~Der weiße und der schwarze Wolf~
Jetzt mache ich das schon drei Monate lang in Aarons Auftrag, aber an diese Schießereien habe ich mich noch immer nicht gewöhnt. Mir dröhnen die Ohren von dem Lärm, jede Faser meines Körpers ist angespannt.
Die Trommel meines Revolvers ist leer. Mit zitternden Händen greife ich in die Taschen meiner Jacke und suche nach weiteren Patronen.
„Das gibt es doch nicht, dass ihr euch von zwei Kindern fertig machen lasst! Legt sie endlich um!“, schreit einer der Kerle, die es auf uns abgesehen haben.
Schüsse hämmern in den Beton des Pfeilers, hinter dem ich Schutz gesucht habe. Bei jedem Einzelnen zucke ich zusammen. Wenn ich nur meine Hände unter Kontrolle bringen könnte, ich bekomme die Munition einfach nicht in die Trommel.
Wieder kracht eine Kugel in den Pfeiler, sie schlägt ein Stück Beton aus.
Ein Blitz des Entsetzens durchfährt mich. Bin ich getroffen worden? Nein, nichts, kein Blut, kein Schmerz.
„Daneben!”, schreie ich meine Gegner an. Das macht mir neuen Mut. Ich zwinge mich zur Ruhe, fülle die Trommel mit Patronen und drehe sie ein.
Was treibt Toni eigentlich die ganze Zeit? Mein Leibwächter ist für die Drecksarbeit zuständig. Warum hat er diese Kerle nicht längst erschossen?
„Bandel! Tu endlich was!”, schreie ich seinen Nachnamen so laut, dass meine Stimme als Echo von den Wänden der Lagerhalle zurückgeworfen wird.
„Tu gefälligst selbst mal was! Ich kann nicht alles alleine machen”, ruft Toni vom anderen Ende der Halle.
Es tut unendlich gut seine Stimme zu hören. Er ist am Leben, das erleichtert mich. „Ich hasse es zu töten!”, rufe ich ihm zu. Kann Toni diese Typen nicht einfach über den Haufen schießen, so wie sonst auch immer?
„Herrgott, tu’s einfach Enrico! Ich muss vielleicht auch mal nachladen.”
„Verdammt, legt zuerst den schwarzen Wolf um!“, schreit einer unserer Feinde.
Ein lauter Knall und dann folgt ein Schrei, der langgezogen durch die Halle schallt und schließlich erstirbt. Sicher hat Toni wieder einen erwischt, denn seine Stimme war das nicht. Sehr gut, bleiben nur noch zwei.
Wieder schlägt eine Kugel in den Pfeiler ein. Ich zucke zusammen. Können die Kerle nicht mal wo anders hin schießen? Wie soll ich sie ausschalten, wenn ich nicht mal aus der Deckung komme? Ich lege den Finger um den Abzug meiner Waffe. Wenn ich richtig mitgezählt habe, sind die Trommeln meiner Gegner gleich leer. Ob ich es wagen kann nachzusehen?
Einen flüchtigen Blick werfe ich um den Pfeiler herum. Wo sind die zwei Männer, die noch übrig sind? Ich suche die Halle nach ihnen ab.
Irgendwo blitzt eine Waffe auf, es donnert laut.
Gerade noch rechtzeitig kann ich den Kopf einziehen. „Scheiße!”, fluche ich und drücke mich mit dem Rücken an den Pfeiler. Mit geschlossenen Augen warte ich ab. Wie ich das hier hasse!
„Enrico, rechts von dir!”, ruft Toni.
Ich reiße die Augen auf und sehe nach rechts.
Da ist eine Waffe und ihr Lauf zielt auf mich.
Ich reiße meinen Revolver hoch und schieße. Immer wieder ziehe ich den Hahn und drücke ab, so lange, bis keine Kugel mehr in der Waffe ist.
Der Mann vor mir bricht zusammen, er sackt auf die Knie. Sein Gesicht ist eine einzige zerfetzte Wunde, in seiner Brust klaffen zwei Löcher.
Mir wird schlecht, ich wende den Blick ab. Jetzt habe ich schon wieder die Kontrolle verloren und was noch viel schlimmer ist, meine Trommel ist leer. Mit einem tiefen Seufzer klappe ich sie auf. Wenn ich so weiter mache, habe ich bald keine Munition mehr. Mit zitternder Hand durchsuche ich meine Jackentasche, ich kann noch zwei Patronen erfühlen, als sich der Lauf einer Waffe gegen meine Schläfe drückt.
„Das war mein kleiner Bruder, du Missgeburt! Ihr verdammten Wölfe!”, schreit mich eine raue Männerstimme an.
Ich sehe eine Hand, den Zeigefinger um den Abzug. Mir stockt der Atem. Verdammt! Ich will noch nicht sterben!
Die Zeit scheint stehen zu bleiben. Ich sehe mein Leben noch einmal an mir vorbeiziehen: Meine Kindheit mit meinem Bruder, bei der wir unsere Eltern viel zu früh verloren. Die Zeit als ich meinen Leibwächter Antonio kennen lernte. Der erste Kuss mit ihm und der zweite, unsere erste, gemeinsame Nacht.
Ein lauter Knall dröhnt mir in den Ohren. Ich schließe die Augen.
Bin ich tot? Fühlt sich so sterben an? Seltsam, es tut nicht einmal weh.
„Du bist noch immer ein Anfänger!”, sagt Toni.
Ich kann seine warme Hand auf meiner Schulter spüren. Vorsichtig öffne ich erst eines, dann das andere Auge.
Kopfschüttelnd steht Toni neben mir. Seine schwarzen Haare fallen ihm locker ins Gesicht und rollen sich an ihren Spitzen zu kleinen Locken zusammen. Seine linke Augenbraue durchzieht eine rote Narbe. Die smaragdgrünen Augen schauen spöttisch.
Ich sehe an ihm vorbei.
Der Kerl, der mich bedroht hat, liegt mit einer Schusswunde im Kopf am Boden, wie immer mittig zwischen die Augen. Sein Blut verteilt sich auf dem Boden.
„Musst du die immer regelrecht hinrichten? Geh mal ein bisschen sparsamer mit unserer Munition um! Die ist teuer”, sagt Toni. Er nimmt seine Hand von meiner Schulter und geht vor dem Toten in die Hocke. Ungeniert sucht er die Leichen nach Wertsachen und Munition ab.
Ich nehme seine Worte nur gedämpft wahr. In meinem Kopf dröhnen noch immer die viel zu lauten Schüsse. Als ich mich erhebe, zittern meine Knie. Ein Gefühl von Schwerelosigkeit breitet sich in mir aus. Wir haben überlebt, mal wieder.
„Komm schon! Sehen wir nach, wo sie Aarons Kohle gebunkert haben. Ich will hier raus, bevor die Bullen aufkreuzen.” Toni geht voraus.
Ich folge ihm und fühle mich, als wenn ich auf Wolken schwebe. Noch immer rast mein Herz, ich spüre es bis an den Hals schlagen. 'Die Typen sind tot, wir leben noch, alles ist gut' – rede ich mir selbst ein.
Über eine Treppe folge ich Toni in den ersten Stock. Ganz allmählich lässt das Kribbeln in meinen Adern nach, meine Gedanken werden wieder klar.
Toni öffnet eine Tür.
In dem Raum dahinter gibt es nur einen Tisch und ein großes leeres Regal. Auf der Tischplatte liegt ein schwarzer Aktenkoffer.
Wir gehen auf ihn zu. Toni öffnet den Verschluss und klappt den Deckel auf. Etliche gebündelte Geldscheine kommen zum Vorschein.
Mein Leibwächter verschafft sich einen groben Überblick. „Sieht so aus, als wäre noch alles da. Also dann, Abflug!”, sagt er.
„Den nehme ich!”, sage ich und reiße den Koffer an mich.
Toni wirft mir einen misstrauischen Blick zu. „Was geht schon wieder in deinem kranken Kopf vor sich?”, fragt er. Die Arme stemmt er in die Seite.
Ein breites Grinsen schleicht sich mir ins Gesicht. „Nichts?”, lüge ich. Mit dem Koffer unter dem Arm verlasse ich das Büro.
Tonis Schritte eilen mir nach. „River!“, ruft er wütend meinen Nachnamen, „Treib mich nicht in den Wahnsinn! Wir bringen die Kohle zu Aaron und dann geht’s nach Hause. Ich hab die Schnauze voll für heute!”
„Ja ja!” Mit schnellen Schritten laufe ich die Treppe nach unten und durch das offene Rolltor ins Freie.
Toni ist mir dicht auf den Fersen. Seine Hand packt meinen Arm, er dreht mich zu sich. „Ich verstehe da keinen Spaß Enrico! Der Koffer kommt zurück zum Chef und wir gehen nach Hause!”
„Aaron wird sein Geld schon noch bekommen“, sage ich so ernst es mir möglich ist, doch ich kann nichts gegen das Grinsen tun, dass sich mir ins Gesicht zwingt.
„Wenn du wieder irgendwelche Scheiße baust, hau ich dir ein paar aufs Maul, ich schwör's dir!“ Toni gibt mich frei.
Wir laufen zu unseren Motorrädern und steigen auf. Während wir die Maschinen starten, sage ich: „Wir bringen den Koffer zurück, aber nicht sofort.” Wir haben unser Leben doch nicht dafür riskiert ihn einfach nur abzuliefern.
Tonis finsterer Blick ist mir sicher.
Ich gebe Gas und fahre mit quietschenden Reifen los.
Er fällt hinter mir zurück, doch nicht für lange. Kaum einen Moment später taucht seine Maschine neben meiner auf. „Du Irrer! Was hast du jetzt wieder vor?”, schreit er gegen den Fahrtwind an.
„Ich bin mit Erik beim Pokern verabredet. Dort werde ich die Kohle verdoppeln und wir können endlich unsere Fabrik kaufen.”
„Dir ist wohl die Schießerei eben nicht bekommen, was?”
„Was denn? Traust du meinen Falschspielerkünsten nicht?“, frage ich und lache.
Tonis Miene verfinstert sich weiter. „Du Wahnsinniger! Gib mir den Koffer!”, fordert er.
Ich weiche ihm aus, Toni greift ins Leere.
„Sieh lieber nach vorn!”, rate ich.
Toni schafft es gerade noch so einem entgegenkommenden LKW auszuweichen.
Während er nun gezwungen ist, der Straße geradeaus zu folgen, biege ich ab. „Wir treffen uns im Midnightsclub!”, rufe ich ihm zu. Um den gewonnenen Abstand auszubauen, schalte ich einen Gang höher und gebe ordentlich Gas.
~Der gute und der böse Cop~
Irgendwas muss sein Chef gegen ihn haben, ausgerechnet diesen Grünschnabel zu seinem Partner zu machen. Genervt sieht Lui den jungen Polizisten auf dem Beifahrersitz an.
„Jetzt sag schon ja! Ich weiß, dass dich der Gedanke reizt“, redet Jan schon die ganze Zeit auf ihn ein.
„Ich gehe nicht auf solche Partys und jetzt Schluss, wir sind im Dienst!“, sagt Lui.
„Na schön, ich mache dir einen Vorschlag: Wenn du den Fall bis heute Abend lösen kannst, dann nerve ich dich nie wieder. Wenn nicht, kommst du heute Abend mit.“
Lui sieht von seinem Partner zur Lagerhalle, vor der er den Streifenwagen geparkt hat.
Etliche Beamte in weißen Kitteln sind dort unterwegs, sie sichern den Ort des Geschehens und mögliche Spuren.
Die Größe des Falls kann Lui noch nicht abschätzen. Bisher war nur von einer Schießerei die Rede. Betreten schweigt er.
„Was denn? Zweifelst du etwa an deinen Fähigkeiten? Dabei hält der Chef doch immer so große Stücke auf dich.“
Genervt rollt Lui mit den Augen. „Na schön! Wenn du dann endlich die Klappe hältst“, sagt er und steigt aus. Die Wagentür schlägt er laut zu und vermeidet jeglichen Blickkontakt mit seinem Partner.
Mit dem Kerl in die Kiste gestiegen zu sein, war eindeutig ein Fehler gewesen, den wird er nie wieder los. Zu allem Überfluss ist er auch noch der Sohn des Polizeichefs. Sicher hat Jan dafür gesorgt, dass sie nun Partner sind, um bei ihm sein zu können. Dabei sollte das mit ihnen doch ein einmaliger Ausrutscher bleiben.
Lui seufzt, er fährt sich durchs Gesicht. Von diesen sündigen Gedanken muss er sich unbedingt ablenken. Konzentriert hält er auf seine Kollegen zu und spricht den Erstbesten an: „Was haben wir hier?“
Der Mann im weißen Kittel hält ein Klemmbrett in der Hand, er liest die Notizen darauf vor: „Fünf männliche Opfer, vier mit direkten Kopfschüssen getötet, einer hier“, der Mann deutet auf den Leichnam vor seinen Füßen.
Ein junger Einwanderer mit südländischem Teint. Neben ihm liegen etliche leere Patronenhülsen und eine Pistole.
„Zwei da hinten“, der Kollege in Weiß, deutet mit ausgestrecktem Arm zu zwei Holzkisten, vor denen ebenfalls zwei junge Männer und ihre Revolver liegen.
Der Kittelträger steigt über die Leiche und führt Lui und Jan an einigen Holzkisten vorbei zu einem Pfeiler.
Etliche Einschusslöcher haben ihn durchsiebt. Putz liegt in einer großen Blutlache am Boden.
„Und hier noch mal zwei, der eine ist allerdings kein besonders schöner Anblick.“
Neben einem weiteren Opfer, mit einer Schussverletzung mittig im Gesicht, liegt noch eine Leiche, die von einer Plane bedeckt ist. Der Kollege hebt sie vom Kopf des Opfers. Das Gesicht ist nur noch eine offene Fleischwunde, in der Brust klaffen zwei tiefe Löcher.
Lui geht vor dem Opfer in die Knie und betrachtet den schaurigen Anblick einen Moment lang, dann wandert seine Aufmerksamkeit zu den übrigen Opfern. „Das waren zwei Täter“, sagt er.
Jan bleibt mit den Händen in den Hosentaschen neben ihm stehen und sieht sich prüfend um: „Sicher, dass es nur zwei waren? Die Typen scheinen mir bis an die Zähne bewaffnet gewesen zu sein. Sieht für mich eher nach einem Bandenkrieg aus.“
„Meinst du? Mich erinnert das mehr an Cleanertraining.“ Lui erhebt sich, er sieht zurück zum Pfeiler.
Jan schaut fragend.
„Die drei Opfer da hinten, sind mit gezielten Kopfschüssen getötet worden, die alle aus einer Richtung gekommen sein müssen.“ Lui läuft die gedachte Linie ab. Er findet eine Stelle, in sicherer Deckung zweier übereinander gestapelter Holzkisten. „Hier muss sich unser erster Schütze aufgehalten haben. Von hier aus ist jedes der drei Opfer gut zu sehen.“
Jan folgt seinem Partner und stellt sich neben ihn. Er versucht zu sehen, was Lui sieht. „Schön und gut, aber um so um die Ecke zu ballern und dann noch mittig in den Kopf zu treffen, hältst du das nicht für ziemlich unmöglich?“
„Nicht wenn es ein ausgebildeter Scharfschütze war.“
„Ja klar! Und der ballert dann dem anderen Typen das ganze Gesicht weg?“
„Das bringt mich ja darauf, dass es zwei gewesen sein müssen.“ Lui geht zum Pfeiler zurück. „Der Andere muss hier in Deckung gegangen sein und wurde von seinem Gegner überrascht.“ Lui lehnt sich mit dem Rücken an den Pfeiler und stellt die Szene nach. „Er hat Panik bekommen und einfach nur abgedrückt. Das würde die unzähligen Schüsse aus nächster Nähe erklären.“
„Und dann tötet er den anderen wieder mit einem gezielten Kopfschuss?“ Jan kniet sich zu der zweiten Leiche, neben dem Opfer unter der Plane.
„Ich schätze mal, das war wieder unser erster Schütze, um seinem Kumpel zu helfen.“
„Mhm…“ Jan sieht sich noch einmal gedankenverloren um. Schließlich erhebt er sich und verstaut die Hände in den Taschen seiner Hose. „Gute Theorie, aber warum sollte sich ein Profi mit einem Anfänger zusammen tun? Da ist doch das Risiko viel zu groß, dass wir was Verwertbares finden.“
„Nun, in der Ausbildung lässt sich das wohl nicht vermeiden.“
„Killertraining mit echten Menschen? Das ist wirklich krank!“, sagt Jan abfällig.
„Nun, willkommen beim NYPD. Hier wirst du noch viel schlimmere Dinge zu Gesicht bekommen.“ Lui lacht auf. Wenn er Glück hat, hält es dieser Grünschnabel nicht lange bei ihnen aus.
„Ach, spiel dich nicht so auf, nur weil ich erst einen Monat dabei bin. Ich bin immerhin in den Straßen hier groß geworden.“ Jans Aufmerksamkeit folgt einer Treppe in den ersten Stock.
Einige blutige Schuhabdrücke führen dort hinauf.
Fragend wendet er sich an den Weißkittel: „Habt ihr da oben schon nachgesehen?“
„Nur ein paar leere Büroräume“, sagt der Mann mit dem Klemmbrett.
„Na wenn die hier nicht mal auf der Flucht waren und alles zusammengepackt haben“, murmelt Jan. Er betrachtet die toten Männer eingehend, schließlich wendet er sich wieder an den Mann mit dem Klemmbrett: „Hatten sie irgendwas bei sich? Papiere, Wertsachen?“
„Nein, nichts. Obwohl die hellen Stellen an einigen Fingern darauf hindeuten, dass sie noch vor kurzem Ringe getragen haben müssen. Die Brieftaschen, die sie bei sich haben, waren alle leer.“
„Raubmord in diesem großen Stil? Irgendwie ungewöhnlich, oder?“, sagt Jan.
„Tja unser Mörderduo brauchte wohl dringend Geld. Aber irgendwie ist das zu einfach.“ Lui verschränkt die Arme und läuft noch einmal die ganze Halle ab. Schließlich kommt er wieder bei der Treppe an und folgt ihr in den ersten Stock.
Jan schleicht ihm gedankenverloren nach.
Beide erreichen das Büro, in dem es nichts weiter als einen Tisch und ein leeres Bücherregal gibt. Auf dem Boden verteilen sich Aktenordner und einzelne Papiere.
„Sieht wirklich so aus, als wenn sie Hals über Kopf das Weite suchen wollten.“ Lui sieht die verteilten Papiere durch.
Alles Rechnungen und Verträge, auf den ersten Blick harmlose Geschäftsabrechnungen und Kaufunterlagen für Fahrzeuge.
„Vielleicht bekommen wir ja darüber heraus, was diese toten Kerle für Geschäfte getätigt haben“, sagt Lui und hebt alle Unterlagen auf.
„Zeig mal!“ Jan nimmt ihm die Papiere aus der Hand und sieht sie durch. „Na gut, damit erfahren wir vielleicht was über die Opfer, aber bisher haben wir noch nichts, was uns zu ihren Mördern führt. Wenn das so weiter geht, musst du heute Abend doch mit mir auf die Party gehen“, sagt Jan und grinst siegessicher.
Am späten Nachmittag sitzt Lui noch immer über den Akten und kann die Nummern der Fahrzeuge in den gefundenen Papieren nicht zuordnen. Je mehr er sich in seinen Nachforschungen verliert, umso deutlicher erscheint es ihm, als wenn es diese Kennzeichen nie gegeben hat. Verzweifelt rauft er sich die Haare und greift nach seiner Kaffeetasse. Als er hineinsieht, ist sie bereits leer. Genervt stellt er sie ab.
„Hängst du immer noch an dem Fall von heute Morgen?“, fragt Jan und bleibt hinter ihm stehen. Spott liegt in seiner Stimme.
Lui murrt in sich hinein, er gibt seinem Partner keine Antwort, stattdessen öffnet er eine weitere Akte und sieht den Inhalt durch.
Jan umrundet seinen Schreibtisch, er hält zwei dampfende Tassen in den Händen. Es duftet unwiderstehlich nach frischem Kaffee. Eine der beiden Tassen stellt er vor Lui ab und sieht ihn aufmunternd an. „Mach doch Schluss für heute“, sagt er und setzt sich in den Stuhl vor dem Schreibtisch.
Angespannt blättert Lui weiter und nimmt sich die gefüllte Tasse. Für den Kaffee ist er dankbar, für die Aussicht auf die Party zu müssen nicht. Doch Jan hat Recht, er wird auch in dieser Akte nicht fündig. Das ist schon der fünfte Fall, in dem er diese präzise Art zu töten zu Gesicht bekommen hat, doch erst seit kurzem ist dieser Anfänger dabei. Die ganze Zeit hat Lui auf einen Fehler gehofft, um die Beiden endlich dingfest machen zu können, doch auch dieses Mal ist nichts Brauchbares zu finden gewesen. Die Hülsen haben zwar in allen Fällen das selbe Muster, also müssen sie aus ein und denselben Waffen abgefeuert worden sein, doch viel mehr weiß er nicht. Solange die Tatwaffen nicht auftauchen, haben sie nichts in den Händen. Zum Verzweifeln ist das! Wieder rauft Lui sich die Haare und greift nach der nächsten Akte. Er will sie gerade öffnen, als Jans Hand ihn stoppt.
„Mach Feierabend Lui. Du hast schon mehr als genug Überstunden auf deinem Konto und bist heute auch schon wieder elf Stunden hier. Du musst echt mal lernen abzuschalten, sonst endest du wie Ned.“ Jan deutet auf einen Polizisten zwei Tische weiter.
Er hat tiefe Augenringe und schleicht heute schon zum gefühlt hundertsten Mal zum Wasserkocher, um sich einen neuen Kaffee aufzubrühen.
Lui folgt seinem Blick auf den Kollegen und betrachtet Ned mitleidig.
Der Kerl hat erst kürzlich eine Scheidung hinter sich gebracht und Haus und Kinder verloren. Sicher haben seine vielen Überstunden im Departement ihren Teil dazu beigetragen.
„Du musst hier echt mal rauskommen. Ein bisschen Spaß hat noch keinem geschadet.“ Auf Jans Gesicht bildet sich ein verschwörerisches Lächeln.
Lui ist sich sicher, dass er auf ihre gemeinsame Nacht anspielt. Ein fetter Kloß zwingt sich ihm in die Kehle und lässt ihn schwer schlucken. Wenn das rauskommt, kann er seinen Job an den Nagel hängen und sich gleich selbst einsperren. Bei dem Gedanken läuft es ihm eiskalt den Rücken hinab. Noch ein Grund mehr, nicht mit ihm auf diese Party zu gehen.
„Jetzt schau doch nicht wie sieben Tage Regenwetter!“ Jan beugt sich über den Tisch. So leise, dass nur Lui es hören kann, sagt er: „Ich bin doch genauso dran, wenn jemand von uns erfährt, also mach dir mal nicht ins Hemd. Ich kann schweigen wie ein Grab.“
Lui würgt den Kloß im Hals hinunter, er lehnt sich zurück, um Jan nicht mehr so nah sein zu müssen. Eine passende Antwort will ihm nicht einfallen, also schweigt er.
Jan erhebt sich, noch einmal sieht er Lui auffordernd an. „Ich kann dich nicht zwingen mitzukommen, aber du solltest echt mal unter Leute. Die Sache dort ist safe und im Notfall ermittelst du eben nur verdeckt.“ Im Vorbeigehen hält Jan neben Luis Stuhl an. Er beugt sich zu ihm herab und flüstert ihm ins Ohr: „Dort gibt es echt verdammt gemütliche Betten und wenn du mitkommst, auch mich nackt.“ Mit einem breiten Grinsen im Gesicht, klopft Jan ihm auf die Schulter, dann lässt er ihn allein zurück.
Vergeblich versucht Lui die Bilder ihrer gemeinsamen Nacht zu verdrängen, doch es geht nicht. Es ist überhaupt das erste Mal gewesen, dass er dieser dunklen Seite in sich nachgegeben hat und so sehr er sich auch dagegen zu wehren versucht, reizt ihn der Gedanke an noch einen Abend mit diesem Grünschnabel. Einen verstohlenen Blick wirft er ihm nach.
Besonders provokant schwingt Jan mit den Hüften, während er das Präsidium verlässt. Dieser elende Mistkerl!
Lui wendet den Blick schnell ab und sieht sich scheu um.
Keiner seiner Kollegen achtet auf ihn, niemand hat seinen Blick für Jan bemerkt.
Erleichtert atmet Lui durch und zwingt seine Aufmerksamkeit zurück auf die Akten. Er versucht sich auf die Buchstaben und Worte des Textes zu konzentrieren, doch immer wieder spukt ihm Jans Hintern durch den Kopf. Schließlich gibt er es auf. Er greift sich seine Jacke vom Stuhl und folgt dem Grünschnabel.
~Gezinkte Karten~
Als Antonio den Midnightsclub erreicht, parkt das Motorrad seines Freundes bereits vor dem Eingang. Er stellt seine Maschine daneben und hält auf den Türsteher zu.
Der stattliche Mann im schwarzen Smoking lächelt und öffnet die Tür für ihn.
Antonio nickt ihm zu, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Gedanklich ist er schon bei Enrico und dabei, ihm ordentlich eine einzuschenken. Mal so richtig mittig ins Gesicht, darauf hat er jetzt Lust.
Da ist es gerade mal ruhiger in ihrem Leben und da muss sich Enrico ausgerechnet Aaron zum Feind machen. Ihnen trachten ja noch nicht genug Männer nach dem Leben.
Schnurstracks durchquert er den Club. Vorbei an den wenig bekleideten Frauen und den Tischen unter den Rotlichtlampen, vorbei auch an den Männern mit offenen Hosen und ihren Nutten im Schritt.
Die Blicke der Frauen, die gerade nicht beschäftigt sind, richten sich auf ihn. Lüstern sehen sie ihm nach.
Innerlich schüttelt es Antonio bei dem Gedanken, dass sie gleich wieder an ihm kleben werden. Er wird sich seinen Freund schnappen und dann sofort wieder verschwinden, nimmt er sich fest vor, als er die Bar erreicht.
Der Barkeeper im weißen Anzug lächelt ihn freundschaftlich an. Sein Blick ist wissend, ein amüsiertes Schmunzeln ziert seine Mundwinkel.
„Wo ist er, Maik?“, fragt Antonio geradeheraus.
Der Barkeeper poliert ein Glas und deutet mit einem Schwenk seines Kopfes auf einige Stufen, die hinauf zu den Spieltischen führen.
Rechts neben der Treppe steht ein hoch gewachsener Mann, die Arme verschränkt, in dem gleichen Smoking, wie der Kerl draußen vor der Tür. 'Zutritt nur für Spieler' – kommen Antonio die Worte des Besitzers in den Sinn. Dieser Kerl wird ihn niemals durchlassen.
Resigniert seufzt Antonio und lässt sich auf einem der Hocker nieder. „Dieser verdammte Mistkerl!“, sagt er.
„War wohl ein harter Tag mit deinem Chef, was?“, fragt Maik und zündet sich eine Zigarette an.
„Das kannst du laut sagen. Wenn er da runterkommt und alles verspielt hat, lege ich ihn um.“
Maik schmunzelt und zieht genüsslich an seiner Zigarette.
„Hast du nicht wenigstens was zu trinken für mich, wenn ich hier schon warten muss?“, fragt Antonio.
Maik legt die Kippe in den Aschenbecher und füllt ihm ein Glas mit Wasser, das er auf den Tresen stellt.
Antonio sieht den Barkeeper finster an. „Ist das dein Ernst?“, will er wissen.
„Wir haben Prohibition und du bist erst fünfzehn“, sagt Maik trocken.
Genervt rollt Antonio mit den Augen. Er akzeptiert das Wasser, klaut sich dafür aber die Kippe aus dem Aschenbecher. Demonstrativ zieht er daran und lässt den Qualm seine Lungen füllen. Das ist schon deutlich besser.
Maik beugt sich über den Tresen und sagt mit gespielter Sorge: „Du wirst noch abhängig, mein junger Freund.“
„Was soll's! Irgendwie muss ich das Elend hier ja ertragen.“ Wieder zieht Antonio an der Kippe, während sich ein Frauenzimmer in sein Blickfeld schiebt.
Ihr üppiger Busen quillt aus dem eng geschnürten Korsett, der Bauch ist frei und nur ein schmales Höschen bedeckt ihren Intimbereich. Ihre langen, dünnen Beine sind lediglich mit Strapsen umhüllt. Sie hat ein verführerisches Lächeln auf den Lippen.
„Hau ab!“, schreit Antonio sie an, bevor sie sich auf den Hocker neben ihm setzen kann.
Die Frau sieht von ihm zu Maik.
„Er ist noch minderjährig, suche dir jemand Anderen Darla“, weist der Barkeeper sie an.
„Wie schade!“ Darla setzt ein zuckersüßes Lächeln auf und verschwindet mit einem eleganten Hüftschwung.
Antonios Blick wandert die Treppe hinauf. Zwischen den Gitterstäben, die die zweite Ebene umgeben, kann er die Spieltische einsehen.
An einem von ihnen sitzt Enrico, zusammen mit dem Chef der Bar und etlichen anderen, zwielichtigen Gestalten. Geldscheine türmen sich auf dem Tisch. Der schwarze Koffer steht neben Enricos Beinen, er ist offen und leer.
Antonio muss schwer mit sich kämpfen, nicht sofort die Treppe hinaufzustürmen und seinen Freund vor versammelter Mannschaft zu verprügeln. Wenn Aaron sein Geld nicht wieder bekommt, sind sie so gut wie tot. Angespannt fährt er sich durch die Haare und nimmt einen weiteren Zug der Zigarette.
Er hätte Enrico niemals mit hier herbringen dürfen. Der fühlt sich hier schon wie zu Hause. Aber Erik ist nun mal der Einzige, bei dem sie Munition und Waffen bekommen können, ohne, dass Fragen gestellt werden.
Maik legt die Arme übereinander auf den Tresen und folgt Antonios Blick. Ein mitleidiges Lächeln liegt ihm auf den Lippen, als er sagt: „Der Kurze macht dich fertig, oder?“
„Das kannst du laut sagen. Das ist nicht mal unser Geld, das er da verzockt.“
„Ich hab mich auch schon gewundert, wo ihr so viel Schotter her habt. Als er letzte Woche mit Erik darüber gesprochen hat, dachte ich, er macht Witze. Will ich wissen, woher es stammt?“
Antonio nimmt einen Schluck aus dem Glas und lässt sich besonders viel Zeit mit seiner Antwort: „Nein, willst du nicht!“
An den Spieltischen tut sich etwas, einer der Männer erhebt sich. Er wirft seinen Stuhl um und beugt sich weit über den Tisch nach vorn. „Hier ist doch was faul Erik! Der ist doch noch ein Kind. Die ganze Zeit verliert er und jetzt, wo es richtig um Geld geht, gewinnt der Hosenscheißer?“
Antonios Aufmerksamkeit wandert die Treppe hinauf. Angespannt beobachtet er den breitschultrigen Geschäftsmann, der sich vor Enrico aufbaut. Automatisch wandert seine Hand in den Hosenbund und an den Griff seiner Pistole.
Enrico bleibt entspannt sitzen, lediglich seine Gesichtszüge werden finster, ein Grinsen setzt sich in seine Mundwinkel. „Ich kann nichts dafür, dass du mich unterschätzt hast, alter Mann!“, entgegnet er frech.
Antonio stockt der Atem.
Das Gesicht des beleidigten Mannes färbt sich knallrot, die große Ader an seinem Hals springt hervor. Er ballt die Hände zu Fäusten, sicher springt er gleich über den Tisch.
Antonio rutscht von seinem Hocker, bereit die Treppe hinaufzustürmen, um seinem Freund zu Hilfe zu eilen.
Auch der stämmige Mann vor der Treppe richtet seinen Blick hinauf, bereit einzugreifen.
Der Geschäftsmann betrachtet den Barbesitzer. „Erik, jetzt sag doch auch mal was dazu!“
Erik lehnt sich in seinem Stuhl zurück. „Nun, meine Herren, ihr wart damit einverstanden, gegen ein Kind zu spielen. Ihr habt es doch in den ersten Runden genossen den Kurzen abzuziehen. Da habe ich keine Klagen gehört und jetzt, wo er mal ein glückliches Händchen hat, mault ihr rum.“
„Aber du hast gesagt, er hätte es gerade erst gelernt“, sagt der Geschäftsmann aufgebracht.
„Ja, letzte Woche. Dass nennt man dann wohl Anfängerglück“, sagt Enrico. Er legt die Arme hinter den Kopf und grinst breit.
„Nun meine Herrn, ihr wisst ja, wie das hier läuft. Mal gewinnt man und mal verliert man. Seht es als kostenlose Lektion, euren Gegner niemals zu unterschätzen“, sagt Erik und beginnt damit, das Geld auf seiner Tischhälfte zu stapeln.
Das Gesicht des Geschäftsmannes verfärbt sich bereits lila vor Zorn. Er droht mit den Fäusten und schreit: „Das soll wohl ein Scherz sein. Hier liegen fast drei Millionen Dollar auf dem Tisch, das ...“
Erik erhebt sich und öffnet provokant langsam sein Sakko. Darunter trägt er zwei Holster mit jeweils einer Pistole darin. „Ihr wolltet spielen, wir haben gespielt und jetzt würde ich euch bitten, mein Lokal zu verlassen.“
Die vier Männer, die mit ihm und Enrico gespielt haben, werfen ihre Karten auf den Tisch und stehen auf, fluchend kommen sie die Treppe hinunter. Auf direktem Wege verlassen sie die Bar.
Antonio sieht ihnen nach, bis sie auch wirklich das Gebäude verlassen haben, erst dann atmet er durch und setzt sich wieder auf seinen Hocker. Seine Anspannung aber bleibt. Finster mustert er Enrico.
Sein Freund hebt den Koffer auf den Spieltisch und legt die gebündelten Geldscheine hinein. Die restlichen Scheine sammelt Erik ein und bündelt sie. Immer wieder sieht Enrico mit einem breiten Grinsen von oben auf Antonio herab.
Als alles Geld gezählt ist, laufen Erik und Enrico die Treppe herunter. Sie unterhalten sich angeregt und kommen direkt zur Bar:
„Nicht übel für dein erstes, richtiges Spiel. War kein schlechter Plan, sie erst mit ein paar verlorenen Spielen anzulocken“, sagt Erik.
„Ich habe dir doch gesagt, die lassen sich das nicht entgehen gegen einen Anfänger zu spielen.“ Enrico legt den Koffer auf den Tresen und meidet Antonios Blick.
Dieser kocht innerlich und kann sich nur mit größter Mühe zurückhalten, ihm nicht hier vor allen ins Gesicht zu springen.
„Aber jetzt mal ehrlich. Du hast doch bei mir nicht zum ersten Mal gezockt, oder?“, fragt Erik.
„Nein, ich hab's früher oft mit meinem Bruder und meinem Vater gespielt. Aber nie um Geld, nur um Süßigkeiten.“
„Und da kommst du hier her und legst ne halbe Million auf den Tisch, um zu spielen? Du bist echt verrückt, weißt du das?“ Erik lacht.
„Verrückt ist gar kein Ausdruck!“, sagt Antonio zähneknirschend.
Enrico schenkt ihm keine Aufmerksamkeit, ernst sieht er Erik dabei zu, wie er einen Spiegel hinter dem Tresen abnimmt und den Safe dahinter öffnet. „Sag mal, hast du nicht was vergessen Erik?“
Der Barbesitzer dreht sich nach ihm um. „Ach ja, und was?“, verlangt er zu wissen.
„Meinen Anteil!“
„Stimmt!“ Erik grinst verschlagen. „Wie viel hatten wir gleich noch mal ausgemacht?“
„Ich wollte das Geld verdoppeln, das ich mitbringe.“
„Eine halbe Million? Du willst mich wohl ruinieren?“
„Jetzt hab dich nicht so. Durch mich hast du gerade zwei Millionen gewonnen. Die hätten nie so viel gesetzt, wenn sie nicht gedacht hätten ein Kind abziehen zu können. Glaub ja nicht, dass du mich so leicht übers Ohr hauen kannst, wie diese Typen.“
„Na schön du Aasgeier!“ Erik beginnt damit einen Teil des Geldes abzuzählen. „Hier, eine halbe Million Dollar!“ Er legt das Geld vor Enrico auf den Tresen, doch als dieser danach greifen will, zieht er es wieder zurück. „Aber dafür musst du nächsten Monat noch einmal wiederkommen und beim großen Turnier mitspielen. Einverstanden?“
„Von mir aus!“, erwidert Enrico und zuckt ungerührt mit den Schultern.
„Gut!“ Erik überlässt Enrico tatsächlich das Geld.
Antonio bleibt der Mund offen stehen. Das gibt es doch nicht.
Sein Freund wendet sich ihm zu, er lächelt vergnügt und packt das zusätzliche Geld in den Koffer. „Gut, dann lass uns gehen! Ich bin jetzt schon auf Aarons Gesicht gespannt, wenn ich ihm eine Million auf den Tisch lege.“
...~*~...
Gemeinsam mit Toni verlasse ich die Bar und kann einfach nicht aufhören zu grinsen. Endlich habe ich genug zusammen, dass ich unser zu Hause offiziell kaufen kann. Ich kann es kaum erwarten, Aaron mein Angebot zu unterbreiten. Fröhlich halte ich auf mein Motorrad zu, als mich ein harter Schlag auf den Hinterkopf trifft. Erschrocken fahre ich zusammen und sehe Toni ärgerlich an. „Hey! Wofür war das denn?“, frage ich und reibe mir die getroffene Stelle.
„Da fragst du noch?“ Toni ballt die Hände zu Fäusten. Hart schlägt er mir auf den Oberarm. „Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen?“, will er ernst wissen.
Ich bringe einen Schritt Abstand zwischen uns und reibe mir den Arm. Obwohl er mächtig weh tut, kann ich nicht anders, als Toni anzugrinsen. Seine Wut besänftige ich damit jedoch nicht.
Er reißt mir den Koffer aus der Hand und schreit: „Gib her! Den nehme ich, bevor du noch mehr so schlaue Einfälle hast. Verdammter Idiot! Ich könnte dich erschlagen! Wenn du verloren hättest, wären wir jetzt so gut wie tot. Ist dir das in deinem Spatzenhirn überhaupt klar?“ Toni steigt auf seine Maschine.
Ich bleibe vor ihm stehen und zwinge mich dazu, wieder ernst zu werden, als ich sage: „Du glaubst wirklich, dass wir da oben fair gespielt haben, oder?“
Fragend betrachtet Toni mich und legt dabei den Kopf schief.
„Erik wollte diese Kerle von Anfang an ausnehmen. Wenn ich nicht gewonnen hätte, dann hätte er es. Ich war einfach nur der Köder, damit sie ihr Geld auf den Tisch legen, mehr nicht. Es ging nie darum das Geld direkt beim Pokern zu gewinnen. Ich wollte mir meinen Anteil nach dem Spiel von Erik verdoppeln lassen, mehr nicht.“
Ungläubig sieht Toni mich auch weiterhin an.
Ich lege ihm meine Hand um die Wange und lächle ihn vertrauensvoll an. „Glaubst du wirklich, ich würde uns so leichtfertig in Gefahr bringen? Ein bisschen besser solltest du mich schon kennen.“
Tonis Gesichtszüge bleiben ernst. Er packt meine Hand am Gelenk und zieht sie von sich weg. „Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?“, fragt er.
Ich lächle verschlagen, als ich antworte: „Weil ich deine Reaktion einfach zu lustig fand. Ich mag es, wenn du dich umsonst aufregst. Dann guckst du immer so süß unter deinen schwarzen Haaren heraus.“
Tonis Blick wird zunehmen düsterer, bitterböse funkeln mich seine smaragdgrünen Augen an. „Ich hasse dich!“, sagt er und stößt meine Hand von sich.
Ich gehe provokant langsam um sein Motorrad herum und lege ihm meine Hand auf die Schulter.
Als er demonstrativ den Kopf von mir wegdreht, flüstere ich ihm ins Ohr: „Ich liebe dich auch.“
Er brummt in sich hinein und knirscht mit den Zähnen. Sein Motorrad lässt er aufheulen und wendet es im Hof.
Ich steige auf meine Maschine und tue es ihm gleich.
Toni spricht die ganze Fahrt über kein Wort mehr mit mir, selbst als wir das Anwesen Aarons erreichen, meidet er noch immer meinen Blick.
Wir parken die Motorräder vor dem eisernen Tor. Auf dem weitläufigen Grundstück ist lautes Hundegebell zu hören. Wenig später springen zwei große Dobermänner aufgeregt gegen die Gitterstäbe. Sie schieben ihre Schnauzen durch und versuchen den ganzen Kopf hindurchzuzwängen.
Ich krame in den Taschen meiner Hose und ziehe zwei getrocknete Fleischstreifen heraus.
Aus dem Maul des Rüden läuft bereits ein langer Sabberfaden. Er wufft mich immer wieder an. Die Fähe ist nicht so gierig, sie bleibt hinter dem Rüden zurück. Als ich den beiden Hunden jeweils ein Stück Fleisch reiche, schlingt der Rüde es schnell hinunter, während die Fähe es mir ganz zaghaft aus der Hand zieht und damit weit ins Grundstück hineinrennt, um es in sicherer Entfernung zu vertilgen. Die Nase des Rüden sucht meinen ganzen Arm und schließlich meine Hosenbeine ab.
„Ich habe heute nicht mehr dabei Scotch, lässt du mich trotzdem rein?“, frage ich.
Er legt mir seinen Kopf in die Hand und will hinter den Ohren gestreichelt werden.
Ich zwänge mich durch die Gitterstäbe zu ihm.
Scotch umrundet mich, immer wieder drückt er seinen Kopf gegen meinen Arm. Er lässt mich keinen Schritt gehen, stattdessen wirft er sich vor mir auf den Rücken und präsentiert mir seinen hellen Bauch.
Ich hocke mich zu ihm und kraule ihn.
„Wie wäre es, wenn wir heute mal am Tor klingeln würden?“, fragt Toni. Er steht noch immer vor dem Eisentor, mit dem Koffer in der Hand.
Unverständlich mustere ich ihn. „Warum?“, frage ich.
„Weil es sich so gehört, verflucht noch mal. Das ist das Anwesen des Paten. Diese Hunde müssten dich eigentlich in Stücke reißen. Zeig wenigstens ein Mindestmaß an Respekt!“
Ich rolle mit den Augen und wuschle Scotch das Fell.
Brandy kommt langsam zu mir getrottet. Von hinten schleicht sie sich an mich heran und schiebt mir ihren Kopf unter den Arm. Sie reibt die Schnauze in meiner Achsel.
Ich kraule sie an der Schnauze. „Ach was, ihr doch nicht. Ihr seid keine Wachhunde, ihr seid Kuscheltiere. Ja, gutes Mädchen. Da auch noch? So?“
Toni schüttelt mit dem Kopf und betätigt den Knopf der Gegensprechanlage.
Eine gebrechliche, alte Stimme meldet sich: „Sie wünschen?“
„Jester, wir sind wieder zurück“, antwortet Toni dem Butler.
Die Tür im fernen Anwesen öffnet sich, die verwunderte Stimme des Butlers ist von dort und durch die Gegensprechanlage zu hören: „Ihr seid heute noch nicht im Grundstück?“
Belustigt sehe ich Toni an.
Er schaut böse zurück. „Ich hielt es für anständiger, vorher zu läuten“, antwortet er dem Butler.
„Sehr vernünftig, junger Herr“, entgegnet Jester und kommt den weißen Kiesweg herunter.
Toni und ich tauschen feindselige Blicke. Während ich weiter die Hunde kraule, geht der alte Butler an mir vorbei und öffnet das Tor für Toni. Als er eintritt, sagt Jester mit mahnendem Blick auf mich gerichtet: „Wenigstens einer von euch beiden weiß, was sich gehört.“
Toni betrachtet mich mit dem selben Blick.
Ich rolle mit den Augen. Diese ganze Etikette geht mir gehörig auf die Nerven. Wozu habe ich die Wachhunde des Paten gezähmt, wenn ich dann nicht auch das Grundstück betrete?
„Wenn ihr mir dann bitte folgen wollt!“, sagt Jester übertrieben höflich und geht mit Toni an mir vorbei.
Ich streichle beide Hunde noch einmal ausgiebig, dann folge ich ihnen.
Jester führt uns den Kiesweg hinauf und über die wenigen Stufen hinein ins Anwesen.
Wir folgen dem langen Flur mit den teuren Kommoden und den unzähligen Gemälden an den Wänden, bis zu einer Treppe. Ihre Stufen sind mit rotem Samt ausgeschlagen. In der Mitte teilt sie sich und führt eine in den West- und die Andere in den Ostflügel des Anwesens. An der Wand, dort wo sich die Treppe teilt, hängen Gewehre unterschiedlichsten Kalibers und Bauart. Ich bin diese Stufen schon so oft hinaufgestiegen, doch immer wieder entdecke ich ein neues Bild oder eine Waffe, die mir zuvor nicht aufgefallen ist.
Wir folgen Jester in den Ostflügel zum Büro Aarons. Die schwere Eichentür steht bereits offen. Sanfte Soulmusik schwebt im Raum.
„Bitte wartet hier!“, sagt Jester und betritt das Büro, „Master! Enrico und Antonio sind zurück. Habt ihr Zeit sie zu empfangen?“
„Jetzt tu bitte nicht so förmlich Jester. Komm schon herein Enrico!“, ruft Aaron so laut, dass es deutlich im Flur zu hören ist. Seine Stimme ist beschwingt und freundlich.
Ich nehme Toni den Koffer ab und strecke ihm die Zunge raus.
Er will noch etwas sagen, doch ich lasse ihn stehen und betrete das Büro.
Aaron sitzt wie üblich an seinem reich verzierten Schreibtisch. Hinter ihm stapeln sich Bücher und Akten in zwei großen Regalen, die bis zur hohen Decke reichen. Der Blick des alten Herrn, mit dem am Ansatz ergrauten Haar, richtet sich auf den Aktenkoffer. Er lächelt zufrieden, als er sagt: „Wie ich sehe, seid ihr erfolgreich gewesen.“
Ich erwidere sein Lächeln und lege ihm den Koffer auf den Tisch. „Es war zwar nicht einfach, aber wir haben, was du wolltest.“
Aaron deutet mit der offenen Hand auf den Holzstuhl vor dem Schreibtisch.
Ich setze mich.
Tonis Schritte kommen näher, er verschränkt die Arme hinter dem Rücken, während er hinter mir stehen bleibt.
Aaron öffnet den Koffer, sieht die Bündel durch, klappt ihn wieder zu und hebt ihn kommentarlos vom Tisch. Er stellt ihn neben sich auf dem Boden ab.
Enttäuscht sehe ich ihm dabei zu. „Hast du gar nicht bemerkt, dass da viel mehr Geld drin ist? Das sind jetzt eine Million Dollar.“
„Und?“, fragt Aaron, seine Gesichtszüge sind ein undurchschaubares Mienenspiel.
„Freust du dich denn gar nicht? Ich habe die Summe verdoppelt!“
Aarons Blick wandert von mir zu Toni. „Will ich wissen wie?“, fragt er ihn.
„Glücksspiel!“, entgegnet Toni trocken und emotionslos.
Ich werfe ihm einen warnenden Blick zu, doch Toni sieht nur finster zurück.
Aarons Aufmerksamkeit wandert wieder zu mir. Vorwurfsvoll durchbohrt er mich mit seinem Blick.
Ich atme einmal tief durch und versuche mich in einer Erklärung: „Das war kein richtiges Glücksspiel. Ich habe mit Erik West ein paar Geschäftsmänner abgezockt. Ich habe nur den Köder gespielt. Es gab nie ein Risiko, das Geld zu verlieren.“
Aaron mustert mich mit finsterer Miene.
Mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter. Zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, zu weit gegangen zu sein. Verlegen grinse ich ihn an, doch seine Miene hellt sich nicht auf. Schließlich schaue ich unter seinem strengen Blick hinweg und sage kleinlaut: „Tut mir leid. Aber die Sache war wirklich todsicher. So eine Gelegenheit konnte ich doch nicht verstreichen lassen.“
„Dein Geschäftssinn in allen Ehren, aber Alleingänge sind mir höchst zuwider. Noch so ein Ding und du erlebst mich mal von meiner ungemütlichen Seite!“, donnert seine tiefe Stimme auf mich ein.
Ich fahre erschrocken zusammen. Mit so einer Reaktion habe ich nicht gerechnet. Ich bleibe stumm und wage nicht, meinen Blick zu erheben.
„Wofür sollte das überhaupt gut sein? Glaubst du mich damit beeindrucken zu können?“, fährt Aaron laut fort.
Ich zögere mit meiner Antwort, vorsichtig sehe ich ihn an.
Aaron schaut noch immer ernst, aber nicht mehr so finster wie zuvor.
„Nein, nicht unbedingt. Eigentlich wollte ich dir mit dem Geld unsere Fabrik abkaufen.“
Aaron schaut überrascht und lehnt sich in seinem Sessel zurück. „Die Fabrik, in der du und deine Gang wohnen?“
„Ja, genau!“
Ein seltsames Schmunzeln legt sich auf Aarons Gesichtszüge.
Ich kann seinen Blick nicht deuten und sehe ihn verunsichert an.
„Du bist erst 16, Enrico. Du bist weder mündig noch geschäftsfähig. Selbst wenn ich dir die Fabrik für eine halbe Million überlassen wollen würde, was nicht der Fall ist, könnte ich es nicht.“
„Aber du hast uns doch auch die Führerscheine für die Motorräder besorgt“, halte ich dagegen.
„Das war nichts weiter als ein gefälschtes Stück Papier. Das hier ist was anderes.“
„Eine Grundstücksuhrkunde ist auch nur ein Stück Papier“, sage ich leise.
„Warum willst du die Fabrik überhaupt kaufen?“
„Darf ich ehrlich sein?“
„Ich bitte darum!“, sagt Aaron deutlich freundlicher.
Ich atme tief durch, dann sage ich: „Weil ich Angst habe, dass du uns eines Tages doch noch auf die Straße setzt. Ich wollte einfach die Sicherheit, das unser zu Hause auch wirklich uns gehört. Ich habe schon einmal alles verloren, das wollte ich nicht noch mal erleben.“ Meine Gedanken kreisen um das Haus meiner Familie, das von unseren Feinden niedergebrannt wurde. Seit dem leben mein Bruder, Toni und ich auf der Straße. Ich hätte das so gern ganz offiziell geändert.
„Ich habe eine andere Idee“, sagt Aaron aufmunternd, „So weit ich informiert bin, ist das Dach der Fabrik undicht und die Räume sind alle heruntergekommen. Ihr habt weder Strom noch einen Wasser- und Kanalisationsanschluss. Wir nehmen das Geld dafür und wenn du volljährig geworden bist, verhandeln wir neu, was das Grundstücksrecht betrifft.“
„Na gut!“, gebe ich nach.
...~*~...
„Wie machst du das eigentlich immer wieder?“, fragt Antonio seinen Freund, als sie das Grundstück des Paten verlassen.
„Was meinst du?“, fragt Enrico und sieht ihn unverständlich an.
„Na, Aaron immer wieder so leicht zu beschwichtigen. Er war eigentlich echt sauer wegen der Sache mit dem Glücksspiel. Hast du denn so gar keine Angst vor ihm? Sicher hätte er jeden anderen aus dem Clan dafür hart bestraft. Nur dich nicht. Das verstehe ich nicht.“
Enrico beginne darüber nachzudenken und finde keine schlüssige Antwort. „Keine Ahnung! Aaron erinnert mich ein bisschen an meinen toten Vater. Vielleicht habe ich deswegen keine Angst vor ihm. Ich mag ihn zu sehr. Kann ja sein, ich habe das Glück, dass er mich auch ein bisschen mag.“
Antoni schüttelt mit dem Kopf und macht ein nachdenkliches Gesicht. „Du hast echt mehr Glück als Verstand, aber tu uns den Gefallen und reize das nicht immer wieder bis zum Äußersten aus. Das machen meine Nerven nämlich nicht mehr mit.“
„Na gut. Du hast ja Recht. Tut mir leid.“ Enrico steigt auf seine Maschine, breit lächelnd füge er an: „Aber zumindest haben wir jetzt bald Strom und müssen unser Wasser nicht mehr aus dem Brunnen holen.“
Antoni schüttelt abwehrend mit dem Kopf. „Ich sage ja, mehr Glück als Verstand.“
Enrico lächelt breit und starte den Motor. „Was hältst du davon, wenn wir heute Abend auf Robins Party gehen und ich es wieder gut mache?“
„Du willst echt heute Abend noch weggehen?“, fragt Antoni und gähnt herzhaft.
„Ja. Die Party ist immerhin nur einmal im Monat und bis jetzt haben wir keine verpasst.“
„Enrico, wir sind jetzt seit fast 48 Stunden wach, ich wollte so langsam mal ins Bett.“
„Ich bin aber noch hellwach!“
„Du machst mich fertig. Ehrlich!“, sagt Antoni seufzend und massiert sich die Nasenwurzel, während er einen Arm in die Seite stemmt.
„Ach komm schon! Bitte! Wir können doch danach bei Robin pennen.“
„Nein, ich habe die Schnauze voll für heute. Geh allein, wenn du unbedingt hin willst.“
Enrico zieht einen breiten Schmollmund und sage herausfordernd: „Und wenn mich dort einer ihrer Gäste anbaggert und abschleppen will?“
Antonis Blick wird ernst. „Enrico, du bewegst dich heute auf verdammt dünnem Eis. Lass es!“
„Ach, komm schon!“
„Nein! Mach was du willst, aber ich geh jetzt pennen.“ Antonio startet seine Maschine und gibt Gas. Auf direktem Wege steuert er die Straße nach Brooklyn an.
~Robins Party~
[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]
~Tanzen~
Warm scheint ihm die Sonne ins Gesicht, doch noch weigert sich Antonio die Augen zu öffnen. Es ist gerade so friedlich und ruhig. Immer wieder blinzelt er nur kurz in den neuen Tag, um nachzusehen, ob sein Freund noch da ist.
Enrico liegt genau so auf seinem Oberkörper, wie er dort am Abend zuvor eingeschlafen ist.
Zufrieden döst Antonio wieder ein, bis ihn ein Klopfen an der Zimmertür endgültig aus dem Schlaf reißt.
„Miss, da ist immer noch abgeschlossen!“, ist eine zierliche Frauenstimme hinter der Tür zu hören.
„Das gibt’s doch nicht. Ich glaube, so langsam brauche ich noch eine Regel. Alle Gäste haben bis sechs Uhr morgens das Haus zu verlassen.“ Wieder klopft es an der Tür. „Hey, wer auch immer ihr seid, die Party ist vorbei und das schon seit Stunden.“
Robins Worte rauben Antonio die letzte Müdigkeit. Er versucht sich aufzurichten, doch Enricos Körper lastet zu schwer auf ihm. Antonio hebt ihn vorsichtig von sich und legt ihn auf der leeren Bettseite ab.
Enrico dreht sich murrend von einer auf die andere Seite, schläft aber weiter.
Den Anblick genießt Antonio einen Moment lang, dann erinnert ihn erneutes Klopfen an Robin. Zügig schließt er seinen offenen Schritt und schiebt sich aus dem Bett. Eilig läuft er zur Tür.
Robin mustert ihn von oben bis unten, auch ihre Putzfrau betrachtet ihn eingehend. Besonders lang verweilen ihre Blicke an seinem nackten Oberkörper.
„Tut uns leid. Wir sind einfach eingeschlafen“, sagt Antonio. Er tritt in den Flur und sieht dabei zum Bett zurück.
Enrico liegt reglos im Kissen.
So leise wie möglich schließt Antonio die Tür. „Bitte, kann er noch ein bisschen so liegen bleiben? Er hat seit Tagen kein Auge zu gemacht. Ich bin ganz froh, dass er jetzt mal ein bisschen schläft.“
Robin atmet hörbar aus, dann wendet sie sich an ihr Dienstmädchen: „Nina, lasse das Zimmer einfach aus.“
„Sehr wohl!“, entgegnet diese und knickst, dann verschwindet sie in einem angrenzenden Zimmer.
Robins Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf Antonio. Sie mustert ihn einen Moment lang, dann sagt sie: „Du siehst aber auch nicht besonders munter aus.“
Antonio fährt sich durchs Gesicht und die Haare. Er gähnt herzhaft. „Geht schon. Wie spät ist es eigentlich?“
„Kurz nach Neun.“
„Wow, dann habe ich ja mal ganze acht Stunden gepennt.“ Noch einmal überkommt Antonio ein langes Gähnen. Sein Magen schließt sich mit lautem Knurren an.
„Willst du mit Frühstücken?“, fragt Robin.
Dankbar lächelt er. „Sehr gern!“ Antonio kann sich gar nicht erinnern, wann seine letzte Mahlzeit gewesen ist. Den ganzen vergangenen Tag ist er mit Enrico unterwegs gewesen. Mit dem Kerl hat er nicht mal die Zeit zum Essen gefunden.
„Gut, dann tu dir einen Gefallen und zieh dir was über. Sonst wirst du mein Frühstück.“ Gierig betrachtet Robin seinen nackten Oberkörper.
Antonio sieht an sich hinab. Ihm wird erst jetzt bewusst, dass er sein Hemd bisher nicht wieder angezogen hat. Er nickt verstehend und schleicht ins Zimmer zurück.
Wenig später sitzt er mit Robin am Frühstückstisch und lässt sich das erste Stück Brot schmecken.
Robin beobachtet ihn aufmerksam. Sie sagt kein Wort, bis er sein drittes Brot verschlungen hat. „Du bist ganz schön ausgehungert. Alles okay bei euch Beiden?“ Besorgnis klingt in ihrer Stimme.
Antonio schluckt den letzten Bissen hinunter. Er schaut in den Flur, als wenn er seinen Freund dort sehen könnte. Lange ringt er mit sich, bis er endlich sagt: „Um ehrlich zu sein, nein. Enrico treibt mich noch in den Wahnsinn. Mir geht es ja schon beschissen wegen der Sache in der Lagerhalle, aber er ist noch viel krasser unterwegs.“
Robin nippt an ihrer Kaffeetasse. „Aber du bist es doch, der dort gefoltert wurde, und nicht er.“
„Erzähl ihm das mal. Ich meine, ich habe auch Alpträume, aber schlafen muss ich trotzdem irgendwann mal. Wenn es nach ihm gehen würde, wären wir den Rest unseres Lebens wach und würden uns in einen Adrenalinrausch nach dem Anderen stürzen, um ja nicht müde zu werden. Er lässt uns nicht mal die Zeit, was Anständiges zu essen.“ Antonio schmiert sich noch ein Brot und ist froh, dass das Stechen in seinem Magen endlich nachlässt.
Nachdenklich betrachtet Robin den Inhalt ihrer Tasse. „Ich habe nicht geahnt, dass ihm das so zusetzt. Er macht nach außen immer einen so gefassten Eindruck.“
„Das täuscht. Sperr ihn mal für fünf Minuten in einen leeren Raum, dann dreht er frei. Mich wundert es, dass er noch nicht wieder wach ist und bei deinem Vater auf der Matte steht, um bei ihm nach einem neuen Auftrag zu betteln. Kannst du da nicht mal was drehen? Wenn ich versuche, ihn auszubremsen, zieht er einfach alleine los.“
Robin wendet sich ihrer Tasse zu, sie nimmt einen großen Schluck und schaut nachdenklich vor sich hin. „Es gibt da tatsächlich ein paar Dinge, mit denen ich ihn beschäftigen könnte, eigentlich sogar müsste.“ Robins Haltung wirkt angespannt. Irgendetwas ist da, gegen das sie sich sträubt.
„Wie meinst du das?“, fragt Antonio.
„Da gibt es was, das ich bisher noch nicht mit euch besprochen habe, weil ich gehofft habe, Vater noch umstimmen zu können.“
Jetzt wird Antonio erst recht hellhörig. Er lässt das Brot zurück auf den Teller sinken und sieht sie forschend an. „Was will Aaron denn noch von uns? Wir erledigen doch schon die Drecksarbeit für ihn.“
„Nicht von euch, von Enrico.“
„Robin, jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!“
Sie schweigt lange und sieht zur Seite weg. Antonio betrachtet sie auffordernd, doch sie lässt sich unerträglich viel Zeit, bis sie endlich sagt: „Ich soll ihn vorbereiten.“
„Worauf?“
„Vater will ihn in die höhere Gesellschaft einführen, sobald er volljährig ist.“
„Was soll das heißen? Wozu?“, fragt Antonio und runzelt die Stirn.
„Ich weiß es nicht. Er hat irgendwas Großes mit ihm vor, aber er lässt sich nicht in die Karten schauen.“
„Na toll! Wer sagt denn, dass wir das wollen? Wie wäre es, wenn er mal Enrico fragen würde, was er dazu sagt?“
Robin lächelt hilflos. „Es geht nicht mehr nach euch. Das geht es schon lange nicht mehr.“
„Das sollte es aber vielleicht!“, sagt Antonio laut und steht auf.
Robin hebt beschwichtigend die Hände: „Krieg dich wieder ein! Ich habe versucht, das abzuwenden, aber Vater sieht irgendwas in ihm, das ich ihm nicht ausreden kann. Das Gute daran ist, ihr könnt euch seinem Schutz sicher sein. Das Schlechte: Ihr müsst ganz schnell sehen, dass ihr irgendwie Normalität vortäuscht. Enricos Leben wird in Zukunft davon abhängen, wie man euch als Geschäftsmänner wahrnimmt. Eigentlich dürftet ihr nicht mal mehr auf meine Partys kommen. Das Risiko ist einfach zu groß, dass das Mal gegen euch verwendet wird.“
„Aber ich dachte, was hier passiert, soll auch hier bleiben?“
„So ist die Regel, aber wenn doch jemand quatscht, reicht es nicht mehr, ihn einfach nur umzulegen. Dann ist es für euch schon zu spät.“
Antonio lässt sich auf seinen Stuhl sinken. Gedankenverloren sagt er: „Aber Enrico liebt deine Partys und ich um ehrlich zu sein auch. Hier können wir einfach mal wir selbst sein.“
„Ich weiß“, sagt Robin mitfühlend. „Wie läuft's eigentlich mit der Alibi-Freundin?“
Antonios Laune sinkt auf einen neuen Tiefpunkt. Er legt die Ellenbögen auf den Tisch und stützt den Kopf mit den Händen. „Um ehrlich zu sein, habe ich das Thema gekonnt verdrängt.“
„Und Enrico? Hat er es auch verdrängt? Bei ihm wäre das bald noch wichtiger.“
Antonio seufzt hörbar. „Keine Ahnung. Wir haben nicht darüber gesprochen. Robin, ich will ihn nicht teilen, auch nicht zum Schein.“
„Ich verstehe dich ja, aber wir können das Thema nicht ewig ignorieren. Vater hat schon Andeutungen in der Richtung gemacht, dass ich ein Auge auf eine standesgemäße Partnerwahl haben soll.“
„Zum Kotzen!“ Lustlos kaut Antonio an seinem Brot herum. Im Augenwinkel nimmt er eine Bewegung wahr.
„Ich bin nicht der Spielball des Alten und ich lass mich auch nicht dazu machen!“, sagt Enrico und reibt sich die Augen, gähnend bleibt er im Türrahmen stehen. „Darf ich auch?“ Sein Blick richtet sich auf den Tisch mit dem Frühstück.
Robin lädt ihn mit einer ausfallenden Handbewegung ein, sich zu ihnen zu setzen.
Enrico lässt sich in einen Stuhl neben Antonio sinken, doch anstatt sich ein eigenes Brot zu machen, nimmt er sich das angebissene aus Antonios Hand.
„Hey!“ Antonio holt aus und schlägt ihn hart auf den Hinterkopf. „Mach dir selbst eines!“, sagt er und versucht sich das Brot zurückzuholen.
Enrico stopft es sich im Ganzen in den Mund, frech grinst er ihn an.
Antonio holt erneut aus und schlägt ihn noch einmal.
Sein Freund verschluckt sich an dem viel zu großen Bissen und beginnt heftig zu husten. Strafend sieht Enrico ihn an und boxt ihm auf den Oberarm.
Robin beobachtet sie Beide aufmerksam, sie schmunzelt. „Ihr seid schon drollig zusammen, aber trotzdem steht Vaters Plan und wir müssen langsam darauf reagieren.“
Enrico zwingt den großen Bissen hinunter, dann fragt er: „Was genau will Aaron denn von mir?“
„Aus dir einen angesehenen Geschäftsmann machen.“
Enrico bekommt ein breites Grinsen im Gesicht, dann muss er lachen. „Ja, klar!“
Robin verzieht keine Miene, ernst schaut sie, bis Enrico das Lachen im Hals stecken bleibt.
Deutlich gefasster sagt er: „Robin, ich bin nur ein Straßenkind mit einer Gang. Wer soll mich denn bitte als Geschäftsmann ernst nehmen?“
„Genau deswegen soll ich dich ja unterrichten.“
„Ach, und in was? Wie man Papas Geld ausgibt oder geschwollen daher quatscht?“
Robin lächelt amüsiert, sagt dann aber ernst: „Fürs erste könnte ich dir das Tanzen beibringen.“
„Tanzen?“, fragt Enrico ungläubig.
„Ja! Ihr habt doch heute nichts vor, oder?“ Robin wechselt einen viel sagenden Blick mit Antonio.
Der bedankt sich mit einem flüchtigen Lächeln. Wenn sie heute bei Robin bleiben und Enrico das Tanzen erlernen muss, wird das zur Abwechslung vielleicht mal ein ruhiger Tag.
„Wozu muss ich denn als Geschäftsmann tanzen können?“, fragt Enrico und schmiert sich ein Brot. Als er es fertig hat, stiehlt Antonio es ihm. Auf den vorwurfsvollen Blick seines Freundes entgegnet er: „Was denn? Du hast mir meines doch auch geklaut.“
Enrico brummt in sich hinein, lässt ihm aber seinen Willen und macht sich ein Neues.
Robin schüttelt amüsiert mit dem Kopf, dann antwortet sie: „Du wirst auf Partys, Bälle und Veranstaltungen der höheren Gesellschaft gehen müssen. Geschäftspartner werden dich dort treffen, da musst du auf der Tanzfläche eine gute Figur abgeben. Vielleicht finden wir dort ja auch eine Frau für dich. Da kann es im Übrigen auch nicht schaden, wenn du weißt, was du tust. Frauen lassen sich ziemlich leicht auf der Tanzfläche beeindrucken, wenn der Mann sich gut bewegen kann.“
Enrico rollt mit den Augen und isst sein Brot.
„Hast du überhaupt schon mal getanzt?“, fragt Robin.
„Nein!“, entgegnet Enrico mit vollen Backen.
Ihr Blick wandert auf Antonio. „Und du?“
„Ich hatte es in meiner Ausbildung, also ja!“, sagt er emotionslos.
„Du kannst tanzen?“, fragt Enrico überrascht.
Antonio zuckt mit den Schultern und nickt.
„Wozu musstest du das denn lernen? Du warst doch ein Killer.“
„Um möglichst nah an eine Zielperson auf einer Party heranzukommen“, antwortet Robin.
Antonio nickt zustimmend.
Kommentarlos isst Enrico sein Brot.
„Nun gut, dann brauche ich ja nur das weiße Wölfchen unterrichten. Ich ahne schon, dass das ohne Vorkenntnisse für eine mittelschwere Katastrophe reichen wird.“
...~*~...
Wenig später hat Robin den Salon von uns frei räumen lassen und legt auf dem Plattenspieler eine Schallplatte auf.
Ich begreife noch immer nicht, wofür das alles gut sein soll. Tanzen, das habe ich noch nie probiert, das war mir immer zu albern. „So, und jetzt?“, frage ich. So allein in der Mitte des Raumes, komme ich mir verloren vor.
Ein sanfter Walzer dringt aus dem Plattenspieler.
Robin dreht sich nach mir um und lächelt gehässig. Sie kommt zu mir und betrachtet mich herausfordernd.
Antonio bleibt abseits von uns stehen und verschränkt die Arme. Aufmerksam beobachtet er uns.
Ich bin mir nicht sicher, was ich jetzt tun muss, also warte ich ab.
Robin nimmt sich meine Arme und legt einen auf ihre Schulter und den Anderen um ihre Taille. Scheu sehe ich ihr ins Gesicht. Das ist mir viel zu nah.
„Eigentlich muss ja der Mann führen, aber der willst du ja erst mal werden, also muss ich das wohl übernehmen.“ Robin lacht.
Ich rolle mit den Augen.
Sie beginnt sich im Takt der Musik zu bewegen.
Vergeblich versuche ich mich ihr anzupassen, ständig stolpere ich über ihre Füße.
„Du musst mit dem rechten Fuß anfangen“, tadelt sie, „Noch mal von vorn!“
Wieder soll ich anfangen, wieder komme ich mit meinen eigenen Beinen durcheinander.
„Eins... zwei... drei“, zählt Robin.
Ich komme schon bei der Eins durcheinander und löse mich von ihr. „Das lerne ich nie!“ Mein Blick bleibt an Toni hängen.
Er hat ein breites Schmunzeln auf den Lippen.
„Sag nichts!“, schnauze ich ihn an.
Er grinst noch breiter, während das Lied der Platte verklingt.
Robin dreht sich nach Toni um. „Legst du noch mal neu auf?“, trägt sie ihm auf.
Toni geht zum Plattenspieler und schiebt die Nadel auf Anfang. Der Walzer erklingt von vorn.
Robin nimmt wieder meine Arme und legt sie um sich, wieder schleift sie mich durch den Salon.
Ich gebe mir alle Mühe und komme doch jedes Mal durcheinander. Wenn ich nicht über meine eigenen Beine stolpere, dann trete ich ihr auf die Füße. Bei jedem falschen Schritt bricht sie ab und lässt uns von vorn beginnen.
„Spürst du deine Füße überhaupt noch Robin?“, fragt Toni.
Ich sehe ihn bitterböse an.
Das lässt ihn für zwei Runden verstummen, dann sagt er: „Das wird doch nie was.“
Ich schiebe Robin von mir und sehe ihn ärgerlich an. „Wenn du's so viel besser kannst, dann mach du doch weiter!“
Toni stößt sich von der Kommode ab, er kommt zu uns.
Ich bin heil froh über die Pause und weiche einen Schritt zurück, um ihm Platz zu machen.
Toni drängt sich zwischen uns, ich will mich von beiden wegdrehen, als er nach meiner Hand greift. Er zieht mich zu sich und legt seinen Arm um meine Taille.
Was soll das denn werden?
Auffordernd betrachtet er Robin.
Sie nickt und geht zum Plattenspieler. Die Nadel schiebt sie wieder auf Anfang.
Tonis Aufmerksamkeit richtet sich auf mich. Er lächelt liebevoll und zieht mich noch ein Stück enger an sich heran. Den ersten Schritt gibt er vor, doch als ich an uns hinab auf meine Füße sehen will, hebt er meinen Blick.
Seine grünen Augen ziehen mich in ihren Bann. Ich vergesse ganz, dass ich keine Ahnung habe, wohin meine Füße beim nächsten Schritt gehören, es passiert einfach. Kein zählen mehr, kein immer wieder stoppen und neu anfangen. Ich folge einfach seiner Führung, Schritt für Schritt im Rhythmus der Musik. Je länger wir tanzen, umso einfacher erscheint es mir. Es beginnt fast Spaß zu machen, als das Lied schon am Ende ist.
Robin legt neu auf. Mit verschränkten Armen sieht sie uns zu.
Ich versinke ganz in der Musik und der Bewegung und kann einfach nicht aufhören, in Tonis schöne Augen zu blicken. Seine Lippen ziehen mich wie magisch an. Je länger wir tanzen, umso stärker wird der Drang in mir, ihn küssen zu müssen. Schließlich kann ich nicht länger widerstehen und lege meine Lippen auf seine.
Robin lehnt sich an die Kommode. „Wie soll ich nur jemals eine Frau für euch beide finden?“, fragt sie.
Wir ignorieren ihre Worte. Die Sache mit der Alibi-Freundin habe ich längst wieder vergessen. Alles, was ich brauche, habe ich an ihm. Es gibt keinen Grund, nach jemand anderem Ausschau zu halten.
~Falsches Alibi~
Noch mehr als sonst, graut es Jan heute vor dem Tag im Präsidium. Lui wieder zu sehen und mit ihm zusammen arbeiten zu müssen, das wird ihn unheimlich schmerzen. Vielleicht sollte er seinen Vater bitten, ihm einen anderen Partner zuzuteilen, am besten heute noch.
Mit den Händen in den Hosentaschen betritt Jan das Präsidium. Automatisch gleitet sein Blick zum Schreibtisch Luis.
Auf einem schmucklosen Holzstuhl sitzt vor seinem Partner ein alter Mann mit ergrautem Haar. Er trägt einen zerdrückten, schwarzen Hut, sein Gesicht ist fleckig und ein langer Bart ziert Kinn und die Wangen. Seine Kleidung ist dreckig und an vielen Stellen geflickt. Die Hände stecken, trotz der Sommerhitze, in hellbraunen Handschuhen, die an den Fingerkuppen abgeschnitten sind. Er gestikuliert wild, während er spricht.
Lui zeichnet mit Bleistift auf einem weißen Block.
Als Jan näher kommt kann er in der Zeichnung ein Gesicht erkennen. Neben dem Schreibtisch seines Partners bleibt Jan stehen und sieht Lui über die Schulter.
Auf der Tischplatte liegt noch eine Zeichnung, die Lui bereits fertiggestellt hat.
Jan nimmt sie an sich, um sie genauer betrachten zu können. Die markanten Augen und die zerzausten Haare, irgendwo hat er dieses Gesicht schon mal gesehen. Von der Zeichnung in seinen Händen, wandert Jans Aufmerksamkeit auf Luis Block.
Lange dunkle Haare, ein markantes Gesicht, nehmen immer mehr Gestalt an.
Während Jan noch darüber grübelt, warum ihm auch dieses Porträt bekannt vorkommt, verabschiedet sich Lui von dem Zeugen: „Vielen Dank! Sie haben uns sehr weitergeholfen.“ Lui kramt aus seiner Hosentasche einen zehn Dollarschein und reicht ihn dem bettelarmen Mann. „Hier, kaufen sie sich davon eine warme Mahlzeit!“
Der Mann nimmt das Geld mit zitternden Fingern entgegen. Er hebt den schmutzigen Hut vom Kopf, nickt und verlässt das Gebäude.
„Irgendwo habe ich die beiden Gesichter schon mal gesehen“, beginnt Jan ein Gespräch, „Worum geht’s denn bei den Beiden?“
Lui sieht ihn an. Ihm liegt etwas auf den Lippen, dass er nicht ausspricht, stattdessen klappt er eine Akte auf.
Bilder von den Leichen in der Lagerhalle sind darin neben etlichen anderen Unterlagen zu sehen.
„Der Zeuge meint, die Beiden vor den Schüssen in der Nähe der Lagerhalle gesehen zu haben. Wenn sie dir bekannt vorkommen, bekommst du auch zusammen, wo du sie schon mal gesehen hast? Dann hätten wir vielleicht endlich mal eine Spur in dem Fall.“
Jan nimmt auch noch den Block an sich, seine Aufmerksamkeit wechselt zwischen beiden Zeichnungen hin und her, bis ihm endlich einfällt: „Ja, genau! Das sind die Beiden, die ich gestern auf der Party kennen gelernt habe. Der Eine ist blond und hatte stechend blaue Augen, der andere ist ein totaler Arsch.“
„Du kennst sie? Hast du auch mit ihnen gesprochen?“, will Lui wissen.
„Ja, mit dem Blonden kurz. Warte, sein Name war… ich glaube Enrico.“
„Na das ist doch schon mal ein Anfang. Sonst noch was?“
„Robin hat mir erzählt, er wäre 16 Jahre alt. Mehr weiß ich nicht.“
Lui notiert die Information in der Akte.
Krampfhaft überlegt Jan, ob ihm noch mehr zu den Beiden einfällt. „Der mit den schwarzen Haaren ist total aggressiv.“ Er beugt sich zu Lui hinab, um ihm zuflüstern zu können: „Die Beiden scheinen ein Paar zu sein.“
„Na großartig! Sag mir nicht, wir müssen jetzt auch noch in dieser Schmutzszene ermitteln?“, fragt Lui.
„Das wird auf jeden Fall schwierig. Die Regel, alles bleibt in der Villa, von der ich dir erzählt habe, nimmt diese Robin verflucht ernst. Ich habe Gerüchte gehört, dass schon Leute weggekommen sind, die zu viel geplaudert haben“, sagt Jan leise.
„Noch ein Grund mehr, uns dieser Sache anzunehmen, oder?“
„Du weißt schon, dass sie uns auch auffliegen lassen kann, oder? Auf dieser Party haben uns ein Dutzend Menschen zusammen gesehen.“
Lui zuckt gleichgültig mit den Schultern. Er erhebt sich und nimmt sich seine Jacke vom Stuhl. „Wie hast du so schön gesagt? Wir haben nur verdeckt ermittelt.“
Jan beißt sich nervös auf die Unterlippe. In diesem Milieu zu ermitteln gefällt ihm gar nicht. Er steckt da viel zu tief drin. So ziemlich alle Gäste von Robin kennen ihn persönlich, manche mehr, als Jan im Nachhinein lieb ist. Unwillkürlich zwingen sich ihm die Bilder seiner Zeit in der Anstalt ins Gedächtnis. Die Elektroschocks auf der Liege, an die er angebunden war, die Therapien mit Schmerzreizen, während ihm Bilder von nackten Männern gezeigt wurden. Das alles will er nicht noch mal erleben müssen. „Lui, tu uns beiden einen Gefallen und sei bei dem Thema vorsichtig. Wir haben mehr zu verlieren, als du dir vorstellen kannst.“
„Jan, fünf Männer mussten in dieser Halle ihr Leben lassen. Grund genug ein paar Fragen zu stellen, findest du nicht?“
„Übertreib deinen Gerechtigkeitssinn nur nicht so, wie sonst immer. Mit denen ist nicht zu spaßen!“, warnt Jan.
„Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd. Die sind die Verbrecher, nicht wir!“
Jan sieht zur Seite weg, kleinlaut sagt er: „Nun, wie man's nimmt.“
Lui packt die beiden Zeichnungen in die Akte und nimmt diese dann an sich. Er zieht sich seine Jacke über und geht. Auf halbem Wege zum Ausgang, dreht er sich nach Jan um. „Kommst du?“, fragt er.
Jan zögert einen Moment. Es ist sicher keine gute Idee, die Sache Lui allein zu überlassen. Er muss sicherstellen, dass Lui es nicht mit seinen Fragen übertreibt. Zähneknirschend folgt er ihm.
Eine kurze Autofahrt später stehen sie vor der Villa Robins. Lui schließt den Wagen ab und kommt zu Jan herumgelaufen.
„Ich halte das für keine gute Idee!“, sagt er noch einmal.
„Du willst mal ein guter Polizist werden und kneifst schon bei einer einfachen Vernehmung?“
„Sagt der, der nicht mal eine Stunde auf 'ner Party aushält“, entgegnet Jan und folgt Lui den Weg bis zur Villa.
Sein Kollege läutet und sieht am Gebäude hinauf.
Ein Fenster im ersten Stock steht offen, die Gardinen wehen im Wind. Ein sanfter Walzer dringt von dort zu ihnen hinab. Sie sehen sich ratsuchend an, als auch schon die Tür geöffnet wird. Eine Frau, in einer weißen Schürze fragt: „Sie wünschen?“
„Ist die Hausherrin zu sprechen?“, fragt Lui.
Die Dienstmagd betrachtet sie und ihre Uniformen einen Moment lang prüfend, dann sagt sie: „Ich werde sie holen, einen Moment bitte!“ Sie schließt die Tür, ihre Schritte verlieren sich im Inneren der Villa.
Wenig später verstummt die Musik. Aus dem offenen Fenster ist zu hören: „Mam, zwei Polizeibeamte wünschen sie zu sprechen.“ Unruhe entsteht.
„Ist gut, ich komme runter und ihr beiden räumt den Salon wieder ein“, sagt die Hausherrin und entfernt sich, wenig später sind ihre Schritte im Flur zu hören. Sie ist es, die nun die Tür öffnet und Jan und Lui anspricht: „Was kann ich für … Jan? Das ist ja eine Überraschung.“
Jan nimmt Lui die Akte aus der Hand. Wenn sie hier mit heiler Haut davonkommen wollen, ist es besser, er übernimmt die Befragung.
Lui betrachtet ihn überrascht, doch er lässt ihn gewähren.
„Hey Robin, es wird nicht lange dauern, aber kannst du uns vielleicht ein paar Fragen zu zwei deiner Gäste beantworten?“
Robins freundliche Miene wird finster. „Was für Gäste und was für Fragen?“, will sie ernst wissen.
„Keine Sorge, es hat nichts mit der Party oder deren Inhalt zu tun. Dürfen wir vielleicht reinkommen?“
Robin beäugt sie misstrauisch, schiebt aber die Tür weit auf und bittet sie, mit einer ausfallenden Handbewegung, einzutreten. „Bitte, folgt mir!“ Sie geht voraus und führt sie einige Zimmer weiter in den Salon im Erdgeschoss. Im Sessel lässt sie sich nieder und bietet den beiden Beamten das Sofa an. „Setzt euch zu mir.“
Jan nimmt den Sessel Robin direkt gegenüber, während Lui sich auf dem Sofa niederlässt.
„Wir sind auf der Suche nach zwei Zeugen, die eventuell etwas von einem Mord an den Docks mitbekommen haben könnten. Ein Zeuge hat uns geschildert, dass sie sich kurz vorher dort aufgehalten haben sollen. Mein Kollege hat zwei Phantombilder angefertigt.“ Jan sucht die Zeichnungen aus der Akte und legt sie Robin vor. „Weißt du noch, der junge Kerl, über den wir uns unterhalten haben und sein Kumpel? Ich glaube die Beschreibung passt auf sie. Meinst du, du kannst ein Treffen mit ihnen organisieren?“
Robin nimmt die Bilder in die Hand und betrachtet sie prüfend. Sie runzelt die Stirn. „So viel Ähnlichkeit sehe ich da nicht. Sicher, dass du den Blonden nicht einfach nur wieder sehen willst, weil er dir gestern einen Korb gegeben hat?“, fragt sie herausfordernd.
Lui sieht ihn ebenfalls fragend an. Ein stummer Vorwurf liegt in seinem Blick.
Jan beschließt, nichts dazu zu sagen und stattdessen die Befragung fortzusetzen: „Ich finde schon, dass eine gewisse Ähnlichkeit besteht. Auf jeden Fall würden wir gern mit den Beiden sprechen.“
Robin sieht in den Flur. Schritte sind auf der nahen Treppe zu hören. „Ihr habt Glück, meine Herren, die Beiden sind noch immer meine Gäste.“
Tatsächlich kommen in diesem Moment der Blonde und sein Freund die Treppe herunter. Ihre Blicke treffen sich.
Der Schwarzhaarige sieht Jan sofort wieder grimmig an.
„Enrico, Antonio, kommt mal zu uns. Die Sache scheint euch zu betreffen.“
„Uns?“, fragt Antonio. Gemeinsam mit Enrico kommt er in den Salon.
Der Blick des Blonden fällt auf die Bilder in Robins Händen.
Lui rutscht auf dem Sofa ein Stück, um Platz zu machen.
Sie setzen sich zu ihnen.
„Und, wo können wir helfen?“, fragt Enrico. Aufmerksam betrachtet er Jan.
Die eisblauen Augen nehmen ihn einmal mehr gefangen. Jan vergisst fast, weswegen er hier ist. Nur mit aller Mühe kommt er gegen das seltsame Gefühl in seinem Magen an, das immer intensiver wird, je länger er den Blonden betrachtet. Er braucht einen Moment, bevor er sich fangen und wieder sprechen kann: „Einer unserer Zeugen will euch gestern vor einer Schießerei nahe den Docks gesehen haben.“
Robin betrachtet ihre Gäste mahnend und wartet ebenso gespannt auf eine Antwort.
Antonio holt Luft um etwas zu erwidern, doch Enrico kommt ihm zuvor. Mit Blick auf die Bilder fragt er: „Nach der Beschreibung dieses Zeugen sind die Zeichnungen angefertigt worden, oder?“
Lui nickt zustimmend.
„Wir waren nicht an den Docks“, sagt Enrico emotionslos und reicht die Zeichnungen an Jan.
„Unser Zeuge ist aber ganz sicher“, entgegnet Jan.
„Ach ja?“, sagt Enrico, „Habt ihr euch Tonis Gesicht mal genau angesehen? Er hat an der linken Augenbraue eine ziemlich markante Narbe, die ist echt nicht zu übersehen. Eure Zeichnung hat das nicht. Seltsam das sich ein Zeuge nicht an so was erinnert und meine Nase ist auch nicht so krumm, wie die auf der Zeichnung.“
„Wann sollen die Beiden denn an den Docks gesehen worden sein?“, mischt sich Robin in das Gespräch.
„Abends, gegen Neun“, sagt Lui.
„Das kann nicht sein! Um diese Uhrzeit hat Enrico mir bei den Vorbereitungen für die Party geholfen.“
Enrico betrachtet sie einen Moment stillschweigend. Sie tauschen einen seltsamen Blick aus, dann fährt Enrico fort: „Richtig! Habe ich!“
„Also entweder euer Zeuge ist nicht besonders zuverlässig oder euer Zeichner eine Niete. Wir können euch auf jeden Fall nicht weiterhelfen“, sagt Antonio und verschränkt die Arme.
„Nun, dann bedanken wir uns für eure Zeit“ Lui erhebt sich. „Bitte, entschuldigen Sie die Störung.“ Er packt die Unterlagen zusammen und betrachtet Jan auffordernd.
Ist das sein Ernst? Er will schon gehen? Die Drei lügen doch ganz offensichtlich, ist ihm das entgangen?
Als Jan nicht sofort aufsteht, deutet Lui mit einem Kopfschwenk zur Tür. Sein Blick bleibt auffordernd.
„Na gut!“, gibt Jan nach und erhebt sich. Noch einmal betrachtet er Antonio finster, dann kann er nicht anders, als einen letzten Blick auf den Blonden zu werfen. Irgendetwas findet Jan nach wie vor anziehend an ihm. Obwohl er sich ziemlich sicher ist, dass er etwas mit der Sache zu tun hat, hat er sich nicht einen Moment verunsichern lassen. Das Argument mit der Narbe ist ziemlich schlüssig gewesen. Selbst jetzt zeigt er keine Anzeichen von Nervosität.
„Jan!“ Lui drängt abermals zum Gehen.
Nur mühsam kann sich Jan dazu durchringen, ihm zu folgen.
Robin begleitet sie zur Tür und lässt sie aus dem Haus.
Wortlos geht Lui zum Auto und steigt ein.
Jan folgt ihm und setzt sich zu ihm. „Du nimmst ihnen das doch nicht etwa ab?“, fragt er und zieht die Tür zu.
Lui lehnt sich im Sitz zurück, sein Blick verliert sich in der Ferne. „Ist das eigentlich dein verdammter Ernst Jan?“, fragt er aufgebracht, „Wir sind hier im Dienst und du denkst dir einen Vorwand aus, nur um deinen neuen Lover von gestern wiederzusehen?“
„Hey, Moment mal! Erst mal ist der Kerl nicht mein neuer Lover und zweitens lügen die Drei doch wohl offensichtlich.“
Unbeirrt fährt Lui fort: „Ehrlich mal, ich bin kaum abgehauen, da hast du schon einen Neuen am Start?“
„Jetzt fahr mal wieder runter. Ich hatte nichts mit dem!“
„Ach, komm schon Jan! Ich habe doch gesehen, wie du ihn gerade angehimmelt hast. Der blonde Kerl gefällt dir. Echt mal. Du könntest wenigstens Beruf und Privates trennen. Der Weg hier her war ja mal voll umsonst.“
„Du glaubst denen doch nicht ernsthaft, dass sie nicht dort waren, oder?“
„Der Blonde hat Recht, die Narbe hätte unserem Zeugen auffallen müssen und diese Robin gibt ihm ein Alibi. Und selbst wenn sie lügen, ist unser Zeuge nicht glaubwürdig genug. Vor Gericht haben wir noch immer nichts in der Hand. Zum Kotzen!“ Lui dreht den Schlüssel im Zündschloss und lenkt den Wagen auf die Straße.
Jan wendet seinen Blick ab. Auf dem Weg zurück zum Präsidium schweigt er. Diesen Enrico wieder zu sehen, war nicht der Grund. Er ist sich ganz sicher, dass die beiden Jungen etwas mit dem Fall zu tun haben.
Lui meidet seinen Blick, stur schaut er auf die Straße.
„Ich weiß gar nicht, warum du dich so aufregst!“, sagt Jan irgendwann.
Lui sieht einen flüchtigen Moment zu ihm, wendet sich aber schnell wieder ab.
„Du wolltest mich doch nur fürs Bett. Also jammere jetzt nicht rum, dass ich mich anderweitig umschaue. Dann gefällt mir eben der Blonde, na und! Ich will eben mehr als nur der Lustknabe sein. Schon klar, dass du das nicht verstehst.“
Lui sagt kein Wort mehr und auch Jan nimmt sich fest vor, nie wieder damit anzufangen. Die Sache mit Lui ist für ihn gestorben. Dieses dumme Eifersuchtsgetue kann er sich sparen. Was kann Jan denn dafür, dass Lui nicht mit sich und seiner Neigung klarkommt? Soll er doch sehen, wo er den nächsten Typen für eine schnelle Nummer herbekommt.
...~*~...
Robin steht noch lange am Fenster und schaut dem Polizeiwagen nach. Die Arme verschränkt, trippelt sie unruhig mit dem Fuß auf dem Boden.
Auch Toni starrt angespannt vor sich hin.
Ich verstehe ihr Problem nicht. Die Polizisten sind doch ohne Beweise wieder abgehauen. Die können uns gar nichts. Die Bilder sahen uns nicht mal wirklich ähnlich.
Robin dreht sich nach mir um, ihr vorwurfsvoller Blick trifft mich. „Hättet ihr nicht besser aufpassen können? Ich vergebe echt ungern falsche Alibis“, sagt sie.
„Wir haben aufgepasst. In die Gegend kommt sonst keine Menschenseele. Keine Ahnung, wer uns da gesehen haben soll. Das kann nur irgend so ein Penner gewesen sein. Der bringt ihnen vor Gericht gar nichts“, sagt Toni.
„So weit darf es nicht mal ansatzweise kommen. Ihr könnt froh sein, dass sie euch nicht bei Vater befragt haben. Seht zu, dass so was nie wieder vorkommt!“
„Ja, schon klar! Es ist nun mal nicht so einfach mit nem Anfänger an der Backe.“ Toni sieht mich mahnend an.
„Ach, jetzt ist es meine Schuld, oder was?“, frage ich.
„Wer ballert denn viel zu viel rum? Wäre ich allein gewesen, wäre ich rein und wieder raus in weniger als fünf Minuten. Mit dir waren wir fast ne viertel Stunde da drin.“
Ich rolle genervt mit den Augen und sammle einige der Pappuntersetzer auf dem Tisch ein, die von der Party übrig sind. Ich beginne sie zu einem Kartenhaus zusammen zu legen. „Ich weiß gar nicht, was ihr euch so aufregt. Diese Bilder waren verdammt ungenau und beweisen gar nichts. Wenn sie wirklich was gegen uns in der Hand hätten, hätten sie uns bereits verhaftet. Außerdem, wenn es hart auf hart kommt, haben wir die Beiden doch sowieso in der Hand. Die sind immerhin auf Robins Party gewesen. Ich habe sie knutschend in einem der Zimmer verschwinden sehen. Die haben definitiv was am Laufen miteinander. Wenn sie uns noch mal blöd kommen, erinnere ich sie einfach daran. Mal sehen, wie lange sie dann noch Polizisten bleiben.“
Robins Haltung entspannt sich, sie kommt zum Tisch zurück. „Na schön. Enrico hat ganz gut geschaltet. Auf dem Bild war tatsächlich keine Narbe zu sehen und die ist nun wirklich auffällig.“ Im Vorbeigehen fährt Robin Tonis Stirn und die Narbe über der Augenbraue ab.
Er schiebt ihre Hand von sich.
„Ich kenne Jan schon ziemlich lange und habe genug gegen ihn in der Hand, um ihn unschädlich zu machen, wenn nötig. Er war auch sicher nicht freiwillig hier.“ Ihr Blick richtet sich auffordernd auf Toni. „Trotzdem nimmst du das weiße Wölfchen in Zukunft besser an die Hand. So was will ich nicht noch mal erleben müssen.“
„Geht klar!“, entgegnen Toni und ich beinah zeitgleich und im selben, emotionslosen Tonfall.
Ich setze ein letztes Untersetzerpaar auf die Spitze des Kartenhauses. „Fertig!“, rufe ich und betrachte stolz mein Werk.
Robin und Toni schütteln mit dem Kopf, sie wenden sich von mir ab.