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Wir, am Strand

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Worte, für die ich mich für dieses Kapitel entscheiden habe, sind:
Planschbecken, Nicht-Schwimmer, Eiscreme Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Das hier sind die drei Wörter, für dich ich mich hier entschieden habe:
Korallenriff, Tauchgang, Meeresgetier Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Die Wörter, für die ich mich für dieses Kapitel entschieden habe, sind:
Cocktail, Party, Sonnenbrand Komplett anzeigen

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Prolog

Während ich noch darüber nachdachte, wen Dean mit dem „alten Freund“ gemeint haben könnte, saß Andy immer noch stark verkrampft neben mir auf der Rückbank. Die Brüder dagegen tauschten vielsagende Blicke aus, als würden sie in Gedanken miteinander reden. Was verständlich war. Ich war jemand von draußen, jemand, der nicht Teil ihrer Jägerwelt war und somit keine Ahnung haben sollte, was gerade los war. Hin und wieder sah Sam auch zu mir, unsicher, wie er mir die Situation nun am besten erklären könnte; wieder tat er mir leid. Am liebsten würde ich ihm sagen, dass er ruhig offen sein kann, aber das kann ich nicht. Denn dann müsste ich ihnen erklären, warum ich so viel über sie weiß, obwohl wir uns erst am Vortag getroffen hatten und das würden sie mir nie glauben. Oder nie wirklich verarbeiten. Wie auch immer, irgendwie hoffe ich, dass wir in eine Situation kommen würden, in der sie mir die Wahrheit sagen mussten, damit es endlich eine offene Kommunikation zwischen uns geben könnte. Bis dahin würde ich meine Rolle weiterspielen und sehen, was die Zukunft bringt.

„Hey, keine Angst, wir fahren einfach zu einem anderen Ort“, sagte Sam, nachdem er sich nun zum gefühlt hundertsten Mal in meine Richtung umgedreht hatte. Vermutlich dachte er, ich würde vielleicht in Panik ausbrechen oder in Tränen, oder paranoid herumfragen, was eigentlich los sei. Aber ich fühlte nichts davon, ich vertraute den Jungs, weil ich wusste, dass ich das konnte und so blieb ich ruhig. Was ihn wohl auch ein wenig irritierte.

„Alles ok? Du kannst es ruhig sagen, wenn du Angst hast. Ich meine, klar, ich wollte dich gerade in die Klinik begleiten, aber wir haben dann entschieden, dass es doch besser ist, wenn wir die nicht nehmen.“

„Ja, der Arzt, den wir da gesehen habe, der alte Freund“, mischte sich Dean ein und kassierte dafür wieder einen strengen Blick seines jüngeren Bruders. „Den kennen wir, der hat mal in einer anderen Klinik gearbeitet, in der ich mal Patient war. Ziemlicher Scharlatan, muss ich dir sagen. Der sollte mir nur eine Spritze verpassen, aber der hat mich fast aufgespießt mit dem Teil. Wochenlang hatte ich einen blauen Fleck! Hat auch echt wehgetan, wie der mit der Nadel am Knochen rumgeschabt hat, so quiek, quiek …“, erzählte er seine Lüge, als er von seinem Bruder gestoppt wurde.

„Ich denke, Kira kann sich nun ein sehr gutes Bild von der Lage machen“, sagte er und sah mich nun mit einer Miene an, als wollte er mich beruhigen. Und ich musste zugeben, Deans Beschreibungen haben meine Angst vor Spritzen getriggert. Zwar wusste ich, dass das alles nur eine Lüge war, dass Dean übertrieb, damit es einen realistischen Grund für ihr Verhalten gibt, dennoch gefiel mir das Kopfkino nicht, das mir die Beschreibungen verpasst hatten. Sofort legte ich meine rechte Hand an die Stelle, an welche ich oft geimpft werde und sah Sam an, nun nicht mehr ganz so ruhig. Dies schien er bemerkt zu haben, denn er sagte: „Keine Angst, wir werden nicht zusehen, dass du in die Hände dieses unfähigen Mediziners kommst.“

Was mich doch ein wenig beruhigte. Ich wusste, dass das, was Dean sagte, für einen Code stand, aber wenn die Jungs auf mich aufpassen würden, dann würde ich in Sicherheit sein. Und Andy sowieso. Ich wollte Sam einfach glauben, ich musste es. Für mein Seelenheil.

 

Sam räusperte sich, überlegte ein paar Momente und drehte sich dann wieder zu seinem Bruder um.

„Gut, wohin fahren wir dann am besten? Kennst du noch einen guten Ort, am besten weiter weg, falls der Arzt … wieder seine Arbeitsstelle wechseln sollte?“, wollte er von Dean wissen, doch dieser schüttelte nur den Kopf. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich keine Ahnung hatte, in welchem Bundesstaat wir uns befanden. Somit hatte ich keine Ahnung, welcher Staat denn weit genug weg wäre.

„Wo sind wir denn im Moment, ich hab grad nicht aufgepasst?“, fragte ich vorsichtig und Sam drehte sich wieder zu mir um.

„In dieser Gegend hier kenne ich mich noch nicht so gut aus, und vielleicht, wenn ich wüsste, wo wir sind, dann könnte ich vielleicht helfen, einen passenden Ort zu finden. Einen, der weit weg ist. Ich meine, wenn ich schon so einen Umstand mache, dann kann ich auch ein bisschen mithelfen. Denke ich.“

Das schien Sam zu beeindrucken, überrascht, aber auch erfreut über meinen Gedankengang, drehte er sich wieder um und sah zur Straße hinaus. Dann schien er kurz zu überlegen, bevor er seine Antwort äußerte: „Wir müssten mittlerweile in Wisconsin sein. Also im Norden.“

Letzteres hatte er noch schnell hinzugefügt, vermutlich hatte er mir angesehen, dass mir das nicht viel zu sagen schien.

Obwohl ich recht schnell eine Idee hatte, wollte ich mir das lieber nicht anmerken lassen. Auch war ich mir wegen dem Ortsnamen nicht mehr so sicher.

„Habt ihr Jungs zufällig eine Karte im Handschuhfach, dann würde ich mal kurz einen Blick draufwerfen, vielleicht werde ich ja fündig?“, fragte ich vorsichtig und Sam begann in dem Fach vor seinen langen Beinen zu kramen. Er wurde recht schnell fündig und reichte mir die Karte nach hinten.

„Hast du was im Hinterkopf?“, fragte er spaßeshalber nach. Zumindest klang es danach.

„Ja, sowas in der Art“, sagte ich und begann, die Karte auseinanderzufalten. Versuchte mich zu orientieren, herauszufinden, wo Norden und wo Süden war. Schließlich wurde ich fündig, dennoch traute ich mich nicht zu fragen.

Was, wenn sie mich dann wieder im Verdacht hätten? Wenn sie nun denken, ich möchte sie irgendwo hinlocken, in einen Hinterhalt oder eine Falle? Ich meine, sowas in der Richtung habe und hätte ich nie vor, aber das wissen die Jungs doch nicht. Was mache ich denn nun? Einfach die Karte zurückgeben und sagen, ich hätte keine Ahnung? Aber ich hab ja nun doch zugegeben, dass ich eine Idee im Hinterkopf habe …

Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe und ich weiß nicht, wie lange ich auf diesen einen Punkt auf der Karte gestarrt hatte. Wie lange ich wieder mit meinem Gedanken-Karussell mitgefahren war. Irgendwann jedenfalls sprach mich Sam wieder an.

„Hast du schon was gefunden?“, wollte er völlig unverfänglich von mir wissen und ich blickte hinter meiner Karte hervor.

„Ja, ehrlich gesagt schon, aber ich weiß nicht, ob das wirklich so eine gute Idee ist.“

Sam zuckte mit den Schultern.

„So lange ich die Idee nicht kenne, kann ich nicht beurteilen, ob sie gut ist oder nicht. Sag sie doch einfach“, meinte er und lächelte mich dabei an. Ich lächelte zaghaft zurück und versuchte dann, so harmlos und normal zu klingen, wie möglich.

„Naja, ich habe mir Gedanken gemacht, weil ihr ja meintet, dass ihr so weit wie möglich von dem Arzt weg sein wollt. Also dachte ich mir zum Spaß erstmal: Warum nicht zum anderen Ende des Landes fahren? Deshalb wollte ich wissen, wo wir uns genau befinden, damit ich sagen kann, wo das andere Ende des Landes wäre.“

Ich faltete die Karte so zusammen, dass man nur noch den Umriss von Texas grob erkennen konnte.

„Dann ist mir Texas ins Auge gefallen und ich dachte mir: Hey, warum eigentlich nicht? Mein Freund hat mir mal von diesem Ort da unten erzählt, Galveston“, sagte ich und deutete auf den Punkt, der auf der Karte mit dem Ortsnamen markiert worden war.

„Er hat mir da mal erzählt, dass er da in der Gegend irgendwo mit seiner Mutter mal Krabben gegessen hat. Und bodenlose Nachos, die wohl auch ziemlich lecker waren … daher dachte ich, dass wir einfach dorthin fahren.“

Für einen kurzen Moment herrschte Stille und ich sah zu Andy hinüber. Zwar war dieser längst nicht mehr so verkrampft, aber er sah immer noch in die weite Ferne, ohne wirklich etwas zu anzusehen.

„Außerdem könnte Andy wirklich etwas Abwechslung gebrauchen, um auf andere Gedanken zu kommen. Und wer weiß, vielleicht hilft mir die Meeresluft ja auch, damit es mir wieder besser geht. Dieser Traum war wirklich seltsam, vielleicht weil uns diese seltsame Frau verfolgt hat. Aber wenn wir so weit weg sind und uns ablenken, dann dürfte uns ja nichts Schlimmes passieren. Und ihr könnt in Ruhe das mit Andys Problem klären“, schlug ich vor, weil ich auf einmal wirklich dorthin fahren wollte. Vor allem wegen den bodenlosen Nachos.

Sam sah mich an und er wirkte nicht so, als würde er hinter meinen Gedanken irgendwelche schlimmen Absichten vermuten. Doch vor allem Dean schien der Gedanke zu gefallen.

„Bodenlose Nachos? Ja, das klingt doch nach einem Plan“, sagte er und schlug begeistert, aber auch vorsichtig aufs Lenkrad. Sam nickte ein wenig.

„Ja, ich denke, das ist eine gute Idee, Andy könnte wirklich eine andere Luft vertragen. Und Meeresluft ist ja auch sehr gesund“, sagte er, doch ich hatte keine Ahnung, ob er dabei wirklich an Andy oder viel mehr an mich dachte. Immerhin sieht mich Sam als jemand mit Schizophrenie, nicht, dass er am Ende noch glaubte, eine Stimme hätte mir dazu geraten. Vielleicht konnte ich ihn damit ein wenig davon überzeugen, dass ich ganz klar im Kopf wäre, ohne irgendwelche Stimmen zu hören.

„Gut, eine Alternative wüsste ich jetzt auch nicht, das klingt doch ganz gut. Ihr zwei geht dann zum Nachos essen und ich… kläre das mit Andy und dem Geschäft“, sagte er, nahm sich die Karte wieder und studierte sie selbst ein wenig.

„Ist zwar eine etwas längere Fahrt, aber uns macht das nichts aus, Dean und ich sind oft lange mit dem Auto unterwegs. Wir werden vermutlich irgendwo übernachten müssen, entweder hier drin oder in einem Motel, das macht euch doch hoffentlich nicht aus?“, fragte er und ich schüttelte mit dem Kopf. Dann sahen wir beide zu Andy, doch der reagierte nicht. Erst nach wenigen Sekunden schüttelte er mit dem Kopf, doch sein Blick blieb weiterhin am Fenster haften.

„Gut, dann würde ich sagen, wir fahren sofort los und sind dann in einem oder zwei Tagen unten an der Küste von Galveston“, sagte Sam und faltete seine Karte ein. Mich überkam derweil ein schlechtes Gewissen.

„Sorry, dass ich einen Ort vorgeschlagen habe, der so weit weg ist und wo wir so lange hinfahren müssen“, sagte ich, obwohl ich wusste, dass Geldprobleme jetzt kein wirkliches Thema bei den Brüdern war. Sam drehte sich wieder zu mir um und nun schüttelte er mit dem Kopf.

„Ach was, mach dir da keine Gedanken, solange es dir und auch Andy am Ende gut geht, ist es die Mühe wert. Außerdem würden mich auch diese Krabben interessieren, von denen du mir erzählst hast“, zwinkerte er mir zu, bevor er sich wieder umdrehte und Dean herumnavigierte. Ich wusste nicht, wie viel mir Sam davon abkaufte und ob er mich nun für weniger schizophren hielt oder nicht. Aber ich hatte das Gefühl, dass ein paar sehr angenehme Stunden, vielleicht sogar Tage auf uns warten würden.

„Ja, die würden mich auch interessieren,“ sagte ich, lehnte mich in meinen Sitz zurück und ehe ich es realisierte, war ich tief und fest eingeschlafen.

Ich, mit Andy über das Schwimmen

Zwei Tage später hatten wir unser Ziel dann schließlich erreicht: Galveston. Zwar war ich bereits öfters in Texas gewesen, in mehreren Urlauben mit meinem Freund, aber so tief im Süden waren wir noch nie gewesen. Daher freute ich mich, den Ort endlich mal sehen zu können. Nachdem wir mit dem Auto kurz zum Meer gefahren waren, hatte Dean das nächstbeste Motel gebucht, dieses Mal mit zwei Zimmern. Die Auswahl, wer welches Zimmer mit wem teilen würde, war schnell getroffen: Sam und ich würden die nächsten Tage wohl zusammen in einem Zimmer das Nachtlager teilen, während es sich Dean und Andy im anderen Zimmer gemütlich machten. Für mich war es logisch, dass sie sich aufteilten, denn sollte Andy oder mir etwas passieren, war zumindest einer von beiden da, um uns gegen das Böse zu verteidigen. Auch kontrollierten sie die Zimmer, inspizierten alle Türen und überzeugten sich davon, dass man nicht so schnell die Räume eindringen konnte. Oder dass man zumindest genug Zeit hatte, sich eine spontane Verteidigungsstrategie zu überlegen. Ich konnte mir auch vorstellen, dass Sam und Dean wieder eine abwechselnde Nachtwache schieben würde, auch wenn ich persönlich den Jungs den Schlaf gönnen würde. Doch das Böse schläft nie, und ein Jäger auch nicht.

 

Kaum hatten wir unsere Sachen mehr oder weniger in den zwei Zimmern aufgeteilt, als wir uns in Zimmer zwei trafen, sprich im Dean-Andy-Zimmer. Während sich die Brüder wieder von uns entfernten, um miteinander irgendwelche Dinge zu besprächen oder Pläne zu planen, sah ich Andy an. Er hatte sich über die Fahrt relativ gut erholen können, nur hin und wieder sah er aus dem Fenster hinaus, als wollte er sich davon überzeugen, dass wir wirklich nicht mehr verfolgt wurden. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. Dass er nicht mehr zusammenzuckte, wertete ich als ein gutes Zeichen.

„Hey, es wird alles wieder gut“, wiederholte ich meine Worte der letzten zwei Tage und versuchte ihn anzulächeln, als sich unsere Blicke trafen. Doch so richtig sah er mich nicht an, erst nach ein paar Sekunden bemühte er sich, mein Lächeln zu erwidern, was wohl sehr viel von seiner Kraft abverlangte. Aber das störte mich nicht, immerhin schien er gerade eine ganze Menge durchzumachen und da wollte ich ihm nichts so schnell übelnehmen. Dann sah er wieder aus dem Fenster und da mir auch nichts weiter mehr einfiel, setzte ich mich auf eines der Betten und beobachtete die Winchester Brüder. Was sie sagten, konnte ich nicht verstehen, aber es schien wohl etwas Wichtiges zu sein.

Nach einer kurzen Zeit bemerkten sie meinen Blick, doch es schien sie nicht sehr zu stören. Hoffte ich jedenfalls. Dann beendeten sie, was auch immer sie besprochen hatten und kamen zu uns herüber. Um ihnen meine volle Aufmerksamkeit zu schenken, drehte ich mich in ihre Richtung. Andy tat es mir gleich, offenbar hatte auch er mitbekommen, dass die Jungs uns etwas sagen wollten.

„Also gut, Dean und ich haben uns gerade ein wenig besprochen“, fing Sam an, als hätten wir beide nicht mitbekommen, was bis gerade eben am anderen Ende des Zimmers passiert war.

„Wir haben uns überlegt, dass es vermutlich wirklich am Besten wäre, wenn wir uns hier ein paar Tage aufhalten würden. Vor allem, um Andy ein wenig Abwechslung zu geben, damit er sich von dem ganzen Schrecken erholen kann. Dean und ich werden uns derweil darum kümmern, dass Andy nicht weiter belästigt wird“, begann Sam zu erzählen und machte eine Pause. Dabei sah er mich direkt an und ich hatte eine Ahnung, was nun kommen würde.

„Um ehrlich zu sein, das ist mir ein wenig unangenehm zu fragen, aber … wir bräuchten bitte deine Hilfe dabei“, sagte er und sah dabei zu Dean. Dieser sah von Sam zu mir und dann wieder zu Sam, dann zuckte er mit den Schultern.

„Helfen? Klar, wie könnte ich euch denn helfen?“, fragte ich überrascht, da ich eigentlich damit gerechnet hatte, hier bei der nächstbesten Gelegenheit ins Krankenhaus abgeschoben zu werden.

„Nun, Andy und du, ihr scheint euch beide doch recht zu gut vertragen. Dean und Ich müssten noch ein paar Dinge klären und können dabei nicht auch noch auf Andy aufpassen. Es geht ihm zwar mittlerweile wieder besser, aber es wäre schön, wenn jetzt trotzdem jemand hier auf an seiner Seite wäre. Keine Angst, du musst einfach nur für ihn da sein und mit ihm Zeit verbringen. Damit er auf andere Gedanken kommt und wieder lernt, das Leben ein wenig lockerer zu nehmen“, meinte Sam und ich wusste, dass das bei Andys Problem sicherlich nicht so einfach durch ein paar gemeinsame Stunden funktionieren würde. Zwar wusste ich nicht genau, um es ging, aber da die Winchesters involviert waren, musste es sich um ein übernatürliches Problem handeln. Doch das Protokoll, das Drehbuch unseres kleinen Theaterstücks gab es schließlich so vor. So nickte ich nur mit dem Kopf.

„Kein Problem, macht ihr ruhig eure Sachen, wir beide werden schon miteinander zurechtkommen und uns gut die Zeit vertreiben können. Oder, was meinst du?“, fragte ich Andy und versuchte ihn in das Gespräch einzubinden, so, wie wir es in den Debatten-Übungsstunden im Deutschunterricht gelernt hatten. Dieser sah mich an und meinte nur knapp: „Ja, das kriegen wir schon hin.“

Daraufhin wirkte Sam ziemlich erleichtert, wie Dean darüber dachte, das konnte ich nicht sagen. Vermutlich wäre es ihm lieber, er könnte Andy und mich hier einfach ablagern und den Job tun, auf die Jagd gehen und das Böse jagen, das hinter Andy her war. Mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht rieb er sich an der Stirn.

„Gut, das klingt doch schon mal super“, sagte Sam und wirkte so, als würde er für sich und seinen Bruder sprechen.

„Dann machen wir uns gleich auf den Weg, damit wir das eine oder andere erledigen können.“

Dann griff er in seinen Geldbeutel, nahm einen Bündel Scheine heraus und begann diesen zu zählen. Anschließend überreichte er ihn mir, ich konnte ihm jedoch ansehen, dass er kurz überlegt hatte, ob er es lieber nicht Andy geben sollte. Doch dieser hatte nicht reagiert, also wurden die grünen Scheine mir in die Hand gedrückt. Woher er das Geld haben könnte, konnte ich nicht genau sagen.

„Das sind genau 150 Dollar, damit solltet ihr für die nächsten Tage über die Runden kommen können, sollten wir doch etwas länger mit unseren Erledigungen brauchen. Keine Angst, die Zimmer sind bereits im Voraus bezahlt, wir haben jetzt insgesamt vier Nächte für beide genommen. Aber wenn wir doch noch länger hierbleiben wollen, dann können wir die Zimmer auch verlängern“, sagte er, während ich den kleinen Stapel an Geldscheinen in meiner Hand ansah. Ich konnte deutlich ein Gesicht darauf erkennen, wusste aber gerade nicht auf Anhieb, wer es war.

„Danke schön, das ist wirklich sehr nett von euch. Damit werden wir uns auch was Leckeres zum Essen kaufen können“, sagte ich, nahm meinen Geldbeutel und steckte die Scheine in das dazugehörige Fach. Gleichzeitig nahm ich mir vor, meine Euros in einem kleinen Extrabeutel aufzubewahren, doch das hatte für mich keine Eile.

Sam und Dean sahen sich erneut an, dann zu uns beiden hinüber.

„Dann machen wir uns auf dem Weg. Ich hab das Gefühl, wenn wir uns nicht beeilen, dann sind wir bis heute Abend nicht zurück. Und versucht, in der Nähe zu bleiben, an fremden Orten verläuft man sich so schnell und das wird dann unangenehm“, sagte er, bevor er und Dean sich mit schnellen Schritten aus dem Zimmer machten. Mit einem lauten Krachen fiel die Tür in den Rahmen, dann waren Andy und ich alleine. Jetzt waren wir auf uns alleine gestellt.

 

„Sag mal Andy, hast du irgendwas bestimmtes, auf das du Lust hast?“, fragte ich, während Andy den beiden durchs Fenster hinaus mit seinem Blick folgte. Er wartete ein paar Sekunden, dann schüttelte er mit dem Kopf.

„Nein, nicht wirklich“, sagte er und blieb mit dem Blick am Fenster haften. Ich derweil legte meinen Geldbeutel auf die Seite und wünschte mir, ich hätte meine kleine Tasche dabei, die ich immer benutzte, wenn ich unterwegs war. Egal, ob zum Einkaufen, Pokémon Go spielen oder wenn wir jemanden besuchten: Alles wichtige konnte ich darin immer verstauen. Das war zum Glück nicht so viel. Und jetzt fehlte sie mir. Dummerweise hatte ich darauf verzichtet, als wir zum Vater meines Freunds für die Neujahrsfeier gefahren waren. Jetzt bereute ich es.

Da langsam Langeweile in mir aufstieg, nahm ich die Fernbedienung an mich und setzte mich aufs Bett, so, dass Andy sich jederzeit neben mich setzten könnte. Dann schaltete ich den Fernseher an und zappte durch die Kanäle, doch auf den meisten liefen irgendwelche uninteressanten Talkshows, in der Hälfte davon waren irgendwelche aggressiven Weiber, die sich gegenseitig ankeiften. Gelangweilt schaltete ich den Fernseher wieder aus und ging zu Andy hinüber.

„Warst du schon einmal am Meer?“, fragte ich ihn und wusste nicht so genau, woher das plötzliche Interesse kam. Doch dann fiel mir ein, dass ich Andy nicht ausschließen wollte und ihn ablenken sollte, damit er sich besser fühlte. Wieder schüttelte er mit dem Kopf.

„Nein, bisher noch nie, hat sich nicht so wirklich ergeben“, sagte er, noch immer schaute er aus dem Fenster heraus. Es war wohl seine Lieblingsbeschäftigung zurzeit. Auch ich sah hinaus, obwohl es neben mehreren parkenden Autos und vorbeifliegenden Vögeln nicht so viel zu sehen gab.

„Ich war mal am Meer, aber das ist schon lange her. Ich glaube, da war ich vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Meine Oma und ich haben zusammen zwei Wochen in Bulgarien verbracht, das ist in Europa“, fügte ich hinzu, da ich nicht wusste, wie es bei Andy als Ami um Geografie Kenntnisse außerhalb der USA gestellt war.

„Wir sind dort hin und wieder am Strand spazieren gegangen, haben uns das Meer angesehen oder haben einfach nur den Weg genutzt, um zur nächsten Stadt zu laufen.“

Jetzt sah mich Andy neugierig an.

„Bist du auch im Meer geschwommen?“, fragte er mich, vermutlich, weil er sich auch selbst von der Frau und der Gefahr, die sie bedeutete, ablenken wollte. Nun war ich es, die mit dem Kopf schüttelte.

„Nein, nicht ein einziges Mal. Überhaupt habe ich noch nie im Meer geschwommen. Meine Oma hat es mir nie erlaubt, sie war keine gute Schwimmerin und konnte nur in Gewässern schwimmen, in denen sie auch stehen konnte. Doch bei der Stelle des Meers, wo wir uns befanden, gab es irgendwo eine Kante, bei der es dann auf einmal stark nach unten ging. Man konnte nicht genau erkennen, wo sich die Grenze befand und Oma hatte Angst, dass ich ertrinken könnte, denn ich bin auch keine gute Schwimmerin. Sie hatte Angst, dass mir etwas passiert und dass sie mir dann nicht helfen könnte. Früher fand ich es einfach nur schade, aber heute kann ich es ein wenig verstehen. Hoffe, ich kann das irgendwann einmal nachholen“, sagte ich und trat an das Fenster heran, wobei ich keine Ahnung hatte, ob das wirklich so sein würde oder nicht.

„Naja, wenigstens kannst du schwimmen“, meinte Andy und legte eine Hand auf meine Schulter. Ich drehte mich zu ihm um.

„Oh, du kannst gar nicht schwimmen?“, fragte ich einfach drauf los und kam mir dann sofort sehr unhöflich vor. Andy bejahte dies.

„Ja, ich hatte ehrlich gesagt nie die Chance, das Schwimmen zu lernen und irgendwann war es dann einfach zu spät, damit anzufangen. Aber ich weiß nicht, ob ich damit wirklich was verpasst habe. So oft bin ich jetzt auch nicht im Meer.“

Nachdenklich blickte ich Andy an, dann wieder zum Fenster hinaus. Klar, dass man Schwimmen lernt, wird uns immer als wichtig eingetrichtert. Nicht umsonst steckt man kleine Kinder in Schwimmkurse, damit sie es lernen können.

„Es ist überhaupt nicht schlimm, ein Nicht-Schwimmer zu sein. Und nein, ich denke, nicht, dass es irgendwann zu spät ist, man kann es bestimmt immer lernen, genauso wie Fahrradfahren.“

Dann trat ich noch näher an das Fenster heran, ich wollte Andy nicht ins Gesicht sehen, dazu war mir die Sache zu peinlich.

„Weißt du, damals, als meine Mutter mich zu einem Schwimmkurs gebracht hat, da sollte ich mir ein Schwimmabzeichen holen. Weißt du, was das ist?“, fragte ich und sah kurz zu Andy, doch dieser schüttelte nur wieder mit dem Kopf. Dann sah ich wieder aus dem Fenster hinaus.

„Ein Schwimmabzeichen ist wie eine Art Belohnung, die man bekommt, wenn man bestimmte Dinge gemacht hat. Wie zum Beispiel eine lange Strecke schwimmen, unter Wasser einen Ring hochholen und so weiter. Das Abzeichen, das ich dort holen sollte, war das Seepferdchen. Ich hatte eigentlich alle Aufgaben erledigt, jetzt sollte ich nur noch in ein Becken mit Wasser springen und zum anderen Ufer schwimmen. Aber … ich habe es nicht geschafft. Ich habe mich nie getraut, in das Becken zu springen, weil ich bei dem Anblick ins Wasser hinein Höhenangst bekommen habe. Ich hatte eine solche Angst, da unterzugehen, dass sie den Punkt als nicht bestanden angesehen haben. Und damit hatte ich die Chance auf das Seepferdchen in dem Moment vergeigt. Was ich dann bekommen habe und das vermutlich als einzige dort, war das Abzeichen eine Stufe drunter, das war der Frosch. Aber den kannte keiner, den bekommen wohl wirklich nicht so viele Kinder, ich hab auch erst vor ein paar Monaten erfahren, was das für ein Abzeichen sein soll … naja, sorry, ich hab dich zugetextet, aber ich will nur damit sagen: Du bist nicht der Einzige, der es bei dem Thema nicht leicht hatte. Ich habe es zwar gelernt, aber so wirklich kann ich es trotzdem nicht.“

Andy lächelte mich schwach an, wir beide schienen nicht so recht sicher zu sein, ob ihn die Geschichte aus meiner Kindheit tröstete oder nicht, aber für den Moment schien es auf jeden Fall zu beruhigen. Eine Ablenkung von seinen düsteren Gedanken und das war genau das richtige, was er jetzt brauchte.

„Das ist schon in Ordnung, danke dir, dass du mir das erzählt hast“, sagte er und als ich mich umdrehte, spürte ich, wie meine Wangen ein wenig rot wurden. Es war mir dennoch ein wenig unangenehm gewesen, aber wenn es ihm auf irgendeine Art und Weise weitergeholfen hatte, dann war es das wert gewesen.

Andy dagegen begann etwas im Raum zu suchen und fand es schließlich, sein Blick fiel auf die kleine Wanduhr, welche recht schlicht und irgendwie auch öde war. Die Uhr zeigte, dass es mittlerweile kurz vor zwölf war.

„Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich bekomme langsam ein wenig Hunger. Sollen wir uns nach einem kleinen Supermarkt umsehen und uns dort zu essen holen?“, sagte er, obwohl sein Gesicht eher aussah, als wollte er lieber drinnen bleiben. Besorgt sah ich ihn an, dabei schob ich meine Augenbrauen zusammen.

„Wenn du dich unwohl fühlst dabei, musst du mich nicht begleiten, du kannst auch einfach hier warten und ich hole uns was zum Essen. Bestimmt ist ein Laden in der Nähe und ich bringe dir einfach was mit“, schlug ich vor und Andy schien über diesen Vorschlag ziemlich erleichtert zu sein.

„Danke, das wäre mir doch lieber, wenn ich ehrlich sein darf“, sagte er und ich nickte nur.

„Das ist kein Problem, ich hab schon oft für andere Leute mit eingekauft, die aus gesundheitlichen Gründen nicht aus dem Haus konnten, um sich was zu essen zu holen. Ich war auch oft im Supermarkt unterwegs, um etwas für Mama zu holen, als sie nicht rausdurfte wegen …“

Ich brach ab, ich spürte wieder, wie die Tränen in meine Augen stiegen und ich blickte auf den Boden, versuchte, meine Emotionen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Für ein paar Augenblicke schwieg ich und ich hatte keine Ahnung, was Andy jetzt wohl von mir dachte. Schnell zwang ich mich zu einem Lächeln und blickte wieder in sein Gesicht.

„Wie auch immer, kein Problem für mich, das will ich sagen … gibt es irgendwas bestimmtes, dass du dir wünscht, zum Essen oder zum Trinken? Soll ich auf irgendwas achten, hast du irgendeine Allergie oder so?“

Andy begann nachzudenken, und während er es sich noch überlegte, begann ich nach Papier und Stift zu suchen, um mir alles zu notieren.

„Ich möchte ehrlich gesagt nicht viel“, meinte er dann schließlich, kaum, dass ich fündig geworden bin. „Bring mir einfach ein Sandwich mit, am besten mit Pute drauf. Und eine Cola, das wäre sehr nett, danke!“

„Möchtest du eine normale, Light oder Zero?“, fragte ich zurück, woraufhin Andy äußerte, dass er die normale Cola bevorzugen würde. Dies alles notierte ich auf meinem kleinen Notizzettel, schrieb auch auf, dass ich mir selbst noch etwas zu essen kaufen sollte und begann, meinen Geldbeutel in meiner Hosentasche zu verstauen. Auf meine Handys verzichtete ich, ich wollte den Akku schonen, solange ich kein Ladekabel dafür hatte.

„Also dann, ich beeile mich“, sagte ich und lächelte Andy an, während ich die Tür öffnete, aus der Jungs vorhin verschwunden waren.

„Pass auf dich auf. Und komme bitte so schnell wie möglich wieder zurück“, meinte er, ich bedankte mich nur höflich und verließ das Zimmer. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, fiel mir auf, dass meine Mutter das auch immer zu mir gesagt hatte, wenn ich weggegangen war.

 

Der nächste Supermarkt war zum Glück ein Stückweit vertrauter, als ich es mir erhofft hatte. Nur etwa zwanzig Minuten herumsuchen hatten mich schließlich zu einem „Walmart Neighborhood Market“ geführt, der kleineren Version eines normalen Walmarts. Doch da ich bereits mehrmals in einem Walmart gewesen war, kam ich damit super zurecht. Recht schnell fand ich ein Sandwich für Andy, mit Pute, so wie er es sich gewünscht hatte, wie auch die Cola.

Dann galt es, etwas für mich zum Essen zu finden und ich fand so einiges, doch für das meiste dafür hätte man eine Küche gebraucht. Leider hatte ich mich nicht genau im Motelzimmer umgesehen, konnte mich nicht daran erinnern, ob es darin eine Küche gab oder nicht. Und wenn ja, welche Ausstattung sie hatte, einen Herd, eine Mikrowelle oder gar nichts davon. Auch bereute ich, dass ich mein Handy nicht mitgenommen hatte, allerdings hätte ich nicht sagen können, ob das wirklich so eine gute Idee war, bezüglich Roaminggebühren, mit einem deutschen Handy in einem ausländischen Netz zu telefonieren.

So machte ich mich wieder auf die Suche und versuchte zu überlegen, was ich im Walmart früher gerne gekauft habe. Meine Beine führten mich von Reihe zu Reihe und obwohl ich es von damals kannte, überraschte mich die Dimensionen, die Größe des gesamten Markts aufs Neue. Ebenso die riesige, wie auch oft ungesunde Auswahl und doch sah ich so manches Produkt wieder, das ich mir auch in Deutschland wünschen würde.

Am Ende, nachdem ich mehrfach nachgesehen hatte, und ich nicht so viel Geld auf einmal ausgeben wollte, entschied ich mich ein Thunfisch-Mayo-Sandwich, eine kleine Flasche Fanta wie auch für eine Doppelpackung mit Cupcakes. Die bunten Farben der Frostings lockten mich gerade zu an und da diese auch nicht sehr viel kosteten, sprach das noch mehr dafür sie zu kaufen.

Andy wird sich bestimmt freuen, wenn ich die mit ihm teile, dachte ich mir und nahm die Packung lächelnd in die noch freie Hand. Meinen gesamten Einkauf nahm ich mit zur Self-Check-Out-Kasse, dort zog ich alles flott über das Band, bezahlte und packte alles in diese merkwürdigen, dünnen Plastiktüten. Genauso schnell, wie ich den Laden betreten hatte, verließ ich ihn auch wieder und machte auf dem Rückweg.

 

Als ich bei unserem Motel und dem Zimmer der beiden Jungs angekommen war, klopfte ich so feste ich konnte an die Tür. Meine Fingerknöchel meckerten über diese grobe Behandlung. Aber ich wusste, würde ich normal klopfen, wäre es wieder viel zu leise. Doch das Opfer hatte sich gelohnt, Andy öffnete mir die Tür und ließ mich eintreten. Kaum war ich drinnen, verschloss ich die Tür und schloss sie ab. Jetzt würden nur noch die Winchester Brüder Eintritt erhalten.

„Danke dir, das ist echt sehr nett von dir. Sieht lecker aus“, bedankte sich Andy bei mir, als ich ihm sein Sandwich wie auch seine Cola reichte. Daraufhin zeigte ich ihm meins.

„Gerne doch. Und hier, du hast mich angesteckt, ich hab mir jetzt auch eins geholt.“

Dieses legte ich jedoch auf dem Tisch zur Seite und kramte wieder in meiner Einkaufstasche herum. Dort holte ich die Cupcakes-Packung hervor, woraufhin Andy große Augen bekam. Offenbar war das ein Volltreffer, dass ich die gekauft hatte.

„Die können wir uns teilen, wobei ich ehrlich gesagt den roten am liebsten essen würde, wenn es dir nichts ausmacht“, sagte ich vorsichtig und Andy nickte nur ein wenig.

„Klar, nimm den ruhig, der blaue gefällt mir sowieso viel besser“, sagte er und biss in sein Sandwich, kaum, dass er es ausgepackt hatte. Auch ich hatte mein Mittagessen schnell aus seinem Plastikgefängnis befreit und gönnte es mir auf der Stelle. Es schmeckte besser als gedacht, dafür, dass es ein Produkt aus dem Walmart war. Überhaupt war ich sehr überrascht, dass sowas frisches in einem Supermarkt der USA angeboten wurde. Aber offenbar wollten sie Walgreens und Konsorten ausstechen, eine ernsthafte Konkurrenz für diese werden. Und wenn das bedeutete, dass es dort nun verschiedene frische Sandwichs zum Sofortverzehr gab, dann begrüßte ich diese Art von Wettbewerb sehr.

Unser gemeinsames Mahl nahmen wir größtenteils schweigend zu uns, ebenso auch die Nachspeise in Form von bunten Cupcakes. Andy überließ mir wirklich den roten, worüber ich sehr froh war. Als wir fertig waren, waren unsere Zungen von den Frostings bunt gefärbt, was wir für einen kurzen Moment sehr witzig fanden.

 

Doch dann kehrte in Andys Stimme eine gewisse Prise an Melancholie mit, als er sagte: „Ich habe über deine Geschichte nachgedacht und vielleicht sollte ich auch versuchen, Schwimmen zu lernen. Selbst wenn es nur die Basis ist und ich auch nur auf der Stufe wie du bin, auf der Frosch-Abzeichen-Stufe, so wäre es immer noch besser als das, was ich jetzt kann. Jetzt kann ich es überhaupt nicht. Ich stelle es mir sehr erfrischend vor, jederzeit schwimmen gehen zu können, ohne Angst zu haben dabei zu ertrinken.“

Ich dachte über seine Worte nach und fand ihn sehr mutig. Immerhin war zu ertrinken wohl eine ernsthafte Angst, die ihn verfolgte und ich fragte mich, was zuerst kam. Hatte er schwimmen nicht gelernt, weil er diese Angst hat? Oder hat sich diese Angst aus der Tatsache heraus entwickelt, weil er es nie gelernt hatte? Doch ich wollte ihn nicht fragen oder zu lange überlegen, stattdessen kam ein anderer Gedanken, den ich viel lieber aussprechen wollte.

„Du wirst mich vielleicht nun wirklich für seltsam halten, aber für Menschen wie du und ich gibt es auch für die eigenen vier Wände, beziehungsweise den eigenen freien Bereich wie einen Garten auch eine tolle Alternative zu Badesee und Schwimmbad“, sagte ich und räumte dabei unseren Müll zusammen. Andy, der mir dabei half, alles in der Walmarttüte zu verstauen, sah mich fragend an.

„Was meinst du damit?“, fragte er mich sofort.

„Nun, ich habe da vielleicht einen Tipp für dich, den du im Sommer nutzen kannst, bis du schwimmen soweit lernen konntest, bis du dich sicher genug für einen Besuch im Schwimmbecken fühlst“, fing ich an zu erklären. Seine Aufmerksamkeit war mir sicher, das wusste ich. So setzte ich mich aufs Bett und sah ihn an.

„Das klingt wie gesagt merkwürdig, aber im Grunde braucht man dafür nicht viel. Eigentlich nur ganz viel Wasser, das man irgendwo organisieren kann – und ein Planschbecken.“

„Moment, ein Planschbecken?“, fragte er mich und sah mich verwundert an. Aber er sagte nicht mehr, offenbar wollte er mich nicht in meiner Erklärung unterbrechen.

„Ja, du hast richtig gehört, ein Planschbecken. Früher habe ich das oft gemacht, als Teenie. Wir haben das Planschbecken im Garten aufgestellt und mit Wasser aufgefüllt, oft haben wir es auch einfach in den Schatten gestellt. Oder daneben einen mobilen Gartenschirm, Hauptsache, ich habe nicht zu viel Sonne abbekommen. Dann hab ich mich zusammen mit was zum Trinken, meistens Limonade, in das Planschbecken gesetzt und dann stundenlang gelesen oder auf einer Konsole was gezockt. Meine allerersten Stunden in meinem allerersten eigenen Videospiel habe ich so verbracht, im Hochsommer in einem Planschbecken“, erzählte ich nostalgisch von einer Zeit, die auch schon tief in der Vergangenheit lag.

„Planschbecken sind zwar eigentlich für Kinder gedacht, aber ich finde, man kann sich da auch als Teenie oder Erwachsener reinsetzen. Später hatte ich sogar eins, das war in eine Richtung um die 170 Zentimeter lang! Das war schon fast ein kleiner Mini-Pool, könnte man sagen.“

Darauf kicherte ich ein wenig, ein Bild von diesem seltsamen Pool-Planschbecken kam in meine Erinnerung hoch.

Andy dagegen sah mich nicht mehr verwundert, sondern lächelnd an. Offenbar hatte er darüber nachgedacht, denn er sagte: „So merkwürdig klingt das eigentlich gar nicht. Ich meine, wenn du dabei Spaß hattest, ist es doch egal, was andere Menschen darüber denken, oder nicht?“

Ich nickte ein wenig, denn Recht hatte er mit dem Gedanken schon irgendwie.

„Und ich denke, es ist schon mal einen Versuch wert. Immerhin hast du schon ziemlich begeistert gewirkt und es wäre wirklich eine tolle Alternative, zumindest solange, bis ich schwimmen kann.“

Dass er das sagte, freute mich sehr. Ich war mir zwar nicht sicher, ob er es wirklich so meinte oder nur so daher sagte; oder es gar sarkastisch meinte, aber ich verdrängte den pessimistischen Teil in mir, ich wollte an die gute Option glauben.

„Danke für den Tipp“, meinte er und ich lächelte ihn an.

„Gerne doch“, erwiderte ich. Dann hatte ich noch eine Idee.

„Was auch noch erfrischt, ist ein leckeres Eis. Egal ob Eiscreme, Wassereis oder Frozen Jogurt, das erfrischt einem von innen heraus und schmeckt auch sehr lecker“, sagte ich und bekam sofort Lust auf die eine oder andere Kugel Eis. Damit hatte ich wohl auch ein Thema erwischt, bei dem Andy mitreden konnte.

„Stimmt, das schmeckt auch sehr lecker. Was ist eigentlich deine Lieblingssorte, Kira?“

Ich begann ihm davon zu erzählen und zählte ihm auch das eine oder andere Lieblingseis von bekannten Marken auf, woraufhin er mir von all seinen Lieblingen vorschwärmte. So unterhielten wir uns lange über diverse weitere Arten, wie man sich im Sommer frisch halten konnte. Über kalte Duschen und heißen Apfeltees kamen wir dann schließlich zu Klimaanlagen. Wir beide kamen ziemlich schnell zu der Überzeugung, dass es schon einen erheblichen Vorteil hatte, wenn man im Haus eine gute Klimaanlage besaß – oder überhaupt eine. Und dass es Supermärkte wie Walmart gerne mal mit dem Kühlen im Sommer übertrieben.

Auf diese Weise vertrieben wir uns die Zeit und bemerkten gar nicht, dass sich langsam, aber sicher der Abend ankündigte, ganz in der Ferne konnte ich bei einem zufälligen Blick aus dem Fenster den Sonnenuntergang erkennen.

„Oh, sieh nur, es wird langsam Abend, wir haben uns wirklich ziemlich verquatscht“, sagte ich.

Doch Andy kam nicht dazu, mir eine Antwort zu geben, denn wir konnten beide den Impala sehen, der gekonnt auf einen freien Parkplatz abgestellt wurde. Kurz darauf betrat Dean das Zimmer, suchte etwas und wurde dann fündig. Offenbar hatte er mich gesucht, denn er sah mich beim Sprechen an.

„Wir sind mit unseren …ähm, Vorbereitungen fertig und haben jetzt einen sehr miesen Kohldampf. Zufällig konnten wir auch das Restaurant finden, dass die vielen kleinen Krebse anbietet, von denen du uns erzählt hast“, sagte er und ich blickte ihn erstaunt an. Deans Blick blieb dagegen unverändert, stattdessen öffnete er die Tür noch ein Stück weiter.

„Dann lasst uns keine Zeit verlieren, bevor die am Ende keine mehr haben“, sagte er, das war wohl seine Art zu sagen: Lasst uns dorthin fahren und uns die Mägen mit Krebsen vollhauen.

„Gerne doch, darauf hätte ich jetzt auch so richtig Lust“, sagte ich und zusammen mit Andy folgte ich Dean in den Impala hinein.

Ich, mit Sam unter Wasser

Nachdem wir uns alle mit Unmengen an gekochten und gegrillten Krabben den Magen vollgeschlagen hatten, setzten wir uns am Ende wieder in Deans und Andys Zimmer zusammen. Zu viert saßen wir auf den Betten und langsam kam es mir vor eine merkwürdige Übernachtungsparty unter Teenies vor, mit dem einzigen Unterschied, dass wir alle älter als 20 waren. Wir unterhielten uns und doch hatte ich das Gefühl, dass sich jeder mit persönlichen Informationen zurückgehalten hatte, damit ja keine Rückschlüsse auf die Vergangenheit, Herkunft oder sonstige Geheimnisse gezogen werden konnten. Wir kamen auch auf Themen zu sprechen, welche Andy und ich bereits am Nachmittag besprochen hatte. Vor allem die Tatsache, dass ich nicht nur einmal, sondern mehrfach in einem europäischen Land Urlaub gemacht hatte, fand Andy beeindruckend. Doch nicht nur er, sondern auch Sam und Dean, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Dean, wegen seiner Angst vor Flugzeugen, auch wenn er es nicht direkt so ausdrückte: „Nun, es ist bewundernswert, dass du diese langen Flüge da rüber so gut ausgehalten hast.“

Sam dagegen war der Meinung, dass es mir und meiner kulturellen Bildung geholfen hat, andere Teile der Welt zu sehen. Nervös knetete ich meine Finger, ich bekam das Bedürfnis ihnen zu sagen, dass ich eigentlich auch in Europa geboren und aufgewachsen war, doch die Worte kamen nicht über die Lippen. Wer weiß, wie lange wir uns wiedersehen würden und vermutlich würde es auch keine Rolle spielen. Außerdem könnte ich schlecht erklären, wie ich ohne jedes Gepäck oder Reisepass herumlaufen konnte. Nein, das konnte ich mir nicht einmal selbst erklären. Es würde einfach zu viele Fragen aufstellen, die ich unmöglich beantworten konnte, also beschloss ich, nichts zu sagen.

Dabei hatte ich nicht bemerkt, wie vertieft ich deshalb in meinen Gedanken gewesen war. Erst, als ich Sams Stimme hörte, blickte ich zu ihm hinüber und stellte fest, dass ich die letzten Minuten verpasst hatte. Ich hatte keine Ahnung, um welches Thema es jetzt ging.

„Kira? Alles ok?“, fragte er mich und sah mich seltsam an. Ich schüttelte so fest ich konnte meinen Kopf.

„Ja, bei mir ist alles in Ordnung, ich bin nur gerade gedanklich nochmal den Türkei-Urlaub mit meiner Oma durchgegangen und hab mich an so manche schönen Dinge erinnert, wie den fantastischen Sonnenuntergang über dem Meer“, plapperte ich, bevor mir einfiel, dass ich den Sonnenuntergang nicht in der Türkei, sondern in Kroatien gesehen hatte. Ich unterdrückte das Bedürfnis, den Fehler zu korrigieren und wollte lieber, dass Sam seinen Satz noch einmal wiederholte.

„Also bist du wirklich noch nie im Meer gewesen? In deinem ganzen Leben noch nicht?“, fragte er mich leicht ungläubig und ich nickte.

„Ja, wie gesagt, meine Oma hat es mir nicht erlaubt, weil sie dachte, ich würde sofort ertrinken. Und jemand anderes hatte ich nicht, mit dem ich zum Schwimmen gehen konnte. Oma war die einzige, nur einmal war ich mal mit den Nachbarn im Schwimmbad, das wars …“, sagte ich und kratzte mir verlegen an der Wange herum.

Sam sah mich dabei mit einem merkwürdigen und irgendwie auch nachdenklichen Blick an, was mir ein wenig merkwürdig vorkam. So unterbrach ich unseren Blickkontakt und versuchte, dem Gespräch zwischen Andy und Dean zu lauschen, doch es ging nur um Autos und da mich diese nicht interessierten, hörte ich wieder weg. Eine Ablenkung suchend, fiel mein Blick wieder auf Sam, welcher mich nun wieder anlächelte. Dieses Mal war das Lächeln ein wenig merkwürdig, er hatte wohl mitbekommen, dass mich seine nachdenkliche Miene verschreckt hatte und wollte es damit wieder gutmachen. Zur Bestätigung, dass ich mich wieder wohler fühlte, lächelte ich zaghaft zurück. Doch in meinem Inneren hatte ich Angst, dass er mich nun für psychisch noch kranker hielt, als er es ohnehin schon getan hatte.

 

Am nächsten Morgen rieb ich mir verwirrt die Augen, für ein paar Sekunden wusste ich nicht mehr, wo ich war und warum ich an einem fremden Ort war. An den Traum, den ich bis vor wenigen Sekunden gehabt hatte, konnte ich mich kaum noch erinnern, ich wusste nur noch, dass ich in eine große Brezel gebissen hatte und diese recht lecker war.

Erst nach ein paar Sekunden kamen die Erinnerungen wieder zurück. Dass ich mich mit Dean, Sam und Andy in Gelveston befand, damit wir uns dort ein paar schöne Tage machen konnten. Dass wir in einem muffigen Motel bereits zum zweiten Mal übernachtet hatten.

Mit einem leichten Hungergefühl im Magen setzte ich mich auf, und rieb mir ein weiteres Mal die Augen. Dieses Mal schob ich mir vorsichtig mit dem Finger den Schlafsand von den Augen weg. Doch meinen Augen war das wohl nicht vorsichtig genug, sie begannen trotzdem ein wenig zu tränen.

Blöde, sensible Augen!

„Oh, du bist wach? Guten Morgen!“, begrüßte mich Sam und rubbelte sich dabei die Haare trocken. Er kam gerade aus dem Bad und hatte nichts als ein Handtuch um seinen unteren Körperbereich gewickelt. Obwohl Sam nicht mein Typ war und ich ihn schon öfters oben ohne im TV gesehen hatte, konnte ich doch nicht anders als ihn mir mal genauer anzusehen, so aus der Nähe war das dann doch etwas anders. Vor allem sah sein Oberkörper ganz anders aus als der von meinem Freund. Doch ich spürte bei diesem Anblick hier nichts in mir.

„Ja, ich bin gerade aufgewacht, hatte einen seltsamen Traum, aber ich kann mich kaum noch daran erinnern“, sagte ich und blickte Sam dabei wieder ins Gesicht. Der rubbelte sich immer noch an den Haaren herum, dann lächelte er mich an und meinte: „Das freut mich für dich. Ich hatte mir zuerst überlegt, ob ich dich wecken soll, aber dann habe ich dich doch lieber ausschlafen lassen. Nach allem, was du durchgemacht hast, hattest du die Erholung sicher nötig.“

„Danke, das war wirklich sehr nett von dir“, sagte ich und stand auf, wusste aber nicht so recht, was ich machen sollte.

„Wenn du möchtest, kannst du auch gerne schnell duschen gehen, ich würde uns derweil ein Frühstück besorgen“, schlug Sam vor und ich überlegte kurz, ging dann aber auf den Vorschlag ein. Zwar mochte ich es nicht, jeden Tag zu duschen, doch meine letzte Dusche, die ich hatte, war die Flucht im Regenschauer vor der seltsamen Frau. Und ich fühlte mich auch nicht gerade sehr sauber, weshalb es eine gute Idee von ihm war.

„Gerne, dann nehme ich nur schnell meine Sachen mit ins Bad und dusche mich ganz schnell“, sagte ich und machte mich gerade an meiner Tasche zu schaffen, als ich hörte, dass Sam sein Handtuch weglegte.

„Keine Sorge, im Bad sind noch genug Handtücher übrig. Wir haben wohl ausnahmsweise ein Motel mit Handtüchern erwischt, das kommt auch nicht so häufig vor“, sagte er, während ich meine mittlerweile getrockneten Anziehsachen aus der Tüte herausholte.

Dann drehte ich mich zu ihm um, und als ich ihn beobachtete, wie er sich ein Shirt überzog, fiel mir etwas anderes sein.

„Achja, du kannst gerne meine Duschsachen benutzen, sprich, Duschgel und Shampoo. Ich hoffe, es stört dich nicht, dass es Männerprodukte sind“, meinte er, doch ich schüttelte mit dem Kopf.

„Nein, das stört mich nicht, im Gegenteil, ich benutze auch oft Männerprodukte im Bad, meistens Männerdeo, aber manchmal auch so Flaschen, die zwei in einem sind. Also Shampoo und Duschgel, fühlt sich besonders im Sommer richtig erfrischend an.“

Kaum hatte ich das erzählt, sah mich Sam für eine kurze Sekunde merkwürdig an, dann zuckte er mit den Schultern und ging ins Bad, um sich eine Bürste zu holen.

Mich würde echt mal interessieren, welche Schlüsse er jetzt daraus zieht …

„Gut, dann haben wir das ja geklärt. Hast du auf irgendwas Bestimmtes Lust, was du gerne essen würdest?“, fragte er mich und ich horchte kurz in mich hinein, doch so wirklich wollte mir nichts einfallen.

„Nicht wirklich, ich habe jetzt aber auch nicht so großen Hunger, irgendeinen Salat oder ein Sandwich wären ganz ok“, meinte ich und nickte ein wenig mit dem Kopf. Sam nahm darauf seinen Geldbeutel, verstaute ihn in der hinteren Hosentasche und klopfte mir beim Vorbeigehen auf die Schulter.

„Gut, dann lass dir ruhig so viel Zeit, wie du willst, ich muss auch erstmal rüber zu den Beiden gehen und fragen, was ich ihnen mitnehmen kann. Für dich werde mir schon was Leckeres zum Essen einfallen lassen“, meinte er, öffnete die Tür zu unserem Zimmer und verließ es entspannt. Nur um kurz darauf seinen Kopf wieder durch die geöffnete Tür zu strecken.

„Achja, ganz vergessen, pass bitte bei der Dusche auf, da sind die Zeichen für das kalte und das warme Wasser vertauscht worden.“

„Danke, ich werde darauf achten“, sagte ich zu Sam und dieser hob wieder seinen Daumen. Dann war er endgültig zum Nebenraum unterwegs.

Ich dagegen machte mich auf dem Weg zum Bad, wo ich die nächsten zwanzig Minuten damit verbrachte, meinen Körper mit Hilfe von Sams Duschsachen wieder sauber und erfrischt zu bekommen.

 

Kaum hatte ich mich im Bad umgezogen, die benutzten Kleidungsstücke in die Tasche gepackt und mir spärlich mit den Fingern durch die nassen Haare gekämmt, öffnete sich die Tür und Sam kam herein.

„Ah, du bist aber schnell“, sagte er und stellte eine weiße Papiertüte auf dem Tisch ab. Das Logo darauf sagte mir nichts.

„Ja, dabei habe ich mir extra Zeit gelassen. Danke, dass ich deine Sachen benutzen durfte“, sagte ich aufrichtig, doch Sam winkte nur ab.

„Kein Thema, ich habe es dir ja angeboten und eine wirkliche Alternative hattest du ja auch nicht“, sagte er und blickte nun selbst auf die Papiertüte. Da ich mich nicht vom Fleck bewegte, nahm er diese wieder an sich und begann darin zu suchen.

„Für dich habe ich etwas Leckeres mitgenommen, zumindest glaube ich, dass es dir schmecken wird“, sagte er und reichte mir eine Plastikschüssel, gefüllt mit Salat, verschiedenem Gemüse und gekochtem Schinken. Dazu eine Packung mit einer Art Essig-Öl-Dressing, welches vertraut wirkte, aber nicht vertraut war. Als ich mir die Schüssel näher ansah, konnte ich die kleine schwarze Plastikgabel erkennen, welche beigelegt worden war. Kaum hob ich meinen Kopf, um mich bei Sam zu bedanken, reichte er mir eine Flasche Wasser. Ein Blick darauf verriet mir, dass es sich um stilles Wasser handelte. Dann erinnerte ich mich daran, dass in den USA stilles Wasser die Norm war, nicht wie bei uns Wasser mit viel zu viel Kohlensäure drin.

„Danke, Sam, das ist genau das Richtige. Vor allem das Wasser, ich mag es am liebsten so“, sagte ich und hob die Flasche so, damit er die Aufschrift „Natural“ darauf lesen konnte. Zufrieden grinste Sam mich an. 

„Das freut mich, dass ich bei dir so einen Glückstreffer gelandet habe. Schön, dass du auf deine Ernährung achtest, bei meinem Bruder ist es zwar auch einfach, aber er stopft sich viel zu viel ungesundem Kram rein. Er hat es nur seinem J… Metabolismus zu verdanken, dass sich nichts davon auf seinen Hüften absetzt“, korrigierte er sich schnell und ich wollte ihn jetzt auch nicht darauf ansprechen, was er eigentlich hatte sagen wollen. Ich konnte mir vorstellen, dass „Job“ das Wort war, dass er vermeiden wollte. Oft genug stellten sie sich als Mechaniker gegenüber Fremden vor, wenn sie nicht gerade die Männer von FBI mimten. Doch als Mechaniker hatte man nicht gerade viel Geld, dass man einfach so mal eben aus dem Fenster oder wie in meinem Fall, einer Fremden einfach in die Hand drücken konnte.

Stattdessen versuchte ich, bei seiner Antwort mitzuspielen und ihn aus seiner Lage zu retten.

„Ja, das kenne ich, ist bei meinem Freund auch so, der kann auch essen, was er will, er geht auch nicht auseinander. Ich dagegen muss ein wenig mehr aufpassen, aber naja, wann es ist es schon fair im Leben?“

Ich räusperte ich ein wenig und versuchte das Thema wieder auf den Ursprung zu lenken, bevor Sam irgendwas dazu sagen konnte oder sich gar wieder Gedanken machte.

„Was hast du dir denn mitgenommen?“ fragte ich neugierig, weil es mich wirklich interessierte. Sam griff erneut in die Tüte und zog eine weitere Salatschüssel heraus, welche vom Inhalt her identisch zu meiner war, nur fehlte der Schinken. In der anderen Hand konnte ich eine weitere Wasserflasche erkennen.

„Bei mir ist es einer mit Ei als Zusatz“, beantwortete er meine unausgesprochene Frage und deutete auf den Tisch hinter mir.

„Wollen wir uns dort drüben irgendwo hinsetzen? Ich habe den beiden auch was zum Essen vorbeigebracht, aber Dean wollte wohl mit Andy ein wenig Zeit verbringen, alte Erinnerungen auffrischen“, sagte er und ich konnte mir vorstellen, dass sie eigentlich über andere Themen redeten, doch darüber wollte ich nicht wieder nachdenken. Vor allem, da ich nach wie vor keine weiteren Hinweise bekommen hatte, um was hier genau ging. Stattdessen sagte ich der Idee zu und wir wechselten zu dem Tisch hinüber, welcher zum Glück zwei Stühle besaß.

Während wir also nebeneinander an dem Tisch saßen und ich mir neben Sam nach wie vor wie ein Zwerg vorkam, schwiegen wir die ersten Minuten vor uns hin. Bis dann schließlich Sam das Wort wieder ergriff.

„Achja, Kira, ich hätte da einen Vorschlag, mit dem du dich von dem Ganzen hier ein wenig ablenken kannst. Und du kannst auch etwas nachholen, was du offenbar bisher verpasst hast“, sagte er und ich hatte keine Ahnung, was er damit meinen könnte.

„Was meinst du damit?“, fragte ich ihn, kaum hatte ich ein großes Stück Schinken zerkaut und heruntergeschluckt.

„Naja, du meintest gestern doch, dass du noch nie im Meer warst, weil deine Oma Angst um dich hatte und möglicherweise ist diese Angst auf dich übergesprungen. Du hast zwar selbst genug andere Probleme, aber ich dachte mir, ich könnte die Zeit hier nutzen und dich zumindest von einem davon befreien“, sagte er und nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche. Schlau wurde ich aus seinen Worten nicht, weshalb er noch hinzufügte: „Ich dachte, wir gehen einfach mal auf einen gemeinsamen Tauchgang. Natürlich nicht sehr lange, da du ja noch eine Anfängerin bist, aber eine Stunde rum dürfte reichen, um dir eine völlig neue Welt zu zeigen. Was meinst du, bist du dabei?“

Gebannt starrte ich zu Sam hinüber, zwar hatte ich mir schon öfters überlegt, dass es mal cool wäre, tauchen zu gehen, aber bisher hatte ich nicht die Chance dazu. Also musste ich die Gelegenheit sofort am Schopfe packen.

„Ja, sehr gerne doch, das klingt wirklich aufregend!“, sagte ich und begann mit einem höheren Tempo mein Essen zu verdrücken.

„Langsam, langsam, ich muss da nur noch anrufen und zusagen. Eigentlich hat nur noch deine Zustimmung gefehlt. Vorhin, als ich beim Einkaufen war, habe ich bei einem Verleih angerufen, sie haben doch auch deine Größe, ich habe extra nachgefragt“, sagte er und ich lief ein wenig rot an.

Sam ist sehr nett, er kümmert sich so viel um mich. Ob ich ihn an jemand erinnere? Ne, er ist eigentlich immer so zuvorkommend. Ganz anders als Dean, aber das ist auch in Ordnung. Kein Wunder, dass er hier und da, wie ein Frauenversteher rüberkommt …

Doch so wirklich wollten mir keine weiteren Worte einfallen, weshalb ich nur stumm nickte und den Rest meines Salat wieder in einer normalen Geschwindigkeit aufaß. Sam tat es mir gleich, und kaum war er fertig, griff er zu seinem Telefon.

„Guten Tag, spreche ich hier mit dem Verleih? Mein Name ist Sam, wir hatten vorhin miteinander telefoniert …“

 

Da sich zu unserem Glück Dean und Andy immer noch in ihrem gemeinsamen Zimmer befanden, um „alte Erinnerungen aufzufrischen“, konnten wir uns den Impala schnappen und zum Verleih fahren. Die kurze Fahrt durch die Stadt hatte mir gut gefallen, auch wenn es wie jede andere amerikanische Kleinstadt aussah, die ich bisher besucht hatte. Dennoch gefiel mir die Fahrt, da es im Impala auch mehr als bequem war.

Bei unserem Ziel angekommen, hatte Sam erstmal Schwierigkeiten, einen Parkplatz zu finden, da die wenigen Stellplätze für Autos eng waren, auch konnte man sie an einer Hand abzählen. Also nochmal ein Stück zurückfahren zu einem größeren Parkplatz, bevor es wieder zum Strand und damit auch zum Verleih ging. Wo wir auch recht schnell begrüßt wurden.

„Hallo, guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte uns die freundliche Mitarbeiterin und sah uns dabei lächelnd an. Ich wusste nicht, wie viel davon gespielt war oder nicht, aber die skeptische Deutsche in mir würde nie aufhören das zu hinterfragen.

„Guten Tag, wir haben vorhin miteinander telefoniert, mein Name ist Sam und wir sind hier, um uns Taucherausrüstungen auszuleihen.“

Die Mitarbeiterin klatschte in die Hände, dann kam sie von ihrem Tresen hervor. Jetzt erst erkannte ich, dass ihre Uniform eine Anspielung auf einen Seemann sein sollte. Sie trug ein langes Kleid, welches zwischen Hüfte und Knien endete, in einem schönen dunklen Blau. An der Brust trug sie einen Aufnäher mit dem Logo des Verleihs, auf das Ende des Kleids war ein Anker gestickt worden. Auf ihrem Kopf trug sie etwas, was mich sofort an die Mütze von Donald Duck erinnerte. Nur, dass diese Mütze ebenfalls in dem gleichen Blau war wie das Kleid.

„Stimmt, ich kann mich daran erinnern, Sie haben mit mir vorhin telefoniert“, sagte sie und führte uns in den hinteren Teil des Ladens, wo sie uns dann schließlich zu den Umkleidekabinen brachte.

„Wir haben auch gleich alles für Sie vorbereitet“, sagte sie und holte aus einer der Kabinen eine Kiste hervor, in welcher ich die bunte Taucheranzüge erkennen konnte.

„Für Ihre Freundin haben wir mehrere Größen herausgesucht, da Sie sich ja nicht sicher waren, welche ihr passen würde“, sagte die Mitarbeiterin, dann sah sie mir in die Augen. „Unsere Anzüge sind äußerst flexibel und auch sehr stabil, Sie dürften also keine Probleme mit der Anprobe haben.“

„Sie ist nicht meine …“, wollte Sam die Dame korrigieren, doch da diese bereits wieder abgerauscht war um sich um den nächsten Kunden zu kümmern, waren wir beide auf uns allein gestellt. Schweigend sahen wir uns an.

„Gut, eigentlich ist es nicht so schwer, in die Anzüge reinzukommen. Solltest du trotzdem Probleme haben, melde dich einfach, ich werde dann nach der Mitarbeiterin rufen“, sagte Sam und ich war dankbar für diesen Vorschlag. Für einen Moment hatte ich gedacht, er würde sagen, dass er mir dann helfen würde, aber er war Gentleman genug, das nicht zu tun. So nahmen wir beide unsere Anzüge, es war optisch sofort ersichtlich, wer welchen Anzug bekommen würde und verzogen uns in unsere Ankleidekabinen.

Die Kabine selbst kam mir sehr luxuriös vor, zwei Spiegel, so dass ich mich sowohl von vorne als auch von der Seite betrachten konnte. Kleiderbügel, damit man seine eigene Kleidung dort aufhängen konnte. Dazu noch eine Anleitung in Bild und Schrift, wie man in einen solchen Anzug einsteigen würde.

Wie praktisch … kein Wunder, dass uns die Verkäuferin keine Anweisungen gegeben hat, wenn die sich hier bereits befinden.

So begann ich, Schritt für Schritt vorzugehen, nachdem ich alles bis auf meine Unterwäsche ausgezogen hatte. Als erstes kamen meine Beine, eins nach dem anderen wurde sorgfältig anzogen. Anschließend versuchte ich den Tauchanzug über meine Oberschenkel bis hinauf zur Hüfte zu ziehen, scheiterte jedoch wie schon bei vielen Hosen an meinen viel zu breiten Schenkeln.

Also doch der größere Anzug, dachte ich mir und fing mit dem anderen, größer aussehenden Anzug nochmal von vorne. Erst die beiden Beine, eins nach dem anderen, dann hinauf bis zur Hüfte und im Anschluss Oberkörper wie auch Arme. Kaum war ich komplett im Anzug eingepackt, guckte ich mich von der Seite, dann von vorne an. Ich fühlte mich sehr beweglich darin und meine Figur sah auch nicht so schlecht aus darin. Dann fiel mir der Reisverschluss am Rücken auf, den ich allein nicht zumachen konnte.

„Ähm, Sam, ich könnte jetzt doch deine Hilfe gebrauchen! Kannst du mir bitte helfen, den Anzug hinten zuzuziehen?“, fragte ich zu Sams Kabine herüber.

„Klar, kann ich machen“, konnte ich es aus dem Flur heraushören und trat in ebendiesen hinaus. Dort konnte ich Sam sehen, welcher wohl ebenfalls damit kämpfte, seinen Reißverschluss zu verschließen.

„Wenn du mir mit meinem hilfst“, sagte er, drehte sich um und ging in die Hocke, damit ich ihm helfen konnte.

„Klar“ sagte ich und zack, schon war der Reißverschluss zu. Dann half er mir bei meinem und sah sich meinen Anzug genauer an, schaute, ob nichts irgendwo spannte oder mir wehtat.

„Passt alles?“, fragte er nach und da mir selbst nichts aufgefallen war, bejahte ich seine Frage.

„Gut, dann lass uns rausgehen, die Ausrüstung bekommen wir sicherlich auch noch.“

 

„Oh, wundervoll, der Anzug steht Ihnen wirklich ausgezeichnet“, begann die Mitarbeiterin zu loben und ich war mir nicht sicher, wen von uns beiden sie damit meinte. Die Mitarbeiterin ging jedoch nicht weiter darauf ein, sondern verschwand hinter irgendeiner Tür, nur um dann mit unserer Ausrüstung zurückzukommen.

„Wir haben alles kontrolliert, die Flaschen sind aufgefüllt, Sie müssten sich die Sachen nur noch umlegen, dann sind Sie startbereit. Und keine Angst, Ihre Kleidung bewahren wir wie am Telefon besprochen bei uns auf“, meinte die Dame und reichte Sam eine weitere Kiste, die recht schwer aussah. Aber entweder beschwerte er sich nicht oder es war für ihn ein Klacks, denn das Gewicht schien ihn nicht sonderlich zu stören.

„Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Tauchen“, sagte sie und da Sam bereits am Rausgehen war, folgte ich ihm aus dem Laden hinaus.

Zwar war es bis zum Strand nicht sonderlich weit, dennoch fiel er mir erst jetzt so richtig auf. Ich hatte mit einem steinigen oder einem langweiligen Strand gerechnet, doch nicht mit einem wunderschönen sandigen. Der Sand fühlte sich unter meinen im Taucheranzug gepackten Füßen merkwürdig an, es war allerdings angenehmer, als ihn die ganze Zeit in die offenen Sandalen zu bekommen.

Sam stellte derweil die Kiste ab, holte die Gegenstände heraus und fing an, diverse Dinge zusammenzubauen. So wirklich verstand ich nicht, was er da tat, also betrachtete ich lieber den Strand und das Meer. Hier und da konnte ich andere Menschen sehen, die verschiedenen Tätigkeiten nachgingen. Am Strand spazieren, sich in den Sand legen, tauchen oder schwimmen, der Strand hatte wohl für wirklich jeden hier was zu bieten. Schließlich kam Sam und begann, die Taucherausrüstung an mir zu befestigen. Auch hier verstand ich nichts von seinem Gemurmel, welches er mal mehr, mal weniger verständlich von sich gab. Ich gab es auf, ihn verstehen zu wollen und irgendwann war er dann auch fertig. Als ich dann zu ihm hinübersah, deckte er sich selbst mit der gleichen Ausrüstung zu. Nur das Mundstück blieb bei uns beiden noch draußen.

„Ok, dann werde ich dir noch ein paar Zeichen beibringen. Wie du dir denken kannst, kann man unter Wasser nicht miteinander reden, dennoch ist auch im tiefen Nass Kommunikation das A und O“, sagte er, kaum, dass er wieder zu mir herübergekommen war.

„Ja, ich glaube, ich kenne was“, sagte ich und formte mit meinem Daumen und Zeigefinge einen Kreis. Sam nickte ein wenig.

„Das bedeutet ‚Alles in Ordnung‘ oder ‚Ich habe verstanden‘, kann man sowohl als Frage, als auch als Antwort sehen. Es gibt recht viele Handzeichen, aber ich denke, für den Anfang reichen uns die wichtigsten.“

So zeigte er mir die Handzeichen für „Abtauchen“, „Auftauchen“, „Unklare Situation“ und „Akute Luftnot“, sollte ich feststellen, dass etwas mit meiner Luftversorgung nicht in Ordnung war. Er ließ mich auch die Zeichen öfters wiederholen, damit ich sie mir gut einprägen konnte. Gleichzeitig bewunderte ich Sam und fragte mich, wann und wo er das alles gelernt hatte. Als Jäger kam man nicht unbedingt in die Situation, dass man derartige Dinge lernen musste, aber ich wollte ihn das auch nicht fragen.

„Cool, dass du das kannst und danke, dass du es mir beibringst“, sagte ich und er klopfte mir wieder auf die Schulter.

„Gerne doch. Und jetzt lass uns lieber reingehen, dafür sind wir doch hier. Da du eine Anfängerin bist, werde mir dir zusammen reingehen, du musst also keine Angst haben.“

Dann half er mir mit meinem Mundstück und es fühlte sich seltsam, aber auch sicher an. Nachdem er seins fixiert hatte, nahm er meine Hand und ging langsam zum Wasser hinüber. Ich hatte das aufregende Gefühl, als würden wir eine fremde Welt betreten und mir stiegen Tränen in die Augen vor lauter Vorfreude. Schließlich umgab uns das Meer, je tiefer wir reingingen und irgendwann begann ich zu schwimmen. Sam folgte mir schließlich und zeigte mit dem Daumen nach unten, woraufhin ich mit dem Tauchen anfing. Ich wollte mir instinktiv Luft holen, doch das Stück in meinem Mund erinnerte mich daran, dass das nicht nötig sei.

Unter Wasser hatte ich noch nie meine Augen öffnen können, vor allem im Schwimmbad nicht, da meine Augen sehr, sehr empfindlich waren. Doch hier, dank meiner Taucherbrille, konnte ich nun alles sehen. Nur leider gab es nicht sehr viel zum Sehen, nur Sam, welcher mir per Zeichensprache andeutete, ihm zu folgen. Es dauerte ein wenig, doch recht schnell hatte ich es raus, wie man unter Wasser schwamm. Es war im Grunde nicht anders als über Wasser. Und mit den Flossen an den Füßen war es viel einfacher. Es dauerte nicht lange, bis ich es wirklich raushatte, wobei ich hier unten kein richtiges Zeitgefühl hatte. Ich wusste nicht, ob Sam eine bestimmte Richtung anpeilte oder einfach nur irgendwo hinschwamm, aber ich vertraute ihm einfach.

Und schließlich wurde mein Vertrauen in ihm belohnt. Wir waren offenbar tief genug ins Meer hineingeschwommen, so dass sich die Reise immer mehr und mehr lohnte. Es war ein Anblick, den ich garantiert nie wieder vergessen würde.

Korallenriffe, soweit mein Auge reichte, konnte ich erkennen. Viele, bunte Korallen, in den unterschiedlichsten Farben. Vor allem dominierten die Farben Rot, Rosa, Braun und Grün. Bisher kannte ich diese nur aus Bildern oder aus dem Zoo, und es jetzt hier live zu sehen, war sehr beeindruckend. Selbst wenn ich hier hätte sprechen können, so wäre ich dennoch sprachlos geblieben.

Auch die vielen kleinen Fische, die ich sehen konnte, waren wirklich sehr schön. Sie bildeten mit dem Korallenriff eine wunderbare Einheit, ein wunderschönes, perfektes Bild, dass am besten für immer erhalten werden sollte. Ich hatte das Gefühl, dass das eine nicht ohne das andere leben konnte. Dann erinnerte ich mich daran, dass solche Orte wohl immer mehr zerstört wurden und wieder bildeten sich Tränen in meinen Augen. Sam bekam es wohl mit, dass ich traurig wurde, denn er bildete mit seinen Fingern den Ring und sah mich dabei an. Ich erwiderte seinen Blick, blinzelte die Tränen weg und formte ebenfalls den Ring.

Schließlich schwammen wir weiter und die Korallenriffe wollten und wollten kein Ende nehmen. Gleichzeitig sah ich auch noch diverses anderes Meeresgetier, wie manche der Krebse, deren Kollegen wir am Vorabend verspeist hatten. Aber auch sämtliche mir unbekannte andere Fische, Muscheln und ich glaubte sogar einen Seestern erkannt zu haben. Am besten gefiel mir ein neongrüner Fisch mit orangefarbenen Streifen, leider kannte ich seinen Namen nicht.

In der Ferne konnte ich eine Schildkröte erkennen oder zwei, und sogar einen kleinen Hai, zumindest ging ich davon aus, dass es einer war. Doch er hatte wohl kein Interesse an uns und das war für alle Beteiligten am besten so.

Zwar hatte Sam an alles gedacht, eine Sache hatte er trotzdem vergessen: Eine Unterwasserkamera. So versuchte ich, so viele Eindrücke wie möglich zu bekommen und auch das schien Sam zu bemerken. Gut, da ich mir jede interessante Koralle und jeden fremden Fisch genauer ansah, war es auch kein Geheimnis, was ich da gerade versuchte. So deutete und zeigte er mir öfters weitere interessante Dinge, die mich aus dem Staunen nicht mehr herausbrachte. Am liebsten hätte ich mich dafür bedankt, doch ich wusste nicht, ob es dafür ein Handzeichen gab. Wenn ja, hatte Sam es mir nicht beigebracht.

 

Ich wusste nicht, wie lange wir unter Wasser waren, dort die Wunder der Natur betrachteten oder einfach nebeneinander ein wenig herumschwammen, aber leider hatte alles irgendwann ein Ende. Sam deutete mit dem Daumen nach oben, das Zeichen fürs Auftauchen und ich bestätigte es. Zwar fühlte ich mich ein wenig müde, vom vielen Schwimmen und den vielen Eindrücken, dennoch fand ich es schade, dass es nun vorbei war. Ich nahm mir vor, die nächste Gelegenheit wieder beim Schopf zu packen. Zwar war ich ein Sportmuffel, doch das Tauchen hatte mir gefallen.

Kaum waren wir aufgetaucht und wieder zum Strand geschwommen, half mir Sam wieder aus meiner Taucherausrüstung heraus, bevor er sich von seiner befreite. Jetzt standen wir wieder nur noch im Taucheranzug herum.

„Und, wie fandest du es? Ich habe schon mitbekommen, dass es dir dort unten sehr gut gefallen hat“, sagte er, kaum, dass er die Sachen in der Kiste verstaut hatte. Derweil überlegte ich, wie ich meinen Gefühlen und Worten Ausdruck schenken konnte. Schließlich drehte ich mich einfach zu Sam um und umarmte ihn, da ich mir nicht anders zu helfen wusste. „Oh hey!“, rief er überrascht aus, ließ die Umarmung aber zu. Es fühlte sich nach wie vor seltsam für mich an, wie jede Umarmung, die nicht mit meinem Freund passierte, aber ich hatte das Gefühl, dass ich so am besten meine Dankbarkeit zeigen konnte. Dann ließ ich ihn wieder los.

„Vielen Dank, Sam, ich fand es großartig. Sowas habe ich noch nie gesehen, außer mal auf Bildern oder im Zoo, in einer künstlichen Mini-Ausgabe. Ich war noch nie im Meer und ich war auch noch nie tauchen, aber es … es hat einfach so viel Spaß gemacht! Und all diese Korallen und die Tiere … es war einfach eine ganz andere Welt, die man auf diese Art sonst nicht zu Gesicht bekommt. Vielen Dank, das war echt großartig. Und jetzt kann ich auch endlich sagen, dass ich mal im Meer geschwommen bin.“

Sam lächelte mich an und ich fragte mich, was wohl jetzt sein Bild von mir sein würde. Hatte es sich geändert? Hielt er mich jetzt für psychisch gesünder? Oder hatte sich nichts geändert? Je länger ich mich das fragte, desto weniger wollte ich darauf eine Antwort haben.

„Das freut mich, ich dachte mir schon, dass es sich lohnen würde. Es klang wie gesagt auch ein wenig so, als wäre die Angst von deiner Oma ein wenig auf dich übergeschwappt und die konnte ich dir damit wohl ein Stück weit wieder nehmen“, sagte er und streichelte mir über den Kopf. Ich bekam das Gefühl nicht los, als wäre ich nur ein Kind für ihn. Gut, bei seiner Körpergröße und meiner ist das wohl auch kein Wunder.

„Hast du Lust, dass wir uns wieder umziehen und ein wenig zusammen am Strand spazieren gehen? Ich würde mir gerne noch mit dir die Zeit vertreiben, bevor es wieder zurückgeht. Außerdem wird Dean nachher den Wagen haben wollen und es wird ihm nicht gefallen, wenn wir ihn zurücklassen“, sagte er und begann ein wenig zu lachen. Verwirrt sah ich Sam an, dann tippte er sich an die Stirn.

„Achja, das habe ich dir ja ganz vergessen zu sagen. Als wir gestern Abend besprochen hatten, wohin wir zum Essen gehen, hatten wir ausgemacht, dass wir heute das Restaurant mit den bodenlosen Nachos aufsuchen werden. Dean wollte eigentlich gestern schon hingehen, aber die Krabben waren gestern im Tagesangebot, also … naja, ich habe ihm dafür versprochen, dass wir heute Abend Nachos essen gehen, und Dean nimmt solche Versprechen vorn mir sehr ernst. Vor allem, wenn es um Essen geht, dass er liebt.“

Dabei grinste Sam die ganze Zeit, was ziemlich ansteckend war. Dann nickte ich.

„Gerne, vielleicht sehen wir ja noch das eine oder andere interessante Tier dabei“, sagte ich und war wirklich auf den Spaziergang gespannt.

„Dann lass uns umziehen gehen, die Taucheranzüge sind zwar nett, aber in den eigenen Sachen läuft es sich doch besser“, sagte Sam und ich folgte ihm zurück zum Verleih, mit einem warmen, wohligen Gefühl in meiner Magengegend.

Ich, mit Dean am Shoppen

Die dritte Nacht verging noch schneller als die zweite, und heute war unser dritter und letzter Tag, welchen wir in Galveston geplant hatten. Noch immer hatten die Jungs keinerlei Anstalten gemacht, mich zu einem Krankenhaus zu bringen oder wegzuschicken. Ein kleiner Teil von mir hoffte, dass es einfach nur daran lag, dass sie meine Gesellschaft genossen und es für sie wie ein kleiner Urlaub war, etwas, was Jäger normalerweise nie hatten. Aber der größte Teil in mir wusste, dass das nicht die ganze Wahrheit war.

Vermutlich dachten die Jungs, dass die Frau oder der „alte Freund“ auch nun hinter mir her sein könnten, es könnte der Verdacht im Raum stehen, dass ich Andy näher kennen würde. Oder sie konnten mir etwas antun, nur, weil ich Kontakt zu Andy hatte. Es war möglich, dass sie mich wie Andy in Sicherheit wissen wollten und das taten sie am besten, wenn wir in ihrer Nähe waren. Das würde auch erklären, warum sie die meiste Zeit bisher mit uns zusammenverbracht hatten.

Nachdenklich rührte ich meinen Früchtetee um, der Beutel schwamm noch immer in der Tasse und wartete darauf, herausgezogen zu werden. Der Tee hatte bereits eine schöne Farbe angenommen und ich wusste, wenn ich zu lange warten würde, würde der Tee vom Geschmack her zu stark werden. Aber gleichzeitig machte es mir viel zu viel Spaß, einfach nur den Beutel in dem Wasser herumzurühren.

„Kira, ist alles in Ordnung bei dir?“, konnte ich Sam wieder fragen hören und blickte von meiner Tasse auf.

„Ja, ich bin nur noch nicht so ganz wach, außerdem war ich mir noch nicht sicher, ob ich den Teebeutel schon rausziehen sollte“, log ich ihn an. Ich konnte ihm schlecht meine wahren Gedanken erzählen, das hätte mich ganz schön in Erklärungsnot gebracht.

Sam hingegen warf über den Tisch hinüber einen Blick auf meine Tasse, bevor er sich wieder entspannt zurücksetzte.

„Ich an deiner Stelle würde den Beutel lieber rausholen“, riet er mir, ich nickte nur und folgte seinem Rat, indem ich den Beutel in den kleinen Tischmülleimer beförderte.

„Danke, zwei Meinungen sind immer noch besser als nur eine“, sagte ich, lächelte Sam dankbar zu und schnitt mir ein wenig von meinem Rührei ab. Auch Sam widmete sich wieder seinem Frühstück und beachtete mich nicht mehr weiter. Vielmehr schien er die Gäste zu beobachten, vermutlich eine alte Gewohnheit, denn außer uns befanden sich hier fast nur Rentner und Büroleute, die an ihren Laptops zu arbeiten schienen.

Neugierig sah ich zu Andy hinüber, die letzten Tage hatten ihm recht gutgetan, vor allem der gestrige. Was auch immer Dean mit ihm besprochen hatte, es hatte funktioniert. Zwar sah Andy immer noch nicht zu 100% wie das blühende Leben aus, aber er blickte nicht mehr so ängstlich in der Gegend herum. Außerdem hatte er wieder Farbe ins Gesicht bekommen und auch sein Appetit schien zurückgekehrt zu sein. Besonders die Spiegeleier verschlang er, als hätte er gerade eine strenge dreimonatige Fastenzeit hinter sich, die eine Lücke in seinem Magen hinterlassen hatte. Eine Lücke, die es nun zu füllen gab.

Mein Blick fiel nun nach vorne, zu der Person, die gegenüber von mir saß und sich bereits am Morgen einen Hamburger gönnte. Die Person, die bei Sams Frühstück nur mit der Nase gerümpft hatte, die Menüs von Andy und mir hatten ihn dagegen eher beeindruckt. Die Person, die hier am Tisch vermutlich der älteste von uns allen war. Der Jäger mit dem Namen Dean Winchester.

Seit wir hier angekommen waren, hatte ich kaum noch mit ihm zu tun gehabt. Am ersten Tag hatten Sam und er wichtige Dinge erledigen müssen, daher hatte ich die meiste Zeit nur mit Andy verbracht. Gestern dagegen hatte mir Sam während des Tauchgangs eine neue Welt gezeigt, so wie es Aladin einst mit Jasmin auf Teppich getan hatte. Doch mit Dean hatte ich in den letzten Tagen kaum zu tun gehabt, außer bei den gemeinsamen Abendessen. Und ich hätte nicht gedacht, dass jemand Nachos und Käse noch mehr lieben würde als ich, doch da hatte ich Dean Winchester unterschätzt.

Dieser bemerkte, dass ich ihn beobachtete und sah mich an. Es schien fast so, als würde er mich beobachten oder irgendwas an mir suchen. Er nahm seine Tasse, nahm einen Schluck und stellte sie ab. Ein kurzer Räusperer folgte.

„Hab gehört, du warst mit Sammy gestern im Meer?“, fragte er und ich wusste nicht genau, worauf er hinauswollte. Er war, soweit ich es wusste, nicht gerade für seine Smalltalks bekannt. Gleichzeitig wollte ich ihm auch nichts unterstellen, daher entschied ich mich dafür, ehrlich zu antworten.

„Ja, Sam und ich waren gestern im Meer, wir haben uns dort die Korallen und die vielen Tiere dort angesehen“, sagte ich und blickte zu Sam, dieser wiederum blickte zu seinem Bruder hinüber. Dean erwiderte seinen Blick kurz, dann zuckte er mit den Schultern und aß weiter an seinem Burger.

„War nur neugierig“, sagte er, kaum, dass er seinen Bissen heruntergeschluckt hatte.

„Und, was steht heute auf dem Programm?“

Dabei sah Dean wieder mich an, doch ich hatte absolut keine Ahnung. Überhaupt war ich noch ein Teil der Tagesplanung gewesen, jeder Tag hatte schon etwas für mich zu bieten, doch es war immer wieder eine Überraschung, was. Also überlegte ich, was ich gerne tun würde. Dabei blickte ich an mir herab, auf mein T-Shirt.

„Naja, es wäre schon praktisch, ein wenig mehr Wechselwäsche zu haben. Alles an Kleidung, was ich derzeit habe, ist gebraucht und bis ich mal dazu komme, die ganzen Sachen zu waschen … bis dahin muss ich ständig zwischen zwei Outfits wechseln, die ich allerdings schon mehrere Tage lang anhatte“, sagte ich und ich bemerkte, laut ausgesprochen klang es noch unangenehmer, als es noch in meinem Kopf getan hatte.

Auch Sam schien dieser Meinung zu sein.

„Ja, stimmt, das wäre eine gute Idee, zumindest ein Set neuer Sachen würde dir wirklich guttun“, sagte er und wischte sich den Mund ab. „Wenn du möchtest, können wir beide gerne nachher mal in der Stadt nach einem schönen Kleiderladen schauen und …“

Da legte Dean eine Hand auf den Arm seines Bruders und unterbrach ihn damit.

„Kira, ich will ehrlich zu dir sein, wenn du den Rat für Kleidung brauchst, vor allem welche, mit denen du wie eine alte Oma aussehen willst, dann solltest du dich an Sam wenden. Ansonsten, wenn du ein weiteres cooles Shirt haben willst wie das, was du von mir bereits bekommen hast, dann bin ich dein Mann“, sagte er lässig und deutete dabei mit dem freien Daumen auf sich selbst. Sam schaute ihn eingeschnappt an, dabei zog er seinen Arm an sich. Doch so richtig abgeneigt schien er von der Idee nicht zu sein.

„Eigentlich ist das eine gute Idee“, meinte er und begann sein Besteck zusammen zu räumen, aus einem mir unbekannten Grund war er viel schneller mit seinem Essen fertig als Andy, Dean oder ich. Nun war es Dean, der seinen Bruder verwirrt ansah.

„Naja, so kommst du auch zu einem Tag, den nur du allein mit Kira verbringst. Andy und ich hatten sie schon für uns, jetzt bist du mal an der Reihe. Du redest sehr wenig mit ihr, es ist überhaupt ein Wunder, dass sie keine Angst vor dir bekommt“, sagte Sam und ich glaube, er meinte das nicht wirklich so. Dass es nur als ein Scherz gemeint war, wenn auch als ein etwas seltsamer. Auch Dean wusste ich nicht so recht, was er darauf antworten sollte, blickte nur noch einmal kurz zu Sam, während er seinen Burger aufaß. Auch Andy, der bereits eine zweite Portion Spiegeleier fast schon inhalierte und ich mit dem Rest meines Rühreis, wir beide aßen unser Frühstück auf. Wie schon beim letzten Mal bezahlte Sam unser Mahl und wir verließen geschlossen das Lokal ohne weitere Zwischenfälle.

 

„Alles klar, Andy und ich machen es uns in unserem Zimmer gemütlich, wir können dann auch gleich noch besprechen, wie wir am besten vorgehen. Vielleicht kann ich noch ein paar Telefonate führen, wegen dieser … Manager-Lady“, sagte Sam, als wir mit dem Impala beim Motel standen. Andy hatte das Auto bereits verlassen und stand nun da wie bestellt, aber nicht abgeholt.

„Klingt gut. Kira und ich werden dann den einen oder anderen Laden abklappern und ihr was Ordentliches zum Anziehen holen.“

Vor allem den letzten Teil des Satzes sprach Dean sehr betont aus, als wollte er noch einmal unterstreichen, was er vom Kleidungstils seines Bruders hielt. Allein schon der Ton verriet, dass es nicht sonderlich viel war.

„Jaja, mach du nur, ich habe zu tun“, sagte Sam, stieg aus dem Wagen aus und führte, nachdem er mir zugewunken hatte, Andy in unser Zimmer hinein. Nun waren Dean und ich allein im Impala.

„Los, komm ruhig nach vorne“, sagte er und ich ließ mir das nicht zweimal sagen. Zwar hatte mich Sam bereits am Vortag vorne sitzen lassen, doch da es Deans Heiligtum war, wollte ich mich nicht einfach so umsetzen. Da kam mir die Einladung gerade recht.

Kaum hatte ich mich vorhin hingesetzt, sah ich, dass Dean eine Kassette in das Fach des Impalas steckte, und ich hatte eine leise Ahnung, welche Musik mich damit erwarten würde. Sofort ertönte der wundervolle Sound von „Smoke on the water“ aus den Lautsprechern und ich begann zu grinsen.

Was Dean sofort auffiel, als er zu mir herübersah.

„Da hat endlich mal wieder hier jemand den richtigen Musikgeschmack“, sagte er, drehte den Schlüssel um und startete das Auto.

 

Während wir durch die Stadt fuhren und Dean sich einen Klamottenladen nach dem anderen nur von außen ansah, hörte ich mir die rockigen Lieder auf seiner Kassette an. Besonders als „Eye of the Tiger“ lief, konnte ich nicht anders, als leise ein wenig mitzusingen.

„The eye of the tiger“, sang ich so leise ich konnte mit, hoffte aber darauf, dass Dean es nicht hören würde, das wäre mir dann doch zu peinlich gewesen.

„Hey, das ist echt ein klasse Lied. Du kannst ruhig lauter singen, mach ich auch immer“, meinte er, doch dabei ließ er die Straße nicht aus dem Blick. Auch ich blickte stur durch die Windschutzscheibe hindurch, meine Wangen fühlten sich mehr als warm an. Doch meine Lautstärke zu heben, das traute ich mich nicht. Mir war es unangenehm, dass Dean mich gehört hatte.

Das bekam er entweder nicht mit, oder es störte ihn nicht sonderlich. Im Gegenteil, er trommelte gegen das Lenkrad und fing selbst laut zu singen an.

„THE EYE OF THE TIGER!“, sang er mit dem entsprechenden Teil des Liedes mit, dann blickte er kurz zu mir, fast so als wollte er sagen: Komm, sing laut mit mir mit. Jetzt war Dean nicht gerade als der beste Sänger bekannt und man konnte es ihm auch anhören. Doch das schien ihn weder zu stören noch aufzuhalten. Dafür bewunderte ich ihn, so viel Mut zu haben.

„THE EYE OF THE TIGER!“, sangen wir bei der nächsten Gelegenheit laut zusammen und fingen anschließend zu lachen an. Das Eis war gebrochen, genauer gesagt hatten Survivor es mit ihrem spitzen Lied in zig Stücke geschlagen. Wir zwei waren unter uns, wir, als schlechte Sänger. Doch der Spaß stand im Vordergrund und das ist es, was im Moment zählte. Mehr verlangten wir auch gar nicht.

 

Nach einer Weile hatten wir einen Klamottenladen gefunden, genauer gesagt, Dean hatte einen gefunden. Die meisten hatte er als „zu teuer“, „zu hässlich“ oder „zu Sam“ abgestempelt, wobei ich es interessant fand, dass sein Bruder offenbar auch einer Kleidungskategorie entsprach. Doch er war der Fahrer, ich nur die Shotgun, und ich hielt es für besser den Mund zu halten, auch, wenn es dabei nicht um die Musikauswahl ging.

Wir standen vor einem Laden, der mit schließlich bekannt vorkam, kaum las ich den Namen draußen.

„Forever 21“ war dort auf einem Schild zu sehen, und Dean steuerte auch schon direkt in den Laden rein. Da ich sowieso keine andere Wahl hatte, folgte ich ihm hinein.

Im Ladeninneren war nicht sonderlich viel los, nur wenige Kunden und besonders Kundinnen hatten sich an diesem Tag hier hineinverirrt. Dean ignorierte sie alle, sogar die Verkäuferin, die sofort bei unserer Sichtung angelaufen kam.

„Willkommen bei Forever 21, wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“, fragte sie betont höflich, doch Dean beachtete sie nicht. Dafür reagierte ich kurz auf die freundliche Frau.

„Danke, nein, wir sehen uns hier nur um“, sagte ich und lief so schnell ich konnte Dean hinterher. Dieser begann sich bereits umzusehen. Ich dagegen begann nur auf meiner Unterlippe zu kauen.

„Dean?“, begann ich vorsichtig und dieser blickte von einem rotfarbenen Top zu mir auf, sagte jedoch nichts.

„Ich bin mir nicht sicher, ob wir hier richtig sind, ich meine, was, wenn mir die Sachen nicht passen? Ich bin jetzt nicht gerade schlank oder so …“

Während ich sprach, ging Dean um den Kleiderständer, der uns voneinander trennte, herum und sah mich von Kopf bis Fuß an.

„Ne scharfe Braut bist du jetzt wirklich nicht, rein vom Äußerlichen“, sagte er direkt und es traf mich doch etwas härter, auch wenn ich mir das selbst immer wieder einredete. Doch es noch von jemand anderen zu hören als eine Art Bestätigung, das war dann doch etwas schmerzhaft.

„Aber“, sagte Dean und verringerte die Distanz, nur um dann mit dem Finger auf die Stelle zu drücken, in welcher sich mein Herz befand.

„Hier drin bist du eine verdammt scharfe Lady. Und irgendwann, wenn du dir Mühe gibst, wird es dein Körper auch zeigen“, sagte er in einer Tonlage, die ich absolut nicht deuten konnte. Waren vorhin meine Wangen rot geworden, so war es nun mein ganzer Kopf. Meine Augen fühlten sich feucht an, aber ich wollte jetzt hier nicht anfangen zu weinen.

„Danke, das wird er bestimmt“, sagte ich verschämt und sah von einer Seite auf die andere. Dean nahm derweil seinen Finger wieder zurück und suchte weiter an dem Ständer, an welchem er sich zuvor schon umgesehen hatte. Dann nahm er ein rotes T-Shirt heraus, hielt es an mich hin und schüttelte energisch mit dem Kopf.

„Nein, das Ding hier nicht, das sieht aus wie ein Sonnenbrand aus Stoff“, sagte er und hängte das Shirt wieder rein. Doch er hatte Recht, hier gab es wohl auch Kleidung in meiner Größe, zumindest der „Sonnenbrand aus Stoff“ sah danach aus, als hätte er mir gepasst. Auch bin begann mit meiner Suche, so viele T-Shirts, die schön aussahen, aber auch sehr kurz. Und ich hatte weder den Mut noch den richtigen Bauch, um diese tragen zu können. Schließlich konnte ich Deans Stimme in der Nähe hören.

„Sag mal, was sind eigentlich deine Lieblingsfarben?“, fragte er mich.

„Rot, gefolgt von Schwarz“, sagte ich, eine Antwort, wie ich sie schon gefühlt tausendmal so gegeben habe. Deans Reaktion darauf konnte ich nicht sehen, aber offenbar hatte ihm das schon weitergeholfen. Nur kurze Zeit später kam er mit einem schwarzen T-Shirt zurück, welches nicht kurz oder zu dünn geschnitten war.

„Hier, das wäre doch was für dich“, sagte er und drehte das Shirt um, damit ich es sehen konnte. Darauf war ein rundes Bild mit einem Mann zu sehen, er hielt eine Gitarre oder einen Bass fest. Um das Bild herum standen Wörter. „High Voltage“ war so geschrieben worden, als würden die einzelnen Buchstaben aus Blitzen bestehen. Auch konnte ich den Schriftzug „ACDC“ ablesen, und mir wurde sofort bewusst, dass es sich dabei um ein Bandshirt handeln sollte. Zusätzlich zu den Worten konnte ich hier und da ein paar Blitze erkennen, wie auch das „Tour 76‘, welches sich auf dem unteren Teil des Shirts befand.

„Das Shirt sieht schon sehr cool aus“, gab ich ehrlich zu. „Aber ‚Tour 76?‘, da bin ich ja noch nicht mal geboren worden“, sagte ich und konnte mir das Grinsen nicht verkneifen.

„Na und? Ich auch nicht. Spielt das eine Rolle?“, fragte er mich und grinste mich ebenfalls an.

„Nein, eigentlich nicht“, meinte ich und nahm ihm das Shirt weg. Dean schien sehr zufrieden zu sein.

„Gut, dann schau ich nach einer Hose und du … du schaust nach der Unterwäsche. Es kommt komisch rüber, wenn ein Kerl das macht, du weißt schon …“

Ich nickte, auch wenn ich nicht genau wusste, ob das in unserer modernen Zeit wirklich noch so ein großes Ding war. Warum sollte ein Mann nicht für eine Frau Unterwäsche kaufen sollen? Doch es würde auch Zeit sparen und so stimmte ich dem zu.

„Ok, dann bis gleich … Achja, irgendwas, auf das ich achten soll?“, fragte er mich, so, als wäre ihm die Frage erst jetzt eingefallen.

„Ja, nimm bitte keine Cordhosen, ich kann das Zeug nicht anfassen, das … fühlt sich einfach ekelhaft an“, sagte ich, auch wenn ich nicht glaubte, dass es sowas hier überhaupt in diesem Laden gab.

„Alles klar“, sagte Dean und ging auch schon zu den vielen Hosen hinüber. Ich dagegen machte mich auf dem Weg in die Unterwäscheabteilung.

 

Eine so große Auswahl an BHs und Unterhosen war ich schon lange nicht mehr gewohnt, vor allem nicht, da ich die meiste Zeit welche im C&A kaufte. Ich sah mich da nie sonderlich um, sondern nach einfach einen Pack mit mehreren, schlichten Unterhosen und war damit zufrieden. Doch hier wollte ich mir etwas gönnen, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob Dean für mich bezahlen würde. Nach wie vor war es mir selbst nicht möglich, doch ein paar Tage mit den Jungs hatten mein schlechtes Gewissen in den Schrank verbannt.

So sah ich mir die ganzen verschiedenen Arten von Unterwäsche an und blieb kurz bei den Tangas hängen. Leider sahen die an mir nur aus wie ein Stück seltsame Zahnseide und ich vermisste die Zeit, als die noch an mir besser ausgesehen hatte. Gleichzeitig aber erinnerte ich mich an das Gefühl, dass ich damals hatte. Zum einen hatte sich der String sehr seltsam angefühlt, doch auf der anderen Seite war ich stolz, dass ich sowas überhaupt tragen konnte. Später, als ich dann nicht mehr so schlank war, konnte ich das allerdings vergessen und alle meine wenigen Tangas wegwerfen. Es hatte sich nicht mehr gut angefühlt.

Schließlich blieb mein Blick an einem Unterwäscheset hängen, welches hellblau mit einem grün-blauen Cocktail als Motiv darauf war. Es war frech und sah gleichzeitig nach Urlaub aus, auch wäre es eine nette Abwechslung zu den Farben, die ich mir bisher sonst immer gekauft hatte. Unschlüssig sah ich das Set an, doch dann beschloss ich, wieder mutig zu sein. Ich suchte mir die Größe heraus, von der ich vermutete, dass sie mir passen würde und hielt mir das Höschen an die Hüfte. Auch diese Kontrolle sagte: Ja, das könnte funktionieren. Der BH hatte auch die richtige Körbchengröße und er gefiel mir sehr gut. Zufrieden nahm ich meine Fundsachen und wanderte damit zu Dean herüber. Dieser stand noch immer bei den Hosen und hatte bereits eine in der Hand, eine Art dunkle Jeans, doch er schien sie mit einer anderen Hose zu vergleichen.

„Ah, gut, dass du kommst“, sagte er und hielt die Hose an mich heran. Wieder sagten meine Hüften ja, soweit ich es erkennen konnte. Auch Dean schien beeindruckt zu sein.

„Die Jeans steht dir echt gut. Du bist wohl nicht für so Girlie-Kram gemacht, oder?“, fragte er direkt und ich nickte ein wenig.

„Ja, Hosen stehen mir besser, Röcke und Kleider sehen dagegen echt seltsam aus an mir …“

Dean schien das aber weder sonderlich zu stören noch zu beeindrucken.

„Solange du dich wohl fühlst, ist doch alles ok. Darauf kommt es doch bei Kleidung an, nicht wahr?“, sagte er und reichte mir die Hose.

„Bist du fündig geworden?“, fragte er mich und ich nickte ein wenig. Dann sah er sich um und deutete auf das andere Ende des Ladens.

„Gut. Dann zieh dich um und wir sehen, ob wir das richtige erwischt haben oder nicht.“

 

Mit schnellen Schritten machten wir uns auf dem Weg zu den Umkleidekabinen. Einfach kurz reingehen, die Sachen probieren und im besten Fall würde alles passen. Nicht perfekt, aber gut. Das würde mir schon reichen. Zumindest nahm ich es mir so vor, in der Theorie. In der Praxis wurde ich durch etwas, was mir im Seitenwinkel in den Blick fiel, ausgebremst.

Sofort drehte ich mich zu der Sache, die meine Aufmerksamkeit gefangen hatte und steuerte direkt auf sie zu. Dean hatte das ebenfalls mitbekommen und folgte mir.

„Was ist los, hast du noch was gefunden?“, fragte er und war ein wenig verwirrt über mein Verhalten. Doch ich sah nur das Objekt an, es war ein schwarzer, langärmeliger Pulli mit Bunny aus Sailor Moon darauf zu sehen, mit unbekannten japanischen Schriftzeichen darauf. Als ich ihn umdrehte, konnte ich dagegen Sailor Moon selbst sehen, die gerade mit den Fingern das Victory-Zeichen zeigte. Sofort war ich von dem Pulli begeistert.

„Jetzt zeig schon, was hast du da?“, fragte Dean nun leicht ungeduldig. Ungläubig, so einen coolen Pulli gefunden zu haben, zeigte ich ihm diesen. Dean sah das Motiv kurz an, dann auch die Rückseite und nickte beeindruckt.

„Du magst Animes?“, fragte er mich und ich nickte eifrig.

„Ja, ich gucke gerne Animes, seit meiner Kindheit schon. Und Sailor Moon ist einer meiner allerersten Animes gewesen“, sagte ich und lächelte den Pulli an. Von allen Dingen, die ich bisher in diesem Laden gesehen habe, gefiel er mir am besten.

„Ich sehe, du hast nicht nur bei der Musik guten Geschmack“, sagte Dean und ich hatte das Gefühl, dass es nun zwei ideale Bedingungen dafür gab, weshalb wir Freunde werden könnten. Er nahm den Pulli aus meiner Hand und schob mich in die Richtung der Umkleidekabinen zurück.

„Hey, hör zu, ich habe einen Deal für dich. Du probierst diese Sachen und wenn dir alles passt, dann bekommst du den hier von mir noch dazu“, sagte er und hob den Pulli hoch. Da dieser an sich recht weit zu sein schien, hatte ich bei ihm keine Bedenken, dass er mir passen würde. Doch bei dem Rest, den ich in meinen Händen hielt …

Ich schluckte meine Bedenken herunter und ging mutigen Schrittes in die Umkleidekabine hinein.

Sofort begann ich mich, bis auf meine Unterwäsche auszuziehen und zog die neue mit dem netten Cocktaildesign drüber. Zu meiner Überraschung und meiner Freude passte beides, auch wenn es sich ein wenig merkwürdig anfühlte, zwei BHs übereinander zu tragen. Schnell zog ich sie wieder aus und schlüpfte in das ACDC Shirt hinein, welches Dean für mich ausgesucht hatte. Glücklicherweise passte es mir und fühlte sich auch sehr angenehm zu tragen an. Das war ein weiterer positiver Pluspunkt. Ich blickte auf den Stuhl, das letzte Teil, das ich bis zum Schluss vermieden hatte, lag dort. Wartete darauf, von mir anprobiert zu werden. Nervös nahm ich tief Luft, nahm die Hose an mich und steckte meine Beine hinein. Wie schon so oft, erwartete ich auch dieses Mal, dass bei meinen breiten Oberschenkeln Schluss sein würde, dass ich die Hose nicht drüberziehen können würde … doch es passte. Zwar nicht zu 100% flüssig, aber ich bekam sie drüber und konnte sie auch ganz bequem an meiner Hüfte zumachen. Ungläubig starrte ich an mir herunter, kaum, dass ich die Hose verschlossen hatte.

„Wow, das sieht wirklich gut aus und es passt sogar!“, sagte ich fröhlich und freute mich im Inneren noch mehr, als ich es außen zeigte. Nur meine funkelnden Augen verrieten das hohe Maß an Freude, das in mir brodelte.

„Dann komm raus und zeig es mir“, sagte Dean und ich wollte ihn nicht so lange warten lassen, also schob ich den Vorhang meiner Kabine zur Seite und kam zu ihm in den Flur hinaus. Dean musterte mich ganz genau, erst von vorne, dann von hinten. Dann kam er wieder nach vorne, nickte immer wieder zufrieden und klopfte mir dann auf den Rücken.

„Gut gemacht, du hast dir den Pulli wirklich verdient. Die ganze Angst, die du da geschoben hast, war unnötig“, sagte er und ich wusste, er wollte mir damit nur auf seine Art aufbauen, daher ließ ich es zu. Gleichzeitig wurde mir damit auch bewusst, dass es mir wohl sehr deutlich im Gesicht gestanden haben musste, wie ich mich beim Betreten der Umkleidekabine gefühlt hatte.

„Steht dir auch gut, vor allem das Shirt. Es passt einfach zu dir“, sagte er und drückte mir den Pulli in die Hand.

„Meinst du, ich kann die Sachen auch gleich anbehalten? Ich meine, ich würde daheim dann noch die Unterwäsche austauschen, also nicht daheim, aber in dem Zimmer, in dem wir grad übernachten“, begann ich wie ein Wasserfall zu reden, doch Dean zuckte nur mit den Schultern.

„Klar, ich denke, das sollte kein Problem sein, solange wir damit zum Bezahlen gehen“, meinte er und deutete auf die Sachen, die noch in der Umkleide lagen.

„Dann solltest du aber auch schnell in deine neue Unterwäsche wechseln und deine alten Sachen hier nicht vergessen.“

Da ich befürchtete, dass das passieren könnte, war ich dankbar für Deans Hinweis und verschwand schnell wieder hinter dem Vorhang, damit ich das mit den beiden Dingen schnell nachholen konnte. Von der Unterwäsche riss ich vorsichtig die Preisschilder ab, bevor ich sie mir überstreifte und nahm all meine alte Kleidung zu einem wirren Knäul gedrückt an mich. Den neuen Pulli dagegen trug ich darüber, damit er nicht unterging.

 

„Fertig, wir können gehen“, meinte ich und Dean schien damit zufrieden zu sein. Es war ihm wohl recht, dass wir aus diesem Laden so schnell wie möglich wieder verschwanden. Um meinen Eindruck zu untermauern, nahm er mein Handgelenk und zog mich sachte, aber auch schnell zur Kasse, wo er mich neben der Kassiererin parkte.

„Wir nehmen einmal das, was sie anhat, bis auf die Socken und Schuhe“, meinte er und ich bemerkte erst jetzt, dass ich immer noch die gleichen Socken trug. Schnell griff ich neben mich in eine Art Grabbelkiste und holte ein paar schwarzer Socken heraus. Diese hatten zum Glück meine Größe.

„Nein, die hätte ich gerne noch mit dazu“, sagte ich und Dean zuckte wieder nur mit den Schultern. Die Mitarbeiterin begann dagegen, die Schilder von meinen Sachen zu entfernen und abzuscannen, vermutlich war sie es öfters gewohnt, dass die Kunden ihre neuen Sachen auch gleich tragen wollten. Die Socken würde ich allerdings erst im Impala wechseln können.

„Wollen Sie eine Tüte für ihre anderen Sachen?“, fragte mich eine Kollegin von ihr, während die Dame an der Kasse Dean abkassierte. Den genauen Endpreis konnte ich nicht erkennen und ich war mir sicher, wenn ich Dean danach fragen würde, ich würde darauf keine Antwort bekommen.

„Das sieht wirklich gut an Ihnen aus“, meinte die Frau und bestaunte mich von allen Seiten. Selbst wenn es nur eine gespielte Höflichkeit sein sollte, so freute ich mich trotzdem darüber.

„Danke, das freut mich“, sagte ich und lächelte ein wenig. Ließ es zu, dass es mich zum Lächeln brachte. Gerade, als die zweite Mitarbeiterin alle meine anderen Sachen in einer Tasche verfrachtet hatte, kam Dean mit einer kleineren Einkaufstasche zurück. Darin mussten sich wohl meine Socken als auch der Pulli befinden, den mir die Kassiererin zuvor abgenommen hatte.

„Sag mal, Sie und Ihre Freundin, Ihr hättet nicht zufällig Lust, heute Abend mit auf eine Party zu kommen? Es ist eine Beachparty, ein cooler DJ wird kommen und die Getränke sollen auch ziemlich der Hit sein“, sagte sie und sah dabei hauptsächlich Dean an. Ich wusste nicht, ob sie ihn damit versuchte, ein wenig zu bezirzen, aber sie schien dabei keinen großen Erfolg zu haben. Denn wie auch ich, war Dean kein wirklicher Partygänger. Ihn lockte man eher mit anderen Dingen hinter dem sprichwörtlichen Ofen hervor.

Dean dagegen sah er mich an, dann wieder die Dame an der Kasse.

„Nein, sorry, kein Interesse.“

Die Mitarbeiterin zog eine lange Schnute, verabschiedete sich und suchte dann ihren Weg in den Verkaufsbereich, nur um so schnell wie möglich aus der Situation rauskommen. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie mich als Deans Freundin bezeichnet hatte, was ich merkwürdig fand. Es erinnerte mich an die Situation von gestern, als ich schon für Sams Freundin gehalten wurde, doch im Gegensatz zu seinem Bruder hatte Dean keinerlei Anstalten gemacht, den Fehler zu korrigieren.

Merkwürdig, als man ihn und Sam verdächtigt hat, ein Paar zu sein, hat er das auch doch auch sofort bestritten und das jedes Mal

Ich konnte mir keinen Reim darauf machen und wollte ihn das jetzt auch nicht extra fragen. Stattdessen folgte ich ihm zum Impala und machte es mir wieder auf dem Beifahrersitz bequem. Dieses Mal, ohne auf seine Einladung oder Aufforderung zu warten.

„Danke, dass wir nicht zu der Party gehen, das ist nicht so meins“, sagte ich dankbar, während ich schnell meine Socken austauschte und die alten in der größeren Tüte verfrachtete. Beide Tüten legte ich dann auf den Rücksitz, damit sie vorne nicht zu sehr störten.

„Kein Thema, meins ist es auch nicht“, sagte Dean und startete das Auto. „Thunderstruck“ begann zu laufen, wie passend.

„Das richtige Lied zu deinem T-Shirt“, fiel Dean grinsend auf und begann damit, sein geliebtes Baby auszuparken.

„Ja, das ist wirklich“, sagte ich und lehnte mich zurück. Ich hatte keine Ahnung, wohin Dean mit mir als nächstes fahren würde, aber ich würde mich einfach überraschen lassen. Irgendwas hatte er bestimmt im Kopf. Und das ließ er mich auch wissen.

„Du musst wissen, ich verbringe meine Zeit lieber mit dem einen oder anderen guten Bier in einer gemütlichen Bar, am besten eine, die auch die richtige Musik am Laufen hat. Wie siehst du das, Lust auf ein Bierchen?“

Ich sah auf die Uhr, es war mittlerweile früher Nachmittag geworden und ich spürte, wie ein kleines Hungergefühl in mir aufstieg.

„Wenn ich dazu auch einen Hamburger haben könnte? Der von dir heute Morgen sah echt lecker aus“, sagte ich und ich spürte, wie mir das Wasser im Mund zusammenlief. Dean sah mich überrascht an, dann wieder zur Straße.

„Hamburger und Bier? Ich denke, das lässt sich machen“, sagte er und fuhr mit mir die Straße entlang. Mit mir, ACDC und der Aussicht auf einen gemütlichen Aufenthalt in einer Bar, in welcher wir zusammen eine gute Zeit haben würden. Zumindest ging ich davon aus und ich war überzeugt, Dean ging es genauso.

Epilog

„Kira, bist du wach? Komm schon, Kira, wach auf!“, konnte ich jemanden neben meinem Ohr hören und für einen Moment hielt es ich es für einen Teil meines Traums. Gerade noch hatte ich sehr viel Spaß mit Stewie und Brian, zwei meiner Lieblingscharaktere aus dem Cartoon Family Guy, als ich auf einmal eine fremde Stimme vernahm. Sie kam aus Brians Mund und das fand ich sehr seltsam. Die Welt um uns herum begann zu wackeln und zu beben. Ehe ich mich versah, war ich aufgewacht und befand mich an einem ganz anderen Ort, wie noch vor wenigen Sekunden.

„Kira, kannst du mich hören?“, hörte ich die Stimme wieder und öffnete müde meine Augen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich die Person, die über mich gebeugt war, erkennen konnte: Sam stand neben meinem Bett und versuchte mich wachzubekommen.

„Keine Sorge, du kannst gleich im Auto weiterschlafen“, sagte er und schüttelte mich noch ein wenig, ich sah ihn nur verwirrt an. Der Raum wirkte dunkel und ich hatte nicht das Gefühl, dass es bereits Morgen war.

Was ist denn los, habe ich etwa verschlafen?Habwas w

„Was ist denn passiert, warum weckst du mich denn? Wie spät ist es?“, fragte ich und wollte mich am liebsten umdrehen, um weiterschlafen zu können. Offenbar konnte Sam das in meinem Gesicht ablesen, denn nun legte er eine Hand auf meine Wange und sah mich mit einem fürchterlich ernsten Blick an.

„Kira, es ist wichtig, dass du für die nächsten zehn Minuten wach wirst, es ist wirklich wichtig. Ich weiß, es ist mitten in der Nacht und niemand will um zwei Uhr geweckt werden, aber wir müssen uns jetzt beeilen. Komm, du musst aufstehen und deine Sachen zusammenpacken. Je schneller wir hier wegkommen können, desto besser!“

Daraufhin riss er meine Decke weg und ging ein paar Schritte weg, um seine eigenen Sachen zu sortieren und einzupacken. Ich hatte zwar nicht so viel, da sich die meisten meiner Gegenstände bereits in Tüten befanden. Aber solche Dinge wie Zahnputzzeug oder mein neues Kopfkissen, welches wir noch vor wenigen Stunden im Walmart gekauft hatten, mussten noch verstaut werden.

„Was ist denn eigentlich los?“, fragte ich, während ich gerade mein letztes loses Hab und Gut in eine Plastiktüte hineinstopfte. Sam blickte sich und nahm sein Handy in die Hand.

„Wir wurden vorhin vom Besitzer des Motels geweckt“, begann er schließlich hastig zu erklären.

„Ich werde es dir nachher genauer erklären, aber nur so viel: Es gibt wohl eine Unwetterwarnung, genauer gesagt eine Hurrikan Warnung“, sagte er und ich hatte das Gefühl, dass gerade sämtliche Farbe aus meinem Körper gewichen war.

„Das ist doch nicht dein Ernst, oder?“, fragte ich, obwohl mir klar war, dass Sam über solche Dinge keine Witze machen würde. Vermutlich würde das nicht einmal Dean tun.

„Leider nein“, sagte er und beendete das Zusammenpacken seiner Sachen, wie ich hatte auch er nicht viel hier.

„Hast du alles?“, fragte Sam mich stattdessen, ich packte mein Kopfkissen unter den Arm.

„Ja, ich muss nur noch meine Tüten nehmen, dann habe ich alles“, war meine Antwort. Sams Blick flog noch einmal durch den Raum, auch guckte er sich das Bad noch einmal an, bevor er vollständig zufrieden war. Selbst in den wenigen Tagen, die wir zusammen in einem Zimmer verbracht hatten, hatte er bereits mitbekommen, wie verpeilt und vergesslich ich sein konnte. Daher fand ich es vollkommen in Ordnung, dass er noch einmal schnell nachsah und kontrollierte, dass ich auch wirklich nichts hatte liegen lassen. Oder er selbst.

„Gut, dann sind wir hier fertig. Zum Glück ist das hier unsere letzte bezahlte Nacht hier, das heißt, wir können uns einfach in den Impala setzen und von hier wegfahren.“

Kaum hatte er das gesagt, hatte er die Tür geöffnet und seine Tasche hinausgetragen. Als ich ihm aus der Tür mit meinen Tüten folgte, kam er mir entgegen und nahm mir die Tüten ab. Dies alles verstaute er im Kofferraum des Impalas, während ich ihn dabei beobachtete. Nur das Kissen, welches ich nach wir vor unter meinem Arm trug, gab ich nicht mehr her.

„In Ordnung, ich sage den Jungs Bescheid, dass wir fertig sind und dass wir so schnell wie möglich von hier verschwinden sollten“, sagte Sam und lief in das andere Zimmer hinein. Ich hingegen starrte zum Himmel herauf und sah einen Anblick, den ich vor wenigen Jahren noch befürchtet hatte zu sehen. Es war ein Anblick, vor dem Fierces Mutter damals gewarnt hatte, dass ich danach immer mal wieder Ausschau halten sollte.

Der Himmel über mir – war rot. Nicht komplett rot, wie man es in einem Horrorfilm zeigen würde, sondern mit einem unheimlichen roten Filter belegt. Auch die Sonne schien roter als normal zu sein. Davor hatte sie mich immer gewarnt.

Wenn du einen roten Himmel siehst, dann bedeutet es, ein Tornado kommt. Oder ein Hurrikan. Irgendwas in der Richtung. Hätte nicht gedacht, dass ich das mal wirklich sehen würde …

„Kira, komm, wir fahren JETZT los!“, konnte ich Sam schreien hören und riss meinen Blick vom Himmel. Die drei Männer waren derweil zum Auto gelaufen und Dean hatte wohl alle Habseligkeiten aus ihrem gemeinsamen Zimmer ebenfalls im Kofferraum verstaut.

„Steig ein, das hier wird ein Höllentrip“, sagte er und ich war mir sicher, ein Hurrikan war eine Erfahrung, die ich in meinem gesamten Leben nicht brauchte.

Kaum saßen wir alle im Auto, drückte ich das Kissen an mich.

„Keine Angst, wir kommen schon noch rechtzeitig weg. Uns wird nichts passieren“, sagte Sam und sah mich tröstend an, während Dean bereits am Fahren war. Ich nickte, doch mulmig war mir nach wie vor. In Deutschland gab es solche Dinge nicht, wir kannten keine Hurrikans oder Tornados oder gar Erdbeben, zumindest nicht in den Ausmaßen, wie sie in den USA normal waren.

„Schlaf dich doch ein wenig aus, bis du wieder wach bist, sind wir ganz weit weg und in Sicherheit!“, erzählte Sam mir und ich wollte es ihm glauben. Und auch wenn ich mich müde fühlte, so hatte ich nicht das Gefühl, dass ich einschlafen könnte. Dazu fürchtete ich mich doch zu sehr vor der Gefahr dort draußen.  Immer wieder warf ich ängstliche Blicke aus dem Fenster.

Sam sah derweil zu Dean herüber, bevor er sagte: „Halt an, ich möchte bitte mit Andy Platz tauschen. Andy, ist das für dich ok? Ich glaube, ich habe Kira doch mehr Angst gemacht als nötig war“, erklärte er und Dean stieg auf die Bremse.

„Aber beeilt euch, ja, ich habe vor, alt zu werden“, sagte er und die beiden angesprochenen taten, wie es ihnen befohlen war. Wenige Sekunden gab Dean wieder ordentlich Gas. Andy schien davon auch nicht sonderlich beeindruckt zu sein, entweder war das, was ihn verfolgte, noch viel schlimmer oder er war wie die Jungs es einfach gewohnt, dass es hier solche gefährlichen Stürme gab.

Sam saß dafür nun neben mir und rückte so nah an mich heran, bis wir dicht zusammensaßen. Dann legte er seinen Arm um mich, drückte mich damit sanft, aber auch bestimmt an sich heran. Kaum lehnte ich mich an ihn, begann er meinen Kopf zu streicheln.

„Psst, keine Angst, es ist alles gut, wir fahren aus der Gefahrenzone raus und dann werden wir weitersehen. Wir sind dafür noch rechtzeitig losgefahren. Ich werde auf dich aufpassen und du kannst ruhig einschlafen. Träum das weiter, was auch immer du vorhin geträumt hast“, flüsterte er mir zu und ich musste zugeben, dass mich das doch ziemlich schläfrig machte. Ich gähnte ein wenig und rieb mir die Augen.

„So ist es gut, denke einfach an nichts, lass dich fallen und schlaf weiter, so wie ich es dir vorhin versprochen hatte“, sagte er, doch dabei klang er mit jedem Wort, als würde er sich immer weiter von mir entfernen. Es dauerte noch ein paar Sekunden, aber dann hatte die Müdigkeit in mir das Steuer in die Hand genommen und ich kehrte wieder in das Land der Träume zurück. Doch in meinen alten Traum kam ich dagegen leider nicht mehr hinein.

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Tja, jetzt fahren wir halt mal eben quer durchs Land zum Strand XD Komplett anzeigen
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Und so haben Andy und ich einen netten Tag zusammen verbracht :-) Komplett anzeigen
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Jetzt würde ich echt gerne mal tauchen gehen, nur um zu wissen, ob es wirklich so schön ist, wie ich es mir beim Schreiben vorgestellt habe. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und so endet abrupt unser Abenteuer am Meer :/ Komplett anzeigen

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