ausführungen seines Gegenübers dermaßen schockiert, dass sich alles in ihm verkrampft. Es klingt alles wie aus einem schlechten Film und doch kann er die Wahrheit hinter jedem einzelnen Wort spüren.
 

Wie können drei Männer, denen er bisher immer vertraut hat, nur so schreckliche Dinge tun und solch einen Hass gegen ihn hegen? Vertraut ist vielleicht das falsche Wort, denn er hegt immer Argwohn den Foot-Ninjas gegenüber, aber damit hätte er dennoch niemals gerechnet. Oder vielleicht doch? Immerhin haben schon mal zwei von ihnen versucht, sich Michael unsittlich zu nähern. Doch damals konnte er es verhindern. Nun ist es zu spät. Und nicht zum ersten Mal verflucht er sich, dass die Foot ständig maskiert herumlaufen und so niemand weiß, wer eigentlich vor ihm steht. Die Täter ausfindig zu machen, wird so ein arges Problem, allein ihre Stimmen sind der Anhaltspunkt, den Michael ihm geben kann. Doch der Rothaarige wird nicht eher ruhen, ehe er die Täter nicht gefasst hat und alle hier wissen, dass es ungeschriebene Regeln gibt, die Strafen nach sich ziehen, die niemand erleben möchte! Zudem wird er sich ernsthaft damit auseinander setzten müssen, die Maskierung der Foot entweder zu ändern oder ganz auf sie zu verzichten. Das Versteckspiel hat nun endgültig ein Ende!
 

Die Wut ist dem Rothaarigen deutlich anzusehen, dennoch versucht er sich erst mal zu beruhigen, um dem Jungen die ganze Sache nicht noch unangenehmer zu machen. Tief atmet er durch, dann wendet er sich Michael zu. Beruhigend streicht er ihm über die Wange. „Mach dir keine Gedanken, alles wird wieder gut, Kleiner.“ Mit einem hoffentlich sanften Lächeln versucht er ihn etwas aufzumuntern. Zaghaft erwidert es der Blonde und nickt langsam. „Am besten ruhst du dich jetzt erst mal aus und morgen sehen wir weiter…“ Wieder nickt der Jüngere. Die Müdigkeit ist schon in seine Augen getreten und ersetzt so nach und nach die Traurigkeit. Ungelenk bewegt er sich auf das Kopfende des Bettes zu und krabbelt unter die Decke. Jede seiner Bewegungen ist für Raph ein weiterer Stich ins Herz, wirkte der Junge mit seinem schlanken Körper doch sonst immer so grazil. Nun erinnert er ihn mehr an einen ausgehungerten, geschlagenen Straßenköter, der sich in eine Ecke zurückzieht und auf seinen baldigen Tod wartet. Innerlich seufzt er schwer. Schon lange war ihm nicht mehr so sehr nach Heulen zu mute, wie in diesem Augenblick.
 

*Der Junge macht die Augen zu. Er sieht unglaublich zierlich aus, wie ein Kind, das gerade beginnt, sich von einer schrecklichen Krankheit zu erholen, und jeden Moment einen Rückfall haben kann. Sein Atem zittert noch ganz leicht, dann wird er flacher und Michael schläft ein. Eine ganze Weile noch steht Raphael vor dem Bett und betrachtet seine geschundene Gestalt. In seinem Kopf dominiert einzig und allein der Gedanke, die Täter zu finden und sie mit ihren eigenen Gedärmen zu erhängen. Seine Fantasien dahingehend werden immer ausgefallener und grausamer und dennoch sprechen sie ihn immer mehr an. Ganz hinten in einem verstecken Teil seines Denkens flammt eine ganz leise Stimme auf, die ihm sagt, dass er den Namen Shredder nicht umsonst trägt. Nur allzu gern stimmt er ihr zu. Ja, Shredder ist grausam und dass sollen diese Mistkerle auch zu spüren bekommen! Mit diesem Gedanken legt er sich neben Michael ins Bett und schließt den Jungen fest in seine Arme. Er gehört ihm, ihm allein und niemand wird es mehr wagen, seinem Eigentum zu nahe zu treten!
 

Als der Blonde ein paar Tage später zum Training erscheint, kommt es ihm so vor, als seien weniger Foot-Ninja als sonst anwesend. Allerdings könnte der Schein da auch trügen. Viel auffallender ist aber, dass sie alle unmaskiert sind. Zum ersten Mal kann er all ihre Gesichter sehen und vielen von ihnen scheint es genauso zu gehen, da sie sich alle interessiert und auch etwas unbehaglich mustern. Als weitere Neuerung fällt ihm auf, dass nun die Nachnamen der einzelnen Männer auf ihre Hemden gestickt sind. Diese Änderung wundert Michael noch mehr als ihre nackten Gesichter, denn darauf hätte man auch schon viel früher kommen können. Aber welcher Ninja trägt schon ein Namensschild? Nun wirken sie eher wie Soldaten. Dem Blonden ist es jedoch egal. Doch immerhin können sich die Foot jetzt nicht mehr so leicht verstecken und das hat durchaus etwas Beruhigendes. Allerdings wäre der Nunchakuträger ganz sicher nicht so beruhigt, wenn er wüsste, welch ein Blutbad Raph und Chen letzte Nacht angerichtet haben, um die Täter für ihr Vergehen nachhaltig zu bestrafen…

Hopefully...

Zwei Monate später – Oktober…
 

Die aufgeblähte Sonne verschwindet langsam hinter dem Horizont und die ersten Sterne trauen sich in die aufkeimende Dunkelheit. Die anbrechende Nacht ist noch angenehm, dennoch kann man schon die ersten Vorboten des einsetzenden Herbstes spüren, die die Dunkelheit in wenigen Wochen empfindlich kalt werden lassen werden. Das bisschen Restwärme lockt die Menschen vielleicht zum letzten Mal dieses Jahr zu später Stunde nach draußen. Die Flüchtlinge und die Foot-Ninja versammeln sich auf dem Flachdach des ehemaligen Krankenhauses zu einem gemütlichen Beisammensein. In der Mitte der Dachfläche wurde ein Lagerfeuer entzündet, Decken und Kissen darum verteilt. Die Menschen sitzen am wärmenden Feuer, grillen Gemüse und Fleisch und unterhalten sich angeregt. Selten sieht man sie alle so friedlich vereint, gehen die Flüchtlinge und Ninja doch sonst eher getrennte Wege. Die laue Luft ist erfüllt vom Liebeszirpen der Zikaden und ein paar Eulen rufen ziellos über das Wasser. Dann schlägt einer der Überlebenden eine Gitarre an. Der Ton trägt weit über das stille Land und weckt noch mehr Geselligkeit in den Menschen.
 

Schnell stimmt eine zweite Gitarre in das Solo ein. Wenig später gesellen sich auch Trommeln und Flöten hinzu, sodass eine vollständige Melodie entsteht. Sie weckt in den Menschen ein Stück Normalität, das sie lange Zeit für unmöglich gehalten haben. Freude breitet sich in ihren Herzen aus und beflügelt ihren Geist. Ein paar Mutige versuchen mit einem Lied in die Melodie einzustimmen. Ihr Mut wird prompt belohnt, indem sich ihnen mehrere Stimmen anschließen, die schließlich zu einem ganzen Chor anschwellen. Kinder beginnen zu tanzen und ihre hellen Stimmen erfüllen die Nachtluft wie Glocken einen Frühlingsmorgen. Nichts deutet in diesem Moment daraufhin, was für ein Unglück sie vor über zehn Jahren veranlasst hat, ihr Leben mit all ihren Gewohnheiten aufzugeben und zu heimatlosen Flüchtlingen zu werden. Nichts zeigt den Schmerz ihres Verlustes und die Trauer, die ihre Herzen so lange versteinern ließ. Vielmehr zeigt ihre wiedergefundene Fröhlichkeit, dass sie sich von nichts unterkriegen lassen und immer wieder aufstehen, wenn sie zu Boden gestoßen werden. Eine Eigenschaft, die den Menschen immer wieder davor bewahrt hat, durch seinen eigenen Egoismus und seine eigene Dummheit zu Grunde zu gehen.
 

Dieses Bild des friedlichen Zusammenlebens erweitert sich von Minute zu Minute mehr. Jeder scheint einen Beitrag anzubieten, der von den anderen begeistert aufgenommen wird. Unter die Musik mischen sich Witze und Geschichten und dort am Rand spielen ein paar Männer Karten. Alles wirkt so natürlich und ungetrübt. Mitten unter dem bunten Treiben spielt Michael wieder einmal den Babysitter, zumindest wirkt es so, weil sich der Großteil der Kinder um ihn versammelt hat. Gemeinsam lachen, singen und tanzen sie zwischen den Erwachsenen. Der Blonde wirkt dabei so ausgelassen und fröhlich, dass man kaum glauben kann, welch schlimme Dinge er in der Vergangenheit durchmachen musste. Nach den Geschehnissen von vor zwei Monaten hätte Raph nie für möglich gehalten, dass der Junge so schnell wieder lachen kann. Aber vielleicht versteckt er seinen Schmerz auch nur verdammt gut? Der Führer kann es nicht sagen, doch er ist froh, dass es seinem Geliebten besser zu gehen scheint. Die durch die Tat entstandene Distanz der beiden verringert sich allmehlig wieder, doch es ist fraglich, ob sie einander jemals wieder so nahe sein können wie vorher.
 

Von Raphaels Sicht besteht dort keine Sorge, doch er fürchtet, dass es Michael nicht so leicht fallen wird. Immerhin hat er körperlich und seelisch Schaden erhalten, den niemand ertragen sollte. Er will den Nunchakuträger keinesfalls zu irgendetwas drängen, auch wenn es ihm in so mancher Nacht sehr schwer fällt. Von einem hohen Baum in der Nähe des ehemaligen Krankenhauses aus, beobachtet der Saikämpfer das vergnügte Treiben auf dem Dach. Er selbst beteiligt sich an dergleichen nicht. Einerseits würden sich die Leute wahrscheinlich komisch fühlen und weit weniger ausgelassen sein, wenn sie ständig das Gefühl haben, von ihrem Führer beobachtet zu werden, insbesondere die Foot. Andererseits hat Raph selbst nicht sonderlich Interesse daran dem beizuwohnen. Er hat zwar kein Problem mit einem gemütlichen Lagerfeuer und guten Geschichten oder Musik, aber ohne seine Brüder und seinen Sensei fühlt es sich einfach nicht vollkommen an. Stattdessen stimmt ihn der ganze Anblick eher traurig, melancholisch und macht ihm nur einmal mehr klar, wie sehr er sie alle vermisst, obwohl er sich früher immer seinen Freiraum gewünscht hat.
 

Allerdings beneidet er Michael für seine Fröhlichkeit. Er weiß nicht, dass auch seine Familie nicht mehr da ist und wie nahe ihm doch ihr letzter Überlebender ist. Nicht selten hat sich Raph schon gewünscht aufzuwachen, festzustellen, dass das hier alles nur ein wirklich schrecklicher und geschmackloser Alptraum ist. Oder aufzuwachen und festzustellen, dass auch er, unter welchen Umständen auch immer, sein Gedächtnis verloren hat und seine Familie somit noch irgendwo da draußen existiert und vielleicht nach ihm sucht. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus und wird sich wohl auch nicht ändern. Schwer seufzend lässt Raph sein einsames Auge über das Dach gleiten, schmunzelt deprimiert über den ein oder anderen Unsinn oder summt ein kurzes Stück eines ihm bekannten Liedes mit. Eigentlich müsste er stolz auf sich und das, was er alles erreicht hat, sein. Wenn er zurückdenkt an die Anfangszeit, als das alte Krankenhaus gerade wieder bewohnbar gemacht worden ist, wirkten die wenigen Menschen auf dem Dach so verloren. Jetzt sind es so viele, dass sie sich nächstes Jahr einen anderen Platz für diese kleinen Partys suchen müssen.
 

Raph ist es gelungen eine funktionierende Zivilisation aufzubauen, die sich stetig vermehrt und ihr eigenes Überleben sichert, dennoch fühlt er sich mit jedem Tag einsamer. Seit er seinen kleinen Bruder wiedergefunden hat, hat sich dies zwar grundlegend geändert, dennoch ist es nicht dasselbe, da Michael ja jegliche Erinnerung an ihre so innige, gemeinsame Zeit fehlt. Schon ein paar Mal hat sich der Rothaarige vorgestellt wie es wäre, wenn der Kleine sein Gedächtnis wiedererlangen würde. Doch er kommt zu keinem guten Ergebnis. Einerseits würde sich Mikey sicher sehr freuen seinen Bruder wiederzuhaben, andererseits wäre er zu tiefst entsetzt ihm in Shredders Position wiederzufinden. Und was ist mit ihrer Beziehung? Wäre Mikey ihm immer noch zugetan oder würde er ihn für sein Handeln verachten? Raph vermag es nicht zu sagen. Er allein hat seinen Babybruder sein Leben lang geliebt und sich versucht ihm zu nähern, doch immer ohne, dass der Kleine etwas davon mitbekommen hat. Daher kann er keine Vergleiche aufstellen und nicht abschätzen, ob es für sie beide eine Zukunft auf diese Weise geben kann oder nicht.
 

Erneut lässt er seinen Blick über das Dach schweifen und bläst langsam den Qualm seiner Zigarette in die Nacht hinein. Dann hält er inne und blickt sich suchend um. Bis vor ein paar Augenblicken hatte er Michael noch im Sichtfeld, nun kann er ihn nicht mehr entdecken. Raphael war so in Gedanken, dass er nicht bemerkt hat, wie der Junge verschwunden ist. Für diese Nachlässigkeit könnte er sich selbst ohrfeigen. Aber vielleicht ist er auch einfach nur runter aufs Klo gegangen? Also kein Grund zur Besorgnis. Dennoch macht er sich Vorwürfe und überlegt schon, ob er von dem Baum runtersteigen und nach ihm suchen soll, als er ein Rascheln neben sich vernimmt. Erschrocken blickt er sich um. Dann taucht Michael aus dem dichten Blattwerk auf und lächelt ihn an. Erleichterung überzieht Raph´s Gesicht und er entspannt sich wieder. Geschickt setzt sich der Blonde neben ihn auf den Ast. „Wie hast du mich gefunden?“, fragt der Rothaarige ihn beiläufig, ganz so, als hätte er sich gerade keine Sorgen um ihn gemacht. „Ich hab im Dunkeln deine Zigarette glimmen sehen.“, erklärt der Blonde das Offensichtliche.
 

Dennoch ist es gar nicht so offensichtlich, da sich Raph so auf dem Baum platziert hat, dass die Blätter seine Gestalt verdecken und er nur einen schmalen Schlitz hat, durch den er das Dach mit den Leuten beobachten kann. Es muss also ein ziemlicher Zufall gewesen sein, dass dem Jungen die Glut aufgefallen ist, aber egal. „War ja klar…“, erwidert Raph ausdruckslos. Er will sich keinesfalls anmerken lassen, wie sehr er sich die ganze Zeit den Kopf zerbrochen hat. Das muss er ganz allein mit sich ausmachen, so denkt er. „Schön der Anblick von hier oben…“, bemerkt Michael. „Ja, nur schade, dass sie nicht immer so friedlich sind…“ Der Blonde erwidert darauf nichts, er weiß genau, worauf Raph hinaus will. Einen Moment herrscht Schweigen zwischen den beiden Ninjas. Jeder von ihnen beobachtet stumm das amüsierte Treiben auf dem Dach. Ein kleines Lächeln spielt um Michaels Lippen, doch er wirkt nachdenklich. Raphael blickt stoisch auf die Szenerie und versucht dabei die Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben, die ihn bis zum Eintreffen des Jungen so gefangen hielten. Die Anwesenheit des Blonden macht dies aber nicht gerade leichter.
 

Stattdessen häufen sich immer mehr Sorgen in ihm an, denen er sich nicht stellen kann oder will und das macht ihn wieder wütend. Zermürbt drückt er seine Zigarette auf dem Ast aus und lässt sie lautlos zu Boden fallen. Seine Unruhe bleibt dem Nunchakuträger nicht verborgen. Im Gegenteil, manchmal scheint er sogar das Gefühl zu haben, als wäre es seine bloße Anwesenheit, die seinen Meister in Rage versetzt. Zwar kann er sich nicht vorstellen, warum das so sein könnte, aber es stimmt ihn sehr traurig. Er weiß, dass Raph viele Geheimnisse hat, die er ihm nicht anvertrauen kann oder will, die meisten seiner verstorbenen Familie wegen. Hinzu kommt, dass Michael seinem kleinen Bruder so schrecklich ähnlich sieht, dass es für Raphael jedes Mal eine unglaubliche Überwindung sein muss, ihn überhaupt nur anzusehen. Eine grausame Vorstellung. Vor einer ganzen Weile hat sich Michael schon mal gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn sie sich damals nicht begegnet wären. Dann müsste Raph jetzt nicht so mit sich kämpfen. Doch dann haben sie innig zueinander gefunden und er hat diesen Gedanken verdrängt.
 

Wenn er den Rothaarigen jetzt jedoch so betrachtet, kommt ihm dieser Gedanke wieder. Hach, alles wäre so viel einfacher, wenn er sich nur an etwas erinnern könnte. Doch in seinem Kopf herrscht gähnende Leere und einfach nichts will ihm einfallen. Es macht ihn ganz verrückt. Mehr als einmal hat er schon mit dem Tierarzt darüber geredet, ob es nicht einen Weg gibt, seinem Gedächtnis wieder auf die Sprünge zu helfen. Dieser konnte ihn leider nur immer wieder vertrösten. Es gibt keine Möglichkeit, das Ganze irgendwie zu beschleunigen, falls er sein Gedächtnis überhaupt jemals wiedererlangt. Immerhin hat er ihn ein bisschen vertröstet und gemeint, dass es auch ganz plötzlich passieren kann, wenn er auf etwas Bekanntes stößt und so eine Tür in seinem Kopf geöffnet wird, die bis dahin versperrt war. Was dieses Bekannte sein könnte, konnte er ihm aber nicht sagen. Es könnten Gegenstände oder Personen sein, irgendeine Geste, manchmal sogar ein bekannter Geruch, der eine schöne Erinnerung auslöst. Doch wie soll er das hier finden? Im Grunde ist ihm hier alles fremd. So wird er es wahrscheinlich nie schaffen, sich an etwas zu erinnern.
 

Seufzend stößt der Blonde die Luft aus. Aus dem Augenwinkel mustert Raph ihn. Etwas geht Michael durch den Kopf, doch was mag das sein? „Hey, woran denkst du?“, unterbricht der Saikämpfer somit die Stille. „Ich – hab mich nur gerade gefragt, ob ich mich jemals an das erinnern werde, was vor dem hier war. Oder wenigstens an meinen richtigen Namen…“, mit traurigen Augen blickt er seinen Meister an. „Weiß du, mein Sensei hat immer gesagt, man soll das Vergangene vergangen sein lassen und sich nur auf das Hier und Jetzt konzentrieren, da man ja nicht weiß, was die Zukunft für einen bereithält…“ Raphaels Worte klingen ebenso traurig wie Michaels, dennoch glänzt in seinem einsamen Auge eine undurchdringbare Entschlossenheit. „Das ist wirklich gut, aber auch verdammt schwer.“, erwidert der Jüngere. Raphael gibt ein angewidertes Schnauben von sich. „Früher dachte ich auch immer, dass das ein echt guter Spruch ist, aber mittlerweile weiß ich wie bescheuert er ist und das so was gar nicht geht. Ich kann zwar jetzt leben und mir keine Gedanken um Morgen machen, doch was geschehen ist, kann ich niemals vergessen. Vielleicht nur für einen kurzen Augenblick und dann schlägt es wieder auf mich ein…“
 

„Bei dem, was du alles durchgemacht hast, kann ich das gut verstehen. Doch ich kann mich ja nicht daran erinnern, was war…“ Tief sehen sie einander in die Augen. „Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass du vielleicht etwas so Schreckliches erlebt hast, dass dein Hirn sich absichtlich weigert, sich daran zu erinnern, weil es dich zugrunde richten könnte?“, die Ernsthaftigkeit in Raphaels Worten ist nahezu beängstigend. Unweigerlich zuckt der Junge neben ihm leicht zusammen. „Nein – ich glaub, auf den Gedanken bin ich noch nicht gekommen. Allerdings würde das vielleicht einiges erklären. Trotzdem wüsste ich gern, was vorher war und wer ich eigentlich bin.“ „Das glaub ich dir gern, doch dabei kann dir wohl niemand helfen, als du selbst.“ Für diese selten miese Lüge könnte sich Raph augenblicklich ohrfeigen. Immerhin weiß er, wer der Junge neben ihm ist und was alles vorher war, aber seine eigenen Bedenken hindern ihn daran, es ihm zu sagen und das wird sich auch nicht ändern, so gern er ihm auch helfen wollen würde. „Vielleicht solltest du einfach nicht so viel darüber nachdenken. Damit überforderst du dich nur. Was auch immer es ist, dass dich am Erinnern hindert, braucht Zeit, um zu Heilen.“
 

„Ja, das hat der Tierarzt auch gesagt und wahrscheinlich ist das auch die beste Lösung, dennoch ist es schwer.“, aber Michael versucht schon wieder zu lächeln. Erneut gibt Raph ein Schnaufen von sich. Immerhin ist es für ihn mindestens genauso schwer. „Vielleicht sollten wir damit aufhören und an etwas anderes denken, nur für heute Abend.“, schlägt er dennoch vor und Michael nickt zustimmend. Langsam rückt der Junge etwas näher an seinen Meister heran und legt seinen Kopf auf dessen Schulter. Etwas überrascht nimmt Raph das Ganze zur Kenntnis. Dann legt er dem Blonden den Arm um die Schulter und zieht ihn noch etwas enger an sich. Eine angenehme Wärme breitet sich zwischen ihnen aus und lässt sie verträumt an die Zeit denken, als noch keine unsichtbare Mauer der Sorge sie davon abgehalten hat, sich nahe zu sein. „Denkst du, es wird je wieder so wie früher?“, fragt der Nunchakuträger leise. „Irgendwann bestimmt, aber das wird wohl noch ein oder zwei Generationen dauern, bis alles wieder hergerichtet ist…“ Irritiert legt der Jüngere die Stirn in Falten und sieht seinen Partner verwirrt an.
 

„Das ist mir schon klar, aber ich meinte zwischen uns…“ Nun ist es Raphael, der die Stirn runzelt. „Ach so. – Tja, das ist schwer zu sagen. Ich hab nichts dagegen, dass wieder alles so wird wie früher. Doch ich weiß nicht, wie gut du damit zurechtkommst. – Ich will dir ja nicht wehtun oder dergleichen…“, Sorge schwingt in seiner Stimme mit. „Ich fände es auch schön, wenn es wieder so wäre. Aber ich kann nicht sagen, ob meine Reaktion positiv oder negativ gestimmt ist. Doch ich denke, das werden wir nur herausfinden, wenn wir es versuchen.“ Als der Saikämpfer ihm in die Augen blickt, erkennt er eine altbekannte Neugierde und eine regelrechte Sturheit. Sie geben all die Ehrlichkeit und den tiefen Wunsch nach Nähe wieder, den Raph solange vermisst hat. Das Lächeln des Jungen verstärkt dieses Gefühl nur noch mehr und der Saikämpfer ist sich sicher, dass Michael über das Gröbste hinweg ist und so schnell nicht ‚nein‘ zu ihm sagen wird. Wie um seine Gedanken zu bestätigen, näher sich ihm der Nunchakuträger, bis sich ihre Nasenspitzen fast berühren. Ganz sanft haucht er dem Älteren einen Kuss auf die Lippen. Aber wenn schon, dann bitte richtig, geht es Raphael durch den Kopf.
 

Bestimmend zieht er den Chaosninja enger zu sich heran und verwickelt ihn in einen tiefen Kuss, der all seine Sehnsucht und Begierde widerspiegelt. Etwas überrascht zuckt Michael zusammen, doch er trennt sich nicht von ihm. Im Gegenteil, er legt dem Rothaarigen die Finger um den Nacken und erwidert das wilde Spiel mit dem gleichen Hunger, der ihm entgegengebracht wird. Der einstige Hamato kann sein Glück kaum fassen und würde am liebsten auf ewig so verweilen. Allerdings hat die Natur sich zur Tragik aller dafür entschlossen, dass der Mensch doch ab und an mal Luft holen muss. Die beiden zögern diese lästige Notwendigkeit so lange hinaus wie es nur geht und blicken sich dann schwer atmend in die Augen. „Das hat mir echt gefehlt…“, presst Michael keuchend hervor. „Ja, mir auch…“, erwidert Raph nicht minder aus der Puste. Ein Lächeln huscht über ihre Gesichter und scheint dabei wie eine stumme Verabredung zu wirken. Ohne ein weiteres Wort, klettern die beiden Ninjas von dem Baum hinunter und machen sich auf den Weg zur Nachbarinsel. Dort erwartet sie ein großes Bett, das lange in Einsamkeit schwelgen musste. Doch nicht heute Nacht.
 

Nein, heute Nacht wird es erfüllt sein von der brennenden Leidenschaft zweier Liebender, die sich wiedergefunden haben. Die ihre heißen Körper taktvoll aneinander reiben, ihre Herzen im gleichen Rhythmus pochen, ihre Lippen nichts weiter kennen, als den Namen ihres Partners und ihre Augen, die nichts weiter sehen, als die endlose Schönheit ihrer flammenden Liebe zueinander. Gefangen in der endlosen Zeit dieses einen Augenblicks, der doch ihre ganze Zukunft bestimmt, die sie nie wieder ohne den anderen bestreiten möchten und doch kann niemand sagen, was sie noch alles erwarten wird. Ungeachtet dessen machen sie einfach weiter. Derweil befindet sich eine kleine Gruppe von Menschen im Aufbruch. Sie verlassen den Ort, der sie über zehn Jahre beheimatet hat und den sie halfen wieder aufzubauen. Nun können die Menschen dort selbst für sich sorgen und die kleine Gruppe kann sich endlich ruhigen Gewissens auf den Weg in ihre alte Heimat machen. Ihre Reise wird noch einige Monate dauern und ein harter Winter steht ihnen bevor. Dennoch fühlen sie sich stark und bereit und die Sehnsucht nach etwas Vertrautem, die sie all die lange Zeit unterdrücken müssten, übernimmt all ihr Denken, selbst wenn das Vertraute nur noch aus Trümmern besteht.
 

All die vielen Monate und Jahre, die seit dem Ende des Krieges vergangen sind, haben sie nie ruhen lassen. Sie wissen nicht, was sie in den einstigen USA erwarten wird, wenn sie es erreichen, wissen nichts von den Trümmern, die einst ihre Existenz darstellen. Doch sie wissen, dass ihre Herzen nie die Suche nach denen aufgegeben haben, die damals so schmerzvoll von ihnen gerissen wurden. Ihr einziger Glaube besteht darin, sie lebend zu finden und wieder eine Familie zu werden. Das sie dennoch tot sein könnten, wie man es von ihnen selbst denkt, daran wollen sie keinen einzigen Gedanken verschwenden, dennoch sind sie sich dieser Tatsache mehr als bewusst. Aber die Hoffnung in ihnen ist stärker, als es jemals eine Waffe sein könnte!

A Christmas story...

Zwei Monate später – Dezember…
 

Eis und Schnee haben das verwüstete Land fest im Griff und zwingen die Überlebenden des Krieges ihre Zeit tief unter der Erde in dem schützenden Bunker oder hinter den dicken Mauern des Krankenhauses zu verbringen. Dennoch ist die Stimmung unter den Leuten keineswegs getrübt. Eine Art ausgelassene Vorfreude liegt in der Luft und stimmt die Menschen langsam auf die bevorstehende Weihnacht ein. Trotz der Tatsache, dass lange Zeit Krieg geherrscht und viele alles verloren haben, gab es immer Leute, die sich die Mühe gemacht haben, die verstreichende Zeit festzuhalten und so einen Überblick über alle Geschehnisse für die Nachwelt zu haben. Also ging auch nie verloren, welche wichtigen Feiertage wann stattfanden. So hatten die Überlebenden immer noch etwas, woran sie sich festhalten konnten und was ihnen kurzzeitig ein Stück Normalität vermittelt hat. Doch nicht jeder sieht dem freudig entgegen. Raphael würde am liebsten jeden Tag aus dieser Welt verbannen, der seit dem Tod seiner Familie verstrichen ist. Er hat sich nie die Mühe gemacht, herauszufinden, welches Datum herrscht und wenn es ihm jemand gesagt hat, hat er es schnell wieder verdrängt.
 

Es hat ihn nur daran erinnert, wie lange er seine Familie schon so schmerzlich vermisst und dass es keinen Tag gibt, der es besser machen wird. Feiertage, ganz besonders Weihnachten, machen dieses Gefühl der Einsamkeit nur noch schlimmer und daher hat er es sich schnell zur Aufgabe gemacht, solche Tage regelrecht zu hassen und zu ignorieren. Die Menschen um ihn herum sind natürlich nicht der Meinung, sich solche Tage vermiesen zu lassen nur, weil ihr Führer etwas dagegen hat. Das Ganze sorgt zumeist für erhebliche Spannungen zwischen den Leuten und Raph. Jahr für Jahr die gleichen Diskussionen und keine der beiden Seiten will nachgeben. Als vor wenigen Tagen der erste Schnee dieses Jahres eingesetzt hat, fiel Raphaels Stimmung mindestens genauso schnell wie die nächtlichen Temperaturen und das wird sich wohl auch erst ändern, wenn sich der Winter wieder verabschiedet. Vielleicht kennt er nicht das heutige Datum, doch er weiß, dass es nur noch wenige Tage bis Weihnachten sein können. Zu vieles deutet daraufhin. Die ausgelassene Stimmung der Menschen, zaghafte Dekoration an einigen Stellen, das Anstimmen wohlbekannter Melodien, der Duft von Plätzchen…
 

Das alles macht den Saikämpfer vollkommen wahnsinnig. Mit finsterer Miene stapft er den Flur entlang und versucht all das systematisch zu ignorieren. Ein Knurren nach dem anderen entkommt seiner Kehle, doch das macht es nicht viel besser, aber zumindest hält es die Weihnachtsbegeisterten auf Abstand. Die Meisten wissen ganz genau, was Raph davon hält und bleiben ihm so gut es geht fern, doch eben nicht alle. Michael ist bis jetzt noch nicht wirklich aufgefallen, dass Raph scheinbar ein Problem mit Weihnachten hat, da der Rote ja sehr oft aus den merkwürdigsten Gründen schlechte Laune schiebt. Doch der Blonde freut sich riesig auf die Festtage und versucht jedermann mit seiner guten Laune anzustecken. Und vielleicht besteht ja doch so etwas wie Hoffnung, dass er seinem Meister ein Lächeln untern Weihnachtsbaum entlocken kann? Nach dem Training macht sich der Nunchakuträger auch sogleich daran, seine Gedanken umzusetzen. Er hilft den Frauen und Kindern beim Dekorieren des Krankenhauses, während die Männer in den Trümmern New Yorks auf der Suche nach einem Baum sind.
 

Nichts ahnend von alledem fragt sich Raphael allerdings, wo sich der Bengel rumtreibt. Auf dem Flur begegnet er Chen. Der Japaner war bis eben noch ganz ausgelassen in Gedanken an Weihnachten, doch als er seinen Führer und dessen Laune erblickt, verschwindet seine Vorfreude ganz schnell in einer dunklen Kammer seines Kopfes. Dennoch mustert der Saikämpfer ihn ernst, wohlwissend das Chens Gedanken gerade bei diesem verhassten Festtag waren. „Wo steckt Michael?“, fragt er geradewegs heraus. Chen ahnt schon, dass es wohlmöglich ein Unglück geben wird, wenn er es ihm sagt, doch was bleibt ihm schon anderes übrig? Lügen würde nicht sonderlich gut klappen, Raph durchschaut vieles ziemlich schnell und Chen ist ein ganz furchtbarer Lügner. „Oh, ich glaube, er ist drüben und hilft den Frauen bei etwas…“, erwidert er daher kurz angebunden. Argwöhnisch mustert Raphael ihn ein weiteres Mal mit seinem einsamen, steckend gelbgrünen Auge. „Das hab ich mir schon fast gedacht und wahrscheinlich weiß du auch, was er dort treibt, nicht wahr?“ „Ja, schon, aber die Antwort würde Euch nicht gefallen…“
 

„Das hab ich mir auch schon gedacht. Aber das ist ja nicht dein Problem, denn mir gefällt rein gar nichts daran…“ Mit diesen Worten schiebt sich der Rote an ihm vorbei und setzt missmutig seinen Weg fort. Chen blickt ihm noch eine Weile hinterher und hofft, dass er nicht wieder so ein Theater abzieht wie letztes Jahr, wo er allen versucht hat das Weihnachtsfest zu verbieten, als sei er Ebenezer Scrooge höchstpersönlich. Wegen seiner Launen haben sich die Leute immerhin schon dazu entschlossen, all die Festlichkeiten nur auf North Brother Island abzuhalten, damit Raph sie nicht sehen muss. Aber der eigenwillige Hitzkopf lässt sich ja nicht lumpen, dort rüber zu gehen und auch da Stunk zu machen. Und die Tatsache, dass Michael sich in dem bunten Treiben aufhält, wird dies garantiert noch begünstigen. Aber selbst Scrooge hat am Ende eingesehen, dass Weihnachten etwas Schönes ist. Vielleicht bekommt Raphael ja auch Besuch von einem Geist, der ihn auf den rechten Weg zurückbringt, ein Geist in Form eines fröhlichen, blonden Jungen? Zu wünschen wäre es ihm und allen anderen hier auf jeden Fall.
 

Ein mitleidiges Lächeln huscht über Chens Gesicht, dann macht er sich wieder auf den Weg zum Trainingsraum, um Vorbereitungen für den morgigen Tag zu treffen. Raphael hingegen durchquert den unterirdischen Tunnel, der die beiden Inseln miteinander verbindet. Seine Laune scheint mit jedem Schritt schlechter zu werden. Nur zu gut kann er sich vorstellen, dass Michael Freude an dem Gedanken hat, Weihnachten zu feiern. Vor gefühlten Jahrhunderten war es auch einst Mikey´s liebster Tag im Jahr. Er hat alles gemacht, was man sich nur vorstellen kann. Tonnenweise Plätzchen gebacken, das ganze Haus geschmückt, ein Weihnachtslied nach dem anderen ertönen lassen. Der Tannenbaum war so mit Schmuck überladen, dass er jedes Showgirl in Las Vegas ausgestochen hätte und es ein Wunder war, dass er nicht unter der Last zusammengebrochen ist. Alles Dinge, über die Raph stets den Kopf geschüttelt hat. Zwar mochte er Weihnachten damals auch sehr gern, doch war er der Ansicht, dass sein kleiner Bruder doch etwas übertreibt. Aber ein Blick in seine leuchtenden, blauen Augen, das strahlende Lächeln und seine aufgeregt geröteten Wangen haben den Saikämpfer stets davon überzeugt, dass es richtig ist und es nichts Schöneres geben könnte.
 

Doch diese Gedanken sind mit seinem Bruder gestorben und so auch die Freude an Weihnachten. Allerdings ist sein Bruder genauso wenig tot wie das Christenfest. Allein die Erinnerung fehlt dem Nunchakuträger, was seine Freude aber dennoch nicht schmälert. Wenn Raph ihm jetzt ins Gesicht sieht, erblickt er wieder seinen geliebten Babybruder, sieht das unglaubliche Glück und die familiäre Wärme, die er immer empfunden hat und genau dies triebt ihn in den Wahnsinn. Nichts ist mehr so wie früher, auch wenn Michael eigentlich sein Bruder ist. Wie könnte sich Raph also über diesen Tag freuen, wenn es ihm nur allzu deutlich macht, dass der wichtigste Mensch in seinem Leben zwar neben ihm steht, sich jedoch nicht daran erinnern kann? Nicht zum ersten Mal kommt ihm daher der Gedanke, dass es besser gewesen wäre, wenn Mikey damals wirklich gestorben und ihnen beiden somit einiges an Leid erspart hätte. Mit der geballten Faust schlägt er sich hart gegen die Stirn. So etwas sollte er nicht denken! Es gibt nichts Schöneres, als die Tatsache, dass sein Bruder noch lebt, könnte er sich doch nur endlich an etwas erinnern. Was würde Raph alles dafür geben.
 

Aber jeder Tag, der verstreicht, macht ihm klar, dass sich der Nunchakuträger wahrscheinlich nie wieder an etwas erinnern wird und er sich damit abfinden muss nur die leere Hülle seines Bruders vor sich zu haben und den Geist eines anderen. Seufzend steigt der Führer durch die Luke und steht dann vor dem ehemaligen Krankenhaus. Die einstigen Flüchtlinge haben ganze Arbeit geleistet. Das gesamte Gebäude ist in Girlanden eingewickelt, die aus verschiedenfarbigen Stoffstreifen gemacht wurden. An diesen Girlanden hängen unterschiedliche Kugeln, Sterne, kleine Päckchen und allerhand mehr, was die Kinder liebevoll zusammengebastelt haben. Die Fensterbänke sind mit Tannenzweigen dekoriert, in denen Kerzen und selbstgemachte Zuckerstangen stecken. Neben dem Eingang steht ein gezimmerter Schlitten, in dem eine Schaufensterpuppe als Weihnachtsmann verkleidet sitzt. Vor den Schlitten sind Rentiere aus dicker Pappe gespannt und das Vorderste trägt die verräterisch rote Nase des wohl bekanntesten von ihnen. Im Schlitten selbst thront ein großer Sack, aus dem liebevoll verpackte Geschenke herausschauen.
 

Etwas entfernt, auf der anderen Seite steht etwas, dass ungeschickte Hände versucht haben zu schnitzen und was sich als Krippenszene präsentieren möchte. Etliches ist falsch oder einfach dazu gedichtet, dennoch erkennt man die Mühe und Liebe, die der Macher darin investiert hat. Aus der großen Küche duftet es nach Keksen und weihnachtlichen Gewürzen, alles umrahmt vom Duft der Tannenzweige und des Schnees. Mit offenem Mund betrachtet der einstige Hamato das Ganze. Es zerreißt ihm fast das Herz, so sehr erinnert es ihn an sein Zuhause und eine längst vergangene Zeit. Dumpf spürt er heiße Tränen hinter seinen Augen brennen. Doch er vertreibt sie mit der Wut, die in ihm hochkocht. Schon immer hatte er etwas leicht Egoistisches an sich, doch in diesem Moment ist er mal wieder der Meinung, dass niemand eine solche Freude empfinden darf, solange er sie nicht genießen kann. Vor endlosen Jahren hat Splinter stets versucht, ihm solche Gedanken abzugewöhnen und sich stattdessen für andere zu freuen. Aber seit sein Vater und Meister nicht mehr da ist, kriegt er vieles einfach nicht mehr auf die Reihe und lässt sich oftmals blind von seiner Wut leiten.
 

Zähneknirschend steht er mit geballten Fäusten vor dem Krankenhaus und verflucht stumm die ganze Welt für sein Leid. Dann reißt ihn eine helle Stimme aus seinen Gedanken. „Meister!“ Als er sich umblickt, sieht er Michael auf ihn zukommen. Lächelnd winkt der Junge und knabbert an einem Keks. Am liebsten würde Raph ihm das Gebäck aus der Hand reißen und auf dem Boden zerstampfen, doch er widersteht dem Drang gerade noch so. „Da bist du ja. Ich hab schon überall nach dir gesucht.“, fährt er den Jungen stattdessen an. Schuldbewusst senkt dieser einen Moment den Kopf. „Es tut mir leid. Was gibt es denn?“ „Jede Menge zu tun, daher versteh ich nicht, wie du deine Zeit mit diesem sinnlosen Mist vergeuden kannst!“ Die Strenge in Raphaels Stimme ist zum Greifen nahe und zum ersten Mal merkt der Blonde, dass sein Meister eine gewisse Abneigung gegen Weihnachten zu haben scheint. Dennoch macht ihn die Kälte in seiner Stimme für einen Augenblick sprachlos. Dabei kann Raph sehen, wie etwas in dem Jungen zu zerbrechen scheint und sich seine ausgelassene Stimmung damit verabschiedet.
 

„Verzeih mir, Meister. Es kommt nicht wieder vor. Ich werde mich sofort an die Arbeit machen…“, die Traurigkeit in der Stimme des Kleineren ist nun mindestens genauso greifbar, wie die Strenge zuvor in Raph´s. Mit hängenden Schultern und gesenktem Blick trottet der Junge an ihm vorbei, Richtung Lucke und verschwindet dann schließlich darin. Eine Weile sieht der Saikämpfer ihm noch nach, dann wirft er einen verächtlichen Blick auf das Krankenhaus und rümpft angewidert die Nase, ehe auch er zurück auf seine Insel geht.
 

Ein paar Tage später…
 

Nun ist es passiert, es ist tatsächlich Heiligabend und die freudige Stimmung unter den Leuten steht auf ihrem Höhepunkt. Raphaels Laune aber ist an ihrem Tiefpunkt angelangt. Seit zwei Tagen hat er sein Zimmer nicht mehr verlassen, sitzt nur grummelnd an seinem Schreibtisch und betrachtet gedankenverloren die wenigen Fotos, die ihm von seiner einstigen Familie geblieben sind. Nicht selten hat er in diesen beiden Tagen auch geweint oder mit den blanken Fäusten auf die Tischplatte geschlagen. Verzweiflung wechselte zu Trauer, zu Einsamkeit, zu Wut, zu Verachtung und wurde schließlich wieder zu Verzweiflung. Als die Welt noch in Ordnung war, hat er oft gehört, dass die meisten Selbstmorde in der Weihnachtszeit stattfinden. Wirklich verstanden hat er es damals nicht. Jetzt kann er diese Ansicht nur zu gut nachvollziehen. In den letzten zwölf Jahren hat er sehr oft mit diesem Gedanken gespielt, sich selbst zu erlösen und all seinem Leid ein Ende zu setzen. Warum er es nicht getan hat, weiß er selbst nicht so genau. Irgendwie kam im letzten Augenblick immer etwas dazwischen, dass ihm neuen Mut gemacht hat. Letztendlich war es Michael selbst, der alles verändert hat und ihm die verlorene Hoffnung zurückbrachte.
 

Manchmal hat Raph sogar das Gefühl, dass der Junge ohne Erinnerung alles ist, was ihn überhaupt noch am Leben hält und gleichzeitig könnte er ihn dafür verfluchen. Den Tränen nahe wirft er die Bilder seiner Familie auf die Tischplatte und schlägt die Hände vors Gesicht. Er will nicht wieder weinen, doch eine Wahl hat er nicht wirklich. Eine einzelne Träne rinnt seine Wange hinab, als es zaghaft an seine Tür klopft. Erschrocken fährt der Führer zusammen und wischt sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Er räuspert sich krampfhaft und holt tief Luft. „Herein!“ Langsam öffnet sich die schwere Stahltür und Michael tritt ein. Einem Reflex gleich, klaubt Raph alle Fotos auf dem Tisch zusammen und schiebt sie dann in eine Schublade. Ihm ist bewusst, dass der Junge es gesehen hat, erst recht, da Michael nun schaut, als würde er sich für seinen Besuch schämen. „Ähm, wenn es unpassend ist, kann ich auch später…“, setzt er an, ehe Raph ihn unterbricht. „Was willst du?“, fragt der Rote grob. Sein Blick fällt auf eine kleine Schachtel, die der Junge beinahe panisch umklammert. Raphaels Blick verfinstert sich.
 

Michael schluckt schwer. „Ich denke, es ist doch besser, wenn ich…“, versucht er es erneut. „Nein, du bleibst hier und sagst mir, was los ist!“, kontert Raphael streng. Leicht zuckt der Junge zusammen und tritt dann ein paar Schritte näher. „Ich wollte dir eigentlich nur das hier geben…“, bringt er mit der Andeutung eines Lächelns hervor. Mit gerümpfter Nase betrachtet Raphael die Schachtel erneut. „Na schön, leg es auf den Tisch und dann verschwinde!“, grummelt er. Wieder scheint etwas in Michaels Blick zu zerbrechen. Seine Augen beginnen verräterisch zu glänzen und er beißt sich auf die Unterlippe. Dann tritt er schnell näher und legt die Schachtel auf den Tisch. Ohne ein weiteres Wort wendet sich der Junge wieder um und verlässt das Zimmer. Hastig läuft Michael den Flur entlang, während ihm Tränen über die heißen Wangen rinnen. Derweilen betrachtet Raph argwöhnisch die Schachtel. Er kann sich vorstellen, dass es ein Weihnachtsgeschenk von Michael ist und dass er dem Jungen vermutlich das Herz gebrochen hat, als er ihn eben so angefahren hat. Doch er kann nichts dafür. Michael weiß nicht, wie es in ihm aussieht und was er gerade durchmacht.
 

Dennoch tut es Raph weh, ihn so verletzt zu haben. Er hat es doch nur gut gemeint. Schwer seufzend zieht er die Schachtel zu sich heran und betrachtet sie, unsicher, ob er sie überhaupt öffnen soll. Langsam dreht er sie in seinen Händen und denkt nach. Schließlich legt er sie wieder hin und sieht sie zornig an. Schmollend wendet er sich ab und kramt wieder die Fotos aus der Schublade hervor. Gedankenverloren betrachtet er die Bilder eins nach dem anderen. Allerdings wandert sein Blick immer wieder zu der Schachtel zurück. Er weiß nicht wieso, doch sie macht ihn verrückt. Was immer darin ist, er will es nicht haben, ganz egal wie viel Mühe sich Michael damit auch gegeben hat. Nichts kann seinen Schmerz lindern. Genervt knurrt er die Schachtel an und versucht sich wieder auf die Fotos zu konzentrieren. Es klappt ein paar Momente, dann wandert sein Blick zurück. Wütend schlägt er sie Fäuste auf den Tisch. „Verdammt!“, grummelt er und fegt die Schachtel mit der Handkante vom Tisch. Er denkt, sie würde auf dem Bett landen und dass er sich dann später mit ihr befassen kann, doch Fehlanzeige.
 

Klappernd landet sie stattdessen vor dem Bett auf dem Boden und der Deckel springt ab. Darin sieht er etwas, das Michael mit einem roten Seidenpapier umwickelt hat. Dennoch lugt eine Ecke hervor. Es sieht aus wie ein Bilderrahmen. Sein Auge weitet sich und er blickt für einen Moment auf die Fotos auf seinem Tisch hinab. Dann steht er auf und geht langsam zu der Schachtel hinüber. Raph sinkt auf ein Knie und hebt den Bilderrahmen auf. Mit pochendem Herzen zieht er vorsichtig das rote Seidenpapier zur Seite. Es ist tatsächlich ein Bilderrahmen und wie es scheint, hat Michael ihn selbst geschnitzt. In das helle Holz hat er zarte Ranken und Blätter geritzt und das Ganze dann mit einer dunklen Lasur überzogen. Zart gleiten Raph´s Finger über die feinen Muster. Schon damals war Mikey für sein künstlerisches Geschick bekannt. Man würde ihm so was eigentlich gar nicht zutrauen, da er sonst immer so ungeschickt und konzentrationslos wirkt. Aber in ihm steckt weit mehr, als man denkt. Noch gut kann sich Raphael erinnern, wie sein Bruder den Shellraiser angemalt hat. Ein echtes Kunstwerk, das jetzt leider in den Tiefen des Bunkers verrostet und wohl nie wieder das Tageslicht sehen wird…
 

Dann legt Raphael das Bild unter dem Seidenpapier frei und ihm stockt der Atem. Bei dem Bild handelt es sich um ein Foto, das Chen vor ein paar Monaten gemacht hat. Damals haben er, Raph und Michael zusammen um ein Lagerfeuer gesessen und sich ausgelassen unterhalten. Auf dem Foto jetzt sind der Blonde und Raph zu sehen, wie sie dicht nebeneinandersitzen und der Kamera mit ihrer Limonade zuprosten. Im Vordergrund das knisternde Feuer, das wilde Schatten auf ihre Gesichter zaubert. Über dem Feuer sieht man ein paar Stöcker, an denen sie Knüppelbrot und eine Art Marshmallows gegrillt haben. Im Hintergrund kann man den East River im Mondschein glitzern sehen und der Vollmond, der über ihren Köpfen thront wie ein großer Scheinwerfer. In ihren Gesichtern spiegelt sich die ausgelassene Stimmung dieses Abends wieder. Ein seltener Moment, in dem man Raph in Gegenwart anderer lächeln sieht, festgehalten für die Ewigkeit. An diesem Abend hat der Rote nicht verstanden, warum zum Teufel Chen eine Kamera dabeihatte und sie fotografierte, doch nun kann er sich vorstellen, dass Michael das Ganze wohl schon lange geplant hat.
 

Mit fast schon zitternden Beinen erhebt sich Raphael und geht zu seinem Stuhl zurück. Schwerfällig lässt er sich darauf fallen und wühlt die alten Fotos durch. Schließlich findet er, was sein überforderter Geist gesucht hat. Das Foto zeigt ihn mit seiner Familie vor einem Lagerfeuer in einer Vollmondnacht im Sommer. Auch damals haben sie Marshmallows und sogar Würstchen gegrillt. Gemeinsam haben sie mit ihren Getränken lachend der Kamera zugeprostet, die per Selbstauslöser das Bild gemacht hat, sodass sogar Splinter drauf zu sehen ist. Das Bild, das er nun von Michael bekommen hat, sieht aus, als hätte man es aus dem alten Foto ausgeschnitten und vergrößert, sodass nur er und Raph darauf zu sehen sind. Den einzigen Unterschied darauf macht Raph selbst, da er inzwischen viel älter geworden ist, Michael aber immer noch fast so aussieht wie damals. Je länger er die beiden Bilder betrachtet, desto mehr bekommt er das Gefühl, dass er derjenige ist, der fehl am Platz darauf ist, da sich außer ihm so gut wie nichts verändert zu haben scheint. Und irgendwie stimmt das auch. In all der Zeit hat er sich verändert und das nicht unbedingt zum Guten.
 

Er ist jetzt Shredder, der Inbegriff dessen, was er nie sein wollte. Doch er kann es jetzt nicht mehr ändern. Allerdings kann er etwas Anderes ändern und zwar seine Einstellung Weihnachten gegenüber! Fahrig wischt er die Fotos zurück in die Schublade und stellt anschließend Michaels Geschenk auf seinen Nachttisch. Wie konnte er all die Jahre nur so blind sein? Er hat versucht etwas zu verdrängen, das dennoch immer da sein wird und dem er sich vielleicht verschließen, aber es nicht abschaffen kann. Weihnachten ist ein Fest der Liebe und der Familie. Seine Familie mag vielleicht nicht mehr da sein und Mikey sich nicht mehr an ihn erinnern, aber die Liebe, die sie beide teilen, ist dennoch vorhanden und sie ist es in jedem Fall wert, dass man an sie denkt! Mit diesem Gedanken macht sich Raphael auf den Weg zu Michaels Zimmer. Dort angekommen, reißt er einfach die Tür auf, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, anzuklopfen. Da ist es auch kein Wunder, dass der Blonde sich erschreckt. Mit nassen Wangen und tellergroßen Augen blickt er den Eindringling an und ist mehr als erstaunt, dort seinen Meister zu sehen.
 

Schnellen Schrittes ist der Rote bei ihm und zieht ihn in seine Arme. Etwas überfordert lässt Michael es geschehen. Dann sieht Raph ihm fest ins Gesicht. Sein einsames Auge glänzt verräterisch, doch noch fließen keine Tränen. „Danke für dein Geschenk, Michael. – Es hat mich wieder wachgerüttelt und mir klargemacht, was für ein Idiot ich die ganze Zeit war. – Alles, was ich brauche bist du und es bringt mir nichts der Vergangenheit nachzutrauern, wenn das Wichtigste auf der Welt doch direkt vor mir sitzt! – Es tut mir leid, dass du immer wieder meine Launen ertragen musst, doch ich verspreche dir, dass ich versuche mich zu ändern…“ Während seiner Ansprache brechen dann doch die Dämme und Michael sieht voller Erstaunen wie sein sonst so starker Meister in Tränen ausbricht und seine Stimme zu zittern beginnt. „Schon alles vergessen, Raph!“, verkündet der Kleine, während ihm selbst wieder die Tränen kommen. „Frohe Weihnachten!“, kommt es dem Roten über die Lippen, ehe er den Jungen zu sich heranzieht und in einem innigen Kuss mit ihm versinkt.

Unexpected meeting...

Zwei Monate später – Februar…
 

Der lange, harte Winter löst langsam seinen Klammergriff und gibt der Welt die Chance, einen Neubeginn zu wagen. Nach und nach steigen die Temperaturen über den Gefrierpunkt, die Sonne lugt verhalten hinter den schweren Wolken hervor und versucht die Erde aufzuwärmen. In der friedlichen Stille der schneebedeckten Trümmer Manhattans hört man überall das Tropfen von Tauwasser. Dennoch ist die ehemalige Stadt am East River noch mit einer dicken Schicht aus Eis und Schnee bedeckt. Wer nicht unbedingt nach draußen muss, verbringt seine Zeit lieber an einem warmen Ort, eingekuschelt und mit dem Gedanken an den bevorstehenden Frühling. Doch nicht jeder kann diesem schönen Gedanken folgen. Im Schnee sind deutlich die Spuren einiger Tiere zu erkennen, die versuchen, unter der weißen Masse etwas Fressbares zu finden. Aber auch hier warten die meisten lieber darauf, dass der Schnee vollständig schmilzt. Bei den Menschen wagen sich nur die nach draußen, die es müssen. Erschöpfung zeichnet die Schritte der drei Männer, die nach so langer Zeit den Weg in ihre alte Heimat wiedergefunden haben.
 

Die Schneemassen lassen sie nur ahnen, wie viel Vernichtung der Krieg vor so langer Zeit angerichtet hat. Dennoch stimmt sie der Anblick unendlich traurig, da sie wissen, dass es nie wieder so sein wird wie früher. Vielleicht sind sie jetzt wieder hier, wo sie geboren und aufgewachsen sind, all die schöne Zeit miteinander verbrachten, doch alles, was ihnen etwas bedeutet hat, ist nun Vergangenheit. Und irgendwo unter all den Trümmern liegen ihre beiden Brüder begraben und machen damit ihr Wiederkehren zu etwas sehr Unerfreulichem. Trotz der Traurigkeit, die sie beim Anblick der Stadt und bei dem Gedanken an all die Verstorbenen empfinden, fühlen sie doch so etwas wie Freude, den Ort wiederzusehen, der ihnen einst alles bedeutet hat und für den sie Nacht für Nacht auf den Straßen für die Sicherheit der Bewohner gekämpft haben. Allein das sie noch leben, um diese Gefühle hier an diesem Ort zu haben, grenzt an ein Wunder, das lange Zeit mit dem Schicksal gerungen hat. Auch nach über zehn Jahren und getrübt von all den Trümmern, finden sie noch sicher ihren Weg, als wären sie erst gestern zum letzten Mal hier entlanggegangen.
 

Die vielen zerstörten Gebäude und die karge, verschneite Landschaft stimmt sie sehr traurig. Scheinbar hat sich niemand die Mühe gemacht, die einst so berauschende Stadt wiederaufzubauen, wie sie es endlose Meilen entfernt in einer anderen Stadt getan haben. Aber vielleicht haben hier, im Zentrum des Krieges, gar keine Menschen überlebt, die sie wiederaufbauen konnten? Doch daran mag keiner von ihnen denken. Wahrscheinlicher ist, dass die Bewohner sich einen anderen Platz zum Leben gesucht haben und Manhattan aufgaben. Langsam setzen die drei Männer ihren Weg fort. Angeführt werden sie dabei von einem schwarzhaarigen Schwertträger. Sein langer Ledermantel flattert im leichten Wind. Seine strengen Augen sondieren die Umgebung nach möglichen Gefahren. Um seine Stirn schmiegt sich ein langes, blaues Band, das in besseren Tagen seine Augen bedeckte wie eine Maske. Nun, da der Krieger in ihm in der letzten Schlacht gefallen ist, dient es einzig und allein dazu, seine schulterlangen Haare aus seiner Sicht zu halten. Als der Wind erneut seinen Mantel in Bewegung versetzt, sieht man deutlich wie der Krieg ihn gezeichnet hat.
 

Auf der Mitte seiner Brust glüht ein grünes Licht, von der Größe eines Untertellers. Es wirkt unglaublich futuristisch, erinnert es einen doch an einen längst vergessenen Comichelden. Und ganz ähnlich wie bei Toni Stark, ersetzt auch dieses Leuchten das Herz des ehemaligen Schildkrötenkriegers. Als vor all den Jahren ein aufstrebender Schwertkämpfer namens Leonardo von Baxters Stockmans Strahlenkanone getroffen wurde, hat er das Ganze zwar überlebt, doch sein Herz wurde immer schwächer, bis es schließlich seinen Dienst versagte und durch diese batterieähnliche Vorrichtung ersetzt werden musste, die mit Hilfe von Sonnenenergie eine Art Herzschlag produziert. Dicht hinter ihm stützt sich ein alter Mann tief auf seinen Stock. Seine Schritte sind müde und vorsichtig. Von seiner einstigen Kampfkunst scheint nichts mehr sichtbar zu sein. Die lange Reise, die Flucht und die schrecklichen Dinge, die er seit dem Krieg sehen und ertragen musste, haben ihn schwer gezeichnet. Sein Haar ist vollständig ergraut, jede seiner Bewegungen scheint wohlüberlegt zu sein und seine trüben Augen wirken hinter den dicken Brillengläsern so traurig, als würde er die Last der ganzen Welt auf den Schultern tragen.
 

Der dritte Mann legt ihm stützend die linke Hand um die Schulter und führt ihn langsam um einen großen Trümmerberg herum. Beim Anblick seiner Hand wird einem klar, dass der Krieg beim ihm ebenfalls seine Zeichen gesetzt hat. Auch Donatello wurde damals von Baxters Strahlenkanone getroffen und hat dabei seinen linken Arm einbüßen müssen. An seine Stelle ist nun ein mechanischer Arm getreten, dessen metallische Oberfläche sanft im schwachen Sonnenlicht glänzt. Da er Linkshänder ist, brach damals die Welt für ihn ein weiteres Mal zusammen, da er fürchtete niemals wieder eine Erfindung bauen zu können. Dennoch ist es ihm trotz aller Schwierigkeiten gelungen, seinem älteren Bruder das Leben zu retten. Den Preis dafür bezahlte er mit seinem eigenen Arm. Es gelang ihm auch dieses Problem mit Hilfe der überlebenden Bevölkerung Brasiliens zu lösen. Allerdings tut er sich immer noch schwer mit seinem neuen Körperteil. Durch den Krieg ging vieles zu Bruch, was ihm besser hätte helfen können, aber er bleibt standhaft und versucht mit den Macken seines Roboarms zu leben. Und vielleicht besteht ja die Möglichkeit irgendwann etwas Besseres zu finden, um die minimalistische Konstruktion zu verbessern?
 

Gemächlich erreichen sie die Straße, in der sie einst alle so glücklich gelebt haben. Die Verwüstung stimmt sie ein weiteres Mal tieftraurig. Nichts ist mehr dort, wo es einst gewesen ist. Außer in ihren Erinnerungen scheint es diesen Ort nie gegeben zu haben. Schließlich erreichen sie den Platz, an dem vor so langer Zeit ihr Dojo gestanden hat. Fassungslos betrachten die den Haufen Trümmer und Asche, der unter dem tauenden Schnee sichtbar ist. Hilflos rinnen Splinter Tränen über die Wangen. Alles, was er sich mit so viel Mühe aufgebaut hat, ist zerstört. Ungeschickt nimmt Donnie seinen Ziehvater in die Arme und wendet den Blick von ihrer Vergangenheit ab. Einzig Leo verweilt mit seinen Augen auf den Trümmern. Mit geballten Fäusten kämpft er mit seinen Gefühlen. Er versucht sie zu unterdrücken, als er spürt wie ein leichtes Stechen sich in einem Brustkorb bemerkbar macht. Sein neues Herz hält ihn zwar am Leben, doch wie Donnies Arm ist auch es nicht perfekt. Bei Anstrengung oder heftigen Gefühlen fällt es ihm schwer seinem Besitzer genügend zu versorgen. Als er merkt, wie ihm das Atmen immer schwerer fällt, schließt er die Augen, um seinen Geist zu ordnen.
 

Langsam lässt das Ziehen nach und das Luftholen geht wieder leichter. Mit schweren Schritten nähert sich der einstige Leader den Trümmern. Sie wirken anders, als die zerstörten Gebäude nebenan. Kein anderes Haus scheint in Flammen aufgegangen zu sein. Nachdenklich streicht er mit den Fingern durch die kalte Asche. Kann es sein, dass ihr Zuhause absichtlich angesteckt wurde? Haben Shredders Leute nur gewartet, bis sie in die Schlacht ziehen und dann ihr Dojo niedergebrannt? Oder geschah dies erst nach dem Krieg? Hat Shredder vielleicht sogar überlebt und es als letzten Akt der Genugtuung und des Sieges über seine ewigen Feinde getan? Wie immer es auch gewesen sein mag, nun ist alles vernichtet, was ihnen etwas bedeutet hat und sie müssen weiterziehen und einen anderen Platz zum Leben finden. Eigentlich haben sie sich so etwas schon gedacht. Warum sollte auch ihr Haus im Krieg verschont geblieben sein, wo ihre Fehde mit dem Tyrannen doch den Krieg erst in Gang gesetzt hat? Sie wollten nur noch ein letztes Mal diesen Ort sehen, vielleicht irgendetwas retten und dann weiterziehen. Allerdings gibt es hier nicht mehr zu retten, also werden sie ihren Weg fortsetzten müssen und sehen, wo sie vielleicht noch anderen Menschen helfen können.
 

Mit einem tiefen Seufzen wendet sich Leo zu den Überlebenden seiner Familie um und gemeinsam machen sie sich wieder auf den Weg. Es ist schon Mittag und sie müssen sich noch einen Platz für die Nacht suchen. Ein Blick über die zerstörte Stadt verrät ihnen jedoch, dass dies nicht gerade leicht werden wird. Kein einziges Haus scheint Shredders Bombardement verschont geblieben zu sein. Vielleicht haben sie aber auf der anderen Seite der Brücke mehr Glück. Nach und nach bahnen sie sich ihren Weg durch das Gerippe der Stadt. An jeder Ecke werden sie von heftigen Erinnerungen eingenommen und müssen gezwungenermaßen eine Rast einlegen, um sich wieder zu beruhigen. Dadurch kommen sie nur sehr langsam voran und die Chance einen Unterschlupf bis Sonnenuntergang zu finden, wird mit jeder Pause geringer. Immer mehr kommen sie zu dem Schluss, dass die ehemaligen Bewohner an einen anderen Ort gewechselt sind, scheint doch nichts auf Menschen hinzudeuten. Dennoch wirkt es an einigen Stellen so, als hätten die Leute versucht aufzuräumen oder ihre letzten Habseligkeiten aus den Trümmern zu fischen. Doch selbst wenn dem so ist, ist dies wahrscheinlich schon viele Jahre her.
 

Dann jedoch bleibt Leonardo abrupt stehen. Splinter und Donnie stoßen sogar fast gegen ihn. „Was ist los? Warum bleibst du einfach mitten auf dem Weg stehen?“, fordert der Stabträger zu wissen. Dabei klingt er eher verärgert, als verschreckt, wie wenn eine Gefahr drohen würde. „Fußspuren.“, ist das einzige Wort, welches Leo ihm zu teil werden lässt. Sie haben schon etliche Spuren gesehen, ohne das der Ältere so ein Theater gemacht hat, aber die stammten auch alle von irgendwelchen Tieren. Der Schwertträger geht in die Hocke und betrachtet die Spuren genauer, während Splinter und Donnie sich neben ihn stellen. Es handelt sich tatsächlich um die Spuren von Menschen, oder zumindest einem Menschen. Sie wirken noch sehr frisch, vielleicht befindet sich die Person ja noch hier ganz in der Nähe? Stellt sich die Frage, ob sie freundlich gesinnt ist oder nicht? Zumindest sollten sie erst mal vorsichtig sein. Also macht Leo den Späher und geht hinter einem Haufen Trümmer weiter vorne in Deckung, um sich einen Überblick zu verschaffen. Donnie und Splinter folgen ihm auf sein Zeichen hin und ducken sich, um nicht gesehen zu werden.
 

Mit geschultem Blick sondiert der Schwertkämpfer die Umgebung nach möglichen Bewegungen. Bei all dem Eis und Schnee sollte es eigentlich einfach sein, jemanden zu entdecken. Doch wer nicht gesehen werden will, findet auch einen Weg, sich zu verstecken. In einiger Entfernung erblickt Leonardo noch weitere Spuren des Unbekannten und richtet seine Beobachtung in diese Richtung aus. Dabei hofft er inständig, dass es sich wirklich nur um eine Person handelt und sie nicht hinterrücks von weiteren beobachtet werden. Sie haben sich zwar eine geschützte Stelle ausgesucht, doch immerhin sind sie nicht gerade in Deckung hierhergekommen. Jeder, der wollte, hätte sie bei ihrem Eintreffen sehen und sich jetzt auf die Lauer legen können. Leo könnte sich für diese Nachlässigkeit selbst rügen, doch immerhin wirkte die Stadt so verlassen, dass er sich davon täuschen ließ. Jetzt kann er nur hoffen, dass ihnen das nicht zum Verhängnis wird. Angestrengt suchen seine Augen weiterhin die Gegend ab, bis sie eine Straße weiter eine Silhouette entdecken. „Da hinten ist jemand…“, teilt er den anderen leise mit und nimmt dann seine Beobachtung wieder auf.
 

Vorsichtig linst Donatello über den Schuttberg hinweg, in die Richtung, die Leo anvisiert. Dort ist wirklich jemand. Aus der Ferne wirkt die Person sehr zierlich, vielleicht ist es sogar eine Frau? Jedenfalls trägt die Gestalt trotz der Kälte sehr enganliegende Sachen. Ist es möglicherweise ein Ninja? Auf die Entfernung ist das unmöglich zu sagen, doch die Bewegungen wirken sicher und bedacht. Allerdings steht die Person mit dem Rücken zu ihnen, sodass alles andere nur Vermutungen sind. Die unbekannte Gestalt bewegt sich scheinbar suchend durch die Berge aus Trümmern und Schutt. Aber was könnte sie bloß suchen? Fragend blicken sich die beiden Brüder an und berichten Splinter von ihren Beobachtungen. Dann schauen sie weiter zu. Die Person nähert sich den Resten eines Gebäudes, von dem noch der Großteil des ersten Stocks steht. Scheinbar will sie die Zwischendecke als Aussichtspunkt nutzen, vielleicht um ihre Gefährten wiederzufinden oder zu sehen, wo sich die Suche mehr lohnen würde. Mit zwei geschickten Sprüngen erklimmt die Person den ersten Stock und stellt sich in die Mitte der Zwischendecke.
 

Wieder blicken sich Donnie und Leo an. Die Bewegungen des Unbekannten wirken doch sehr trainiert. Vielleicht handelt es sich wirklich um einen Ninja? Sorge schlägt sich in ihren Gesichtern nieder. Normalerweise sind Ninjas ja auch nicht allein unterwegs, also könnte eine ganze Truppe hier irgendwo lauern. Aber nirgends ist etwas zu sehen. Die Gestalt blickt sich suchend um, vielleicht wurde sie von den anderen getrennt? Dann erfüllt plötzlich ein merkwürdiges Knacken die kalte Luft. Es wird immer lauter, dann ein ohrenbetäubendes Krachen und die Zwischendecke bricht ruckartig in sich zusammen und stürzt samt des Unbekannten ins Erdgeschoss. Ein überraschter Schrei ist alles was noch zu hören ist, dann ist die Luft von Staub und Schnee verschleiert. Erschrocken sehen sich die beiden Hamatos an. Für Leonardo ist die Sache klar, er muss dort hin und nachsehen, ob die Person noch lebt, ganz egal wie viele andere hier noch in der Nähe sein könnten. Entschlossen springt er auf. „Ihr wartet hier!“, weist er die beiden anderen an und huscht auch schon los. Nervös verfolgt Donatello seine Bewegungen und behält gleichzeitig die Umgebung nach anderen Leuten im Auge.
 

Vorsichtig und doch schnell überwindet Leonardo die Distanz zur Unglücksstelle und taucht in die anhaltende Staubwolke ein. Unruhig wartet Donnie darauf endlich wieder freie Sicht zu haben, doch in der kalten Luft hält sich der Dreck hartnäckig. Auch Leo kommt nur mühsam in den dichten Schwebeteilchen zurecht. Er presst sich ein Taschentuch auf Mund und Nase, um möglichst wenig von dem Zeug einzuatmen, dann erreicht er den Rest des Gebäudes. Es sah ja vorher schon nicht unbedingt stabil aus, doch jetzt wirkt es, als würde es jeden Moment noch weiter zusammenbrechen. „Ich muss mich beeilen…“, flüstert er sich selbst zu und klettert vorsichtig über die Trümmer. Nur allzu deutlich spürt er, wie die ganze Konstruktion unter seinem Gewicht in Bewegung versetzt wird und hier und da weitere Betonbrocken abrutschen. „Mist…“ Dann endlich legt sich der Staub soweit, dass er das Taschentuch weglegen und das Loch entdecken kann, durch das der Unbekannte gestürzt ist. Der Rand ist mehr als instabil. Da Leo nicht riskieren will, dass weitere Brocken abbrechen und den Unglücklichen treffen, setzt er zum Sprung durch die Öffnung an und hofft, an einer sicheren Stelle zu landen.
 

Der Schwertkämpfer landet etwas ungelenk auf einem Haufen Trümmer und rutscht zum Boden. Keine zwei Meter neben ihm liegt der Unbekannte. Im Halbdunkeln der Ruine kann Leo nicht viel erkennen, doch dafür hat er auch nicht wirklich Zeit. Seine Anwesenheit hat den ganzen Aufbau erneut in Bewegung versetzt. Und schon hört er wieder das verdächtige Schaben und Bröckeln herabstürzender Trümmer. Sie müssen hier definitiv schnell wieder raus! Also schnappt sich Leonardo die hoffentlich nur bewusstlose Gestalt und nimmt dann die Beine in die Hand. Er hat Glück, dass ganz in der Nähe eine Fensterausbuchtung noch nicht zugeschüttet wurde und diese benutzt er als Fluchtweg. Wie sich herausstellt, gerade noch rechtzeitig. Kaum das er seine Füße auf festem Boden hat, bricht das ganze Gebäude hinter ihm endgültig zusammen. In letzter Minute gelingt es ihm noch, den herabfallenden Betonbrocken auszuweichen. Panisch beobachtet Donatello das Ganze aus sicherer Entfernung. Für ihn hat sich der Staub noch nicht weit genug aufgelöst, als dass er etwas hätte erkennen können, als das ganze Ding auch schon mit lautem Krachen in sich zusammenbricht.
 

Mit jagendem Herzen und angehaltenem Atem starrt er fassungslos auf die neue Staubwolke, die sich meterhoch in den winterkalten Himmel erhebt. „Leo…?“ Splinter sitzt nicht weniger hilflos neben ihm und betet um das Leben seines Sohnes. Da taucht plötzlich ein Schatten in der Staubwand auf. Es ist Leonardo und auf seinen Armen der Verunglückte! Donnie und Yoshi fällt ein Stein vom Herzen, doch Leo wirkt nicht sonderlich fit. Kaum, dass er die Staubwolke verlassen hat, sinkt er schwerfällig auf die Knie und ringt nach Luft. Die Anstrengung steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Die Flucht vor den Trümmern war scheinbar zu viel für sein künstliches Herz. „Oh Gott, Leo!“, kommt es besorgt von Donnie, der auf ihn zugelaufen kommt. Krampfhaft greift sich Leonardo an die Brust und umklammert das kalte Glas, hinter dem Röhrchen und Drähte krampfhaft versuchen sauerstoffreiches Blut in seinen Körper zu pumpen. Schmerzverzerrt presst er die Augen zu und zittert leicht. Dann ist Donatello bei ihm. Vorsichtig legt er seinen Bruder auf den Boden und blickt durch das leuchtende Glas. Die Energieversorgung scheint immerhin in Ordnung, das bestätigt ihm das grüne Licht.
 

Etwas unbeholfen öffnet Donnie das Glas mit der rechten Hand. Er will es nicht mit seiner Robohand machen, da er befürchtet in beiden Geräten vielleicht einen Kurzschluss zu verursachen, wenn gerade in dem Augenblick eine Störung seine künstliche Hand überkommt. Die Wahrscheinlichkeit so beide Geräte außer Betrieb zu setzen, ist zwar verschwindend gering, doch dieses Risiko kann er einfach nicht eingehen. So muss er sich bemühen, es mit Rechts zu machen. Sein geschulter Blick überfliegt den Wust aus Kabeln und Leitungen in Leos Brustkorb und schließlich entdeckt er einen Knick in einem Röhrchen, der den Bluttransport erschwert. Ganz langsam lässt er seine Finger in die enge Öffnung gleiten und tastet blind nach dem Fehler. Bei Leos plötzlicher Flucht muss er eine ungeschickte Bewegung gemacht und so die Leitung eingeklemmt haben. Kaum, dass der Knick beseitigt ist, beruhigt sich der überanstrengte Herzschlag und der Schwertkämpfer kann wieder schmerzfrei Atmen. Etwas erschöpft lächelt er seinem jüngeren Bruder zu. „Danke, Donnie…“ „Kein Problem, aber du hast uns eine Heidenangst eingejagt!“, mahnt ihn der Stabträger. Schuldbewusst senkt Leonardo den Blick und richtet sich langsam wieder auf. Er vergisst nur allzu gern sein Handy Cup.
 

Inzwischen ist auch Splinter zu ihnen gestoßen und gemeinsam werfen sie nun endlich einen Blick auf den Unbekannten. Allerdings glauben sie ihren Augen nicht trauen zu können. Es ist, als würde der tiefe Wunsch ihre vermissten Brüder wiederzufinden, ihnen gerade weiß machen, dass Mikey dort bewusstlos vor ihnen liegt und er keinen Tag älter, als vor zehn Jahren ist. „Das kann doch nicht möglich sein…“, entkommt es Splinter, während er vorsichtig mit der Hand über die Wange des Jungen streicht. Nein, es kann wirklich nicht möglich sein, und doch scheint es dennoch wahr zu sein. Alle drei sehen dasselbe. Doch es muss einfach ein Irrtum sein. Selbst wenn Mikey tatsächlich noch am Leben ist, wäre er jetzt mindestens zehn Jahre älter und hätte nicht mehr das gleiche Kindergesicht wie damals. Es wirkt, als wären sie in der Zeit zurückgereist und in einer anderen Realität gelandet. Anders können sie sich nicht erklären, warum ihr geliebter Bruder und Sohn die Uniform eines Foot-Ninjas trägt. Als wäre die Tatsache, in diesem Jungen ihr vermisstes Familienmitglied zu sehen, nicht schon schwer genug, müssen sie dann auch noch annehmen, dass Shredder wirklich noch lebt?
 

Diese unschöne Vermutung trifft sie alle sehr hart. Allzu lange können sie sich aber nicht in dieser Tragik verlieren, da wacht der Junge auch schon auf. Der Blonde gibt ein schmerzliches Stöhnen von sich und öffnet langsam die Augen. Ungelenk versucht er sich hinzusetzen und reibt sich den Kopf. Passiert scheint ihm nichts zu sein, mal abgesehen von ein paar blauen Flecken und einer Beule am Hinterkopf. „Oh, au – mein Kopf…“, wimmert er und reibt sich die anwachsende Beule. Schließlich merkt er, dass er gar nicht allein ist. „Oh…“ Mit großen Augen sieht er die Fremden vor sich an und entdeckt dann die Überreste des Gebäudes, auf dem er eben doch noch stand. Die Staubwolke hat sich inzwischen schon fast völlig verzogen, dennoch reicht sie dem Jungen als Antwort auf die brennende Frage, was eigentlich passiert ist. „Das ist ja dann gerade noch mal gutgegangen…“, wirft er daher in die Runde der drei Männer, die ihn überrascht anblicken. Diese Stimme. Sie gehört ganz eindeutig Mikey und diese blauen Hundeaugen würden sie überall wiedererkennen. Zudem stecken an seinem Gürtel zwei Nunchakus. Bei genauerem Betrachten entpuppt sich der Gürtel auch als Bandana. Ist es also wirklich Mikey?
 

Leos Starre löst sich als erstes. Er räuspert sich verhalten. „Ja, da hast du wirklich Glück gehabt, Junge.“, erwidert er. Der Blonde schenkt ihm ein dankbares Lächeln, das dem Herzen des Leaders einen Stich versetzt. So lange hat er es nicht mehr gesehen und dennoch wirkt es jetzt irgendwie so fremd und distanziert und er widersteht nur knapp dem unbändigen Drang in sich, seinen Babybruder in seine Arme zu schließen. Den anderen geht es nicht anders. Wiedersehensfreude ist von Seiten des Nunchakuträgers scheinbar nicht zu erwarten. Doch so sehr haben sich die drei doch nicht verändert, dass er sie nicht wiedererkennen würde. Oder ist es vielleicht wirklich nicht Michelangelo, der dort vor ihnen sitzt? Die Ähnlichkeit ist beängstigend, doch allein der Altersunterschied kann einfach nicht stimmen. „Ihr seid nicht von hier, oder? Ich hab euch noch nie gesehen?“ Das beantwortet wohl die Frage der Wiedererkennung. Diesmal ist es jedoch Donnie, der sich zu Wort meldet. „Wir kommen aus Brasilien und haben dort geholfen, nach dem Krieg wieder alles aufzubauen. Doch eigentlich haben wir damals hier in der Nähe gewohnt und wollten jetzt wieder in unsere Heimat zurück. Doch wie es aussieht, ist hier niemand mehr, oder?“
 

„Brasilien? Man, dass ist aber weit weg von hier, alle Achtung! – Naja, wir haben uns hier auch ein bisschen am Wiederaufbau versucht, doch für die ganze Stadt hat es noch nicht gereicht. Aber wir wohnen auf zwei Inseln nicht weit von hier und da ist es richtig schön heimelig.“, berichtet der Blonde vergnügt. Nun meldet sich auch Splinter. „Wer sind denn ‚wir‘ und wo sind diese Inseln, von denen du gesprochen hast, mein Junge?“ Der Nunchakuträger schenkt ihm ein fröhliches Lächeln. „Wir, dass sind mein Meister und seine Ninja-Truppe und natürlich die Überlebenden des Krieges, die wir gesucht und in Sicherheit gebracht haben. Und die zwei Inseln befinden sich mitten im East River, etwa zehn Meilen von hier.“ Er deutet mit dem Finger in die Richtung, in der der Strand liegt, an dem die Hamatos damals ihre letzte Schlacht geschlagen haben. Nachdenklichkeit geht durch die drei Männer. Er sprach von seinem Meister und dessen Ninja-Trupp. Laut seiner Kleidung müsste dies der Foot-Clan sein und somit auch Shredder. Doch warum sollte sich der Tyrann die Mühe machen und Menschen um sich scharen, die den Krieg überlebt haben? Und wie ist es ihm gelungen, diesen Jungen darin zu involvieren, der ihrem Bruder so ähnlichsieht?
 

Will er seinen Clan wiederaufbauen und jeden dazu verpflichten mitzumachen bei seiner Unterwerfung der Welt? Möglich wäre es. Die beiden Inseln im East River deuten ebenfalls auf Shredder hin, immerhin hatte er seinen geheimen Unterschlupf auf einer der Inseln. Die ganze Sache gefällt den Schildkrötenkriegern immer weniger, dennoch lassen sie sich nichts anmerken. „Das klingt doch gar nicht mal so übel. Wie heißt du denn, Kleiner?“, hakt Leo nun nach. „Oh, klar. Wie unhöflich von mir. Ich bin Michael und wie heißt ihr?“, grinst der Blonde sie an und reicht ihnen die Hand. Er wirkt so unschuldig und freundlich wie ihr Bruder und doch passt es nicht zu Philosophie der Foot. Selbst die Namen sind ähnlich, obwohl Mikey diesen Spitznamen immer gehasst hat. Kann es wirklich so viele Zufälle geben? Nacheinander schütteln sie sich die Hände und Donnie übernimmt das Antworten. Falls das Ganze wirklich etwas mit Shredder zu tun hat, wäre es keine gute Idee ihm zu sagen, wer sie wirklich sind. „Ich bin Dominique, das ist Lennard und das unser Vater Joshua. Freut uns sehr.“ „Meinst du, bei euch wäre noch ein bisschen Platz für drei Reisende, um die Nacht zu verbringen?“, will Splinter nun wissen.
 

Wenn Shredder noch lebt, steht viel auf dem Spiel und daher sollten sie auch so viel wie möglich rausbekommen. Zu dritt werden sie zwar überhaupt keine Chance gegen eine Armee Foot-Ninja haben, aber ihnen fällt sicher etwas Anderes ein. „Klar, wir haben sehr viel Platz und ihr könnt auch gern länger bleiben, Leute. Folgt mir einfach, es ist nicht allzu weit.“ Aufgeregt springt der Junge auf. Dass er vor weniger als 20 Minuten noch ohnmächtig in einem zusammenstürzenden Haus gelegen hat, merkt man ihm überhaupt nicht an. Die drei Männer tauschen ein paar Blicke aus und erheben sich dann ebenfalls. Langsam machen sie sich auf den Weg, folgen einem Jungen, der ihrem Mikey so schrecklich ähnlichsieht, zu einem Ort, der von ihrem schlimmsten Feind bewohnt werden könnte. Doch was bleibt ihnen anderes übrig? Nach einer Weile erreichen sie den niedergebrannten Park, indem ihr Schicksal einst besiegelt werden sollte. Trotz des langsam tauenden Schnees, ist deutlich zu erkennen, dass die Natur sich ihren Platz wiedererobert hat. Wo einst ein Strand zum Wasser hinunterführte, stehen nun Bäume und Büsche in Winterruhe und alles wirkt unglaublich friedlich.
 

Schließlich betreten sie den stillgelegten U-Bahnhof, dessen geheimer Tunnel das Festland mit den Inseln verbindet und es Schredder ermöglicht hat, heimlich an Land zu gehen. Die Turtles hatten zwar irgendwann herausgefunden, dass der Tyrann auf einer der Inseln haust, doch nicht wie es ihm unbemerkt gelingt, an Land zu kommen. Jetzt wissen sie es und schämen sich, dass sie etwas so Offensichtliches übersehen haben. Langsam gehen sie durch den Verbindungstunnel Richtung South Brother Island. Michael erzählt ihnen unterwegs, dass sie sein Meister dort in Empfang nehmen wird und man sie untersucht und sie dann auf der Nachbarinsel ein Zimmer beziehen können. Sie gehen den ganzen Weg zu Fuß, doch auf dem Boden verlaufen Schienen, die den Männern klarmachen, wie es Shredder gelungen ist, sein ganzes Material zu transportieren. Dann endet der Tunnel, eine Dräsine steht auf den Schienen bereit. Doch was hinter ihr steht, verschlägt den Turtles abermals die Sprache. Es ist ihr alter Shellraiser! Er hat den Krieg scheinbar heil überstanden und rostet hier unten jetzt als Kriegsbeute vor sich hin.
 

Donnie kämpft hart mit sich, um diese Tatsache zu verkraften. Er hat all sein Können und sein Herzblut in diesen Wagen gesteckt und jetzt das. Tröstend legt Leo ihm einem Arm um die Schulter. Dann betreten sie eine Art Treppenhaus und gehen anschließend einen Flur entlang, an dessen Ende sich, laut Michael, der sogenannte Thronsaal befindet, indem sich sein Meister aufhält. Der Flur wirkt düster, nahezu erdrückend, was auch kein Wunder ist, immerhin befinden sie sich metertief unter der Erde und hier gibt es nur spärliche Lampen, die den Weg gerade soweit erhellen, dass man nicht stürzt. Etwas Anderes haben sie unter Shredder aber auch gar nicht erwartet. Der Thronsaal ist von einer riesigen Tür verschlossen, die so einschüchternd wirkt, wie man es sich gar nicht vorstellen kann. Auf ihrem dunklen Holz prangert gebieterisch des Foot-Symbol, wie das Zeichen einer antiken Zivilisation. Alles in den drei Hamatos weigert sich dagegen, diesen Raum zu betreten und wohlmöglich dem Mann gegenüber zu stehen, der ihr ganzes Leben und das so vieler anderer Menschen zerstört hat. Doch sie müssen sich Gewissheit verschaffen!
 

Nachdem er geklopft hat, öffnet Michael die schwere Tür und geht hinein. Unsicher folgen ihm die drei, jederzeit zum Angriff bereit. Der Saal ist unglaublich groß und wird dominiert von dem Foot-Logo, das einem von jeder Wand entgegen zu springen scheint, als könnte man beim Eintreten vergessen haben, dass es an der Tür zu sehen war. Auf der einen Seite des Saals befindet sich eine riesige Scheibe, mit der man in einen anderen Raum blicken kann, indem gerade die Foot ihr Training abzuhalten scheinen. In der Mitte des gewaltigen Raumes steht dann der Thron. Auf ihm sitzt eine Gestalt im Halbschatten der Lampen. „Meister Shredder, ich bringe euch drei Reisende, die die Nacht hier verbringen wollen.“, berichtet Michael und geht dabei vor der Gestalt auf dem Thron auf die Knie. Shredder! Ihre schlimmsten Befürchtungen haben sich also bestätigt! Doch die drei versuchen sich nichts anmerken zu lassen, haben ihre Hände aber dennoch an ihren Waffen. Tief und düster erklingt die Stimme des Tyrannen und erfüllt den Raum. „Müde Reisende? – Nein! Bekannte Gesichter auf deren Rückkehr ich so lange hab warten müssen und es doch nie für möglich hielt!“
 

Langsam erhebt sich die Gestalt vom Thron und tritt ins Licht. Es ist unzweifelhaft Shredder in seiner furchterregenden Krallenrüstung. Sie wirkt irgendwie anders und auch die Stimme Sakis scheint im Laufe der Jahre eine Veränderung durchgemacht zu haben. Doch seine Worte wirken keinesfalls erfreut. Er hat sie erkannt und was wird er nun mit ihnen machen? Sie augenblicklich hinrichten lassen? Noch befinden sich keine anderen Ninja im Raum, oder sie haben sich verdammt gut versteckt. Die Anspannung steht den dreien förmlich ins Gesicht geschrieben. Dann hebt Shredder die Hände und zieht sich den Kabuto vom Kopf. Eine Geste, die die Turtles von ihrem ehemaligen Widersacher nicht erwartet hätten. Doch der Mann, der unter dem Helm zum Vorschein kommt, ist nicht Shredder – nicht Oroku Saki. Nein, es ist allenfalls ein Shredder und sein Name ist Raphael Hamato! Vor ihnen steht tatsächlich ihr totgeglaubter Bruder und spielt den Herrscher dieser zerstörten Welt. Die Fassungslosigkeit der drei kennt keine Grenzen. „Hallo Leo, schön euch wiederzusehen…“ Er schenkt ihnen ein eher wütendes Lächeln und in seinem einsamen Auge funkelt nicht gerade die Freude, die man nach so langer Zeit erwarten würde…

Disclose a secret!

Ein paar Tage später…
 

Unter anderen Umständen hätte sich Raphael über das Wiedersehen mit seiner Familie wirklich sehr gefreut. Doch dieser Ort und diese Zeit könnten für ihn kaum unpassender sein. Warum konnten sie nicht dableiben, wo sie die ganzen Jahre über gewesen sind? Warum mussten sie unbedingt jetzt wieder nach Hause kommen? Ihre Blicke taten so weh, als sie festgestellt haben, dass ihr temperamentvoller Bruder und Sohn nun der neue Shredder ist. Klar hätte er ihnen das Ganze erklären können, aber wozu? Sie hätten es doch nicht verstanden. Wenigstens sind sie jetzt alle wieder zusammen, den Rest wird die Zeit sicher irgendwann richten… Immerhin wissen sie jetzt auch, dass Michael wirklich Mikey ist, auch wenn Donnie sich nicht erklären kann, warum sein kleiner Bruder noch immer so jung ist. Diese verfluchte Strahlenkanone! Unzählige Tests haben nichts ergeben. Ein Umstand, den alle erst einmal noch hinnehmen müssen, bis sich eine Lösung findet. Und so lange verheimlichen sie Mikey auch seine wahre Identität. Immerhin etwas, indem sich die ganze Hamato-Familie mal einig ist.
 

Nachdenklich stapft Raph in seinem Zimmer auf und ab. Es macht ihn wirklich ziemlich fertig, seiner Familie wieder gegenüber zu stehen. Ihre Blicke sind so feindselig, als wäre er allein an dem Krieg schuld, nur, weil er jetzt den Platz des Tyrannen eingenommen hat. Leo ist dabei der Schlimmste. Zwischen den beiden war die Luft ohnehin schon immer ziemlich dick, aber jetzt wirkt sie wie eine undurchdringliche Wand und das bringt Raphael schier um den Verstand. Er weiß nicht, wie er seinen ehemaligen Leader einschätzen soll. Dafür kann er sich nun lebhaft vorstellen, wie sich Shredder beim Anblick des Schwertkämpfers immer gefühlt haben muss, hat Saki Leos Kampfkunst doch innerlich stets bewundert. Nicht zum ersten Mal wünscht sich der Saikämpfer, er könnte die Uhr zurückdrehen und den Krieg ungeschehen machen. Oder wenigstens Mikey´s Auftauchen verhindern. Doch wäre das wirklich das, was er wollen würde? Er hat sich niemanden so sehr gewünscht wie seinen Babybruder und doch ist er nicht wirklich hier, selbst wenn er neben ihm steht. Alles ist so falsch. Warum musste das alles nur passieren, warum?
 

Wütend schlägt Raph mit der Faust gegen die Wand und knurrt. „Meister, ist alles in Ordnung?“, fragt plötzlich eine verhaltene Stimme hinter ihm. Überrascht dreht sich der Rothaarige um und sieht Michael in der Tür stehen. Die Gesichtszüge des Älteren entspannen sich langsam, wirken nun eher traurig. „Alles bestens. Ich komme nur einfach noch nicht damit klar, dass meine Familie wieder hier ist und dennoch einer von ihnen fehlt…“ Deprimiert setzt sich Raph auf das Fußende des Bettes und lässt den Kopf hängen. Mit ein paar schnellen Schritten steht Michael vor ihm. Mitfühlend streicht der Blonde ihm durch die wirren Haare. „Ich bin sicher, früher oder später taucht er auch noch auf.“ Ohne jede Vorwarnung zieht Raph den Jungen näher zu sich heran und schlingt die Arme um seine Hüften. Den Kopf drückt er gegen dessen flachen Bauch. „Mikey fehlt mir so sehr. Es ist nicht fair, dass die anderen hier sind und er nicht…“, seine Stimme droht zu brechen und er schluckt hart. Etwas überrumpelt lässt der Nunchakuträger die hilflose Umarmung seines Meisters geschehen und streicht ihm weiterhin beruhigend durchs Haar.
 

Unbemerkt von den beiden, hat Leonardo Raph´s Worte mit angehört. Eigentlich wollte er ein ernstes Gespräch mit dem Rothaarigen führen, wie er sich das hier in Zukunft so alles vorstellt und dergleichen. Doch als er am Zimmer seines ewigen Rivalen angekommen war, stand die Tür einen Spalt offen und er kann nun beobachten, wie Raph und Michael reden. Kurz kommt Leo der Gedanke, einfach reinzugehen und zu tun, was er eigentlich vorhatte. Aber irgendetwas hindert ihn daran, etwas, das ihm zu sagen versucht, dass es wichtiger wäre, die beiden zu beobachten und erst dann eine Entscheidung zu fällen, auch wenn es ihn ganz krank macht zu sehen, wie Mikey mit Raphael so unterwürfig spricht. „Das kann ich gut verstehen, Meister. Doch Sie sollten sich an dem erfreuen, was Sie schon haben, dann ist es viel leichter zu akzeptieren.“ Der Junge schenkt ihm ein sanftes Lächeln. Ihre Blicke treffen sich, doch Raph unterbricht die Umarmung nicht. „Vielleicht hast du Recht, denn immerhin hab ich ja noch dich.“, halbwegs bringt der Einäugige ein Lächeln zu Stande. „Das ist die richtige Einstellung und so werden Sie es auch schaffen!“
 

Sie grinsen einander frech an. „Schluss jetzt mit all den Höflichkeiten, Junge. Das deprimiert einen ja noch mehr.“ „Ok, aber vielleicht hilft ja eine kleine Aufmunterung…“, entgegnet der Blonde und verführt Raphael zu einem innigen Kuss, auf den dieser auch sogleich hungrig eingeht. Leo traut seinen Augen kaum. ‚Das kann doch nicht wahr sein…‘, geht es ihm durch den Kopf. Die Erinnerung an längst vergangene Tage kommt wieder in ihm hoch. Damals, bevor der Krieg begonnen hat und sie noch ein halbwegs friedliches Leben geführt haben, hatte Raph eine nahezu ungesunde Fixierung auf seinen kleinen Bruder Mikey. Des Nachts schlich er sich gern in das Zimmer des schlafenden Jungen und versuchte ihm dort auf eine Weise nahe zu kommen, die für Brüder eigentlich tabu ist. Das Schlimmste daran war aber, dass Mikey dabei stets geschlafen und nichts mitbekommen hat. Raph versuchte seine widerlichen Fantasien und Gelüste an ihm auszulassen und hielt das Ganze wahrscheinlich auch noch für so etwas wie Liebe. Mehr als einmal hat Leo ihn dabei erwischt und versucht es zu verhindern.
 

Doch nun, da Mikey sein Gedächtnis verloren hat, fehlt dem Blonden der Bezug zu dem Mann, den er wie selbstverständlich küsst. Leonardo hat zwar schon immer geahnt, dass sich Raph seine Vereitelungen nicht ewig gefallen lässt, doch das er mal so weit gehen würde, hätte er nie gedacht. Er nutzt die Notlage des Nunchakuträgers schamlos aus. Wer weiß, was er dem armen Jungen so alles erzählt hat und was er schon alles mit ihm angestellt hat? Dem Leader wird bei diesem Gedanken ganz flau im Magen. Alte Selbstzweifel überkommen ihn wie ein bitterkalter Schneesturm. Hätte er so etwas verhindern können, wenn er schon damals alles Splinter erzählt hätte, anstatt sich von Raphael drohen und einschüchtern zu lassen? Wäre es so weit gekommen, wenn sie den Kampf gegen Shredder gewonnen und wieder ein normales Leben hätten führen können? Was wäre, wenn sie früher hier aufgetaucht wären, hätte dies etwas geändert? Immerhin ist Mikey erst seit gut eineinhalb Jahren hier. Wären sie vor ihm hier angekommen, hätten sie das alles verhindern können und Mikey hätte vielleicht sogar schon längst sein Gedächtnis wiedererlangt.
 

Seine Gedanken überschlagen sich. Was soll er nur tun? So nahe wie sich die beiden schon sind, wäre es vollkommen sinnlos, das Ganze zu unterbinden. Doch was ist, wenn Mikey irgendwann doch seine Erinnerung wiederfindet? Donnie ist der festen Ansicht, dass dies früher oder später der Fall sein wird. Erst recht jetzt, wo er mit seiner Familie vereint ist, wird sich irgendwann etwas in seinem Hirn regen und alles zurückbringen. Doch das, was er hier inzwischen erlebt hat, wird auch noch da sein. Also wird Mikey wissen, was er und Raph alles getan haben und das ist absolut nicht gut. So oder so wird es ein unbegreiflicher Schock für Mikey sein, wenn dieser Tag kommt. Dennoch kann Leo das Ganze nicht so stehen lassen. Er muss wenigstens Donnie und Splinter reinen Wein einschenken und erst recht mit Raphael reden, um Mikey irgendwie zu schützen, sofern dies noch möglich ist. Ein Stechen zieht durch sein künstliches Herz und erinnert ihn schmerzlich daran, Ruhe zu bewahren. Doch wie soll er das machen? Immerhin stehen die Unschuld und das Seelenheil seines kleinen Bruders auf dem Spiel!
 

Krampfhaft versucht er sich zusammenzureißen und seinen Kopf von all diesem Unheil zu lüften. Ein paar Momente später lässt das Stechen nach und er riskiert einen weiteren Blick in das Zimmer. Was er dort sieht, jagt eine noch viel heftigere Schmerzwelle durch seine Brust. Michael und Raph sind längst über das Küssen hinaus. Sie liegen gemeinsam auf dem Bett, mit kaum mehr bekleidet, als mit ihrer Unterwäsche und auch die ist gerade in Begriff zu verschwinden. Die Erregung steht ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben. Alles wirkt so vertraut zwischen ihnen. Keine Frage, ob dies ihr erstes Mal miteinander ist. Nein, das kann sich Leonardo nun wirklich nicht länger mit ansehen. Er hat schon weit mehr gesehen, als er jemals wollte. Angewidert schließt er vorsichtig die Tür, ein sinnliches Stöhnen dringt dabei an sein Ohr, dann wendet er sich rasch ab. Der Weg zurück in das Zimmer, das er sich mit Donnie und Splinter teilt, kommt ihm unendlich lang vor. Sein ganzer Kopf ist ausgefüllt mit dem, was er gerade gesehen hat und dem, was er sich vorstellen kann. Zum ersten Mal, seit sein Herz damals den Geist aufgegeben hat, wünscht er sich, einfach einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen, damit er nicht miterleben muss, was als nächstes passiert…
 

Als er an seinem Zimmer ankommt, hält Leo noch einmal inne. Seine Hand verweilt verkrampft auf der Klinke. Seine Gedanken überschlagen sich ein weiteres Mal. Wie soll er das nur Donnie und Splinter beibringen? Da, wieder ein Stechen in seiner Brust. Diesmal so heftig, dass er sich die Hand auf das Glas presst, das sein neues Herz umgibt. Krampfhaft versucht er einzuatmen, doch so recht will es ihm nicht gelingen. Vor seinen Augen tanzen bunte Punkte und er kann schon die schemenhaften Hände einer nahenden Ohnmacht spüren, als sich auf einmal die Klinke unter seiner Hand bewegt. Kurz darauf geht die Tür auf und Donatello stößt fast mit ihm zusammen. „Gott, Leo! Alles in Ordnung?“ Erschrocken legt er einen Arm um den Älteren und führt ihn in das Zimmer hinein. Vorsichtig hilft er ihm, sich aufs Bett zu setzen. „Ja, es geht schon wieder…“, presst der Leader etwas atemlos hervor. „Vermutlich haben sich wieder ein paar Kabel verheddert. Was hast du denn gemacht? Ich dachte, du wolltest mit Raph reden…“ Routinemäßig will sich der Stabträger den möglichen Schaden ansehen, doch Leo winkt ab.
 

„Ist schon gut, Donnie. Diesmal ist es etwas Anderes.“ Skeptisch hebt der Brünette eine Augenbraue. „Was ist los, Leo?“ Der einst stolze Anführer der Turtles blickt seinen Bruder und seinen Meister eine ganze Weile lang an. Stumm ringt er nach den richtigen Worten. Schließlich bricht er sein Schweigen und erzählt den beiden, was er gerade beobachtet hat. Unglauben schlägt sich in den Gesichtern der Männer nieder. „Äh, Leo, bist du sicher, dass es das war, was du gesehen hast? Ich meine, das klingt schon ziemlich schräg…“, erwidert der Tüftler schließlich. Ruppig springt der Schwertkämpfer vom Bett auf. „Denkt ihr etwa, ich würde mir so etwas auch noch ausdenken? Es war schon schlimm genug, es mit ansehen zu müssen. Herr Gott nochmal, die beiden treiben es da unten wie die Karnickel! Und ihr denkt, ich wäre nicht mehr ganz richtig im Kopf, oder was?“ Beruhigend legt Splinter seinem Schüler eine Hand auf die Schulter, spürt dort das aufgebrachte Zittern. „Ganz ruhig, Leonardo. Niemand denkt, dass du verrückt bist. Es klingt nur merkwürdig. Immerhin weiß Raphael doch von Anfang an, wer dort vor ihm steht, warum sollte er so etwas Unverantwortliches dann tun?“
 

Langsam setzt sich Leo wieder hin. „Na – na, weil er es früher schon versucht hat…“ Splinter und Donnie wechseln einen verwirrten Blick. „Wie meinst du das?“ Ja, nun ist es an der Zeit, all das zu erzählen, was Leo die ganzen Jahre für sich behalten hat. Wohlüberlegt wählt er seine Worte aus und versucht sich an jedes noch so unwichtige Detail von damals zu erinnern. Es stürzt auf ihn nieder wie eine Welle aus Wasser und er fühlt sich darin so hilflos, als würde er jeden Moment ertrinken. Doch er kämpft sich weiter vor, berichtet von all jenen unschönen Dingen, die er gesehen und versucht hat zu verhindern. Berichtet von seinen Ängsten, Zweifeln und Sorgen. Als er schließlich fertig ist, herrscht eine ganze Weile Stille. Donnie und Splinter wechseln stumm einen Blick nach dem anderen. Leo weiß nicht, wie er sie deuten soll, also lässt er den beiden Zeit und hängt seinen eigenen Gedanken nach. Dann erhebt Splinter die Stimme. „Wir zweifeln nicht an deinen Worten, mein Sohn. – Und wenn ich ehrlich sein soll, hab ich mir damals dahingehend auch schon so meine Gedanken gemacht. Manches an Raphaels Verhalten Michelangelo gegenüber kam mir schon seltsam vor und auch die weit ausgeprägtere Feindseligkeit, die ihr beiden so manchen Morgen an den Tag gelegt habt, hat mich nachdenklich gemacht. Und nun weiß ich auch, warum…“
 

„Man, das Raph so weit gehen würde, nur um sein Ziel zu erreichen, ist schon heftig. Nach all den vielen Jahren hätte man doch meinen können, dass dieser Drang in ihm verschwunden sein müsste. Immerhin gibt es hier genug andere Menschen, mit denen er sich vergnügen könnte, wenn es ihm nur darum geht. – Doch für mich klingt das eher so, als wären da zumindest jetzt tiefere Gefühle am Werk. Vielleicht nur auf Mikey´s Seite, da er ja nicht weiß, dass Raph sein Bruder ist, aber immerhin. Und Raph nutzt diese Tatsache einfach aus. Kein Wunder also, dass Mikey noch immer keine Erinnerung hat, denn sonst hätte Raph dieses Spielchen ja nicht mehr machen können…“ Donnies Worte hängen wie ein Schlag in der Luft. „Wir müssen das Ganze dringend beenden! Wenn Mikey sich wieder an alles erinnert, bricht seine Welt völlig zusammen und dann verlieren wir ihn vielleicht.“, entgegnet Leo schließlich. „Du hast Recht, mein Sohn. Wir sollten morgen dringend mit Raphael reden. Doch das Ganze muss erst mal unter uns bleiben. Wenn Michelangelo es mitbekommt, wird es tragisch enden…“ „Das sehe ich auch so. Wenn Mikey mitbekommt, wer er wirklich ist und dass alles so plötzlich auf ihn einschlägt, könnte das schwerwiegende Folgen für seinen Geisteszustand mit sich führen…“
 

Am nächsten Tag…
 

Der Tag beginnt ruhig und Raph hofft eigentlich, dass das so bleibt. Michael ist mit den Foot vor ein paar Stunden zu einer Mission aufgebrochen und wird so schnell auch nicht wieder da sein. Die Flüchtlinge gehen friedlich ihrer Arbeit nach und alles scheint in Ordnung. Seinen Ärger über die Ankunft seiner totgeglaubten Familie hat Raphael so gut es geht abgelegt. Immerhin kann er sich ja nicht bis in alle Ewigkeit darüber aufregen, schließlich hat er hier viel zu tun. So sitzt er gedankenverloren im Thronsaal und geht Chens Berichte der letzten Tage durch. Leider werden auch sie vom Auftauchen seiner Familie dominiert. Allerdings behandelt der Japaner das Thema weit professioneller. Er hat inzwischen zwar mitbekommen, dass es sich bei den drei Männern um den verschollenen Hamato-Clan handelt, dennoch beinhalten seine Berichte nur die Informationen, der er auch sonst zu jedem anderen abgeben würde, der hier ankommt. Der Rest ist vielleicht zwischen den Zeilen versteckt. Schließlich hat Raph lange Zeit versucht mit diesem Verlust klarzukommen und Chen war ihm dabei stets eine Stütze.
 

Dennoch ist dem Schwarzhaarigen nicht entgangen, dass sein Meister nun nicht wirklich Freude an diesem Wiedersehen hat. Er weiß zwar nicht, woran das liegt, will aber auch nicht nachfragen. Ihm ist aber auch nicht entgangen, dass die Hamatos scheinbar selbst nicht so begeistert sind, Raph wiederzusehen. Anfangs dachte Chen noch, dass diese Abneigung darauf beruht, dass Raphael nun den Platz ihres schlimmsten Feindes eingenommen hat, doch das ist mittlerweile abgeflaut. Dennoch ist dort etwas, dass alle vier zu beschäftigen scheint und es hat eindeutig nicht mit ihrer langen Trennung zu tun. Aber vielleicht damit, dass einer von ihnen immer noch fehlt? Von den Gedanken und Sorgen seines Untergebenen bekommt Raph zum Glück nicht allzu viel mit. Genervt reibt sich der Rothaarige das Auge und wirft die Berichte auf das kleine Tischchen neben sich. Seufzend zündet er sich eine Zigarette an, legt den Kopf in den Nacken und starrt mit leerem Blick an die Decke. Langsam klären sich seine Gedanken im bitteren Dunst des brennenden Tabaks. Raph wird sich noch eine Weile diesem Gefühl hingeben und sich dann weiter durch die Berichte quälen.
 

So ist zumindest sein Plan, doch der hat schon in diesem Moment ein Ende, als es nachdrücklich an der großen Tür zu klopfen beginnt. Genervt reibt sich Raph die Stirn. Eigentlich will er ja seine Ruhe haben, doch das Klopfen klingt nicht so, als würde sich derjenige so leicht abwimmeln lassen. „Ja!“, gibt der Saikämpfer verstimmt von sich. Kaum hat er das Wort ausgesprochen, springt auch schon die Tür auf und der unsägliche Rest seiner Familie betritt den Saal. Augenblicklich breitet sich in Raphaels Kopf eine Art Migräne aus und er würde sie alle am liebsten wieder wegschicken. Doch auf ihren Gesichtern liegt ein derart entschlossener Ausdruck, der dem sonst so toughen Saikämpfer deutlich zeigt, dass ihm das nicht gelingen wird. Verärgert drückt er seine Zigarette aus. „Was ist? Ich hab zu tun.“ Dies scheint die drei aber überhaupt nicht zu kümmern. Stattdessen postieren sie sich vor seinem Thron und mustern ihn mit ihren finsteren Blicken. Dabei überkommt Raphael das ungute Gefühl, dass er etwas angestellt hat, fast so wie damals zu ihrer Kinderzeit. Doch was könnten sie ihm schon vorwerfen? Immerhin ist er jetzt erwachsen und braucht sich von keinem von ihnen mehr etwas sagen lassen. Oh, wie sehr er sich da doch irrt.
 

„Ich hab dich und Michael gestern Abend beobachtet und was ich da gesehen hab, war mehr als falsch!“, beginnt Leo das Ganze. „Ach ja? Was soll ich dazu schon sagen? Außer vielleicht, dass es dich überhaupt nichts angeht, was ich mache und was nicht! Was fällt dir eigentlich ein, mir hinterher zu schnüffeln?“, aufgebracht erhebt sich der Rothaarige. Er kann sich nur zu gut vorstellen, worauf sie hinauswollen und das passt ihm gar nicht. „Erstens hab ich dir nicht hinterher geschnüffelt. Die Tür stand offen, von daher hätte die ganze Welt sehen können, was ihr dort treibt. Und zweitens, ist dir überhaupt schon mal in den Sinn gekommen, was du Mikey damit antust?“ Der Schwertkämpfer erntet nur ein abwertendes Schnauben von seinem Gegenüber. „Erstens Herr Super-schlauer-Anführer, heißt es noch lange nicht, dass du deine Nase in meine Angelegenheiten reinstecken darfst, selbst wenn ich sonst was direkt davor tuen würde. Und zweitens, ist es immer noch Michael, mit dem ich irgendwas mache, das ist ein großer Unterschied!“ Wütend funkeln sich die beiden Brüder an. Dabei stehen sie sich so dicht gegenüber, dass sich ihre Nasenspitzen schon fast berühren.
 

Leo setzt zu einer Antwort an, wobei Raph schon drohend die Fäuste ballt. Grob werden die beiden von Donnie auf Abstand gebracht. „Herr Gott nochmal, hört auf mit diesem Vorschulbenehmen! Es geht hier um Mikey und nicht um eure ewige Fehde!“ Die zwei Männer mustern den Tüftler einen Moment. Der eine stocksauer, der andere schuldbewusst. Schließlich tritt Leonardo ein paar Schritte zurück und übergibt Donnie das Wort. „Raph, ist dir eigentlich klar, was du Mikey damit antust? Hast du schon mal darüber nachgedacht, was passiert, wenn er sein Gedächtnis wiederfindet? Denkst du wirklich, er findet es schön, wenn ihm klar wird, was ihr zwei miteinander gemacht habt? Immerhin ist er…“ Grob schubst Raph seinen Bruder von sich weg. „ES IST MIR SCHEIßEGAL, OB ER MEIN BRUDER IST UND ES IST MIR AUCH EGAL, OB ER MIKEY ODER MICHAEL ODER SONST WER IST! ER GEHÖRT MIR, MIR GANZ ALLEIN UND IHR HABT NICHT DAS RECHT, MIR DAS WEGZUNEHMEN!“, brüllt er den Hamatos entgegen. Die ganze Situation droht zu eskalieren. All die Gefühle, die in den Beteiligten aufsteigen, haben längst jedes Maximum überschritten.
 

Alles, was Raphael noch sehen kann, ist rot. Er wusste von Anfang an, dass es ein Fehler war, sie hierzubehalten. Er wusste, dass dieses Thema sicher irgendwann zur Sprache kommen würde, doch er hätte nicht gedacht, dass dies so schnell der Fall sein würde. Nun schlägt alles auf ihn ein und er will nur noch, dass es aufhört und sie verschwinden und dazu ist ihm jedes Mittel recht. All die aufgestaute Wut, der Hass und das Entsetzen, das zwischen ihnen im Raum hängt, lässt die vier völlig den Blick auf ihre Umgebung verlieren. Keinem von ihnen ist bewusst, dass die Tür des Thronsaals sperrangelweit offensteht und jeder, der vorbeigeht sie hören könnte. Das Ganze wäre unter anderen Umständen wohl vollkommen irrelevant, da die Mission der Foot noch längst nicht beendet wäre. Man kann es vielleicht Zufall nennen oder Schicksal oder vielleicht so etwas wie Eingebung, doch ausgerechnet heute fällt die Mission überraschend kurz aus. Die Foot haben sich bereits im Trainingsraum eingefunden und werden gleich noch ein paar Übungen mit Chen durchgehen. Michael hat sich aber von seinen Leuten getrennt, um Raph mitzuteilen, dass sie wieder da sind.
 

Allerdings verfliegt seine gute Laune schlagartig, als er den Lärm auf dem Flur bemerkt. Mit offenem Mund steht er in der Tür zum Thronsaal und traut seinen Ohren kaum. Er hat zwar nicht alles von Anfang an gehört, doch bei weitem genug, um sich einen Reim darauf zu machen und zu verstehen, was hier die ganze Zeit falsch läuft. Als die vier nun kurz davor stehen sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, hält der Junge es nicht mehr aus. „Du hast mich belogen…?“, kommt es von ihm. Kaum mehr als ein trauriges Wimmern. Dennoch schrecken die vier Männer augenblicklich zusammen und wenden sich ihm zu. Nun breitet sich auch auf ihren Gesichtern Entsetzen aus. Tränen rinnen dem blonden Jungen über die geröteten Wangen. „DU HAST MICH DIE GANZE ZEIT BELOGEN!“, schreit er es nun heraus. In dem großen Saal schallen seine Worte wie ein Vorschlaghammer auf einem Stahlklotz. Ehe einer von ihnen sich auch nur rühren kann, wendet sich Mikey um und rennt in das Halbdunkel des Flurs hinein. Weg von dem Mann, dem er die ganze Zeit vertraut hat, den er sogar geliebt hat. Weg von seiner Zukunft und seiner Vergangenheit, die dort im Raum zurückbleiben, beraubt von jeglichen Worten, die zwischen ihnen liegen…

End of game?

Völlig überfordert sehen die drei Brüder und Meister Splinter mit an, wie Mikey fluchtartig den Thronsaal verlässt. Es braucht nur einen kurzen Augenblick, bis ihnen klar wird, dass nun der schlimmste Fall eingetreten ist. „Wir müssen ihm unbedingt nach!“, gibt Leo gehetzt von sich. Donnie und Splinter stimmen ihm wortlos zu und schon machen sich die drei auf den Weg. Raphael bleibt allein im Thronsaal zurück. Er weiß nicht warum, aber er fühlt sich bei dieser Suche irgendwie fehl am Platz. Das liegt wahrscheinlich auch nur daran, dass er eigentlich an all dem Unglück Schuld ist. Tief in seinem Herzen wusste er schon immer, dass es falsch ist, Mikey nicht zu sagen, wer er ist und ihm so nahe zu kommen. Doch ein weit stärkerer Teil wollte einfach nur das haben, was er sich schon seit Kindertagen sehnlichst wünscht. Mit leerem Kopf und schwerem Herzen lässt sich Raph auf den Thron sinken und schlägt die Hände vors Gesicht. *Wahrscheinlich wird der Blonde darüber hinwegkommen. Schließlich haben sie sich schon als Kinder heftig gestritten und dabei hatte er Mikey weiß Gott wie oft zum Weinen gebracht, aber so schlimm wie diesmal war es noch nie.
 

Raph ist traurig, wütend und unglücklich zugleich, will es wiedergutmachen, weiß aber nicht wie, ist sich nicht einmal sicher, ob er es sein muss, der den ersten Schritt machen sollte. Es ist wahrscheinlich weit besser, wenn Leo und Donnie ihn finden und erst mal mit ihm reden. Sie sind bei solchen Dingen einfach immer viel einfühlsamer. Wahrscheinlich würde Mikey ihm eh nicht zuhören wollen, nachdem die Bombe jetzt so unschön geplatzt ist. Ja, das ist sicher das Beste und bis sie ihn gefunden haben, kann sich Raph wenigstens schon mal überlegen, wie er seinem Babybruder jemals wieder in die Augen sehen soll…
 

Wie sich schnell zeigt, besitzt Mikey noch immer ein unglaubliches Talent dazu, blitzartig zu verschwinden. Er wirkt zwar oft tollpatschig, aber wenn er will, steht er seinen Brüdern in nichts nach und überrascht sie auch oftmals mit seinen Fähigkeiten. Die Zeit, um sich darüber klarzuwerden, dass Mikey etwas gehört hat, was alles in einen Abgrund stürzen lässt und ihrem Aufbruch, war zwar sehr kurz, dennoch ist der Blonde spurlos verschwunden. Die drei Hamatos entdecken schließlich, dass die Tür zu den Tunneln offensteht. „Denkt ihr, er war so schnell und irrt jetzt irgendwo durch New York?“, spricht Donatello laut aus, was sie alle denken. „Wir müssen vom Schlimmsten ausgehen. – Am besten teilen wir uns auf. Meister Splinter, Ihr bleibt hier und seht nochmal überall gründlich nach. Donnie, du kommst mit mir nach New York. Wer etwas findet, meldet sich über Kanal 23.“ Gesagt, getan. So falsch liegen sie mit ihrer Vermutung auch gar nicht. Mikey hat wirklich den Tunnel benutzt und erreicht in diesem Moment das Festland. *Er weint. Irgendwann jedoch werden die Tränen versiegen. Es ist ein notwendiger erster Schritt auf dem Weg zu einem unsicheren Frieden mit einer Wahrheit, die nie verblassen wird…
 

Alles, woran er sich in den letzten Monaten geklammert hat, was ihm wichtig war und ihm Halt in dieser unbekannten Welt gegeben hat, war eine Lüge! Wie konnte er diesem Mann nur vertrauen? Raph hatte so viel Macht über ihn und hat sie so unverfroren ausgenutzt. Schon bei dem Gedanken daran wird Michelangelo ganz schlecht. Und dann ist dieser Mann auch noch allen Ernstes sein Bruder?! Wie konnte er ihm das nur verschweigen und ihn stattdessen in sein Bett locken? Bis zum heutigen Tag hat er Raph geliebt, wirklich und wahrhaftig geliebt und nun erfährt er, dass das alles nur Show für seine Gelüste war. Ihm dreht sich fast der Magen um. Allein die Vorstellung ist schon widerlich und dennoch ist es passiert und er hat es die ganze Zeit über so genossen, hat sich so geborgen bei ihm gefühlt. Da ist es wahrlich kein Wunder, dass sich Raphael nicht über das Wiedersehen mit den anderen gefreut hat. All das Mitleid, das Mikey für ihn hatte, war für Raph nur der Schlüssel, um die Distanz zwischen ihnen zu sprengen. Mikey, der Name klingt in seinen Ohren so falsch und doch hat er etwas so Vertrautes.
 

Es ist – ist – nein, er weiß es nicht. Plötzlich verschwimmt alles vor seinen Augen, doch nicht wegen der Tränen. Er taumelt, dann brechen auf einmal höllische Kopfschmerzen in seinem Schädel aus. Mit einem überraschten Schrei sinkt er auf die Knie und presst sich die Hände an die pochenden Schläfen. Grelle Punkte tanzen vor seinen Augen. Der Schmerz wird immer unerträglicher. Dann ergreift ihn die Ohnmacht mit ihren eiskalten Fängen und zieht ihn in die Dunkelheit hinab. Bewusstlos bricht er an genau der Stelle zusammen, an der vor über zehn Jahren ihr aller Schicksal besiegelt wurde…
 

Die Verzweiflung wächst. Jetzt suchen sie schon seit fast einer Stunde nach Mikey und haben noch immer keine Spur. Hoffnungslosigkeit macht sich in den Ninjas breit. Was ist, wenn ihm etwas passiert ist oder er sich wohlmöglich selbst etwas angetan hat? Das wäre einfach nur schrecklich und dennoch können sie keines von beidem ausschließen. Gehetzt scannen die braunen Augen des Tüftlers die Gegend. Suchen nach dem kleinsten Hinweis. Doch wie soll man zwischen all den Trümmern überhaupt etwas finden? Er weiß ja nicht einmal, wo Mikey hingehen würde. Nichts, was dem Jungen einmal begeistert hat oder ihm Sicherheit versprach, existiert mehr. Und was damals für ihn infrage kam, muss ihn heute nicht mehr interessieren. Das macht die ganze Sache irgendwie sinnlos. „Denk nach, Donnie…“, versucht er sich selbst anzutreiben, doch wirklich zu nutzen scheint es nichts. Das Einzige, was er jetzt findet, ist der Park, indem sie vor so vielen Jahren hätten sterben sollen. Schmerzlich zieht sich bei diesem Gedanken sein Herz zusammen. Schnell wendet er den Blick wieder ab und will eine andere Richtung einschlagen, nur schnell weg von hier.
 

Doch zwischen all der wintersteifen Flora sieht er etwas im Augenwinkel. Zuerst hält er es nur für Müll und will schon gehen, doch irgendetwas in ihm drängt ihn dazu, das Ganze näher zu betrachten. Und das ist wohl unglaubliches Glück. Denn dort auf dem festgefrorenen Sand liegt Mikey! Der Stabträger traut seinen Augen kaum. Schnell läuft er hinüber und geht neben dem Jungen auf die Knie. Routiniert sucht er den Plus und kontrolliert die Atmung. Erleichtert seufzt er auf, als er feststellt, dass sein Babybruder nur bewusstlos ist. Vorsichtig dreht er ihn auf den Rücken und gibt dann Leo seinen Standort durch. Der Schwertkämpfer braucht auch nicht lange, um zu den beiden zu finden. „Was ist mit ihm, geht es ihm gut?“, ruft er dem Tüftler schon von Weitem zu. „Ja, alles soweit in Ordnung. Er ist nur Ohnmächtig.“ Etwas beruhigter geht der Leader neben den beiden auf die Knie. Sanft streicht er Mikey ein paar Strähnen aus der Stirn. In seinem Gesicht schlagen sich so viele Vorwürfe nieder, dass er krampfhaft die Fäuste ballt. Fest legt Donnie ihm eine Hand auf die Schulter. „Hey, das ist nicht deine Schuld, Leo und das weißt du auch.“ „Mag schon sein, aber vielleicht hätte ich es verhindern können…“
 

Einen Augenblick sitzen sie schweigend nebeneinander, jeder in seinen eigenen Gedanken versunken. Dann beginnt sich Mikey plötzlich zu regen. Flatternd öffnen sich seine Augen und er lässt seinen Blick vollkommen desorientiert umherschweifen. „Alles in Ordnung, Mikey?“, dringt eine bekannte Stimme an sein Ohr. Mit schmerzlichem Keuchen richtet sich der Junge in eine sitzende Position auf und reibt sich die pochenden Schläfen. „Leo? Was ist passiert? Haben wir den Krieg gewonnen?“, fragt er mühsam und wendet den Blick zur Seite. Doch was er dort sieht, scheint nicht sein ältester Bruder zu sein und irgendwie aber doch. Irritiert starrt er den schwarzhaarigen Mann neben sich an. „Leo, bist du das?“ Der Mann schenkt ihm ein sanftes Lächeln, hinter dem unendlich viel Traurigkeit steckt. „Ja, Mikey. Ich bin es wirklich und ja, der Krieg ist zu Ende, schon seit sehr langer Zeit…“ Immer mehr Verwirrung legt sich in den Blick des Blonden. „Aber was ist denn passiert? Du siehst so anders aus…“ „Ich weiß nicht recht wie ich dir das sagen soll. Aber der Krieg ist seit über zehn Jahren vorbei und seitdem hat sich sehr viel verändert…“
 

Hilflos wendet der Schwertkämpfer seinen Blick zu Donnie. Unweigerlich folgen Mikey´s Augen dieser Richtung. Als sie erblicken, was auch mit Donatello passiert ist, steigert sich seine Verwirrung nur noch mehr. „Donnie? – Sagest du gerade, der Krieg ist schon seit zehn Jahren vorbei? Aber wie ist das möglich, wir haben doch gerade noch…“ Weiter kommt Michelangelo nicht, da jagt ein stechender Schmerz durch seinen völlig überforderten Kopf. Gequält presst er sich wieder die Hände gegen die Schläfen und wimmert hilflos. Beruhigend streicht der Tüftler ihm über den Rücken. „Alles ist gut, Mikey. Tief durchatmen. – Wir haben den Krieg gewonnen, Shredder ist tot. Doch du wurdest von Baxters Strahlenkanone getroffen und irgendwie eingefroren oder so ähnlich. Jedenfalls bist du nicht älter geworden, wir aber schon. Du hattest dein Gedächtnis verloren, doch jetzt scheinst du wieder du selbst zu sein.“, versucht der Brünette ihm zu erklären. Mikey versteht nicht wirklich viel davon, doch es klingt irgendwie logisch.“ „Okay… Aber wenn Shredder tot ist, warum trage ich dann eine Foot-Uniform?“, bricht Mikey nun heraus.
 

Etwas überfordert blicken sich die beiden Älteren an. Was sollen sie tun? Mikey die Wahrheit sagen, dass er unter dem neuen Shredder gedient hat und dass dieser auch noch sein heißgeliebter Bruder ist? Nein, das wäre wohl etwas zu viel des Guten. Also entscheiden sie sich für einen anderen Weg. Langsam erhebt sich Leo und zieht Mikey auf die Füße. „Wie schon gesagt, ist der Krieg schon sehr lange zu Ende und seither ist viel passiert. Wir wissen nicht alles, doch wir werden versuchen, dir all deine Fragen zu beantworten.“ Donnie erhebt sich ebenfalls und gemeinsam machen sie sich auf den Rückweg. „Splinter, Leo und ich sind nach dem Kampf mit Shredder von dir und Raph getrennt worden. Viele Jahre haben wir in Brasilien verbracht und dort den Menschen geholfen, wieder ein normales Leben zu führen. Erst vor ein paar Tagen sind wir hier angekommen. Soweit wir aber wissen, bist auch du verschwunden und Raph ist allein hiergeblieben und hat versucht wieder etwas aufzubauen. Erst vor gut eineinhalb Jahren schien die Wirkung der Strahlenkanone, die dich getroffen hat, nachzulassen und du bist ohne Gedächtnis hier wiederaufgetaucht und hast Raph bei seiner Arbeit geholfen.“
 

„Donnie hat Recht. Und warum du die Uniform trägst, wirst du merken, wenn wir angekommen sind.“ Sie erreichen den U-Bahntunnel und somit den geheimen Zugang zu den beiden Inseln. „Wo gehen wir denn hin?“, fragt Michelangelo unbehaglich. „North Brother Island.“, kommt es knapp von Leonardo. „Die beiden Inseln im East River dienten Shredder damals als Unterschlupf. Raph hat sie zu einer Zuflucht für die Überlebenden des Krieges gemacht.“, erläutert der Tüftler. Wenig später stehen sie vor dem ehemaligen Krankenhaus. Wegen der Kälte und der Tatsache, dass es bald dunkel wird, halten sich jedoch keine Menschen draußen auf. Aber durch die Fenster kann man sie bei ihrem geschäftigen Treiben beobachten. Alles wirkt warm und behaglich. Ein kleines Lächeln breitet sich auf Mikey´s Gesicht aus. Irgendwo tief in seinem Gedächtnis regt sich etwas, das ihm sagt, dass er diesen Ort hier kennt, doch er kann sie partu nicht erinnern. „Das hat wirklich Raph gemacht?“, fragt er stattdessen. „So ist es.“ Der Blonde kann es kaum glauben. Sein aufbrausender Bruder war nie ein besonderer Menschenfreund. Angesehen von seiner Familie fand er alle anderen Leute eher störend.
 

Doch wie es scheint, ist Raphael im Laufe der Jahre sehr erwachsen geworden. „Du kannst dich vielleicht nicht mehr daran erinnern, aber du hast diesen Leuten viel geholfen. Und du hast auch Raph die Kraft gegeben, den Verlust seiner Familie zu verkraften.“ Der Nunchakuträger ringt sich ein schwaches Lächeln ab. „Das hört sich toll an und ich wünschte, ich könnte mich daran erinnern…“, traurig senkt er den Blick. Aufmunternd legt der Schwertkämpfer ihm die Hand auf die Schulter. „Vielleicht wirst du das ja irgendwann. Immerhin hast du dich ja jetzt auch daran erinnert, wer du wirklich bist.“ Gemächlich machen sie sich auf den Weg zur Nachbarinsel. Unbehagen breitet sich dabei in den beiden Älteren aus. Was ist, wenn Mikey beim Anblick von Raph all die Dinge wieder einfallen, die nicht zwischen ihnen sein sollten? Aber dieses Risiko müssen sie irgendwie eingehen, schließlich können sie die beiden ja nicht für den Rest ihres Lebens voneinander trennen. Aber auch in Michelangelo wächst das Unbehagen mit jedem Schritt. Hier auf dieser Insel ist der Geist von Shredder unglaublich präsent, wie eine Hand um den Hals, die einem langsam die Luft abdrückt.
 

Von überall prangert einem das Foot-Symbol entgegen. Alles wirkt so kalt und steril, als wäre hier das komplette Gegenteil der Insel, die sie eben verlassen haben. Kaum zu glauben, dass sich Raphael hier zu schaffen gemacht hat und dennoch alles immer noch nach Shredder schreit. Irgendetwas ist hier ziemlich faul. Das Training für heute ist beendet und so kommen ihnen plötzlich jede Menge Foot-Ninja entgegen. Erschrocken drückt sich Mikey gegen Leo, der beruhigend einen Arm um den Jungen legt. Doch zu seiner Verwunderung reagieren die Foot gar nicht auf sie. Einige heben stattdessen grüßend die Hand oder lächeln ihm zu. Nun ist der Chaosninja vollends verwirrt. Hilfesuchend blickt er sich nach seinen Brüdern um. „Die Foot sind keine richtigen Foot mehr. Sie sind eher eine Art Rettungs- und Schutztruppe, die den Leuten hier hilft und aufpasst, dass der Frieden eingehalten wird. Du bist Teil dieser Truppe und trägst daher auch ihre Uniform. Warum Raph das nicht geändert hat, kann er dir vielleicht selbst erklären…“, versucht sich Donatello zu erklären. Schließlich erreichen sie den Thronsaal.
 

Vor der Tür wartet bereits Splinter auf seine Söhne. Wenigstens etwas, dass Mikey fröhlich stimmt. „Vater!“, ruft er glücklich aus und wirft sich dem Mann in die Arme. „Oh, Michelangelo. Ich bin so froh, dass du wieder zu uns zurückgefunden hast…“ Die beiden Ninja gönnen ihnen einen Moment des tränenreichen Wiedersehens, ehe sie sich alle der großen Tür zuwenden. Laut klopft Leo an. Von drinnen ist schwach eine Antwort zu hören, doch sie klingt nicht sonderlich freundlich. Auf Mikey wirkt sie verbittert und wütend. Unweigerlich läuft ihm ein kalter Schauer über den Rücken und er ergreift unsicher Donnies Hand. Gemeinsam betreten die vier den Saal. Die Person, die dort auf dem Thron sitzt, trägt eindeutig die Rüstung des Tyrannen, doch der Helm steht neben ihr auf dem Boden. Auch wenn die Gestalt mit der Rüstung wirkt wie Shredder, so ist sie es eindeutig nicht. Langsam und vorsichtig erhebt sich Raph von seinem Platz, unsicher wie der jetzt reagieren soll und was die anderen Mikey wohlmöglich erzählt haben. Doch an Hand des Ausdrucks im Gesicht des Blonden, haben sie ihm nicht gesagt, dass Raph Shredders Platz eingenommen hat.
 

„Raph – bist du – bist du – jetzt etwa Shredder?“, kommt es stockend von Mikey. „Ja und Nein…“, gibt der Rothaarige zurück und besieht sich seine Familie. In ihren Augen kann er lesen, dass er jetzt nichts Falsches sagen und seine Worte mit größtem Bedacht wählen sollte. Er schluckt schwer und zu seiner Überraschung hilft Leo ihm sogar. „Raph war es, der Shredder damals getötet hat. Und nach den Clanregeln hat er daher seinen Platz eingenommen…“ Immer noch überfordert wendet Mikey seinen Blick wieder zu Raph. „Ja, das stimmt. Doch ich bin nicht böse oder so. Ich habe einzig seinen Platz eingenommen und den Foot-Clan zu etwas Gutem umgekrempelt. Ich habe all das hier aufgebaut und unzähligen Menschen ein neues Zuhause gegeben. – All die Symbole und die Rüstung sind nur eine Art Hilfsmittel, um Kraft und Entschlossenheit zu signalisieren und den Leuten klarzumachen, dass der Terror jetzt ein Ende hat. Verstehst du?“, hilflos blickt er den Jüngeren an. Mikey grübelt eine ganze Weile nach. „Ja, ich denke schon. - Und ich denke, ich kann mich auch an einiges erinnern. – An das Training mit den Foot. – Und wie wir am Lagerfeuer auf dem Dach gesessen haben. – Doch da sind so viele Lücken, so viele Fragen, so vieles, das ich nicht verstehe…“
 

Sanft legt Splinter seinem Sohn die Hand auf die Schulter. „Das ist überhaupt nicht schlimm, Michelangelo. Jetzt, wo wir alle wieder zusammen sind und du dein Gedächtnis wiederhast, bin ich mir sicher, werden wir einen Weg finden, um dir all deine Fragen zu beantworten. Jetzt sind wir wieder eine Familie und immer für dich da.“ Aufmunternd lächelt der alte Mann ihn an. Langsam kommt Raphael zu den anderen hinüber. Auf dem kurzen Weg streift er sich die verhasste Rüstung ab und lässt sie Stück für Stück zu Boden poltern. Er hat seine Fehler eingesehen. Auch wenn sich Mikey nicht mehr an die Zeit erinnern kann, die sie zu zweit verbracht haben, so erinnert er sich jetzt wieder an die Zeit, die sie fast ein Leben lang geteilt haben und das ist weit mehr wert, als seine egoistischen Gefühle. Und vielleicht besteht ja die Möglichkeit dies eines Tages zu ändern, wieder eine innige Beziehung zu ihm aufzubauen, ohne Reue und ohne Geheimnisse. Es wird eine ganze Weile dauern, bis sie sich alle wieder blind vertrauen können, doch das ist egal. Voller Zufriedenheit schließen sie einander in die Arme und blicken in eine gemeinsame Zukunft im Zeichen der Schildkröte.
 


 

Owari!


Nachwort zu diesem Kapitel:
Zitate: *Er steht langsam auf. Seine Beine fühlen sich schwer an, sein Magen fühlt sich schwer an. Nur sein Kopf fühlt sich merkwürdig leicht an; ein mit Gas gefüllter Ballon, der an einem Bleigewicht gefesselt ist. Er ertrinkt plötzlich in Einsamkeit, leidet unter dem hellen und trotzdem bedrückenden Bewusstsein, ein Lebewesen zu sein, das von seinesgleichen verstoßen wurde.
Stephen King - Das Mädchen 1999

*Als der Blonde aufwacht, singen die Vögel voller Zuversicht. Das Tageslicht ist stark und hell, es muss früher Vormittag sein. Er hätte sogar noch länger schlafen können, aber das lässt sein Hunger nicht zu. In seinem Inneren tobt eine große Leere von der Kehle bis ganz hinunter zu seinen Knien. Und genau in der Mitte tut es weh, richtig weh. Es ist, als wird er irgendwo dort drinnen gezwickt. Dieses Gefühl erschreckt ihn. Er war schon früher hungrig gewesen, aber nie so hungrig, dass es auf diese Weise wehgetan hat.
Stephen King - Das Mädchen 1999 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Zitat: *Mikey ist hier, und alles wird gut werden, denkt Raph, und es erfordert seine ganze Anstrengung, dass er nicht in äußerst unmännliche Tränen ausbricht.
Stephen King - Die Augen des Drachen 1987

Lied: Avicii – Hey brother Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Lied: Starship – We built this city
Zitate: *10 Jahre nach der Terrorherrschaft, die eine Schneise von Tod und Zerstörung durch New York gezogen hat, ist die Luft erfüllt vom Klang der Hammerschläge, vom Geruch neuen Bauholzes, und die Menschen sind durchdrungen von Optimismus und einem Gefühl der Unverwüstlichkeit.
Stephen King - Carrie 1974

*Raph hat eine etwas schiefe Nasenscheidewand und beginnt jetzt leicht zu schnarchen, ein Geräusch, das Michael als angenehm empfindet. Es ist gut, das Bett mit einem anderen Menschen zu teilen, einem wirklichen Menschen, der wirkliche Geräusche von sich gibt - und ihm manchmal die Decke wegzieht. Er lächelt in Zwielicht der einzelnen Lampe. Dann kehren seine Gedanken wieder zu seinem Albtraum zurück.
Stephen King - In einer kleinen Stadt 1991


P.S. das nächste kapitel könnte etwas länger brauchen. doch keine sorge. ich habe von einer leserin einen neuen wunsch für ein Special für "life sounds like booyakasha" bekommen, den ich erst mal schreiben möchte. doch da die meisten von euch die ff auch gelesen haben, freut ihr euch sicher auch darüber ^^ doch ich versuche mich zu beeilen, damit es hier auch so schnell wie möglich weiter gehen kann!
lg mikey Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
hier habt ihr mal ein kleines bild von der übung, die chen mit den foot macht, um es euch besser vorstellen zu können ^^

https://cptaichi.files.wordpress.com/2008/09/alinea.jpg?w=300&h=264

an dieser stelle möchte ich auch meinen lieben sensei grüßen, auch wenn er nicht bei mexx ist und auch nicht weiß, was ich hier so schreibe ;P aber er ist wie ich ein großer turtles fan und unterreichtet mich in taiji. als wir dann unsere gemeinsame leidenschaft für die grünen helden entdeckt haben, kam er auf die tolle idee, mir doch auch ninjutsu beizubringen ^^ als streber der klasse (ein echter kleiner leo :P) hab ich natürlich begeistert ja gesagt und so bekomme ich einzelunterricht von ihm im turtlestyle, was ich äußerst toll finde. ich lerne mit allen vier waffen umzugehen und kann mich zudem noch mit ihm über die jungs unterhalten. und ich muss sagen, er macht das richtig toll. wann immer ich mir eine folge der jungs ansehe, springen mir die übungen entgegen, die er mit mir durchgegangen ist und dass ist einfach hammer. nicht nur, weil auch ich sie beherrsche, sondern weil sich die produzenten wohl sehr eingehend und genau mit dem alten kampfstil beschäftigt haben, was doch echt mal ein lob wehrt ist^^
die übung, die ich versucht hab zu beschreiben, kommt bei uns in jeder trainingsstunde zum aufwärmen vor, von daher weiß ich wie anstrengend sie sein kann, auch wenn es vielleicht nicht so aussieht ^^
also viele grüße an meister (splinter) jan und ich hoffe, ihr hattet auch spaß beim lesen.
das nächste kapi wird wieder etwas länger brauchen, da ich vorher wieder einen specialwunsch in sounds like booyakasha erfüllen werde! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Zitate: *Das warme Gefühl sexueller Erregung ist plötzlich verschwunden. Er schlägt ihm ins Gesicht. Es geschieht, bevor er überhaupt weiß, dass er es tun wird. Die Hand eines Menschen ist wie ein Tier, das nur halb gezähmt ist; meistens ist es gutmütig, aber manchmal beißt es das Erste, was es sieht.
Stephen King – The Green Mile 1996

*Der Junge macht die Augen zu. Er sieht unglaublich zierlich aus, wie ein Kind, das gerade beginnt, sich von einer schrecklichen Krankheit zu erholen, und jeden Moment einen Rückfall haben kann.
Stephen King – Desperation 1996 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Zitate: *Er weint. Irgendwann jedoch werden die Tränen versiegen. Es ist ein notwendiger erster Schritt auf dem Weg zu einem unsicheren Frieden mit einer Wahrheit, die nie verblassen wird.
Stephen King – Friedhof der Kuscheltiere – 1983

*Wahrscheinlich wird der Blonde darüber hinwegkommen. Schließlich haben sie sich schon als Kinder heftig gestritten und dabei hatte er Mikey weiß Gott wie oft zum Weinen gebracht, aber so schlimm wie diesmal war es noch nie. Raph ist traurig, wütend und unglücklich zugleich, will es wiedergutmachen, weiß aber nicht wie, ist sich nicht einmal sicher, ob er es sein muss, der den ersten Schritt machen sollte.
Stephen King – Friedhof der Kuscheltiere - 1983


ob ihr es glaubt oder nicht, aber die ist wirklich das ende vom lied. die Story ist aus und ich hoffe, es hat euch gefallen ^^
an dieser stelle möchte ich mich ganz herzlich bei allen lesern und Kommentatoren für eure endlose geduld und eure lieben worte bedanken *verbeug*
ihr habt mir wirklich viel mut gemacht und ich hatte sehr viel spaß eure kommis zu lesen XD

doch alles muss mal ein ende haben. nichts desto trotz habe ich schon einige neue Projekte auf meiner liste. so wird meine nächste ff, (die wahrscheinlich noch im November, aber auf jeden fall noch dieses jahr) die an den start geht, von den Ghostbusters handeln. und ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn ihr mit den vier jungs und mir auf geisterjagd gehen würdet ^^ also haltet ausschau und seit gespannt!

viele liebe grüße
euer mariku Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (23)
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Von:  Douggie-Boy
2017-12-04T18:21:23+00:00 04.12.2017 19:21
Wollt ihr wirklich meine Meinung hören... okay... Diese Geschichte ist einer DER BESTEN DIE ICH JE GELESEN HABE. Sie hat wirklich alles: Liebe 😍, Drama und Turtles 🐢!!! Wirklich toll!!! Nur schade das sie schon zu Ende ist 😭 Wenn sie doch noch weiter geschrieben wird, wäre das wie ein Weihnachtsgeschenk 😁🎁
Von:  Leucan
2016-11-09T14:28:18+00:00 09.11.2016 15:28
Ende?! Ende ende?! What? Jetzt wo Mikey wieder Mikey ist 😱
Aber wenigstens haben sie wieder zueinander gefunden 😊 das freut mich am meisten und die beiden werden sich bestimmt wieder Annähern. :D

Freu mich auf weitere Storys von dir und den 4 Rabatten

LG KC
Von:  Leucan
2016-11-04T10:12:12+00:00 04.11.2016 11:12
Oh no...das ist garnicht gut. Ganz und garnicht. Armer Mikey. Ich hoffe das renkt sich wieder ein. 😱 Oh nein nein nein.

LG KC
Von:  Leucan
2016-10-12T14:49:37+00:00 12.10.2016 16:49
Sie leben noch... Juhe Juhe Juhe Juhe und Oh gott oh gott wie wird das weiter gehen. 😱😨
Juhe sie leben.

LG KC
Von:  lloyd008
2016-10-12T13:21:06+00:00 12.10.2016 15:21
Ich war voll geschockt als ich das mit Mikey gelessen habe😵 aber schön dass es ihn besser geht. Jetzt trifft sich die Familie endlich nach so langer Zeit wieder♡♡ uh, wen sie erst herausfinden was Raph mit Mikey gemacht hat...😈♡
Von:  Leucan
2016-09-21T16:59:06+00:00 21.09.2016 18:59
Die Tragödie...Wird sich ehemals mikey noch an etwas erinnern. und ein sentimentaler Raph.Spannend spannend.

LG KC
Von:  Leucan
2016-05-13T14:59:07+00:00 13.05.2016 16:59
Oh nein ärmer mikey/Michael. Und armer Raph. Sind sich so nahe aber doch so fern. Da kommen sie sich mal Näher dann versaut Raph alles.
Bin ich ja mal gespannt wie es mit den beiden weiter geht.

LG KC
Von:  lloyd008
2016-04-19T21:49:14+00:00 19.04.2016 23:49
Schreib bitte bald wieder was. Ich kann nicht mehr warten. Muss wissen wie es weiter geht...
Von:  Temari-nee-chan
2015-11-09T18:58:10+00:00 09.11.2015 19:58
Hallöchen;)
Ein wundervolles Kapitel und immer wieder sehe ich wie sehr Raphael an seinem Bruder hängt. ER hat ihn beschützt. Letztendlich auch vor sich selbst. Ich verstehe ihn. eR will Mikey endlich wieder nah sein. Doch weiß er, dass es noch Zeit braucht. Ich hoffe aber, dass Raphs Warten bald belohnt wird. Lg Tanja
Von:  jaceupinspace
2015-11-09T18:04:29+00:00 09.11.2015 19:04
wie immer einfach klasse :)


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