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Night Crawler

Die Geschichten der Night Crawler Gilde
von

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A S S A U L T

Seit einer gefühlten Ewigkeit saß ich in dieser Einöde, ähnlich einer Wüste, und wartete. Als ich online ging und in dieses Area wechselte, hatte ich nicht auf die Uhr geschaut, aber ich war mir sicher, dass es schon eine Stunde her sein musste. Direkt als ich heute nach der Lerngruppe nach Hause kam, war in meinem Postfach eine Mail, die ich unmöglich ignorieren konnte. Wäre es nichts Dringendes gewesen, hätte ich es ja auf morgen verschoben, aber nicht heute. Kamon, der Leader der Gilde in der ich war, schrieb, dass es heute einen Überraschungsquest geben sollte mit seltenen Items.

Ich überlegte, was es sein könnte, während ich die Landschaft bewunderte. Ja, man konnte es wirklich als bewundern bezeichnen, immerhin war alles für ein MMORPG unglaublich schön verarbeitet. Nach dem neusten Update wirkte die Landschaft noch etwas realistischer als zuvor. Schon alleine wie der Wind den Sand des Bodens hob und zu kleinen Wirbeln formte, faszinierte einen. Die Programmierer dieser Welt waren wirklich Männer ihres Faches und erweckten diese Welt immer mehr und mehr zum Leben.

Ich merkte jedoch, dass ich nicht mehr alleine war, auch andere Spieler versammelten sich Stück für Stück hier. Es wunderte mich sehr, da es doch ein unangekündigter Quest gewesen war. Natürlich war Kamon eine Ausnahme: als einer der oberen Admins des Spiels wusste er immer sehr früh von so einer Veranstaltung oder er plante sie sogar selbst. Sonst jedoch teilte er es einem nicht mit. Daher war ich auch umso verwirrter über den Anblick der Spieler, die hier nach und nach eintrudelten.

Als ich eine Spielerin sah, konnte ich nicht anders als über ihren Anblick zu schmunzeln. Jetzt wusste ich, wem ich meine unerwünschte Gesellschaft in dieser Ödnis zu verdanken hatte: Yurei. Ich kannte sie noch zu den Anfängen hier in The World:R2. Sie liebte es, Spieler mit Informationen zu versorgen und dafür ordentlich GPs einzusacken. Irgendwie musste sie Wind von der Sache hier bekommen haben und verkaufte diese Information teuer weiter. Früher war ich selbst gerne Kunde bei ihr gewesen und ließ mein halbes Vermögen in ihre Taschen fließen, nur um zu erfahren, wo die besten Quests und die seltensten Items waren oder welche Spieler etwas zum Tauschen hatten oder nicht. Das legte sich aber auch irgendwann, als Kamon beiläufig erwähnte, dass er Admin des Spiels war und ich ihn doch selbst fragen sollte und nicht sie. Diese Offenbarung hatte mir eine Menge Geld, Mühe und Zeit erspart.

Seufzend lehnte ich mich vor meinem Computer zurück. Ich war müde, musste morgen wieder früh raus und von Kamon war weit und breit nichts zu sehen. Dann endlich hörte ich seine vertraute Stimme in meinem Kopfhörern: „Ich hätte nicht erwartet, dass du wirklich kommst. Musst du morgen nicht zu einem Termin?“

Warum schickte dieser Mann mir eine E-Mail, wenn er nicht einmal glaubte, dass ich hierher kommen würde. Vermutlich, wenn ich jetzt Einspruch erheben würde, käme er mir mit etwas wie: „Ich habe nicht gesagt, dass du kommen musst.“

„Doch, aber das ist nicht so wichtig. Du bist spät.“

„Es gab Probleme mit Aida.“ Wieder Aida, ich wusste kaum, was es war, aber die Probleme damit häuften sich von Mal zu Mal mehr. Soweit ich es verstanden hatte, war es so etwas wie ein Virus in The World selbst, der schlimme Auswirkungen auf die Server oder Spieler haben konnte. Kamon erzählte mir kaum etwas darüber, nur, dass sie immer wieder mal wohl so etwas wie ein Team in die Areas schickten, um Aida aufzuspüren und zu beseitigen. Ob dieser Virus auch etwas mit den Spielern zu tun hatte, die ins Koma fielen, wusste ich nicht, aber ich wagte es auch nicht, danach zu fragen. Schon vor vielen Jahren entstanden Gerüchte über anhäufende Fälle, wo Spieler einer nach dem anderen ins Koma gefallen waren, aber der CC Corp konnte nichts nachgewiesen werden. Irgendwann im Laufe der Jahre und nach der neuen Erweiterung häuften sich wieder die Fälle… aber dieses Mal verschwanden auch die Opfer. Manchmal war es mir unbegreiflich, wie Kamon dort arbeiten konnte, wenn diese Firma vielleicht so viele Opfer bisher forderte, ohne, dass man ihnen den Prozess machte. Aber war ich denn besser als die? Eigentlich nicht, immerhin hatte mein Freund mir angeboten, eine Stelle dort zu vermitteln… und ich willigte sogar mit Freuden ein. Ich nahm doch genauso wenig Rücksicht auf die Opfer, nur zu meinem eigenen Wohl. Ob Kamon überhaupt so viel wusste oder war er vielleicht ein einfacher Angestellter?

Ich setzte mich zu meinem Begleiter, der mich gerade in seine Party einlud.

„Wir werden uns hier hinten aufhalten, denn es ist eigentlich nur wichtig, wer als erster den Gegner angreifen wird und dann noch überlebt. Lassen wir die anderen erst einmal die Arbeit machen.“ Das klang eigentlich nicht wirklich nach einer ehrenhaften Strategie, aber letztlich, wenn der Gegner wirklich stark war, die einzige sinnvolle. Als Archer hatte ich den Vorteil, weite Entfernungen nutzen zu können und vielleicht mit einem Schuss der Erste zu sein. Vermutlich wussten die anderen Spieler nicht einmal, was Voraussetzung war.

„Es erinnert mich an die Nachfahren Fiannas. Vielleicht werden wir auch bekannter oder gar berühmt werden, wenn wir diesen Quest schaffen…“ Jeder kannte die Nachfahren Fiannas: Orca vom Blauen Meer und Balmung vom Blauem Himmel. Es gab einen Quest, der nicht machbar war, für keinen Spieler damals in der alten Version, aber diese beiden meisterten ihn und erhielten einen sehr seltenen und einzigartigen Gegenstand. Die einzigen Schwingen, die damals je vergeben wurden. Balmung trug sie von dort an auf seinem Rücken ähnlich wie bei einem Engel. In der heutigen Version gab es auch diesen Quest, aber er hatte bei Weitem nicht mehr diese Tragweite wie damals. Klar, es war eine Leistung, aber keine wie früher als der Gegner als unbesiegbar galt.

Kamon lachte leise, er kannte sie ebenfalls, aber wer kannte sie schon nicht. „Vielleicht, aber dann werden wir uns vor Anfragen nicht mehr retten können und bisher möchte ich nicht so viele Leute haben, die danach nur Anerkennung wollen.“ Ich konnte ihn verstehen. Wir waren seit Langem eine kleine Gilde, in die keiner eintreten wollte. Mit Glück fanden wir immer ein paar Members, aber letztlich blieb es nur bei uns beiden, dennoch arbeiteten wir uns immer weiter hoch, für einen eigenen Server. Die großen und bekannten Gilden hatten ihn irgendwann und obwohl wir meist nur zu zweit waren, wollten wir auch einen eigenen haben. Man musste nicht nur eine große Gilde sein, man musste nur genug dafür machen: Gilden-Quests und Geld sammeln. Noch waren wir unbekannt, aber irgendwann würde man uns auch respektieren wie die anderen Leaders der führenden Gilden.

Nun fiel mir aber Kamons Starren auf und ich selbst wandte meinen Blick in dieselbe Richtung. Ich verstand sofort, worum es ihm ging: W. B. Yeats. Er war der Grund gewesen, warum damals alle in The World von Balmung und Orca erfuhren. Er nannte sich selbst einen Web-Poeten. Nur selten las man noch seine Ergüsse im Forum. Es schien, als habe er das Interesse an diesem Spiel verloren oder eher an der neuen Version. Was auch immer er hier wollte, es diente wohl als neues Futter für seine verkorkste und eher mittelmäßige Poesie.

Kamon wollte gerade aufstehen, als eine Nachricht eingeblendet wurde, dass auf diesem Server in dieser Area ein Quest beginnen würde. Ohne weiter darüber nachzudenken hielt ich schon meinen Bogen bereit, um den ersten Schuss abzufeuern; der Steam Gunner zu meiner linken tat es mir gleich. Wir wussten, dass wir schnell sein mussten. Schon schossen wir eigentlich ins Nichts hinein und zogen nun mehr die verwunderten Blicke der anderen auf uns. Bevor sie verstanden, dass diese scheinbaren Anfänger-Fehler bedacht waren, grub sich aus dem Boden vor uns etwas Kolossales heraus… und ja, ich hatte es erwischt!

Es war wirklich etwas Gigantisches, gleich zu setzten mit dem Ungetüm des One-Sin-Quests. Hätte ich die Größe schätzen müssen, wären es wohl 20 Meter gewesen. Dieses Monster war gigantisch. Es glich einem Drachen, dem Schuppen und Fleisch nur noch in Fetzen von ihm hingen. Die Flügel, die die virtuelle Sonne abschirmten, und fast alles in den Schatten tauschten, umfassten das Doppelte seiner Größe. Ich konnte und wollte nicht glauben, dass wir noch siegreich hier raus kommen würden. Die Spieler vor uns stürmten auf dieses Ungetüm zu und auch hinter mir vernahm ich das Gebrüll weiterer Spieler, die sich ahnungslos in diesen Quest stürzten.

„Kamon….“. Aber Kamon wollte wohl alles, nur nicht näher an dieses Ungetüm heran. „Wir müssen Abstand gewinnen, es muss einen Trick geben.“ Mit diesen Worten verwendete er bei uns beiden einem Speed Charm, um unsere Schnelligkeit rapide zu erhöhen.

Ich dachte, ich höre nicht richtig, hatte er nicht diesen Quest gemacht oder geplant? Wieso wusste er dann nicht, wie wir das Ding da besiegen konnten. Dennoch folgte ich ihm und wusste zu schnell, warum. Eine Feuersbrunst kam uns entgegen und überrollte alle Spieler vor uns. Instant Kill. Damit waren wohl Yurei und unser Möchtegern-Poet Geschichte. Ich hätte gar nicht so einen Wirbel darum machen müssen, zu schießen, immerhin waren wir nun alleine. Aber wer konnte ahnen, dass die Macher selbst so ein Monster schaffen würden… ein unbesiegbares Monstrum.

Kamon schaute nicht zurück, er schien zu suchen und ich tat es ihm gleich. Mein Puls schlug mir bis zum Hals und der Controller lag schweißnass in meinen Händen. Das Monster hinter uns kam uns immer näher. Es war aber überraschend langsam. Mein Begleiter deutete in eine Richtung und ich wusste sofort: Wir würden uns trennen, anders ging es gerade nicht. Ich schlug direkt in eine andere Richtung ein und hatte das zweifelhafte Glück, dass nun Kamon verfolgt wurde und eine Feuerwelle die nächste jagte. Während Kamon um sein Leben rannte, versuchte ich den Ort zu überblicken. Umso weiter wir rannten desto näher kamen wir einem Abgrund, es war doch zu offensichtlich und Kamon schien es auch zu begreifen. Dieses Monster war schwerfällig und würde schlecht ausweichen können. Mit jedem Schritt, dem wir diesem Abgrund näher kamen, desto schneller schlug mein Herz, die Aufregung, das hier und jetzt zu beenden, war unglaublich und wir konnten es noch schaffen. Ich kam Kamon näher, für den Fall, dass vielleicht etwas schief gehen würde. Aber bis zum letzten Schritt war das alles eigentlich ein Kinderspiel. Kurz vor dem endlosen Abgrund, der nichts als die Ungewissheit wiedergab, rannten wir in eine andere Richtung und das gigantische Monstrum versuchte es ebenfalls. Jedoch rutschte es ab und wie erwartet über die Klippe, es war wirklich zu einfach. Doch noch bevor ich erleichtert aufatmen konnte, streifte eine der übergroßen Schwingen über den Boden und kehrte uns einfach mit hinunter.
 

Ich schrie am PC auf, ich konnte es nicht fassen. Eben noch glaubte ich daran, dass wir es geschafft hatten und nun saß ich vor einem Ladebildschirm, der mich ins Ungewisse führen würde. Mein Game Over war doch schon so gut wie sicher!

„Castiel, bleib ruhig… es war doch klar, dass wir da nicht so leicht durch komme würden…“, meinte Kamon gelassen durch meine Kopfhörer und er hatte recht. Es wäre zu einfach gewesen

„Hast ja recht. Wahrscheinlich war das mit einprogrammiert, dass Spieler in einem gewissen Radius mit in den Abgrund gezogen werden.“

„Denke ich auch, ich vermute, jetzt beginnt die eigentliche Arbeit. Hast du noch genug Heiltränke?“ Ich hatte noch einige und bejahte diese Frage, aber dieser Ladebildschirm machte mich wahnsinnig. Und kaum als ich mich darüber beschweren wollte, switschte es zwischen dem Ladebildschirm zu einer düsteren vernebelten Ebene. Vor uns war das Ungetüm, aufgespießt am Felsen, und wirkte dennoch sehr aktiv. Erst jetzt wurde mir meine HP-Anzeige bewusst, die war im Keller: 1 HP. Schnell versuchte ich mich zu heilen, aber schon erwischte mich der Schweif des Drachen. Wenigstens konnte Kamon sich heilen und mit einem guten Ausweichmanöver der nächsten Attacke ausweichen. Ich konnte nur hoffen, dass er etwas zum Wiederbeleben mit hatte, aber wie ich ihn kannte, war sein Inventar bis zum Maximum gefüllt. Zu meinem Glück konnte er mich heilen.

Unsere jetzige Strategie war nun wirklich kein Geniestreich: Kamon würde mich heilen, während ich versuchte, diesem Ding HP abzuziehen, aber so leicht würde es nicht werden. Das Monster griff immer wieder mit einer Klaue und seinem Schwanz an und schnappte mit dem Maul. Ab und an kam uns eine kleine Flammenwelle entgegen, die uns fast unsere ganze HP abzog. Schnell musste Kamon wieder mit angreifen, sonst würden wir hier noch stundenlang festsitzen und die Items zu früh zur Neige gehen.

Schweiß ran mir von der Stirn und mein Shirt klebte mir am Körper, warum musste es auch so schrecklich heiß sein. Immer wieder hatte ich das Gefühl, der Controller würde mir aus den Händen gleiten und ich befürchtete wie so oft, Kamon zur Last zu werden und letzten Endes alles umsonst zu machen. Aber dennoch lief es irgendwie. Immer wieder wurde es brenzlig, zu viele Schläge und Angriffe, aber irgendwie konnten wir unsere Figuren am Leben halten. Ich wusste nicht, wie lange wir mit diesem Ding hier gefangen waren, aber es mussten Stunden gewesen sein. Die Lebensleiste schien auch nur im Minutentakt ein Stück abzunehmen. Es war ein unglaublich langer Kampf und er forderte viele meiner Nerven.

Diese Aufregung machte einen fertig, immer die Angst zu haben, gleich Game Over zu gehen und wahrscheinlich 3 bis 4 Stunden Arbeit in den Wind geschossen zu haben. Diese Aufregung machte einen doppelt so fertig und die Müdigkeit nagte genauso an mir. Ich war angespannt und sehnte mich nach der Energiedrink-Dose auf meinem Schreibtisch, doch die Angst wegen dieser Sekunde der Unaufmerksamkeit alles zu ruinieren, hielt mich davon ab.

Und dann endlich, der letzte Schuss mit meinen nie enden wollenden Pfeilen gab diesem Mistvieh den Gnadenstoß! Das war der längste, schlimmste und anstrengendste Quest meines Lebens gewesen und ich wusste, wenn das Item, was wir bekommen sollten, uns nicht nützlich sein würde, würde ich meinen PC und den Tisch aus dem Fenster werfen. Aber anstatt etwas zu bekommen, erschien nur wieder dieser verflixte Ladebildschirm. Eigentlich war ich eine recht ruhige Persönlichkeit, aber dieser Quest gab mir für heute den Rest. Ich war für heute mit meiner Welt am Ende und ich bezweifelte stark, dass wir wirklich was Lohnendes bekommen würden. Kamon schwieg sich auch aus, aber wen wunderte es, er war auch den ganzen Tag arbeiten und danach spielte er noch bis in die Nacht. Zu guter Letzt gab das aktuelle Wetter einem den Rest. Immerhin war es mitten in der Regensaison im Hochsommer, die Luft war schwül und drückend.

Wir fanden uns inmitten des Feldes wieder, wo der Quest begonnen hatte, die Spielerleichen lagen da herum als warteten sie noch auf etwas. Entweder hatten die Spieler vor Wut die Computer abgeschaltet, ohne sich auszuloggen oder aber sie warteten darauf, dass das Monster wieder kam. Aber da waren nur wir beide mit einem leer geräumten Inventar. Wir hatten wohl alle Tränke verbraucht, die wir hatten wie Zauber Charms. Man konnte wirklich davon ausgehen, dass wir einen Wert von jeweils 300.000 GP verschwendet hatten.

Ernüchterung machte sich in mir breit, keine Truhe, kein Item, kein gar nichts… Dann aber, eine Mail, und scheinbar hatte Kamon auch eine bekommen. Ich atmete erst einmal tief durch, immerhin wusste ich nicht, was mich erwarten würde, aber ich befürchtete das Schlimmste: Gratulation, ihr habt es überlebt. Schönen Tag noch.

Anstatt mein eigenes Postfach zu öffnen beobachtete ich den Steam Gunner. Plötzlich ertönte aus meinen Kopfhörern ein lauter Knall und zuerst befürchtete ich einen weiteren Angriff, aber nein, kein Gegner war zu sehen.

„Kamon, alles klar bei dir…? Hallo?“ Nur wieder irgendwelches Gepolter und dann endlich die Antwort:

„Mein Stuhl ist umgekippt… Ließ die Mail, du wirst es nicht glauben.“ Wenn Kamon sagte, ich müsse sie dringend lesen, dann war es wichtig. Also öffnete ich die Mail in der Hoffnung, dass da wirklich was Unglaubliches bei raus kommen würde „Herzlichen Glückwunsch! Du und der/die Spieler Kamon haben erfolgreich den Endless-Nigthmare-Quest absolviert. Zur Belohnung dieses einmaligen Events erhältst du das Item Renew-Server. Einzusetzen ab einer GP Summe von 1.000.000 und dem Gilden Level 7 (zur Erstellung eines Gilden Servers).“

Ich lass mindestens fünf Mal diese Mail, ich konnte es nicht glauben. Man gab uns die Möglichkeit hier und jetzt einen Server zu bekommen. Die Anforderungen waren zwar nicht ohne, aber für uns wirklich im Rahmen des Möglichen. Wir hatten es geschafft!

Wir hatten die GPs und auch schon das Gilden Level knapp vor einer Woche erreicht, was konnte einen daran hindern? Nichts!
 

Noch in derselben Nacht verwendeten wir das Item für unseren Gilden Server. Ich ließ Kamon die Key Word wählen: Sacred – Forbidden – Paradise.

Im Nachhinein hätte ich zu gerne Kamons Mail auch gelesen, da ich vermutete, dass ihm ein Kollege einen Gefallen tun wollte. Und seitdem wir dieses Spiel spielten, war unser Ziel immer nur ein eigener Server. Wer auch immer diesen Preis wählte, wusste bestimmt davon. Vielleicht aber bildete ich es mir auch nur ein und jeder hätte dieses Item bekommen.

In den darauf folgenden Tagen las ich immer wieder im Forum. ob unser Möchtegern-Poet vielleicht über uns schreiben würde wie über Balmung und Orca. Aber nein, er verschwendete kein Wort an uns. Ich gebe zu, ich war damals unglaublich enttäuscht. Dafür aber berichteten andere Spieler von diesem Quest und auch von unserer Gilde. Yurei war da auch sehr aktiv gewesen und posaunte im Forum alles Mögliche heraus.

Das Ansehen der Gilde stieg wirklich an und bald schon waren wir mehr als nur bekannt, zwar bekamen wir keine Beinahmen wir Balmung und Orca, aber ein ähnliches Ansehen. Entsprechend viele Anfragen und Mails kamen mit dem Wunsch, unserer Gilde beizutreten, aber da waren Kamon und ich uns einig: Wir suchten uns die Members, sie nicht uns.

Und ich glaube noch immer, dass diese nie enden wollende Suche nach außergewöhnlichen Spielern auch eine kleine Freude ist, die dieses Spiel mit sich bringt.

R E C R U I T M E N T

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, obwohl ich schon seit geschlagenen zwanzig Minuten vor diesem Verkaufsstand einer unbekannten Gilde stand und die Skills der Waffe verglich. Eigentlich interessierte mich keine dieser Waffen, sie waren nicht mal auf einem guten Level und vollkommen nutzlos. Wäre ich in einer Gilde gewesen, hätte ich ins @HOME gehen können, um sie aufzuwerten, aber genau das konnte ich nicht. Und diese Gedanken führten mich zu meinem eigentlichen Problem: Vor einigen Tage sprach mich so ein Typ an und fragte mich, ob ich nicht in seine Gilde eintreten wollen würde… ich wollte nicht. Grundsätzlich wollte ich in keine Gilden, man ging zu viele Verpflichtungen ein und jeder glaubte dann plötzlich, er würde dein Freund sein. Beides wollte ich nicht, weder Freunde in diesem Spiel oder mich denen auch noch verpflichtet zu fühlen.

Ich spielte doch gerade deswegen The World, um meinen Verpflichtungen im realen Leben aus dem Weg zu gehen.

Aber irgendwie ließ mich das nicht mehr los, es lag nicht mal daran, dass der, der mich fragte, einen sonderlich beeindruckten Charakter spielte, obwohl ich zugeben musste, dass der unglaublich auffällig war und man ihn schwer vergessen konnte… lag vielleicht auch nur an diesen schwulen pinken Haaren.

Der eigentliche Grund war die Gilde selbst, sie war sehr bekannt und wohl schon seit Beginn der The World R:2“-Erweiterung da. Obwohl manche Idioten in Foren schrieben, sie sei davor schon da gewesen. Aber sie hatten sich von einer kleinen Low-Level-User-Gruppe zu einer der erfolgreichsten Gilden hocharbeiten können und das mit maximal sieben Mitgliedern, die wohl ständig wechselten. Meines Wissens nach waren nur die beiden Gründer der Gilde die einzigen Beständigen dort.

Also warum sollte ich in eine Gilde, die ihre Members wechselten wie Socken? - abgesehen von dem hohen Ansehen, dem Reichtum, den seltenen Items und einem eigenen Server als Gildenhaus… wie hatten die das bloß geschafft…?

Aber ich hatte genug gegrübelt und den Kleinen vor mir lange genug schmoren lassen, also ging ich ohne etwas zu kaufen weiter und zum Chaos Gate. Ich hörte von den Holy Grounds, geheimen Orten außerhalb der Zuständigkeit der Admins. Sie konnten weder verändert noch gelöscht werden und schienen von sich selbst weiter zu entwickeln. Sie hatten ihr Eigenleben und funktionierten immer weiter. Die wollte ich mir wirklich nicht entgehen lassen. Also gab ich die Keywords Δ Hidden Forbidden Holy Ground. Der Wechsel ging einfacher als ich gehofft hatte, nicht wie in der alten Version von The World. Dort musste man sich regelmäßig in Sever hacken, damit man ihn erkunden konnte. Ich hatte die alte Version vermisst, ich war zwar noch sehr jung gewesen, aber ich dachte sehr oft daran zurück und zu Beginn verfluchte ich die Erweiterung, aber mittlerweile konnte ich mich damit anfreunden.

Das Area war wirklich anders als die anderen, keine große Gegend, sondern nur eine einsame Kathedrale inmitten einer verlassenen Landschaft. Hinter den kleinen Mauern, die mich und dieses Gebäude umgaben, war ein tiefer Abgrund, in dem sich die Textur von Wasser langsam bewegte. Ich ging zu der Mauer hin und beugte mich vor, um in den Abgrund zu schauen, der diesen ruhigen Platz umgab. In der Ferne erstreckte sich eine Felswand in die Höhe und alles getaucht in das Rot einer Abendsonne. Es war wirklich ein harmonischer Anblick und wirkte sehr beruhigend auf mich. Das es hier solche Orte geben sollte, kam mir so unwirklich vor. Wie konnte sich so eine Landschaft einfach alleine erstellen und friedlich weiter existieren, wenn ganze Admin-Teams versuchten, sie für immer aus dem Spiel zu verbannen.

Ich wandte mich von diesem Anblick ab und machte mich auf den Weg zur Kathedrale, die nicht sonderlich weit war, ein kurzes Stück und schon ging es eine Treppe hinauf. Kaum war ich am Fuße der Treppe angelangt, gaben meine Kopfhörer leise den Sound von kirchlicher Musik wieder. Ich musste eingestehen, dass ich das sogar ganz gut gemacht fand, denn mit jedem Schritt, dem ich mich dem Tor näherte, wurde der Sound lauter, als käme er wirklich aus der Kirche selbst.

Ich ging hinein und fand das typische Bild einer Kirche wieder, Bänke zum Sitzen, große Fenster und einen Altar, auch wenn dieser umzäunt war. Und obwohl alles so typisch war, beeindruckte mich dieser Ort. Schon in der alten Version des Spieles hörte ich von diesem Ort, nur das beschrieben worden war, dass auf dem Sockel hinter dem Zaun eine große Statur stehen würde. Damals spielte sie wohl einen NPC wieder. Jetzt aber war er leer und ansonsten gab es hier auch keine Highlights.

Ich ging näher an den Altar heran, da ich Inschriften darauf erkennen konnte und ich wollte natürlich wissen, was dort stand.

„Skeith… Innis… Magus...“ murmelte ich die eingravierten Worte nach. Ich kannte sie zu gut. Ich kannte viele Dinge in dieser virtuellen Welt, die so vielen unbekannt war. Damals waren sie die ersten drei Zeichen im Epitaph des Zwielichts. Ich hatte davon lange nichts mehr gehört oder gesehen. Wahrscheinlich waren die verblichenen Schriften die restlichen Phasen… für einen Moment vergaß ich sogar, dass das hier nur ein Spiel ist und eigentlich die Textur dort absichtlich so angelegt war, dass man wohl nur diese drei Phasen lesen konnte. Wie lächerlich so etwas mal zu vergessen.

Doch bevor diese Erkenntnis bei mir richtig ankam, erkannte ich in den harmonischen Klängen der Kirche Schritte. Es war ein alarmierendes Geräusch. The World war nicht mehr diese friedliche Welt, wo man unbedacht erkunden konnte - nein, sie war eine gefährliche Welt. Immer und überall war es möglich, dass Player-Killer auf einen treffen konnten, einem die Fortschritte zunichtemachten und einem das gesamte Inventar leer räumten. Damals war das auch möglich gewesen, doch früher hatten die Leute noch mehr Verstand und nicht das immerwährende Bedürfnis, einem Steine in den Weg zu legen.

„Oh, was macht so ein süßes Ding hier ganz alleine?“, spottete eine Frau, die mir schon bekannt war. Bordeaux war wohl eigentlich jedem bekannt, sie hatte immer schon Gleichgesinnte gesucht, die mit ihr Spieler um Spieler auflauern und ausrauben konnten, und das mit wachsendem Erfolg. Und wie zu erwarten war diese Blade Brandier Spielerin nicht alleine. In Begleitung waren ein Winzling und ein Fettsack… sie waren mir unbekannt und mir fehlte jede Lust, auch nur deren Statusdaten mir anzuschauen. Ich war Realist, ich würde auf legalem Wege hier nicht mehr rauskommen und ich hatte wohl nicht mehr genug Zeit, um die Gesetzte dieser Welt mit ein paar Codes abzuändern.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren öffnete ich das für Shadow Warlocks typische Buch, was mir als Waffe diente. Auch wenn es aussichtslos war, öffnete ich dennoch ein Popup-Fenster, um nebenher, während ich mich versuchen würde zu verteidigen, mich aus diesem Areal zu transportieren. Aber die gebräunte Frau mit dem Twin Blades griff mich schon an, gefolgt von ihren Begleitern.

Innerlich hatte ich mich schon von meinem ganzen Inventar verabschiedet, als etwas die beiden Handlanger traf und die Figuren ergrauten und zu Boden sackten. Bordeaux hielt inne, wollte sich umdrehen, aber da lag sie schon wie die anderen beiden reglos dar und nicht in der Lage, mir noch zu schaden. Das war fast wie in einem dieser schlechten Action-Filmen, wo eine wehrlose Frau von dem unbekannten Helden gerettet wurde. Nur das mein fadenscheiniger Held kein anderer war als dieser schwul wirkende Typ von der Super-Gilde.

„… Ich muss mich wohl bedanken.“ Obwohl mir nicht danach war, vermutlich hörte man mir dies auch an.

„Eigentlich nicht, ich war dir schon vorher auf der Spur und habe gesehen, wie die drei dir nachgegangen waren. Ich hätte schon früher etwas unternehmen können, aber ich wollte sehen, ob ich mit meiner Vermutung richtig liege.“

Vom Aussehen her hätte ich ihn eigentlich für eine eher aufgedrehte und schrille Persönlichkeit gehalten, aber Castiel sprach alles so ruhig und besonnen aus, dass er nicht mehr ganz so merkwürdig auf mich wirkte. Aber mich beschlich eine Ahnung, das er wohl etwas ahnte, was an sich nicht gut war.

„Welche Vermutung, dass ich ein wehrloses Mädchen bin oder doch ein paar Super-Skills habe, mit denen ich die hätte alle erledigen können?“ Es war schon irrsinnig, was ich da so von mir gab, weil nur meine Figur, die Rolle der Frau übernahm. Ich hatte einige Charaktere, die ich hätte spielen können, aber irgendwie spielte es sich mit meinem Shadow-Warlock-Mädchen am besten.

„Nein, für unsere Gilde brauchen wir keine 0815-Leute. Ich habe dich schon mal gesehen in einem anderen Areal. Und damals war ich mir ganz sicher, dass du einfach durch eine Wand gelaufen bist. Sicher war ich mir nicht.“

Das war es. Er wusste es. Ich konnte nur hoffen, das er das keinem Admin verraten hatte, sonst konnte ich mich endgültig von diesem Spiel verabschieden. Obwohl ich immer schon wissen wollte, ob ich es schaffen könnte, einen gelöschten und gesperrten Charakter beizubehalten und ungehindert zu spielen.

„Und heute sah ich deinen Versuch wieder, etwas ähnliches zu machen.“ Und mit dieser Antwort deutete er auf das noch geöffnete Fenster, was ich sogleich verschwinden ließ.

„Ich werde nichts verraten, ich kann Geheimnisse für mich behalten, aber so jemanden wie dich könnten wir gebrauchen.“ Ich wusste nicht, was ich denken sollte, aber bevor ich noch etwas sagen konnte, drückte er mir einfach die Karte der Gilde in die Hand. Ich glaube, ich wollte nicht einmal mehr ablehnen, ich war nie wirklich in einer Gilde gewesen, um zu wissen, dass man vielleicht meine Fähigkeiten gebrauchen konnte, das hatte was für sich.

Dennoch ging ich an ihm vorbei in Richtung Ausgang und wie erwartet ging er mir hinterher.
 

Ich bereute es nicht mich darauf eingelassen zu haben, es war eine kleine Gilde, aber eine mit viel Einfluss. Doch die Leute darin waren es wohl, an denen ich wirklich Gefallen gefunden hatte. Wäre dem nicht so gewesen, hätte ich mich auf Castiel Angebot nie eingelassen. Auch wenn ich es so nie zeigen würde, da er wirklich genug Gelegenheiten einem bietet, ihn zu verarschen, ist er wohl in dieser Welt zumindest einer der Personen, auf die ich am meisten bauen werde.



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