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Im Leben meiner Schwester

von

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Englischcamp

Unsicher stand sie da. Ihre Zähne kauten auf der Unterlippe. Überall um sie herum waren Jugendliche. Wie kam eigentlich ihre Mutter auf die Idee sie in ein Englischcamp zu stecken? Natürlich war Englisch nicht ihr absolutes Lieblingsfach und sie verstand auch die tieferliegenden Beweggründe ihrer Mutter, aber das hier konnte doch nur schief gehen. Sie kannte hier niemanden und da sie im allgemeinen von den anderen bisher ignoriert wurde, glaubte sie auch nicht mehr daran hier überhaupt Anschluss zu finden.

Zaghaft setzte sie sich in Bewegung. Ihren Rucksack geschultert und einen kleinen Koffer hinter sich herziehend.

Reifen quietschten, eine Bushupe dröhnte.

Sie schaute über die Schulter zurück und sah den nächsten Bus halten. Die Türen öffneten sich und wieder stiegen viele Jugendliche aus einem Reisebus aus. Alle lachten und viele kannten sich bereits von der Busfahrt oder auch schon länger. Sie seufzte und ging weiter, folgte der Masse zum Hauptgebäude und somit zur Anmeldung. Eine Schlange hatte sich bereits gebildet und sie stellte sich an, wartend bis sie dran kam.

Die Sonne strahlte in voller Pracht und unter den heißen Strahlen wurde ihr ganz warm. Die ersten Schweißtropfen bildeten sich auf ihrer Stirn während sie immer noch an Ort und Stelle stand. Hinter ihr stellten sich freudig plappernde Mädchen an, die vor Aufregung wild durcheinander redeten.

Sie war genervt und sie schwitzte. Warum gab es hier keinen Schattenplatz? Warum ging nichts weiter? Zur Seite beugend versuchte sie den Anfang dieser Warteschlange zu finden, aber es waren zu viele vor ihr.

Es ging einen Schritt weiter. Das war doch mal was. Und die Sonne brannte immer noch heiß herunter, erhitzte die Schattenlose Gegend weiter und immer weiter.

Sie wischte sich mit dem Handrücken die Schweißperlen von der Stirn und seufzte. Da hätte sich ihre Mutter das Camp schenken können. Wenn es in dem Tempo weiter ging würde sie hier draußen den Hitzetod sterben. Schade um das viele Geld, das ihre Mutter bezahlt hatte.

Langsam ging es weiter. Schritt für Schritt. Ein Wasser wäre nicht schlecht. Warum kam eigentlich keiner mit Trinkflaschen vorbei? Sie sah nach hinten und staunte das erneut ein Bus anhielt und wieder Unmengen an Schülern herausströmten. Wie viele Plätze gab es nur in diesem Camp? Wenn sie schätzen müsste wären das inzwischen mehrere hundert Schüler, aber konnte das sein?

Ihre Augen beobachteten die Umgebung. Sie stand auf einem großen Hof. An der Straße hielten die Busse der Reihe nach und über den breiten Weg sammelten sich die Jugendliche in der Schlange und warteten. Kein Baum weit und breit, kein Schattenplatz, nur rechts und links Wiese, die den geteerten Weg säumte.

Vor ihr tat sich was und es ging nun doch recht zügig weiter. Sie folgte den anderen und fand sich bald vor einem kleinen Tisch wieder an dem eine Frau mit einer dicken Hornbrille saß. Ihre grauen Haare waren zu einem Dutt zusammen gebunden und sie musterte streng jeden Schüler.

„Ihr Name, Ihre Schule und Ihr Wohnort?“

„Ran Mori, Teitan Oberschule, Tokio“, antwortete sie und beobachtete wie die ältere Frau in einigen Blättern stöberte und dann ein Häkchen setzte. Im nächsten Moment zog sie ein Klemmbrett hervor und drückte es ihr entgegen. „Bitte ausfüllen und abgeben. Alles steht in den Unterlagen hier drauf.“ Ran versuchte einen Blick darauf zu erhaschen, da knurrte die Ältere: „Platz machen und weiter gehen.“

Ran ging weiter und folgte den Schülern zu einem Platz. Fünfzehn Stehtische waren aufgebaut und überall standen Picknicktische. Alles war voll besetzt. Einige Schüler saßen auf der Wiese und jeder war vertieft in die Unterlagen. Ran ging zögerlich durch die Masse und wollte soeben an einem der Stehtische vorbei, als ein braunhaariges Mädchen einen Schritt rückwärts machte und sie anrempelte.

„Hoppla!“

„Entschuldige, bitte“, antwortete Ran sofort.

Das Mädchen drehte sich um: „Nein, ich muss mich entschuldigen.“

Beide verbeugten sich voreinander. Als sie sich beide wieder aufrichteten schluckten sie.

Ran hatte das Gefühl sie würde in einen Spiegel sehen. Die Ähnlichkeit ihres Gegenübers zu ihr war verblüffend.

Auch das Mädchen ihr gegenüber staunte. Doch dann lächelte sie. „Du kannst dich hierhin stellen. Ich bin fertig mit ausfüllen. Hier ist ein Stift, den gab es bei der alten Schachtel nicht mit dazu.“

Schon reichte sie Ran den Stift. „Danke.“

„Dafür nicht. Ich muss jetzt los. Wir sehen uns sicherlich noch mal.“ Und schon war das Mädchen weg.

Ran stellte den Koffer zwischen sich und die Tischbeine und begann sich das erste Blatt durchzulesen. Das Eingangsschreiben informierte über die Anlage, das Englischcamp und wichtige Ansprechpartner. Das zweite Blatt war zum Ausfüllen der Personalien wie Name, Adresse, Schule, Klasse. Und auf dem letzten Blatt fand sie die Informationen was der nächste Schritt war. Sie musste ins Gebäude C – dort sollten die Unterlagen abgegeben werden. Auf einem weiteren Blatt fand sie einen Lageplan mit den verschiedenen Gebäuden eingezeichnet. Sie blickte von dem Papier auf und staunte nicht schlecht über das große Hauptgebäude das sich nicht weit entfernt von ihr befand. Der Karte nach erstreckte es sich quer und im Original war es so lang wie zwei Fußballfelder. Direkt angebaut war längs dahinter ein Anbau. In diesem waren Schwimmbad und Turnhalle untergebracht. Die Nebengebäude mit den Buchstaben A-E gekennzeichnet befanden sich dahinter und waren wie ein Stern angelegt.

Sie folgte dem Weg zum Hauptgebäude und war nicht allein unterwegs. Über mehrere Stufen ging sie zur Haupteingangstüre. Wenig später stand sie in einer großen Schulaula. Überall standen Infotafeln vor denen sich die Schüler sammelten um sie zu studieren. Rechts von sich sah sie einen großen Speisesaal. Links von ihr gingen Flure ab, welche zu den Klassenräumen führten und vor ihr in der Mitte war eine sehr breite Treppe, die in den Keller, wie auch in das Obergeschoss führte. Hinter der Treppe an der Wand war eine breite Doppel-Glastüre und sie erkannte die gigantische Turnhalle.

Zuerst wollte sie sich zum Gebäude C begeben. Sie suchte auf ihrem Lageplan nach dem besagten Haus und ging dann durch die Ansammlung Schüler hindurch um einen Ausgang zu finden. Zwischendrin erhaschte Ran einen Blick auf die Informationen über die Entstehung dieser Schule und das sie in den Ferien für Schulcamps zur Verfügung stand. Ran fand eine Türe links neben der Turnhalle und drückte diese auf. Es fühlte sich an, als würde sie durch eine heiße Wand hindurch treten und schon brannte die Sonne wieder herab. Sie sah ein großes Gebäude vor sich mit zwei Etagen und vielen Fenstern. Hier standen Bäume und der gesamte Komplex glich eher einem Park als einem Schulhof.

Sie folgte dem Schotterweg, der etwas abseits der Turnhalle sich über die Wiese schlängelte und kam wenig später vor der Tür des nächsten Hauses zum Stehen. A prangte groß über der Eingangstüre. Sie blickte an dem Haus hinauf, zur Seite und dem langen Anbau entlang. Unsicher ob sie jetzt hier richtig war sah sich um. Andere Schüler liefen durch die Tür hinein. Ran überlegte einmal um das Gebäude herum zu laufen, entschloss dann den Weg über diese Tür zu nehmen. Sollte sie falsch sein, könnte sie immer noch außen herum laufen.

Langsam ging sie zur Türe und drückte diese auf. Schon stand sie erneut in einer großen Halle, die bis zur Decke offen war. Geradeaus ging ein langer Korridor entlang, sowie auch rechts und links von ihr jeweils ein Flur wegführte. In der oberen Etage sah sie Schüler die am Geländer standen und sich ebenso ehrfürchtig umsahen wie Ran es in diesem Moment tat. Wo war sie hier nur gelandet? Das konnte doch niemals eine Schule sein. Sie musste zu C. Über den Flur rechts hing ein großes Schild mit der Aufschrift B. Über den Flur links von ihr hing ein großes Schild mit der Aufschrift A.

Sie überlegte und betrachtete dann den Flur geradeaus. Etwas weiter vorne sah sie Schüler die in den Gängen herumirrten, zwischendrin blieb mal jemand stehen, blickte auf sein Klemmbrett und lief dann weiter.

Ran ging geradeaus und wenig später stand sie erneut in einer Halle. Diese sah genauso aus wie die erste und wieder gab es zu beiden Seiten einen Korridor und einen auch geradeaus. Rechts stand D. Geradeaus war ein Schild mit dem Buchstaben E angebracht und links von ihr thronte das große C.

Langsam ging sie den Flur hinab und entdeckte einen Tisch umringt von Schülern. Sie sah die vielen Türen auf beiden Seiten. Einige waren verschlossen andere standen offen. Nach einem Blick in ein offenstehendes Zimmer wusste sie das hier die Wohnräume waren mit jeweils zwei Etagenbetten. Nach und nach gingen die Leute und Ran konnte endlich erkennen das hier jemand saß und die Zimmerschlüssel verteilte. Die Frau mit den blonden welligen Haaren sah plötzlich zu Ran. „Und du bist?“

„Ran Mori“, stellte sich Ran erneut vor und reichte der Dame das Klemmbrett. Diese überflog alles, nickte und lächelte sie dann freundlich. „Nice to meet you, Ran. Ich bin deine Englischlehrerin, Miss Ava Atkins.“

„Hi, Miss Atkins“, antwortete Ran zögerlich und rang sich ein Lächeln ab. „Deine Mitbewohnerinnen sind schon da. Hier ist dein Schlüssel. Pass gut drauf auf. Am Ende der Woche werden diese wieder eingesammelt.“

So wurde Ran nun mit dem Schlüssel und ohne Klemmbrett losgeschickt. Sie folgte den Gang entlang, zwischen Massen an Schülern, und suchte nach der Raumnummer 204. Bei der 104 schaute sie sich erneut um und entdeckte neben dem Raum einen kleinen Flur der zu einer Treppe führte. Schnell war sie die Stufen hinaufgestiegen und fand ihre Zimmernummer.

Sie drückte die Klinke hinab und betrat ein kleines Zimmer mit zwei Etagenbetten. Sechs neugierige Augen blickten sie an, als Ran das Zimmer betrat. „Hallo zusammen, ich bin Ran Mori“, stellte sie sich ihren drei Mitbewohnerinnen vor.

Mitstreierinnen

„Hallo Ran, ich bin Shiho Miyano“, stellte sich ein Mädchen in ihrem Alter vor und reichte Ran die Hand zur Begrüßung. Ihre Haare waren kinnlang und dunkelblond. Die blauen Augen fixierten Ran. Ein Zucken umspielte die Mundwinkel.

Sie stutzte. Das Mädchen kam ihr irgendwie bekannt vor, dabei war sie sich sicher ihr noch nie vorher begegnet zu sein. „Freut mich, Shiho“, verschob sie die seltsamen Gedanken und drückte die entgegen gestreckte Hand zur Begrüßung.

Ein anderes Mädchen strahlte fröhlich und verschränkte ihre Arme hinter dem Rücken. Ihre braunen Haare wurden von einer Schleife zusammengehalten. Die grünen Augen blitzten vor Begeisterung. „Hallo Ran, wie schön dich zu sehen“, grinste sie.

Ran konnte es nicht glauben. „Kazuha? Oh wie schön das ich dich hier treffe.“ Im nächsten Moment lagen sich die Freundinnen in den Armen und drückten sich ganz fest. „Was machst du hier? Mit dir habe ich hier überhaupt nicht gerechnet!“, sprudelte es aus Ran heraus.

„Mein Dad ist der Meinung das meine Englischnote besser sein könnte. Darum hat er mich hierher geschickt. Und du bist hier, weil...?“

Ran nickte. „Bei mir ist es ähnlich. Zudem hat Shinichi mich dazu eingeladen zwei Wochen mit ihm zusammen zu seinen Eltern nach Amerika zu fliegen. Meine Mum, du kennst sie ja... und es schadet nicht für die Schule.“

„Shinichi?“, hakte sie neugierig nach.

Ran nickte. „Ja, sein Fall ist beendet und er ist zurückgekommen.“

Shiho, die sich zwischenzeitlich auf das untere Bett auf der rechten Zimmerseite gesetzt hatte, horchte auf.

Erst jetzt sah Ran das letzte Mädchen in der Runde. Das war das Mädchen vorhin auf dem Hof.

Kazuha entging nichts. „Ihr kennt euch?“

Das Mädchen trat einen Schritt vor und reichte Ran zur Begrüßung die Hand. „Nur flüchtig“, antwortete sie ihrer Mitbewohnerin. „Ich bin Aoko Nakamori“, stellte sie sich vor und auch Ran schüttelte die Hand, immer noch verblüfft das dieses Mädchen ihr so ähnlich sah.

Selbst Kazuha fiel es auf. „Ihr könntet glatt als Doppelgänger durchgehen.“

Aoko grinste: „Es heißt ja: Jeder Mensch hat irgendwo einen Doppelgänger auf der Welt. Lustig das wir uns hier begegnen.“

Ran lächelte. Dann aber wandte sie sich an die Mädchen. „Welches Bett ist denn für mich?“

Kazuha deutete auf das Bett über Shiho. „Dort schlafe ich, wenn es für euch okay ist.“

„Ich würde hier oben schlafen“, merkte Aoko an.

„Gut, dann nehme ich das untere“, antwortete Ran.

Die Mädchen packten ihre Koffer aus und teilten sich die Schränke auf. Langsam wurde das Zimmer wohnlich.

Kazuha war die erste die ihre Mitbewohnerinnen anblickte. „Wollen wir uns noch ein bisschen umsehen? Um 17:00 ist die Begrüßung im Schulhof. Bis dahin ist noch etwas Zeit.

Ran stimmte zu: „Ja, gerne!“ Aoko nickte auch.

Nur Shiho winkte ab. „Ich ruhe mich noch etwas aus.“

Die drei Mädchen machten sich ohne die Mitbewohnerin auf den Weg und traten wenig später aus einem Nebeneingang in einen überdimensionalen Park. Überall liefen Schüler umher, saßen in Grüppchen auf der Wiese, unter Bäumen oder lagen faul in der Sonne.

„Die Schule ist der absolute Hammer“, stellte Ran erstaunt fest.

„Das ist eine Elite-Schule“, erzählte Kazuha. „In den Ferien steht sie leer und weil sie Übernachtungsmöglichkeiten haben, nutzen sie die Zimmer in den Ferien für Schulcamps. So kommt natürlich auch Geld in die Kasse.“

„Woher weißt du das?“, hakte Aoko neugierig nach.

„Ich habe mir vorhin die Infos durchgelesen in der Hauptaula.“

„Dafür hatte ich noch gar keine Zeit“, gestand Aoko und lachte. „Ich war so damit beschäftigt zu suchen, das ich mir das für später vorgenommen habe.“

„Ich auch“, lachte Ran, doch dann wechselte sie das Thema. „Wie geht es Heiji?“

„Dem geht es sehr gut. Er ist in Osaka und hat Trainingslager“, antwortete Kazuha. „Das neueste weißt du ja noch gar nicht. Wir sind ein Paar. Ganz offiziell seit drei Wochen.“

Ran sah ihre Freundin mit großen Augen an. „Wow, Glückwunsch! Wie kam es dazu?“

„Naja, da war dieser Mordfall...“

„Mord?“, mischte Aoko sich plötzlich ein.

Kazuha nickte. Dann deutete sie auf ein schattiges Plätzchen unter einem Baum und die drei Mädchen setzten sich. „Weißt du, Heiji ist Detektiv und ich weiß nicht wieso, aber wo er ist, ist auch immer ein Mord... Jedenfalls hat er den Täter überführt und in seiner Panik zog dieser ein Messer und hielt es mir plötzlich an den Hals.“

„Kazuha!“ Ran blickte entsetzt wie auch besorgt ihre Freundin an.

„Ja, es war wirklich gefährlich und bis zu diesem Tag hätte ich nie gedacht, das mir so etwas passieren könnte und wie schief das überhaupt hätte gehen können.“ Sie winkte plötzlich ab. „Es ging gut aus und an diesem Abend war Heiji so wütend. Ich dachte erst er wäre auf mich so wütend, dabei war er auf sich sauer. Er sagte plötzlich das er mich in Gefahr gebracht hätte, das nie gewollt habe. Und dann beschimpfte er mich ein Idiot zu sein um im nächsten Moment zu sagen das er mich nie verlieren wollte.“

„Man merkt erst was man an einem hat, wenn man dabei ist es zu verlieren“, murmelte plötzlich Aoko Gedankenverloren. Irgendwie wirkte sie traurig.

Ran bemerkte es. „Das stimmt. Vielleicht war das der entscheidende Punkt in eurer Beziehung. Ihr seid ja immer auf der Stelle getreten.“

„Ja, und wie geht’s dir und Shinichi?“

Ran seufzte. „Seit seinem Fall ist er wie ausgewechselt. Ich kenne ihn fast nicht wieder.“

Aoko blickte wieder fragend und Ran erklärte. „Shinichi ist mein bester Freund und auch Detektiv, wie Heiji. Er war fast ein Jahr lang an einem kniffligen Fall dran und nun hat er ihn gelöst, aber ich erkenne ihn nicht mehr. Seine Augen sind leer. Er versucht es sich nicht anmerken zu lassen, dennoch weiß ich das er mit den Folgen dieses Falls schwer zu kämpfen hat.“

„Hast du mit ihm schon gesprochen?“, fragte Aoko nach.

„Er weist mich jedes Mal ab. Er lässt mich nicht mehr an sich heran.“ Ran schluckte. „Wenn ich nur wüsste wie ich ihm helfen kann...“

Kazuha nickte bedächtig. „Und trotzdem hat er dich eingeladen mit ihm nach Amerika zu fliegen?“

Ran sah auf.

„Vielleicht hilfst du ihm mit deiner Anwesenheit mehr als mit Worten“, überlegte die junge Schülerin mit der Schleife im Haar.

„Meinst du?“ Ran überlegte, darüber hatte sie sich noch keine Gedanken gemacht.

Kazuha blickte Aoko an. „Wo kommst du eigentlich her?“

„Ich lebe in Tokio und besuche das Ekota Gymnasium.“

„Ich komme auch aus Tokio und gehe auf die Teitan Oberschule“, erzählte Ran.

„Ich bin aus Osaka, schade das wir soweit von einander entfernt wohnen“, merkte Kazuha an. „Hast du einen Freund?“

Aoko senkte ihre Augen. „Nein, habe ich nicht.“

Ran beobachtete sie aufmerksam: „Wie hast du das vorhin gemeint?“

Überrascht blickte Aoko auf. „Was meinst du?“

„Man merkt erst was man an einem hat, wenn man dabei ist es zu verlieren – sprichst du aus Erfahrung?“

Aoko nickte vorsichtig. „Mein Papa hat es mir oft gesagt. Als Mama uns verlassen hat und als der Vater meines besten Freundes gestorben ist.“

„Eltern zu verlieren ist das Schlimmste was passieren kann.“ Mitleidig blickte Kazuha Aoko an.

„Kaito hat den Tod nie überwunden, aber er versucht mir seit Jahren vorzuspielen das er drüber hinweg ist“, sorgenvoll sah Aoko auf das grüne Gras.

So langsam kehrte Unruhe ein.

Auch Kazuha drängte zum Aufbruch. „Die Begrüßung beginnt bald. Wir sollten uns auch auf den Weg machen.“

Ran stand auf und sah die beiden Mädchen an. „Ich bin froh mit euch hier zu sein. Ich dachte wirklich das wird die schrecklichste Woche meines Lebens.“

Die Mädchen lächelten sich an und gingen durch den großen Park zurück zum Hauptgebäude und sammelten sich auf dem großen Schulhof mit vielen anderen Schülern verschiedener Jahrgänge. Sie fanden Shiho und setzten sich zu ihrer Mitbewohnerin. Wenig später trat die Lehrerschaft auf eine kleine aufgebaute Bühne und die ältere Dame von der Anmeldung stellte sich ans Mikrofon um die Schüler zu den Schulcamps willkommen zu heißen.

Schule in den Ferien

Nach der Vorstellung der Schule, den Lehrern, sowie dem Ablauf in der folgenden Woche erfuhren die Schüler das an dieser Schule verschiedene Camps statt fanden. Es gab verschiedene Sprachcamps, wie Englisch, Deutsch, Französisch, Latein und Chinesisch. Die Schwimmhalle würde den Schülern nachmittags und abends zur Verfügung stehen, sowie die Turnhalle, die die Schüler auch in der Woche nutzen können. Ansonsten dürften sie sich frei innerhalb des Schulgeländes bewegen und in ihrer wenigen Freizeit die Zeit für sich nutzen. Der Unterricht würde vormittags und nachmittags stattfinden. Zwischen Vormittags und Nachmittags Unterricht gäbe es Mittagessen mit ein wenig Freizeit danach. Teilweise würde sich der Nachmittagsunterricht aber auch bis zum Abend ziehen. Die Planung hinge ganz vom Lehrer ab.

Ran, Kazuha, Aoko und Shiho waren nun gespannt auf den nächsten Tag. Nach dem Frühstück, das es zwischen sechs und halb acht morgens im Speisesaal gäbe, würde der Unterricht pünktlich um acht Uhr beginnen.

Nach der Ansprache war es Zeit fürs Abendessen. Dieses würden die Schüler im großen Speisesaal erhalten. Die Schule war von den Sitzplätzen genau so ausgelegt wie sie Betten hatte.

Mit der Masse strömten die Mitbewohnerinnen in den Speisesaal. Sie stellten sich in der Schlange an und erhielten über die Essensausgabe ihr Abendessen.

Dann suchten sie sich in den langen Tischreihen freie Plätze.

Nach dem Beschnuppern zu dritt wurde nun Shiho befragt.

„Wo wohnst du?“

Shiho konzentrierte sich auf ihr Essen. „In Tokio.“

„Wir auch“, grinste Aoko und hakte nach. „Auf welche Schule gehst du?“

„Ich bin auf der ...“ Sie überlegte, kaute auf einem Reisbällchen herum und ließ sich Zeit mit der Antwort. „Ich komme auf die Teitan Oberschule. Ich bin neu hierher gezogen und war bisher noch auf keiner japanischen Schule.“

„Wo kommst du her?“, hakte Kazuha nun neugierig nach.

„Ich bin von ...“, wieder ließ sie sich Zeit mit der Beantwortung der Frage. „... Frankreich hierher gezogen.

„Dann kommst du ja auf meine Schule. Da freue ich mich aber sehr. Schön das wir uns hier schon kennen lernen“, lächelte Ran und aß weiter.

Shiho blickte Ran mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an und sagte nichts mehr dazu.

Alle widmeten sich wieder dem Essen und räumten am Schluss die Tabletts mit dem gebrauchten Geschirr weg.
 

Am nächsten Morgen standen die Mädchen pünktlich auf. Gemeinsam hatten sie ihren Morgenablauf getaktet um nicht zu spät zu kommen. Jede hatte ihre feste Uhrzeit für das Badezimmer, welches direkt mit in ihrem Zimmer war. Nachdem alle angezogen und vorbereitet waren gingen Kazuha, Aoko und Ran fröhlich quatschend los. Shiho folgte ihnen eher mürrisch. Die Freundinnen machten sich dazu nicht so viel Gedanken und schoben es auf das frühe Aufstehen. Da sie so zeitig waren trafen sie noch nicht allzu viele Schüler im Speisesaal. Das hatte natürlich den Vorteil das sie schneller an die Essensausgabe kamen. Schon war beschlossen jeden Morgen so zeitig aufzuschlagen.

Zudem hatten sie noch vor dem Unterricht ein bisschen Zeit sich im Zimmer nochmal frisch zu machen und ihre Schreibunterlagen einzupacken.

Um kurz vor acht begaben sie sich dann in ihr Klassenzimmer und warteten auf Miss Atkins. Ein langer Vormittag in Englisch stand ihnen bevor.

Miss Atkins allerdings nahm den Schülern vorerst die Angst vor der Sprache. Sie spielten ein Kennenlern-Spiel. Die Lehrerin setzte immer zwei Schüler zu Partner zusammen und diese sollten sich auf Englisch vorstellen und die Daten des kommunikativen Austauschs aufschreiben.

Während Kazuha sich mit einer ihr zugeteilten Partnerin zusammen setzte, warteten Ran und Aoko mit anderen Schülern noch auf die Zuteilung ihrer Lehrerin.

„Ran und Aoko“, rief da auch schon Miss Atkins und die beiden setzten sich freudig an einen Tisch. Die meisten Schüler begannen bereits mit der Aufgabe und so starteten auch Ran und Aoko mit der englischen Konversation und stellten sich vor, erzählten sich woher sie kamen, auf welche Schule sie gingen und schrieben alle Daten brav mit. Auch wenn die Sprache noch etwas holprig an der einen oder anderen Stelle war, so funktionierten die Grundkenntnisse. Sie überlegten gemeinsam worüber sie sich noch unterhalten konnten, dann fiel Ran ein: „Wann hast du Geburtstag?“

Aoko nickte, denn diese Tatsache hatten sie tatsächlich noch nicht besprochen. „Am 30. Juli.“

Während Ran sich die Information notierte stutzte sie. „Und wo bist du geboren?“

„In einer kleinen Privatklinik in Tokio“, antwortete Aoko unbedarft.

„In der Yumishatsiu-Klinik?“

Aoko stutzte nun. Nickte aber zögerlich. „Ja, genau, woher weißt du das?“

Ran schluckte. Das konnte doch nicht sein, oder? „Und du sagst das deine Mutter euch verlassen hat?“

„Ja, vor langer Zeit schon.“ Ein trauriger Ausdruck spiegelte sich in ihrem Gesicht. „Ich war ein halbes Jahr alt.“

„Das kann doch nicht sein...“, murmelte Ran und blickte gebannt auf ihre Notizen. „Wie heißt dein Papa?“

„Ginzo Nakamori“, antwortete Aoko, stutzte aber: „Ist das wichtig für die Aufzeichnung?“

Ran war so in Gedanken vertieft und versuchte sich diese Tatsachen zu erklären, aber sie fand keine Erklärung dafür.

„Ran? Was ist?“, hakte Aoko nun nach.

„Hast du ein Foto von deinem Vater dabei?“

Endgültig verwirrt blickte Aoko sie nun stumm an. Langsam nickte sie: „Ja, im Zimmer, warum fragst du mich das? Hast du kein Foto von deinen Eltern dabei?“

Ran blickte nun auf und wechselte ins japanisch. Sie blickte sich um aber alle anderen waren in ihre Gespräche vertieft und die Lehrerin stöberte in ihren Unterlagen. Sie beugte sich noch etwas vor und flüsterte: „Ich bin am 30. Juli in der Yumishatsiu-Klinik in Tokio geboren. Meine Mutter heißt Eri Kisaki, sie hat ihren Mädchennamen nie abgelegt. Meine Eltern haben sich getrennt, da war ich ein halbes Jahr alt. Meine Mutter hat nie wieder über meinen Vater gesprochen. Kurz nach der Trennung meiner Eltern hat sie meinen jetzigen Stiefvater kennengelernt – Kogoro Mori.“

Aoko lauschte mit großen Augen, verstand die Worte aber den Sinn darin konnte sie nicht glauben. „Ich habe mal ein Foto von meiner Mutter in einer Schublade gefunden. Als mein Vater mich damals erwischt hat, nahm er das Foto an sich. Keine Ahnung wo er es hin hat. Aber ich denke wenn ich ein Foto von ihr sehe...“ Das war doch Irrsinn, schoss es ihr zeitgleich in den Kopf. Das war doch absolut nicht möglich.

„Lass uns in der Mittagspause ins Zimmer gehen und nachsehen“, drängte Ran. „Alles würde darauf hindeuten das...“

„Das kann nicht sein“, widersprach Aoko im Flüsterton. Sie schlug ihre Hände vor dem Gesicht zusammen und raufte sich die Haare.

Eindringlicher fasste Ran nach ihrer Hand. „Und was wenn es doch so ist?“

Verwirrt und ratlos blickte Aoko in die blauen Augen von Ran. Alles sprach dafür, aber das durfte doch nicht sein. Wie konnten ihre Eltern ihnen das nur antun?

Miss Atkins trat an ihren Tisch. Scheinbar schien sie gemerkt zu haben, das irgendwas nicht stimmte. „Wie weit seid ihr denn?“

Ertappt blickten beide Mädchen auf und zeigten ihre Aufzeichnungen. Aoko erklärte: „Ich wollte mir jetzt ihr gesagtes noch notieren, als ich plötzlich starke Kopfschmerzen bekam. Darf ich kurz zur Toilette gehen?“

Nicht ganz überzeugt nickte Miss Atkins trotzdem. „Ja, natürlich.“

Aoko stand auf und verließ das Klassenzimmer.

Ran blieb zurück, verschränkte ihre Finger und senkte den Blick auf die Notizen.

Ihre Lehrerin ging zurück zum Lehrerpult.

Aoko suchte die Mädchentoilette auf, ging zum Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf. Kaltes Wasser kippte sie sich ins Gesicht. „Das kann nicht sein... das darf nicht sein...“, sprach sie zu sich selbst. Sie betrachtete sich im Spiegelbild hing ihren verworrenen Gedanken nach und blieb anstandshalber noch eine Minute länger, ehe sie zurück in die Klasse ging. Dann setzte sie sich wieder auf ihren Platz und notierte sich noch ein paar Daten zu Ran.
 

Zur Mittagszeit strömten die Schüler zum Speisesaal. Nur Aoko und Ran gingen in die Richtung des Wohnkomplexes. Kazuha eilte ihnen nach. „Was ist denn los? Habt ihr keinen Hunger?“

„Wir kommen gleich. Geh schon mal vor und halte uns einen Platz frei“, beruhigte Ran ihre Freundin. Diese nickte irritiert, aber dann verschwand sie im Speisesaal, denn ihr Magen hing bereits durch. Aoko und Ran eilten in ihr Zimmer, das sie nun für sich allein haben.

Jede holte ihre Tasche hervor und suchte darin nach einem Foto. Aoko reichte Ran ihres. „Das ist mein Vater“, berichtete Aoko. „Er ist Kommissar und verfolgt seit vielen Jahren den Meisterdieb 1412 auch bekannt als Kaito Kid. Er hat kaum mehr Zeit für mich, seitdem dieser nutzlose Dieb wieder aufgetaucht ist.“

Ran betrachte den Mann mit den dunklen kurzen Haaren und dem Schnauzer. Der ernste Blick und die dunklen schmalen Augen zeugten von vielen schlaflosen Nächten.

Ran reichte Aoko ihr Foto. „Das ist meine Mutter. Sie ist Anwältin, eine der besten in ganz Japan. Sie ist oft unterwegs um Klienten vor Gericht zu vertreten.“

Aoko blickte auf das Foto in ihren Händen. Ihr Herz pochte so stark. Die schöne Japanerin, mit den blauen Augen und der Brille auf der Nase, trug ein freundliches, liebevolles Lächeln auf ihren Lippen. Plötzlich stiegen ihr Tränen in die Augen. Das war...

Ran starrte auf das Foto betrachtete den Mann von dem sie annahm er wäre ihr leiblicher Vater. Als sie aufblickte erschrak sie aber zutiefst. Aokos Augen schimmerten. Vorsichtig legte sie ihre Hand auf die Schulter des Mädchens. „Aoko?“

„Das ist die Frau von dem Foto. Meine Mutter“, hauchte sie kraftlos und eine Träne löste sich.

Schnell rutschte Ran näher heran und legte ihr den Arm um die Schulter. „Unsere Mutter“, flüsterte sie. Keine von ihnen war zu weiteren Worten fähig. Diese Neuigkeit mussten sie erst mal sacken lassen.

Sie tauschten die Fotos zurück, packten wieder alles ein und verstauten die Taschen. Aoko wusch sich nochmals schnell das Gesicht, dann gingen sie gemeinsam zurück ins Hauptgebäude und betraten den gefüllten Speisesaal. Schweigsam holten sie sich ihr Mittagessen, suchten nach Kazuha und entdeckten sie mit Shiho an einem der Tische sitzend. Jede in ihre Gedanken vertieft aßen die Mädchen. Da Kazuha und Shiho auch noch aßen kam ihnen das ganz gelegen. Die Gespräche würden sie auf später vertagen.

Zwillinge

Sie hatten nun eine Stunde Freizeit. Gemeinsam verließen sie das Schulgebäude und gingen durch den Park spazieren. Shiho verabschiedete sich in eine andere Richtung und so konnten Aoko und Ran Kazuha in ihre Entdeckung einweihen.

„Ihr seid was?!“

„Pssst“, zischte Ran. „Nicht so laut!“

„Aber wie kann das sein?“, fragte Kazuha verwirrt nach und lauschte der Erklärung. Immer wieder wechselte ihr Blick zwischen den Mädchen hin und her, die sich wirklich glichen wie ein Ei dem anderen. „Wir sind Zwillinge und wurden voneinander getrennt als wir ein halbes Jahr alt waren. Mama behielt mich und Papa nahm Aoko mit zu sich.“

Kazuha starrte die beiden an. Erst fühlte sie sich nicht fähig etwas zu sagen, doch dann polterte sie im Flüsterton los. „Wie gemein von euren Eltern euch zu trennen, nur weil sie nicht mehr miteinander klar kamen. Ich verstehe nicht wie man so etwas tun kann. Wie Eltern so etwas ihren Kindern antun können?!“ Sie holte Luft, stockte und blickte wieder von einer zu anderen. „Und jetzt? Wie geht’s weiter?“

Ran ließ sich rückwärts auf den Boden fallen. „Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nicht wie ich meiner Mama gegenüber treten soll mit dem Wissen das meine Schwester und mein leiblicher Vater in der gleichen Stadt leben. Ob sie es überhaupt weiß?“

Aoko stand vor der selben Frage. Ihr Gemüt hatte sie von ihrem Vater geerbt und sie würde am liebsten sofort zu ihm fahren und ihn zur Rede stellen. Wie konnte er ihr das nur antun und sie so sehr belügen? „Sie muss es doch wissen, denn Papa ist doch ständig im Fernsehen wenn Kid einen seiner Coups hat.“

„Kid?“, mischte Kazuha sich ein.

„Der Meisterdieb 1412 auch bekannt als Kaito Kid. Papa ist der Einsatzleiter der Sonderkommission“, erklärte Aoko sofort.

„Dann verschweigt sie es mir ganz bewusst“, schlussfolgerte Ran sauer.

„Ob sie überhaupt mal an mich gedacht hat?“, fragte sich Aoko, wohl etwas zu laut, denn beide Mädchen richteten sofort die Aufmerksamkeit auf sie.

Ran richtete sich sofort auf und legte wieder fürsorglich ihren Arm um die Schultern ihrer Zwillingsschwester. „Bestimmt!“ Ihr entging nicht wie sehr diese Neuigkeit an Aoko zerrte.

Wieder schwieg Aoko, doch dann setzte sie erneut an ihre Gedanken mitzuteilen. „Papa hat mal nach einem Einsatz ein Babyfoto in der Hand gehalten. Als ich ihn darauf ansprach erzählte er mir das ich das auf dem Foto bin, ein kleines Baby und nun fast erwachsen. Ich wusste nicht warum er so sentimental in diesem Moment war, aber nun wird mir klar, das es ein Foto von dir gewesen sein muss.“ Sie blickte zu Ran, die ihr so nah war. „Er kämpft schwer mit der Trennung von Mama und er vermisst dich sehr. Papa hat es nie überwunden. Jetzt wird mir so einiges klar.“

Kazuha beobachtete die beiden, dann allerdings schnippte sie mit den Fingern und beugte sich verschwörerisch zu ihren Freundinnen. „Ich habe eine Idee!“ Mit diesen vielsagenden Worten beugte sie sich noch näher zu ihnen und die drei steckten ihre Köpfe zusammen.
 

Shiho lag in ihrem Bett im Zimmer und starrte auf den Lattenrost über sich. Ihre Arme hinter dem Kopf verschränkt. Sie war immer noch so sehr verwirrt über all das vergangene.

Als sie, vor ein paar Wochen noch als Ai Haibara, zusammen mit Conan und dem FBI die Organisation aufspürten und es endgültig schafften den Feinden eine Falle zu stellen, war sie so unendlich erleichtert. In den versteckten Laboren fanden sie auch schließlich das Gegenmittel mit diesem sie nach so langer Zeit wieder in ihre richtige Größe zurückverwandelt werden konnten. Sie war so glücklich das dieser Albtraum endgültig vorbei war und konnte es kaum noch erwarten das Gegenmittel zu nehmen. Jedoch war es Conan, der wieder einmal seinen klugen Kopf benutzte. Einfach so verschwinden und wieder in alter Form aufzutauchen würde nicht funktionieren, dass sah auch sie ein. So überlegten sie sich für die liebgewonnenen Freunde plausible Erklärungen.

Allerdings machten ihnen dann noch die öffentlichen Medien einen Strich durch die Rechnung. Auch wenn das FBI wirklich Wort hielt und die beiden aus allen Berichterstattungen heraushielt, so konnten sie sich nicht genau in diesem Moment aus dem Staub machen, als der größte Fang aller Zeiten publik wurde. Eine Untergrundorganisation und diese war nicht mal klein, war aufgeflogen. Der Hype hielt noch länger an als erwartet. Conan blieb noch eine Weile bei den Moris. Sie selbst blieb bei Professor Agasa.

Dann aber flaute der Rummel endlich ab. Sie vereinbarten das Shinichi als erstes zurückkehren würde. Es würde auffallen, wenn er nicht langsam zurück kam.

Ihr Herz wurde schwer als Conan ihr damals gegenüber stand. Er hatte ihr geholfen, sie beschützt, war ihr ein Freund und immer für sie da. Er nahm sie in den Arm, wenn sie sich ängstigte. Er sprach ihr Mut zu, wenn sie die Hoffnung aufgab. Er sah sie mit diesen zuversichtlichen blauen Augen an und strahlte einen grenzenlosen Optimismus aus. In dieser Zeit war er ihr rettender Anker und ihr Fels in der Brandung.

Conan verabschiedete sich von den Moris, wurde von seinen Eltern abgeholt und ging nach Europa.

Sie selbst wartete noch etwas. Ging weiterhin zur Schule, spielte allen weiterhin ein glückliches Kinderleben vor. Dann war es Zeit auch für Ai Haibara Lebewohl zu sagen. Sie verabschiedete sich. Sie würde umziehen. Eine Pflegefamilie aus dem Ausland hätte sich gemeldet und sie konnte schließlich nicht immer bei Professor Agasa wohnen. Dann nahm auch sie das Gegenmittel und die kleine Ai Haibara würde es nie wieder geben. Die Schmerzen waren schrecklich, beinahe glaubte sie das sie die Rückverwandlung nicht überleben würde. Sie konnte sich ein paar Tage nur schlecht bewegen, aber mit der Zeit wurde es wieder besser und sie war glücklich und fühlte sich wohl. Zuerst verließ sie Tokio, reiste durch die Städte, dann meldete sie sich für dieses Englischcamp an, da sie nicht mehr wusste wohin sie noch sollte. Wie konnte sie auch ahnen, das sie ausgerechnet hier Ran Mori traf. Das Mädchen zu dem Shinichi Kudo zurückgekehrt ist.

Shinichi...

Sie vermisste ihn.

Je länger sie von ihm getrennt war, desto mehr fehlte ihr seine Gesellschaft. Aus diesem Grund entschied sich Shiho nach Tokio zurück zu kehren. Sie schrieb sich an der Teitan Oberschule ein. Shinichi wusste nichts von ihrem Vorhaben, aber sie würde sich ihm und auch Ran Mori stellen.

Sie liebte ihn.

Und sie würde kämpfen.

Ihre Angst davor einsam und allein zurück zu bleiben verdrängte sie. Sie hatte doch niemanden mehr außer Shinichi. Und mit ihm teilte sie einen großen und gewaltigen Abschnitt ihres Lebens.

Ihre Gedanken kehrten zu Rans Aussage zurück. Er lud sie zu einem gemeinsamen Urlaub ein... Shiho kniff ihre Augen zusammen. Nicht wenn sie es verhindern konnte.
 

Alle fanden sich wieder zum Nachmittagsunterricht ein und dieses Mal gab es eine andere Form des Kennenlernens. Die Schüler saßen im Stuhlkreis. Miss Atkins hatte einen Ball aus der Turnhalle geholt und der Ball flog nun von Schüler zu Schüler und jeder stellte sich nochmals vor und gab einen kurzen Einblick in sein Leben. Danach gab es noch ein paar Übungen für die Schüler, die sie leise für sich bearbeiteten sollten. Erst nach dem Abendessen fanden sich Kazuha, Aoko und Ran zusammen und setzten ihren Plan in die Tat um.

Heimreise

Die gesamte Woche verging dann doch wie im Fluge. Shiho war dankbar als der letzte Tag anbrach. Sie war alleine im Zimmer und packte ihre Tasche. Heute ging es zurück nach Tokio, in ihre alte und nun auch wieder neue Heimat. Im Laufe der Woche erhielt Shiho die Zusage per Email, das sie bis zu ihrem Schulabschluss in einem Wohnheim unterkäme. Endlich hatte sie ein festes Dach über den Kopf.

Das Kazuha, Aoko und Ran während der Woche nicht oft im Zimmer waren störte sie nicht. Die drei kicherten ihr eindeutig zu viel. Man konnte fast meinen sie wären noch Kleinkinder und keine Oberschüler. Shiho genoss die Ruhe im Laufe der Woche und konnte so auch ungestört ihr Vorgehen planen.

Nun packte sie die letzten Sachen in die Tasche und ließ den Blick durch das leere Zimmer gleiten. Die anderen drei wollten noch ein Abschiedseis in der Stadt essen gehen. Diese Einladung hatte Shiho dankend abgelehnt. Es würde ihr schon reichen mit Ran die Heimfahrt nach Tokio antreten zu müssen. Die Oberschülerin konnte es nicht wissen, aber Shiho hat sie bei der Ankunft schon gesehen. Ran saß einige Sitzreihen hinter ihr im Bus.

Sie verschloss ihre Tasche und dann verließ sie das Zimmer um im Schulhof auf ihren Bus zu warten.
 

Kazuha, Aoko und Ran saßen bereits mit gepackten Koffern in der Stadt in einem Friseursalon. Alle drei blickten mit großen Augen in den Spiegel und konnten gar nicht glauben was sie sahen. Die beiden glichen sich wirklich wie ein Ei dem anderen – zum verwechseln ähnlich.

„Faszinierend!“ Kazuha fand als erstes ihre Sprache wieder. „Jetzt solltet ihr nur aufpassen, das Shiho euch nicht mehr zusammen sieht. Sonst könnte das Spiel schneller zu Ende sein, als es begonnen hat.“

„Du sagst Heiji nichts hiervon?“, versicherte sich Ran nochmal. Ihre Augen hingen an ihrem Spiegelbild. Sie hatte es wirklich getan. Ihre Haare waren gekürzt. Sie reichten ihr gerade noch so bis zum Kinn. Ein Kurzhaarschnitt, den sie zuletzt als kleines Kind hatte. Die Reste der langen Haare, welche ihr über den Rücken gefallen sind lagen auf dem Boden verstreut und sie weinte ihnen nach.

„Ich schwöre es euch. Heiji wird hiervon nichts erfahren. Er würde es sofort Shinichi erzählen. Aber glaubt ihr wirklich das ihr die Jungs so täuschen könnt? Und seid ihr euch wirklich sicher es durchzuziehen? Sind euch auch die mögliche Konsequenzen klar?“

„Es geht nicht darum jemanden mutwillig zu täuschen“, mischte Aoko selbstbewusst ein. Ihr Entschluss stand fest. Auch wenn es letztendlich Kazuhas Idee war, so war sie sofort Feuer und Flamme dabei. Die ganze Woche, die vielen Diskussionen, der rege Austausch und das gegenseitige Mimen, die Angst auch nur irgendein aberwitziges, klitzekleines Detail vergessen zu haben, all das soll jetzt nicht umsonst gewesen sein. „Ich möchte nur meine Mutter kennen lernen.“ Stur blickte sie in den Spiegel und ließ den Anblick ihres Gesichtes umrandet von kinnlangen Haaren, die sie sich wie Ran ebenso hat schneiden lassen, wirken.

„Und ich meinen Vater“, stimmte Ran zu und legte ihre Hand auf Aokos. „Und wenn es zu heiß wird tauschen wir wieder, schließlich wohnen wir in der selben Stadt.“

Beide Mädchen lächelten sich zuversichtlich an. Sie bezahlten und verließen mit Kazuha den Friseursalon. „Du musst jetzt zum Bus“, sagte Aoko, die Rans Kleidung trug und von Ran den Rucksack und Koffer überreicht bekam. Sie hingegen drückte Ran einen Zettel in die Hand, dann ihre Tasche. „Das ist meine Adresse. Papa ist bestimmt noch in der Arbeit. Bereite einfach ein Abendessen zu. Papa und Kaito werden um sieben zuhause ankommen“, bereitete Aoko ihre Schwester auf die Ankunft zuhause vor. Sie wollte keine Zweifel aufkommen lassen. Eine Woche lang haben sie sich über alles ausgetauscht und versucht sich gegenseitig zu mimen. Es würde schon klappen. „Du schaffst das“, sprach sie mehr sich als Ran Mut zu.

Ran nickte. „Du schaffst das auch. Wir halten Kontakt. Das wird schon schiefgehen“, grinste sie. Dennoch war sich Ran auch nicht sicher. Auch sie reichte ihrer Schwester eine kleine Notiz. „Hier ist meine Adresse.“

Aoko nickte und beide umarmten sich fest. Dann umarmte Ran Kazuha und winkte zum Abschied. Sie nahm sich Aokos Tasche und eilte zurück zur Schule um ihren Bus zu erreichen.

Aoko und Kazuha blickten ihr nach, dann gingen sie selbst zurück zur Schule. Shiho war noch auf dem Schulgelände und es war sicher das sie beide mit dem selben Bus fuhren. Nun hieß es überzeugend zu sein und nicht schon vorab aufzufliegen. Somit wartete Aoko bis Shiho saß und der Bus gut gefüllt war. Als der letzte Schüler eingestiegen ist, drehte sie sich Kazuha um und umarmte sie. „Schön dich kennengelernt zu haben. Bis bald“, verabschiedete sich Aoko.

„Wir sehen uns bald“, antwortete Kazuha. „Viel Glück“, flüsterte sie noch.

Dann stieg Aoko in den Bus und fand einen Platz weit hinter Shiho. Die erste Hürde war geschafft. Die nächste wäre dann auf Shiho in der Schule zu treffen. Zum Glück hatte sie noch das Wochenende um sich darauf vorbereiten zu können.
 

***

***
 

Ran stieg aus dem Bus und ging durch die Straßen. Eine nette Wohnsiedlung mit vielen Einfamilienhäuser. Sie schaute auf ihren Zettel und verglich die Notiz mit der Anschrift des Hauses. Sie stand vor einem kleinen Häuschen mit hübschem Vorgarten. Zögernd trat sie durch das Tor, zog den Schlüsselbund hervor und sperrte die Türe auf.

Sie würde vorerst alleine seine. Da bot sich die Gelegenheit sich einmal umzusehen, wie Aoko und Papa denn so lebten. Im Flur zog sie ihre Schuhe aus und ließ die Tasche stehen. Im Erdgeschoss befanden sich ein Gästebad, die Küche und das Wohnzimmer. Alles war ordentlich aufgeräumt. Sie folgte dem Weg die Treppe hinauf und öffnete eine Zimmertüre. Ein großes Bett stand darin und eine riesige Schrankwand. Sie schloss das Schlafzimmer wieder und ging zur gegenüberliegenden Türe. Die Nachmittagssonne schien durch die große Glasfront und hüllte das Zimmer ihrer Schwester in warme Töne. Das Zimmer beinhaltete in ihren Augen etwas zu viel Kitsch, dennoch fühlte sie sich hier wohl. Überrascht fiel ihr Blick auf den großen Balkon. Sie öffnete die Türe und trat hinaus in die Sonne. Ihr Blick schweifte über das Grundstück. Einen schmalen Teil des Gartens konnte sie von hier aus sehen. Dann fiel ihr Blick auf das Nachbargrundstück gegenüber. Auch dort öffnete sich nun eine Türe und ein Junge in ihrem Alter trat auf seinen Balkon. „Na, Ahoko, wieder zurück?“

Das musste dann wohl Kaito sein. Und Aoko hatte nicht übertrieben, Er ärgerte sie ja wirklich sofort.

„Ja, Baka, aber dich hab ich nicht vermisst“, stichelte Ran und hoffte im Ansatz die Art ihrer Schwester zu treffen.

Kaito stutzte, blickte sie aus tiefblauen Augen an. Sie hatte gehofft sich noch etwas auf eine Begegnung mit ihm vorbereiten zu können. Immerhin kannte Kaito Aoko am längsten.

„Was du nicht sagst“, grinste er plötzlich süffisant. „Du hast mir auch nicht gefehlt. Ich konnte jeden Tag ausschlafen, mit den Jungs abhängen und hatte endlich mal richtig Ruhe. Zu schade das die Woche schon um ist.“

„War mir klar, das du in den Ferien zum Faultier mutierst, wenn ich mich deiner nicht annehme.“ Die beiden blickten sich an und Ran klopfte sich innerlich auf die Schulter. Sie hatte ihre erste Bewährungsprobe scheinbar geschafft. „Ich muss jetzt Essen kochen, sonst gibt es nachher nichts.“ Mit diesen Worten drehte Ran sich um und kehrte ins Zimmer zurück. Bevor sie die Türe schließen konnte, hörte sie Kaito sagen: „Die kurzen Haare stehen dir, auch wenn ich nicht verstehe warum du deine schönen Haare hast abschneiden lassen.“

Sie blickte über ihre Schulter zurück, ein zartes aber aufrichtiges Lächeln lag auf seinen Lippen, ehe er zum Abschied die Hand hob und in sein Zimmer verschwand.

Ran tat es ihm gleich, schloss die Türe und ging in die Küche um Essen zu kochen.
 

***

***
 

Aoko stieg aus dem Bus aus und traf nochmal auf Shiho. „Wir sehen uns Montag in der Schule.“

Shiho nickte ihr zu, auch wenn ihre Augen Skepsis zeigten. „Schönes Wochenende.“

Die Mädchen trennten sich und Aoko folgte der Adresse von Ran und zog den Koffer hinter sich durch die Straßen. Der Rucksack hing ihr über den Rücken. An einer sehr belebten Straße fand sie die Detektei Mori. Rans Stiefvater war ein Privatdetektiv. Die meiste Zeit kümmerte sich dieser um Ran, weil ihre Mutter viel beruflich unterwegs war. Sie zog den Schlüsselbund hervor, trat an der Detektei vorbei zu einem Seiteneingang. Wenig später folgte sie die Treppe hinauf zu einer Wohnung über dem Laden. Sie sperrte mit zittrigen Fingern auf und betrat die großzügige, helle und freundliche Wohnung. „Ran, Mausebein, bist du das?“, lallte eine Stimme ihr entgegen. „Ja, ich bin zuhause“, antwortete Aoko zögerlich und trat nun ganz ein. Das musste dann wohl Kogoro sein, ihr Stiefvater. Sie schloss die Türe, stellte den Koffer an einer Treppe, die in ein Obergeschoss führte, und folgte ins geräumige Wohnzimmer. Auf dem Wohnzimmertisch standen zwölf geleerte Flaschen Bier. Aoko fragte sich ob er diese heute getrunken hatte oder ob er einfach nur nicht fähig war die Flaschen zu entsorgen. Scheinbar war ihre Mutter in der letzten Woche auch nicht oft zuhause gewesen. Dann fiel ihr Blick auf eine leblos wirkende Gestalt, die halb sitzend halb liegend auf der Couch lümmelte. Dieser Mann, mit einem Schnurrbart und kurzen schwarzen Haaren, war sturzbetrunken. „Wo ist Mama?“

„Frag mich nicht. Irgendwo in Hokkaido vor Gericht. Sie kommt aber heute wieder nach Hause.“

Aoko konnte das alles gar nicht mit ansehen. Schon ging sie zum Tisch und räumte die leeren Flaschen weg. Dann entdeckte sie verschiedene Fastfood-Behälter, die auf dem Boden um die Couch herum verstreut lagen.

Auch hier packte Aoko diese zusammen und warf sie in den Müll, den sie in der Küche unter dem Spülbecken fand.

„Wie war's im Englischcamp?“

„Ganz gut!“

„Eri hat mir gesagt, das dieser Lümmel dich eingeladen hat ihn in in den Urlaub zu begleiten.“

Aoko wusste im ersten Moment nicht wovon ihr Stiefvater sprach, doch dann fiel es ihr ein. „Shinichi ist kein Lümmel. Er ist mein bester Freund und er war lange nicht mehr hier.“

„Ich weiß, ich weiß“, winkte Kogoro volltrunken ab. „Dennoch sehe ich dich nicht gerne in seiner Nähe.“

Plötzlich fiel die Türe ins Schloss. „Ran, Schätzchen du bist zurück.“ Im nächsten Moment fand sich Aoko in einer festen Umarmung ihrer Mutter wieder. Sie spürte die Wärme um sich herum, atmete den Duft des Parfüms tief ein und klammerte sich glücklich an sie. Ihre Mama. „Zur Feier des Tages koch ich uns etwas feines.“

Aoko hingegen, die Rans Warnung bezüglich der Kochkünste ihrer Mutter noch zu gut in Erinnerung hatte, musste ihr diese Idee ausreden. „Was gibt’s denn zu feiern?“

Eri löste sich von ihrer Tochter und die blauen Augen hinter der eckigen Brille begannen zu strahlen. „Ich habe es geschafft und meinen Fall gewonnen. Zuerst dachte ich das ich keine Chance habe, der Richter hasst mich, aber dann hab ich sie alle überzeugt und mein Kunde ist fein raus aus. Die Gegner bleiben sogar auf den Gerichtskosten sitzen. Ein Erfolg auf ganzer Linie.“

Aoko bewunderte diese Frau, dieses Selbstbewusstsein, das Strahlen, die Aura. Sie lächelte. „Na, dann lass mich für uns kochen. Du kannst dich erst mal frisch machen und...“, sie betrachtete das Business-Kostüm. „... umziehen.“

„Ran, Schatz, danke“, küsste Eri Aoko auf die Wange. „Übrigens die kurzen Haare stehen dir hervorragend!“ Und schon verschwand mit sie samt ihrem Koffer im Schlafzimmer. Nicht aber zuvor noch einen Blick auf Kogoro zu werfen. „Hast du wieder getrunken?“ Ihre Stimme plötzlich streng und unnahbar. Aoko nahm den Stimmungswechsel sehr wohl wahr. Doch dann suchte sie die Küche und begann sich daran ein Essen zuzubereiten.
 

***

***
 

Ran stellte gerade einen Topf mit Wasser auf den Herd und schaltete diesen an, als die Haustüre ins Schloss fiel. „Aoko, ich bin schon zuhause. Heute feiere ich Überstunden ab.“ Drang eine dunkle Männerstimme durch das Haus.

Ran lief ein Schauder über den Rücken. Gleich würde sie ihrem Vater gegenüberstehen. Vor Aufregung begann sie zu zittern. „Hi Paps, ich bin in der Küche!“

Im nächsten Moment trat Ginzo Nakamori ein, strahlte seine Tochter an und krempelte sich bereits die Hemdärmel hoch. „Dann lass mich dir mal helfen. Wir haben lange nicht mehr zusammen gekocht.“

Ran hingegen erschrak. Er sah müde aus, hatte tiefe Augenringen, sein Gesicht war auch ganz blass. „Paps, was ist passiert?“

Ginzo winkte ab. „Es sieht schlimmer aus als es ist. Kid hat letzte Woche jede Nacht zu geschlagen. Durch den ganzen Papierkram und die Aufarbeitung sowie die Vorbereitung von einem zum nächsten Coup hab ich mir ein Lager im Revier eingerichtet. Aber jetzt habe ich das restliche Wochenende frei. Ich muss erst am Montag wieder rein, denn leider hat er sich für den Abend schon wieder angekündigt. Aber was hältst du davon wenn wir morgen einen Ausflug machen? Nur wir beide – Vater und Tochter.“

„Das wäre schön, Paps“, stimmte Ran lächelnd zu. Aoko hatte erzählt, das ihr Vater nie Zeit für sie hatte und immer auf der Arbeit war. Zu schade das sie selbst nicht hier war um die Erfüllung diesen Wunsch selbst zu erleben.

„Du hast dir die Haare schneiden lassen?“, stellte Ginzo fest, kümmerte sich aber schon wieder um das Essen.

„Ja“, antwortete Ran.

„Hübsch.“

„Danke, Paps.“

Kurz bevor das Essen fertig war klingelte es an der Türe. Ran ging um zu öffnen und stand vor Kaito, der sie doch um einen ganzen Kopf überragte. Seine Augen betrachteten sie wieder skeptisch, doch dann grinste er. „An deinen Haarschnitt muss ich mich echt gewöhnen.“ Schon schob er sich an ihr vorbei und ging in die Küche.

Ran hingegen blieb wie erstarrt stehen. Sie glaubte für wenige Sekunden aufgeflogen zu sein. Überaus erleichtert das es noch nicht so war, schloss sie die Türe, atmete tief durch und folgte dann Aokos besten Freund.

Gemeinsam setzten sich alle an den Esstisch und Ran berichtete vom Englischcamp, ihr Vater von den Kid-Fällen und Kaito von seiner Woche, während er immer wieder in ihre Richtung stichelte.

Das andere Leben

Früh morgens saßen Ran und Ginzo am Frühstückstisch und planten ihren Vater-Tochter-Ausflug. Sie würden den Tag im Tropical Land verbringen. Gerade als Ran den Tisch abräumte, klingelte das Handy ihres Vaters. „Nakamori“, meldete er sich und hörte eine Weile schweigend zu. „Was?! Das gibt’s doch nicht. Er hat sich doch schon für morgen Abend angekündigt. Heute auch noch? Der kriegt den Hals wohl nie voll. Braucht der nicht auch mal 'ne Mütze voll Schlaf?“ Wieder lauschte er den Worten und legte schließlich auf. Seufzend drehte er sich zu Ran um. „Es tut mir leid, aber eben kam eine neuen Ankündigung von Kid rein. Ich muss ins Büro. Wir holen den Ausflug nach.“

Ran nickte zwar, spürte aber auch die Enttäuschung. So musste sich Aoko jeden Tag fühlen. Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ist schon in Ordnung, Paps. Verhafte Kid!“

„Das werde ich“, grinste er siegessicher zurück, stand auf und verließ wenig später das Haus.

Nun dachte sie wieder an ihre Schwester. Ran war schon enttäuscht, wie würde es Aoko dann erst in dieser Situation ergehen?

Sie kümmerte sich um den Haushalt und überlegte dann was sie alleine machen sollte.
 

***

***
 

Aoko hörte ein Handyklingeln. Das es Rans Handy war merkte sie zu spät, aber dann stürzte sie hin und nahm ab, ohne zu lesen welcher Name eingeblendet war.

„Ran, du musst ganz dringend kommen. Ich habe die ultimative Neuigkeit und du warst viel zu lange weg. Ich muss dich sofort sehen.“

Verwirrt blickte Aoko auf das Display und las Sonoko.

„Hey, Sonoko. Ehm ja, klar kann ich kommen. Wo treffen wir uns?“

Sonoko lachte: „Na bei mir, du Dummerchen. Komm gleich, ja?“

„Okay“, stimmte Aoko zu und legte auf. Sie überlegte, aber ihr fiel die Adresse nicht ein und war sich auch gar nicht sicher ob Ran ihr diese gegeben hat.

Schnell tippte sie eine Nachricht an ihre eigene Handynummer und fragte Ran nach der Anschrift. Die Antwort erfolgte sofort mit der Notiz: Viel Glück!

Das würde Aoko wirklich brauchen. Sonoko und Shinichi waren Rans längste Freunde. Ob sie Sonoko täuschen konnte?

Aoko ging ins Wohnzimmer. Eri und Kogoro waren in einer strittigen Situation. Es ging um die Alkoholeskapaden die Kogoro so manches Mal an den Tag legte. „Mama, ich bin bei Sonoko.“

„Ist gut, Schatz! Viel Spaß“, wünschte Eri ihrer Tochter und widmete sich dann wieder der Diskussion.

Aoko suchte in dem Handy ihrer Schwester nach einer Wegbeschreibung und folgte dieser dann. Es stellte sich heraus, das die Freundin von Ran gar nicht so weit weg wohnte. Sie blieb vor einem Haus stehen. Eine gigantische Villa. Ein riesiges Tor versperrte den Weg zu einer breiten Zufahrt. Sie glich nochmals die Adresse ab, aber sie war hier wirklich richtig. Zögerlich drückte sie den Klingelknopf als das Tor sich automatisch nach innen öffnete und sie dem Weg zur Haustüre folgte. Unwillkürlich fragte sie sich wie reich dieses Mädchen wohl sein musste.

Sonoko stürzte ihr schon die Einfahrt entgegen, fiel ihr um den Hals, betrachtete eingehend die neue Frisur und segnete diese letztendlich ab. „Du siehst gut aus. Dein neuer Haarschnitt ist ungewohnt, aber er steht dir wirklich sehr gut! Hör zu, ich habe die absolute Neuigkeit“, schon hakte Sonoko sich an Aokos Arm unter und zog sie mit. Wenig später führte sie Aoko in die Villa, durch eine gigantische Eingangshalle zu einer breiten Treppe, die Stufen hinauf in ein Schlafzimmer, welches so groß war wie das gesamte Erdgeschoss des Hauses der Nakamoris. Sie war nun Ran und durfte sich nicht ansehen lassen das sie wahrlich beeindruckt war. Für Ran war es normal. Für Ran war Sonoko normal. Es kostete Aoko alle Kraft sich auf das Gespräch zu konzentrieren und den ganzen Prunk zu ignorieren. „Und der Typ ist ultraheiß. Du glaubst gar nicht wie heiß er ist. Braune Haare, braune Augen. Ein stählerner Körper. Es ist nur eine Frage der Zeit wann er mich zu einem Date bittet.“

Eins stand fest: Sonoko wusste was sie wollte und wie sie es bekam. Aoko staunte nicht schlecht über dieses selbstbewusste Mädchen.

„Oh und das beste weißt du ja immer noch nicht“, stellte Sonoko erneut fest.

„Es gibt noch was besseres als diesen heißen Typ?“, witzelte Aoko und hoffte Ran ähnlich zu kommen.

Sonoko nickte. „Mein Vater hat Kaito Kid herausgefordert. Stell dir vor: Kaito Kid kommt zu mir nach Hause.“

Aoko schluckte überrascht. Ihr fehlten eindeutig die Zusammenhänge zwischen Kaito Kid und Sonokos Vater.

„Wäre es nicht romantisch wenn der Mondscheindieb mich mit sich nimmt und mir, Sonoko Suzuki, in dieser wundervollen Vollmondnacht einen Kuss stiehlt?“

Aoko schluckte erneut sprachlos. Dass es Kids Fans gab das wusste sie. Dass es auch Kids Fans gab, die so viel mehr von dem Mondscheindieb wollten, wusste sie auch. Aber dass es Kids Fans gab, die sich eine romantische Nacht mit dem idiotischen Dieb erträumten, überraschte sie schon. Sonoko überraschte sie. „Hast du mir eben nicht gesagt, dass es dieser Makoto dir angetan hat?“

Sonoko schlug ihre Hände an die Wangen, grinste mit geschlossenen Augen und legte ihren Kopf schief. „Oh, Ran, was wäre es doch wunderbar, wenn Makoto der Dieb wäre.“ Schlagartig war sie wieder im Hier und Jetzt. „Wir müssen uns vorbereiten. Immerhin wird er bald hier sein.“

„Was musst du vorbereiten?“, hakte Aoko irritiert nach. Rans Freundin war äußerst seltsam. Sprunghaft, egoistisch, absolut von sich überzeugt und doch sehr nett.

„Na wir verdrehen ihm den Kopf“, erklärte Sonoko ihr Vorhaben, stand auf und wühlte schon im Kleiderschrank nach aufreizender Kleidung.

„Ich glaube, das ist keine gute Idee“, stellte Aoko fest, aber da flog ihr schon ein hübsches und mit Sicherheit überaus teures Kleid zu.

„Oh das wird wunderbar“, freute sich Sonoko und hielt sich ein ebenso sündhaft teures Kleid vor die Brust. „Kid wird schon bald mir gehören“, jubelte sie.

Sonoko zog sich bereits um, während Aoko stumm das Kleid ansah. „Sei mir nicht böse, Sonoko, aber ich möchte so bleiben wie ich bin.“ Sie sah an sich hinunter. Sie trug einen Rock und einen dünnen langärmeligen Pullover aus Rans Kleiderschrank.

„Natürlich, Schatz, aber ich werde diesem Dieb zeigen was ich zu bieten habe“, stellte die reiche Freundin erneut nüchtern fest.

Wenig später war Sonoko umgezogen und Aoko staunte nicht schlecht, wie gut das Kleid deren Figur umspielte. Als sie dann auch noch die richtigen Schuhe dazu fand, schnappte sich das reiche Mädchen die Hand von Aoko und zog sie mit.

„Du siehst wunderschön aus“, bemerkte Aoko und bewunderte die Braunhaarige für diesen Reichtum und die Figur.

„Danke, Schatz, aber wir müssen jetzt wirklich los, sonst verpassen wir Kid.“

Sonoko führte sie durch die Villa in einen Seitenflügel. Dann betraten sie eine große Galerie. Überall standen Statuen, es hingen Gemälde an den Wänden. Erneut unterdrückte Aoko einen staunenden Ausruf und sah sich einfach nur um. Sie betrachtete gerade eine große weiße Statue, römisch oder griechisch, das wusste sie nicht genau. Der Mann mit den Schulterlangen Haare war nackt und auf Augenhöhe hing dessen detailgetreues in Stein gehauenes Glied. Sie fragte sich, welcher Mann sich in welchem Jahrhundert nur so in Pose gestellt haben könnte. Die Muskeln, die diese Statue an Armen und Beinen zeigte, ließen auf einen trainierten Mann schließen. Einen attraktiven Mann nach einem weiteren Blick in das junge Gesicht.

„Ich wünsche keine Polizei!“

„Mister Suzuki, wir möchten nur sicherstellen das Kid endlich gefasst wird.“

Aoko erstarrte und versteckte sich sofort hinter der Statue. Was die Situation aktuell nicht besser machte, denn der steinerne Penis hing ihr direkt vor Augen.

„Ich möchte nicht das Kid gefasst wird. Das ist ein Spiel zwischen Kaito Kid und mir. Ich werde nur meine Kräfte mit ihm messen.“

„Sir, ich verstehe Sie ja“, hörte Aoko erneut die ihr so vertraute Stimme. „Nein, ehrlich gesagt verstehe ich Sie nicht! Kaito Kid ist ein Dieb und gehört verhaftet. Wir werden hier unsere Arbeit machen!“ Herrisch und bestimmend - wie immer.

Aoko rutschte das Herz in die Hose. Wieso war ihr Vater nur hier? Wenn sie sich als Ran vorstellte war das Spiel vorbei. Und statt die eh schon kurze Zeit mit ihrer Mutter zu verbringen hing sie bereits den ganzen Tag bei Sonoko fest. Aoko hatte sich das alles anders vorgestellt. Und wo war Ran, wenn ihr Vater hier war?

Ihre Augen starrten immer noch auf das kleine, weiße Stück Stein und sie kam sich wie ein Spanner vor. Aber warum musste der Bildhauer auch dieses Detail eines Mannes so wahrheitsgetreu nachstellen? Und wer kam überhaupt darauf sich einen nackten Mann zuhause hinzustellen?

Tief durchatmend überlegte Aoko ihre nächsten Schritte, da trat Sonoko belustigt zu ihr. „Was machst du da?“

Erschrocken wich Aoko zurück. Es musste sicherlich ein seltsames Bild abgegeben haben. „Ich“, stammelte Aoko und lief rot an. „Ich wollte nur mal sehen, wie genau das hier gemacht wurde“, erklärte sie dann holprig. „Hast du schon die filigranen Linien hier entdeckt?“ Und schon fuhr ihr Zeigefinger über den kalten weißen Stein der Kniescheibe nach.

„Schatz, du solltest dir endlich Shinichi klar machen oder dich nach was besserem umschauen. So kann es auf die Dauer nicht weitergehen!“

Aoko lief erneut rot an. Donnerwetter, Sonoko nahm ja überhaupt kein Blatt vor den Mund.

Wie aufs Stichwort trat ein junger Mann zu ihnen. „Hallo Sonoko, warum so schick?“, begrüßte er die Tochter des Hauses.

Aoko hob den Blick, starrte überrascht auf den Jungen sich gegenüber. Kaito? Seine braunen Haare lagen etwas anders, blaue durchdringende Augen begegneten ihrem Blick. Eine Hand hatte er lässig in die Hosentasche seiner Jeans versteckt während er die andere grade eben versteckte. Lässig und cool stand ihr ein Oberschüler gegenüber, der sie um einen Kopf überragte. Schon im nächsten Moment hörte sie Sonokos Stimme.

„Shinichi, natürlich ich hätte es wissen müssen“, begrüßte sie ihren Mitschüler und fügte erklärend hinzu: „Kaito Kid kommt, da möchte ich ihm ordentlich gekleidet gegenüber treten.“

Der Mitschüler der Mädchen lächelte selbstbewusst, schien sich bereits selbst ein Bild gemacht zu haben, und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Aoko. Diese wusste nicht was sie tun sollte. So hatte sie gehofft einer Begegnung mit Shinichi noch etwas ausweichen zu können. Der durchdringende Blick machte ihr Angst. Wie ein verschrecktes Reh starrte sie ihn an.

„Wenn Kid zuschlägt, dann bin ich zur Stelle. Ich freue mich schon auf unsere Begegnung.“ Dann allerdings sprach er Aoko an. „Du hast gar nicht gesagt, das du schon zurück bist.“

Das klang eindeutig wie eine Vorhaltung, aber es riss sie auch aus ihrer Lethargie. „Paps hat etwas zu viel getrunken, ich musste erst mal aufräumen und dann kam auch Mama heim und wir haben die Zeit zusammen...“

„Und heute war sie den ganzen Tag bei mir, Shinichi“, mischte sich Sonoko ein und zog Aoko in ihre Arme. „Du brauchst nicht zu glauben nur weil du jetzt mal wieder da bist, Ran für dich allein haben zu können.“

Überrascht stellte Aoko fest, das sich ein Rotschimmer auf seine Wangen legte, auch wenn der Junge sich über die Worte aufregte, wie sie seiner Tonlage entnehmen konnte. „Ich bin mal nicht eben so wieder da, sondern ich bleibe!“ Er sah Aoko an. Und sie glaubte ihm sofort. Er würde nicht mehr gehen und ein Gefühl in ihr sagte, dass er niemals mehr ohne Ran gehen würde. Ehe sie den Gedanken weiter verfolgen konnte, fügte Shinichi noch hinzu: „Und ich möchte Ran nicht für mich allein haben. Aber eine Nachricht wäre nett gewesen.“ Noch durchdringender lag sein Blick auf Aoko.

Sie fühlte sich extrem unwohl. „Entschuldige bitte“, verbeugte sich Aoko reuevoll. Ran hätte sich sicherlich gemeldet. Wie konnte sie nur so dumm sein und glauben, sie könnte ihre Schwester sein?

Stimmen wurden lauter, die Personen dazu näherten sich. „Kommissar Nakamori, ich zeige Ihnen das Objekt um welches es sich an diesem Abend handelt.“

Aokos Herz begann zu rasen. Sie musste weg, dringlichst. „Ich muss mal eben auf Toilette“, murmelte sie überfordert und stürmte aus dem Raum hinaus. Sonoko und Shinichi blickten ihr überrascht nach, doch schon wurden sie dem Kommissar der Sondereinheit Kid vorgestellt.

Aoko spürte nur noch den Drang weg zu laufen. Sie wusste nicht wohin. Die Villa war riesig und Sonokos Zimmer würde sie hier drinnen sowieso nicht mehr finden. Also folgte sie einfach irgendeinem Weg und fand letztendlich eine Türe. Diese stieß sie auf und sie trat in die Dämmerung hinaus. Überrascht blickte sie sich um. Sie stand auf einer wunderschönen Terrasse. Überall standen Pflanzen, eine Lounge war in einer überdachten Ecke untergebracht. Das Haus war wirklich überwältigend und der gigantische Park, der wohl zum Garten gehörte bot einen himmlischen Ausblick im Licht der untergehenden Sonne. Hier fühlte sich Aoko wohl und hier würde sie vielleicht auch endlich mal ihre Gedanken sortiert bekommen. Sie ging zu einer Treppe, die seitlich in den Garten führte und stellte sich an das Geländer. Ihre Augen folgten der untergehenden Sonne. Ganz gebannt betrachtete sie das Spektakel, das jeden Tag wieder kehrte und den Übergang zur Nacht präsentierte. Dann war es dunkel

um sie herum.

Die Türe fiel leise ins Schloss.

Natürlich suchte Sonoko schon nach ihr. Sie drehte sich um, setzte an zu erklären, als sie inne hielt. Ein Mann im weißen Smoking, weißer Umhang und einem weißen Zylinder auf dem Kopf stand vor ihr. Überrascht und ungläubig betrachtete sie Kaito Kid.

Der Gentleman-Dieb in Weiß, verbeugte sich und trat dann näher heran. „Welch eine Freude einer so hübschen jungen Dame in dieser wundervollen Nacht zu begegnen“, stellte er fest.

„Kid“, stieß sie aus. Eine Mischung aus überrascht und entsetzt.

„Ich hätte es mir zwar denken können, aber erwartet habe ich nicht Sie hier zu treffen, Fräulein Nakamori.“

Erschrocken über seine Feststellung fühlte Aoko sich nicht fähig zu antworten. Er sprach sie mit ihrem richtigen Namen an, aber woher kannte er sie nur? Woher wusste er das sie hier ein Spiel spielte?

Mit wenigen Schritten näherte er sich erneut, stellte sich neben sie zum Abgang der Treppe. Sie rechnete damit das er einfach ging, aber dann drehte er sich komplett zu ihr. Dieser Teil zum Garten war nicht sehr beleuchtet. Ideal um zu verschwinden und auch nicht erkannt zu werden. Sein Gesicht lag im Schatten, dennoch leuchteten ihr blaue Augen entgegen. Blau! Nicht braun so wie Sonoko erhoffte. Sie waren blau wie der weite Ozean.

„Auch wenn es mich erfreut Sie persönlich kennenzulernen, so muss ich mich auch schon leider wieder verabschieden.“ Schnell, das Aoko gar nicht realisieren konnte was geschah, hob Kid ihre Hand an und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken. Seine blauen Augen funkelten schelmisch aus dem Schatten, dann richtete er sich wieder auf. „Wir haben Besuch bekommen“, stellte er plötzlich arrogant fest.

„Was?“ Ihre Stimme war absolut nicht fest. Auch wenn sie des öfteren auf Coups dabei war, so stand sie dem Meisterdieb nie persönlich gegenüber, sondern immer nur in der Masse der Zuschauer auf den Straßen. Auch nicht freiwillig, denn ihre Freundin Keiko schleppte sie immer dorthin mit. Warum nur musste ihre beste Freundin auch ein Kid-Fan sein?

„Kaito Kid, es freut mich nach langer Zeit dir wieder persönlich gegenüber zu stehen“, knurrte eine Stimme neben ihnen. Aoko drehte ihren Kopf zur Türe und entdeckte Shinichi, der definitiv nicht erfreut über diesen Anblick war, den Kid und sie hier boten.

Kid blieb Aoko zugewandt, allerdings war sein Blick ebenso zu dem Detektiv gedreht. „Mein Lieblingsdetektiv ist wirklich wieder da“, murmelte der Meisterdieb so leise, dennoch konnte Aoko ihn verstehen. Lauter sagte er: „Es freut mich dich wieder zu treffen, Shinichi Kudo.“

„Das letzte Mal war am alten Glockenturm, das ist fast schon ein Jahr her“, stellte Kudo fest.

Was Kid sich bei diesen Worten dachte blieb wohl ein Geheimnis. Er nickte. „Stimmt! Das war an dem Abend, als auf mich geschossen wurde.“

Entsetzt keuchte Aoko auf. Deutlich hörte sie die Provokation an den Detektiv heraus.

„Das war ich“, gestand Shinichi ernst und ebenso provozierend?

Nun starrte sie zwischen den beiden Männern hin und her und konnte nicht glauben was sie hörte.

„Dachte ich mir schon“, antwortete Kid in seinem typisch arroganten und dennoch so gleichgültigen Tonfall. „Was mich schon immer interessiert hat: Wie bist du an die Waffe gekommen?“

„Inspektor Megure konnte in diesem Moment nicht schnell genug reagieren“, gestand Shinichi und seine blauen Augen leuchteten Kid entgegen.

War das so etwas wie ein krankes Spiel zwischen den beiden? Entsetzt lauschte Aoko den Worten, erinnerte sich selbst an den Abend zurück, als sie inmitten der Masse stand, gebannt hoffte, das Kid den Turm nicht stehlen würde. Sie erinnerte sich, das ein Hubschrauber sehr nah an den Turm heran flog, das Ziffernblatt der Uhr bewegte sich leicht und wenige Sekunden später löste sich dann eine riesige Leinwand vom Turm und segelte auf die Menschenmenge herab. Kaito Kid war an diesem Abend einfach so verschwunden.

„So nett es ist mit dir zu plaudern, leider muss ich mich nun verabschieden.“

„Warte Kid!“

Durch Schinichis schneidende Stimme wurde Aoko aus ihren Gedanken gerissen. Sie spannte sich an als der Meisterdieb sich ihr wieder komplett zuwandte, ihr seine Faust vors Gesicht hielt, eine Drehung der Hand machte und schließlich eine weiße Rose hervor zauberte.

Kid reichte ihr diese. „Die schönste Blume der Welt für diese reizende Dame“, hörte sie ihn sagen. Im nächsten Moment war der Mondscheindieb in dem dunklen Garten verschwunden.

Shinichi stürmte an Aoko vorbei zum Treppenabgang, aber Kid war schon nicht mehr zu sehen. „Entwischt“, knurrte er.

Das Mädchen hingegen war nicht mehr fähig einen klaren Gedanken zu fassen. Sie fühlte sich an ihr erstes Treffen mit Kaito erinnert. Der Coup mit dem alten Glockenturm, ihre erste Begegnung von Kindesbeinen an mit Kaito, die hervorgezauberte Rose, diese blauen Augen...

„Hat er dir etwas getan?“

Aus den Gedanken gerissen blickte sie von der weißen Rose auf. Sie schüttelte den Kopf. Lange konnte sie seinem Blick nicht standhalten und senkte diesen erneut auf die weiße Rose zwischen ihren Fingern an. Den Blick von Shinichi spürte sie allerdings allzu deutlich.
 

***

***
 

Ran langweilte sich. Ihre Gedanken hingen bei Aoko, die den heutigen Tag mit Sonoko verbringen durfte. Sonoko, ihre beste Freundin von klein auf. Der Reichtum der Familie hat Ran nie gestört. Sonoko war einfach schon immer Sonoko. Für Aoko hingegen dürfte es sehr gewöhnungsbedürftig sein. Immerhin war ihre beste Freundin recht speziell. Aber auch deswegen liebte Ran sie auch so sehr. Irgendwann fiel ihr Blick auf die Uhr und sie entschied sich Abendessen zu kochen.

Schon bald würde Kaito kommen. Wann Paps genau wieder kam konnte sie aber nicht sagen.

Jedoch als das Essen fertig war kam keiner von beiden. Nicht wie zur gewohnten Zeit.

Zwei Stunden später klingelte es an der Türe. Misstrauisch öffnete Ran diese und blickte in ein überraschtes Gesicht. Auch wenn sie nicht wusste, warum er so überrascht schien. Er wusste doch das sie hier wohnte. „Wo bleibst du denn?! Das Essen ist seit zwei Stunden fertig und ich warte hier auf dich!“

Kaito zog die Augenbrauen hoch, musterte sie erneut von oben bis unten, ehe er seinen gleichgültigen Blick aufsetzte und abwinkte. „Ich hatte noch was wichtiges zu erledigen“, sprach er und trat in die Wohnung. Wenig später war das Essen aufgewärmt und beide saßen am Tisch und aßen.

„Was hast du heute gemacht?“

Ran seufzte. „Gelangweilt hab ich mich. Paps hat mir gestern versprochen einen Vater-Tochter-Ausflug zu machen und heute morgen als wir entschieden ins Tropical Land zu gehen, kam ein Anruf vom Revier. Dank Kid verbrachte mein Vater seinen freien Tag in der Arbeit.“

Kaito sah sie immer noch emotionslos an. Ran stutzte. Wie schaffte er es nur sämtliche Gefühle aus seinem Gesicht zu verbannen?

Kaito versucht mir seit Jahren vorzuspielen, das er über den Tod seines Vater hinweg ist.

Was wäre, wenn er nicht nur das ihr vorzuspielen versuchte? Was wenn er Aoko noch viel mehr verschwieg? Er versteckte jegliche Emotionen hinter einer Maske der Gleichgültigkeit. Nur wenn er sie ärgerte schien er echte Gefühle zuzulassen.

Schule

Aokos Herz klopfte aufgeregt in der Brust. Sie betrachtete sich in der Schuluniform der Teitan Oberschule. Dieser Anblick war ungewohnt, aber woran sie sich wohl nie gewöhnen würde, wäre ihr Haarschnitt. Ihre Finger strichen über die kurz geschnittenen Haare. Seit Ewigkeiten hatte sie nicht mehr solch kurze Haare. Sie atmete tief durch. Okay, Aoko, heute musst du sie überzeugen. Du triffst heute nicht nur auf Shinichi und Sonoko, sondern auch auf Shiho, die dich und Ran bereits kennt und du wirst heute die gesamte Klasse überzeugen müssen.

Ihr Herz begann aufgeregt zu klopfen. Ihr Magen krampfte sich zusammen und am liebsten würde sie sich heute krank melden. Aber das würde ihre Mama ganz sicherlich nicht durchgehen lassen. Sie war streng und selbst so erfolgreich, das sie den selben Ehrgeiz auch von ihrer Tochter erwartete.

Erneut sah sich Aoko im Spiegel an. „Du schaffst das heute, Ran Mori“, flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu.

Mit einem unguten Gefühl traf sich Aoko mit Shinichi an ihrem Treffpunkt und gingen gemeinsam zur Schule.

Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander, doch dann durchbrach Shinichi die Stille. „Hat dir Kid gestern was angetan?“

„Bitte?“ Aoko richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Detektiv.

„Du wirkst so durcheinander. Hat er was gesagt oder dich …“, seine Augen richteten sich auf Aoko und er sah sie ernst an. „... angefasst?“

Eine Röte überzog Aokos Wangen. Kid hatte sie wahrlich überrascht, denn niemals wäre sie darauf gekommen dem Meisterdieb persönlich gegenüber zu stehen. Es war ein Moment, nach dem sich tausende Frauen in Tokio sehnten. „Nein“, antwortete sie.

„Weißt du eigentlich dass du ihm sehr nah standest? Hast du sein Gesicht gesehen? Kannst du ihn beschreiben?“

Aoko schüttelte den Kopf. „Es war dunkel“, antwortete sie. Blaue Augen, so blau wie der Ozean, schoss ihr durch den Kopf.

Shinichi beobachtete sie aufmerksam.

Sie näherten sich der Schule, denn immer mehr Schüler in der gleichen Uniform sammelten sich. Vor der Schule wartete Sonoko auf die beiden.

„Guten Morgen“, begrüßte sie die beiden fröhlich, schnappte sich Aokos Arm und zog sie mit sich mit ins Schulgebäude.

Shinichi folgte den Mädchen schweigsam.

„Zu schade das mich Kid gestern nicht entführt hat“, jammerte Sonoko.

Weder Aoko noch Shinichi hatten letzte Nacht erzählt was vorgefallen war.

„Dabei hab ich mich extra schick angezogen.“

Dem Detektiv wurde so einiges klar. „Deswegen also das Kleid. Ich hätte es gleich wissen müssen.“

„Um dem Mann meines Herzens zu gefallen“, erklärte Sonoko übertrieben aber zustimmend.

„Ich dachte das wäre Makoto“, mischte Aoko sich ein.

„Ja, natürlich. Aber sie sind doch ein und dieselbe Person. Er ist mein Kaito Kid.“

„Das kann doch gar nicht sein. Makoto hat braune Augen, Kid hingegen hat blaue Augen“, erwiderte Aoko unbedacht.

Sofort stand Shinichi bei ihr und hielt sie an ihrem Arm fest. „Du hast seine Augenfarbe gesehen?“

„Du hast Kid getroffen und sagst mir das nicht?!“, zog Sonoko an ihrem anderen Arm.

Aoko biss sich auf die Unterlippe. Zögernd nickte sie. „Ja“, antwortete sie beiden. „Das war das einzige was ich erkennen konnte.“

„Und warum hast du mir das vorhin nicht erzählt?“

Eine berechtigte Frage. „Ist das so wichtig?“

Shinichi sah sie fassungslos an. „Natürlich, das schränkt den Personenkreis schon mal ziemlich weit ein.“

Sonoko mischte sich skeptisch ein: „Und wenn er Kontaktlinsen trug? Kid ist doch nicht so dämlich und zeigt seine echte Augenfarbe.“

„Er wägt sich in der Dunkelheit in Sicherheit“, widersprach Shinichi.

„Guten Morgen“, mischte sich eine weibliche Stimme ein.

Alle drei blickten auf.

Aoko stand Shiho gegenüber. Sie versteifte sich. Nun war es soweit. Jetzt musste sie sich wirklich beweisen. Immerhin war Shiho die einzige in der Runde, die Ran und Aoko kannte. „Guten Morgen“, lächelte Aoko freundlich.

Shinichi blickte ebenso auf und überrascht ließ er Aokos Arm los. „Shiho.“

Aoko und Sonoko stutzten. Mehr als skeptisch runzelte Aoko die Stirn.

„Hallo, Shinichi“, begrüßte das blonde Mädchen den Schülerdetektiv.

Aoko betrachtete Shiho. Ein verhaltenes Lächeln in dem hübschen Gesicht und glänzende Augen... War sie...

„Woher kennt ihr euch?“, hakte Sonoko schon ein, ehe Aoko ihren Gedanken zu Ende gedacht hatte. Wusste Ran es überhaupt?

Shinichi wirkte etwas verunsichert. Aoko fiel das sofort auf. Verheimlichte er etwas vor Ran? Kam sie deswegen auf die Idee das er seit seiner Rückkehr verändert war? Aber warum wollte er dann mit ihr nach Amerika fliegen? Und warum hatte Shiho nichts im Englischcamp erzählt?

„Wir haben uns während meines letzten Falls kennengelernt“, erklärte Shinichi, während seine Augen Shiho betrachteten. „Was machst du denn in Tokio?“

„Ich werde hier meine Schule beenden“, antwortete die Blonde und musterte aufmerksam Aoko. „Ran, wie geht’s dir?“

„Es ist schön wieder zuhause zu sein“, antwortete Aoko. Innerlich hoffend, das Shiho sie nicht durchschaute und auffliegen ließ.

„Ich bin Sonoko“, stellte sich Rans beste Freundin vor, dann zog sie Aoko mit sich. „Wir sollten uns beeilen.“ Gemeinsam gingen sie zu ihrem Klassenzimmer, während Shiho das Sekretariat aufsuchte.
 

Die erste Stunde war schon fast zur Hälfte um, als es an der Tür klopfte und Shiho eintrat. Aoko schluckte. Wie sollte sie das nur Ran erklären. Zum einen das Shiho und Shinichi sich kannten, zum anderen das Shiho sogar mit in ihre Klasse ging. Während Shiho sich kurz vorstellte, stutzte Aoko. Eben erzählte sie das sie aus England herzog, aber hatte sie im Englischcamp nicht gesagt, das sie aus Frankreich kam? Misstrauisch zog Aoko nun ihre Augenbrauen zusammen. Irgendwas stimmte doch da nicht.

Shiho setzte sich auf einen freien Platz an der Fensterseite und der Unterricht ging weiter. Ein Mitschüler half ihr mit Büchern aus bis es zur Pause läutete. Schnell stand Shiho auf und verließ das Klassenzimmer. Auch Shinichi war verschwunden. Aoko blickte sich ratlos um, bis Sonoko an ihren Tisch herantrat. Vielleicht wusste Sonoko wo er hin verschwunden ist: „Wo ist denn Shinichi?“

„Eben raus. Sag mal, findest du es nicht auch seltsam wie sich Shinichi benimmt?“

„Wie meinst du das?“

„Na, es ist für Shinichi so untypisch kleine Zettelchen zu schreiben. Und dann flog diese kleine Nachricht auch noch zufällig auf den Tisch der neuen Mitschülerin... Wenn du mich fragst, ist das alles sehr verdächtig.“

Aoko schluckte. Sie musste das unbedingt weiter beobachten und herausfinden was die beiden für ein Geheimnis teilten.

Shiho und Shinichi kamen erst kurz vor Ende der Pause ins Klassenzimmer.

Aoko spürte das die beiden ein Geheimnis teilten. Doch kaum das Shinichi ihren Blick bemerkte, wand er sich komplett von ihr ab. Misstrauisch beobachtete sie Shiho, die sich Gedankenversunken an ihren Platz setzte und aus dem Fenster blickte.

In der nächsten Pause verschwanden wieder beide und dieses Mal würde sie nicht wieder warten. Sofort eilte Aoko den beiden nach und folgte ihnen auf Schuldach. In eine ruhige Ecke zogen sich die beiden zurück. Sie spürte wie ihr Puls langsam wieder in Rage kam. Ihr fehlte Kaito, den sie wohl schon längst mit dem Mopp durch die Klasse gejagt hätte. Sie trat näher auf die beiden zu, sie schienen in ein ernstes Thema vertieft zu sein. „Ach hier seid ihr. Ich hab euch schon gesucht“, versuchte sie möglichst gelassen aufzutreten.

„Ran?“, überrascht blickte Shinichi auf.

Schon setzte sie sich dazu. „Das ist ja echt witzig, dass du in unsere Klasse gekommen bist. Muss ja ein Wink des Schicksal sein, das wir uns letzte Woche im Englischcamp kennenlernten und du Shinichi auch schon länger kennst. Aber das macht einem den Start in der Schule ja auch leichter, oder?“

„Ran.“

Aoko ignorierte den besten Freund ihrer Schwester, denn sie hatte gerade ganz schön mit sich selbst zu kämpfen nicht auszurasten. „Nur eines versteh ich nicht. Uns hast du erzählt du kommst aus Frankreich.“

„Frankreich?“ Shinichi blickte überrascht auf.

Shiho nickte. „Ich verstehe das alles etwas verwirrt klingt.“ Sie atmete tief durch. „Mein Vater ist Japaner und kommt aus Hokkaido. Meine Mutter ist Engländerin und kommt aus London. In den letzten Jahren haben wir in Frankreich gelebt und nun bin ich wieder hierher gezogen“, versuchte Shiho zu erklären, aber es klang überhaupt nicht überzeugend. „Wie geht’s Kazuha? Und Aoko?“, versuchte die Blonde abzulenken.

Nun richtete Shinichi seinen Blick auf Ran.

„Beiden geht’s gut“, antwortete Aoko kurz angebunden. „Und woher genau kennt ihr euch jetzt?“

„Wir haben uns während Shinichis letztem Fall kennengelernt“, antwortete Shiho und blickte kurz zu Shinichi. Schon verstummte sie wieder.

Aoko glaubte das alles nicht. Irgendwas war faul.
 

***

***
 

Ran starrte ihr Spiegelbild an. Sie war nun eine Oberschülerin des Ekota Gymnasium. Sie musste heute überzeugen. Sie würde Aokos Freundinnen und Klassenkameraden begegnen. Es klingelte und sie eilte die Treppe hinunter.

Ihr Papa stand bereits an der Türe und öffnete diese. Dann drehte er sich ihr zu. „Ich muss ins Revier. Kid wird heute Abend zuschlagen. Warte nicht mit dem Essen auf mich.“ Schon drückte er sich an Kaito vorbei, der in der Türe stand, und verschwand.

Gemeinsam gingen die beiden den Weg zur Schule und Ran war erleichtert den Weg nicht alleine suchen zu müssen.

„Kid schlägt heute wieder zu?“, hakte Kaito neugierig nach.

„Ja, das ist echt nervig. Paps ist nur noch auf dem Revier“, klagte Ran in Aoko Manier.

„Da hat dein Alter aber ganz schön viel zu tun. Und dennoch hat er ihn immer noch nicht gefangen? Er hatte doch inzwischen recht viele Gelegenheiten dafür“, lästerte Kaito.

Ran blickte ihn entsetzt an. Wie redete dieser Blödmann denn nur über ihren Papa?! Wütend sah sie auf. „Du Baka! Was willst du damit sagen?“

„Na, das dein Vater ein drittklassiger Polizist ist, natürlich. Andere hätten den Meisterdieb schon längst festgenommen“, grinste der Oberschüler provokativ und rannte davon.

Ran mit erhobener Faust eilte ihm nach: „Wenn ich dich erwische, dann erlebst du dein blaues Wunder“, drohte sie ihm noch.
 

In der Schule kam sie vollkommen außer Atem an. Und Kaito tat als wäre nichts gewesen. Das ärgerte sie nun noch mehr. Sie folgte ihm immer noch angesäuert in ihr Klassenzimmer und setzte sich auf den Platz neben Aokos besten Freund. Gerade packte sie ihre Schulsachen aus, da stellte sich jemand neben ihren Tisch. „Guten morgen, Aoko“, begrüßte eine freundliche Stimme mit einem englischen Akzent.

Überrascht blickte Ran auf und sah einem hübschen, großgewachsenen, blonden Oberschüler entgegen. Seine braunen Augen beruhigten ihr Gemüt. Sie überlegte wer das sein könnte, dabei kam ihr Kaito unwissend zur Hilfe.

„Hakuba, was willst du Nervensäge schon wieder?!“

Der Blonde lächelte Ran erneut an: „Der Haarschnitt steht dir“, machte er ihr ein Kompliment ehe er sich Kaito arrogant zuwandte. „Kid schlägt heute Abend wieder zu. Ich wollte dir nur sagen, das ich auch vor Ort sein werde.“

„Und das sollte mich interessieren, weil...? Geh anderen Leuten mit deinen Geschichten auf die Nerven.“

Überrascht über die Feindseligkeit der beiden Oberschüler blickte Ran von einem Jungen zum anderen.

„Ich wollte nur, das du Bescheid weißt und dich nicht übergangen fühlst. Außerdem werde ich heute Nacht deine Tarnung auffliegen lassen, Kid!“

Mit großen Augen starrte sie von dem großen Blonden zu dem Oberschüler neben sich.

Kaito rümpfte die Nase, drehte seinen Kopf weg und zog sein Handy hervor. „Ich bin nicht, Kid, du idiotischer Detektiv.“

Hakuba grinste siegessicher. „Das werden wir ja noch sehen, wer von uns idiotisch ist.“ Dann drehte er sich Ran zu und lächelte sie schelmisch an. Schon ging er zu seinem Platz an der Wandseite. Rans Augen folgten den Bewegungen, dann blickte sie zu Kaito, der Hakuba finster nach sah... Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie glatt behaupten Kaito wäre eifersüchtig. Aber worauf? Auf Hakuba? Oder deutete sie diese Regung falsch und er ärgerte sich wirklich so weil er mit Kid, dem Meisterdieb 1412, in Verbindung gebracht wurde?

Es läutete zur ersten Stunde und Ran folgte dem Unterricht. Sie waren vom Stoff recht ähnlich weit, daher kam sie in diesem Fach gut mit.

In der Pause stellte sich ein braunhaariges Mädchen mit Brille an ihren Tisch. „Hallo Aoko, wie war es denn im Englischcamp?“

Das musste wohl Keiko sein, denn Aoko hatte ihre beste Freundin genau so beschrieben. „Ganz gut. Ein bisschen viel Schule“, gestand Ran lachend.

Kaito ignorierte die Unterhaltung weitestgehend, dennoch warf er ihr ab und zu skeptische Blicke zu. Was er wohl hatte? Und immer wieder fiel ihr Hakuba auf, der gegen Kaito stichelte und ihn als den berühmten Dieb bezichtigte.

Kaito, der jedes Mal genervt davon war, ließ seinen Frust und Ärger an ihr aus um sie in eine Streiterei zu verwickeln. Somit störten sie immer wieder den Unterricht, weil Ran Kaito durchs Klassenzimmer jagte.
 

Den gesamten Schultag über ließ sie Hakubas Anmerkung nicht los. Kaito stritt es zwar ab, aber was wäre wenn es wirklich der Wahrheit entsprach? Das würde zumindest erklären, das er vor Aoko nicht sein wahres Gesicht zeigte. Aber konnte das wirklich sein? Ihre Augen blickten zu dem Jungen, der schweigsam neben ihr her lief. Wie sollte das denn möglich sein? Ein siebzehnjähriger Oberschüler würde doch nicht über so lange Zeit die Polizei an der Nase herum führen können. Kaito schien ihr ganz und gar nicht dumm, aber so gerissen nun auch wieder nicht. „Wann kommst du denn zum Abendessen?“

„Heute gar nicht“, antwortete Kaito.

„Wieso?“, hakte Ran neugierig nach, aber dann fiel ihr ein, das er gestern zwei Stunden später als geplant kam. Und gestern war Kid unterwegs. Misstrauisch betrachtete sie ihn.

Kaito blickte sie grinsend an. „Na, hör mal, wenn Kaito Kid zuschlägt bin ich selbstverständlich vor Ort um mir anzusehen, wie dein Vater mal wieder jämmerlich versagt.“ Dabei zwinkerte er sie provozierend an.

„Du wagst es“, drohte sie ihm wieder und schon rannte er erneut vor ihr weg.

Vor ihren Häusern verabschiedeten sie sich und kaum stand Ran im Wohnzimmer griff sie nach dem Telefon und wählte die Nummer ihres Vaters.

„Hallo Paps, ich wollte fragen wie die Vorbereitungen laufen?“

Sie lauschte der Stimme und nickte, auch wenn das ihr Vater natürlich nicht sehen konnte. „Ich wollte dich auch nur kurz etwas fragen, dann lass ich dich wieder weiter arbeiten.“
 

***

***
 

Aoko beobachtete Shinichi und Shiho aufmerksam. Auch wenn die beiden sich nicht mehr zusammen sehen ließen, so spürte sie das sie ein größeres Geheimnis teilten, als Ran es je erahnen konnte. Vor allem Shiho konnte sie eindeutig ansehen, das hier weit mehr als Freundschaft zu dem Detektiv im Spiel war. Das passte ihr nicht. Shinichi war Rans Freund. Niemand durfte sich zwischen die beiden stellen.

„Was verheimlichst du mir?“, forderte sie Shinichi heraus. Leider wurde ihr bewusst, das sie in ihr altes Schema mit Kaito geriet. Die aufbrausende Seite kam langsam aber sicher zum Vorschein.

Shinichi blickte sie ertappt an, dann stopfte er sich seine Hände in die Hosentaschen und fasste sich wieder. Im selben Moment musterte er sie eben so skeptisch, wie sie ihn.

Es war zum aus der Haut fahren. „Ich finde das absolut nicht lustig, das du mir etwas verschweigst. Ich dachte wir wären beste Freunde.“

„Ich verschweige dir etwas? Könnte das nicht auf Gegenseitigkeit beruhen?“

Aoko blickte ihn für einen kurzen Moment entsetzt an, dann jedoch fasste sie sich wieder und verschränkte beleidigt ihre Hände vor der Brust. „Ich habe keine Ahnung wovon du redest.“

„Ich habe das Gefühl, dass du sehr genau weißt wovon ich rede“, sprach Shinichi weiter.

Aoko blickte ihn stumm an. Er ahnte etwas... Shinichi ahnte etwas. .. Aber woher? Hatte Shiho sie doch erkannt und ihm gesteckt, dass sie Aoko war? Aber woher hätte sie denn wissen sollen, welches Spiel sie beide hier spielten?

Sie kamen an ihrem Treffpunkt an und trennten sich. „Wir sehen uns morgen, Shinichi“, verabschiedete sich Aoko und auch der Schülerdetektiv nickte ihr zu. „Bis morgen, Ran.“ Und wieder betonte er ihren Namen so komisch.

Aoko wurde unwohl und sie machte sich schleunigst aus dem Staub. Verdammt er ahnte irgendwas, oder wusste er es schon? Sie musste tauschen. Die ganze Sache wurde Aoko jetzt zu heiß.

Misstrauen

„Ran, bitte, wir müssen tauschen!“

„Noch nicht, Aoko. Gib mir noch ein paar Tage, ja? Es ist wirklich wichtig.“

„Aber ich kann das nicht länger aufrecht erhalten. Shinichi ahnt bereits was.“

„Halte ihn noch etwas hin. Bitte, ich kann jetzt noch nicht, aber bald.“

„Ran, ich...“

„Ich meld mich bei dir, versprochen“, antwortete Ran und legte auf.

Aoko starrte auf das dunkle Handydisplay und verzweifelte. Tränen stiegen ihr in die Augen. Wie sollte sie Shinichi nur von seinem Verdacht abbringen? Sie überlegte. Shinichi hatte einen Messerscharfen Verstand. Nicht umsonst war er bekannt als derjenige, der jeden Fall zu lösen vermochte.

Sollte sie Shiho einweihen? Schnell verwarf sie den Gedanken wieder. Zum einen würde diese sie sofort auffliegen lassen, wenn sie es nicht sogar schon getan hatte, und zum anderen musste sie für Ran versuchen Shiho von Shinichi fern zu halten. Es war zum Verzweifeln. Zu allem Überfluss fehlten ihr ihre eigenen Freunde. Keiko, mit der sie über alles reden konnte und Kaito. Es fehlte ihr ihn nicht mehr mit dem Mopp zu jagen oder ständig mit ihm zu streiten.

„Mist“, entfuhr es ihr schniefend und im nächsten Moment umfasste sie ihre Knie und versteckte den Kopf, während sie leise in Rans Zimmer auf dem Bett saß und schluchzte.
 

***

***
 

Ran legte auf, schaltete ihr Handy auf lautlos und folgte den Stufen zum Dach hinauf. Er würde sicherlich von hier oben verschwinden. Sie musste es einfach wissen. Sie musste es wissen für sich und für Aoko. Alles sprach dafür. Plötzlich verharrte sie in der Bewegung. Und was dann? Würde sie es Aoko verraten? Was würde dann passieren? Sie hatte Abstand zu ihm, obwohl sie ihn ganz nett fand. Und sie würde sich sehr freuen wenn Aoko und er mal zueinander finden würden. Aber er belog ihre Schwester und das schon ziemlich lange. Er war der Feind ihres Vaters, er war ein Dieb und alles andere als recht schaffend. Was sollte sie also mit dem Wissen tun, wenn es denn wirklich so wäre?

„Sollten Sie nicht weiterwollen, so würde ich mich freuen wenn Sie mir den Weg frei machen.“

Aus den Gedanken geholt, drehte sie sich rasch um und starrte ihn mit großen Augen an. So nah stand er ihr. Ein attraktiver Mann, ganz in weiß mit einem weißen Zylinder auf dem Kopf. Sein Gesicht lag absolut in der Dunkelheit.

Ihr Herz jagte im Galopp und sie wusste nicht was sie tun sollte. Das er gestern Abend so spät kam, weil er noch einen Raubzug hatte, konnte sie sich zusammenreimen. Immerhin hatte ihr Vater ihr erzählt wann genau Kid zuschlug und sie wusste wann Kaito vor ihrer Haustüre erschien. Wenn er es also wirklich war, würde er ihr jetzt nichts tun... aber wenn sie sich irrte, dann wäre sie in Lebensgefahr. „Kaito Kid?“, hauchte sie ängstlich.

„Es freut mich Sie wieder zu sehen, Fräulein Nakamori.“

Wieder zu sehen? War Aoko ihm schon mal begegnet? Das hatte ihr ihre Schwester gar nicht erzählt.

Von unten im Treppenhaus hörte sie die Stimme ihres Vater tönen. „Er ist aufs Dach! Los! Ihm nach!“

„Ich würde ja gerne mit Ihnen weiter plaudern, aber wie Sie hören wird Ihr Vater bald hier erscheinen und ich habe leider noch etwas anderes vor.“

Sie wusste nicht wie Aoko ihm gegenüber aufgetreten ist, aber sie musste etwas tun. Wenn ihr Vater hier hoch kam und Kaito, wenn er es wirklich war, festnehmen würde, so würde Aoko nie wieder ein Wort mit ihm reden. Wenn Sie ihn fliehen lassen würde, so würde sie nie erfahren ob er es denn wirklich ist. Immerhin vermutete sie es, sie hatte keinerlei Beweise. Aber wenn sie die Bestätigung hatte und Aoko davon erfahren würde...

Würde eine Freundschaft solch einen Vertrauensbruch überhaupt überstehen?

„Da Sie nicht zur Seite weichen, tut es mir jetzt schon unendlich leid Ihnen das hier zumuten zu müssen“, sprach er plötzlich, zog eine kleine Sprühdose hervor und nebelte Ran ein. Sie atmete einen beißenden Dampf ein. Im nächsten Moment spürte sie wie ihre Glieder schwach wurden und sie schlagartig müde wurde. Verschwommen nahm sie noch wahr, wie Kid direkt vor ihr stand, da fielen schon die Augen zu.
 

***

***
 

Aoko gab sich jede Menge Mühe, Shinichi gelassen gegenüber zu treten. „Guten Morgen, Shinichi!“

„Guten Morgen, Ran“, er betonte ihren Namen wieder so bewusst, dass ihr ein Schauer über den Rücken fuhr. „Ich weiß es ist etwas kurzfristig, aber ich muss unbedingt mit dir reden.“

Um Fassung bemüht, blickte sie ihn fragend an. „Ja klar. Um was geht es denn?“

„Um unsere Reise nach Amerika“, antwortete er. Sein Blick lag undurchdringlich auf ihr. Sie spürte seine Skepsis, sein Misstrauen ihr gegenüber in jeder Pore.

„Ja, klar, wann und wo sollen wir uns treffen?“

„Nach der Schule. Lass uns ins Aquarium gehen.“

Der Vorschlag gefiel ihr sehr. Mit Kaito konnte sie nie ins Aquarium gehen, weil dieser eine Fischphobie hatte. Er war auch der einzige Mensch auf der ganzen Welt den sie kannte der Angst vor Fischen hatte. Etwas erleichtert stimmte sie lächelnd zu und auch Shinichi lächelte sie plötzlich friedlich an.

Vor dem Schultor trafen sie auf Sonoko, die sofort Aoko um den Hals fiel. „Ich muss dir unbedingt was erzählen. Weißt du was passiert ist? Makoto hat mich zu einem Date eingeladen,“ säuselte sie, schnappte sich ihren Arm und zog sie von Shinichi weg.

„Wow, das freut mich für dich, Sonoko“, und Aoko freute es wirklich. Auch wenn Rans beste Freundin etwas eigen war und ein wenig hochnäsig und sehr verwöhnt, so hatte sie diese in ihr Herz geschlossen. „Was wirst du anziehen? Und wohin geht ihr überhaupt?“

Während sie mit Sonoko den Klassenraum aufsuchte, entging ihr nicht wie eindringlich Shinichis Blick auf ihr lag. Sie war froh wenn sie mit Ran endlich wieder tauschen konnte.
 

***

***
 

Der Wecker zwitscherte immer wieder ein „Guten Morgen, Schlafmütze“. An diesen Wecker, der aussah wie ein Huhn, würde sie sich nie gewöhnen. Niemals. Ihr Kopf brummte und langsam schlug sie die Augen auf. Was war nur passiert? Warum hatte sie Kopfschmerzen? Und dann fiel es ihr wieder ein. Kid und sie trafen sich im Treppenhaus des Museums. Und dann wurde ihr so komisch und Kid.... sie sah sich um. Es war das Zimmer ihrer Schwester. Wie war sie nur nach Hause gekommen?

Es klopfte an ihrer Zimmertüre. „Bist du wach, mein Engelchen?“

Paps.

„Ja“, krächzte Ran mit belegter Stimme und richtete sich langsam im Bett auf.

Ihr Vater öffnete die Zimmertüre und trat ein. „Es tut mir leid, aber ich muss nochmal ins Revier. Wir haben eine Nachbesprechung.“

„Nachbesprechung?“

„Kid konnte mit dem Edelstein entkommen. Als wir aufs Dach kamen sahen wir nur noch wie er mit seinem Gleiter davon schwebte.“

Ran überlegte. Wo war sie denn gewesen? Eigentlich hätte er sie im Treppenhaus sehen müssen. Und wie war sie heimgekommen?

„Er konnte entkommen?“

„Leider ja. Mein Chef ist nicht begeistert. Da unsere Erfolgsquote gegen Kid gleich null ist. Es gibt jetzt eine Sondersitzung.“ Er wollte schon gehen, dann drehte er sich nochmals um. „Wie war dein Abend?“

Ran schluckte. Sie wusste nicht was sie antworten sollte. „Einsam... Daher bin ich früh ins Bett.“

„Es tut mir leid. Ich werde mir mehr Zeit für dich nehmen.“ Als glaubte er an seine eigenen Worte, rang sich der Kommissar ein Lächeln ab und verließ dann das Zimmer.

Irgendwie glaubte Ran ihm nicht und zum ersten Mal verstand sie Aoko. Sie war oft allein zuhause und Paps immerzu mit dem Meisterdieb 1412 beschäftigt. Kein Wunder das sie Kaito Kid hasste. Aber was sollte sie nur machen, wenn sich ihr Verdacht bestätigte und Kaito der besagte Meisterdieb ist. Wie sollte sie sich Aoko gegenüber verhalten oder die Situation erklären?

Langsam stand Ran auf. So ganz fit war sie nicht, ihre Knie waren noch etwas weich. Was auch immer Kid mit ihr gemacht hatte, es hatte Nachwirkungen auf ihren Körper.

Sie zog sich an, ging in die Küche und frühstückte eine Kleinigkeit. Dann schnappte sie sich ihre Schultasche und zog die Schuhe an. In diesem Moment klingelte es.

Wut machte sich in ihr breit. Der konnte was erleben. Das Zeug, was auch immer er benutzte, war schädlich. Egal ob er Kid war oder nicht, sie würde ihrem Ärger nun lauthals Luft machen.

„Guten Morgen, Ahoko“, grölte er ihr fröhlich entgegen.

Sie zog ihre Augenbrauen finster zusammen. „Baka, was hast du eigentlich genommen?“

„Nichts, ich habe geschlafen und du?“

„Ich nicht. Unter Drogen gesetzt und weggebeamt trifft das was mir widerfahren ist wohl eher.“

Sie zog die Haustüre zu und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zur Schule.

„Was ist passiert?“

Scheinheiliger Idiot, dachte sie sich. „Ich habe gestern Kid getroffen. Und was auch immer er gemacht hat, das Zeug ist lebensgefährlich“, fing Ran schon an und beobachtete während ihrer Vorhaltung sein Verhalten. Er tat so als würde es ihn eher nicht interessieren, dennoch verriet er sich zwischendrin doch. Manchmal zuckte er kaum merklich zusammen. „Weiß dieser idiotische Dieb überhaupt was er für gefährliche Substanzen mit sich führt? Meine Knie waren heute morgen butterweich. Mein Kopf dröhnt und ich fühle mich wie ausgekotzt und von einem Laster überrollt.“ Sie holte kurz Luft und preschte weiter. „Einsperren soll mein Vater ihn und zwar schnell. Wer weiß ob das Zeug nicht irgendwelche schädlichen Folgen hat, krebserregend ist oder sonstige Chemikalien darin erhalten sind die gesundheitsschädlich sind.“ Dann holte sie zum finalen Schlag aus. „Außerdem hat mein Vater heute eine Sondersitzung in der sie die gesamte Arbeit gegen Kid infrage stellen.“

Kaito schluckte, setzte an um etwas zu sagen, schloss den Mund wieder. Überlegte neu und sprach schließlich. „Das klingt ja schrecklich. Bist du dir sicher, das du Kid begegnet bist? Das klingt ja alles nicht nach dem Meisterdieb, der immer darauf bedacht ist niemanden zu verletzen.“

Ran blitzte ihn an. „Baka, glaubst du etwa ich bin blöd und erkenne Kid nicht wenn er vor mir steht?“

Kaito fasste sich wieder und begann hämisch zu grinsen. „Vielleicht erklärt das auch deine Butterweichen Knie. Der Dieb hat es dir wohl angetan.“

„Du Idiot, das stimmt doch nicht.“ Diese Aussage ließ Ran nicht auf sich sitzen und sie jagte Kaito bis zur Schule.
 

Ganz außer Atem ließ sich Ran auf ihren Sitzplatz fallen. Aokos Leben war gar nicht so einfach und sie musste eine wahnsinnige Kondition haben. Erst der Marathon-Lauf zur Schule, dann die Jagd mit dem Mopp durch das Klassenzimmer, die ewige Streiterei und zu guter Letzt musste sie nun auch noch nachsitzen und wie sie erfuhr nicht zum ersten Mal. Nebenbei hat sie nichts und absolut gar nichts vom Unterricht mitbekommen und fragte sich wie Aoko es schaffte noch gute Noten heimzubringen. Wenn das so weiter ging, müsste sich Ran bald Nachhilfe organisieren. Es gab schon jetzt einiges im Unterricht für sie zum Nachholen.

Ein Blick zu Kaito und sie packte wieder die Wut. Er war nicht einmal außer Atem. Andererseits musste er als Kid eine Ausdauer an den Tag legen um die Polizei auszutricksen und fliehen zu können. Das schlimmste stand ihr aber nun noch bevor. Sie hatte gleich Sport.

Keiko trat an ihren Tisch heran. „Wir müssen los, kommst du?“

Alle anderen haben den Raum bereits verlassen. Mühsam stand Ran auf und fragte sich erneut wie Aoko solch einen Tag bloß überstand.

„Wir haben heute Sport mit den Jungs zusammen. Frau Ahiko ist krank.“

Auch das noch, dachte sich Ran und nickte Keiko zu. „Dann los, nicht das wir noch zu spät kommen und noch mehr Ärger bekommen.“

Wenig später standen sie in der Mädchenumkleide und zogen sich ihre Sportsachen an.

Akako schnalzte mit der Zunge während sie Ran aufmerksam musterte. „Hast du dir in den Ferien die Brüste machen lassen? Sonst warst du doch immer so flach wie ein Brett.“

Schnell bedeckte Ran ihre Oberweite und warf der eingebildeten Schönheit einen finsteren Blick zu. „Und wenn es so wäre ginge es dich nichts an.“

„Aoko hat sich die Brüste machen lassen“, kicherte sie nun übertrieben und verschwand aus der Umkleide. Die anderen Mädchen warfen Ran auch interessierte Blicke zu, ehe sie sich aus dem Staub machten. Keiko blieb bei ihr und legte ihr tröstend eine Hand auf den Rücken. „Mach dir nichts draus. Du kennst sie ja.“

„Ja“, stimmte Ran lapidar zu und zog sich das T-Shirt über. Es war wirklich nicht einfach alle an der Nase herumzuführen.

Als sie die Turnhalle betrat richteten sich alle Augen auf Ran. Scheinbar hatte Akako bereits von der Neuigkeit berichtet. Kam es ihr nur so vor oder starrten einige der Jungs auf ihre Oberweite? Unsicher suchte sie unter den Mitschülern Kaitos Blick. Dieser schien sie finster zu beobachten. Da hatte Akako was angeleiert. Aoko sollte auf jeden Fall vorbereitet sein, wenn sie zurück kam.

Keiko zog Ran mit sich auf die Bank und dann kam der Sportlehrer. „Wie ihr seht, haben wir heute gemeinsam Sport. Wir teilen uns jetzt in Gruppen auf und bauen einen Zirkelparcour auf, diesen trainieren wir heute.“ Schon teilte er die Gruppen ein und verteilte die Aufgaben. Wenig später stand alles bereit und kleinere Gruppen teilten sich über die Stationen auf. Akako, Ran und Keiko standen zusammen. Warum Akako von dem Sportlehrer ausgerechnet zu Ran in die Gruppe geteilt wurde, blieb der Zwillingsschwester von Aoko wohl ein Rätsel.

Ihnen gegenüber stand Kaito mit zwei Kumpels. Sie spürte seinen Blick und wünschte sich das dieser Tag endlich um wäre.

Aufgeflogen

Ran hatte genug von dem Theater. Kaito schwieg sie seit dem Sportunterricht an. Was sollte das? Sie fand keine ruhige Minute während dem Mittagessen und er wich ihr aus. War das zu glauben? Was hatte sie nur getan, das er Grund hatte sauer auf sie zu sein? Nur wegen Akako, dieser blöden Schnepfe? Glaubte er immer sofort Gerüchte ohne sich selbst nach der Wahrheit zu erkundigen? Sie fand ihn bei einigen männlichen Mitschülern. „Wir müssen reden“, forderte sie ungestüm.

Kaito blickte auf. „Wozu?“

„Weil ich etwas dringendes mit dir besprechen muss“, erklärte sie, um einen ruhigen Tonfall bemüht.

Die männlichen Mitschüler begannen zu pfeifen: „Oho, Kaito deine Ehefrau verlangt nach dir.“

„Geh lieber mit, nicht das du hinterher noch richtigen Ehekrach hast“, stichelte ein anderer Mitschüler.

Ran musste sich erst an diese seltsame Neckerei untereinander gewöhnen und ignorierte nur noch die ständigen Anspielungen. Wie hielt Aoko das alles nur aus? Klar stritt Ran mit Shinichi genauso, aber nur zum Spaß und wenn er sie ärgerte. Die meiste Zeit über kamen sie friedlich miteinander aus. Aoko hatte Recht. Es wird Zeit zu tauschen. Aber diese eine Sache musste sie nun noch mit ihm klären. Auch wenn sie immer noch nicht wusste, was sie mit der Wahrheit anfangen sollte.

Kaito ging nicht auf die Provokationen der Mitschüler ein, ignorierte diese ebenso, und stand dann letztendlich auf. Scheinbar sah er ein, das es wirklich dringend war. „Wehe es ist nicht wichtig, Ahoko!“

„Baka, natürlich ist es wichtig“, schimpfte Ran in alter Manier, wie so oft in den letzten Tagen. Er brachte sie langsam aber sicher zur Weißglut. Gemeinsam suchten sie sich ein ruhiges Plätzchen.

Sie gingen aufs Schuldach. Dort würde jetzt niemand zu finden sein und Ran könnte in aller Ruhe das Thema auf Kid lenken.

Die beiden fanden wirklich niemanden vor und als die Türe hinter ihnen ins Schloss fiel, brodelte es aus Ran heraus. „Findest du es nicht auch seltsam wie ähnlich Kid und du euch seid? Ihr könnt beide arrogant sein, zeigt niemanden eure wahren Gefühle, euer wahres Ich und ...“

Kaito begann zu lachen. „Bitte was? Wie kommst du denn jetzt darauf, Aoko?!“ Und so wie er den Namen betonte zuckte Ran zurück. Misstrauisch zog sie ihre Augenbrauen zusammen und musterte ihr Gegenüber. Wieder mal konnte sie nichts in seinem Gesicht lesen. Keine Gefühle, keine Regung, kein Anzeichen was ihm durch den Kopf gehen könnte.

„Das hat mehrere Gründe“, fasste sie nochmals zusammen. „Erstens bin ich Kid begegnet und die Ähnlichkeit die ihr beide aufweist ist nicht zu übersehen, zweitens hat Hakuba gesagt ...“

Plötzlich machte Kaito ein Satz vor, baute sich fast bedrohlich vor ihr auf und blickte sie mit finsterem Gesichtsausdruck an. „Hakuba“, schnaubte er wütend. „Seit wann glaubst du diesem Möchtegern-Detektiv? Was ist das überhaupt zwischen euch? Seid ihr jetzt Freunde?“

Ran wich zurück. Einerseits schüchterte er sie ein, andererseits faszinierte es sie, das er in diesem Augenblick Gefühle durch ließ. War er etwa eifersüchtig? „Und wenn es so wäre?“, provozierte sie. Aoko würde sie hassen, dennoch reizte es sie durch diese Maske der Gleichgültigkeit endlich durchzudringen: „Was wäre wenn es mehr als Freundschaft ist?“

In diesem Moment entglitten dem Jungen ihr gegenüber wirklich alle Gesichtszüge. Erschrocken über ihre Worte wich er zurück. Auch wenn sein Körper sich nicht bewegte, so spürte sie seine innere Verängstigung. In diesem Moment tat es Ran leid. Sie kannte Kaito überhaupt nicht. Sie wusste nicht was er durchlebt hat, wusste nichts von seinen Gefühlen und seinen Ängsten, die er doch innerlich zu haben schien... er trug einfach nur nichts nach außen, machte alles mit sich selbst aus. „Es tut mir leid, Kaito. Ich wollte dich nicht verletzen“, entschuldigte sie sich sofort aufrichtig und ließ den Freund ihrer Schwester nicht mehr aus den Augen.

Es dauerte einen Moment, doch dann war die Maske wieder da. Kein Gefühl drang mehr durch. „Sag mir jetzt einfach was du von mir willst und dann kannst du zu Hakuba gehen“, knurrte er.

Ran wusste erst jetzt was sie überhaupt angerichtet hatte mit ihrer unbedachten Aussage. Wie sollte sie das nur wieder kitten? „Ich werde sicher nicht zu Hakuba gehen. Ich möchte einfach nur wissen, warum du Kid bist“, sprach sie es aus. Und dann fragte sie sich wieder, was es sie überhaupt anging. Eigentlich sollte er es Aoko erklären, denn er belog bereits eine ganze Weile ihre Schwester. Sie selbst hatte damit nichts zu tun. Unsicher kaute sie nun auf ihrer Unterlippe herum und bereute es erneut einfach vorgeprescht zu sein.

„Wozu? Damit du es Hakuba erzählen kannst oder gleich deinem Vater?!“

Sie hörte ihm an, wie verletzt er über diesen Vertrauensbruch war. Das lag wirklich nicht in ihrer Absicht.

„Ich bin nicht Kid“, dementierte er schließlich. „Wenn dieser Hobbydetektiv anderer Meinung ist, soll er mir erst mal Beweise vorlegen.“ Kaito rümpfte seine Nase. „Die Pause ist gleich zu Ende.“ Er drehte sich um und ging zur Türe.

„Du hast recht, Kaito. Es geht mich wirklich nichts an“, versuchte Ran ihn vom Gehen abzuhalten. So konnte sie das ganze nicht stehen lassen. Er durfte nicht auf Aoko sauer sein. Ihre Zwillingsschwester konnte nichts für Rans Dummheit. Sie musste es wieder gut machen. Das Spiel war doch sowieso vorbei. Aoko meinte doch, das Shinichi es bereits ahnte. Ihr bester Freund war nicht dumm und ließ sich nicht täuschen. Eine Woche hatten die Mädchen gebraucht um sich halbwegs in ihrem Rollentausch auch sicher zu fühlen und keine drei Tage hat es gedauert, da waren sie aufgeflogen. Aber war es nicht besser so? Sie wollte niemanden mehr anlügen und täuschen. Sie wollte zu ihren Freunden zurück. „Aber was auch immer du hinter deiner Maske der Gleichgültigkeit versteckst ...“

„Maske der Gleichgültigkeit?“ Er klang belustigt. „Ich nenne es Pokerface.“

Schon wieder hatte er sie unterbrochen. Egal wie er es nannte, er musste es vor Aoko ablegen. Ihrer Schwester zuliebe. „Sei ehrlich zu Aoko. Sie hat es verdient das man ehrlich zu ihr ist.“

„Was?“

Ran sah wie Kaito sich zu ihr umdrehte und senkte den Kopf. Das Spiel war sowieso vorbei. Es war besser so. „Aoko macht sich Sorgen um dich. Sie weiß das du deine Gefühle überspielst, aber genau das verletzt sie so sehr. Du machst sie traurig.“

Kaito entglitten wieder die Gesichtszüge.

„Sie kommt wieder zurück. Zurück zu dir, nicht zu Hakuba!“ Ran blickte besorgt zu ihm auf. „Entschuldige, das war wirklich gemein von mir. Aoko hat hiermit nichts zu tun. Das war ganz allein meine Idee.“

„Also doch, ich habe es mir nicht eingebildet“, sprach er mehr zu sich als zu ihr.

Ran stutzte, überlegte und dann fiel ihr ein, das er sie die gesamte Zeit auch schon am Samstag so misstrauisch angesehen hatte. War sie schon so frühzeitig aufgeflogen? Es war wohl nun an ihr ihn aufzuklären. „Ich bin Ran Mori. Im Englischcamp hab ich Aoko kennengelernt. Wir fanden heraus das wir Zwillinge sind. Unsere Eltern haben sich und somit auch uns ein halbes Jahr nach der Geburt getrennt. Sie wollte unsere Mama kennenlernen und ich unseren Papa. So haben wir entschieden die Rollen zu tauschen.“ Sie sprach am Stück, ließ Kaito nicht zu Wort kommen. „Es war dumm und gewagt, aber ich hätte ihn sonst nie kennen gelernt“, fügte sie wehmütig hinzu. „Sei Aoko nicht böse, bitte Kaito. Sie wollte dich ganz sicher nicht verletzen oder verraten.“

Kaito sichtlich überfordert mit den Informationen starrte sie reglos an. „Wo ist sie jetzt?“

„In meinem Leben“, antwortete Ran. „Shinichi Kudo ist mein bester Freund“, sie wusste das er Kid war, auch wenn er es dementierte. „Sonoko Suzuki ist meine längste und beste Freundin“, sollte ihm auch etwas sagen, immerhin wurde er von Herrn Suzuki letzten Sonntag herausgefordert. Aber das würde er nicht zugeben, denn dann würde er sich als Meisterdieb 1412 outen, was er nicht wollte. Aber sie hoffte, dass er wenigstens ehrlich zu Aoko wäre.
 

***

***
 

Am Nachmittag verließ Aoko mit Shinichi die Schule und sie gingen zum Aquarium. „Ich war ewig nicht mehr im Aquarium“, gestand Aoko und war schon ganz aufgeregt. Ob sie viele neue Fische hatten?

Shinichi runzelte die Stirn. „Wir waren doch erst vor einem Monat dort.“

Aoko rutschte das Herz in die Hose. Wirklich? War er mit Ran dort gewesen? Sie grinste und boxte ihm gegen den Oberarm. „Sag ich doch... ewig her“, riss sie das Ruder noch um und bemerkte wie seine Stirn sich wieder etwas glättete. Innerlich atmete Aoko auf. Niemals hätte sie gedacht, das es so schwer werden könnte. Dabei wollte sie doch nur ihre Mutter kennen lernen. Das war der einzige Wunsch bei diesem Theater.

Sie näherten sich dem Aquarium und Shinichi bezahlte für sie beide den Eintritt. Aoko dankte es ihm. Gemeinsam betraten sie die riesige Eingangshalle, in der ein Walskelett von der Decke hing. Ewig war sie nicht mehr hier gewesen und sie würde sich vornehmen schon bald mit Keiko hierher zu kommen.

Shinichi nahm sie plötzlich an der Hand und zog sie in eine bestimmte Richtung. Sie spürte seine langen Finger, seine warme Hand um ihre und wusste nicht so ganz einzuschätzen was das nun werden sollte. Er war so anders als Ran ihn beschrieben hatte. Er war weder traurig noch abweisend ihr gegenüber. Konnte es sein, dass Ran überhaupt nicht merkte wie Shinichi ihre Nähe suchte?

Ganz in Gedanken versunken, kam Aoko nicht einmal auf die Idee sich von dem besten Freund ihrer Schwester zu lösen. Sie merkte nicht einmal wie Shinichi plötzlich stehen blieb, denn sie lief direkt in ihn hinein. Überrascht blickte Aoko auf und begegnete seinen aufmerksamen blauen Augen. „Entschuldige bitte“, stammelte sie plötzlich. Sie fühlte sich ganz und gar nicht mehr wohl und sah sich kurz um.

Sie waren ganz allein in diesem Gang, umgeben von Glas, hinter dem die Fische schwammen. Ein traumhafter Teil dieses Aquariums, wenn sie nicht hier ausgerechnet mit Shinichi, dem Meisterdetektiv stehen würde. Sie wollte sich lösen, darauf bedacht, es nicht zu offensichtlich zu machen, aber er ließ es nicht zu. Stattdessen verstärkte er seinen Griff und zog sie noch ein wenig näher an sich heran.

Sie fühlte sich eingeengt, fast schon bedrängt, und wusste nicht was zu tun war. Er kam ihr plötzlich so nahe. Ihr Fluchtinstinkt setzte ein. Er schien das zu bemerken, denn schon riss er sie herum und drückte sie gegen die Scheibe des Aquariums.

Aoko spürte seinen Körper, der sich an ihren heranschob, spürte wie seine Finger den Griff um ihre Hand verstärkten, als hätte er Angst sie würde ihm entkommen. Mit der freien Hand stützte er sich an die Scheibe und beugte sich näher zu ihr hinab. Seine blauen Augen hielten sie in seinem Blick gefangen.

Aoko konnte nichts aus seinem Gesichtsausdruck schließen. Er ließ keine Gefühlsregung durch. Ihr wurde diese Situation immer unangenehmer. Sie spürte wie ein riesiger Schatten sich in ihrem Rücken näherte. Es fühlte sich alles wie eine Bedrohung an. Diese ganze Situation war so beängstigend. War es das vielleicht was Ran meinte, dass er nicht mehr wie er selbst war. War das der Shinichi den Ran beschrieben hatte?

Der Oberschüler schob sein Gesicht näher an ihres und sie spürte seinen Atem in ihrem Gesicht. Würde er sie...jetzt... küssen?! Was sollte das? Sie wollte ihn überhaupt nicht küssen. Sie wollte ihm nicht so nah sein.

„Ran“, hauchte er plötzlich, während er sich noch ein weiteres Stückchen näherte. Zwischen ihnen war nicht mehr viel Platz. Aoko drückte ihren Kopf zurück, fester gegen die Scheibe, konnte aber nicht mehr weiter und war gefangen. Verzweifelt versuchte sie ihre Hand zu befreien, aber sein Griff war fest. Nicht verletzend, aber unlösbar.

„Shinichi, was soll das werden?“, versuchte sie zu witzeln, aber ihre Stimme versagte und es klang eher verzweifelt.

„Ich muss dir etwas sagen, aber dazu später.“ Er beugte sich näher an sie heran. Seine Lippen die nicht mehr unweit von ihren waren. Es war nicht richtig, das sie ihn küsste. Er war Rans Liebe. Und sie wollte nur Kaito. Kaito war der einzige Junge den sie küssen würde. Bevor seine Lippen ihre berühren konnten, riss sie den Kopf zur Seite und spürte seinen Atem direkt an ihrem Ohr.

Der gigantische Schatten zog über sie hinweg, verdunkelte die Umgebung etwas. Doch dann wurde es wieder so hell wie zuvor. Nun erkannte sie was es war. Einer der zwei Walhaie, die es seit ein paar Monaten in diesem Aquarium gab. Sie hatte davon in der Zeitung gelesen. Dieser riesige Hai, der größte auf der ganzen Welt, zog galant über ihnen hinweg und suchte seinen Weg durch das gigantische Becken.

„Ich weiß, dass du nicht Ran bist. Hör auf mir etwas vorzuspielen. Meine beste Freundin, die ich fast genauso lange kenne wie mich selbst, kann niemand ersetzen. Wer bist du und was hast du vor?“

Aoko spürte ihre Knie weich werden. Sie wusste es, hatte es am Abend vorher schon geahnt. Er war nicht dumm. Wie konnte Ran nur annehmen das sie ihn täuschen konnten?

„Was erzählst du da?“, versuchte Aoko das Ruder nochmal herum zu reißen, aber es war zu spät. Sie war aufgeflogen.

„Wer bist du?!“ Es klang schneidend.

Plötzlich versteifte sich Aoko und hielt die Luft an.

„Wo ist Ran?“, forderte er nachdrücklich eine Antwort.

„Ich weiß nicht was du meinst“, ihre Stimme bebte.

„Das Spiel ist aus. Ich mein es ernst: Wo ist Ran?!“ Nun klang er nicht mehr sehr freundlich.

Zaghaft hob sie ihren Blick und schaute in einen finsteren Gesichtsausdruck. Mit ihm war nicht mehr zu spaßen. Wie er schon sagte, das Spiel war vorbei. Sie seufzte. „Ich bin Aoko und Ran ist zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich mit meinen Freunden unterwegs.“

Shinichi löste sich von ihr und trat zurück. „Warum?“

Aoko spürte wie weich ihre Knie waren und ließ sich auf den Boden hinabrutschen. Ihr Herz klopfte wie wild und das Zittern in ihren Fingern versuchte sie zu unterdrücken. „Wir wussten nichts voneinander“, gestand sie. „Wir haben uns im Englischcamp kennengelernt und herausgefunden wer wir sind. Ich habe meine Mutter nie kennengelernt. Unsere Eltern haben sich kurz nach unserer Geburt getrennt und dabei haben sie auch uns getrennt.“ Unsicher blickte sie auf und erstarrte. Shinichi sah sie mit einem undurchdringlichen Blick an. Ihr stiegen Tränen in die Augen. „Ich wollte nur meine Mutter kennen lernen. Ran wollte unseren Vater kennen lernen. Da kamen wir auf die Idee Rollen zu tauschen.“

„Ihr seid Zwillinge“, murmelte er mehr für sich. Lauter fügte er dann hinzu: „Und ihr habt wirklich geglaubt, das es keiner bemerkt?“

„Natürlich nicht“, funkelte sie ihn plötzlich an. „Dumm sind wir nicht. Es war uns beiden klar, das es schwierig wird. Und ich wollte eigentlich heute wieder die Rollen tauschen.“

„Was ist dazwischen gekommen?“

„Ran wollte noch nicht. Sie bat mich noch ein paar Tage durchzuhalten.“

Shinichi zog skeptisch die Augenbrauen zusammen. Er trat näher an sie heran und hockte sich plötzlich vor Aoko. Sein finsterer Gesichtsausdruck wich einem besorgten. „Und wie stellt ihr euch das nun vor? Kehrt ihr einfach wieder in eure Familien zurück in dem Wissen, dass deine Mutter in der selben Stadt lebt aber nach wie vor nichts von dir weiß?“

„Ich weiß es nicht...“, hauchte Aoko verzweifelt und schlug sich die Hände vor das Gesicht.

Besorgt sah Shinichi das Mädchen vor sich an.

Hallo Mama. Hallo Papa.

Es war soweit. Aoko wusste, das Ran sich Kaito gegenüber verraten hatte. Ran wusste, das Shinichi Aoko durchschaut hatte. Die Würfel sind gefallen. Nun stand Aoko zögernd auf der untersten Treppenstufe. Kogoro war in der Detektei und kümmerte sich um einen Fall. Ihre Mutter kochte in der Küche das Essen, somit waren sie allein. Eine ideale Gelegenheit zu ihr zu gehen, aber Aoko traute sich nicht. Die junge Nakamori hatte Angst vor Eris Reaktion. Sie schämte sich für diese hinterhältige Aktion. Aber es half alles nichts, sie musste sich der Wahrheit stellen. Tief durchatmend ging sie in die Küche und verzog das Gesicht. Es roch ganz und gar nicht gut. Dennoch beobachtete sie ihre Mutter, die sich wirklich sehr viel Mühe gab und mit den wenigen Töpfen hantierte. „Mama.“

„Schatz, das Essen dauert noch ein bisschen.“

Aoko hatte keinen Appetit. Zu schwer drückte ihr dieses Gespräch auf den Magen. „Darum geht es nicht. Kann ich dir etwas sagen ohne das du ausflippst? Ich meine, versprichst du mir, dass du ruhig bleibst und mir erst zuhörst?“

„Das kann ich dir grundsätzlich nicht versprechen, Ran. Aber du kannst mir alles erzählen, das weißt du doch“, forderte Eri auf, blickte über die Schulter und schien zu spüren, das es wirklich wichtig war. Ein liebevolles Lächeln legte sich auf deren Lippen. „Geht es um Shinichi?“

Überrascht zog Aoko die Augenbrauen hoch. „Wie kommst du denn darauf?“

„Ach Schatz, dass du verliebt bist, weiß ich doch schon lange. Und Shinichis Einladung, mit ihm nach Amerika zu reisen, spricht doch eindeutig dafür, dass er auch dich liebt“, stellte ihre Mutter fest.

Ein trauriger Ausdruck zog über Aokos Gesicht. Ob ihre Mutter auch so begeistert von Kaito wäre? Sie schüttelte den Kopf über diesen dummen Gedanken. Sie waren nur Freunde und nur weil sie sich in ihn verliebte hieß das ja noch lange nicht, das es andersrum auch so war.

Eri runzelte die Stirn, schaltete den Herd aus und schob die Töpfe auf die kalten Platten. Besorgt drehte sie sich ganz ihrer Tochter zu und deutete auf den Esstisch. „Was ist denn mit dir? Du siehst so bedrückt aus. Hast du dich mit Shinichi gestritten?“ Eri setzte sich an den Tisch.

Und Aoko war froh darüber, so konnte ihre Mutter ihr nicht aus den Latschen kippen. Aber Angst vor ihrer Reaktion hatte sie dennoch.

„Es geht nicht um Shinichi und auch nicht um den Urlaub oder meine Gefühle um“, sie zögerte, wollte mit ihrer Mutter über ihren besten Freund reden. Dann entschied sie sich dagegen. Es würde vielleicht noch mehr Gelegenheiten geben und wenn Eri sie nie wieder sehen wollte, dann wäre es sowieso egal für wen Aoko etwas empfand. „Es geht um mich“, fügte sie hinzu.

„Bist du schwanger?!“

Noch überraschter stellte Aoko fest, wie entsetzt Eri über diesen Gedanken war. Schnell beruhigte sie ihre Mutter: „Nein, bin ich nicht. Keine Sorge. Ich habe ja nicht mal einen Freund.“ Sie suchte wieder den Blickkontakt. „Es geht um mich, A...“

„Bist du krank? Fehlt dir etwas mein Schatz?“, wurde sie erneut unterbrochen.

Langsam wurde Aoko sauer. Immerhin versuchte sie ihrer Mutter etwas wichtiges zu sagen. „Nein, Mama, ich bin nicht krank, mir geht es gut.“

„Aber Ran, was ist denn mit dir? Irgendwie bist du komisch“, stellte Eri besorgt fest und runzelte die Stirn, als würde sie damit herausfinden, was ihre Tochter ihr zu sagen versuchte.

„Ich bin nicht Ran, Mama!“ Jetzt war es raus und Aoko wollte es doch viel freundlicher und netter sagen und ihre Mutter vorsichtig darauf vorbereiten. Das hatte sie mal wieder gehörig vermasselt.

In Eris Kopf begann es zu arbeiten und mit einem Mal wurde sie kreidebleich.

„Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich. „Das war blöd von mir“, und schon überkam sie die Angst und Aoko drehte sich um und wollte nur noch weg. Doch kaum stand sie im Türrahmen hielt die Stimme ihrer Mutter sie zurück.

„Aoko?“ Ungläubig, verletzt, tieftraurig, schwach und voller Reue.

Die Braunhaarige erstarrte, konnte sich nicht mehr rühren. Sie stand mit dem Rücken zu ihrer Mutter und war nicht mehr fähig einen Schritt zu machen.

„Wie kann das sein?“, hauchte sie fragend, nicht verstehend. „Ich meine, woher...?“

Nun drehte sich Aoko doch wieder um. Auch ihre Augen schimmerten. „Woher ich es weiß? Ich habe Ran kennengelernt – im Englischcamp. Und wir fanden sehr schnell heraus, das wir Schwestern sind“, erklärte sie traurig. „Warum habt ihr euch getrennt? Warum habt ihr uns getrennt?!“

Eri wirkte mit einem Mal um Jahre gealtert. Resigniert und überrascht senkte sie den Kopf, schien in alten Erinnerungen gefangen und wirkte unendlich traurig und sorgenvoll.

Aoko schluckte. Sie wollte nicht so harsch vorgehen, aber mal wieder sind mit ihr die Pferde durchgegangen. Sie brachte aber auch nicht den Mut dazu auf zu ihrer Mama zu gehen und sie tröstend in den Arm zu nehmen.

„Ginzo und ich – mein Gott wir waren so verliebt“, sprach Eri plötzlich.

Damit hatte Aoko absolut nicht gerechnet. Überrascht betrachtete sie ihre Mutter.

„Aber dann wurde er befördert und wurde der Einsatzleiter der Sonderkommission KID. Ich war damals erst ein paar Wochen schwanger mit euch. Euer Vater kam immer seltener nach Hause. Er hat mich so oft allein gelassen und wenn ich ihn gebraucht habe, erreichte ich ihn nicht telefonisch.“ Sie schluckte. „Hätten wir keinen Kaiserschnitt-Termin gehabt, so hätte euer Vater sicherlich auch noch eure Geburt verpasst.“ Nun klang sie nicht mehr sehr freundlich. Ihr Ton wurde schärfer, die Wut kam zum Vorschein. Die Wut auf ihren Vater, der seine gesamte Energie und Zeit in den Meisterdieb 1412 setzte. „Ich hoffte, das er nach der Geburt etwas zurücktreten würde, aber es wurde noch schlimmer. Ich hielt das ganze nicht mehr aus, allein mit Zwillingen. Ihr seid gerade vier Monate alt gewesen, da hab ich den Schlussstrich gezogen.“ Sie pausierte erneut, sammelte sich: „Ich habe den Sinn in dieser Ehe, in dieser Familie nicht mehr gesehen. Ich zog aus und nahm euch beide mit.“

Überrascht blickte Aoko Eri an. Sie wurden beide von ihrer Mutter mitgenommen?

„Euer Vater kam nicht mit der Trennung zurecht und denselben Ehrgeiz den er auf der Jagd nach Kid aufbrachte, zeigte er auch immer wieder vor Gericht, bis er das Sorgerecht für eine von euch erhielt. Die Richter entschieden das Ran bei mir bleiben sollte und du zu deinem Vater ziehst. Natürlich legte ich die Fakten dar, nicht umsonst bin ich eine Anwältin. Aber er konnte dem Richter glaubhaft vermitteln sich gut um dich kümmern zu können. Er stand lange Zeit unter Beobachtung und ich stellte fest, dass er wirklich etwas kürzer trat in seinem Beruf. Du warst ihm sehr wichtig und er wollte dich wohl nie enttäuschen.“ Eri sah zum ersten Mal auf und schien nun wirklich einen Unterschied zu Ran zu entdecken. „Warum ist mir das bloß nicht schon vorher aufgefallen, aber ihr seht euch wirklich sehr ähnlich und ich habe überhaupt nicht damit gerechnet das du Aoko sein könntest. Wie hätte ich denn ahnen können, dass du noch in Tokio lebst.“

„Papa ist immer noch der Einsatzleiter in der Sonderkommission KID“, sprach Aoko. „Und er ist oft genug im Fernsehen.“

„Ich weiß, ich weiß, nur seitdem versuche ich ihn auszublenden“, gestand Eri. Dann stand sie plötzlich auf. „Mein Baby ist fast erwachsen“, hauchte sie komplett überwältigt und mit wenigen Schritten stand sie bei Aoko und umarmte sie fest.
 

***

***
 

Ran wartete darauf, dass ihr Vater von der Arbeit heimkam. Sie hatte sich in ihrem Verdacht bestätigt gefühlt, aber immer noch keinen Beweis oder gar ein Geständnis von Kaito für seine Identität als Kid. Aber das war auch nebensächlich. Viel wichtiger würde es jetzt sein mit ihrem Vater zu sprechen und ihm die Wahrheit zu sagen. Kaito würde heute Abend nicht zum Essen kommen. Es wäre ein familiäres Gespräch und taktvoll lehnte er die Einladung zum Essen ab. Er wollte dabei nicht stören.

Ihr Blick wanderte wieder unruhig zur Uhr. Jetzt sollte so langsam ihr Vater aber mal nach Hause kommen. Es war eh schon kaum zum Aushalten, weil sie überhaupt nicht wusste wie er reagieren würde. Und Ran versuchte sich vorzustellen wie ihre Reaktion in dieser Situation aufallen würde.

Dann endlich öffnete ihr Vater die Haustüre. „Ich bin wieder da“, rief er ins Haus und trat wenig später ins Wohnzimmer. „Hallo Aoko, ist Kaito noch gar nicht hier?“

„Er kommt heute nicht“, antwortete Ran und zuckte entschuldigend die Schulter.

„Habt ihr euch gestritten?“

Ich habe ihn verletzt, traf es wohl besser. Er kam immer noch nicht so ganz mit ihren Worten klar. Allein die Vorstellung Aoko könnte etwas mit Hakuba anfangen oder Gefühle für ihn entwickeln, nagte wohl sehr in ihm. Ran wusste, dass es kein sichtbareres Zeichen geben konnte für Kaitos Gefühle Aoko gegenüber. Aber ob er sich diese wohl wirklich selbst eingestand oder sogar ihrer Schwester offenbarte? Sie konnte da nicht so recht dran glauben. „Nein“, antwortete Ran. „Bevor wir essen würde ich gern etwas ansprechen.“

Ginzo nickte, setzte sich auf die Couch und deutete seiner Tochter ebenso Platz zu nehmen. Erwartend schaute ihr Vater sie an.

Er war ein Mann, der viel nachdachte, aber wenig von sich aus drängte. Er gab ihr die Zeit, die sie brauchte. Auch wenn die Sorgenfalte auf seiner Stirn sich noch vertiefte.

„Ich habe dich angelogen“, sprach Ran aus, weil sie einfach nicht wusste wie sie es sagen sollte.

Ginzo blieb stumm, wartete auf den Rest. Erst dann würde er Fragen stellen.

„Ich bin Ran und ich wollte dich kennen lernen, wissen wer du bist und wie du lebst.“ Es war ausgesprochen und aufmerksam beobachtete sie seine wandelnde Miene, von Überraschung in Erkenntnis.

„Das ist...“, er stockte ungläubig. „Ich habe jetzt eigentlich mit einer ganzen anderen Thematik gerechnet.“ Er betrachtete seine Tochter. Im nächsten Moment rutschte er zu ihr und zog sie fest in seine Arme. „Meine Tochter, du hast mir so sehr gefehlt! Ich kann es nie wieder gut machen, was wir euch angetan haben.“

„Papa“, hauchte sie überrascht. Jede mögliche Reaktion hatte sie durchgespielt, aber das er sie überglücklich in ihre Arme schloss, damit hatte sie nicht gerechnet. Sie drückte sich ebenfalls fest an ihn.

„Warum habt ihr das getan“, bat sie ihren Vater nach einer Weile.

Ihr Vater löste sich von ihr, lehnte sich zurück und zog Ran in seinen Arm. „Es war eine turbulente Zeit. Als eure Mutter mit euch schwanger wurde, erhielt ich plötzlich eine Beförderung. Man bot mir an die Einsatzleitung gegen den bis dahin ungefassten Meisterdieb 1412 zu übernehmen. Natürlich war mir der Gentleman-Gauner bekannt und ich hab mir fest vorgenommen ihn festzunehmen. Leider litt Eri sehr unter dem beruflichen Wechsel, die vielen Überstunden und das ich teilweise bis spät nachts im Büro war. Ich konnte sie nicht so unterstützen, wie sie es wünschte. Ich hätte nur die Beförderung ablehnen müssen oder in der Arbeit kürzer treten sollen, dann wäre vielleicht alles anders gekommen. Aber ich hatte nur Kid vor Augen. Dummerweise bin ich davon ausgegangen Eri würde es mit mir durchziehen, mir den Rücken freihalten und mich unterstützen. Nur das Gegenteil wurde der Fall. Ich habe sie vernachlässigt und dadurch ist unsere Ehe gescheitert. Ich bemerkte es zu spät. Ehrlich gesagt, erst als sie mit euch ausgezogen ist.“ Er schluckte und kämpfte mit Erinnerungen. „Ich wollte euch nicht verlieren und habe vermutlich das schlimmste getan was man tun hätte können. Ein Rosenkrieg vor Gericht begann, aber ich wollte euch nicht verlieren. Letztendlich entschied der Richter, das du bei deiner Mutter bleiben solltest und ich Aoko bekam. Auch wenn ich euch gerne beide gehabt hätte und euch beide großgezogen hätte, so gab ich mich damit zufrieden wenigstens eine von euch in meiner Nähe zu haben und aufwachsen zu sehen.“

„Warum hast du dich nie bei Mama und mir gemeldet?“

„Eri hat jeglichen Kontakt zu mir abgebrochen. Sie war unter ihrer Adresse nicht mehr erreichbar und ich weiß bis heute nicht wo sie lebt.“

Ran setzte sich auf. „Wir leben in Tokio, bereits mein ganzes Leben. Aoko und ich lernten uns im Englischcamp kennen und fanden durch eine Partnerarbeit unserer Englischlehrerin heraus das wir Geschwister sind. Jede von uns wollte den anderen Elternteil kennen lernen, darum tauschten wir die Rollen.“

„Und wieso sagst du mir das jetzt?“

„Mein bester Freund hat Aoko durchschaut und Kaito hat es auch schon geahnt, auch wenn er es nicht gesagt hat.“

„Ist Kaito deswegen heute nicht hier?“, hakte Ginzo neugierig nach.

„Das ist wohl auch ein Grund. Er wollte uns in Ruhe reden lassen. Außerdem war ich in der Schule sehr gemein zu ihm. Ich hoffe sehr das Aoko nicht drunter leiden wird.“

„Das glaub ich mal nicht. Kaito liebt deine Schwester“, sprach Ginzo zuversichtlich. „Dennoch werde ich mit Aoko nochmal ein ernstes Wörtchen reden.“ Er betrachtete Ran und nickte schließlich: „Und ich würde euch beide gern öfters hier haben.“

Ran strahlte: „Das wäre ja super!“ Und schon umarmte sie ihren Papa. „Aber sei nicht böse mit ihr, ich bin genauso Schuld an dieser Situation wie sie.“

„Wie geht es jetzt weiter? Eri wird nicht begeistert sein“, stellte Ginzo fest.

„Noch weiß sie es nicht, auch wenn Aoko ihr es auch bald sagen wollte.“

„Verbringen wir morgen den Tag zusammen, ehe ich wieder nach Hause gehen muss? Ich möchte dich kennenlernen.“ Ran blickte ihren Vater an.

„Du hast Schule und ich muss in die Arbeit“, sprach Ginzo, doch dann schüttelte er den Kopf. „Ach was, ich hab genug Überstunden und dich entschuldige ich morgen.“

Ran fiel ihrem Vater erneut um den Hals.

Zusammenführung

Ginzo und Ran beschlossen den Vormittag im Park spazieren zu gehen. Sie suchten das kleine Cafe auf und setzten sich zum späten Frühstück an einen der Tische. Sie genossen die warmen Sonnenstrahlen und redeten viel, lernten sich kennen und schienen in den wenigen Stunden die vergangenen Jahre nachholen zu wollen.

Ginzo trank seinen Kaffee leer und winkte die Bedienung zum Zahlen herbei. Dann sah er Ran an. „Interessierst du dich schon für Jungs?“

Erheitert lachte Ran auf. „Ich bin siebzehn“, erinnerte sie ihn amüsiert.

Ginzo kratzte sich verlegen am Kopf. „Das mit Aoko und Kaito, ich weiß nicht so recht was ich davon halten soll. Und nun kenne ich dich. Hast du denn schon einen Freund?“

Ran schüttelte den Kopf. „Einen besten Freund, Shinichi, aber ich wünschte das wir mehr wären, als Freunde“, gestand sie verlegen. Nie hätte sie gedacht mit ihrem Vater mal über Jungs zu reden. „Er hat mich eingeladen. Wir fliegen in den Sommerferien nach Amerika. Seine Eltern leben zur Zeit dort und wir wollen sie besuchen.“

Ginzo runzelte die Stirn. „Als dein Vater hab ich nun mal jetzt Mitspracherecht. Mir gefällt es nicht sonderlich dich mit einem Jungen in weit entferntes Land reisen zu lassen – allein.“

Ran lachte. „Tut mir leid Papa, da kommst du zu spät. Es ist bereits entschieden.“

Die Bedienung trat heran und Ginzo bezahlte. Diesen Moment nutzte Ran um schnell etwas ins Handy zu tippen.

Ginzo bemerkte nichts, dann verließen sie das Cafe und schlenderten durch den Park. „Ich wünschte es wäre damals anders gekommen. Ich hätte mich damals dagegen entscheiden müssen. Leider kann ich diesen Fehler nicht mehr gut machen.“

„Du könntest es aber jetzt versuchen“, sprach Ran leise.

Ginzo stutzte, doch dann entdeckte er jemanden auf sich zu kommen. „Aoko“, stutzte er und betrachtete die Frau neben seiner Tochter. „Eri“, hauchte er, als sie vor ihm stehen blieb.

Unsicher beobachteten die beiden Mädchen diese erste Begegnung seit langer Zeit.

„Ginzo“, begrüßte Eri ihn steif und reichte ihm ihre Hand zur Begrüßung.

Er nahm sie in seine, doch im nächsten Moment zog er sie überwältigt in seine Arme und drückte sie fest an sich. „Ich hätte nicht gedacht dir noch einmal zu begegnen.“

Eri erwiderte die Umarmung zögerlich und tätschelte ihm den Rücken. „Es ist lange her.“

Dann lösten sie sich voneinander und betrachteten ihre Zwillinge, die seit so langer Zeit endlich wieder vereint waren. Zwei hübsche Mädchen, die inzwischen fast erwachsen waren. Die ihr Leben meisterten und mit beiden Beinen fest auf dem Boden standen. Die eine Willensstärke in all den Jahren entwickelten und freundlich und hilfsbereit anderen gegenüber waren. Jeder für sich hatte einen Teil in der Erziehung eines Zwillings beigetragen und konnte stolz darauf sein zu sehen, dass die beiden bodenständige aufgeschlossene und liebreizende junge Frauen geworden sind.

„Ich bin mir fast sicher, dass diese Begegnung kein Zufall ist“, mutmaßte Ginzo liebevoll lächelnd.

„Und eigentlich sollten wir euch den Kopf gründlich waschen“, stellte Eri schmunzelnd fest.

„Fürs erste solltet ihr erst einmal mit einander reden“, wies Aoko streng an.

„Und danach könnt ihr uns immer noch den Kopf waschen“, grinste Ran bestätigend.

Die Zwillinge grinsten und umarmten erst den Elternteil, der sie großgezogen hatte, dann den Elternteil, den sie in all den Jahren schmerzlich vermisst hatten. „Und redet miteinander“ erteilten die beiden synchron noch altkluge Ratschläge. Schon hakten sie sich beieinander unter und schlenderten gemeinsam davon. Etwas gemein, aber andererseits musste man manchmal die Leute zu ihrem Glück zwingen. Besonders zwei so sture Dickköpfe wie Eri und Ginzo.
 

Sie gingen ein bisschen spazieren, überlegten was sie mit dem Rest Tages anstellen sollten, als sich ihnen jemand in den Weg stellte.

„So seht ihr also im Doppelpack aus? Verblüffend diese Ähnlichkeit.“

Überrascht blickten die Mädchen auf und direkt in Shinichis tadelnden Gesichtsausdruck. Er schien immer noch angesäuert zu sein.

„Hallo Shinichi“, grüßte Aoko ihn unsicher, während Ran ihn überglücklich anstrahlte. „Shinichi.“ Doch dann wunderte sie sich. „Was machst du überhaupt hier und um diese Uhrzeit? Wir haben doch Schule.“

„Die ihr auch schwänzt“, stellte er trocken fest.

„Wir haben einen Vater-Tochter-Ausflug gemacht“, antwortete Ran, und Aoko gleichzeitig: „Wir haben einen Mutter-Tochter-Ausflug gemacht.“

Shinichi stopfte sich seine Hände in die Hosentasche und blickte die beiden herausfordernd an. „Während ihr beide meint das doppelte Lottchen zu spielen, bin ich auch nicht untätig gewesen. Ich konnte jemanden ausfindig machen und habe so einige interessante Dinge erfahren.“ Er blickte über seine Schulter zurück und erst jetzt nahm Aoko den Jungen wahr, der sich desinteressiert umsah.

„Kaito“, hauchte sie überwältigt. Schon rannte sie los und sprang ihrem besten Freund in die Arme. Dieser war so verblüfft, dass er es gerade noch schaffte ihren Schwung abzufangen bevor sie stürzten. „Du hast mir so gefehlt“, flüsterte sie an seine Brust.

„Aoko“, hauchte er überrascht, dann zeichnete sich ein liebevolles Lächeln auf seinen Lippen ab. Er schloss sie ebenso fest in die Arme. „Du hast mir auch gefehlt“, flüsterte er zurück.

Ran lächelte und Shinichi grinste. „Wir sollten sie allein lassen. Es gibt immerhin viel zu besprechen.“

Seine beste Freundin nickte und ging mit Shinichi zusammen davon. „Hast du mich auch so sehr vermisst?“

Shinichi musterte Ran. „Aoko hat dich gut ersetzt“, stichelte er.

Das passte Ran nun gar nicht. Schon piekste sie ihn in die Seite. „Sie hat mir aber was ganz anderes erzählt.“

Als sie einen empfindlichen Punkt traf, unterdrückte Shinichi ein Kichern und stimmte zu. „Ich hab sie schnell durchschaut. Niemand kann dich ersetzen.“ Seine blauen Augen trafen auf ihre Augen. Ran fühlte ihr Herz wild pochend. Wie sehr sie ihn doch vermisste. Ihren besten Freund, ihre Gespräche, ihre hitzigen Diskussionen.

Sie traten in einen nicht stark besuchten Teil des Parks und setzten sich in die Wiese. Schweigend genossen sie die Zeit zusammen. Das etwas in Shinichi arbeitete spürte Ran, aber sie wollte ihn nicht drängen. Er würde es von sich aus erzählen, da war sie sich ganz sicher. Und sie täuschte sich nicht.

Shinichi drehte sich ihr zu und blickte sie bedrückt an. „Diese ganze Geschichte hat mir vor Augen geführt wir verletzend es ist angelogen zu werden.“

Überrascht hob Ran ihre Augenbrauen an.

„Ran, ich möchte ehrlich zu dir sein. Auch ich habe dich lange Zeit angelogen und ich bin bereit dir mein Geheimnis anzuvertrauen. Ich hoffe sehr, du wirst mir nach dieser Geschichte verzeihen können.“

Ein ungutes Gefühl machte sich breit. Dennoch sah sie ihn aufmerksam an und lauschte seinen Worten. Von der Beobachtung im Tropical Land, der Begegnung mit finsteren Typen, von der Kapsel, die ihn töten sollte und zu seinem Glück nur schrumpfte. Von der Idee bei ihr Unterschlupf zu finden, heimlich Nachforschungen anzustreben und monatelanges Suchen nach einem Gegenmittel, einem Beweis, einer Lösung seiner Misere. Er erzählte ihr von seinen Gefühlen der Selbstverachtung, seiner Wut auf sich selbst und wie sehr er es doch hasste sie traurig zu sehen. War er doch der Grund und konnte nichts dagegen tun.

Sie saßen zusammen. Stundenlang und sie hörte zu. Er berichtete von seinen Erlebnissen, seiner Aufgabe, wie er Shiho kennenlernte und wie sie letztendlich dann doch die alles entscheidenden Beweise fanden und zusammen mit dem FBI die Feinde dingfest machen konnten.

Er endete und lange saßen sie schweigend nebeneinander. Er gab Ran Zeit. Sie musste das Gehörte sacken lassen, verdauen und verarbeiten. Aber irgendwann wurde ihm unwohl zumute.

Shinichi rutschte nervös von einer Pobacke auf die andere, schob es auf das lange sitzen: „Und solltest du nicht mehr mit mir nach Amerika kommen wollen, so kann ich das natürlich auch verstehen.“

Wie aus einer anderen Welt gerissen horchte Ran plötzlich auf. „Es ist alles so unfassbar und doch so schlüssig. Meine Vermutungen, mein Gefühl alles war richtig. Ich habe mir nichts davon eingebildet.“

„Es tut mir leid dich so belogen zu haben. Es ist unverzeihlich.“

Ran nickte Gedanken verloren. „Ich werde wohl noch eine Weile brauchen das zu verarbeiten.“

Bedrückt senkte Shinichi seinen Kopf. „Verstehe.“

„Es werden sicherlich immer wieder Fragen auftauchen. Wirst du sie mir jedes Mal ehrlich beantworten?“

Shinichi blickte auf, nickte ernsthaft. „Natürlich, alles was du wissen möchtest und wenn es noch so unschön oder unangenehm werden sollte.“

Ran blickte ihm in die Augen. Sie glaubte ihm. Aber auch wusste sie, dass es viel Zeit brauchte um ihm wieder voll und ganz zu vertrauen. Und durch die ehrlichen Antworten könnte er sich beweisen wie ernst es mit ihr meinte. Er wirkte gar so bedrückt und unsicher. Darum schenkte sie ihm ein Lächeln. „Lass uns nach Hause gehen. Und erklär mir bitte wie es war, wieder die Grundschule besuchen zu müssen.“

Auch er lächelte, half ihr aufstehen und gemeinsam machten sie sich auf den Weg.
 

Kaito und Aoko hatten den Park direkt verlassen und sie befanden sich auf dem Heimweg. Den ganzen Weg erzählte Aoko ihm von der Woche im Englischcamp und wie die Idee zu dem Rollentausch entstand und letztendlich in die Tat umgesetzt wurde. Als sie bei ihnen in der Siedlung ankamen endete ihre Erzählung.

Unschlüssig, weil sie noch nicht allein sein wollte, blieben sie vor Kaitos Haus stehen. Ihr Papa würde noch eine ganze Weile mit Eri unterwegs sein, Ran wohnte ganz woanders. Aoko wollte nicht schon wieder alleine sein.

Kaito nahm plötzlich ihre Hand, betrachtete diese und begann sie zu streicheln.

Überrascht starrte sie ebenso auf ihre Hände und spürte wie ihr Herz unter dieser Berührung zu klopfen begann.

„Ran hat ein paar Worte gesagt, die mich sehr beschäftigen und die ich wohl nie wirklich ernst genommen hätte, wenn da nicht...“ Er brach ab.

„Wovon sprichst du?“, hakte Aoko verwirrt nach.

„Du hast mich angelogen, naja, eher war es Ran die mir etwas vorgemacht hat. Aber das was ich dir schon die gesamte Zeit antue ist noch viel schlimmer. Ich belüge und hintergehe dich.“ Er zögerte, blickte in ihre Augen und schien sich darin zu verlieren. „Dabei möchte ich doch nichts sehnlicher als dich glücklich zu sehen und derjenige sein, der dich glücklich macht.“

Errötet starrte sie ihn immer noch mehr als verwirrt an. „Ich verstehe wirklich nicht was du meinst.“

Sein Handgriff verstärkte sich um ihre und entschlossen zog er sie zu seiner Haustüre. Wenig später führte er sie ins Haus und kurzerhand in den Flur. Nebeneinander, Hand in Hand, standen sie vor dem großen Gemälde von Toichi Kuroba. Kaitos Vater, der ein großer und bekannter Magier war und bei einem missglückten Zaubertrick ums Leben kam.

„Ich habe dir so viel zu erzählen und ich habe große Angst davor, dass du dich von mir abwenden könntest. Du bist der einzige Mensch, der mehr so viel bedeutet.“

Sie blickte zu ihm auf.

Er sah zu ihr hinab. „Du bist alles für mich, Aoko. Ich hoffe du kannst es mir verzeihen, wenn du die Hintergründe kennst.“ Entschlossen drückte er an einer bestimmten Stelle an dem Bild und vor Aoko tat sich ein Gang auf. Sie zog überrascht die Luft ein. Ängstlich und mit einem unguten Gefühl starrte sie auf den Raum, der sich dahinter befand. Sie spürte Kaitos festen Händedruck und folgte ihm in den Geheimraum.

Er erzählte ihr alles. Er erzählte ihr von seinen Eltern und ihrem Kennenlernen. Er erzählte ihr wie sein Vater zu dem Meisterdieb wurde, von dessen ersten Begegnung mit der Organisation und von dem Mordanschlag auf ihn. Dann berichtete er wie er alles herausfand und wie er selbst auf die Organisation stieß. Von der Legende des Stein, der ewiges Leben schenkte und das er um jeden Preis verhindern wollte, dass diese Monster das sagenumwobene Juwel in die Hände bekamen. Er vertraute ihr alles an, sprach jedes noch so kleine Geheimnis aus und legte mit jedem weiteren Wort seine Zukunft in ihre Hände. Sie hatte die Macht ihn ins Gefängnis zu bringen. Er vertraute sich ihr an und überließ ihr die Entscheidung was sie mit dem Wissen tun würde.

Absolut geplättet musste Aoko alles sacken lassen. Sie hatte während Kaitos Erzählung verschiedenste Gefühlsregungen in sich gespürt, aber nun war alles leer. Sie bestand nur noch aus Muskeln, Haut und einem zirkulierenden Blutkreislauf.

Kaito sagte nichts mehr, es gab nichts mehr zu sagen. Sie wusste nun alles. Nun ja, fast alles. „Egal was du mit diesem Wissen tun wirst, ich werde dich immer lieben. Du bist meine Welt, Aoko. Und nichts sehnlicher wünsche ich mir das diese Organisation gefasst wird. Damit es endlich ein Ende hat.“

Sie hielt den Atem an. Spürte wieder wie die Emotionen in ihr zum Vorschein kamen und ihren Körper wieder mit Leben füllten. Unsicher blickte sie ihn an. „Ich muss mir erst einmal Gedanken dazu machen. Ich brauche Zeit um es zu verarbeiten.“ Sie sah wie er in Sekundenschnelle doch wieder eine Mauer aufbaute und bevor er es schaffte sie auszusperren, legte sie eine Hand an sein Herz. „Schließe mich bitte nicht mehr aus.“

Überrascht riss er seine Augen auf.

„Ich liebe dich!“, sprach sie so zärtlich und aus tiefstem Herzen aus. „Dennoch brauche ich Zeit. Es ist ein bisschen viel auf einmal.“

Er nickte und er wusste Aoko würde bedacht mit dem Wissen umgehen.

Epilog

Epilog
 

Ran freute sich schon so sehr, die anderen wieder zu sehen. Kaito und Keiko waren ihr ans Herz gewachsen, auch wenn sie nur kurz Zeit mit ihnen verbringen durfte. Und wenn sie es vorher nie geglaubt hätte, das ganze hatte auch durchaus positive Seiten. Sie bekam einen Einblick in das Leben ihrer Schwester, in deren Freundeskreis, lernte ihren Vater kennen und sie würden von nun an mehr Zeit miteinander verbringen. Ihr Blick glitt zu Sonoko, die in einer handfesten Diskussion mit Shinichi verstrickt war. Die beiden waren wirklich wie Tag und Nacht oder Feuer und Wasser.

Sie hoffte sehr, das Sonoko sich mit Kaito und Keiko verstehen würde. Bei Shinichi machte sie sich da weniger Gedanken. Kaito und Shinichi hatten sich bereits kennengelernt und beschnuppert, wie er es ihr darstellte. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, welche Worte zwischen den Jungs gefallen sind. „Ich möchte euch jetzt meine Schwester offiziell vorstellen und auch meine neuen Freunde“, betonte sie eindringlich, besonders in Shinichis Richtung. Sie hoffte den beiden damit klar machen zu können, wie wichtig ihr dieses Treffen heute ist.

Sie schnappte sich die Hände ihrer Freunde und zog sie mit in das Eiscafe.

Aoko saß bereits mit Keiko und Kaito an einem der Tische und sie unterhielten sich angeregt. Bis sie Ran entdeckten. Dann sprang sie auf und fiel Ran um den Hals.

Im nächsten Moment schüttelte Aoko Shinichi die Hand und reichte auch Sonoko die Hand um sie zu begrüßen, doch diese ignorierte die Geste. Ernsthaft verstimmt und vorwurfsvoll verschränkte Sonoko ihre Arme vor der Brust.

Ran bekam davon gerade gar nichts mit, da sie Keiko und Kaito begrüßte.

„Mit dir junge Dame bin ich noch nicht fertig. Das war echt gemein von dir mich so hinters Licht zu führen. Verdammt, ich dachte wirklich du bist meine beste Freundin.“

Aoko zuckte zurück. Ran blickte erschrocken auf.

„Ich bin wohl eine ganz schlechte beste Freundin“, fügte Sonoko hinzu. „Dennoch war die Zeit sehr schön mit dir und ich freue mich auf mehr gemeinsame Aktivitäten“, endete die Brünette und schloss Aoko in ihre Arme.

Erleichtert stieß Ran ihre angehaltene Luft aus. Kaito, der schon halb dabei war sich zu erheben um im Ernstfall einzugreifen, setzte sich beruhigt wieder hin.

Aoko setzte sich auf ihren Platz neben Kaito, Ran nahm ihr gegenüber Platz und Shinichi setzte sich neben sie. Somit saßen die Jungs sich auch gegenüber.

Sonoko stellte sich Keiko vor, dann auch Kaito und nahm gegenüber von Keiko am Tischende Platz.

Jeder bestellte sich einen Eisbecher. Dann übernahmen Aoko und Ran das Gespräch und entschuldigten sich bei ihren besten Freunden für dieses Theater. Sie erklärten und erzählten von ihrer Woche im Englischcamp und berichteten von ihren Ängsten, der Nervosität und den Eindrücken aus dem Leben der Schwester.

Mehr und mehr begann eine Unterhaltung, die zunehmend lustiger und sympathischer wurde. Das Eis war gebrochen und die Gruppe fand zueinander. Jeder akzeptierte die anderen als neue Freunde und sie verstanden sich mehr und mehr.

Natürlich ließen es sich weder Sonoko noch Keiko entgehen, gegen ihre Freundinnen zu sticheln. Das sie so hereingelegt wurden, hätten sie niemals auch nur annähernd erwartet. Darum mussten die Zwillingsschwestern die Sticheleien über diesen fiesen Trick erdulden.

Irgendwann kehrte dann Ruhe am Tisch ein. Es war angenehm, nicht drückend. Alle schienen im Einklang. Aber dann war Shinichi es, der die Stille durchbrach. „Wie geht es jetzt weiter?“

Die Zwillinge strahlten sich an. „Mama und Papa haben sich ausgesprochen“, begann Aoko freudig zu erzählen.

Ran stimmte zu: „Sie werden wieder in Kontakt treten, aber keine Beziehung mehr eingehen. Das Thema ist durch.“

Aoko beruhigte aber gleich indem sie noch hinzufügte: „Dennoch wollen sie versuchen Freunde zu werden.“
 


 

Ende!



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Marron
2018-09-04T13:11:23+00:00 04.09.2018 15:11
Die Geschichte hat noch keine Kommentare? Versteh ich gar nicht. Ist doch gaz interessant.

Du schreibst flüssig und nicht zu ausladend. Gfällt mir. Besonders, dass im ersten Kapitel nicht gleich klar ist, wer wer ist. Das Spiel mit der Erwartung ist witzig und lässt einen weiterlesen. Ich finde, du hast die Mädchen auch gut getroffen. Sogar Shiho - wo ich noch gespannt bin, was sie als Halbengländerin dort zu suchen hat. Immerhin kann sie doch Englisch? Na, Shinichi scheint ja auch wieder da zu sein, das wird noch was.

Und hui, Heiji und Kazuha! Jawohl, endlich kommen sie in die Puschen. Kaito wurde nur mal am Rande erwähnt, aber das wird wohl auch noch was. Ich bin echt gespannt, wie es hier weitergeht!
Antwort von:  Kittykate
10.09.2018 09:55
Hallo,
herzlichen Dank für deine lieben Worte. Ja, heute hab ich ein paar weitere Kapitel hochgeladen, jetzt bin ich mit einer anderen Seite auf gleichem Stand. ^^ Es gibt jetzt noch einiges zu lesen.
Ja, Shiho ist ein großes Fragezeichen, aber das klärt sich in einem späteren Kapitel noch auf.
Danke schön und viele Grüße
Sunshine


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