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Unspoken

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ähm ... eventuell habe ich mich gestern im Tag vertan ...
vielleicht ...
aber da tatsächlich erst heute, und nicht schon gestern, Freitag ist, gibt es heute doch noch das eine Kapitel ... also eines der einen ;)


Nachtrag: ich hatte beim schreiben tatsächlich einen Denkfehler
natürlich ist Masaru, wenn er krank ist, nicht!! mit Gregor zum Fußballspielen gegangen
die Stelle habe ich angepasst.

Danke phean Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein kleiner Zeitsprung ;)
übrigens habe ich den Beginn des letzten Kapitels etwas verändert ;) Komplett anzeigen

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Prolog

Mit zitternden Fingern faltete Elsa das Stück Papier vor sich zum wiederholten Male auf, während ihr Blick erneut auf das Plastikstäbchen fiel, das sie auf dem Waschbeckenrand abgelegt hatte.

“Alles in Ordnung, Elsa? Soll ich doch lieber zu dir reinkommen?”, erklang eine Stimme auf Englisch vor der Badezimmertüre.

“N-nein, danke, Hannah. Ich … ich … komme sicher gleich raus”, antwortete die Gefragte ihrer Mitbewohnerin. Wieder senkte sie ihren Blick auf das Papier vor sich. >Gebrauchsanweisung< prangte in dicker Schrift oben am Zettelrand. Sie konnte die deutsche Schrift nicht wirklich lesen, doch dieses Wort hatte ihr Hannah vorher genannt. Daher las sie auch nicht den Text sondern sah sich die Bilder an. Zwei Striche, positiv. Ein Strich, negativ. Kein Strich, ungültig. Oh hoffentlich würde nur ein einzelner Strich erscheinen. Sie war seit fast eineinhalb Wochen überfällig. Sie hatte das auf den Jetlag geschoben. Zwischen Deutschland und ihrer Heimat Japan gab es einen Zeitunterschied von sieben Stunden, es wäre also nicht unwahrscheinlich. Doch als ihre Periode trotzdem nicht kam, hatte ihre Mitbewohnerin Hannah, mit der sie gesprochen hatte, einen Schwangerschaftstest besorgt, da Elsa sich das einfach nicht getraut hatte. Gerne würde sie es abstreiten, doch es bestand die Möglichkeit, dass sie schwanger wäre. Sie wollte es nicht, es wäre ein Albtraum. Sie hatte so viel vor in ihrem Leben, hatte noch so viel geplant - wie sollte das dann möglich sein? Doch nun war sie hier, in dem kleinen Badezimmer, das sie und Hannah sich teilten und wartete darauf, was der Schwangerschaftstest, der dort lag, sagen würde.
 

Ihr Blick fiel auf ihre Armbanduhr. Okay, die drei Minuten waren rum. Doch trotzdem starrte sie den Test nur an, den sie bewusst mit dem Sichtfeld nach unten gelegt hatte. Sie hatte Angst, was sie erwarten würde, wenn sie ihn umdrehen und einen Blick darauf werfen würde.

“Elsa, ich bin hier”, erklang Hannahs Stimme. Es war, als wüsste diese genau, was gerade in ihrem Kopf umging.

“Die … die drei Minuten sind um”, brachte Elsa krächzend in Englisch hervor.

“Und jetzt?”, erklang die Stimme sanft vor der Badezimmertüre.

“Ich … ich traue mich nicht, nachzusehen …”

“Du musst nachsehen, Süße.”

“Aber …” Elsa schluckte und ihr Hals zog sich zusammen. “Was, wenn …?”

“Darüber solltest du dir erst dann Gedanken machen, wenn du das Ergebnis kennst, nicht vorher, Elsa.”

Die junge Frau im Badezimmer starrte auf den Schwangerschaftstest. Hannah hatte ja recht. Vielleicht machte sie sich ganz umsonst Gedanken. Sie musste einfach nur … Und schon griff sie nach dem Schwangerschaftstest und drehte ihn um. Ihre Augen weiteten sich, als sie das Ergebnis sah. Sie schlug eine Hand vor ihren Mund, trotzdem konnte sie den Schluchzer nicht unterdrücken, der ihr entkam.

“Elsa? Elsa, was ist? Wie sieht es aus?” Hannah bekam keine Antwort. “Elsa, ich komme jetzt rein.” Und schon öffnete sie die Badezimmertüre, die nicht abgeschlossen war und trat ein.

Ihre Mitbewohnerin saß auf dem geschlossenen Klodeckel und starrte auf den Schwangerschaftstest, den sie in ihrer Hand hielt. Er zeigte schonungslos zwei Striche an - positiv. Ihre andere Hand hatte sie auf ihren Mund gepresst und versuchte das Schluchzen zu unterdrücken, das an ihren Fingern vorbei strömte, während Tränen über ihre Wangen flossen.

“Oh Süße”, brachte Hannah hervor, trat zu ihrer Mitbewohnerin und schloss sie fest in ihre Arme. Und damit schienen die Schleusen zu brechen, denn Elsa begann in der Umarmung zu beben und laute Schluchzer verließen ihre Lippen.

Kapitel 1

Dreieinhalb Wochen zuvor
 

“Elsa”, stöhnte Mario ihren Namen, als er kurz nach ihr kam und sich gleich darauf keuchend auf sie sinken ließ. Sein Gesicht drückte er in ihre Halsbeuge und zog ihren Geruch tief ein. Er fühlte sich unglaublich. Das hier, sie … solange hatte er es sich gewünscht ihr so nahe zu sein, sie so zu spüren. Und heute war es tatsächlich wahr geworden. Sie und er … sie hatten sich vorher lange unterhalten, hatten sich geküsst, etwas, das er genauso herbeigesehnt hatte. Sie war die Erfüllung all seiner Träume und Wünsche. Er hob seinen Kopf wieder, suchte ihre Lippen und küsste sie sanft, versuchte alle Gefühle hineinzulegen. Sie sollte wissen, was sie ihm bedeutete, dass er sie liebte. Elsa erwiderte seinen Kuss, schob ihre Hände wieder in seine schwarzen Haare. Sie schmiegte sich an ihn, schien ihm auch so nahe sein zu wollen, wie er ihr. Sie beide … warum hatten sie so lange gebraucht, bis sie hier angelangt waren? In der Grundschule hatte er sich in sie verliebt, in der Mittelschule waren sie noch auf der gleichen Schule gewesen, trotzdem hatte er sich nie getraut, ihr das zu sagen, ihr seine Gefühle zu gestehen. In der Oberschule waren sie auf unterschiedlichen Schulen gelandet, trotzdem hatten sie noch regelmäßigen Kontakt, immerhin war ihr Bruder sein bester Freund und Mannschaftskollege. Doch auch in dieser Zeit war zwischen ihnen nichts passiert. Und jetzt war es endlich geschehen. Ausgerechnet jetzt … sein Timing war auf jeden Fall schon sehr viel besser gewesen. Er selbst studierte seit einem halben Jahr Informatik, hatte direkt nach dem Schulabschluss der Oberschule im April begonnen. Elsa hingegen, sie wollte nach Deutschland, dort studieren. Drei lange Jahre, im schlimmsten Fall noch länger. Bereits morgen würde sie im Flugzeug sitzen und ihn verlassen. Doch davor hatte er es ihr sagen, ihr zeigen müssen, was er für sie empfand, sonst hätte er es sich nie verzeihen können. Dass sie nun hier waren, gemeinsam, was geschehen war, das sagte doch schon alles aus! Und er war glücklich, auch wenn es einen Wermutstropfen hatte. Doch er hatte einen Plan. Damit würde alles gut gehen.

“Ich liebe dich”, hauchte er, ließ sich neben sie sinken und zog sie fest in seine Arme.
 

~~~
 

Als Mario erwachte, fühlte er sich regelrecht berauscht. Das lag nur an ihr. Ihr Geruch umgab ihn es gab keinen schöneren Duft als ihren. Mit geschlossenen Augen streckte er seinen Arm aus, wollte ihn um Elsa legen und sie an sich ziehen, sie sanft küssen, vielleicht auch noch einmal mit ihr schlafen. Die letzten Stunden mit ihr verbringen, ehe sie gehen musste. Ihr noch einmal sagen, was er für sie empfand. Ihr sagen, was er tun wollte. Und dann einfach weiter glücklich sein. Es war nur ein halbes Jahr. Ein halbes Jahr, das würden sie beide überbrücken können, da war er sich sicher. Er stockte, als seine Hand ins Leere griff. Verwirrt öffnete er seine Augen und erkannte, dass er allein im Bett lag. Er setzte sich auf, sah sich um.

“Elsa?”, gab er verwundert von sich, doch nichts, keine Antwort. Sie war weg, er war allein und trotzdem lag ihr Geruch noch in der Luft.
 

~~~
 

“Käpt´n, was machst du denn hier?”, wurde Mario verwundert von seinem besten Freund begrüßt.

“Ich … ich muss mit Elsa sprechen. Ist sie da?” Flehend blickte der Angesprochene Gregor an, der seinen Kopf zur Seite legte. Der Tonfall des Älteren verwirrte ihn. Aber gut, er wusste ja, was dieser für Elsa empfand und auch, was Mario davon hielt, dass Elsa nun für drei Jahre nach Deutschland reisen würde, um dort zu studieren. Das hatte sein bester Freund sich anders vorgestellt.

“Ich hole sie kurz, warte einen Moment.” Und damit drehte Gregor sich herum, um ihm Haus zu verschwinden.

Mario blieb stehen. Es ging ihm nicht gut. Er fühlte sich nicht gut, alles in ihm drehte durch. Er machte sich Sorgen darum, was es bedeutete, dass Elsa einfach verschwunden war. Er hatte Angst, dass es für sie nicht mehr als ein One-Night-Stand gewesen war, aber das konnte nicht sein! Sie musst doch das Gleiche wie er gefühlt und empfunden haben. Er hatte Angst, dass sie ihn abweisen würde. Doch … Hoffnung überflutete ihn, vielleicht hatte sie einfach nur früh aufbrechen müssen, wäre später noch einmal zu ihm gekommen. Das musste die richtige Erklärung sein. Trotzdem ging das schlechte Gefühl nicht weg, das ihn seine Überlegungen eine Lüge straften.

“Mario?”, erklang da ihre Stimme, riss ihn aus seinen Gedanken. Sein Kopf schoss in die Höhe und dunklen Augen trafen auf ihre.

“Elsa.” Er trat auf sie zu, stoppte, als er ihre blassen Wangen wahrnahm sowie den Ausdruck in ihren Augen.

“Was willst du?”, fragte sie und ihrer Stimme war nicht zu entnehmen, ob sie sich freute, ihn zu sehen. Nein, eher im Gegenteil, sie schien nicht sonderlich begeistert zu sein. Marios Herz zog sich zusammen.

“Ich … du warst vorher einfach weg und ich … ich weiß nicht, ich wollte noch einmal mit dir reden und … Ähm, ja …”

“Mario”, sie sah ihn an und seufzte, “ich fliege bald. Was willst du hier?”

“Elsa, du … es hat dir doch sicherlich auch etwas bedeutet, oder? Wir haben die Nacht miteinander verbracht. Da muss doch mehr gewesen sein.”

Der Ausdruck in ihren Augen brach sein Herz. Mitleid. Sie sah ihn voller Mitleid an.

“Es tut mir wirklich leid, Mario. Aber das, was letzte Nacht geschehen ist”, sie stockte und ein Schatten huschte über ihre Augen, “wir haben miteinander geschlafen, das war es aber auch schon.”

“Was soll das heißen? Es kann nicht alles gewesen sein. Ich liebe dich, Elsa. Und ich bin mir sicher, dass …” Er konnte nicht aussprechen, da hob sie schon ihre Hand und schüttelte ihren Kopf.

“Mario, bitte tu das nicht. Es war eine Nacht, eine einzige. Ich fliege nachher nach Deutschland! Für drei Jahre! Ich bin die nächsten drei Jahre weg, mindestens, vielleicht sogar länger!”

Ehe sie ihre Hand zurückziehen konnte, hatte ihr Gegenüber diese ergriffen, hielt sie mit seiner fest.

“Wir können das schaffen, zusammen. Ich kann dieses Semester noch beenden, dann kann ich zu dir nach Deutschland kommen. Ich kann auch dort Informatik studieren, das bieten sehr vielen Universitäten an, ich habe mich bereits informiert und …”

“Mario!” Ihre Stimme klang überfordert und schon zog sie ihre Hand aus seinem Griff. “Wie … wie kannst du …?” Sie starrte ihn an, schüttelte ihren Kopf und schien fieberhaft zu überlegen, was sie sagen sollte.

“Ich will mit dir zusammen sein, Elsa. Ich liebe dich, bereits so viele Jahre und ich mache mir Vorwürfe, dass ich es dir nicht schon vorher gesagt habe. Und nur weil das so ist, will ich dir dein Leben, deine Vorstellungen, Träume und Wünsche nicht verbauen. Ich weiß, dass du es dir gewünscht hast, in Deutschland zu studieren. Und ich will dir das alles nicht nehmen, ganz im Gegenteil. Deshalb würde ich mit dir mitkommen. Ich will einfach nur bei dir sein.”

Mit geweiteten Augen machte Elsa auf Marios Aussage einen Schritt nach hinten. “Du kannst doch nicht …” Sie schloss ihre Augen, öffnete sie nach ein paar Sekunden wieder und wirkte auf einmal ganz anders, als noch gerade eben. Sie wirkte regelrecht kalt. Ein genau solches Lachen entkam ihr. “Mario, was denkst du eigentlich? Ich habe nicht mit dir geschlafen, um mit dir zusammen zu sein. Es war nett, ja. Vielleicht auch mehr als das. Aber ich habe nicht mit dir geschlafen, damit sich zwischen uns mehr als bisher entwickeln soll. Erst recht nicht soll es bedeuten, dass du mit mir nach Deutschland kommen sollst. Wie kommst du bitte darauf? Wir schlafen einmal miteinander und du brichst sofort alle Zelte hinter dir ab? Das ist schwachsinnig!”

“Nein, das ist es nicht”, erwiderte Mario sofort. “Elsa, ich liebe dich bereits so lange Zeit, das ist keine Kurzschlusshandlung von mir. Unsere Nacht hat mir gezeigt, mir bewiesen, dass du die Richtige bist. Die Eine, der mein Herz gehört.”

Wieder schien sich in ihren Augen etwas zu ändern. Doch das was sie auf seine Worte erwiderte, passte nicht zu dem Ausdruck ihres Blickes.

“Mario, das letzte Nacht … Ich bin total angespannt und nervös wegen dem, was vor mir liegt, das kannst du dir doch sicher vorstellen. Alles was ich wollte, war mich zu entspannen und dafür warst du da. Ich wollte einfach nur etwas Stress und Anspannung abbauen. Danke, dass du mir dabei geholfen hast, aber das war es dann auch.”

Fassungslos sah er sie an. “Elsa”, brachte er hervor. Sie schüttelte ihren Kopf.

“Ich gehe für mindestens drei Jahre nach Deutschland, Mario. Da fange ich doch nichts festes mit jemanden aus meiner Heimat an. Tut mir Leid, wenn ich dir nicht das geben kann was du dir wünscht, aber das ändert nichts an meinen Gefühlen. Mach es gut und pass auf dich auf, Mario.” Und damit trat sie nach hinten, schloss die Haustüre vor seiner Nase.

Er hob eine Hand, ließ sie gleich darauf wieder sinken. Was … was war das gewesen?
 

Gregor trat gerade in den Hausflur, als Elsa an ihm vorbei stürmte.

“Oh, ist Mario schon weg?”, fragte er erstaunt. Seine Schwester antwortete ihm jedoch nicht. Sie hatte eine Hand auf ihren Mund gedrückt und in ihren Augen schienen Tränen zu stehen. Elsa war so schnell an ihm vorbei und die Treppe hinauf gehuscht, dass er sich nicht ganz sicher bezüglich zweiterem war. Hatte sie wirklich geweint? Sein Blick richtete sich auf die Haustüre. Hatte Mario etwa etwas zu ihr gesagt, was sie zum weinen gebracht hatte? Kurzerhand lief er dorthin und riss die Haustüre auf. Mario war gerade durch das Gartentor getreten.

“Hey Mario”, rief Gregor. Sein bester Freund blickte auf und als er dessen gebrochenen Blick sah, weiteten sich seine eigenen Augen. Mario sah aus, als hätte man ihn geschlagen. Es schien, als würde er ihn gar nicht richtig ansehen, auch wenn sein Blick auf Gregors gerichtet war.

“Was ist los?” Der Jüngere trat aus dem Haus und zog die Türe hinter sich zu, ehe er zu seinem besten Freund ging.

“Ich … Elsa, sie hat …” Mario blickte an Gregor vorbei, brachte den Satz nicht zu Ende.

“Ist irgendetwas zwischen euch vorgefallen? Ich meine”, Gregor runzelte seine Stirn, “seid ihr beide gestern nicht miteinander von ihrer Abschiedsparty verschwunden?”

Langsam nickte der Ältere. “Ja, sind wir … Aber heute Morgen … sie war weg.”

“Du willst damit sagen, dass sie einfach verschwunden ist, ohne noch einmal mit dir zu reden?”

Ein Nicken war die Antwort.

“Bist du deshalb hier? Um mit ihr zu sprechen?”

Wieder ein Nicken.

“Und was hat sie dir gesagt, dass du aussiehst, als hätte sie dich geschlagen?”

Mario schloss einen Moment seine Augen. “Sie … sie meinte, es hat nichts zu bedeuten gehabt. Nur Stressabbau oder so.”

“Wolltest du ihr nicht sagen, was du für sie empfindest?”

“Das habe ich auch.” Mario schob seine Hände in seine Hosentaschen und starrte auf den Boden, während er die Steinchen dort mit seinem Fuß hin und her schob.

“Aber?” Gregor legte seinen Kopf schräg.

“Sie hat gesagt”, er lachte trocken auf, “dass sie nichts festes mit jemanden aus ihrer Heimat beginnen will, immerhin fliegt sie nachher. Ich habe ihr dann gesagt”, eine Hand landete an seinem Hinterkopf, “dass ich zu ihr kommen würde. Dass ich auch in Deutschland Informatik studieren kann, dass ich einfach nur bei ihr sein will. Daraufhin hat sie mich ausgelacht.”

“Oh Mario, das tut mir wirklich leid.” Voller Mitleid legte Gregor seinem besten Freund eine Hand auf die Schulter.

Dieser wandte seinen Kopf ab. “Ist doch völlig egal, oder? Ich habe mich da total in etwas verrannt. Meine Gefühle sind scheiße. Sie will mich nicht, das hätte mir doch schon längst klar sein sollen! Sie liebt mich nicht, da kann ich machen was ich will. Selbst dass ich eine Nacht mit ihr verbracht habe, das ist ihr egal. Und damit …”, er schloss mit schmerzverzerrtem Gesicht die Augen, “ich muss sie einfach vergessen. Vermutlich ist es ganz gut, dass sie nach Deutschland geht, so kann ich hoffentlich über sie hinwegkommen.”

“Mario …”

“Lass es, Gregor.” Der Ältere blickte auf. “Ich gehe nach Hause. Ich muss …”, er runzelte seine Stirn und seufzte. “Ich brauche Zeit für mich.” Damit hob er eine Hand, drehte sich um und ging davon.

Gregor sah ihm hinterher. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet. Er war davon ausgegangen, dass Elsa seinen besten Freund ebenso mochte, wie dieser sie. Aber anscheinend hatte er sich geirrt. Ach verdammt, er hätte sich einen anderen Ausgang gewünscht, aber er konnte nichts daran ändern. Es war, wie es war.

Kapitel 2

Unsicher saß Elsa vor ihrem Laptop. Dieser stand auf ihrem Schreibtisch und man konnte auf dem Bildschirm erkennen, dass sie auf eine Rückmeldung der gewählten IP-Adresse wartete. Ihr Blick fiel auf das kleine schwarz-weiße Bild, das daneben lag. Automatisch wanderte ihre Hand zu ihrem immer noch flachen Bauch, in dessen Inneren sich ein Geheimnis befand, dass sie nun zumindest teilweise lüften würde. Und sie hatte Angst vor diesem Gespräch, der Reaktion auf ihre Enthüllung. Da wurde ihr Anruf angenommen. Angst schnürte alles in ihr zu und zuerst blickte sie sprachlos auf den Bildschirm, auf dem sie nun zwei Personen erkennen konnte.

“Elsa, Liebes! Es ist ja so schön, dich zu sehen”, erklang die Stimme ihrer Mutter aufgeregt. Akane lächelte sie über den Bildschirm an.

“Meine Große, na, was tut sich so in Deutschland? Hast du dich schon ein wenig einleben können?” Ryotaro Daichi blickte seine Tochter ebenfalls mit einem Lächeln an.

Elsa musste schlucken, als ihr klar war, das dieses sicherlich gleich vergehen würde. Sie zwang sich ebenfalls zu lächeln, ihr war jedoch bewusst, dass dies nur eine verzerrte Grimasse war. Das bemerkten auch ihre Eltern, denn beide wurden ernst.

“Liebes, was ist los?” Akane beuge sich ein wenig nach vorne und schon konnte Elsa die Tränen nicht mehr aufhalten, die sich aus ihren Augen lösten gleich darauf über ihre Wangen liefen.

“Elsa.” Ryotaro streckte eine Hand aus, ehe ihm wohl bewusst wurde, dass er nur vor einem Bildschirm saß und sie verschämt wieder sinken ließ. “Was ist los?”

“Hast du Heimweh? Das ist vollkommen verständlich.” Akane blickte ihre Tochter über die Kamera aufmunternd an.

“Und wenn du merkst, dass es nicht geht, du weißt, dass du jederzeit wieder nach Hause kommen und hier studieren kannst. Wir wären dir nicht böse, wenn du das Auslandsstudium abbrichst”, fügte Ryotaro hinzu.

“Das … das ist es nicht”, erklärte Elsa mit brüchiger Stimme.

“Was dann? Du kannst über alles mit uns sprechen, Elsa”, erwiderte Akane sofort.

Wie war das? Das Pflaster einfach abreißen. Schnell und schmerzlos … Elsa schloss ihre Augen und alles schnürte sich nur noch enger zusammen. Das hier, das würde nicht schmerzlos ausgehen, das war ihr klar.

“Ich … ich bin schwanger”, flüsterte sie und senkte ihren Blick, sie konnte ihre Eltern jetzt nicht ansehen. Ihr war klar, dass sie die beiden enttäuschte, dabei wollte sie das nicht.

Minutenlang herrschte Stille. Hatten sie sie überhaupt verstanden? War sie zu leise gewesen? Langsam hob Elsa ihren Kopf, um gleich darauf in die Augen ihrer fassungslosen Eltern zu sehen.

“Du … du bist was?”, brachte Akane schließlich hervor. Sie war blass, ebenso Elsas Vater, die Augen von beiden weit und ungläubig aufgerissen.

“Ich … ich war gestern beim Frauenarzt”, erklärte Elsa leise. “Hannah hat mir bei ihrer Ärztin einen Termin ausgemacht. Ich”, sie zögerte einen kurzen Moment, “ich bin jetzt in der achten Woche.”

“Du … bist in der achten Woche.” Ihre Mutter wirkte fassungslos.

“Wie konnte das passieren?”, polterte Ryotaro los und sprang auf.

Die Tränen nahmen zu, doch Elsa konnte nichts dagegen tun. Sie konnte verstehen, weshalb ihr Vater so aufgebracht war. Hier war sie, 9.000 Kilometer und sieben Stunden Zeitverschiebung entfernt von ihrem Zuhause und es passierte etwas, was für alle ein Schock war. Die Entfernung war zum einen alles andere als gut, zum anderen schützte es sie vielleicht auch ein wenig vor seinem Zorn.

Akane legte ihrem Ehemann eine Hand auf den Unterarm und brachte ihn so dazu, sich wieder hinzusetzen. Sie wirkte einigermaßen gefasst und schien zu erkennen, wie schlecht es Elsa gerade ging. “Ich denke nicht wirklich, dass sie dir erklären soll, wie eine Schwangerschaft zustande kommt.”

Und schon zog er seine Augenbrauen zusammen. “Wer ist der Vater?”, grollte er.
 

Elsas Herz stockte einen Moment. Vor dieser Frage hatte sie sich gefürchtet. Es gab nur einen einzigen Mann, der als Vater infrage kam. Mario. Es war schon unglaublich gewesen, ihn zu küssen, mit ihm die Nacht zu verbringen, war noch viel unglaublicher. Sie konnte es nicht einmal mehr richtig sagen, wie lange sie schon in ihn verliebt war. Sie hatte sich in der Grundschule in ihn verliebt und diese Gefühle hatten durchgehend angehalten. Klar, sie hatte auch mal Freunde gehabt, immerhin hatte er nie irgendwelche Andeutungen in diese Richtung gemacht. Sie war sich sicher gewesen, dass er ihre Gefühle nicht erwiderte und hatte sich daher auf andere Jungen eingelassen, mit denen sie auch ihre ersten Erfahrungen gemacht hatte. Doch keiner von ihnen war dem Jungen nahe gekommen, der ihr so viel bedeutete. Jede ihrer Beziehungen war daran gescheitert, dass sie ihre Freunde mit ihm verglichen hatte und keiner bestanden hatte. Und dann war ihr Abschiedsfest gewesen, das Gregor und Conny organisiert und sie damit überrascht hatten. Auch Mario war da gewesen und Elsa war zuerst davon ausgegangen, dass Gregor ihn halt eingeladen hatte, weil er sein bester Freund war und weil sie sich ja eigentlich ganz gut verstanden. Sie hatten an dem Abend viel miteinander geredet und irgendwann hatte er sie geküsst. Und ehe sie sich versah, war aus dem anfänglichen, sanften Kuss viel mehr geworden. Schließlich waren sie von der Party einfach verschwunden, sie hatte sich nicht einmal von ihren Freunden verabschiedet. Sie waren zu ihm gegangen und hatten miteinander geschlafen. Es war die schönste Nacht gewesen, die sie je gehabt hatte. Dann hatte er etwas gesagt, das ihr Angst gemacht hatte. Er hatte ihr gesagt, dass er sie liebte. Ihr Herz hatte vor Freude gesprungen und am liebsten hätte sie sofort erwidert, dass sie das gleiche für ihn empfand. Und dann war ihr bewusst geworden, dass sie bereits am Folgetag nach Deutschland fliegen würde, wo sie mindestens drei Jahre leben würde. Das zwischen ihnen, hätte perfekt sein können. Sie liebte ihn und er liebte sie. Doch das Timing war das denkbar schlechteste auf der Welt gewesen. Sie beide hatten keine Chance. Und daher hatte sie sein Liebesgeständnis nur in ihren Gedanken erwidert und kaum dass er eingeschlafen war, sie fest in den Armen haltend, war sie aufgestanden und hatte ihre Sachen zusammengesammelt. Sie hatte ihm im Schlaf einen sanften Kuss auf die Lippen gehaucht, geflüstert, dass sie ihn ebenfalls liebte und es ihr wirklich leid tat. Dann war sie gegangen, hatte ihn zurückgelassen, so wie sie alles andere am nächsten Tag auch zurücklassen würde, sobald sie in das Flugzeug nach Deutschland steigen würde. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er am nächsten Tag bei ihr auftauchen würde, mit ihr reden wollte. Und noch weniger hatte sie damit gerechnet, dass er ihr vorschlagen würde, zu ihr nach Deutschland zu kommen, seine Zelte hinter sich abbrechen würde. Doch das hatte sie nicht zulassen können! Seine Familie war in Japan, seine Freunde, die Kickers. Wie hätte sie ihm etwas davon einfach nehmen können? Es ging ihm doch so gut, er war glücklich. Sie wollte nicht, dass er ihretwegen alles aufgeben würde und dann vielleicht unglücklich werden würde, wenn er fernab der Heimat in Deutschland festsaß und nur sie hatte. Was, wenn er dann feststellen würde, dass er sie doch nicht so liebte, wie er gedacht hatte? Und daher hatte sie ihm gegenüber einfach behauptet, dass es ihr nichts bedeutet hatte, mit ihm zu schlafen. In Wirklichkeit hatte es ihr die Welt bedeutet. Aber das jetzt, wieder schob sich ihre Hand auf ihren Bauch, das würde sein Leben mehr als beeinflussen. Das konnte sie ihm erst recht nicht antun und daher hatte sie eine Entscheidung getroffen.
 

“Ich … weiß es nicht, ich kenne seinen Namen nicht”, antwortete sie leise auf die Frage ihres Vaters und wich seinem Blick aus, er durfte auf keinen Fall merken, dass sie ihn gerade anlog. “Als ich hier angekommen bin, gab es eine Welcome-Party und da habe ich wohl ein wenig zu viel getrunken. Da ist es passiert. Es war eine einmalige Sache und ich schäme mich auch dafür.”

Erneut herrschte Stille. Ihre Eltern mussten auch das gerade Gesagte erst einmal verarbeiten.

“So haben wir dich nicht erzogen, Elsa Daichi!”, herrschte ihr Vater sie an.

“Ich weiß”, schluchzte sie leise. “Es tut mir so leid. Das alles. Ich wollte euch niemals enttäuschen.”

“Wie geht es jetzt weiter?”, fragte ihre Mutter leise. Elsa konnte ihr anmerken, dass ihre Mutter tief drinnen nicht so ruhig war, wie sie es zu sein wirkte.

“Ich … ich weiß es noch nicht”, flüsterte sie. Die Frauenärztin hatte ihr sehr einfühlsam erklärt, dass es verschiedene Möglichkeiten in Bezug auf die Schwangerschaft gab. Als ihr gestern bewusst geworden war, dass damit auch ein Schwangerschaftsabbruch gemeint war, war ihr anders geworden. Egal, dass diese Schwangerschaft nicht geplant war, dass sie alles, was sie hatte tun und erreichen wollen, damit zunichte gemacht worden war, sie konnte es nicht töten. Sie konnte nicht das kleine Wesen töten, das in ihrem Bauch heranwuchs. Sie konnte Marios Baby nicht töten. Die Entscheidung war ihr klar gewesen auch wenn sie nicht wusste, wie sie das alles bewerkstelligen sollte.

“Wir buchen dir einen Rückflug”, erklärte Ryotaro in dem Moment.

Entsetzt riss Elsa ihre Augen weit auf. “Nein!”

“Was dann? Wie stellst du dir das vor? Allein in Deutschland? Mit einem Baby?”

Anscheinend war auch ihren Eltern klar, dass sie dieses Kind bekommen würde. Das wiederum erleichterte Elsa.

“In Deutschland gibt es sehr viele Möglichkeiten, Studium und Kind unter einen Hut zu bekommen”, erklärte Elsa. Ihr war bewusst, dass sie nun eventuell gegen Windmühlen würde kämpfen müssen. Schlussendlich hing es an ihren Eltern, denn diese finanzierten ihr Auslandsstudium, zusätzlich zu dem Stipendium, das sie bekam. Ohne diese hätte sie es niemals antreten können.

“Allein? Ein Säugling und dein Studium?” Akane klang sehr zweifelnd.

“Ich habe nächste Woche einen Termin bei der Studentenberatung, da will ich mich informieren”, erklärte Elsa. “Und erst dann will ich schauen, wie es weitergeht.”

“Aber das Kind … willst du es …?” Akane brach ab.

Wieder legte Elsa ihre Hand auf ihren Bauch. “Ich würde es niemals weg machen können, wenn du das meinst”, antwortete sie leise. “Ich kann es doch nicht für meinen Fehler bestrafen.”

Es herrschte ein wiedermal Stille, ehe ihre Eltern nickten.

“Es ist schlussendlich deine Entscheidung, Elsa, doch wir sind deine Eltern, wir werden dich unterstützen.”

“Aber …”

Sofort legte Akane ihre Hand auf Ryotaros Unterarm und drückte diesen, so dass Elsas Vater seinen Satz abbrach.

“Ich würde sagen, du gehst zu deiner Studienberatung und dann reden wir noch einmal miteinander”, richtete sie an ihre Tochter. Elsa nickte.

“Gut, und bis dahin lassen wir das ganze erst einmal sacken. Ich will ehrlich sein, Elsa. Du hast uns mehr als schockiert und es ist nicht gelogen, wenn ich sage, dass wir beide sehr enttäuscht von dir sind.” Akane sah ernst in die Kamera, Ryotaro nickte zustimmend.

Elsa biss sich auf die Unterlippe. “Das kann ich verstehen”, gab sie leise von sich.

“Aber es ist richtig, das Baby kann nichts für einen Fehler den du gemacht hast. Ich bin froh, dass du das so reflektierst. Wie es weitergeht werden wir sehen. Doch wie ich, nein, wir beide es dir zu Beginn dieses Gesprächs gesagt haben, wir stehen immer hinter dir und werden dich unterstützen. Trotz allem bist du unsere Tochter und wir lieben dich.”

Auf diese Aussage begann Elsa laut zu schluchzen.

“Deine Mutter hat recht, Elsa. Wir lieben dich. Trotzdem müssen wir jetzt erstmal verdauen, was du uns gerade gesagt hast. Ich erwarte, dass du uns nach deinem Beratungsgespräch gleich anrufst und dann werden wir besprechen, wie es weitergeht.”

“Das werde ich Papa”, stimmte Elsa sofort zu.

“Gut.” Ryotaro seufzte.

“Ich hätte eine Bitte an euch”, richtete seine Tochter an sie.

“Und die wäre?”, fragte Akane.

“Bitte sagt Gregor nichts davon. Ich … ich will nicht …” Sie stockte. Was sollte sie auch sagen? Sein bester Freund war der Vater des Ungeborenen in ihrem Bauch. Wenn ihr Bruder nun etwas darüber sagen würde, würde Mario keine Kosten und Mühen scheuen um zu ihr kommen. Er war nicht dumm, er könnte eins und eins zusammenzählen. “Bitte sagt ihm einfach noch nichts davon. Ich will ihn nicht auch noch enttäuschen. Es ist schlimm genug”, sie senkte ihren Kopf, “dass ich euch beide enttäuscht habe.”

“Ach Elsa.” Ryotaro seufzte. “Wir haben dich lieb, vergiss das nicht. Aber das was jetzt passiert ist, das ist nicht das, was wir für dich wollten.”

“Wir werden für dich da sein, egal welche Entscheidung du triffst. Wir stehen das gemeinsam durch, als Familie. Und wenn du es deinem Bruder noch nicht sagen willst, werden wir das akzeptieren.”

Erleichtert sah Elsa auf. Wenigstens etwas. “Danke”, flüsterte sie.
 

~~~
 

“Hey, ich bin wieder da!”, rief Gregor und ließ seine Sporttasche an Ort und Stelle fallen, während er aus seinen Schuhen schlüpfte. Er ging ein paar Schritte und streckte seinen Kopf grinsend ins Wohnzimmer hinein. Das Grinsen verging ihm jedoch, als er seine Eltern erkannte, die zusammen am Esstisch saßen. Sein Vater strich seiner Mutter über den Rücken, sein Gesicht lag in Falten und er wirkte unglücklich.

“Was ist denn los? Ist jemand gestorben?”, fragte Gregor unsicher. “Oh Gott, geht es Elsa gut?”, platzte es im nächsten Augenblick aus ihm heraus.

Kaum dass er das gefragt hatte, sprang seine Mutter auf und erst als sie an ihm vorbeilief, konnte er erkennen, dass sie geweint zu haben schien. Er sah ihr hinterher und als seine Mutter an ihm vorbei und in ihrem Schlafzimmer verschwunden war, blickte Gregor wieder ins Wohnzimmer zurück. “Papa?”, fragte er unsicher und etwas verängstigt.

Ryotaro winkte ab. “Deiner Schwester geht es gut. Deine Mutter, sie ist nur …”, er zögerte, “sie braucht nur etwas Zeit für sich. Lass ihr die einfach.”

“Was ist los, Papa? Ist jemanden etwas passiert? Ist jemand krank? Geht es Elsa wirklich gut?”

“Ja, Elsa geht es gut, wir haben gerade mit ihr telefoniert. Deine Mutter vermisst sie einfach sehr und macht sich Sorgen um sie, das kannst du dir doch sicher vorstellen. Immerhin ist sie sehr weit weg von uns.”

Verständig nickte Gregor. Das ergab Sinn. “Das kann ich verstehen, ich vermisse Elsa auch sehr. Aber”, er grinste seinen Vater an, “sie ist ja nicht aus der Welt. Sie gehört zu uns und wir können mit ihr telefonieren und sie sehen. Sie ist Teil unserer Familie und wird es immer bleiben.”

Nun erschien ein Lächeln auf Ryotaros Zügen und er schien selbst erstaunt darüber. “Sohn, mit dieser Aussage hast du vollkommen recht. Sie wird immer zu uns gehören. Sie ist meine Tochter, deine Schwester. Und auch die Tochter deiner Mutter. Egal was ist, wir werden immer für sie da sein und alle zusammenhalten.”

Kapitel 3

Mit einer Hand schob Elsa die Broschüren vor sich hin und her. Das was sie heute in der Beratung erfahren hatte war viel gewesen, aber irgendwie auch ein wenig beruhigend. Sie war sich sicher, dass sie einiges schaffen konnte. In Deutschland gab es so viel Unterstützung in einer Situation wie der ihren. Und das musste sie jetzt ihren Eltern nahebringen.

“Elsa”, begrüßten ihre Eltern sie, kaum dass ihr Videoanruf entgegengenommen worden war. Ihren Blicken konnte sie nicht entnehmen, wie diese gerade gelaunt waren. Ihre Mutter sah jedoch unglücklich aus, sie schien geweint zu haben. Elsas Herz zog sich zusammen. Das war sicherlich nur ihre Schuld.

“Du hattest heute deinen Termin bei der Beratung?”, fragte Ryotaro.

Sofort nickte seine Tochter. “Ja, richtig.”

“Und was hast du erfahren?”, fragte Akane. Sie hörte sich müde an.

Langsam zog Elsa ihre Schultern hoch. “Ähm”, murmelte sie und schob die Broschüren wieder zusammen, “wie gesagt, es gibt viel Unterstützung hier. Die Uni hat zum Beispiel einen Kindergarten mit Krippe, nur für die Studenten. Als Auslandsstudentin wäre mir ein Platz sicher, hat man mir gesagt. Und ich bekomme auch eine größere Wohnung, auch hier hilft mir der Status als Auslandsstudentin, um auf der Prioritätenliste ganz nach oben zu rutschen. Zudem gibt es finanzielle Hilfen. Erstlingsausstattungen und so weiter. Auch bezüglich meines Stipendiums habe ich mich erkundigt. Dieses wird nicht eingestellt sondern kann um bis zu zwei Jahre verlängert werden, ich muss einfach nur meinen Mutterpass und dann die Geburtsurkunde einreichen. Der mutmaßliche Entbindungstermin liegt Mitte Juli. Wenn alles gut geht und das Kind nicht früher kommt, könnte ich sogar an allen Prüfungen des Sommersemesters teilnehmen. Anschließend könnte ich ein Urlaubssemester nehmen um im folgenden Semester wieder durchzustarten. Das Kind könnte dann in den Kindergarten beziehungsweise in die Krippe. Wenn alles gut geht, dann könnte ich das Studium einfach ein Semester später abschließen, als geplant.”

“Warte”, Akane setzte sich auf, blickte ungläubig in die Kamera, “du wirst doch nach Japan zurückkehren.”

“Ich … ich hatte gedacht”, wieder senkte Elsa ihren Kopf, “dass ich hier bleibe, in Deutschland. Ich will das Studium zu Ende bringen, wie ich es geplant habe.”

“Dann hättest du dich nicht schwängern lassen sollen”, tönte Ryotaros Stimme ungehalten durch die Lautsprecher ihres Laptops. Wieder zuckte Elsa zusammen.

“Ich … ich kann es sicherlich schaffen, ich werde alles dafür tun”, murmelte sie.

“Aber Elsa. Ein Studium und dazu ein Baby? Das ist nicht unbedingt einfach.” Akane schüttelte ihren Kopf. “Du darfst das nicht unterschätzen. Du kannst dein Leben nicht so einfach planen, da wird alles durcheinander gebracht. Dazu kommt im Normalfall ein großer Schlafmangel.”

“Ich weiß”, antwortete Elsa sofort, “aber ich kann meinen Stundenplan so legen, dass ich keine großen Pausen zwischen den Vorlesungen habe. Das Baby ist in der Zeit in der Krippe. Und meine Hausarbeiten, lernen, all das mache ich dann eben wenn das Baby schläft. Ich habe mir das selbst eingebrockt, also muss ich es auch selbst auslöffeln.”

“Elsa, dein Studium hat noch nicht richtig begonnen. Am sinnvollsten wäre es, du brichst es jetzt ab und kommst zurück. Wenn das Kind auf der Welt ist kannst du irgendwann ja hier beginnen zu studieren.” Ryotaro runzelte seine Stirn. Elsas Plan gefiel ihm nicht. Es war ihm überhaupt schon schwer gefallen, ihrem Wunsch zu entsprechen, dass sie im Ausland studieren konnte. Dass sie schwanger war gefiel ihm noch weniger, aber daran konnte er nichts mehr ändern.

“Zudem sind wir hier, Elsa. Deine Familie. Wir können dich unterstützen. Sowohl mit dem Baby als auch während deines Studiums.” Akane legte ihren Kopf schräg und wirkte verzweifelt.

“Aber ich will es probieren, unbedingt.” Elsa blickte ihre Eltern an. “Ich würde es bereuen, hätte ich es gar nicht versucht sondern gleich aufgegeben. So habt ihr mich nicht erzogen.”

“Wir haben dich aber auch nicht so erzogen, dass du dich einfach so von einem X-beliebigen Kerl schwängern lässt!”

Sich auf die Lippen beißend, musste Elsa schwer schlucken. Ihr Vater war wirklich sehr verärgert.

“Mama, Papa”, begann sie leise, “ich will es versuchen, bitte. Ich habe mir wirklich viele Gedanken gemacht, wie es zu schaffen ist. Wenn es nicht funktionieren sollte, dann ist es so. Dann habe ich eben versagt, aber keiner kann behaupten, dass ich es nicht wenigstens versucht habe.”

Ein Seufzen entkam ihrem Vater und er rieb sich die Schläfen. “Ich kann nicht sagen, dass du dir keine Gedanken gemacht hast, das ist richtig. Das alles klingt auch durchdacht, trotzdem …”

“Papa, bitte.” Flehend sah seine Tochter ihn an.

Ryotaro ließ seine Hand sinken. “Lass mich darüber nachdenken, ja?”

Schnell nickte sie. Das war mehr, als sie zu hoffen gewagt hatte. Dass er ihr sofort zustimmen würde, war sehr unwahrscheinlich gewesen.

“Ich”, sagte ihre Mutter in dem Moment und sowohl Elsa als auch Ryotaro wandten ihre Aufmerksamkeit ihr zu. Sie sah auf. “Ich habe gerade überlegt, dass wenn du in Deutschland bleiben willst, dass ich vielleicht zu dir komme.”

“Was?”

“Wie?”

Akane wurde ungläubig angeblickt. Sie legte ihren Kopf schräg. “Du hast gesagt, dass der Termin im Juli ist?” Auf das Nicken fuhr sie fort. “Ich könnte ungefähr zwei, vielleicht drei Wochen vorher zu dir kommen. Und dann das erste halbe Jahr bei dir, bei euch bleiben, dich unterstützen. Und wenn du dann einen Krippenplatz bekommst, gehe ich. Natürlich ist es vielleicht eine doofe Situation, ich meine”, ihr Blick wanderte zu ihrem Ehemann, “du und Gregor braucht mich sicher auch, aber ihr kommt allein besser klar, als Elsa und das Baby.”

“Ich … ich weiß nicht”, brachte Ryotaro ungläubig vor. Damit hatte er nicht gerechnet, doch nicht nur er.

“Mama … ich weiß auch nicht. Du kannst doch nicht meinetwegen …”

“Elsa, du bist meine Tochter, ich liebe dich. Ich will in dieser Situation für dich da sein, dich nicht allein lassen. Und wenn du nicht hierher kommen willst, dann komme ich eben zu dir.”

“Mama …” Und schon liefen Elsa Tränen über die Wangen.

Auch ihre Mutter weinte, sodass Ryotaro seinen Arm um sie legte und sie sanft an sich zog.

“Wir werden sehen”, gab er leise von sich und strich sich mit der anderen Hand über den Nacken. Man konnte Elsas Eltern ansehen, dass sie mit der ganzen Situation mehr als überfordert waren.

“Aber gut, wie geht es dir denn, Elsa? Das haben wir dich bisher gar nicht gefragt”, erklärte ihre Mutter und wischte sich über die Augen.

“Ich …”, Elsa zuckte mit ihren Schultern und wischte sich ebenfalls über die Augen. “Ganz ehrlich? Scheiße! Ich wollte das alles doch nicht … Aber ansonsten, mir ist einfach nur schlecht und ich muss mich seit drei Tagen übergeben. Ich weiß ja, dass es die Morgenübelkeit gibt, aber mir ist von morgens bis abends schlecht …”

“Versuche mal, morgens etwas Zucker zu dir zu nehmen, ehe du aufstehst. Ein Tee mit viel Zucker, vielleicht Cola oder nur ein Bonbon lutschen, das hat deiner Mutter immer geholfen.”

Erstaunt wurde Ryotaro wieder angesehen.

“Das weißt du noch?”, fragte Akane.

“Äh, ja. Ich erinnere mich an ziemlich viel.” Er zuckte verlegen mit den Schultern, entlockte seiner Ehefrau ein Lächeln. Diese wandte sich gleich darauf ihrer Tochter zu.

“Ich hatte auch oft einfach eine Scheibe Brot dabei, an der ich dann geknabbert habe. Die Übelkeit geht durch essen weg, allerdings ist einem meistens so schlecht, dass man gar nichts essen kann.”

“Das ist wohl eher mein Problem”, erklärte Elsa und grinste schief.

“Es wird vorbeigehen, Elsa. Spätestens, wenn das Baby da ist.” Akane sah sie aufmunternd an.

“Dann bekommst du andere Probleme, versprochen.” Ryotaro sah seine Tochter ebenfalls an, wirkte aber sehr ernst. “Spätestens, wenn es dich mit neunzehn, fast zwanzig Jahren zu Großeltern macht.”

Elsas Augen weiteten sich. Was sollte sie nun sagen? Doch ihr Vater schien gar keine Entgegnung zu erwarten.

“Was ist mit Gregor? Können wir es ihm jetzt sagen?”

Sie schüttelte ihren Kopf auf die Frage ihrer Mutter. “Nein. Ich … ich werde es ihm zum gegebenen Zeitpunkt sagen, versprochen.”

“Gut.” Ihre Eltern seufzten.

“Liebes, du machst uns das Leben wirklich schwer”, gab Ryotaro von sich.

“Das wollte ich nicht”, schluchzte sie.

“Das wissen wir.” Akane legte eine Hand auf die ihres Ehemannes und drückte diese sanft. “Aber trotzdem ist es schwer. Zudem bist du noch dazu so weit weg, das macht es nicht besser. Nun müssen wir das Beste aus der ganzen Situation machen, denn wir können nichts mehr daran ändern.”

Nickend gab Elsa ihre Zustimmung. Ihre Mutter hatte recht. Man konnte nichts mehr ändern. Sie war hier in Deutschland und sie war schwanger. Von einem Mann, dem sie das Herz gebrochen hatte.
 

~~~
 

“Hey Gregor.” Daniel ließ sich neben seinen Freund auf die Bank fallen. Die Kickers wollten nun trainieren. Es war ein wenig komplizierte geworden, seitdem ein paar von ihnen die Schule beendet hatten und studierten. Aber sie bekamen es hin, sie hatten ihre Trainingszeiten umlegen müssen, aber man konnte alles schaffen, was man erreichen wollte.

“Was gibt es, Daniel?”, fragte Gregor seinen Kumpel, während er seine Schuhe zu band.

“Wie geht es eigentlich deiner Schwester? Du hast noch gar nicht erzählt, was sie in Deutschland so macht”, fragte der Jüngste der Kickers neugierig.

“Och, ich muss gestehen”, Gregor hob sich eine Hand und fuhr verlegen durch seine Haare am Hinterkopf, “ich höre gar nicht so viel von ihr. Sie studiert halt und es scheint ihr Spaß zu machen. Zumindest habe ich bisher keinerlei Beschwerden gehört. Aber tatsächlich”, er ließ seine Hand sinken und zuckte stattdessen mit den Schultern, “haben wir viel weniger Kontakt, als ich gedacht habe. Irgendwie ist sie ständig unterwegs und auch die Zeitverschiebung ist nicht zu verachten.” Er seufzte, während sich die anderen Kickers ihm zuwandten.

“Und wann besuchst du sie?” Kevin stemmte seine Hände in die Seiten. Am liebsten würde er mit seinem Kumpel mitkommen. Deutschland klang so exotisch, er würde gerne dorthin. Gab es da nicht auch schon Alkohol ab sechzehn? Zudem hieß es immer, das deutsche Bier wäre echt gut. Das würde er gerne testen.

“Nicht so schnell wohl … ich habe zwar gemeint, dass Conny und ich sie dann bald besuchen kommen, aber aktuell schiebt sie das immer von sich, sobald ich sie darauf anspreche.”

Keiner von ihnen bemerkte, wie ihr Kapitän, der sich auch im Clubhaus aufhielt, zusammen zuckte. Elsa … egal wie sehr er es versuchte, er bekam sie einfach nicht aus seinem Kopf. Er träumte sogar sehr oft von ihr. Und in vielen der Träume erlebte er wieder das, was in der Nacht, bevor sie geflogen war, passiert war. Wenn er dann erregt aufwachte, fiel ihm wieder ein, was sonst noch passiert war, was sie gesagt hatte. Es war jedes Mal wie ein Schlag in den Magen. Er wollte nicht über Elsa nachdenken, nicht von ihr träumen und erst recht nichts von ihr hören. Das hatte er seinem besten Freund auch gesagt und es kam Gregor zugute, dass dieser die Wünsche seines besten Freundes im Normalfall akzeptierte und kein Wort über seine Schwester verlor. Doch gerade schien der Jüngere nicht daran zu denken, aber gut, sollte er Daniel etwa sagen, dass er wegen ihm nicht über Elsa reden durfte?

“Sie scheint sich auch irgendwas eingefangen hat, denn als ich vor zwei Tagen mit ihr telefoniert habe, ist sie plötzlich aufgesprungen und davon gerannt. Sie hat sich übergeben müssen.”

“Ohje, meinst du, sie hat das deutsche Essen nicht vertragen?” Sascha klang besorgt.

“Meinst du echt?”, fragte Tino den Größeren.

“Ich glaube wirklich, dass das deutsche Essen relativ gut verträglich ist, daran kann es also nicht gelegen haben”, mischte sich auch Philipp ein.

Mario blickte über seine Schulter und Sorge machte sich in ihm breit. Elsa ging es nicht gut? Hoffentlich würde sie sich bald wieder erholen und … Sein Gesicht verdüsterte sich und kurzerhand zog er seine Kappe tiefer ins Gesicht. Sie hatte sein Mitleid nicht verdient. Er wollte auch kein Mitleid mit ihr haben. Alles für was er gut war, war ein Entspannungs-Fick? Dabei hatte er ihr noch seine Gefühle gestanden. Scheiße verdammt nochmal! Er drehte sich wieder um und knallte seine Spindtüre mit einem lauten Schlag zu.

“Wir sollten trainieren! Alles andere ist hier nicht von Belangen!”

Die Kickers sahen ihm hinterher, als er wutschnaubend das Clubhaus verließ.

“Oh man, er muss sie echt vermissen”, murmelte Tommy.

“Es ist sicher schwer für ihn”, stimmte auch Benjamin zu.

Gregor sah seinem besten Freund schuldbewusst hinterher. Er wusste, was tatsächlich in diesem vorging und dass Mario eigentlich nicht über Elsa sprechen wollte. Doch als die anderen ihn nach seiner Schwester gefragt hatten, hatte er darüber nicht nachgedacht. Mist, er musste wirklich besser darauf achten, in Marios Anwesenheit nicht über Elsa zu reden.

Kapitel 4

“Die letzte Prüfung ist eine knappe Woche vor dem errechneten Termin. Aber wenn ich die auch noch bestehe, dann habe ich es geschafft, mit diesem Sommersemester sogar vorzuarbeiten”, erklärte Elsa ihren Eltern.

“Das klingt gut. Du nimmst aber trotzdem dann ein Urlaubssemester, oder?”, fragte Akane.

“Ja, auf jeden Fall. Ich will mit dem Zwerg ja auch Zeit verbringen. Ich mache mir schon genug Vorwürfe, dass ich ihn bereits mit acht Monaten in die Krippe gebe, früher würde ich das nicht machen wollen. Auch wenn es hier wohl schon mit acht Wochen möglich ist, aber da ist er mir doch noch zu klein.”

“Du weißt, dass du immer noch nach Japan kommen kannst. Dein Plan in allen Ehren, Elsa, aber du musst das Ganze nicht wirklich durchziehen, nur um uns zu beweisen, dass du es schaffen kannst.” Ryotaro ließ sich neben seiner Frau auf einen Stuhl sinken und sah in die Kamera. Die letzten Monate hatten sie sich daran gewöhnt, über einen Bildschirm miteinander zu kommunizieren. Etwas, das zu Beginn sehr seltsam gewesen war, war inzwischen normal. Sie telefonierten einmal in der Woche miteinander, manchmal auch öfter, in Anbetracht der Situation fühlten sie sich alle wohler damit.

“Papa, das hat nichts mit beweisen zu tun. Ich weiß, dass ich es schaffen kann, ich will es schaffen. Und daher werde ich mein Bestes geben.”

“Und trotzdem, unsere Haustüre steht dir und unserem Enkel immer offen.” Ryotaro hatte es aufgegeben, seine Tochter davon überzeugen zu wollen, nach Hause zu kommen. Jede bisherige Diskussion hatte er verloren.

“Ich bin euch wirklich dankbar dafür, dass ihr mich so unterstützt, vor allem du, Mama.”

“Das mache ich wirklich gerne, Elsa. Apropos, ich habe meinen Flug gebucht. Ich lande am 30. Juni, zwar nur knapp zwei Wochen vor dem mutmaßlichen Entbindungstermin, aber anders habe ich es nicht mit allem anderen darum herum hinbekommen.”

“Mama, ich bin dir sowieso schon dankbar, dass du überhaupt zu mir, zu uns kommst. Falls das Baby schon früher kommen sollte, wird Hannah mit ins Krankenhaus kommen, das hat sie mir zugesagt. Ansonsten, schick mir bitte noch die genauen Flugzeiten. Ich schaue, dass ich dich abhole, wenn es mir gut geht und der Kleine noch nicht da ist. Und in die neue Wohnung darf ich ja erst ab dem ersten Juli, dann ist es nur eine Nacht, die du in einem Hotel verbringen musst, Mama.”

“Wie klappt das denn mit dem Umzug?”, fragte Ryotaro und entlockte Elsa ein Lächeln.

“Ich habe einige Freunde und Studienkollegen, die mir helfen werden. Ich bin ja immer noch ganz erstaunt, dass ich tatsächlich eine Drei-Zimmer-Wohnung bekommen habe, eigentlich habe ich mich nur für zwei Zimmer angemeldet. Das ist aber ganz gut, wenn Mama da ist, dann hat sie ihr eigenes Zimmer. Und wenn Mama nach dem halben Jahr wieder auszieht, wird vermutlich Hannah mit einziehen, dass ich nicht ganz allein bin. Also, allein mit dem Zwerg. Sie wird mir auch helfen.”

“Das freut mich wirklich sehr, dass du so tolle Menschen kennengelernt hast.”

“Ich mich auch, Mama.” Elsa lächelte diese an. Dann wurde sie wieder ernst. “Ähm, ich habe mir auch etwas überlegt”, gab sie unsicher von sich.

“Und das wäre?” Ryotaro legte seinen Kopf fragend schräg.

“Gregor frägt mich immer mal wieder, wann er und Conny mich endlich mal besuchen können, bisher habe ich es aber immer irgendwie abwenden können …”

“Hast du ihm denn inzwischen erzählt, dass er Onkel wird?”, fragte Akane vorsichtig, worauf ein Kopfschütteln folgte.

“Nein … Ich … ich habe mich noch nicht getraut. Irgendwie … ich habe Angst, es ihm zu sagen”, flüsterte Elsa und senkte ihren Kopf, um den Blicken ihrer Eltern auszuweichen.

“Du musst es ihm aber sagen. Du kannst es ihm nicht mehr lange verheimlichen. Oder willst du ihm eines Tages deinen Sohn vor der Kamera entgegenhalten und ihm sagen: herzlichen Glückwunsch, das ist dein Neffe? Oder gar erst, wenn du heimkommst und nicht allein hier auftauchst?” Ryotaro seufzte.

“Ich weiß doch, Papa. Es ist mir auch klar, dass ich es ihm schon längst hätte sagen sollen. Aber …”

“Aber was, Elsa? Was hast du dir überlegt?”, fragte ihre Mutter sanft. Diese hob ihren Kopf wieder.

“Ich dachte, wie wäre es, wenn … also wenn du Papa mit Gregor und vielleicht sogar mit Conny im August zu uns nach Deutschland kommt und eine Weile hier seid? Dann könnt ihr meinen Sohn alle kennenlernen. Klar, zwar ist das auch noch irgendwie ein ins kalte Wasser werfen sowohl für Gregor als auch für Conny, aber … naja.” Unsicher sah sie zwischen ihren Eltern hin und her, die ebenfalls einen Blick wechselten.

“Ehrlich gesagt, finde ich das gar keine so dumme Idee”, meinte Akane. Ryotaro wiegte seinen Kopf hin und her.

“Hmm.”

“Die Zeit ist doch gar nicht schlecht. Das müsste noch in den Semesterferien von Gregor und Conny sein und alle Prüfungen schon geschrieben. Zumindest hat Gregor die letzten Prüfungen Anfang August und soweit er sie besteht, hoffentlich keine Nachholtermine. Oh, das einzige was sein könnte ist, dass er in den Semesterferien weg wollte, aber wann genau lässt sich ja klären.” Akane blickte ihren Ehemann immer noch an, der fragend seine Stirn runzelte.

“Wohin will er denn?”

“Er wollte doch mit Mario ein paar Tage zelten gehen, wohin genau weiß ich gar nicht. Da müssten wir noch fragen, was die beiden besprochen haben.”

Da sich das Ehepaar anblickte, bekamen sie nicht mit, wie Elsa zusammen zuckte, als sie Mario und damit den Vater ihres ungeborenen Kindes erwähnten. Ihre Hand wanderte zu ihrem Bauch, denn wie als ob ihr Sohn es ebenfalls gemerkt hatte, begann er ihr Tritte zu verpassen.

“Es tut mir leid”, flüsterte sie ihm zu. “Vielleicht wirst du ihn irgendwann noch kennenlernen, aber ich weiß nicht wann und wie … und ob. Aber wir beide, wir schaffen das zusammen, versprochen.”

“Alles in Ordnung”, trat die Stimme ihrer Mutter an ihr Ohr und sofort sah sie auf.

“Ja, ist es. Er hat nur getreten.”

“Oh, ich freue mich, wenn ich das bald persönlich erleben werde.” Akane lächelte. “Er darf sich auf keinen Fall auf den Weg machen, bevor ich da bin.”

“Das hoffe ich doch auch! Immerhin habe ich da noch eine Prüfung.” Elsa schlug sich mit einer Faust auf die andere, flache Hand.

“Na wenn er wie dein Bruder wird, dann wird er immer zu spät kommen, daher würde das ja auch passen.” Akane schmunzelte.

“Und wenn er das erste Mal einen Fußball sieht, wird er diesen nicht mehr loslassen”, lachte Ryotaro.

Wieder zuckte Elsa zusammen. Fußball … Fußball war für sie untrennbar mit Mario verbunden. Sie wusste nicht, ob sie ihren Sohn Fußball spielen lassen würde. Doch das würde sie in Zukunft sehen, heute konnte sie dazu noch nichts sagen.

In dem Moment erklang eine laute Stimme auf der Seite von Akane und Ryotaro.

“Mama, Papa, ich bin Zuhause!”

Gregor hatte wohl bemerkt, dass über ihn gesprochen wurde.

“Gregor, du bist ja schon da.” Akane stand auf und trat aus dem Bild.

Schnell schob Elsa ihren Laptop-Bildschirm nach oben, so dass ihr Bauch nicht mehr zu sehen war. Sie hatte es die letzten Monate einfach nicht über sich gebracht, ihrem Bruder zu sagen, dass sie schwanger war. Ihre Eltern glaubten ihr, dass sie den Vater ihres Babys hier in Deutschland getroffen hatte, doch Gregor … vielleicht wusste er ja von Mario, dass sie beide miteinander geschlafen hatten, vielleicht erzählte er es auch Mario und dieser dachte sich seinen Teil. Nein, lieber hatte sie geschwiegen, Gregor diesen Teil vorenthalten. Sie hoffte sehr, dass sie ihren Bruder damit nicht zu sehr vor den Kopf schlagen würde. Doch das würde sich zeigen …

“Schwesterherz!” Da schob sich auch schon sein schwarzer Haarschopf in ihr Blickfeld und gleich darauf grinste er sie breit an.

“Brüderchen.” Sie erwiderte sein Grinsen.

“Elsa, das deutsche Essen scheint dir wirklich gut zu munden. Vielleicht ist es auch die böse Kamera, aber du wirkst jedes Mal runder, wenn ich dich sehe. Also nicht, dass ich dich dick nennen will …” Erst da schien es Gregor klar zu werden, dass er seine Schwester schlussendlich genau das genannt hatte. Diese hatte ihre Hände an ihre Wangen gelegt. Sie konnte es nicht verleugnen, die Schwangerschaft machte sie schon rundlicher, als sie war. Auch ihr Gesicht, nicht nur ihren Bauch und das konnte man auch über einen Bildschirm erkennen …

“Ich bin nicht dick”, murmelte sie.

“Tut mir leid”, erklärte er und strich sich peinlich berührt durch die Haare am Hinterkopf.

“Elsa, erzähl deinem Bruder doch, was du dir überlegt hast”, mischte sich Akane ein, die verstehen konnte, warum Gregor dachte, dass Elsa zugenommen hatte. Sie hatte wirklich süße Hamsterbäckchen bekommen.

“Oh, was denn?”, fragte er sofort.

“Ich habe gedacht, dass du und Conny mich besuchen kommt.” Elsa lächelte schief.

“Oh, wirklich? Das wäre ja der Hammer! Wann können wir kommen? Ich rede gleich mit Conny!” Begeisterung machte sich in dem Jüngeren breit.

“Ähm, im August hatte ich gedacht. Da seid ihr hoffentlich auch mit euren Prüfungen durch?”

“Wollten du und Mario nicht ein paar Tage weggehen?”, fragte Akane darauf ihren Sohn. Der nickte.

“Ja, wollten wir tatsächlich im August, aber ich rede mit Mario, vielleicht können wir das auf September schieben, das stand auch zur Auswahl als wir darüber geredet haben.”

“Dann rede doch du mit ihm und Conny und klärt ab, wann wir fliegen könnten. Ich schaue dann, wann Flüge nach Deutschland günstig sind und anschließend besuchen wir deine Schwester.” Ryotaro rieb sich die Hände.

“Das klingt gut.” Gregor nickte und sah seine Schwester nachdenklich an, die zur Seite blickte. War es nur ihm aufgefallen, wie sie zusammengezuckt war, als ihre Mutter seinen besten Freund erwähnt hatte? Hing sie immer noch an ihm? Irgendwie wäre es ja schön, denn auch Mario war, was sie anging, niedergeschlagen. Er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, aber Gregor kannte seinen besten Freund schon lange. Dieser war immer noch nicht über Elsa hinweg. Ein Seufzen unterdrückend, grinste er seine Schwester an.

“Also ich freue mich schon auf das deutsche Essen, scheint ja lecker zu sein.”

Kapitel 5

“Oh wow, wir sind wirklich in Deutschland!” Mit großen Augen sah sich Gregor um. “Schaut mal da. Und da! Oh Gott, diese Schrift ist so komisch. Wie kommt Elsa nur damit klar?” Er schüttelte seinen Kopf und sah an eine andere Stelle, um abrupt Connys Oberarm zu umfassen. “Conny, schau, da!”

Diese lachte. “Gregor, wir sind noch nicht einmal aus dem Flughafengebäude raus! Wenn du jetzt schon durchdrehst, wie wird es dann erst, wenn wir in der Stadt sind?”

Ryotaro nickte, während er seinen Blick über die Menschen gleiten ließ, die in der Ankunftshalle warteten. Er war sehr nervös. Zum einen war der Flug lang gewesen, aber in sehr kurzer Zeit würde er das erste Mal seinen Enkel sehen. Er war aufgeregt, konnte es kaum erwarten. Akane hatte ihm gesagt, dass Elsa das alles, die Geburt, ganz toll gemeistert hatte. Er hatte natürlich schon Bilder seines Enkels gesehen, aber ihn gleich wahrhaftig zu sehen, ihn vielleicht sogar berühren, ihn in den Arm nehmen zu dürfen, das machte ihn nervös und aufgeregt zur gleichen Zeit. Zudem konnte er es kaum erwarten, auch seine Tochter endlich wieder zu sehen, nicht nur über einen Bildschirm. Da entdeckte er seine Ehefrau.

“Schau mal Gregor, da ist deine Mutter.” Er winkte dieser und lief auf sie zu. Kaum dass er sie erreichte, nahm Ryotaro sie fest in die Arme.

“Mama”, rief auch Gregor und umarmte sie als nächster, gleich darauf gefolgt von Conny. In der Zeit sah sich deren Freund schon um. “Wo ist denn Elsa?”, fragte er verwundert. “Ich dachte, sie holt uns ebenfalls ab. Hat sie etwa keine Sehnsucht nach mir?”

Ein leises Lachen entkam seiner Mutter. “Sie wartet bei sich Zuhause auf uns. Sie konnte nicht mitkommen, da sie”, einen Moment stockte sie, “nicht allein ist.”

“Oho”, Gregor grinste breit, “hat sie etwa einen Freund?”

“Naja, man kann schon sagen, dass ein junger Mann bei ihr ist”, murmelte Ryotaro.

“Na dann freue ich mich ja erst recht. Den werde ich mir gleich mal zur Brust nehmen.” Voller Tatendrang legte Gregor seiner Freundin einen Arm um die Schultern. “Wo müssen wir hin?”, fragte er.

“Da entlang.” Akane deutete in die Richtung, in der die S-Bahnen lagen. Mit einer von diesen mussten sie nun in Richtung der Universität fahren, wo Elsa im Wohnheim lebte.

“Wie geht es ihr?”, fragte Ryotaro seine Ehefrau, mit der er seinem Sohn und dessen Freundin folgten, die zielgerichtet zu den S-Bahnen liefen.

“Sie ist sehr, sehr aufgeregt. Sie konnte letzte Nacht kaum schlafen, dabei schläft der Kleine wirklich gut. Mal schauen, ob das so bleibt.”

“Unsere beiden haben nachts eigentlich meist gut geschlafen. Vielleicht hat sie dieses Glück auch.”

“Wir werden sehen. Und jetzt komm, sonst steigt Gregor noch in die falsche S-Bahn ein, ich kenne unseren Sohn.”

Mit einem Schmunzeln drückte Ryotaro Akanes Hand. “Dafür haben wir doch Conny. Sie bekommt das hin.” Und dann überkam ihn die Nervosität wieder.
 

~~~
 

“Bald müsste sie kommen”, richtete Elsa nervös in den Stubenwagen, in dem ihr Sohn lag. Sanft streichelte sie über seinen schwarzen Haarschopf. Er hatte so unglaublich viele Haare. Die Farbe hatte er vermutlich von seinem Vater, ebenso die dunklen Augen. Er sah Mario in ihren Augen überhaupt unglaublich ähnlich. Schon die letzten Tage hatte die befürchtet, dass ihre Mutter das bemerken würde. Noch hatte sie ihre Behauptung aufrecht erhalten, dass ein unbekannter Mann der Vater war. Ob sie das so durchziehen konnte? Sein Leben lang? Wieder streichelte sie ihren Sohn liebevoll. Dann kam die Aufregung mit einem Schlag zurück. Gleich wäre Gregor hier. Er kannte seinen besten Freund vermutlich am besten. Ob er erkennen würde, dass sein Neffe Marios Sohn war? Das Baby wurde unruhig, begann zu quengeln.

“Alles gut, mein Kleiner. Deine Oma und dein Opa kommen gleich. Ebenso dein Onkel und deine …” Nachdenklich stockte Elsa. Wie sollte sie Conny nennen? Wobei, die Jüngere war bereits seit vier Jahren Teil ihrer Familie. “Deine Tante kennen”, beendete sie entschlossen ihren Satz. Das schien ihr Baby jedoch nicht sonderlich zu beeindrucken. Sein Quäken wurde lauter. Kurzerhand beugte sie sich über den Stubenwagen und nahm ihn heraus, legte ihn an ihre Schulter, wo er ruhiger wurde. Vielleicht hatte er nur ihre Nähe gebraucht. Aber diese würde er immer bekommen.

Genau in diesem Moment klingelte es und Elsa zuckte zusammen. Ihr wurde schlecht und ihr Sohn schien ihren Stimmungswechsel zu spüren, denn er begann wieder zu jammern.

“Oh Gott”, murmelte sie. Jetzt war es soweit. Gregor würde seinen Neffen das erste Mal sehen. Sie hatte ein wenig Angst vor seiner Reaktion, immerhin hatte sie ihm die letzten Monate verschwiegen, dass sie schwanger war, geschweige denn, dass sein Neffe bereits auf der Welt war. Wie würde er reagieren? Und vor allem, würde er erkennen, dass sein bester Freund der Vater ihres Babys war?

Sie ging mit ihrem Sohn zur Wohnungstüre und öffnete diese. Unsicherheit und Angst hatten sich in ihrem ganzen Körper ausgebreitet.

“Schwesterherz, wir sind da und …” Mit einem breiten Grinsen stand ihr Bruder im Türrahmen. Das Grinsen, das gerade noch auf seinem Gesicht gelegen hatte, verschwand und seine Augen weiteten sich, als er seine Schwester anblickte, die Augen fest auf das kleine Wesen in deren Armen fokussiert.

“Gregor, bleib nicht einfach so stehen, du produzierst hier einen Stau”, erklang Ryotaros Stimme laut.

“Schatz, jetzt lauf schon. Wir wollen Elsa alle sehen”, richtete Conny an ihren Freund und schob diesen nach vorne, sodass er unbeholfen ein paar Schritte in die Wohnung stolperte, ohne dass er etwas sagte oder seinen ungläubig geöffneten Mund schließen konnte.

“Elsa, entschuldige bitte, dein Bruder ist wohl aufgeregter als gedacht und …” Conny kam um ihren Freund herum und stoppte ebenfalls abrupt. Sie blinzelte und ihr Blick wanderte von dem Baby zurück zu ihrer Freundin, die wie ein kleines Häufchen Elend aussah.

“Jetzt lauft mal weiter und steht hier nicht so rum. Elsa, geh du schon mal ins Wohnzimmer vor. Conny, Gregor. Eure Koffer könnt ihr einfach hier stehen lassen und Schuhe aus. Du ebenso, Ryotaro. Und dann bitte alle einmal Händewaschen, hier ist das Bad.” Akane übernahm die Leitung und wies alle an, um etwas Vorankommen in die Gruppe zu bekommen.

Erleichtert nickte Elsa und drückte ihren Sohn an sich, der wieder zu quäken begann. Ob er wohl wieder Hunger bekam? Dabei hatte sie ihn doch erst gestillt … Sie nahm ihn ein wenig anders in den Arm und lief ins Wohnzimmer hinein, blieb dort stehen und wartete angespannt darauf, dass der Rest ihrer Familie dazustoßen würde. Akane war ihr gefolgt und ging zu der Küchenzeile, um Gläser auf den Esstisch zu stellen und Getränke aus dem Kühlschrank zu holen. Schließlich kamen die Neuankömmlinge ebenfalls in den Raum herein. Überfordert blickten Conny und Gregor Elsa an, die unbewusst das Baby etwas fester an sich drückte.

“Elsa, willst du ihnen nicht jemanden vorstellen?”, fragte ihre Mutter sanft und strich ihr über den Rücken. Langsam nickte die Angesprochene.

“Gregor, Conny”, sie räusperte sich, “das hier ist Masaru. Er”, unsicher sah sie zu ihrem Bruder, “ist dein Neffe …”

Die Stille, die sich nun im Raum ausbreitete, fühlte sich zum greifen dick an.

“Mein … mein Neffe?” Gregors Augen standen weit offen.

“Ja, ich …” Die ersten Tränen traten über Elsas Augen.

“Jetzt lasst mich hier mal durch, ich will meinen Enkel endlich richtig kennenlernen.” Kurzerhand schob sich Ryotaro an seinem Sohn vorbei und trat zu seiner Tochter. “Hey Kleiner, ich bin dein Opa”, richtete er an das Baby, das seine Augen nun auf ihn gerichtet hatte.

“Willst du ihn mal halten?”, fragte Elsa leise.

Schon leuchteten die Augen ihres Vaters auf. “Oh, wenn ich darf, dann sehr gerne.”

“Hier, aber sei vorsichtig.”

“Ach Elsa”, vorsichtig nahm Ryotaro ihr seinen Enkel ab und legte ihn in seinen Arm, “ich habe auch schon zwei Kinder groß bekommen.” Sein Blick richtete sich auf ihren. “Wobei ich noch nicht weiß, ob mit Erfolg oder nicht.”

Schon zuckte Elsa zusammen. Sie wusste, dass ihr Vater sie liebte, dass er auch seinen Enkel liebte, lieben würde, dass er immer für sie da war und da wäre, aber sie war sich auch bewusst, dass er von dem Ganzen nicht begeistert war. Wie denn auch? Sie konnte ihn vollkommen verstehen.

“Elsa … ich muss es fragen, denn ich habe das Gefühl, dass ich gerade auf dem Schlauch stehe”, murmelte Gregor hinter ihrem Vater. “Das Baby, nein, Masaru … er ist dein Sohn? Du … du hast ein Baby?”

Zögerlich nickte Elsa, während sich ihr Vater mit dem Baby auf das Sofa setzte.

“Ich … ich war schwanger, ja”, murmelte sie leise.

“Du hast einen Freund?”, fragte Conny und erhielt nun ein Kopfschütteln und ein Erröten von Elsas Wangen.

“Nein, ich … nein.”

“Aber … Wer ist der Vater?”, fragte Gregor nun ungläubig.

Nun kam es darauf an. Würde er ihr glauben? Gregor war aktuell die Person, von der sie annahm, dass er ihr Geheimnis lüften könnte.

“Als ich hier angekommen bin, gab es eine Welcome-Party und da habe ich einen Typ kennengelernt. Es war nur etwas einmaliges, ich kenne nicht einmal seinen Namen.” Alles zog sich in Elsa zusammen, als sie ein erneutes Mal Mario verleugnete. Würde das jemals nicht so sein?

“Du bist also durchgehend schwanger gewesen, als du hier warst?”, fragte Conny leise.

Ihre Freundin nickte. “Ja. Deshalb … habe ich es bisher auch nicht wollen, dass ihr mich schon früher besucht. Ich wusste einfach nicht, wie ich es euch sagen soll, dass … ja.”

“Du hast mir allen ernstes neun Monate lang verheimlicht, dass du schwanger bist, ein Kind bekommst?” Gregor runzelte seine Stirn, ehe ihm etwas aufging. “Oh”, rief er und erneut weiteten sich seine Augen, “ich bin Onkel?”

“Ja, das bist du jetzt, Gregor. Also solltest du ab sofort ein gutes Vorbild sein.” Akane klopfte ihrem Sohn auf die Schulter, während sie an ihm vorbeiging und sich dann neben ihren Mann auf das Sofa setzte, der seinen Enkel mit leuchtenden Augen anhimmelte, bei dieser Aussage jedoch aufblickte.

“Zumindest ein besseres Vorbild als deine Schwester. Sich einfach mit neunzehn Jahren von so einem dahergelaufenen Kerl schwängern lassen.”

“Ryotaro, jetzt hör doch mal auf, das Elsa ständig vorzuwerfen. Sie ist die, die darunter am meisten zu leiden hat, deine Sprüche machen das nicht besser.” Akane schüttelte seufzend ihren Kopf. Sie wusste ja, dass ihr Ehemann daran zu knabbern hatte, aber sie meinte es genauso, wie sie es gesagt hatte. Elsa half das nichts.

“Ist ja okay.” Ryotaro hob seine Augenbrauen und sah seine Tochter an. “Ich liebe dich und dieser kleine Kerl hier”, er deutete auf Masaru in seinen Armen, “ist einfach nur zum Fressen süß. Aber trotzdem, ich bin einfach nicht einig mit dem, wie das alles gelaufen ist.”

“Ich auch nicht, Papa”, stimmte Elsa ihm leise zu.

“Gut.” Er nickte, dann sah er zu seinem Sohn und dessen Freundin. “Und auch wenn ihr beide schon lange ein Paar seid, ihr bitte nicht. Macht eure Schule fertig, studiert, am besten nicht im Ausland und dann könnt ihr weitersehen. Ein Enkelchen reicht mir erst einmal, auch”, wieder sah er Masaru an und seine Stimme wurde ganz hoch, “du einfach nur unglaublich süß ist, du kleiner Zwerg.”

Elsa blinzelte und blickte perplex zu ihrem Bruder, der den Blick ebenso erwiderte. Was war denn das? Doch schon wurde Gregor wieder ernst.

“Du hättest jederzeit mit mir reden können, das ist dir klar, oder? Ich hätte dich bei allem unterstützt.”

“Ich … es tut mir leid.”

“Das muss es nicht, Schwesterherz. Obwohl, doch, schon ein wenig. Warum hast du es nicht gesagt?”

“Ich habe mich geschämt … das alles. Es war keine Glanzleistung von mir.”

“Ganz rich… Aua!”

“Ruhe, Ryotaro!”

Ein Schmunzeln huschte sowohl Elsa als auch Gregor übers Gesicht. Ihre Mutter wusste eindeutig mit ihrem Vater umzugehen.

“Na gut, ich bin Onkel. Dann stell mir den kleinen Mann nochmal richtig vor.” Gregor drehte sich herum und ließ sich auch neben seinem Vater auf dem Sofa nieder. Dieser drehte sich und drückte ihm Masaru in die Arme, wies ihn an, wie er das Baby halten sollte. Dessen große, dunkle Augen waren auf seinen Onkel gerichtet. Wieder zog sich alles in Elsa zusammen. Würde Gregor die Ähnlichkeit zu Mario jetzt erkennen?

“Hey Zwerg, ich bin dein Onkel Gregor. Der mit dem Fußball. Ich verspreche dir, wir werden ganz viel Spaß haben und ich bringe dir alles bei. Du wirst der beste Fußballer auf der Welt werden.”

Masaru blinzelte, seine Händen pressten die Fäuste noch fester zusammen, sein Gesicht verzog sich, die Mundwinkel wanderten nach unten, der Kopf wurde rot und dann brüllte er auf einmal laut los. Gregor wurde panisch, versuchte ihn mit hin und her wiegen, mit Worten zu beruhigen, aber keine Chance. Je mehr er es versuchte, desto lauter brüllte Masaru. Schnell trat Elsa zu ihrem Bruder und nahm ihren Sohn an sich, der noch ein wenig schluchzte, ehe er sich wieder beruhigte. Plötzlich gab er Schmatzlaute von sich und drehte seinen Kopf suchend hin und her.

“Okay Elsa, er hat Hunger. Geh rüber in dein Zimmer und stille ihn.” Akane deutete auf die Zimmertüre und wandte sich dem Besuch zu, während ihre Tochter tat wie gesagt.

Conny setzte sich neben ihren Freund auf die Sofalehne und tätschelte ihm die Schulter, während sie ihn zu trösten versuchte.

“Keine Sorge, Schatz. Dein Neffe”, sie stockte, das Wort war doch noch etwas zu surreal, wie die ganze Situation eben, “wird dich schon noch lieben lernen. Vielleicht lag es nicht an dir, dass er so geweint hat, sondern weil er Fußball nicht mag.”

Schon sah Gregor sie ungläubig an. “Wie bitte? Von mir aus kann er mich nicht mögen. Aber Fußball? Wie soll man Fußball nicht mögen können? Er wird es sicherlich genauso lieben lernen wie ich! Dafür werde ich schon sorgen. Ich werde ihn einfach ständig mitnehmen, er hat keine Chance, Fußball nicht zu mögen!”

Die anderen Anwesenden schüttelten schmunzelnd ihre Köpfe, ja, etwas anderes war nicht zu erwarten gewesen.

Kapitel 6

Gregor lag auf dem Sofa im Wohnzimmer von Elsas Wohnung auf dem Rücken und starrte an die Decke. Das was er heute erfahren hatte war viel gewesen. Seine Schwester hatte ein Kind bekommen, was bedeutete, dass er Onkel war. Seine Eltern hatten es gewusst, trotzdem hatte es keiner von ihnen für nötig befunden, es ihm zu sagen. Stattdessen war er nicht nur vor vollendete Tatsachen gestellt worden sondern irgendwie auch ins kalte Wasser geworfen worden. Er kam damit noch nicht so ganz klar. Er drehte seinen Kopf und blickte auf seine Freundin, die an seiner Schulter lag und schlief. Sie beide hatten dazu das ausziehbare Sofa im Wohnzimmer bekommen. Elsas Wohnung hatte zwar drei Zimmer, aber die waren alle nicht sonderlich groß. Hier im Wohnzimmer stand an einer Seite eine Küchenzeile, dann hatte noch das Sofa und ein kleiner Esstisch mit vier Stühlen Platz gefunden. Seine Eltern schliefen in dem zweiten Schlafzimmer, in dem seine Mutter bereits seit fast fünf Wochen schlief. Erst jetzt hatte er auch verstanden, warum sie bereits so früh zu seiner Schwester nach Deutschland geflogen war, nun ergab alles Sinn. Sie war hier gewesen, um Elsa bei der Geburt zu unterstützen und da man wohl nie wissen konnte, wann es losging und Kinder auch schon früher auf die Welt kamen, war sie eben schon frühzeitig hierher geflogen. Als sie dann vorher erzählt hatte, dass sie auch noch fünf Monate bleiben würde, vielleicht auch länger, war es für ihn ein erneuter Schock gewesen, wobei er es ja verstehen konnte. Elsa brauchte sie mehr, als er und Papa. Trotzdem, es war nicht schön, das Gefühl konnte er nicht abstellen. Sein Blick drehte sich zur Seite. Von hier aus konnte er Elsas Zimmertüre erkennen und auch Licht unter der Türe hindurch scheinen sehen. Hmm … Einen Moment überlegte er noch, dann entschied er einfach. Er schlug die Bettdecke zur Seite und schob sich vorsichtig unter Conny hervor, die er wieder zudeckte, ehe er seine Füße über den Sofarand schwang. Kurz darauf klopfte er an Elsas Zimmertüre an.

“Ja?”, erklang ihre Stimme leise.

Gregor öffnete die Türe und steckte seinen Kopf hinein. “Hey. Oh …” Er stockte. “Entschuldige, ich wollte euch nicht stören”, murmelte er, als er erkannte, dass seine Schwester Masaru gerade zu stillen schien. Schnell drehte er seinen Kopf mit roten Wangen zur Seite und wollte verschwinden, da hielt sie ihn auf.

“Nein, komm ruhig rein. Warte kurz, ich … Jetzt.”

Vorsichtig drehte Gregor seinen Kopf zurück und erkannte erleichtert, dass sie ein dünnes Tuch über den Kopf ihres Sohnes und ihren Oberkörper gelegt hatte. Klar, stillen bedeutete … eben stillen, aber für ihn war es seltsam. So war es doch angenehmer.

“Magst du dich zu uns setzen?”, fragte sie und deutete auf die leere Bettseite neben sich.

“Ähm, klar, warum auch nicht.”

Er schloss die Zimmertüre hinter sich und kletterte etwas umständlich auf Elsas Bett, wo er sich neben sie setzte, sich ebenfalls an der Rückenlehne anlehnte. Neugierig sah er sich um. Das Zimmer war auch nicht riesig. Sie hatte ein etwas breiteres Bett direkt an der Wand stehen, neben der er jetzt saß. Ein Kleiderschrank, ein Schreibtisch auf dem er ihren Laptop erkennen konnte, ein kleiner Wickeltisch wohl, wenn er die Gegenstände darauf richtig zuordnete. Dazu noch der Stubenwagen, in dem Masaru wohl schlief. Da er Rollen hatte, konnte sie ihn zwischen ihrem Zimmer und dem Wohnzimmer hin und her bewegen. Sein Blick fiel auf die rosanen Füßchen, die in seine Richtung schauten. Gott waren die klein. Generell war sein Neffe klein. Sein Neffe …

“Es tut mir leid, dass ich es dir nicht schon vorher gesagt habe und dich dann heute so ins offene Messer habe laufen lassen”, flüsterte Elsa, ihren Blick auf das Bündel in ihrem Arm gerichtet. Unter dem Tuch, das sie über sich gelegt hatte, waren leise Schmatz- und Sauggeräusche zu vernehmen.

Ein Schmunzeln erschien auf dem Gesicht ihres Bruders. Hatte er sich das nicht auch gedacht, als er gerade noch draußen auf dem Sofa gelegen hatte? Nach einem kurzen Moment wurde er wieder ernst.

“Ich muss ehrlich sein, ich hätte mir gewünscht, dass du ehrlich zu mir bist. Dass du wissen solltest, dass ich dir doch niemals böse gewesen wäre. Da ist eben etwas passiert, aber du hast dich dieser Aufgabe angenommen. Eigentlich finde ich dich sogar relativ stark, Elsa. Du bist in einem fernen Land, allein ohne Familie und Freunde, zu Beginn zumindest noch. Dann wirst du schwanger, unerwartet, ungeplant, von einem Typ, den du nicht einmal kennst. Und trotzdem gehst du deinen Weg, willst dein Studium hier dennoch beenden. Das ist alles andere als der leichte Weg, den du nimmst.”

Sie lachte leise und trocken. “Wir werden sehen, ob ich den Weg bis zum Ende gehen kann. In der Theorie hört sich das alles so toll an, aber Masaru”, ein Lächeln erschien, als sie erneut auf ihren Sohn hinunter sah, “ist gerade einmal drei Wochen alt, wir werden also sehen, ob alles so werden wird, wie ich es mir überlegt habe.” Sie seufzte. “Ich bin so dankbar, dass Mama da ist. Ohne sie würde ich verzweifeln.”

“Ich habe draußen gerade auch noch gedacht, dass Mama wirklich viel für euch beide gibt. Sie hat es sich sicherlich nicht so vorgestellt. Fast ein halbes Jahr in Deutschland zu sitzen, weil ihre Tochter ungeplant im Ausland schwanger wird und ein Kind bekommt.” Als Gregor bemerkte, wie Elsa neben ihm zusammen zuckte, setzte er sich auf. “Entschuldige, das war von mir nicht böse oder als Vorwurf gemeint. Ich wollte nur …”

“Schon gut, Gregor. Es ist nur so, dass ich mir genau das auch als Vorwurf mache. Natürlich weiß ich, dass Mama und Papa mich lieben und auch Masaru in ihr Herz geschlossen haben, er für sie zur Familie gehört, trotzdem, ich habe sie beide sehr enttäuscht. Für sie war es schon schwer, dass ich in Deutschland studieren will, aber dann das? Ich breche ihnen das Herz.”

Eine Erinnerung kam Gregor zurück und er seufzte leise. “Mama hat die letzten Monate wirklich oft geweint, gerade vor ungefähr … acht, neun Monaten? Vermutlich hast du es ihnen da gesagt. Und auch Papa ging es nicht gut. Jetzt kann ich es zumindest zuordnen.”

Elsa biss sich auf die Unterlippe. “Ich komme mir so schlecht vor …”

“Musst du doch eigentlich gar nicht. Hast du das geplant gehabt?”

“Nein, natürlich nicht!”

“Na siehst du?” Gregor zuckte mit seinen Schultern. “Hättest du es mit Absicht gemacht, dann könnten wir uns gerne darüber unterhalten, wie es unter aller Sau von dir war, aber in dem Fall sehe ich das nicht als Vergehen an.”

Ein kurzes Lächeln huschte über die Züge seiner Schwester, ehe sie ihren Kopf wieder hängen ließ. “Ich wünschte, Papa würde das auch so sehen.”

“Ach Schwesterherz, du kennst ihn doch. Er macht sich einfach nur Sorgen. Und er weiß selbst, dass du das nicht aus bösen Gründen gemacht. Wenn ihn etwas wirklich total aufregt, dann würde er ganz anders reagieren. Er hatte sich halt etwas anderes für dich vorstellt.”

Zögerlich nickte die neben ihm Sitzende. “Da hast du auch recht. Ich glaube auch, dass es für ihn halt irgendwie noch schlimmer ist, da ich hier bleiben will. Er hat von Beginn an versucht, mich dazu zu überreden, nach Japan zurückzukehren. Doch ich habe mich bisher geweigert. Ich will es probieren, will schauen, ob ich es schaffen kann. Sicherlich würde ich es mein Leben lang bereuen, wenn ich es nicht zumindest versucht hätte.”

Ein Lachen entkam Gregor und er klopfte ihr sanft auf die Schulter. “Das würde Mario nun einen echten Daichi nennen.” Verwundert nahm er zur Kenntnis, dass Elsa zusammen zuckte. “Elsa?”, fragte er daraufhin zögerlich. “Was ist mit Mario?”

Sie erstarrte und erst als ein jämmerliches Quäken vor ihr erklang, wurde ihr bewusst, dass sie ihren Sohn zu fest an sich gepresst hatte. Sofort lockerte sie ihren Griff und im nächsten Augenblick begann er wieder zu saugen. Er konnte trinken ohne Ende. Da kam die Verwandtschaft zu seinem Opa und seinem Onkel durch, eindeutig.

“Was … soll mit Mario sein?”, fragte sie leise und bemühte sich, eine neutrale Miene aufgesetzt zu behalten, trotzdem vermied sie jeden Blick zu Gregor.

“Ich weiß”, unsicher begann er an ihrer Bettdecke zu zupfen, “dass du und er, dass ihr beide eine Nacht miteinander verbracht habt.”

Panik stieg in Elsa auf. Krampfhaft überlegte sie sich, was sie noch sagen konnte, um die Behauptung mit dem One-Night-Stand, der Vater von Masaru war, aufrecht zu erhalten.

“Du hast zu ihm gesagt, dass das für dich nur Stressabbau oder so war.”

Elsas Augen weiteten sich. Das hatte Mario ihrem Bruder erzählt? Aber okay, die beiden waren schon so lange Zeit beste Freunde, vielleicht redeten nicht nur Frauen über so etwas.

“Er meinte auch, dass du gesagt hast, dass es dir nichts bedeutet hat. Aber ich kann mir das nicht vorstellen. Du hattest doch immer Gefühle für ihn. Das hat mich ziemlich verwirrt, als er mir das erzählt hat.”

Die neben ihm Sitzende wusste nicht, was sie empfinden sollte. Anscheinend fand Gregor keinen Zusammenhang zwischen ihrem Sohn und der Nacht mit seinem besten Freund, was sie ja eigentlich erleichterte. Auf der anderen Seite … Ihre Gefühle für Mario ... Natürlich hatte die Nacht ihr viel bedeutet, ihr alles bedeutet! Sie war ja auch nicht ohne Folgen geblieben. Immer wieder fragte sie sich, ob es ein Fehler gewesen war und auch noch war, Mario das alles zu verschweigen. Das hier, Masaru … alles das war so viel mehr, als nur zu behaupten, dass ihre Nacht ihr nichts bedeutet hatte. Doch sie hatte sein Leben schon nicht beeinflussen wollen, als er ihr gesagt hatte, dass er zu ihr nach Deutschland kommen wollte, alles hinter sich zurücklassen wollte und auch heute wollte sie sein Leben nicht beeinflussen, vor allem nicht mit etwas, das sein ganzes, restliches Leben verändern würde. Sie biss sich erneut auf die Unterlippe.

“Mario … er … natürlich war es nicht so, dass mir die Nacht überhaupt nichts bedeutet hat, das will ich nicht verleugnen. Aber”, sie runzelte ihre Stirn, holte die Worte zurück, die sie ihm damals an den Kopf geknallt und niemals vergessen hätte können, “ich bin ein paar Stunden später hierher nach Deutschland geflogen. Was hätte ich machen sollen? Eine Beziehung mit ihm beginnen obwohl klar war, dass ich mindestens drei Jahre weg bin? Mich tatsächlich darauf einlassen, dass er auch hierher kommt und euch alle verlässt? Seine Familie, euch Freunde, eure Fußballmannschaft? Das hätte ich nicht von ihm verlangen können, Gregor. Und mein Studium nach Japan verlegen wollte ich auch nicht. Daher … es war hart, aber so war es besser, da bin ich mir sicher. Und jetzt”, ihr Blick fiel erneut auf das Bündel in ihren Armen, “jetzt ist sowieso alles anders.”

“Das stimmt wohl.” Gregor seufzte und zog seine Knie an, verschränkte seine Arme auf seinen Knien. “Ich kann deine Gedankengänge vollkommen nachvollziehen, Elsa. Vielleicht solltest du das mal mit ihm besprechen. Deine Abweisung macht ihm auch heute noch ziemlich zu schaffen.”

“Ach ja?” Tränen sammelten sich in Elsas Augen, als sich ihr Herz schmerzhaft zusammenzog. Sie bemühte sich, diese zurückzuhalten und ihren Bruder nicht anzusehen, so dass er sie nicht erkennen konnte. “Das wollte ich nicht”, brachte sie mit zitternder Stimme hervor.

“Ihr solltet wirklich miteinander reden. Vielleicht könnt ihr es ja noch einmal versuchen, wenn du wieder nach Hause kommst.”

Elsas Herz zog sich noch mehr zusammen. Das war keine Alternative. Vermutlich dürfte sie ihn nie wieder sehen, immerhin … Ihre Hand legte sich auf Masarus Köpfchen. Er schien eingeschlafen zu sein. Sie griff zwischen sie beide und schloss ihr Stilloberteil, ehe sie das Spucktuch zur Seite nahm, das sie vorher über sich und ihren Sohn geworfen hatte, als Gregor hereingekommen war. Sie blickte auf das schlafende Gesicht ihres kleinen Jungen hinunter und Liebe breitete sich in ihr aus. Sie hob ihn an, küsste ihn sanft, ehe sie ihn in den Stubenwagen neben ihrem Bett legte, in dem er schlief.

“Ich denke, dass das keinen Sinn mehr macht, Gregor”, erwiderte sie dabei auf seine Aussage von zuvor. “Ich habe ein Kind. Wenn ich sein Leben schon nicht beeinflussen wollte, dass er nach Deutschland geht, dann kann ich ihm das nicht auch noch aufbürden.”

“Aber …” Gregor drehte seinen Kopf zu ihr, “Mario ist ein toller Kerl, ihm würde das sicherlich nichts ausmachen, das kann ich mir nicht vorstellen.”

Einen Augenblick schloss Elsa ihre Augen und sammelte sich. Das was ihr Bruder gerade vorschlug, das würde nicht passieren, niemals. Sie drehte ebenfalls ihren Kopf und erwiderte Gregors Blick. “Brüderchen, bitte. Ich will sein Leben nicht noch mehr beeinflussen, als ich es schon habe. Es ist besser für ihn, wenn er über mich hinwegkommt.” Als ein Schatten über Gregors Blick huschte, legte sie ihm eine Hand auf den Unterarm. “Du musst mir etwas versprechen, kleiner Bruder.”

“Und das wäre, Elsa?”

“Du darfst ihm nichts von Masaru sagen, ja?”

Verwunderung machte sich in Gregor breit. “Häh? Warum das denn?”

Sie schluckte. “Weil … ich habe ihn so schon genug verletzt. Was meinst du, wie er reagieren wird, wenn er erfährt, dass ich ein Kind habe. Von einem anderen Mann?” Und wie würde er erst reagieren, wenn er irgendwann erfahren würde, dass es sein Kind war, das sie ihm verschwiegen hatte? Ihr wurde anders.

“Ähm, ja, da hast du natürlich recht.” Der neben ihr Sitzende fuhr sich mit einer Hand verunsichert durch die Haare, ehe er seine Hände wieder vor sich auf seinen Knien verschränkte. “Okay, ich werde es für mich behalten, Elsa. Ich werde auch mit Conny reden, dass wir es niemanden sagen werden.”

“Danke dir.” Erleichterung schwang in Elsas Stimme mit.

“Aber gut, mal ungeachtet dessen.” Er sah sie ernst an. “Wie geht es dir, Elsa?”

Diese blinzelte erstaunt, mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. Ihr Blick fiel in den Stubenwagen, in dem Masaru auf dem Rücken lag und schlief.

“Ich … eigentlich geht es mir gut. Der Kleine ist wirklich ein wundervolles Baby und ich liebe ihn unglaublich. Aber … mir geht es auch wirklich schlecht.” Sie drehte ihren Kopf zu ihrem Bruder und sah ihn mit Augen an, in denen Tränen standen. “Gregor, ich habe so verdammte Angst vor allem, was auf mich zukommt. Ich weiß nicht, wie ich das alles schaffen soll.”

Erstaunt sah ihr Bruder sie an, dann hob er einen Arm, legte ihn um ihre Schultern und zog sie an sich, nahm sie fest in die Arme. “Du schaffst das, Elsa. Du bist eine unglaublich starke Frau und ich bin mir sicher, dass du das rocken wirst! Du bist die beste Schwester der Welt und ich bin mir sicher, dass du eine noch viel bessere Mama werden wirst. Nein, schon bist!”

Elsa schluchzte in sein T-Shirt, trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf ihre Züge schlich, wollte sie auch gar nicht.

“Und du bist der beste Bruder der Welt”, brachte sie zwischen ihren Schluchzern hervor.

“Ich weiß”, erklärte er schulterzuckend und brachte sie so zum Lachen. “Na also.” Lächelnd legte er eine Hand auf ihren Kopf. “So gefällt mir das schon besser.” Sanft schob er sie ein Stück von sich, um ihr in die Augen zu sehen. “Und ich hoffe, dass du mich ab sofort anrufen wirst, wenn etwas ist. Wenn du Hilfe brauchst, lass mir ein paar Stunden Zeit, aber dann komme ich hierher! Egal, ob du mich brauchst oder mein Neffe. Ihr seid meine Familie und ich werde immer für euch da sein!”

Kapitel 7

etwas über zweieinhalb Jahre später
 

Elsa sah aus dem Fenster und beobachtete die vorbeiziehende Landschaft. Ihr Herz schlug schnell in ihrer Brust. Sie war wieder zurück. Ihr Blick richtete sich zur Seite und ein Lächeln erschien auf ihren Zügen. Masaru saß in dem Kindersitz, den ihre Eltern extra organisiert hatten. Er schlief tief und fest. Sein Kopf war zur Seite gesunken, seine kleine Hand lag in ihrer, die sie die ganze Zeit hatte festhalten müssen. Doch sie konnte es verstehen. Der Flug von Deutschland nach Japan hatte achtzehn Stunden gedauert, dazu natürlich die ganze Aufregung in den letzten Tagen, der Abschied von seiner Kindergartengruppe, in der er immerhin fast zwei Jahre gewesen war, der Abschied ihrer Freunde. Vor allem der Abschied von Hannah war ihm schwer gefallen, auch Elsa, natürlich, aber ihre Freundin war für ihn immer eine Bezugsperson gewesen. Sie war von Anfang an für sie dagewesen, vom Schwangerschaftstest, die Schwangerschaft und auch Masarus ganzes bisheriges Leben. Doch sie hatten ausgemacht, dass Hannah sie bald hier in Japan besuchen würde, spätestens nächstes Jahr und bis dahin würden sie viel Videotelefonieren, das kannte Masaru immerhin von den regelmäßigen Telefonaten mit seinen Großeltern und seinem Onkel und seiner Tante.

“Und, geht es dir gut?”, erklang die Stimme ihrer Mutter vom Vordersitz. Elsa blickte auf.

“Ja, geht es. Es ist irgendwie aufregend, wieder hier zu sein. Und für Masaru”, mit einem erneuten Blick zu ihrem Sohn lächelte die junge Mutter, “war es wohl besonders aufregend. Er hat zwar im Flugzeug geschlafen, aber trotzdem ist er wirklich erschöpft.”

“Das ist auch verständlich”, mischte sich Ryotaro ein, der am Steuer des Autos saß, “die letzten Tage und Wochen ist so viel bei euch vorgefallen. Das merken so kleine Kinder einfach, die habe da ganz feine Antennen für.”

“Das stimmt. Aber jetzt seid ihr ja da und gleich auch Zuhause, da könnt ihr erstmal ankommen, euch wieder eingewöhnen.”

“Das stimmt, Mama.” Elsa sah wieder aus dem Fenster. Zuhause …

Fünfzehn Minuten später parkte Ryotaro das Auto vor der Garage ihres Hauses und alle stiegen aus. Elsa öffnete die Türe auf der Seite ihres Sohnes und hob diesen aus dem Kindersitz heraus. Er wachte nicht auf, schien immer noch tief und fest zu schlafen.

“Wir haben euch beiden dein altes Kinderzimmer eingerichtet, Elsa”, erklärte Akane und öffnete die Haustüre.

“Dann lege ich ihn mal in sein Bett.”

Kurz darauf stand Elsa in ihrem alten Zimmer. Mit großen Augen sah sie an, was ihre Eltern gemacht hatten. Ihre alten Möbel befanden sich zum Großteil noch im Zimmer - ihr Bett und ihren Kleiderschrank. Ihren Schreibtisch hatten ihre Eltern aus dem Raum entfernt, stattdessen stand dort ein Kinderbett für Masaru. Vor der großen Terrassentüre hatten sie einen Spielteppich mit Straßen ausgelegt, daneben an der Wand stand anstatt ihres Regals, das mit Büchern gefüllt gewesen war, ein kleines Spielzeugregal, in dem Spielsachen einsortiert war, ebenso ein kleines Kinderbücherregal mit Büchern. Ein paar der Sachen erkannte sie, diese hatte sie schon vor einigen Wochen nach Japan geschickt. Das alles würde ihm sicherlich gut gefallen. Ein Lächeln breitete sich auf Elsas Gesicht aus.

“Ich hoffe es ist so in Ordnung”, richtete Akane, die hinter Elsa ins Zimmer gekommen war, an diese.

“Es ist wundervoll, Mama”, flüsterte ihre Tochter und trat zum Kinderbett, um ihren Sohn hineinzulegen und noch seine Schuhe auszuziehen.

“Wir haben hier ein Babyphone gekauft. Funktionieren tut es, Gregor und dein Vater hatten viel Spaß damit.”

Auf den letzten Teil des Satzes ihrer Mutter musste Elsa lachen. Das wunderte sie tatsächlich nicht. Ihre Mutter schaltete das Babyphone an und gemeinsam verließen sie das Zimmer um ins Erdgeschoss zu gehen. Auf dem Bildschirm konnte man Masaru in seinem neuen Bett erkennen.

“Es tut mir wirklich leid, dass ihr euch das Zimmer teilen müsst, aber solange Gregor noch hier wohnt, haben wir kein zusätzliches Zimmer frei”, entschuldigte sich Akane, woraufhin Elsa sofort ihren Kopf schüttelte.

“Mama, ihr müsst euch da wirklich keinen Kopf machen, das habe ich euch doch schon gesagt. In Deutschland haben wir uns seit seiner Geburt auch ein Zimmer geteilt.”

“Das stimmt.” Akane nickte und strich ihrer Tochter sanft über den Rücken. “Wir freuen uns jedenfalls sehr, euch hier bei uns zu haben. Endlich bekommen wir mehr von unserem Enkel mit, als ihn nur über einen Bildschirm oder die doch recht kurzen Urlaube bei euch zu sehen. Es ist etwas ganz anderes.”

“Da kann ich deiner Mutter nur zustimmen”, erklang Ryotaros Stimme.

“Das glaube ich euch gerne. Ich bin auch froh, wieder hier zu sein. Ich bilde mir irgendwie ein, dass es jetzt alles entspannter und einfacher werden wird.”

“Meinst du?”, fragte ihre Mutter, während sie Teetassen auf den Tisch verteilte. Ryotaro brachte gleich darauf eine Teekanne herein, in der er gerade heißes Wasser eingefüllt und Teebeutel hinein gehängt hatte.

“Kann es doch eigentlich nur, oder? Ich habe mein Studium beendet. Ersteinmal muss ich Abends nicht noch anfangen zu lernen, Skripte lesen oder Hausarbeiten schreiben, sobald Masaru schläft. Ich darf einfach Feierabend haben und auch mal was für mich machen. Ich denke schon, dass es einfacher wird”, erklärte Elsa ihre Aussage.

“Dein Plan ist aber schon, dass du arbeiten wirst, oder?”, fragte ihr Vater, der sich an den Esstisch gesetzt hatte. Elsa setzte sich ebenfalls und sah ihn an.

“Natürlich. Ich habe mein Studium doch nicht durchgezogen, um jetzt eben nicht zu arbeiten. Wie ich euch gesagt habe, habe ich mich ja von Deutschland aus beworben. Ich habe die nächsten Wochen ein paar Vorstellungsgespräche und hoffe sehr, dass ich eine Stelle bei einem dieser Unternehmen bekomme.”

“Und hat Masaru einen Platz bekommen?”

“Ich habe zwei Kindergartenplätze angeboten bekommen. Ich habe mit den zuständigen Stellen besprochen, dass ich mir diese anschaue, sobald ich wieder hier bin. Eine Besichtigung habe ich für übermorgen Vormittag und die andere für den Folgetag vereinbart. Ich will mit Masaru dorthin und mir beide genau anschauen und auch sehen, wo er sich wohler fühlt.”

“Das klingt gut.” Akane nickte und schenkte ihnen dreien Tee ein. “Vermutlich wird es für ihn kein Thema sein, er war ja jetzt schon im Kindergarten, er kennt es also.”

“Ja, das sehe ich auch so. Ich habe die Termine auch nicht schon morgen angesetzt, da ich dachte, ein Tag zum ankommen wird ihm ganz gut tun, mal abgesehen vom Jetlag. Und mir auch.”

“Das klingt nach einer guten Idee.” Ryotaro sah seine Tochter an und legte gleich darauf eine Hand auf ihre auf dem Esstisch. “Elsa, ich weiß ich habe es dir noch nicht wirklich gesagt und vermutlich auch nicht gezeigt, aber ich will dir sagen, dass ich wirklich stolz auf dich bin. Du weißt, ich finde es nicht so toll, dass du schon so früher schwanger geworden bist und Masaru seinen Vater nie kennenlernen wird, aber was du geschafft hast, davor ziehe ich meinen Hut. Wie du angekündigt hast, du hast dein Studium durchgezogen, trotz eines Babys und einem schwierigen Studiengangs. Weit weg von uns, deiner Familie und deinem Zuhause. Eine fremde Sprache in einer fremden Stadt und einem fremden Land. Das alles war schon unglaublich genug, dazu dann aber ein Baby und das in deinem Alter. Du hast das wirklich toll gemacht.”

Sein Blick war ernst auf Elsa gerichtet, die bei seinen rührseligen Worten schlucken musste, die Tränen unterdrücken, die aufstiegen. “Danke”, flüsterte sie.

“Nicht dafür. Ich habe dir immer gesagt, du musst es uns nicht beweisen, dass du es schaffen kannst. Das musstest du auch nicht, ich habe nie von dir verlangt, dass du das Studium trotzdem so durchziehst. Ich wäre dir nicht böse gewesen, dass du es unter den gegebenen Tatsachen doch nicht gemacht hättest. Aber dass du es getan hast, noch dazu nur ein Semester länger gebraucht hast, hat mir gezeigt, dass du eine taffe und starke junge Frau geworden bist. Masaru kann sich glücklich schätzen, dich als Mutter zu haben.”

Und damit war es vorbei. Elsa konnte die Tränen nicht mehr aufhalten, die über ihre Wangen strömten und schluchzte auf. Genau in dem Augenblick stießen Conny und Gregor zu ihnen.

“Oh Gott, du hast doch wohl nicht schon Heimweh nach Deutschland”, platzte es aus Gregor heraus, als er seine Schwester weinen sah.

“Das nicht, hoffe ich zumindest. Im Gegenteil, dein Vater hatte gerade seine rührseligen fünf Minuten”, antwortete Akane ihrem Sohn.

“Mensch, darf man seinem Kind denn nicht einmal sagen, dass man stolz auf es ist?”, brummte Ryotaro.

“Was? Papa sagt, dass er stolz auf uns ist?” Begeistert blickte Gregor diesen an. Als sein Vater seinen Blick nur verwundert erwiderte, beugte er sich in dessen Richtung. “Willst du mir nicht sagen, dass du stolz auf mich bist?”

“Ähm”, Ryotaros Hand landete auf seinem Hinterkopf, “eigentlich nicht. Das war halt an Elsa gerichtet, weil halt …”

“Na toll, danke auch, Papa.” Beleidigt verschränkte Gregor seine Arme vor seinem Oberkörper und entlockte Akane, Conny und Elsa so ein Kichern. Da stand Ryotaro auf, trat um den Tisch herum und legte seinem Sohn beide Hände auf die Schultern.

“Sohn, ich bin stolz auf dich. Danke, dass du nicht mit neunzehn Jahren deine Freundin geschwängert hast.”

Während Gregor seine Augen weit aufriss, lachten die Frauen herzlich. Elsa schüttelte schmunzelnd ihren Kopf. Vermutlich würde ihr Vater ihr das ihr Leben lang vorhalten, doch das, was er gerade gesagt hatte, das machte ihr klar, dass er sie nicht darauf beschränkte.

“Na dann, danke nochmal”, murmelte Gregor und wandte sich Elsa zu, um diese gleich darauf fest in die Arme zu schließen. “Willkommen Zuhause, Schwesterherz.”

“Vielen Dank, Gregor”, erwiderte sie lächelnd und wurde gleich darauf auch von Conny fest umarmt.

“Wo ist denn mein Neffe?”, fragte Gregor aufgeregt und sah sich um. “Ich habe ihm sogar ein Willkommensgeschenk.” Er deutete auf eine Tüte, die am Türrahmen stand und die Elsa bisher gar nicht wahrgenommen hatte.

“Er schläft. Er war durch die ganze Reise total fertig und ist auf der Autofahrt eingeschlafen. Mama und ich haben ihn hoch in unser Zimmer gebracht”, antwortete sie ihm auf seine Frage.

“Oh, schade”, murmelte der Jüngere und das konnte man ihm auch ansehen.

“Ach, er wird auch wieder aufwachen, dann kannst du ihn begrüßen, Gregor”, richtete Akane an ihn. “Zudem wohnt er ja jetzt auch hier, du wirst ihn also oft sehen. Ansonsten, wollt ihr beide auch einen Tee?”

“Sehr gerne”, antwortete Conny und setzte sich neben Elsa. Gregor tat es ihr gleich und gleich darauf hatten auch die beiden eine gefüllte Tasse vor sich stehen.
 

~~~
 

Es waren vielleicht zehn Minuten, dann war ein lautes Heulen aus dem Babyphone zu vernehmen, das Elsa vor sich auf dem Tisch stehen hatte.

“Jetzt ist er wach”, erklärte sie und stand auf.

“Oh je, vermutlich hat er in der fremden Umgebung Angst bekommen”, meinte Akane besorgt.

“Das vermute ich auch. Ich gehe zu ihm und dann kommen wir gleich wieder zu euch.”

Ein paar Minuten später sahen die im Esszimmer Sitzenden auf, denn Elsa erschien im Türrahmen, auf ihrer Hüfte ihren Sohn sitzend. Dieser hatte einen Daumen im Mund stecken, mit der anderen Hand drückte er einen Plüschhasen an sich. Seine schwarzen Haare waren vom Schlaf verstrubbelt und seine dunklen Augen wirkten riesig, als er er die anwesenden Personen betrachtete.

“Siehst du, da sind Oma und Opa, wie ich es versprochen habe”, richtete Elsa ihn, woraufhin er nickte und genau die beiden Personen nachdenklich ansah. “Und schau, Onkel Gregor und Tante Conny sind auch da. Vor ein paar Tagen hast du sie noch auf dem Bildschirm gesehen und jetzt sind sie richtig da.”

Wieder nickte Masaru, allerdings nicht so zögerlich wie zuvor. Er nahm seinen Daumen aus dem Mund und gab etwas von sich, was die anderen Anwesenden jedoch nicht verstanden.

“Schatz”, richtete Elsa an ihn und blickte ihn ernst an, “hier musst du japanisch sprechen, erinnerst du dich noch? Oma und Opa verstehen kein deutsch.”

Wieder blinzelte Masaru und nickte. “Oma, Opa da!”, rief er laut.

“Ja, genau, wir sind hier.” Strahlend sah Akane ihn an und streckte ihre Hände nach ihrem Enkel aus.

“Willst du zu Oma?”, fragte Elsa ihren Sohn. Er wirkte etwas verunsichert, ehe er nickte und seine Hände ebenfalls ausstreckte.

“Oma!”

“Genau.” Elsa ließ ihn auf den Boden und gleich darauf rannte Masaru mit seinem Stoffhasen in der Hand um den Esstisch herum, um sich auf Akanes Schoss ziehen zu lassen. Seine Mutter beobachtete das lächelnd. Vermutlich war es gut, dass ihre Eltern erst vor knapp zwei Wochen für ein paar Tage bei ihnen in Deutschland gewesen waren. Klar, ein paar Tage lohnte sich zwar generell wegen der langen Flugzeit nicht, aber so hatte Masaru sie ein paar Tage sehen und sich nochmal an sie gewöhnen können. Zudem hatten ihre Eltern einige ihrer Sachen bereits mitgenommen, so dass sie nicht allzuviel per Spedition versenden musste.

Gregor wurde immer unruhiger. Man konnte erkennen, dass er auf seinem Stuhl hin und her rutschte, mit seinen Füßen über den Boden scharrte. Schließlich lief er ebenfalls um den Tisch herum und streckte seine Hände aus.

“Hey Masaru, magst du mal zu deinem Lieblingsonkel kommen?”

Sofort klammerte sich Masaru an seinem Opa fest, auf dessen Schoß er gerade saß.

“Gregor Schatz, setz ihn nicht so unter Druck. Lass ihn erstmal ankommen, das ist gerade alles sicher viel für ihn.” Conny war ebenfalls aufgestanden und hinter ihren Freund getreten, dem sie eine Hand sanft auf die Schulter legte. Er wollte gerade etwas erwidern, als Masaru doch von Ryotaros Schoß rutschte und auf sie zugelaufen kann. Mit einem strahlenden Lächeln breitete Gregor seine Arme aus, doch sein Neffe lief einfach an ihm vorbei und warf sich gegen Connys Beine, die er umarmte. Mit leuchtenden Augen sah er zu ihr auf.

“Söne Tante”, lispelte er dabei.

“Oh, Masaru.” Auch Connys Augen begannen zu leuchten und sie ging in die Knie, um ihn in den Arm zu nehmen.

“Du sön”, erklärte er und zupfte leicht an ihren schwarzen Locken.

“Oh ja, da hast du recht, Kumpel”, stimmte Gregor ihm zu. “Sie ist wirklich wunderschön.” Schon nickte Masaru auf seine Worte. “Du hast ein gutes Auge, kleiner Mann.” Er klopfte seinem Neffen auf die Schulter, was diesem zu einem Kichern brachte. “Ich habe übrigens etwas für dich dabei.”

Damit stand Elsas Bruder auf und trat zu der Türe, die er vorher abgestellt hatte. Mit dieser in der Hand trat er wieder zu Conny und Masaru.

“Da, der ist für dich.” Mit diesen Worten drückte er dem Jungen einen schwarz-weißen Fußball in die Hände.

Mit großen Augen sah Masaru diesen an und blickte anschließend zu seiner Mutter. “Mama, Ball!”, rief er begeistert.

Alles in Elsa zog sich zusammen. Ihren Sohn mit einem Fußball zu sehen, brachte Erinnerungen an dessen Vater zurück. Sie sah Mario vor sich, mit einem strahlenden Lächeln auf den Zügen, wie er einen Fußball zwischen den Händen hielt, ihn abspielte. Verdammt, immer wenn sie einen Fußball sah, musste sie an ihn denken.

“Das ist aber schön”, zwang sie sich zu sagen und auch zu einem Lächeln, von dem sie sich sicher war, dass keiner es ihr abkaufen würde. Doch alle waren so auf Masaru konzentriert, dass es keiner bemerkte. Trotzdem fühlte sich ihr Herz jetzt schwer an, von ihrem Gewissen gar nicht erst zu reden. Sie war wieder hier, in ihrer Heimat. In seiner Heimat. Die Gefahr, ihm hier jederzeit zu begegnen war groß und sie hatte Angst davor, dass dieser Moment eintreten würde. Doch bis dahin musste sie es einfach genießen, endlich wieder mit ihrer Familie zusammen zu sein. Zu sehen, wie Masaru bei seiner Familie war. Das ließ ihr Herz einen Satz machen und schon ging es ihr wieder besser.

Kapitel 8

Mario war im Park joggen, als ein Fußball vor seine Füße rollte. Erstaunt blieb er stehen und blickte diesen an, ehe er seinen Kopf hob. Wo war der denn jetzt hergekommen? Da kam ein kleiner Junge auf ihn zugestolpert. Er gab irgendetwas von sich, was Mario nicht verstehen konnte, es war zumindest kein japanisch. Er ging in die Knie und hob den Fußball an.

“Ist das deiner?”, fragte er sanft.

Der kleine Junge blieb stehen, sah ihn zögernd an, ehe er auf den Ball zeigte. “Masaru Fußball.”

“Ah, du bist Masaru?”

Wieder nickte der Junge und deutete auf sich. “Masaru!”

“Dann hier.” Mario hob ihm den Fußball entgegen und musste lächeln, als der Junge ihn voller Stolz entgegen nahm.

“Masaru Fußball pielen.”

“Das klingt super. Ich spiele auch sehr sehr gerne Fußball.”

“Fußball toll.”

“Das ist er.”

“Fußball Spas macht.”

Mario lachte leise und nickte. “Das tut er.” Der Kleine war ja goldig. Ob er selbst früher auch schon so Fußballversessen gewesen war? Er musste seine Eltern fragen. Apropos Eltern - fragend sah er sich um. Masaru war doch sicherlich nicht allein hier, oder?

“Masaru!”, erklang da schon eine panische Stimme, die Mario bekannt vorkam. Da kam jemand um die Ecke gelaufen. Die Schritte wurden langsamer. “Oh, Käpt´n.”

“Gregor.” Der Angesprochene richtete sich auf.

“Onkel Gego!”, rief Masaru begeistert und hob seinen Ball hoch. “Fußball!”

“Ja, dein Fußball, das ist toll. Trotzdem”, Gregor kam auf ihn zu und kniete sich vor ihm nieder, “du darfst nicht einfach weglaufen. Ich habe mir gerade Sorgen gemacht. Und zudem hätte ich von deiner Mama …” Er stockte und sah verunsichert zu Mario, ehe er sich erneut seinem Neffen zuwandte. “Deine Mama hätte sich auch Sorgen gemacht und ganz schön mit mir geschumpfen.”

“Mama Angst?”, fragte Masaru und Tränen traten ihm in die Augen, während er seinen Onkel verunsichert ansah.

“Ja. Aber jetzt ist alles gut. Und nochmal rennst du nicht weg, ja?” Er legte ihm eine Hand auf den Kopf und lächelte, als Masaru eifrig nickte.

“Masaru nicht weglaufen.”

“Sehr gut. Na dann, sollen wir weiter Fußball spielen?” Gregor richtete sich wieder auf.

“Ja.” Freudestrahlend blickte sein Neffe ihn an.

“Na dann wünsche ich euch viel Spaß. Gregor, wir sehen uns morgen.” Mario tippte sich mit einer Hand an die grüne Kappe auf seinem Kopf und wollte loslaufen, als er aufgehalten wurde. Eine kleine Hand legte sich um die Finger seiner anderen Hand und hielt ihn fest.

“Mitpielen, Onkel?”, wurde er gefragt, dazu waren Masarus Augen groß auf ihn gerichtet. Ohne es sich erklären zu können, machte Marios Herz einen Satz.

“Warum eigentlich nicht? Hast du Zeit, Käpt´n?”, fragte Gregor ihn und grinste dabei breit.

Der Angesprochene zuckte mit seinen Schultern. “Warum nicht? Ich habe nichts vor.”

“Super, na dann los, die Daichis machen dich fertig, verlasse dich darauf!”

Verwirrt runzelte Mario seine Stirn. Daichis? Aber gut, dass würde er seinen besten Freund schon noch fragen, jetzt war etwas anderes wichtiger, so wie Masaru an seiner Hand zerrte.
 

~~~
 

Es war schon ein wenig später, die beiden jungen Männer saßen nebeneinander auf der Wiese, vor ihnen stand ein Buggy, in dem Masaru lag und schlief. Er war so viel herumgetobt, dass er eingeschlafen war. Mit seinen Armen hielt er den Fußball eng an sich gepresst. Wieder musste Mario lächeln, als er den kleinen Jungen so betrachtete. Da kam ihm eine Erinnerung.

“Gregor?”

“Ja?”

“Du hast vorher gemeint, dass ihr Daichis mich fertig macht. Masaru ist auch ein … Daichi? Dein Cousin? Oder Kind eines Cousins, Cousine?”

Gregor erstarrte neben ihm. Was sollte er sagen? Eigentlich hatte er seiner Schwester ja versprochen, nichts zu verraten, aber jetzt war sie wieder hier und es war wahrscheinlich, dass Mario sie über kurz oder lang sehen und es erfahren würde.

“Schonungslose Ehrlichkeit?”, fragte er leise. Er erkannte, dass Mario neben ihm erstarrte. Das war etwas, das sie vor Jahren besprochen hatten. Sie wollten immer ehrlich zueinander sein, auch wenn das bisweilen schonungslos wäre.

“Sie ist wieder da”, murmelte der Ältere leise.

“Ja.”

“Du … hattest mich ja schon vorgewarnt, dass sie bald wieder kommen würde”, murmelte Mario. Dann wurde ihm etwas klar. Er richtete sich auf und starrte Gregor fassungslos an. “Stopp, du willst damit aber nicht sagen, dass Masaru …” Er deutete auf den Jungen. Sein bester Freund nickte, ohne dass er den Satz beenden musste.

“Doch. Masaru ist Elsas Sohn, mein Neffe.”

Ungläubig blickte Mario Gregor an, wusste nicht, was er sagen sollte. Alles in ihm zog sich zusammen. Trotz ihrer Abweisung vor so langer Zeit war er immer noch nicht über sie hinweg gekommen. Und nun hatte sie ein Kind? Diese Tatsache war wie ein Schlag für ihn.

“Wer ist der Vater?”, brachte er mit brüchiger Stimme hervor.

“Sie hatte einen One-Night-Stand, kaum dass sie in Deutschland war. Sie kennt den Vater nicht, es war einfach nur etwas einmaliges. Doch sie hat es nicht über sich gebracht, abzutreiben. Sie hat immer gesagt, dass das Baby ja nichts dafür kann, dass sie einen Fehler gemacht hat.”

“Das stimmt wohl …” Mario ballte seine Hände neben sich im Gras.

“Mich wundert es immer wieder, dass Masaru keine blauen Augen hat. Oder blonde Haare.”

“Häh, warum das denn?”

“Na sie hatte doch einen One Night Stand in Deutschland. Und man sieht es Masaru gar nicht an.” Gregor zuckte mit seinen Schultern und entlockte seinem besten Freund ein leises, perplexes Lachen.

“Dir ist schon klar, dass nicht alle Deutschen blaue Augen und blonde Haare haben? So wie nicht alle Japaner schwarze Haare und Augen? Und vielleicht war es ja auch kein Deutscher, mit dem sie geschlafen hat. Vielleicht war dort ja auch ein anderer Japaner, wer weiß.”

“Hmm, da wirst du wohl recht haben.” Der Jüngere rieb sich über den Hinterkopf. “Aber egal wie, eines ist ganz klar.”

“Und das soll sein?”

“Er liebt Fußball. Er ist eindeutig mit mir verwandt.”

“Das scheint wirklich so zu sein.” Marios Blick landete wieder auf dem kleinen Jungen. Konnte er etwas von der Frau in ihm entdecken, die ihm so viel bedeutete und die ihm das Herz gebrochen hatte? Er konnte es nicht wirklich sagen. Aber hatte er es vielleicht vorher schon erkannt, bevor er es wusste? Hatte er diesen kleinen Jungen deshalb schon in sein Herz geschlossen, bevor er wusste, wer dessen Mutter war? Er konnte es nicht sagen. Aber was er sagen konnte war, dass er sich erneut so fühlte, als würde sein Herz gebrochen werden. Sie hatte mit einem anderen Mann geschlafen und das kurz nachdem sie mit ihm geschlafen hatte. Es hatte ihr also tatsächlich nicht das geringste bedeutet.
 

~~~
 

“Und mein Schatz, wie war es mit deinem Onkel im Park?”, fragte Elsa und bückte sich, um ihren Sohn hochzunehmen. Dieser strahlte sie an.

“Fußball pielt.”

Wieder unterdrückte sie ein Zusammenzucken.

“Ja. Er ist ein Naturtalent, aber kein Wunder, bei den Genen.” Gregor zwinkerte seiner Schwester zu.

Alles in dieser zog sich zusammen. Wenn ihr Bruder wüsste …

“Das ist ja schön”, erwiderte sie und zwang sich zum Lächeln.

“Fußball Onkel pielt”, erklärte Masaru in dem Augenblick.

“Ja genau, ich bin dein Fußball-Onkel.” Gregor lachte bei der Aussage, stockte aber, als sein Neffe entschieden den Kopf schüttelte.

“Nein, Fußball-Onkel.” Er deutete auf Gregor. “Onkel Gego.” Erneut deutete auf den Fußball vor sich. “Fußball-Onkel!”

“Wen meint er denn?”, fragte Elsa verwundert.

“Oh.” Gregor wurde blass, als ihm bewusst wurde, was Masaru sagen wollte. Kurz überlegte er. Hatte er seinen besten Freund mit Namen angesprochen? Vielleicht ein, zwei Mal, sonst hatte er ihn mit du oder Käpt'n angesprochen. “Oh, ähm, wir haben im Park einen alten Freund von mir getroffen und mit ihm Fußball gespielt. Da hatte Masaru wirklich Spaß. Und wie gesagt, er ist ein Naturtalent. Vermutlich wird er mal besser als ich.” Er lachte etwas.

Wieder zog sich alles in Elsa zusammen. Ein alter Fußballfreund? Von wem sprach er? Hoffentlich nicht von Mario! Mario durfte nicht auf Masaru treffen, am besten niemals!

“Wer ist es denn, mit dem ihr euch getroffen habt?”, fragte sie und hoffte, dabei nicht allzu panisch zu klingen.

“Ach”, ihr Bruder hob seine Schultern, “nur jemand, mit dem ich früher mal Fußball gespielt habe. Mach dir da keinen Gedanken drüber.” Hoffentlich nahm sie es ihm ab, immerhin hatte er ihr ja eigentlich versprochen, dass er es Mario nicht sagen würde, auch wenn er dieses Versprechen jetzt gebrochen hatte.

Elsa nahm seine Aussage mit Erleichterung zur Kenntnis. Ein früherer Fußballkollege von Gregor, dann konnte es nicht Mario sein, denn mit diesem spielte er aktuell noch in einer Mannschaft.

“Ach so. Ich freue mich, dass ihr Spaß miteinander hattet, nicht wahr mein Schatz.”

Masaru nickte sofort. “Jetzt Hunger”, erklärte er dann.

“Was heißt hier Hunger? Junge, du hast den ganzen Apfel gegessen. Und deine Kinderknabbereien.”

“Gewöhne dich daran, Gregor”, Elsa lachte, “dein Neffe kann mindestens genau soviel essen wie du und Papa - gemeinsam.”

Nun lachte auch der Jüngere der Geschwister. “Na dann mache ich mir Sorgen, dass nichts mehr für mich übrig bleibt.”

“Da solltest du auch, Brüderchen. Und wir beide, Masaru”, sie blickte ihren Sohn an, “gehen erstmal rein und Hände waschen. Und dann schauen wir, was Oma noch in der Küche zum essen hat, ja?”

Und während Elsa mit einem nickenden Kind ins Haus hineinging, blickte Gregor ihr hinterher. Gut, sie hatte es ihm abgekauft. Er hatte sie ja nicht wirklich angelogen, auch wenn er Marios Name nicht erwähnt hatte. Schlussendlich hatte er mit diesem ja auch früher schon gespielt, also stimmte das ja. Es war keine Lüge gewesen, zumindest keine richtige. Oh man, hoffentlich nahm sie es ihm nicht übel, wenn sie es irgendwann doch erfahren würde. Und jetzt musste er auch rein und in der Küche schauen, was es noch zu essen gab, vor allem wenn die Gefahr bestand, dass sein Neffe ihm alles wegessen würde. Oh, und vorher selbstverständlich auch noch Händewaschen. Und damit folgte er ebenfalls ins Haus hinein.

Kapitel 9

“Das haben Sie ausgezeichnet gemacht, Elsa. Ich würde sagen, Sie sind ein wahres Naturtalent.”

Die Wangen der Angesprochenen färbten sich rot.

“Vielen Dank, Benjiro”, richtete sie an ihren Kollegen, mit dem zusammen sie sich um ein Projekt kümmerte.

“Ich kann es kaum glauben, dass Sie erst knapp drei Monate bei uns arbeiten. Sie sind wirklich sehr kompetent und immer wenn Sie an einem Projekt beteiligt sind, weiß ich, dass es nur hervorragend werden kann.”

Und schon wurden Elsas Wangen noch dunkler. “So gut bin ich nun auch wieder nicht”, murmelte sie.

“Doch, sind Sie. Ich arbeite gerne mit Ihnen zusammen.”

Ein Lächeln erschien auf Elsas Zügen. “Ich auch mit Ihnen. Ich lerne dabei immer noch etwas dazu.”

“Dabei bin ich auch nur ein Jahr älter als Sie.” Benjiro lachte und fuhr sich mit einer Hand durch die braunen Haare. “Wollen wir nicht gerne du sagen?”, bot er ihr an.

Erstaunt sah die junge Frau auf, ehe sie lächelnd nickte. “Sehr gerne.”

“Das freut mich doch. Ich meine, wir werden ja noch öfter zusammenarbeiten, da verbringen wir ja auch mehr Zeit miteinander.”

“Das stimmt.”

“Darf ich vielleicht noch etwas fragen? Natürlich nur, wenn es nicht zu persönlich ist.”

Nun runzelte Elsa leicht ihre Stirn. Was wollte er wissen? Sie nickte bejahend.

“Ich habe gehört, dass du ein Kind hättest. Stimmt das?”

Unsicherheit stieg in Elsa auf, die sie sogleich wieder abschüttelte. Warum sollte sie sich schämen? So war es eben. Masaru war ihr Sohn. Sie liebte ihn und war stolz auf ihn.

“Ja.” Sie nickte erneut. “Mein Sohn wird in ein paar Wochen drei.”

“Oh wow, dann bist du aber jung Mutter geworden”, stellte Benjiro mit großen Augen fest. “Das sollte nicht abschätzig klingen”, schob er schnell hinterher.

Sie winkte ab. “Kein Problem. Ja, ich war wirklich sehr jung, noch neunzehn, als er auf die Welt gekommen ist. Aber wir beide haben das zusammen geschafft.”

“Hast du nicht im Ausland studiert?”

“Ja, in Deutschland. Ich war dort schwanger und habe ihn in einem deutschen Krankenhaus auf die Welt gebracht. Und anschließend noch dort zu Ende studiert.”

“Okay, das ist doppelt wow.”

“Das denke ich manchmal auch.” Elsa lachte leise, während sie ihre Unterlagen zusammen räumte. “Aber wir haben es geschafft. Meine Mutter war eine Weile bei uns in Deutschland um mich zu unterstützen. Danach waren wir nur zu zweit, wobei, eine Freundin hat uns dann geholfen. In Deutschland gibt es wirklich viel Hilfe und Unterstützung für Schwangere und Mütter, gerade als Studentin.”

“Und jetzt seid ihr wieder hier.” Benjiro half seiner Kollegin.

“Das ist richtig. Und wir sind hier angekommen. Trotz allem ist das hier mein, unser Zuhause. Wir leben bei meinen Eltern, ich will mir aber über kurz oder lang eine Wohnung für uns beide suchen.”

“Wo ist dein Sohn jetzt? Bei deinen Eltern?”

“Nein, er ist im Kindergarten. Ich hole ihn nachher direkt ab, wenn ich von der Arbeit nach Hause gehe.”

“Das klingt schön.”

“Das ist es auch. Ich freue mich darauf, nachher mit ihm etwas zu unternehmen. Mutter zu werden hat viel gemacht mit mir. Und er ist, trotz meines jungen Alters, mein Ein und Alles.”

“Darf ich auch noch fragen, was mit seinem Vater ist?”

Elsa stockte auf Benjiros Frage. Trotz dessen, dass sie die Frage so oft beantwortete, fiel es ihr jedes Mal doch schwer. “Ein One-Night-Stand in Deutschland. Ich kenne seinen Namen nicht.”

“Also hast du niemanden?” Ihr Gesprächspartner klang nicht so, als würde er sie dafür verurteilen.

“Nein. Da sind nur Masaru und ich.”

“Masaru …” Ein Lächeln erschien auf Benjiros Zügen. “Ein schöner Name.”

“Danke.” Elsa erwiderte das Lächeln und auf die nächste Frage färbten sich ihre Wangen erneut rot.

“Hättest du Lust, mit mir Essen zu gehen? Also, außerhalb der Arbeit. Ich würde dich gerne näher kennenlernen.”

Ihre Augen standen weit offen. “Obwohl ich ein Kind habe?”, fragte sie unsicher.

“Das macht mir nichts. Im Gegenteil, ich denke, dass er ein Teil von dir ist und dass er zu dir gehört.”

Elsas Lächeln vertiefte sich. “Dann gerne. Ich müsste nur meine Eltern fragen, ob sie nach Masaru schauen könnten.” Ihr Gesicht verzog sich, ehe sie kichern musste. “Oh man, ich fühle mich wie damals, als ich noch ein Kind war und sie fragen musste, ob ich Freunde besuchen durfte. Tja, wahrscheinlich ist es jetzt so ähnlich, jetzt muss ich mir auch erst die Erlaubnis meiner Eltern einholen.”

Auch Benjiro lachte. “Soll ich deine Eltern anrufen? Meistens hat es ja doch mehr geholfen, wenn der Freund die Eltern gefragt hat. Darf Elsa zum spielen kommen?”

Nun lachte sie lauter. “Das könnte vielleicht funktionieren. Aber sonst, was hältst du von Freitagabend?”

“Sehr gerne. Gib mir dann noch deine Adresse, ich hole dich um 19.00 Uhr ab, wenn es für dich passt.”

“Das tut es. Beziehungsweise ich rede mit meinen Eltern, denke aber, dass es klappen sollte.” Elsa lächelte immer noch, während ihr Herz einen Satz machte. Das wäre ihr erstes Date seit … Und plötzlich fühlte es sich an, als würde ihr Herz zusammengepresst werden. Mario. Nein, sie musste ihn endlich aus dem Kopf bekommen. Das mit ihm und ihr, das hatte keine Chance mehr. Sie hatte ein Kind von ihm. Ein Kind, von dem sie ihm nie etwas erzählt hatte, sogar jedem verschwieg, wer der wahre Vater ihres Sohnes war. Sie musste nach vorne schauen und Benjiro war ein netter, lustiger Kerl, mit dem sie wirklich gerne zusammenarbeitete. Vielleicht war das ihre Chance, Mario endlich zu vergessen.
 

~~~
 

Mario schulterte die Tasche mit seinem Laptop und blickte auf seine Smartwatch. Er war noch in der Zeit. Er musste heute zu einer der Firmen, die sein Arbeitgeber betreute. Dort musste er ein paar Laptops und Handys einrichten, die neuen Updates aufspielen. Er betreute diese Firma bereits seit er angefangen hatte zu arbeiten und war ganz gerne dort. Es war ein junges, nettes Team und er kam mit allen klar. Als er Kinderstimmen hörte, musste er lächeln. Sein Blick richtete sich auf die Straße vor sich, wo ihm eine Kindergartengruppe entgegenkam. Die Zwerge machten wohl einen Ausflug. Sofort wanderten seine Gedanken zu Masaru. Er hatte den kleinen Jungen wirklich in sein Herz geschlossen. Bereits seit fast vier Monaten traf er sich regelmäßig mit dem Kleinen und Gregor. Sie unternahmen Ausflüge miteinander und spielten selbstverständlich ganz viel Fußball. Masaru kam in dieser Hinsicht ganz nach seinem Onkel. Vermutlich war seine Fußballversessenheit auch ganz Gregor zuzuordnen. Sein Blick wanderte über die Kinder, seine Augen suchten wie von selbst. Es war zwar sehr unwahrscheinlich, aber wer wusste schon. Es erstaunte ihn jedes Mal, dass er Masaru so mochte. Natürlich, er war ein kleiner Junge, der gerade erst drei Jahre alt geworden war. Er war süß, aufgedreht und liebenswürdig. Trotzdem war er Elsas Sohn. Der Sohn der Frau, die ihm das Herz in viele kleine Stücke gebrochen hatte und über die er nicht nachdenken, generell nicht an sie denken wollte. Doch natürlich tat er das automatisch, wenn er Masaru sah. Trotzdem genoss er die Zeit, die er mit dem Kleinen verbringen konnte und nahm das seinetwegen gerne auf sich. Sie schienen eine einzigartige Beziehung zueinander zu haben und er genoss es. Immer wenn sich Masarus kleine Hand in seine große legte und ihn festhielt, machte sein Herz einen Satz. Es machte keinen Sinn, aber es war ihm egal. Er wollte das nicht weiter hinterfragen sondern sich einfach freuen, dass Masaru ihn wohl auch ins Herz geschlossen hatte. Auch wenn er sich Elsa so näher fühlte, immerhin war Masaru ihr Sohn. Doch auf der anderen Seite … warum quälte er sich so? Immerhin hatte sie ihm klar gemacht, dass sie nichts für ihn empfand. Und ungeachtet dessen, er mochte ihren Sohn, das hatte schließlich überhaupt nichts mit ihr zu tun. Und noch ehe er weiter nachdenken konnte, ertönte eine laute, helle Stimme.

“Fußball-Onkel!”

Im nächsten Moment flog etwas gegen Marios Beine, hielt sich dort fest. Ein Lächeln erschien auf seinen Zügen und er sah an sich herunter zu dem kleinen Jungen, der übers ganze Gesicht strahlte.

“Hallo Masaru”, gab er von sich und ging auf ein Knie, um eine Hand auf dessen Kopf zu legen. “Macht ihr heute einen Ausflug mit dem Kindergarten?”, fragte er ihn. Sofort nickte der kleine Junge.

“Tiere gucken gehen”, erklärte er ernsthaft.

“Masaru, du kannst doch nicht einfach wegrennen und einfach irgendwelche Leute überfallen”, erklang eine sanfte Stimme und erstaunt sah Mario auf. “Bitte entschuldigen Sie”, sagte die junge Frau, die vermutlich eine der Erzieherinnen von Masaru war.

“Das ist doch kein Problem. Trotzdem, Masaru, deine Erzieherin hat recht, du darfst nicht einfach weglaufen.”

Die Erzieherin sah Mario an und blinzelte erstaunt. “Oh, sind sie sein Vater?”

Nun weiteten sich seine Augen erstaunt. Masarus Vater? “Was? Nein, nein. Ich bin nur”, er blickte wieder zu Masaru und erstarrte. Elsas Gesicht erschien vor seinem inneren Augen und sofort verdüsterte sich sein Ausdruck. “Ein Freund seines Onkels.”

“Entschuldigen Sie bitte.” Die Augen der jungen Frau weiteten sich erschrocken.

“Fußball-Onkel”, erklärte Masaru und deutete auf Mario. “Masaru Fußball-Onkel.”

“Dein Fußball-Onkel?”, fragte die Erzieherin.

“Ja. Mein Onkel.”

“Ah, okay. Trotzdem musst du dich jetzt von ihm verabschieden, wir wollen nämlich weiter, Masaru.”

Schon verzog er sein Gesicht und seine kleinen Hände klammerten sich an Mario fest. “Nein”, jammerte er, “Fußball-Onkel bleiben.”

“Hör mal Masaru”, zog Mario seine Aufmerksamkeit auf sich, “ich rede mit Onkel Gregor, dass wir uns die Tage zum Fußballspielen treffen, ja?” Zögerlich nickte der Junge. “Und bis dahin gehst du ein paar Tiere anschauen, ja? Und dann musst du mir erzählen, was für Tiere du alle gesehen hast. Du musst dir das also gut merken, dass du die alle noch weißt, wenn ich dich dann frage.”

Schon nickte der Kleine lächelnd.

“Sehr schön, darauf freue ich mich schon sehr, Masaru.” Schmunzelnd richtete sich Mario wieder auf und wandte sich der Erzieherin zu, die sich leicht vor ihm verneigte, nachdem sie Masarus Hand in ihre genommen hatte.

“Entschuldigen Sie bitte noch einmal die falsche Unterstellung. Ich fand im ersten Moment einfach, dass sie beide sich sehr ähnlich sehen.”

“Kein Problem.” Mario winkte ab. “Und ich entschuldige mich bei Ihnen, dass ich Sie aufgehalten habe.”

“Das macht nichts. Wir freuen uns ja sehr für ihn, dass er hier eine Familie und Freunde hat. Der Umzug war sicherlich nicht leicht für ihn. Von Deutschland nach Japan ist es ja doch eine große Umstellung.”

“Das stimmt. Aber ich weiß dass Elsa”, Mario zögerte und sein Herz zog sich zusammen, als er ihren Namen in den Mund nahm, “seine Mutter”, berichtigte er sich, “es wirklich hervorragend macht.”

“Das machte sie wirklich. Sie ist ein großes Vorbild. In dem jungen Alter schon Mutter zu werden, dazu im Ausland, wo sie ja niemanden hat. Trotzdem hat sie das alles durchgezogen. Die beiden sind ein tolles Team. Nun gut, ich will Sie nicht länger aufhalten, Sie müssen sicherlich auch noch weiter.”

“Das passt schon. Viel Spaß beim Tiere anschauen.” Er wandte sich Masaru zu. “Bis bald Kumpel. Und denk dann an deinen Fußball.”

Wieder nickte der kleine Junge aufgeregt und Mario beobachtete, wie er dann mit der Erzieherin davon ging. Etwas in ihm zog sich zusammen. Sie hatte ihn für Masarus Vater gehalten. Irgendwie rührte das etwas in ihm an. Er fand es nicht schlimm, irgendwie schön. Masaru als Sohn zu haben, würde ihn freuen. Wenn er jetzt so darüber nachdachte - wenn Elsa damals schwanger geworden wäre, als sie beide miteinander geschlafen hätten, wie alt wäre ihr gemeinsames Kind dann jetzt? Er stockte und eine unangenehme Welle rollte über ihn hinweg. Es wäre so alt wie Masaru … Bedeutete das etwa? Nein, sicher nicht. Gregor hatte ihm doch erzählt, wer der Vater von Elsas Kind war. Ein One Night Stand in Deutschland, direkt nach ihrer Ankunft. Es war nur ein dummer Zufall, dass es so dicht beieinander lag. Trotz dessen, was sie zu ihm gesagt hatte, sie hätte ihm doch nicht verschwiegen, dass er Vater werden würde. Nein, das traute er ihr beim besten Willen nicht zu. Er hob eine Hand und sah erneut auf seine Smartwatch. Okay, jetzt musste er sich wirklich beeilen. Das Zusammentreffen mit Masaru hatte doch länger gedauert, als er gedacht hatte. Nun würde man sicherlich schon auf ihn warten.

Kapitel 10

“Oh man, das tut einfach nicht.” Verärgert tippte Elsa auf das Tablet, das vor ihr lag. “Schau mal, Benjiro”, richtete sie an diesen. “Egal was ich mache, das Programm geht einfach nicht auf und damit ist es nutzlos für mich!”

“Zeig mal her.” Der Angesprochene trat neben sie. Mit einer Hand zog er das Tablet zu sich und tippte ebenfalls darauf herum.

Elsa versteifte sich einen kurzen Augenblick, als sich eine warme Hand auf ihren unteren Rücken legte. Ein Lächeln erschien auf ihren Zügen, das war doch irgendwie schön.

“Ne, keine Ahnung, Elsa. Irgendetwas stimmt da nicht. Bei mir funktioniert es problemlos. Aber gut, dass nachher unser IT´ler vorbeischaut, gib ihm einfach dein Tablet, er wird sich darum kümmern.”

“Oh, das klingt super.” Elsa nahm das Gerät wieder an sich. “Das vereinfacht sicher einiges, zumindest bilde ich mir das ein.”

Ein Lachen entkam dem neben ihr Stehenden. “Ach, das wird auf jeden Fall so sein.” Er beugte sich näher zu ihr hinunter. “Nachher Mittagessen? Du und ich?”

“Natürlich.” Mit einem Lächeln beantwortete Elsa die Frage.

“Prima. Dann mache ich bei mir mal weiter. Ich hole dich dann nachher, wenn der IT´ler da ist. “Sehr gerne.”

Als Benjiro Elsas Büro verließ, widmete dieses sich wieder den Unterlagen vor sich.
 

~~~
 

Eine halbe Stunde später klopfte es an ihrer Türe und Benjiro streckte seinen Kopf erneut ins Zimmer.

“Willst du mit mir einen Kaffee trinken? Unser IT´ler ist gerade auch da und kümmert sich schon um meinen PC. Irgendein Update, da störe ich nur. Dachte ich nutze die freie Zeit.”

Belustigt musterte Elsa ihn. “Dir ist aber schon klar, dass ich keine freie Zeit habe?”

“Ach, ich bin ja mehr oder weniger dein Vorgesetzter, ich entscheide einfach, das geht schon klar.”

Lachend schob sie sich mit ihrem Stuhl nach hinten. “Benjiro, du bist nicht mein Vorgesetzter, zum Glück. Denn sonst wäre das hier”, sie deutete zwischen ihnen beiden hin und her, “nicht in Ordnung.”

“Na dann bin ich ja froh. Also, Kaffee, Frau Kollegin?”

“Sehr gerne, Herr Kollege. Ich bin nicht undankbar dafür. Masaru hatte eine schreckliche Nacht. Er hat schlecht geschlafen und mich dann fast zwei Stunden wachgehalten. Bis er wieder eingeschlafen ist, habe ich nur noch eineinhalb Stunden gehabt, bis mein Wecker geklingelt hat. Ihn habe ich etwas länger schlafen lassen. Mein Bruder wollte ihn zum Kindergarten bringen, da er heute später an die Uni muss.”

Ein Schmunzeln lag auf den Zügen ihres Freundes, der einen Arm um ihre Schultern legte, als sie gemeinsam zu ihrem Pausenraum gingen, in dem auch die Küche und die Kaffeemaschine zu finden waren.

“Ich bin ja sehr gespannt darauf, wenn ich den jungen Mann irgendwann einmal kennenlernen.”

Als Elsa abrupt stehen blieb, musste das auch Benjiro tun, dessen Arm immer noch um ihre Schultern lag. Unsicher blickte sie ihn an. “Es ist für dich doch hoffentlich okay, dass ich ihn dir aktuell noch nicht vorstelle, oder? Ich meine, wir beide lernen uns ja gerade erst kennen. Ich will da einfach nichts überstürzen.”

“Alles gut, Elsa. Mach dir da wirklich keinen Kopf. Wenn du sagst, dass die Zeit gekommen ist, dann freue ich mich. Vorher noch nicht, ich kann da warten. Aktuell verbringe ich ganz gerne Zeit mit seiner Mutter. Ich will über sie auch noch ganz viel erfahren.”

Die Wangen der neben ihr Stehenden färbten sich rot. “Du Spinner”, murmelte sie und entlockte ihm ein Lachen. Er ließ seinen Arm sinken und ging die letzten Schritte zum Pausenraum, um ihr die Türe zu öffnen.

“Du wirst mich noch mehr kennenlernen, Elsa. Dann wirst du das nicht mehr sagen. Dann wirst du Riesenspinner zu mir sagen.”

Wieder lachte sie laut auf. Sie mochte ihn wirklich. Verliebt war sie nicht, davon war sie noch weit entfernt. Aber sie mochte Benjiro, er war sympathisch, lustig und hatte sehr viel Verständnis für sie, zudem drängte er sie zu nichts. Er bewegte ihr Herz noch lange nicht so sehr, wie es jemand anderes tat und das bereits seit so vielen Jahren, doch ihr war klar, dass aus diesem jemanden und ihr jemals etwas werden könnte.
 

~~~
 

Zehn Minuten später standen sie beide an einem der Stehtische, vor sich jeweils eine Tasse Kaffee.

“Der IT´ler ist wirklich cool. Er kommt jetzt seit ungefähr einem Jahr zu uns. Er ist auch relativ jung, vielleicht so alt wie du? Ich mag ihn sehr und war auch so schon mal mit ihm ein Bier trinken. Cooler Typ halt. Du wirst schon sehen, der hat dir dein Tablet in wenigen Minuten gerichtet. Und wenn du noch was brauchst, sagst ihm einfach Bescheid, der kümmert sich darum.”

“Das klingt doch gut.” Schmunzelnd hob Elsa ihre Tasse und nahm einen Schluck darauf. Ihr Gegenüber schwärmte ja regelrecht von dem IT´ler. Jetzt war sie auch sehr gespannt. Da ertönte ein Klopfen gegen die Glaswand.

“Hey Benjiro, ich bin bei dir fertig, dein PC läuft wieder.”

Elsa erstarrte, als sie die Stimme hinter sich vernahm. Sie hatte sie schon ewig nicht mehr gehört. Sie konnte sogar den Tag nennen, an dem sie das das letzte Mal hatte, ebenso die Uhrzeit. Panisch drehte sie sich herum und erstarrte, als ein paar dunkle Augen auf ihren landeten. In diesen stand der gleiche panische Ausdruck wie in ihren.
 

~~~
 

Mario streckte sich, dann stand er auf. Das hier war erledigt. Was hatte Benjiro noch gleich gesagt? Ach ja, er wollte einen Kaffee trinken gehen. Vielleicht würde er sich auch gleich einen holen, ehe er zum nächsten Mitarbeiter weiter ging. Kurzerhand machte er sich auf den Weg zum Pausenraum. Durch die Glasscheiben konnte er Benjiro erkennen. Dieser trank einen Kaffee. Ihm gegenüber, mit dem Rücken zu Mario, stand eine junge Frau, vermutlich eine der hier Arbeitenden. Sie trug einen schwarzen Rock, ein weißes Oberteil und die braunen Haare zu einem Dutt aufgesteckt. Mario hob eine Hand und klopfte an die Glaswand, während er seinen Kopf zur Türe herein streckte.

“Hey Benjiro, ich bin bei dir fertig, dein PC läuft wieder.”

Damit trat er ein, um im nächsten Augenblick wie erstarrt stehen zu bleiben. Seine Augen weiteten sich und ihm wurde anders, als vor ihm plötzlich die Frau stand, die er seit so vielen Jahren nicht vergessen konnte, auch wenn er es unbedingt wollte.

“Elsa”, brachte er krächzend hervor.

“Ma-Mario”, stotterte sie.

“Was … was machst du hier?”, fragte er und trat auf sie zu.

“I-ich … arbeite hier”, erwiderte sie immer noch stotternd.

Er war unfähig, seinen Blick von ihr zu nehmen. Sie war hier. Da, wo auch er war. Und sie sah immer noch so wunderschön aus. Alles, was vor ihrer Abreise passiert war, was sie zu ihm gesagt hatte, war in diesem Moment aus seinem Kopf verschwunden. Er trat einen weiteren Schritt auf sie zu.

“Elsa, wir … könnten wir die Tage einen Kaffee trinken gehen?”, platzte es regelrecht verzweifelt über seine Lippen. “Was vor deiner Abreise war, wir … wir haben es nie wirklich besprechen oder abschließen können, zumindest geht es mir so. Dir vielleicht auch? Wir … wir sollten einfach … Bitte, können wir reden, Elsa? Bitte, geh mit mir aus, nur du und ich!” Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Sollte er ihr sagen, dass er wusste, dass sie ein Kind hatte und dass ihm das egal war? Er mochte Masaru, sehr sogar. Würde er sich einen Sohn wünschen, würde er es sein, völlig ungeachtet dessen, dass Elsa seine Mutter war, das interessierte Mario nicht. Aber was ihn jetzt interessierte, war die Frau vor ihm.

Elsas Augen waren weit aufgerissen. Panisch machte sie einen Schritt nach hinten und stieß dabei gegen den Tisch, auf dem ihre Tasse stand. Der Kaffee schwappte über, doch das bemerkte sie nicht. Mario … er war hier! Und er wollte mit ihr ausgehen? Ihr Herz schlug so unglaublich schnell und alles in ihr jubelte. Erst jetzt, als sie ihn sah, wurde ihr bewusst, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Wie sehr sie bei ihm, in seinen Armen sein wollte. So gerne würde sie ja sagen, dann wurde ihr klar, dass das nicht mehr ging. Es fühlte sich erneut so an, als würde ihr Herz in viele kleine Teile brechen. Sie konnte einfach nicht. Da war Masaru, sein Sohn. Oh Gott, Marios Sohn. Und da stand er, der Vater ihres Babys, ihres Kindes. Er würde es ihr doch niemals verzeihen, dass sie ihn so lange im Unwissen gelassen hatte. Nein, sie konnte nicht mit ihm ausgehen. Es war wichtig, dass sie ihn weiterhin von Masaru fern hielt. Er durfte nicht erfahren, dass er Vater war, das ging einfach nicht. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, die für ihren Sohn. Aber die Entscheidung hatte ihr Leben beeinflusst, sie konnte nicht auch noch Marios beeinflussen. Daher gab es auf seine Frage nur eine Antwort. Alles in ihr zog sich zusammen, versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen.

“Mario”, sie schüttelte ihren Kopf, “es tut mir leid. An meiner Aussage vor so langer Zeit hat sich nichts geändert. Du solltest die Vergangenheit endlich hinter dir lassen. Das zwischen uns, das war etwas einmaliges und …”

Wieder sah er aus, als hätte sie ihn in den Magen geschlagen, aber vielleicht fühlte es sich ja auch so für ihn an.

“Elsa, meinst du nicht … Ich meine … Es wäre doch nur eine Tasse Kaffee!” Verzweifelt blickte er sie an.

“Ich … ich kann nicht, tut mir leid”, erwiderte sie.

“Aber warum nicht? Ich verstehe nicht … ich …”

“Tut mir leid, Kumpel.” Benjiro war zu Elsa getreten, legte einen Arm um deren Taille und zog sie an sich. “Elsa und ich gehen miteinander aus. Sie ist nicht mehr zu haben.”

“Oh …” Langsam drang es zu Mario durch. “Das … okay.” Es war nicht okay, das konnte man ihm ansahen, trotzdem sagte er nichts mehr. Ihm war klar, dass er verloren hatte. “Dann … mache ich mal weiter.”

“Ich weiß, dass das vermutlich ganz schlechtes Timing ist, aber Elsas Tablet,” Benjiro deutete auf die neben ihm Stehende, “funktioniert nicht richtig. Kannst du dir das anschauen?”

Es fühlte sich an, als würde eine eiskalte Faust Marios Herz umschließen und zusammenpressen. Trotzdem zwang er sich zu nicken. “Klar.”

Ihm war klar, dass das jetzt hart werden würde. Mehr als hart …

Kapitel 11

Nachdenklich lag Benjiros Blick auf Elsa, die ihm gegenüber saß. Sie hielt ihre Stäbchen in einer Hand, diese in der Schüssel steckend, mehr tat sie aber nicht. Stattdessen starrte sie bereits minutenlang aus dem Fenster, neben dem ihr Tisch stand und regte sich nicht. Seit sie heute Vormittag auf Mario getroffen war, wirkte sie so abwesend. Auch Mario war danach nicht der Gleiche gewesen, der er sonst war. Weggeblasen war all seine positive Einstellung. Das sagte Benjiro schon sehr viel aus. Er runzelte seine Stirn.

“Elsa?”, brachte er schließlich hervor, sie reagierte jedoch nicht. “Elsa.” Passend zu seinen Worten griff er nach der Hand, in der sie die Stäbchen hielt.

Erschrocken zuckte sie zusammen, zog ihre Hand zurück und die Stäbchen landeten neben der Schüssel auf dem Tisch. Sie blinzelte ihn an und ihre Wangen färbten sich rot.

“Entschuldigung”, murmelte sie und suchte ihr Essbesteck zusammen.

“Elsa, was ist los?”, fragte Benjiro.

“Nichts”, murmelte sie nach einem kurzen Moment.

“Nichts. Ach Elsa, ich weiß doch, dass da nicht nichts ist.” Wieder griff er nach ihrer Hand und hielt diese sanft fest. Dieses Mal zog seine Gegenüber sie nicht zurück. “Seit du auf Mario getroffen bist, wirkst du so nachdenklich und in dich gekehrt.” Dass sie beim Namen ihres IT´lers so zusammen zuckte, bestätigte ihn in seinem Gedanken. “Was war da zwischen euch, dass du so auf ihn reagierst? Und er ja auch irgendwie auf dich. Wart ihr ein Paar bevor du nach Deutschland bist?”

Nun wurde sie blass. Mit aufgrissenen Augen erwiderte sie Benjiros Blick und zog nun doch ihre Hand zurück.

“Wir … nein”, sie schüttelte ihren Kopf und er war sicher, dass Tränen in ihren Augen aufstiegen, “wir waren kein Paar.”

“Aber was meinte Mario dann damit, dass ihr irgendetwas vor deiner Abreise nicht abgeschlossen habt?”

Elsa biss sich auf die Unterlippe und wich seinem Blick aus. “Wir kennen uns schon sehr lange”, flüsterte sie, “seit der Grundschule. Er ist … er ist der beste Freund meines Bruders.”

“Was aber keine Antwort auf deine Reaktion ist, meine Liebe.”

“Wir …”

“Da muss doch mehr sein, Elsa. Dass ihr euch von früher kennt oder auch das von deinem Bruder erklärt eure Reaktionen nicht. Auch Mario war nach deiner Absage total durch den Wind. Er war noch nie so schnell auf und davon. Zudem hat meine Aussage, dass du und ich uns daten, ihn getroffen. Im Normalfall unterhalten wir uns sehr viel und sind auch nach der Arbeit auf ein Bierchen gegangen, aber heute hat er alles so schnell wie möglich erledigt und ist heute viel früher auf und davon, ohne sich wirklich zu verabschieden.”

Wieder zuckte sie zusammen. Sie wischte sich mit einer Hand die Tränen weg, während sie tief Luft holte. “Mario und ich … ich war in ihn verliebt, sehr lange Zeit. Mir war nie klar, dass er auch so für mich empfindet und dann einen Tag vor meinem Abflug nach Deutschland …”

“Da hat er es dir gestanden?”

Dieses Mal konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Elsa wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht, doch es war erfolglos. Sie nickte, während sie versuchte, den Tränen Einhalt zu gebieten.

“Und dann?”

Elsa schien zu überlegen, was sie sagen sollte, ob sie etwas sagen konnte. Doch schließlich antwortete sie. “Wir … wir haben die Nacht miteinander verbracht. Es war etwas einmaliges. Doch trotzdem … aber egal wie, ich bin am nächsten Tag nach Deutschland geflogen, es war klar, dass ich mindestens drei Jahre weg bin. Und dort ist dann sowieso alles anders geworden.”

“Aber … du bist doch wieder hier. Was hat dich davon abgehalten, ihn wieder zu kontaktieren? So wie er reagiert hat, hätte er sich sicher gefreut und wäre mit dir ausgegangen. Und deine Reaktion zeigt mir auch, dass du ihn noch nicht vergessen hast. Warum sonst solltest du so reagieren?” Er hoffte, dass Elsa aufsah, seinen Blick erwiderte und er darin etwas lesen könnte, ihm eine Antwort auf seine Frage geben würde. Doch sie tat es nicht. Stattdessen zuckte sie nur mit den Schultern.

“Das … hätte ich nicht können. Es ist doch alles anders. Ich bin nicht mehr die, die ich war, als ich gegangen bin. Nicht das Mädchen oder die Frau, die er so gemocht hat. Stattdessen …” Nun sah sie doch auf und man konnte ihr ansehen, dass sie sich stark geben wollte. “Ich habe ein Kind, Benjiro.”

“Und? Ich weiß, dass dein Sohn zu dir gehört. Vielleicht hätte er das genauso getan. Aber du kannst es nicht wissen, wie er das sieht, wenn du es ihm nicht sagst. Vielleicht hätte er den Jungen genauso akzeptiert, wie er es dich tut.”

Sie wirkte verunsichert, nachdenklich, dann schüttelte sie erneut ihren Kopf. “Es ist völlig egal. Es geht einfach nicht. Das was einmal zwischen ihm und mir war, dass kann nicht mehr sein.”

Benjiro sah sie immer noch nachdenklich an, dann weiteten sich seine Augen und er setzte sich aufrecht hin, sein Blick starr auf sie gerichtet.

“Elsa”, er stockte, “ist Mario der Vater von Masaru?”

Nun wurde sie kreidebleich und ihre Augen bildeten zwei große, dunkle Flecken auf ihrem Gesicht. Benjiro zuckte zusammen, alles in ihm fühlte sich an, als würde es zusammengepresst werden. Würde sie so reagieren, wenn es nicht so wäre?

“Er ist es, oder? Er ist der Vater und deshalb kannst du nicht mit ihm ausgehen. Ich dachte ja”, er strich sich verunsichert durch die Haare, “dass du ihm meinetwegen einen Korb gegeben hast, aber ich glaube jetzt eher, dass dir das eine willkommene Ausrede war.”

Wieder liefen die Tränen über Elsas Gesicht und ein Schluchzen entkam ihr. Sie schlug ihre Hände vor sich. “Er … er darf es nie erfahren”, presste sie zwischen den Schluchzern hervor.

“Aber Elsa”, wieder landete seine Hand auf einer der ihren, nahm diese sanft zwischen seine Finger, “du musst es ihm sagen. So etwas darf man nicht verschweigen. Er hat einen Sohn. Ihr habt einen Sohn. Er muss es wissen.”

Sofort schüttelte sie ihren Kopf und rutschte nach hinten, um sich seinem Griff zu entziehen. Ihre Hände presste sie zwischen ihre Knie. “Nein, das darf er nicht, niemals! Als er damals nach unserer gemeinsamen Nacht vor meiner Türe stand, hat er mir gesagt, dass er mit mir nach Deutschland gehen will. Dass er all seine Zelte hinter sich abbricht, alles hinter sich lassen würde. Familie, Freunde, seine Mannschaft. Aber das konnte ich doch nicht von ihm verlangen. Es war mein Wunsch, dass ich in Deutschland studieren kann. Ich wollte sein Leben nicht so beeinflussen. In Deutschland habe ich dann festgestellt, dass ich schwanger bin. Ich habe lange mit mir gekämpft, was ich machen soll, aber dann habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich wollte sein Leben schon nicht so beeinflussen, dass er alles hinter sich lässt und zu mir nach Deutschland kommt, obwohl wir nicht einmal wissen, ob das zwischen uns überhaupt hält. Das aber, ein Baby, das wäre eine ganz andere Beeinflussung für ihn. Das wäre eine Beeinflussung für sein ganzes Leben und das wollte ich ihm nicht antun. Ich habe eine Entscheidung getroffen, für Masaru. Aber ich konnte diese Entscheidung nicht für Mario treffen. Also habe ich beschlossen, es ihm nicht zu sagen. Er wird nicht erfahren, dass er Vater ist. Und das ist der Grund, weshalb ich nicht mit ihm ausgehen kann. Nicht, weil ich ihn nicht mag oder nicht gerne einen Kaffee mit ihm trinken würde. Nein, ich kann nicht mit ihm ausgehen, weil er nicht wissen darf, dass er einen Sohn hat. Dass ich sein Kind auf die Welt gebracht habe.” Sie blickte Benjiro ernst an. “Du darfst es ihm niemals sagen, klar? Du darfst ihm kein Wort gegenüber darüber verlieren.”

“Elsa.” Fassungslos schüttelte ihr Gegenüber seinen Kopf. “Findest du nicht, Mario hat es verdient zu wissen, dass er ein Kind hat? Ein Kind … das ist so viel mehr. Du hast recht, es verändert alles, aber er muss entscheiden, wie er damit umgehen will. Was, wenn dein Sohn irgendwann einmal fragt, wer sein Vater ist? Was willst du ihm dann sagen?”

Elsa ballte ihre Hände auf ihren Knien zu Fäusten. “Die Geschichte, die ich von Anfang an erzählt habe. Dass ich nicht weiß, wer sein Vater ist. Natürlich ist das hart, das ist mir klar”, winkte sie ab, ehe Benjiro etwas einwerfen konnte, “aber das ist die richtige Entscheidung.”

Er biss sich auf die Lippen und man konnte ihm ansehen, dass er das nicht so sah wie seine Begleitung.

“Es ist schlussendlich deine Entscheidung, Elsa. Ich werde Mario nichts sagen, versprochen. Aber ich bin mir sicher, dass du deine Entscheidung irgendwann überdenken musst. Wenn nicht für Mario, dann für euren Sohn. Jeder hat das Recht zu wissen, wo er herkommt.”

Man konnte Elsa ansehen, dass sie diese Aussage nicht mochte, vielleicht auch, weil ihr klar war, dass Benjiro recht hatte, doch das wollte sie nicht, sie wollte darüber nicht nachdenken.

“Es ist gut, wie es ist.” Und damit machte sie ihm klar, dass sie nicht weiter darüber reden wollte. Wieder griff sie nach den Stäbchen, um damit erneut in ihrer Schüssel herumzustochern. Ihrem Gegenüber war klar, dass das nicht stimmte. Nichts war hier gut, doch es war nicht seine Entscheidung, es war allein Elsas.

Sie beide schwiegen eine Weile und schließlich winkte Benjiro dem Kellner, um zu bezahlen. Elsa hatte von ihrem Essen eigentlich nichts angerührt und ließ die Schüssel fast voll zurückgehen. Auf die Frage des Kellners, ob es nicht geschmeckt hätte, schüttelte sie nur ihren Kopf und antwortete, dass es ihr nicht so gut ging. Ihr Begleiter bezahlte und gemeinsam verließen sie das Restaurant, um ins Geschäft zurück zu kehren. Davor blieb er stehen und hielt sie an ihrer Hand fest.

“Elsa”, richtete er ernst an sie. Sie hob ihren Kopf und man konnte ihre vom Weinen rot geränderten Augen erkennen. “Es tut mir leid”, brachte er hervor. “Ich glaube, das mit uns beiden, das kann nichts werden.” Wieder weiteten sich ihre Augen vor Entsetzen. Schnell ergriff er ihre Hand fester und zog sie näher zu sich. “Es liegt nicht daran, was du mir gerade gestanden hast. Nein, es liegt daran” er verzog sein Gesicht schmerzhaft, “dass du eindeutig noch Gefühle für Mario hast. Auch wenn du versuchst, es zu verleumden, dir die Gefühle auszureden in dem du sagst, dass ihr sowieso niemals zusammen sein könntet, er bedeutet dir immer noch etwas. Du hast Gefühle für ihn, die du nicht abstreiten kannst. Und du verstehst sicher, dass ich eine Beziehung will, wo die Frau mich mag, etwas für mich empfindet, nicht für jemand anderen. Ich mag dich, sehr sogar, das wird sich nicht ändern. Aber ich beende es lieber jetzt und wir bleiben Freunde und gute Kollegen, als dass wir eine feste Beziehung beginnen, die über kurz oder lang wegen ihm auseinanderbrechen wird.”

Und wieder liefen ihr Tränen über die Wangen. Er zog Elsa in seine Arme, hielt sie fest. “Ich mag dich Elsa. Und ich bin mir sicher, du wirst glücklich werden. Ich weiß nicht wie und auch nicht wann, aber du wirst es werden, glaube mir.”

“Ich hoffe es”, schluchzte sie leise und drückte ihr Gesicht an seine Schulter. Auch wenn sie nicht in ihn verliebt gewesen war, es hatte ihr etwas bedeutet, dass Benjiro mit ihr hatte zusammen sein wollen, trotz ihres Sohnes. Doch sie konnte auch verstehen, dass er das so nicht wollte. Sie konnte es ihm nicht übel nehmen. Trotzdem war es schön gewesen, dass es jemanden gab, der sie gemocht hatte, so wie sie war.

Kapitel 12

Ein kleines Glöckchen ertönte, als Akane Daichi die Eingangstüre der Apotheke öffnete und den Buggy mit ihrem Enkelsohn darin in das Geschäft schob. Sie lief bis zur Theke vor, wo gerade eine schwarzhaarige Frau einen Kunden bediente. Als dieser gegangen war, trat Akane nach vorne.

“Oh, hallo Akane, das ist aber schön, dich zu sehen”, begrüßte Chiyoko Hongo, Mitbesitzerin der Apotheke und Mutter von Mario, ihre Bekannte.

“Hallo Chiyoko.” Akane lächelte und schob den Rezeptzettel, den sie gerade vom Kinderarzt erhalten hatte über die Theke. “Bekomme ich das bei euch alles?”

Ein Blick auf das Rezept werfend, nickte ihre Gegenüber. “Ja. Warte, ich suche gerade alles zusammen.”

Nach ein paar Minuten scannte sie alles ein. “So, ich habe aufgeschrieben, wie die Medikamente zu nehmen sind.” Ihr Blick fiel noch einmal auf das Rezept. “Masaru Daichi?”

“Ja, mein Enkel.”

“Dein Enkel?” Erstaunt kam Chiyoko um die Theker herum und blickte in den Kinderwagen herein.

Akane lächelte. “Ja, mein Enkel.” Sie schüttelte sanft ihren Kopf. “Elsa hat uns vor fast vier Jahren einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Sie war gerade nach Deutschland gegangen um zu studieren und dann kam ein Videoanruf von ihr, in dem sie uns mitgeteilt hat, dass sie schwanger ist.”

Mit großen Augen wurde sie angeschaut und Chiyoko schüttelte ihren Kopf. “Ernsthaft? Oh Gott, ich hätte nicht in eurer Haut stecken wollen.”

Auf diese Aussage lachte Akane. “Glaube mir, ich wünschte mir ich auch nicht. Sie war doch zu dem Zeitpunkt auch erst neunzehn Jahre alt. Und dazu noch in einem anderen Land, weit weg von uns.”

“Und sein Vater?”

“Das willst du gar nicht wirklich hören. Gleich zu Beginn, als Elsa in Deutschland angekommen ist, hatte sie etwas mit einem Jungen, dessen Namen sie nicht einmal kennt.”

“Das macht es nicht besser, oder?”

“Nicht wirklich, da hast du recht.” Akane nickte zu Chiyokos Aussage. Da deren Sohn so alt wie ihre Tochter war, konnte sie sich sicherlich in sie hineinversetzen.

“Und wie ging es weiter?” Chiyoko sah sie fragend an.

“Ich bin zur Geburt nach Deutschland gereist, um Elsa zu unterstützen und bin noch fünf Monate geblieben. Sie hat ein Urlaubssemester genommen und ihr Studium dort trotzdem zu Ende gemacht. Wir sind wirklich stolz auf sie, dass sie es durchgezogen und sogar noch sehr gut abgeschlossen hat. Im März ist sie wieder nach Deutschland gekommen und hat Masaru mitgebracht. Die beiden wohnen aktuell bei uns. Seit April hat sie auch einen Arbeitsplatz und Masaru geht in den Kindergarten. Allerdings ist unser kleiner Mann jetzt krank geworden. Ich habe Elsa arbeiten geschickt und bin mit ihm zum Kinderarzt. Und da wir Medikamente brauchen”, Akane deutete auf die Tüte, die Chiyoko ihr in die Hände gedrückt hatte, “sind wir hierher gekommen. Der Kinderarzt ist ganz in der Nähe.”

“Der arme Kleine. Ach, ich weiß noch, wie das mit Mario immer war, wenn er krank war. Am besten ist es jetzt ja doch, wenn er jemanden hat, der für ihn da ist. Schön, dass du Elsa auch in der Hinsicht so unterstützt.”

“Das ist richtig. Wir freuen uns auch sehr, dass Elsa unsere Unterstützung überhaupt so annimmt. Es bedeutet uns viel und ist nicht selbstverständlich. Natürlich waren wir nicht begeistert, als sie uns gesagt hat, dass sie schwanger ist und noch weniger, als sie uns erklärt hat, dass sie trotzdem in Deutschland bleiben will.”

“Ach ja, ich erinnere mich auch an damals, als sie weg gegangen ist. Mario war untröstlich. Es ging ihm so schlecht, er war traurig, dann auch wieder wütend, irgendwie alles zusammen. Liebeskummer ist einfach nichts schönes.”

“Das ist es wirklich nicht. Eigentlich dachte ich ja immer, Chiyoko, dass unsere beiden Kinder mal zusammen kommen. Ich meine, Elsa hat Mario schon immer sehr gemocht, bereits seit der Grundschule.”

“Und mein Sohn deine Tochter.” Chiyoko lachte leise. “Schade, dass die beiden es nicht geschafft haben. Aber jetzt, wo Elsa wieder da ist, hat Mario doch nochmal eine Chance, oder?” Sie zwinkerte ihrer Gegenüber zu. Diese lachte.

“Das wäre wirklich schön, würde mich tatsächlich freuen. Aber mal abwarten. Sie ist bis vor kurzem mit einem jungen Arbeitskollegen ausgegangen, aber anscheinend ist das schon zu Ende.”

“Vielleicht sollten wir sie dann doch mal wieder zusammenbringen.” Chiyoko schmunzelte und sah in den Buggy hinein, als Masaru sich herum drehte. “Ach, das bringt Erinnerungen zurück.” Mit einem Lächeln auf den Zügen musterte sie den Jungen. “Ich finde, dass er aussieht wie Mario damals in dem Alter. Wie alt müsste dein Enkel sein? Ungefähr drei?”

Ein Nicken folgte als Antwort. “Ja. Er ist im Juli geboren.”

“Hach, stell dir vor, unsere Kinder wären zusammen gewesen, dann hätten wir irgendwann gemeinsame Enkelchen bekommen. Masaru hat sogar die gleichen Grübchen wie Mario.”

“Na wer weiß, vielleicht hat Elsa uns ja etwas ganz anderes verschwiegen.”

Beide Frauen lachten, bis sie plötzlich stockten und ihre Augen groß wurden.

“Akane”, gab Chiyoko ernst von sich, “ich finde wirklich sehr, dass er wie Mario aussieht.”

Deren Hand verstärkte ihren Griff um den Buggy. “Du meinst aber nicht, dass …”

Die Frauen sahen sich an, ehe sich Chiyoko abrupt herum drehte. “Masao”, rief sie. Sogleich sah ihr Ehemann aus dem Büro hervor.

“Ja? Oh, hallo Akane.”

“Kannst du bitte hier übernehmen? Und hab bitte ein Auge auf den Kleinen, Akane und ich müssen oben kurz etwas schauen.”

“Ähm, okay, ja, kann ich natürlich machen. Alles in Ordnung?”, fragte Masao verwundert und kam heraus.

“Das werden wir noch sehen. Komm mit”, richtete Chiyoko erst an ihren Ehemann, anschließend an die Mutter des besten Freund ihres Sohnes.

Sie verließ die Apotheke durch die Hintertüre und lief nach oben, gefolgt von Akane. Kaum dass sie in ihrer Wohnung angekommen war, lief Chiyoko ins Wohnzimmer, wo sie sich vor einen der Schränke kniete, diesen öffnete und darin herumzuwühlen begann. Ihr Gast folgte ihr zögerlich und blieb im Türrahmen stehen. Sie wusste gerade nicht so richtig, was sie denken sollte. Das, was sie und Chiyoko sich gerade gedacht hatten, wohin ihre Gedanken geschweift waren. Was, wenn das der Wahrheit entsprach? Sie wusste nicht, was dann wäre ...

“Hier sind sie.” Chiyoko stand mit einem dicken Fotoalbum in der Hand auf und ging zum Esstisch, auf dem sie dieses ablegte. Sie schlug es auf und blätterte ein paar Seiten durch.

Akane trat neben sie, beobachtete das Tun, ihren Blick ebenfalls auf die Bilder gerichtet. Ihre Augen weiteten sich mehr und mehr, während ihre Wangen immer blasser wurden. Das Kind, das dort auf den Fotos zu erkennen war … sie wusste, dass es Mario war, natürlich, aber sie erkannte Masaru.

“Er … er sieht aus wie Masaru. Oder vermutlich sieht Masaru tatsächlich so aus wie Mario”, sagte sie leise und streckte eine Hand aus, um über eines der Bilder zu streichen. Ihr Herz setzte einen Takt aus. “Warte kurz”, sagte sie, als sie ein weiteres Bild sah.

Chiyoko, die ebenfalls blass geworden war, hielt inne und blätterte nicht weiter. Sie beobachtete, wie die neben ihr Stehende ihr Handy hervor holte. Mit ein wenig tippen auf den Bildschirm, legte sie gleich darauf das Handy neben das Foto von Mario.

“Masaru ist Marios Sohn”, brachte sie tonlos hervor, während sie auf der einen Seite Marios Foto im Fotoalbum und daneben das Foto von Masaru auf ihrem Handy betrachtete. Beide blickten direkt in die Kamera und lächelten. Mario musste auf dem Bild ungefähr so alt sein, wie Masaru auf dem erst wenige Tage alten Bild auf dem Handy. Die beiden glichen sich wie ein Ei dem anderen. Nicht nur die Augen- und Haarfarbe, die Grübchen, die beim Lächeln auf der Wange entstanden. Alles an den beiden. Masaru kam ganz nach seinem Vater.

“Daran gibt es keine Zweifel”, stimmte auch Akane fassungslos zu.

Ungläubig sahen die beiden Frauen sich an.

“Es ist zu früh für etwas alkoholisches, oder?”, lachte Chiyoko tonlos.

“Leider”, stimmte Akane zu, während ihr Blick erneut zu den Bildern wanderten. “Ich verstehe es nicht … Warum hat Elsa uns das verschwiegen? Vermutlich hätten wir dafür mehr Verständnis gehabt als für eine einmalige Sache, so wie sie es uns gegenüber immer behauptet hat.”

“Hatte sie Angst vor Marios Reaktion? Ich meine … ich kenne meinen Sohn, er hätte sie sicherlich unterstützt. Natürlich wären wir ebenfalls nicht begeistert gewesen, aber trotzdem. Wir wären für ihn da gewesen, ebenso wie ihr für Elsa.” Kraftlos ließ sich Chiyoko auf einen der Stühle fallen.

Auch Akane setzte sich, legte eine Hand auf das Foto von Mario. “Ich verstehe es einfach nicht, es will nicht in meinen Kopf hinein. Mario hat euch gegenüber nie etwas angedeutet, dass er ein Kind hat, irgendetwas in diese Richtung?”

“Nein, hat er nicht. Ich bezweifle, dass er es weiß.”

“Und ich verstehe gerade nicht, warum Elsa es ihm verschwiegen hat. Dass sie es uns nicht gesagt hat finde ich schlimm genug. Aber dem Vater zu verschweigen, dass er einen Sohn hat? Vor allem, sie mochte Mario doch immer sehr. Warum …?”

“Ich glaube, es ist müßig, dass du dir um das Warum Gedanken machst. Diese Frage kann nur von Elsa beantwortet werden.”

“Ich werde mit ihr reden müssen, beziehungsweise Ryotaro und ich. Chiyoko”, Akane blickte diese an, “könnte ich vielleicht das Foto von Mario mitnehmen? Ich will es meinem Ehemann gerne zeigen. Ich muss das alles mit ihm besprechen … und irgendwann solltet ihr Masaru auch noch kennenlernen, immerhin seid ihr ebenso wie wir seine Großeltern.”

“Das … würde ich wirklich gerne. Masao sicher auch”, stimmte die neben ihr Sitzende zu. Sie schüttelte ihren Kopf. “Oh man, ich muss aufpassen, was ich sage. Vorher meine ich noch, dass ich nicht in eurer Haut hätte stecken wollen … und jetzt tue ich das doch.”

Sie stand auf und gefolgt von Akane ging sie wieder hinunter in die Apotheke, wo Masaru immer noch im Buggy schlief.

“Ich rufe dich die Tage an”, meinte Akane und legte ihre Hand auf Chiyokos Unterarm.

Diese nickte. “Das fände ich gut. Und bis alles geklärt ist, muss ich erst einmal mit dem Schock klarkommen.”

“Ja, so geht es mir auch.”

Masao sah von einer Frau zur anderen. “Was für ein Schock?”, fragte er. Seine Ehefrau deutete auf das im Buggy liegende Kind.

“Darf ich dir vorstellen? Das ist dein Enkelkind.”

Auf diese Aussage weiteten sich Masaos Augen ungläubig. “Was?”
 

~~~
 

“Hallo”, rief Elsa, als sie das Haus betrat. Sie zog ihre Schuhe aus und hängte ihre Jacke an die Garderobe, ehe sie ins Wohn-Esszimmer ging.

“Hallo Elsa”, erwiderte ihre Mutter.

“Wo ist denn Masaru und wie geht es ihm?”, fragte ihre Tochter.

“Er liegt oben im Bett und schläft”, rief Akane aus der Küche. “Die Medikamente wirken aber gut. Das Fieber ist bereits gesunken.”

“Das klingt gut.” Erleichterung breitete sich in Elsa aus. Sie hatte sich den ganzen Tag über Sorgen um ihren Sohn gemacht. Am liebsten wäre sie zuhause und bei ihm geblieben, doch ihre Mutter hatte ja irgendwie auch recht gehabt, als sie sie zum arbeiten geschickt hatte. Ihr Blick fiel auf ein Foto, das auf dem Esstisch lag. Sie nahm es in die Hand und legte erstaunt ihren Kopf schräg. “Mama”, rief sie, “was ist das denn für ein Foto von Masaru? Das kenne ich ja gar nicht. Wann habt ihr das aufgenommen?”

Mit großen Augen kam Akane aus der Küche. Das Foto … sie hatte es ganz vergessen zur Seite zu legen. Sie wollte es Ryotaro nachher noch zeigen, nachdem Chiyoko es ihr extra mitgeben hatte. Nun hielt es Elsa in der Hand und sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Wie würde ihre Tochter reagieren, wenn ihr klar wurde, dass sie ihr Geheimnis aufgedeckt hatte?

“Ähm, das ist …”, brachte sie unsicher hervor.

“Es ist auf jeden Fall sehr süß. Und so auf alt gemacht.” Elsa kicherte und fuhr über die Wange des Kindes auf dem Gesicht. “Man kann sogar sein Grübchen erkennen. Ach, Masaru ist einfach schon sehr süß.” Sie blickte auf. “Na gut, wenn Masaru noch schläft, meinst du, ich könnte kurz unter die Dusche springen oder soll ich dir bei irgendetwas helfen, Mama?”

Akane schüttelte ihren Kopf. “Nein, geh du erstmal in Ruhe duschen.”

“Dann mache ich das, vielen Dank, Mama. Und ich bin heute für das Abendessen zuständig.” Elsa lächelte, ehe sie sich herum drehte und das Wohn-Esszimmer wieder verließ.

Akane sah ihr mit stark klopfendem Herzen hinterher. Dass sogar Elsa Masaru in Mario sah, sagte doch klar aus, dass dieser wirklich der Vater von dem Jungen war. Sie musste dringend mit ihrem Ehemann reden und dann sehen, wie es weitergehen würde. Und sie hatte schon jetzt ein wenig Angst davor, was geschehen würde, wenn sie Elsa mit der Wahrheit konfrontierten.

Kapitel 13

“Na los mein Schatz, Oma und Opa warten schon auf uns.” Elsa hielt ihrem Sohn eine Hand entgegen, der auf dem Gehweg in der Hocke saß und eine Blume musterte. Er war zum Glück wieder gesund und hatte heute und auch gestern wieder in den Kindergarten gehen können.

“Oma Blume bringen?”, fragte Masaru und deutete auf die Pflanze vor sich. Seine Mutter nickte.

“Sie wird sich sicherlich freuen”, antwortete sie und beobachtete anschließend lächelnd, wie ihr Sohn voller Tatendrang die Blume pflückte und anschließend zu ihr kam, um ihr diese zu zeigen. Dann schob er seine kleine Hand vertrauensvoll in ihre und gemeinsam machten sie sich auf den Nachhauseweg.

“Wir sind da”, rief Elsa, kaum dass sie das Haus betreten hatten. “Masaru, warte noch kurz. Du musst erst noch deine Schuhe ausziehen, dann kannst du Oma deine Blume bringen.”

Masaru, der bereits loslaufen wollte, blieb stehen, ehe er sich auf den Boden setzte, die Blume zur Seite legte und seine Sandalen auszog, um im nächsten Augenblick die Blume erneut zu schnappen, aufzuspringen und mit einem lauten “Oma, Blume!” ins Wohnzimmer rannte. Schmunzelnd blickte ihm Elsa hinterher, ehe sie die Schuhe zur Seite räumte um ihren Sohn gleich darauf zu folgen.

“Er wollte dir unbedingt eine Blume mitbringen, Mama”, erklärte sie, als sie in den Raum eintrat. Im nächsten Moment erstarrte sie und ihr Herz zog sich zusammen, während sich ihre Augen weiteten.

“Elsa, gut, dass du da bist.” Ryotaro stand auf und deutete auf die Besucher, die auf dem Sofa saßen. “Du kennst sicher noch Chiyoko und Masao Hongo?”

Langsam nickte sie, während sich alles in ihr mehr und mehr zusammenschnürte. Was machten Marios Eltern hier? In Ordnung, ihre und seine Eltern verstanden sich schon lange. Vielleicht gab es einen ganz anderen Grund dafür, dass sie hier waren, als der, der Panik in ihr verursachte. Da ging draußen im Hausflur die Haustüre auf.

“Wir sind da”, erklang Gregors Stimme laut. Kurz darauf kam er ebenfalls zum Wohnzimmer. Elsa machte einen Schritt nach vorne, um ihn in den Raum zu lassen. Da erschien eine weitere Person hinter ihrem Bruder. Ihr Herz stockte, als ihr Blick auf ein Paar dunkle Augen fiel. Alles in ihr zog sich noch mehr zusammen. Und dann …

“Fußball-Onkel!”, erklang Masarus Stimme laut und begeistert. Im nächsten Augenblick rannte der Junge an seiner Mutter und Gregor vorbei, um sich in Marios Arme zu werfen, der sofort auf ein Knie gegangen war und nun seine Arme um ihn legte.

“Hallo Masaru”, erklärte er und strich ihm sanft über den Kopf. Als er aufblickte, erkannte er, dass Elsa ihn mit Panik in den Augen ansah. Schnell drehte er seinen Kopf, um sie nicht länger ansehen zu müssen. Das brachte ihn nur durcheinander und er fühlte sich wieder nicht wohl. Das wollte er nicht. Er musste einfach nur endlich über sie hinwegkommen. Da bemerkte er erst, dass seine Eltern auf dem Sofa von Daichis saßen.

“Mama, Papa, was macht ihr denn hier?”, fragte er erstaunt. Doch noch ehe jemand von ihnen antworten konnte, klang Elsas Stimme leise an seine Ohren.

“Du … du kennst Masaru?”

Ja, das war vorher eindeutig Panik in ihren Augen gewesen, denn nun schwang diese in ihrer Stimme los. Was war los? Dieses Mal war es nicht er, der antwortete, denn das übernahm sein bester Freund.

“Es tut mir wirklich leid, Schwesterherz. Masaru und ich waren vor einer Weile unterwegs und haben im Park Fußball gespielt, da sind wir auf Mario gestoßen und da Masaru unbedingt mit ihm spielen wollte, nachdem ich gesagt habe, dass Mario und ich zusammen spielen, haben wir das gemacht. Ich … ich weiß, ich sollte es ihm eigentlich nicht sagen, dass Masaru dein Sohn ist, aber anlügen wollte ich ihn in diesem Moment nicht. Das war nicht böse gemeint von mir”, versuchte Gregor seine Schwester zu beschwichtigen.

“Aber … aber …” Elsa versuchte sich zu fassen. “Masaru … er erzählt ständig von seinem Fußball-Onkel …”

“Ja, das, ähm, liegt daran”, Gregor hob eine Hand und fuhr sich schief grinsend durch die Haare am Hinterkopf, “dass wir uns seitdem regelmäßig treffen. Masaru hat Mario regelrecht ins Herz geschlossen. Ich wollte ihm das nicht verbieten.”

“Gregor, ich …”, begann Elsa, wurde aber von Mario unterbrochen.

“Ich habe Masaru auch in mein Herz geschlossen. Er ist ein toller kleiner Junge”, erklärte er leise. Trotz dieser Aussage sah ihn Elsa mit großen, weit aufgerissenen Augen an. Sie hatte jegliche Farbe im Gesicht verloren.

“Was … warum …?”, brachte sie hervor und sah die Anwesenden an. Das hier, dass alle hier waren, Marios Eltern, er … das bedeutete doch, dass sie es wussten, oder? Ihr wurde anders zumute. Sie musste hier weg, jetzt gleich.

“Masaru, ich … komm zu mir”, brachte sie leise hervor und streckte ihre Hand nach ihm aus.

Er hob seinen Kopf, sah sie an und verneinte. “Nein, Fußball-Onkel bleiben, Mama.”

Es brach ihr fast das Herz. Er wollte lieber bei Mario bleiben? Eine Träne löste sich aus ihrem Auge und lief ihre Wange hinunter.

“Masaru, bitte”, brachte sie krächzend hervor und hielt ihm ihre Hand immer noch entgegen.

“Gregor, könntest du bitte mit Masaru woanders hingehen? Wir müssen mit Elsa und Mario reden”, ertönte Akanes Stimme sanft aber bestimmt.

Sie weiß es!, durchfuhr es Elsa und sie sah ihre Mutter panisch an, während sie ihre Hand langsam sinken ließ.

“Ähm, ja klar, kann ich”, erwiderte Gregor, sah verwundert von seiner Mutter zu seinem Neffen, zu dem er sogleich trat. “Komm Großer, gehen wir noch ein bisschen Fußball spielen?”

Fragend sah Masaru Mario an. “Du auch, Fußball-Onkel?”

“Ich komme später nach”, antwortete Mario und legte seine Hand auf Masarus Kopf, um durch dessen schwarze Haare zu wuscheln, ehe er aufstand.

Während Gregor mit Masaru den Raum verließ, trat Mario einen weiteren Schritt unsicher in den Raum hinein und schob seine Hände in die Hosentaschen. Kurz glitt sein Blick über Elsa, ehe er seine Eltern ansah.

“Was ist los?”, fragte er verwirrt.

“Es geht um das hier”, erklärte Akane und hielt ein Foto hoch.

Verwundert musterte Elsa es. Das war doch das Foto, das vor ein paar Tagen auf dem Esstisch gelegen hatte.

“Was macht ihr mit meinem Foto?”, fragte Mario, der es gleich erkannt hatte. Sein Blick wanderte wieder zu seiner Mutter. “Mama?”

“Das ist doch Masaru”, kam Elsas Stimme kläglich über ihre Lippen. Ihre Fingernägel krallten sich in ihr Kleid. Das Foto war von Mario? Aber … das war doch Masaru und … Oh Gott. Sie hatte sich immer gedacht, dass ihr Sohn aussah wie sein Vater, das war richtig, aber … dass sie sich so ähnlich waren?

Auf ihre Aussage schien Mario klar zu werden, was das bedeutete. Mit großen Augen drehte er sich zu ihr und riss seine Hände aus seinen Taschen.

“Elsa?”, richtete er fassungslos an sie, schüttelte seinen Kopf, wie als ob er versuchen würde, den Gedanken wieder hinaus zu bekommen. Sein Finger deutete zur offenen Türe, durch die Gregor und Masaru vor ein paar Minuten verschwunden waren. “Du … du willst mir nicht sagen, dass …” Er blinzelte ungläubig. “Masaru … er ist mein Sohn?”

Elsa schlug eine Hand vor den Mund und machte einen Schritt zurück, als sein Blick auf ihren gerichtet war. Er wirkte, als wäre etwas in ihm zerbrochen.

“Ich … ich habe doch nur …”, brachte sie hervor, konnte den Satz jedoch nicht beenden. Was sollte sie nur sagen?

“Was? Was hast du nur?”, brüllte er auf einmal los, ignorierte alle anderen Anwesenden, wandte sich nun ganz Elsa zu. “Ich habe ein Kind? Einen Sohn, von dem ich bis gerade nichts wusste? Wie konntest du mir das nur verschweigen?”

“Ich … ich wollte doch …” Elsa ließ ihre Hand langsam wieder sinken, während ihr die Tränen in Sturzbächen über die Wangen liefen. “Ich wollte dein Leben doch nicht beeinflussen”, brachte sie schluchzend hervor.

“Du kannst mir aber nicht verschweigen, dass ich ein Kind habe! Du … wie konntest du nur? Du warst schwanger? Wir haben nur ein einziges Mal miteinander geschlafen!”

“Anscheinend hat das gereicht”, gab Ryotaro von sich und stand auf, ging auf die jungen Eltern zu, die im Wohnzimmer standen. Elsa war ein Häufchen Elend, während Mario vor Wut fast zu explodieren schien. Der Ältere legte eine Hand sanft auf Marios Schulter, um diesen ein wenig zu beruhigen, nicht, dass es wirklich half.

“Du hast es mir nicht gesagt! Nicht ein Wort. Du hättest mich anrufen können oder mir eine E-Mail schicken, ein Brief, was weiß ich! Stattdessen sagst du mir nicht, dass du schwanger bist, noch dass du ein Kind bekommen hast. Mein Kind!”

“Aber … ich konnte dir das doch nicht antun”, schluchzte Elsa und wandte ihre Hände vor sich umeinander. “Du … ich konnte damals schon nicht zulassen, dass du einfach alles für mich aufgibst, dass du mir nach Deutschland folgst.”

“Was heißt hier alles aufgeben? Ich wollte bei dir sein, ist das so schwer zu verstehen?” Mario knirschte wütend mit den Zähnen, um nicht wieder zu brüllen.

“Aber … wir wussten doch gar nicht, ob das mit uns beiden überhaupt halten würde, egal, wie lange ich schon Gefühle für dich und du für mich hattest. Und dann wolltest du alles aufgeben: deine Familie, deine Freunde, die Kickers. Das … das habe ich doch nicht zulassen können.”

“Du hast mir damals gesagt, dass es nichts bedeutet hat.” Mario ballte seine Hände zu Fäusten.

“Das … das hat es aber. Es hat mir alles bedeutet.”

“Nicht genug!”

“Doch. So viel, dass ich dein Leben nicht beeinflussen wollte. Ich wollte dir das, was dir am Herzen liegt, nicht nehmen. Nur deshalb habe ich behauptet, dass es mir nichts bedeutet hat.”

“Du bist schwanger gewesen, Elsa! Du hast meinen Sohn bekommen. Meinen Sohn! Das hat nichts mehr mit nichts bedeuten zu tun.” Wieder knirschte er mit seinen Zähnen, während Elsa mehr und mehr in sich einzusinken schien.

“Ich … das hätte dein Leben doch noch viel mehr beeinflusst. Ich habe meine Entscheidung getroffen, für das Baby. Für Masaru. Aber … ich konnte die Entscheidung doch nicht für dich treffen. Daher habe ich entschieden”, Elsas Blick huschte verunsichert zu ihren Eltern, ehe sie wieder den Vater ihres Sohnes ansah, “es dir nicht zu sagen. Dann konntest du dein Leben einfach weiterleben.”

“Stattdessen hast du uns alle angelogen.” Akane sah ihre Tochter an. “Du hast immer behauptet, du hattest direkt als du in Deutschland warst etwas mit einem unbekannten Jungen.”

“Ich … ich wollte Mario sein Leben lassen. Ich meine, er war zu dem Zeitpunkt doch auch erst neunzehn Jahre alt, als ich schwanger geworden bin. Ich hätte sein ganzes Leben ruiniert!”

“Hast du dein Leben denn ruiniert, Liebes?”, fragte Chiyoko und sah Elsa aufmunternd an. Diese schüttelte ihren Kopf. “Na siehst du? Damit hat es nichts zu tun.”

Elsa fühlte sich für einen Moment leichter, nur für einen ganz kurzen, denn:

“Es ist ganz allein meine Entscheidung, was mein Leben ruiniert und was nicht! Du hättest diese Entscheidung nicht für mich treffen dürfen!”, knurrte Mario und ließ sie sofort wieder auf den Boden der Tatsachen fallen. “Das was du da gebracht hast …” Er stockte, schüttelte seinen Kopf. “Mir fehlen die Worte dafür.” Er schloss seine Augen und drückte seine Hände gegen seine Schläfen. Kopfschmerzen breiteten sich aus, was ja auch kein Wunder war. “Masaru ist mein Sohn.”

“Ja, das ist er”, erklärte seine Mutter.

“Aber … ich … Das will nicht in meinen Kopf hinein. Es ist nicht so, dass ich mir das nicht auch schon einmal überlegt habe, aber …”, er blinzelte, “ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass du mir so etwas verschweigst, Elsa, nicht etwas so Lebensveränderndes!” Er blickte sie wieder an und sofort zuckte sie unter seinem Blick zusammen. Er war so wütend, so kannte sie ihn nicht.

“Ich verurteile das, was du getan hast aufs übelste. Am liebsten würde ich nichts mehr mit dir zu tun haben. Aber”, er senkte seine Hände, “das geht nun nicht mehr.”

“Was meinst du damit?”, fragte die Mutter seines Sohnes unsicher.

“Masaru ist mein Kind. Du hast mir die ersten drei Jahre seines Lebens genommen, den Rest wirst du mir nicht auch noch nehmen. Ich will sein Vater sein, egal was ist. Wir werden also tun, was dafür notwendig ist. Muss ich nicht”, er sah fragend zu seinen Eltern, “muss man da nicht irgendwas veranlassen? Auf einem Amt oder so? Dass ich als sein Vater, was weiß ich, eingetragen werde oder so?”

“Das muss man beim Jugendamt machen lassen. Du lässt deine Vaterschaft anerkennen, nennt sich Vaterschaftsanerkennung”, antwortete allerdings Ryotaro ihm.

“Muss ich dazu einen Vaterschaftstest machen? Denn dann machen wir den sofort.” Mario wandte sich Elsas Vater zu.

“Hmm, an sich nicht, wenn es die Mutter bestätigt. Wenn Elsa allerdings nicht mitmachen will, dann müsste man im äußersten Fall einen gerichtlichen Beschluss anfordern. Aber müssen wir das?” Ryotaro sah seine Tochter ernst an.

“Müssen wir uns überhaupt Gedanken darüber machen, dass ein anderer Mann als Mario als Masarus Vater in Frage kommt?” Akane blickte ihre Tochter ebenfalls an.

Diese sah mit großen Augen über alle Anwesenden, blieb zum Schluss mit ihrem Blick an Mario hängen. Er sah sie herausfordernd an, wie als ob er hoffen würde, dass sie etwas ablehnte, so dass er regelrecht explodieren könnte. Er wirkte wütend, aber sie konnte es ihm nicht verdenken. Zudem wirkte er entschlossen. Er würde alles machen, um Masarus Vater zu sein, darüber war sie sich gerade sicher. Elsa senkte ihren Blick und sah zur Seite.

“Nein”, flüsterte sie, “Mario ist Masarus Vater. Ich … ich hatte nichts mit einem anderen. Weder hier in Japan noch danach in Deutschland”, antwortete sie leise. Wie hätte sie auch einen anderen Mann haben können? Derjenige, dem ihr Herz gehörte, dessen Kind bekam sie.

“Dann machen wir das so schnell wie möglich. Ich werde mich um alles kümmern.” Ryotaro nickte ernst.

“Wenn du irgendetwas brauchst, dann sag etwas, dann helfe ich ebenfalls dabei”, fügte Masao hinzu.

Mario wandte sich wieder Elsa zu. Sein Blick war unnachgiebig auf sie gerichtet. “Masaru ist mein Sohn. Ich will ab sofort ein Teil seines Lebens sein. Ich werde mich nicht zurückhalten! Komm nur nicht auf irgendwelche dummen Ideen, dass du mir absurde Forderungen stellen kannst! Ich gehe davon aus, dass ich dir Unterhalt für ihn zahlen muss. Ich werde mich darum kümmern!”

“Das … das musst du nicht”, erwiderte Elsa leise.

“Es ist mir völlig egal, was du meinst, was ich muss oder nicht. Ich will mit dir an sich nichts mehr zu tun haben, da das aber nicht möglich ist, müssen wir uns arrangieren. Sobald wir einen Termin bekommen, dass du die Vaterschaftsanerkennung unterschreibst, werde ich ihn dir mitteilen!” Und damit drehte er sich herum. “Ich gehe nach meinem Sohn sehen!”

“Mario. Bitte sag es ihm noch nicht”, brachte sie hervor.

“Warum?” Er blickte über seine Schultern, funkelte sie wütend an. “Um so zu sein wie du? Einfach nichts sagen? Alle anlügen?”

Wieder traten die Tränen, von denen sie gedacht hätten, dass sie ausgeweint wären, in ihre Augen. “Nein … ich … wir sollten es ihm in Ruhe sagen.”

“Elsa hat recht, Mario.” Masao sah diesen an. “Versuch etwas herunterzukommen. Dein Sohn”, er stockte, das Wort ging ihm noch nicht wirklich über die Lippen, “wird es spüren, wie du dich fühlst. Kinder haben sehr feinfühlige Antennen. Wenn du ihm in dieser Stimmung sagst, dass du sein Papa bist, wird er das negativ besetzen.”

“Dein Vater hat recht”, stimmte Chiyoko zu. “Lass ruhig noch ein paar Tage vergehen und dann seht, wie ihr es macht. Aber Elsa sollte dabei sein, dass sie Masaru erklären kann, wer du für ihn bist.”

“Aha.” Abwertend sah Mario Elsa an, eher er seinen Blick erneut abwandte. “Dann machen wir das eben so.”

Elsa sah ihm hinterher, als er den Raum verließ. Sie schlug ihre Hände vor ihren Mund, versuchte so ein Schluchzen zu unterdrücken, doch das funktionierte nicht. Als sich eine Hand auf ihre Schulter lag, blickte sie auf. Ihre Mutter sah sie mitleidig an.

“Elsa, es ehrt dich zwar, dass du ihm so eine Last nicht in seinem jungen Alter aufbürden wolltest und deshalb diese Entscheidung getroffen hast, aber er hat recht. Das ist eine Entscheidung, die nicht du für ihn treffen kannst und nie hättest treffen dürfen.”

“Deine Mutter hat recht. Dass du alle anlügst, das war nicht in Ordnung. Und vor allem war es Masaru gegenüber unfair. Er hat ein Recht darauf, zu wissen, wer sein Vater ist.”

Er sah sie ernst an, so dass Elsa nickte.

“Ich … ich weiß, dass du, dass ihr recht habt”, brachte sie leise hervor und blickte auf den Boden, während die Tränen über ihre Wangen liefen. “Es tut mir leid, dass ich euch angelogen habe … dass ich Masaru angelogen habe und …” Sie schlug beide Hände nun vor ihr ganzes Gesicht.

“In erster Linie musst du dich bei Mario entschuldigen. Es war mehr als ein Schock für ihn, wie für uns andere. Aber hat auch damit recht, dass du ihm die ersten drei Jahre mit seinem Sohn genommen hast. Jetzt müsst ihr beide schauen, wie ihr das zukünftig hinbekommt.”

Und während Elsa nickte, von ihren Schluchzern geschüttelt, nahm Akane sie in die Arme, drückte sie fest an sich und sah dabei ihren Ehemann an. Nun war die Wahrheit also ans Licht gekommen.

Kapitel 14

Mit schnellen Schritten war Elsa auf dem Weg zum Kindergarten, um Masaru abzuholen. Sie wühlte in ihrer Handtasche um zu schauen, ob sie noch von den Lieblingsknabbereien ihres Sohnes dabei hatte. Zufrieden schloss sie ihre Tasche gleich darauf. Doch, alles war eingepackt. Sie hob ihren Kopf und blieb im nächsten Augenblick abrupt stehen. Wie erstarrt sah sie zu dem Mann, der vor dem Kindergarten stand. Er hatte sich an der Wand angelehnt, ein Fuß dagegen gestützt, die Arme vor seinem Oberkörper verschränkt. Als sich ihre Blicke trafen, stieß er sich von der Wand ab und machte zwei Schritte auf sie zu, während er seine Hände in seine Hosentaschen schob.

“Mario.” Mit stark schlagendem Herzen trat Elsa unsicher auf ihn zu und schob sich das Band ihrer Tasche über die Schulter. “Was machst du denn hier?”, fragte sie verunsichert.

“Was wohl? Ich will meinen Sohn sehen!” Seine Stimme klang sehr ungehalten, schon fast knurrend.

“Meinst du, dass das …”

“Elsa, es ist mir völlig egal, was du denkst oder meinst! Ich will ihn sehen und ich kann da nicht einfach reingehen, daher habe ich auf dich gewartet. Also können wir?” Mario deutete auf den Eingang, ehe er sich umdrehte und einfach loslief, ohne auf sie zu warten.

Elsas Herz schlug immer noch sehr schnell. Alles in ihr zog sich zusammen. Dass er immer noch wütend war, konnte sie ja verstehen, das hatte er ihr vor zwei Tagen ja auch eindeutig klar gemacht. Schnell machte sie, dass sie ihm hinterher kam.

“Wir müssen hier entlang”, gab sie leise von sich und ging an ihm vorbei, als er direkt vor der Eingangstüre stehen blieb. Ohne eine Antwort abzuwarten, lief sie in den hinteren Teil des Gebäudes, wo Masarus Gruppe untergebracht war. Dort öffnete sich gerade die Türe und eine Erzieherin kam heraus. Ihr Blick fiel auf Elsa.

“Ah, sehr schön. Masaru, deine Mama ist da”, rief sie über ihre Schulter in den Raum hinein. Der kam gleich aus dem Raum gehüpft. “Mama!” Begeistert schwenkte er ein Blatt Papier. “Bild gemalt! Da Mama und Masaru!”, rief er und stoppte direkt vor ihr, um ihr das Bild zu präsentieren.

“Oh, das hast du aber schön gemacht”, lobte Elsa ihn und ging in die Hocke, um das Bild in die Hände zu nehmen. In dem Augenblick fiel Masarus Blick auf Mario.

“Fußball-Onkel!”, rief er laut und rannte zu ihm, um sich in seine Arme zu werfen.

“Hallo mein Großer”, begrüßte er diesen und drückte ihn sanft an sich.

Der Blick der Erzieherin richtete sich auf Mario. “Oh, ich kenne Sie doch. Sie ein Freund seines Onkels, richtig?”

Der Angesprochene nickte und stand auf, sein Blick verfinsterte sich, während er eine Hand auf Masarus Kopf liegen ließ.

“Wie sich herausgestellt hat, bin ich wohl tatsächlich Masarus Vater. Sie hatten mit ihrer Aussage bezüglich des ähnlich sehens also recht”, gab er dabei leise von sich, so dass sein Sohn ihn nicht verstehen konnte.

“Oh.” Die Erzieherin sah von ihm zu Elsa. Deren Wangen färbten sich rot.

“Mario …”, gab sie leise von sich.

“Spar es dir, Elsa! Was du gebracht hast geht gar nicht!”

Oh ja, er war mehr als wütend. Unsicher hob sie ihre Schultern. “Du weißt doch, warum ich das getan habe”, brachte sie überfordert hervor.

“Es ist nicht entschuldbar, dass du mir das so lange verschwiegen hast, Elsa Daichi!” Sein Blick richtete sich aus blitzenden Augen auf sie.

Sofort zuckte Elsa zusammen. “Mario, können wir darüber wann anders reden und nicht hier?”, fragte sie. Unsicher blickte sie ihn an.

“Wenn du überhaupt mit mir redest, das hast du die letzten fast vier Jahre ja auch nicht!”

“Mario, bitte. Du weißt …”

“Spar es dir, Elsa.”

“Na komm mal, Masaru. Wir beide gehen dir kurz die Schuhe anziehen.” Die Erzieherin nahm diesen an der Hand und ging mit ihm zu Garderobe. Dabei sah sie nochmal zu dessen Eltern. “Nicht vor dem Jungen bitte.”

Peinlich berührt nickten Elsa und Mario. Das hatten sie beide nicht wollen. Mario ballte seine Hände zu Fäusten und schob sie tief in seine Hosentaschen. Er ging ein paar Schritte zur Seite. Er konnte seine Emotionen bezüglich Elsa aktuell einfach nicht kontrollieren, aber das wunderte sicherlich niemanden. Was erwartete man auch von ihm? Dass er das einfach so hinnahm, was sie gebracht hatte? Dass sie ihm verschwiegen hatte, dass er einen Sohn hatte? Dass sie diesem verschwiegen hatte, dass er sein Vater war? Er biss seine Zähne zusammen und sah zur Seite, so dass sein Blick ja nicht auf Elsa traf. Er konnte für nichts garantieren. Auch sie wich seinem Blick ab, starrte betreten auf den Boden. Beide schwiegen, bis die Erzieherin mit Masaru wieder zurückkam.

“Ähm, Akiko”, richtete Elsa leise an sie.

“Ja, Frau Daichi?” Fragend sah die Angesprochene sie an.

“Wenn Mario, also Herr Hongo, Masaru zukünftig auch abholen soll, muss ich da noch irgendetwas veranlassen oder reicht es, wenn ich es Ihnen sage?”

Die Erzieherin blickte erstaunt auf, ehe sie lächelte. “Sie müssten mir da noch kurz einen Berechtigungszettel ausfüllen. Wollen Sie ihn mitnehmen und uns morgen wieder mitbringen oder gleich hier ausfüllen?”

“Wenn es okay ist”, Elsa blickte unsicher zu Mario, der sie mit großen Augen erstaunt ansah, “dann würde ich ihn gleich unterschreiben.”

“Dann kommen Sie doch mit mir mit ins Büro.”

Elsa nickte, ehe sie sich Masaru zuwandte. “Schatz, bleibst du kurz bei Mario? Ich bin gleich wieder da.” Sie richtete sich auf, sah zu dem Vater ihres Sohnes, der mit ihrer Aktion wohl nicht gerechnet hatte. “Kannst du so lange nach ihm schauen?”

“Natürlich. Wir warten hier auf dich, nicht wahr, Großer?” Er legte erneut eine Hand auf Masarus Kopf. Der Junge war zu ihm getreten, sah jetzt auf und lächelte ihn strahlend an.

Elsa folgte der Erzieherin und füllte gleich darauf den Zettel aus, der Mario zukünftig dazu berechtigte, ihren gemeinsamen Sohn ebenfalls abzuholen, auch ohne dass sie dabei war.

“Es tut mir leid, dass wir das Ganze hier vor Ihnen und vor allem Masaru so herausposaunt haben. Das wollte ich eigentlich nicht. Wir … ich habe es ihm erst vor zwei Tagen gesagt, dass er …” Sie stockte und Tränen traten in ihre Augen. “Ich habe das nicht gemacht, um ihn zu verletzen”, flüsterte sie. “Ich wollte sein Leben nur nicht so beeinflussen, beeinträchtigen. Wir waren doch beide erst neunzehn, als ich schwanger geworden bin. Ich wollte ihn sein Leben leben lassen, deswegen habe ich es ihm nicht gesagt. Zudem war ich doch gar nicht in Japan und Deutschland war so weit weg. Ich weiß, dass es nicht richtig von mir war, aber …” Erneut brach sie ihren Satz ab und fuhr mit der Hand über ihre nassen Wangen. “Entschuldigen Sie erneut, ich wollte Ihnen das alles gar nicht so vorheulen.”

“Schon in Ordnung.” Die junge Frau lächelte und nahm den Zettel entgegen, den Elsa ausgefüllt und unterschrieben hatte. “Frau Daichi”, richtete sie anschließend an diese.

“Ja?”

“Ich hoffe ich trete Ihnen nicht zu nahe, aber … wir haben Herrn Hongo vor einiger Zeit einmal getroffen, als wir mit der Gruppe einen Ausflug gemacht haben. Auch wenn Masaru bisher nicht wusste, dass Herr Hongo sein Vater ist, er mag ihn sehr. Und so wie ich Herrn Hongo beobachtet habe, sieht es auf dessen Seite ebenso aus. So wie ich es sehe würde ich sagen, es ist ihm einfach nur wichtig, jetzt ein Teil von Masarus Leben zu sein. Und ich bin mir sicher, Ihrem Sohn kann es auch nicht schaden.”

Ein kleines Lächeln erschien auf Elsas Zügen. “Danke, Akiko. Ich … ich will versuchen, dass Mario ein Teil von Masarus Leben ist. Das hätte ich ihn schon früher sein lassen sollen … Aber ich hoffe”, sie sah auf den Zettel, den die Erzieherin gerade in einem Ordner abheftete, “dass das ein Beginn ist.”

“Ich denke schon. Aber vergessen Sie nicht, wenn es kein Notfall ist, uns morgens Bescheid zu geben, wer vorbeikommt und Masaru abholt.”

“Das mache ich. Und eine Bitte hätte ich noch an Sie.” Die Erzieherin blickte auf Elsas Aussage fragend auf. “Wir haben es Masaru noch nicht gesagt, dass Mario tatsächlich … dass er sein Vater ist. Aktuell ist es für ihn noch sein Fußball-Onkel. Wir … wollen es zur richtigen Zeit machen und …”

“Ich verstehe, Frau Daichi. Wir werden Masaru gegenüber nichts sagen.”

Dankbar nickte Elsa auf Akikos Worte, dann verließen die Frauen gemeinsam das Büro. Die Erzieherin verabschiedete sich von Masaru und dessen Eltern, ehe sie wieder in die Gruppe gingen. Mario und Elsa verließen gemeinsam mit ihrem Sohn das Kindergartengebäude und blieben davor stehen.

“Habt ihr heute noch etwas geplant?”, richtete Mario an die Mutter seines Sohnes, die nach einem kurzen Zögern den Kopf schüttelte.

“Nein, haben wir nicht.”

“Ich würde gerne mit Masaru in den Tierpark gehen, wenn es für dich in Ordnung ist.”

Der Griff von Elsas Händen festigten sich. Die eine um das Band ihrer Tasche, die andere um Masarus Hand. Erneut zögerte sie. Sie biss sich auf die Unterlippe, ehe sie auf ein Knie ging und ihren Sohn anblickte.

“Schatz, Mario möchte gerne noch mit dir in den Tierpark. Was meinst du, hast du Lust?”

Das Strahlen in Masarus Augen war eigentlich schon Aussage genug.

“Ja, Fußball-Onkel Tiere anschauen!”

“Dann macht ihr das doch.” Elsa griff nach Masarus kleinem Rucksack. Sie verstaute die Knabbereien aus ihrer Handtasche in diesem und überprüfte, dass noch genug zum Trinken in seiner Flasche war, ehe sie sich wieder aufrichtete. Sie wandte sich dem vor ihnen Stehenden zu.

“Kommst du mit?”, fragte er in dem Augenblick und überraschte sie damit. Sie war sich sicher gewesen, dass er sie nicht sehen wollte, was sie ihm auch nicht verübeln konnte. Zangsam nickte sie.

“Wenn … es für dich okay ist? Ansonsten könnt ihr zwei auch ohne mich gehen. Du solltest ihn nur bis …”

“Elsa, ich hätte dich nicht gefragt, wenn ich es nicht so meinen würde. Alles andere wäre Schwachsinn.” Mit hochgezogenen Augenbrauen seufzte er. Sofort zog Elsa ihre Schultern hoch, ehe sie ein weiteres Mal nickte.

“Dann würde ich gerne mitkommen”, antwortete sie auf seine Frage.

“Gut. Dann gehen wir. Hey Großer”, er sah Masaru an, “kommst du mit?” Er hielt ihm seine Hand entgegen, die von dem Jungen gleich ergriffen wurde.

Elsa sah den beiden hinterher. Mario war nicht gut auf sie zu sprechen, das war ihr bewusst und er hatte jedes Recht dazu. Als er mit ihr gesprochen hatte, hatte sie ihm trotz seiner Einladung und ihrer Aussage dazu, ansehen können, dass er sie gerade nicht sonderlich ausstehen konnte. Doch kaum dass er sich ihrem gemeinsamen Sohn zugewandt hatte, hatte sich seine ganze Ausstrahlung gewandelt. Es war nichts mehr von der Ablehnung zu spüren, die er ihr gegenüber empfand. Er lächelte, strahlte über das ganze Gesicht und sie konnte nachvollziehen, was Masarus Erzieherin vorher gemeint hatte. Sein Sohn lag Mario wirklich am Herzen. Er wollte sein Vater sein, nicht nur sein Erzeuger und das würde sie ihm niemals nehmen. Mario sollte Teil von Masarus Leben sein.

“Kommst du?”, rief Mario da über seine Schulter, ohne sie anzusehen.

“Ich komme”, antwortete Elsa und folgte ihm gleich darauf.
 

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Sie hatten viel Spaß gehabt und nach fast drei Stunden lieferte Mario Masaru und Elsa bei Daichis ab. Er ging in die Knie und umarmte seinen Sohn fest, ehe dieser ins Haus hineinging.

“Ich komme gleich nach”, richtete Elsa an ihre Mutter, die den Jungen in Empfang nahm. Anschließend trat sie wieder nach draußen, wo Mario noch stand. Sie schloss die Türe hinter sich und trat auf ihn zu. Mit genug Abstand blieb sie vor ihm stehen.

“Mario”, begann sie und zögerte, schien zu überlegen, was sie sagen sollte. Sie schloss kurz die Augen, ehe sie lächelte. “Ich wollte dir für den Ausflug danken. Masaru hat es wirklich sehr gefallen.”

“Das hat es mir ebenso.” Auch er stockte einen Moment, ehe er weitersprach. “Danke, dass ihr mitgekommen seid. Beziehungsweise, dass du ihn auch allein mit mir hättest gehen lassen.”

Sie hob ihre Schultern. “Du bist sein Vater … und … ich vertraue dir. Das habe ich schon früher, würde ich auch heute wieder. Auch wenn wir beide … wenn ich … Egal was, ich weiß, dass Masaru bei dir in guten Händen ist. Ich weiß auch, dass du nicht gut auf mich zu sprechen bist. Nicht aktuell, vielleicht auch nie wieder. Aber egal wie”, sie legte ihren Kopf schräg, “du bist sein Vater und ich fände es schön, wenn du ein Teil seines Lebens bist.”

Er nickte. “Das möchte ich sehr gerne. Ich mochte ihn schon, bevor ich wusste, dass er mein Sohn ist. Obwohl ich wusste, dass er dein Sohn ist.”

Diese Aussage stach in Elsas Herz, doch sie ließ es sich nicht anmerken.

“Jetzt weiß ich, dass er ein Teil meines Herzens ist. Also nochmal, ja, ich will ein Teil seines Lebens sein und ich werde alles dafür geben.” Mario ballte entschlossen seine Hände zu Fäusten, ließ seinen Blick fest auf Elsa gerichtet. Schüchtern lächelten sie sich einen Augenblick an, ehe sie beide wieder ernst wurden.

“Vielleicht sollten wir ihm wirklich bald sagen, dass du sein Vater bist. Meinst du nicht auch”, Elsas legte eine Hand auf ihren anderen Oberarm und hielt sich verunsichert daran fest, “dass sich Papa schöner anhört als Fußball-Onkel?” Als sich Marios Augen weiteten, riss sie ihre auf. “Das … das tut mir leid, er muss dich natürlich nicht Papa nennen, das muss nicht sein. Vielleicht finden wir auch eine andere Bezeichnung als Fußball-Onkel. Er kann dich ja auch Mario nennen oder -”

“Elsa”, unterbrach er ihr nervöses Geplapper, “ich fände es wundervoll, wenn Masaru Papa zu mir sagen würde.”

Erleichterung überkam Elsa. Da fiel ihr noch etwas ein. “Ähm, meinst du, wir sollten vielleicht unsere Handynummern tauschen? Dann ist es vermutlich einfacher, Absprachen bezüglich Masaru zu treffen.”

“Das klingt sinnvoll.” Mario zog sein Handy aus seiner Hosentasche und trat zu ihr, ließ den Abstand zwischen ihnen verschwinden. Nachdem sie die Nummern getauscht hatten, sah er sie ernst an. “Danke dir nochmal für den Nachmittag. Ich gehe dann nach Hause. Und wir schreiben die Tage und überlegen, wie wir es mit Masaru machen.”

“Ja.” Elsa nickte und beobachtete, wie er sich auf den Weg machte. Am Gartentörchen blieb er stehen und drehte sich noch einmal zu ihr um.

“Elsa, ich wollte noch danke sagen, dass du mir die Berechtigung ausgestellt hast, dass ich Masaru ebenfalls im Kindergarten abholen darf. Das bedeutet mir ebenfalls viel.”

Wieder konnte sie nur nicken, dann ging er davon und ließ eine junge Frau stehen, deren Herz gerade durchzudrehen schien.

Kapitel 15

“Masaru schläft.” Mit einem Lächeln auf den Lippen trat Elsa ins Wohn-Esszimmer ein, wo ihre Mutter und der Vater ihres Sohnes am Esstisch saßen. “Dass du ihn heute zu eurem Kickers-Training mitgenommen hast, hat ihm sehr gefallen. Er hat gar nicht mehr aufgehört darüber zu reden.” Ein leises Lachen entkam ihr. “Also wenn ihr dann irgendwann Nachwuchs für die nächste Kickers-Generation sucht, der erste Kandidat steht bereits bereit.”

Auch Mario lachte leise. “Das freut mich sehr zu hören. Und ja, er hatte wirklich Spaß und war ganz begierig auf alles. Er hat versucht, bei all unseren Trainingseinheiten mitzumachen. Natürlich konnten wir das Training heute nicht so ausführen wie sonst, aber die anderen haben sich auch alle darüber gefreut, dass er dabei war. Ich werde ihn auf jeden Fall noch einmal mitnehmen. Vermutlich auch öfter, als nur einmal.”

“Sehr schön. Zumindest war er total fertig und ist schnell eingeschlafen.” Elsa setzte sich Mario gegenüber an den Esstisch. “Aber du wolltest noch mit mir reden?”

Mario wusste seit fast zwei Monaten davon, dass er Masarus Vater war. Sie hatten sich zusammengerauft, wollten die besten Eltern für ihren Sohn sein. Sie waren beide für ihn da und bekamen es zusammen hin, meistens zumindest. Trotzdem nahm er Elsa immer noch übel, dass sie ihm die Schwangerschaft und auch die ersten drei Jahre von Masarus Leben verschwiegen hatte, dass es den kleinen Jungen gab. Er wurde ernst.

“Ich habe eine Wohnung gefunden, in die ich im November einziehen kann.”

“Du … ziehst weg?”, fragte Elsa unsicher.

“Nein, ich bleibe hier ganz in der Nähe. Es ist eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Ein paar Blöcke von hier entfernt, nur zehn Minuten zu Fuß”, antwortete Mario.

“Hältst du es Zuhause bei deinen Eltern nicht mehr aus?”, fragte Akane schmunzelnd. Ihr war klar, dass es nicht so war.

Der Angesprochene schüttelte seinen Kopf. “Nein, das ist es nicht. Aber … ich bin 23, ich habe einen guten Job und verdiene genug Geld. Außerdem bin ich Vater. Ich will Masaru auch ein Zuhause bieten können. Natürlich freuen sich meine Eltern, wenn er da ist, aber bei ihnen ist doch gar kein richtiger Platz für ihn. Mein Zimmer ist nur ein Schlauch, das ist nichts für ihn. Doch in der Wohnung hat es genug Platz, für mich und ihn.” Er richtete seinen Blick auf die Mutter seines Sohnes. “Und deshalb will ich, dass Masaru bei mir einzieht.”

Elsas Augen weiteten sich und alles an ihr spannte sich an. “Ich … das … du kannst nicht …”

“Elsa, es geht mir nicht darum, dass ich ihn dir wegnehmen will, das will ich auf keinen Fall. Du bist seine Mutter, das wirst du immer sein”, versuchte Mario sie zu beschwichtigen. Es war ihr anzusehen, dass sie schier durchdrehte. Sie sprang auf und schüttelte ihren Kopf. “Nein. Du … Er gehört zu mir! Er ist mein Kind, mein Baby! Er muss da sein, wo auch ich bin!” Tränen traten in ihre Augen.

“Er ist auch mein Kind, falls du das mal wieder vergessen haben solltest”, antwortete er sofort bissig.

“Das habe ich nicht vergessen!”, zischte sie zurück. “Aber ich will ihn dir auch nicht wegnehmen!”

“Hast du mir nicht zugehört, Elsa? Ich will ihn dir nicht wegnehmen! Aber ich will auch mehr von ihm haben! Ich will Zeit mit ihm verbringen und …”

“Du verbringst viel Zeit mit ihm, Mario! Du siehst ihn fast jeden Tag! Zudem ist er dreimal in der Woche bei dir!”

“Das reicht mir nicht, Elsa! Ja, ich sehe ihn regelmäßig, aber ich will mehr als das. Ich will, dass wir einen Alltag haben, einen gemeinsamen! Ich muss ihn immer abends hierher bringen, dass er schlafen kann. Ich kann ihn nicht ins Bett bringen oder morgens mit ihm aufstehen. Ich richte ihn morgens nicht und bringe ihn ebenso wenig in den Kindergarten! Aber das alles will ich genauso tun wie du!”

“Dann bleibe hier um ihn abends ins Bett zu bringen und komm einfach früh morgens, um ihn zu wecken!” Elsa warf ihre Hände in die Luft. “Das ist doch kein Problem.”

“Für dich ist es so einfach, Elsa, für mich aber nicht!” Mario schüttelte entschieden seinen Kopf. “Ich will keine Minute des Lebens meines Sohnes mehr verpassen. Du hast mir die ersten drei Jahre von Masaru genommen, die weiteren gebe ich dir nicht!”

“Das wirst du mir mein Leben lang vorhalten, nicht wahr, Mario?”, brachte Elsa hervor und wich einen Schritt zurück, während Tränen in ihre Augen traten. “Ich weiß, dass das ein Fehler war, aber können wir das nicht langsam vergessen?”

“Vergessen?” Mario stand ebenfalls auf, stützte sich mit beiden Händen auf der Tischfläche vor sich ab und lehnte sich nach vorne. “Vergessen? Das kann ich nicht! Das ist keine Lappalie, die ich einfach vergessen könnte, Elsa! Du hast mir mein Kind vorenthalten!”

“Elsa, Mario!”, erklang Akanes Stimme streng und brachte die jungen Eltern wieder ins Hier und Jetzt zurück. “Beruhigt euch bitte. Es geht um euer gemeinsames Kind. Ihr solltet an einem Strang ziehen und nicht wieder anfangen zu streiten. Damit tut ihr beide euch überhaupt keinen Gefallen.” Sie wurde von beiden angesehen, ehe sowohl Elsa als auch Mario sich wieder auf ihre Stühle setzten.

“Meine neue Wohnung hat ein Kinderzimmer und das werde ich für Masaru einrichten. Ich habe mich extra nur auf Drei-Zimmer-Wohnungen beworben und bei allen geschaut, dass sie hier in der Nähe sind.” Mario rieb sich die Schläfen. “Elsa, ich habe mich informiert. Bitte verstehe es nicht falsch, ich finde, dass du eine sehr gute Mutter bist. Masaru liebt dich und ich will euch beide nicht trennen.”

Die ihm Gegenübersitzende erstarrte erneut. Wenn er schon so anfing, was kam dann jetzt? Alles in ihr zog sich zusammen.

“Es gibt ein sogenanntes Wechselmodell, bei dem das Kind abwechselnd zeitweise bei beiden Elternteilen wohnt. Zum Beispiel eine Woche bei dir, eine Woche bei mir. Da er aber noch so jung ist, wäre es vielleicht sinnvoller, dass wir alle drei Tage oder so wechseln. Das bedeutet, er lebt drei Tage bei dir. Am dritten Tag hole ich ihn im Kindergarten ab und er wohnt bei mir. An meinem dritten Tag holst du ihn im Kindergarten ab, falls es ein Wochenende trifft, dann machen wir etwas anderes aus. Natürlich mit Ausnahmen, aber das können wir dann ja besprechen.”

Kaum dass er das ausgesprochen hatte, sprang Elsa auf. Erneut schüttelte sie fassungslos ihren Kopf. “Das … nein. Nein!”

“Bitte Elsa, Masaru hat hier doch gar kein eigenes Zimmer. Bei mir hat er eines, das wird ihm gefallen. Und er ist alt genug dafür.”

“Aber … das stört ihn nicht! Wir haben seit seiner Geburt immer in einem gemeinsamen Zimmer gelebt”, wandte sie sofort ein. Als sie eine Hand auf ihrem Unterarm spürte, sah sie zur Seite, von wo aus ihre Mutter sie anblickte.

“Liebes, es tut mir leid, es dir jetzt so sagen zu müssen, vor allem, weil ich weiß, dass du das nicht hören willst. Mario hat recht. Natürlich macht es Masaru nichts aus, das Zimmer mit dir zu teilen, aber er wird größer und irgendwann braucht er seinen Rückzugsort. Und das ist eigentlich nur der kleine Teil, den ich gut und richtig finde. Das, was viel schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass Mario Masarus Vater ist. Er will mehr Zeit mit seinem Sohn verbringen. Darüber solltest du dankbar sein, es gibt genug Männer, die das nicht wollen. Für ihn steht, genauso wie für dich, Masaru an erster Stelle. Ihr beide müsst da eine Lösung finden und diese sollte nicht für euch passen, sondern in erster Linie für euren Sohn.”

Elsa schluckte, als sie vernahm, was ihre Mutter ihr sagte. Unsicher sah sie zu Mario hinüber. Er erwiderte ihren Blick und sie konnte ihm ansehen, dass ihm das alles nicht so leicht fiel, wie man vielleicht denken könnte, vor allem, da er alles logisch herüber gebracht hatte und auch seine Stimmlage nicht anmerken ließ, dass er ebenfalls unsicher war.

“Es … gibt noch eine weitere Möglichkeit”, brachte er zögernd hervor, als ihm diese Idee kam.

“Und die wäre?”, fragte Akane anstelle von Elsa, die kein Wort hervorbrachte.

“Du … könntest mit mir und Masaru in die Wohnung einziehen, Elsa. Dann hätte er uns beide und wir müssten uns keinen Kopf darüber machen. Ihr beide wärt zusammen und er und ich. Die Wohnung hat nur zwei Schlafzimmer, aber da können wir sicherlich irgendeine Lösung finden.”

Elsa blickte ihn ungläubig an. Mit ihm und Masaru zusammenziehen? Nein, mit Mario zusammenziehen?

“Elsa wird darüber nachdenken”, vernahm sie erneut die Stimme ihrer Mutter. “Ihr lasst das Gespräch jetzt beide erst einmal sacken und überlegt euch, welche Lösung für Masaru die bessere ist.” Akane sah Mario an, der dankbar nickte.

“Das fände ich gut.”

Die Großmutter seines Sohnes nickte. “Ich finde, du hast dir wirklich viele Gedanken gemacht, Mario. Vor allem denkst du an deinen Sohn, das finde ich sehr schön.”

“Er ist das Wichtigste”, erklärte er leise.

“Das ist er. Und ich bin froh, dass ihr beide das wisst.” Akane nickte ihm zu.

Er stand auf und schob den Stuhl gleich darauf wieder unter den Esstisch. “Dann gehe ich jetzt.” Er blickte die Frau an, die so viel in seinem Leben ausmachte, immerhin war sie die Mutter ihres gemeinsamen Kindes. “Denk darüber nach, Elsa. Und sonst sehen wir uns morgen.”

Und damit ging er. Akane wandte sich ihrer Tochter zu, die immer noch wie erstarrt da stand. Sie strich ihr sanft über den Rücken.

“Wie Mario gesagt hat, denk darüber nach, Elsa. Nicht darüber, was für dich das Beste ist sondern allein, was das Beste für deinen, nein, euren Sohn ist.” Und damit ging auch Akane aus dem Raum.

Kapitel 16

Erleichtert schaltete Mario seinen PC aus. Feierabend. Er wollte gleich zu Daichis um Masaru zu sehen. Vielleicht würden sie beide mit Gregor eine Runde Fußball spielen, Masaru liebte es ebenso wie sein Onkel. Bisher hatte er sich immer gedacht, dass die Fußballversessenheit des Jungens von Gregor herkommen würde, aber jetzt, wo er wusste, dass Masaru sein Sohn war, war er sich bezüglich dessen nicht mehr sicher. Oder man konnte wohl sagen, dass es von beiden Seiten der Familien kam … Mario richtete sich auf und griff nach seiner Tasche, um diese über die Schulter zu hängen. Okay, Fußballversessenheit war nichts, was sich vererben ließ, aber er redete sich das gerne ein, irgendwie fand er es süß. Und wie immer bei den Gedanken an seinen Sohn, musste er lächeln. Dieser kleine Junge … Er hatte sein Herz in Sekundenschnelle erobert. Ob sein Herz schon vom ersten Augenblick an gewusst hatte, dass dieser kleine, freche Junge mit den großen Augen und dem süßen Lächeln sein Sohn war? Vielleicht war es tatsächlich so, es würde ihn nicht wundern. Oder hatte er Elsa in ihm erkannt? Auch wenn er eindeutig wie er aussah? Vielleicht … immerhin hatte Elsa sein Herz damals auch gefühlt in Sekundenschnelle erobert. Nachdenklich ging Mario in Richtung der Eingangstüre des Unternehmens, für das er arbeitete. Elsa - sie war für ihn bis vor ein paar Monaten die Liebe seines Lebens gewesen. Dann hatten sie miteinander geschlafen und das was sie gesagt hatte, als er ihr sein Herz vorgelegt hatte, hatte es in Scherben gebrochen und seine Gefühle gedämpft. Wobei, war gedämpft das richtige Wort? Er hatte sie die letzten Jahre, als sie in Deutschland gewesen war, nicht einen Moment vergessen können. Jede Frau, die er sich getroffen, mit der er geschlafen hatten, hatte er automatisch mit ihr verglichen und alle waren ausnahmslos durchgefallen. Elsa war einzigartig. Mit ihr zu schlafen hatte alles, seine Gefühle und Empfindungen, nur noch verstärkt. Und dann war herausgekommen, dass sie ihm verschwiegen hatte, nach ihrer einzigen gemeinsamen Nacht schwanger geworden zu sein, geschweige denn, dass sie seinen Sohn auf die Welt gebracht hatte. Diese, ja, doch, diese Unverfrorenheit hatte dafür gesorgt, dass die Gefühle, die er für sie hatte, durch eine ziemliche Wut überschrieben wurden. Er war immer noch nicht sonderlich gut auf sie zu sprechen und es kam öfter vor, dass sie sich in die Haare bekamen. Die Gedanken drehten sich regelrecht in seinem Kopf, während er die Treppe hinunter lief, die ihn ins Erdgeschoss und dort dann aus dem Gebäude bringen würden. Elsa hatte ihn erst vor ein paar Tagen gefragt, ob er ihr es ihr restliches Leben lang vorwerfen würde, dass sie ihm das alles verschwiegen hatte. Wenn er ehrlich zu sich selbst war - er wusste es nicht. Vielleicht würde es so sein, vielleicht auch nicht. Er hoffte auf zweiteres. Er wollte nicht wütend sein, er wollte es ihr nicht übelnehmen, aber gerade konnte er nichts gegen diese Gefühle tun. Bisher konnte er auch nicht ganz sagen, warum er auf die Idee gekommen war, mit ihr zusammen zu ziehen. Natürlich würde das vieles mit Masaru mehr als nur vereinfachen, aber wie würde es mit ihnen beiden funktionieren? Würde es funktionieren, mit der Frau zusammenzuwohnen, die sein Herz so viele Jahre ohne es zu wissen in den Händen gehalten hatte? Die Frau, die ihm das Herz in mehr als nur einer Hinsicht gebrochen hatte? Doch was hatte Akane gesagt? Sie beide mussten eine gemeinsame Lösung für ihren Sohn finden. Und genau das wollte er tun.

Er öffnete die Eingangstüre des Gebäudes, in dem er arbeitet und trat hinaus. Im nächsten Moment blieb er abrupt stehen.

“Elsa”, richtete er erstaunt an die junge Frau, über die er gerade noch nachgedacht hatte. “Was machst du hier?”

Sie trat auf ihn zu, zog ihre Jacke etwas enger um sich, was er verstehen konnte. Es war Oktober, es wurde jetzt immer kühler.

“Ich wollte mit dir reden”, richtete sie unsicher an ihn.

“Ähm … eigentlich wollte ich zu euch kommen und Masaru …”

“Gregor und Conny schauen nach ihm. Ich soll dir ausrichten, dass du meinem Bruder einfach anrufen sollst, wenn wir fertig sind.” Elsa stockte. “Ähm … wenn du überhaupt Zeit hast, mit mir zu reden … oder Lust”, schob sie leise hinterher.

Verwundert runzelte Mario seine Stirn, ehe er nickte. Sein Blick fiel auf seine Uhr. 15.30 Uhr. Er versuchte immer recht früh mit seiner Arbeit zu beginnen, um früh Feierabend machen und diesen mit seinem Sohn verbringen zu können.

“Sollen wir einen Kaffee trinken gehen? Oder einen Tee, was dir lieber ist.”

Erleichterung legte sich über seine Besucherin und sie nickte. “Sehr gerne.

“Dann komm mit. Da vorne ist ein kleines Café.”
 

~~~
 

Eine Viertelstunde hatten sie einen Kaffee bestellt und saßen sich gegenüber.

“Was gibt es, Elsa?”, richtete Mario an seine Gegenüber. Sie sah ihn ernst an.

“Ich … hätte ehrlich gesagt noch ein paar Fragen an dich bezüglich deiner Vorstellung von … vom Zusammenwohnen mit Masaru.”

Erstaunt sah er auf. Er hätte sich gut vorstellen können, dass sie dem Thema gerne noch eine Weile aus dem Weg gegangen wäre. Immerhin hatte sie das letzte, sehr sehr wichtige Thema fast vier Jahre nicht angesprochen.

“Was willst du genau wissen?” Er drückte seine Hände unter dem Tisch gegeneinander, bemühte sich, ruhig zu wirken. Er wollte nicht, dass sie ihm anmerkte, wie aufgewühlt er war.

“Alles”, antwortete sie und grinste schief.

Genau in diesem Augenblick brachte der Kellner ihren Kaffee. Elsa schloss ihre Hände um die Tasse, um diese aus dem Weg zu haben. Mario tat es ihr gleich.

“Du hast gesagt, dass du ab November in deine Wohnung einziehen kannst?”

“Ja, das ist richtig. Ich habe sogar schon gestern die Schlüssel bekommen, weshalb ich keine Zeit hatte und nicht vorbeikommen konnte.” Marios Gesicht verzog sich. “War das für Masaru in Ordnung? Oder war er traurig? Muss ich …” Noch ehe er weitersprechen konnte, legte sich Elsas Hand auf eine der seinen an der Tasse.

“Mario”, sie schmunzelte, “alles gut. Natürlich war er ein kleines bisschen traurig, er freut sich immer, wenn er dich sieht, das ist dir hoffentlich klar. Und du hast ihn ja gestern noch per Videoanruf angerufen. Keine Sorge, so schnell vergisst er dich nicht, da bist du ihm zu wichtig.” Ihr Gesicht wurde ernst. “Das … ist auch der Grund, weshalb ich denke”, sie biss sich auf ihre Unterlippe, “dass dein Vorschlag, so schwer es mir auch fällt, richtig ist.” Sie holte tief Luft. “Aber … ich …” Erneut stockte sie und Tränen traten in ihre Augen, legte ihre Hand zu der anderen um die Tasse. “Ich … ich kann nicht einfach …”

“Du willst oder kannst nicht von ihm getrennt sein”, beendete Mario ihren Satz und sah sie verständnisvoll an. Daraufhin liefen die Tränen wirklich über ihre Wangen.

“Ja.”

“Das ist der Grund, weshalb ich dir vorgeschlagen habe, dass wir zusammenziehen”, richtete Mario an sie und ihm wurde klar, dass genau das wirklich der Grund war. Er sah jedes Mal, wie sehr Elsa ihren Sohn liebte. Sie hatte sich damals, in der Situation in der sie war, trotzdem für das Baby entschieden, das in ihrem Bauch heran wuchs. Ja, sie hätte es ihm sagen müssen, es nicht verschweigen dürfen, trotzdem … Es war sicherlich nicht leicht für sie gewesen. So weit weg, allein. Trotzdem, sie hatte es durchgezogen. Masaru und sie waren fast drei Jahre lang nur zu zweit gewesen, Elsa davor auch schon in der Schwangerschaft. Ja, ihre Mutter war gekommen, sie hatte Freunde, aber das war doch etwas anderes. Sie war wirklich etwas besonderes. Sein Herz machte bei diesem Gedanken einen Satz und ein Gefühl, dass er eine ganze Weile verdrängt hatte, überflutete sein Herz. Sie … Schnell drängte er es wieder zurück.

“Aber”, brachte sie hervor, “willst du das wirklich? Ich weiß ja, wie du auf mich zu sprechen bist und ich habe vollstes Verständnis dafür, dass du so wütend auf mich bist. Macht es Sinn, dass wir da zusammenleben?”

“Elsa. Es klingt vielleicht blöd, aber”, nachdenklich blickte Mario auf seine Tasse, versuchte seine Gedanken zu sammeln, ehe er sie erneut ansah, “du bist Masarus Mutter. Du bist eine Löwenmutter. Was du schon alles für ihn auf dich genommen hast, das ist unglaublich. Du hast das, mit kleinen Ausnahmen, die ich nun wirklich nicht nennen will, wirklich toll gemacht. Ich will euch beide nicht voneinander trennen, ich sehe doch, wie glücklich Masaru ist, wenn er dich sieht und bei dir sein kann. Doch”, er wurde ernst und das Lächeln wich aus seinem Gesicht, “ich habe es dir vor ein paar Tagen schon gesagt, ich will keine Minute seines Lebens mehr verpassen. Ich liebe ihn, du liebst ihn. Sollten wir nicht das Beste für ihn wollen? Dass er bei seinen beiden Elternteilen ist? Es geht bei meinem Vorschlag nicht darum, dass du und ich zusammen sind. Es geht nur darum, dass er uns beide, jederzeit, hat.” Ohne dass es ihm groß bewusst geworden war, hatte er eine Hand ausgestreckt und eine ihrer umschlossen, hielt diese fest.

Elsa standen immer noch Tränen in den Augen. “Ich … ich will nicht, dass wir beide so viel streiten. Wie sollen wir das hinbekommen? Ich will nicht jedes Mal, wenn ich dich sehe, Angst haben, dich noch mehr zu verärgern. Wenn wir zusammen wohnen, liefere ich dir doch noch viel mehr Punkte, über die du dich vielleicht ärgerst. Und … denkst du nicht jedes Mal, wenn du mich siehst, an das, was ich dir angetan habe?”

Auf diese Frage schüttelte er seinen Kopf und drückte ihre Hand sanft. “Zu Beginn habe ich das, ja. Es wäre eine Lüge, etwas gegenteiliges zu behaupten. Ja, ich ärgere mich manchmal trotzdem noch, vielleicht auch öfter, aber in erster Linie sehe ich in dir Masarus Mutter, die alles für ihn tut. Und das kann ich verstehen, denn ich würde auch alles für ihn tun.”

“Du meinst, wir bekommen das hin?”

Ein Nicken folgte. “Wir tun es für Masaru. Also ja, ich denke, wir bekommen das hin. Wir beide wissen doch, was das Wichtigste ist.”

Nun nickte Elsa. “Masaru.”

“Genau.”

Sie sahen sich noch einen Moment an, dann lächelte Elsa und drückte Marios Hand nun ebenfalls. “Lass es uns versuchen.”

Auch er lächelte. “Das werden wir.”
 

~~~
 

“Danke, dass ihr Masaru hergebracht habt”, richtete Mario an seinen besten Freund, der neben ihm stand.

Gregor sah zu seiner Freundin und seiner Schwester hinüber, bei denen Masaru stand und lachte. “Kein Problem. Du weißt doch”, er boxte Mario grinsend in die Seite, “dass ich eigentlich nur deine zukünftige Wohnung betrachten will.

“Total uneigennützig, das war mir schon klar. Na dann komm mal mit.” Mario wandte sich den Frauen zu. “Elsa, Conny, kommt ihr? Und du natürlich auch, Masaru.”

Der Junge drehte sich zu seinem Vater herum und strahlte übers ganze Gesicht. “Papa”, rief er und rannte auf diesen zu, um ihm im nächsten Moment in die Arme zu springen. Ein Lachen entkam Mario und er sah auf, begegnete direkt Elsas Blick, die ihn und ihren gemeinsamen Sohn mit einem Lächeln betrachtete, dass man nur als zufrieden bezeichnen konnte. Er nickte ihr ebenfalls lächelnd zu. Vor einiger Zeit hatte er ihr gesagt, dass er es schön finden würde, wenn Masaru Papa zu ihm sagen würde und das tat es wirklich. Es machte ihn jedes Mal glücklich. Ob es ihr auch so gegangen war, als Masaru Mama zu sagen begonnen hatte? Er war sich sicher, dass die Antwort ja lautete.

“Dann kommt mal mit. Die Wohnung ist im zweiten Stocke, ohne Aufzug. Dafür hat es einen schönen Balkon, den zeige ich euch auch gleich.”

Kurz darauf standen sie in der lichtdurchfluteten, großen Wohnung. Das Wohn-Esszimmer war groß und auf einer Seite stand eine offene Küche. Elsa sah sich mit großen Augen um.

Da spürte Mario Masarus kleine Hand plötzlich in seiner. Ein Blick auf seinen Sohn zeigte, dass dieser sich verunsichert umsah. Verständlich, war er doch noch nie in einer leeren Wohnung gewesen.

“Großer, möchtest du gerne dein Zimmer sehen?”, fragte er ihn. Schon wurde er mit großen Augen angeblickt.

“Simmer?”

“Ja, dein eigenes Zimmer. Ungefähr wie Onkel Gregor, der hat doch auch ein eigenes Zimmer.”

Auf diese Aussage erklang Gelächter und Masaru nickte begeistert. Die Vorstellung schien ihn zu begeistern.

“Na dann komm mit.” Mario warf einen kurzen Blick zu Elsa, die ihnen gleich darauf folgte.

“Das ist toll”, richtete sie an ihn und trat neben ihm, während Masaru lachend durch den Raum lief.

“Nicht wahr? Es ist schön hell, hervorragend geschnitten. Ich denke, hier wird er sich wohlfühlen.” Mario nickte zufrieden und erstarrte im nächsten Moment, als sich erneut eine Hand in seine schob, doch dieses Mal war es nicht Masarus. Er sah hinunter, erkannte Elsas, die seine umgriffen hatte und sanft drückte.

“Es ist wundervoll”, flüsterte sie und zog ihre Hand im nächsten Augenblick zurück.

Mario musterte sie. Waren ihre Wangen gerade etwa rot geworden. Er blinzelte und erneut machte sein Herz diesen eigenartigen Satz. Er legte ihr sanft eine Hand auf den Rücken.

“Komm mit, ich zeige dir den Rest. Und vielleicht”, er war sich sicher, dass nun er rot wurde und weigerte sich, in ihre Richtung zu sehen, “hättest du ja Lust, die Tage mit mir nach Möbeln schauen zu gehen. Ich denke, wenn du jetzt auch hier mit einziehst, dann sollten sie auch dir gefallen. Und zudem weißt du ja vielleicht besser, was wir brauchen und was sinnvoll ist, immerhin hast du schonmal allein gelebt.”

“Das fände ich wirklich schön, Mario.”

Nun sah er sie auch an und erkannte, dass sie lächelte, was auch ihn dazu brachte, dass sich seine Mundwinkel hoben. “Ich auch, Elsa.”

Kapitel 17

“Ich bin wieder Zuhause.” Mario stellte die beiden Taschen, die er mitgebracht hatte, auf den Boden und hängte anschließend seinen Hausschlüssel an die Haken, die dafür vorgesehen waren. Mit wenigen Griffen hatte er seine Jacke ausgezogen und an die Garderobe gehängt, die Schuhe gewechselt und seine Arbeitstasche an ihren Platz geräumt. Als er das Wohnzimmer betrat, kam ihm seine Mitbewohnerin lächelnd entgegen.

“Willkommen daheim”, richtete Elsa an ihn und folgte ihm gleich darauf in die offene Küche, wo er die beiden Taschen mit seinen Einkäufen abstellte.

“Ich hoffe, ich habe alles bekommen. Falls du feststellst, dass doch noch etwas fehlt, dann sag es mir bitte, dann kann ich morgen nochmal schauen gehen.”

“Oder ich gehe morgen nach der Arbeit noch kurz einkaufen.” Elsa schob ihn sanft ein Stück zur Seite, um ebenfalls beim Ausräumen der Einkäufe zu helfen. “Vergiss bitte nicht, mir den Einkaufszettel für unser Haushaltsbuch zu geben.”

“Ähm, ja, klar”, murmelte Mario und räumte die Packung Reis in den Küchenschrank.

“Ich werde dich daran erinnern, Mario Hongo. Die letzten beiden Male hast du es nämlich nicht gemacht und diese beiden Einkaufszettel habe ich auch nie erhalten.”

“Ach, ist ja jetzt nicht so, als ob ich es mir nicht leisten könnte, unsere Einkäufe zu bezahlen”, nuschelte er.

“Trotzdem.” Mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie ihn an. “Wir haben eine Abmachung getroffen. Wir zahlen gerechnet an unserem Einkommen den gleichen Anteil!”

“Ja ja, ich weiß.” Mario schmunzelte, erstarrte aber im nächsten Moment, als sich zwei Hände auf seine Hüften legten. Mit stark schlagendem Herzen sah er über seine Schulter nach hinten, wo sein Blick direkt auf ihren fiel. Auch ihre Augen funkelten belustigt.

“Ich weiß genau, was du da machst, Mario.”

“Ach ja?” Er schluckte. Was meinte sie? Als sich ihr Griff verstärkte, nahm sein Herz einen weiteren Schlag zu.

“Du willst, dass ich weniger zahlen muss und das ist ja auch lieb von dir, aber es wäre mir recht”, sie löste ihre Hände von ihm und griff wieder nach den Einkäufen, “wenn du das nicht machst. Ja, ich arbeite weniger Stunden, ja, ich verdiene weniger Geld als du, aber trotzdem will ich, dass alles fair zugeht.”

Ein Lächeln legte sich auf Marios Züge und er streckte eine Hand aus, um sanft über ihre Wange zu streicheln. “Du hast die ersten Jahre alles für Masaru gezahlt. Lass mich jetzt etwas für euch tun.”

“Mario … Hätte ich dir nicht verschwiegen, dass es Masaru gibt, dann …” Und noch ehe Elsa aussprechen konnte, legte Mario seine Hand auf ihre Lippen, um sie am weiterreden zu hintern.

“Wir hatten besprochen, das nicht mehr zum Thema zu machen. Und heute tust du alles, um die Beziehung zwischen Masaru und mir zu unterstützen. Du bist mit mir zusammengezogen, dass ich mehr Zeit mit ihm verbringen kann und das bedeutet mir sehr viel mehr, als mich weiter über das zu ärgern, was in der Vergangenheit passiert ist. Ich kann an dem bereits Geschehenen nichts ändern, nur weil ich wütend bin. Und du noch weniger, nur weil du meinen Zorn abbekommst. Daher lassen wir es doch, wie es jetzt ist. Ich mag den Ist-Zustand.”

Auf diese Aussage musste auch Elsa lächeln. “Ich auch”, erwiderte sie leise.

“Das ist gut.” Mario faltete die Taschen zusammen, die sie beide geleert hatten. “Apropos Masaru”, er drehte seinen Kopf, “wo ist er denn? Ich würde unserem Sohn gerne noch Hallo sagen.”

Ein leises Lachen erklang. “In seinem Zimmer und spielt dort mit seinen Autos. Zudem hört er ein Hörspiel und ist total gefesselt davon. Ich gehe davon aus, dass er gar nicht mitbekommen hat, dass du da bist, sonst wäre er doch schon längst angerannt gekommen.”

“Das glaube ich doch fast auch. Ich gehe trotzdem mal zu ihm und sage Hallo.” Mario legte die zusammengefalteten Taschen zur Seite und strich mit einer Hand über Elsas unteren Rücken, ehe er in den kleine Flur ging, der zu den beiden Schlafzimmern und ihrem großen Bad führte.

Elsa sah ihm hinterher, während alles in ihr warm wurde. Auch wenn sie sich zu Beginn Sorgen gemacht hatte, dass es ganz schön schief gehen könnte, wenn sie beide zusammenzogen, obwohl sie zu dem Zeitpunkt nur gestritten hatten, so hatten sich diese Sorgen als inhaltslos herausgestellt. Das Zusammenwohnen von ihnen funktionierte problemlos. Gemeinsam hatten sie die Wohnung eingerichtet, sich für Möbel entschieden. Die Zimmer gestrichen, Möbel aufgebaut und waren dann zusammen mit Masaru eingezogen. Sie hatten sehr schnell einen gemeinsamen Tagesablauf gefunden, der für sie alle perfekt funktionierte. Abwechselnd brachten sie ihren Sohn in den Kindergarten und ebenso abwechselnd holten sie ihn ab. Sie kochten gemeinsam oder einzeln, aber immer für sie alle zusammen, aßen zu Dritt.

Mario und Elsa hatten einen gemeinsamen Wunsch - sie wollten, dass es Masaru gut ging. Und für ihren Sohn hatten sie sämtliche Streitereien nach hinten gestellt. Es ging auf. Niemals hätten sie gedacht, dass es so harmonisch ablaufen würde. Das einzige Problem, wenn man es so nennen wollte, war gewesen, dass die Wohnung nur zwei Schlafzimmer hatte. Eines davon war für Masaru als Kinderzimmer vorgesehen, beim anderen hatte Elsa darauf bestanden, dass es Marios Schlafzimmer sein sollte. Auch wenn dieser zuerst unsicher gewesen war, ob das das Richtige wäre, so hatte sie erklärt, dass es schlussendlich seine Wohnung war, auch wenn sie ebenso Miete zahlte. Er hatte hier einziehen wollen, diese Wohnung gefunden, sich beworben und auch die Zusage erhalten. Als es darum ging, wo Elsa schlussendlich schlafen würde, hatte Gregor einen Vorschlag gebracht, der Kopfschüttelnd und Murren bei beiden hervorgebracht hatte, nachdem der Scham sich wieder gelegt hatte. Gregors Vorschlag war gewesen: Schlaft doch einfach zusammen im Schlafzimmer - Masaru sei der Beweis, dass sie sich schon einmal ein Bett geteilt hatten. Nachdem Mario seinen besten Freund runtergeputzt hatte, hatte dieser über seinen Hinterkopf gestrichen und war murmelnd davon gegangen.

Die jungen Eltern hatten eine Lösung gefunden, die aktuell noch möglich war, aber sie hatten auch für später überlegt, was es für andere Lösungen gab. Aktuell schlief Elsa bei Masaru im Zimmer. Sie hatten einen Futon auf dem Zimmerboden liegen, den sie morgens in den Schrank räumte und abends wieder auslegte. Da sie und Masaru die letzten über drei Jahre zusammen in einem Zimme geschlafen hatten, war es für sie beide kein Problem. Abends brachten Elsa und Mario ihren Sohn gemeinsam in sein Bett und verbrachten anschließend zumeist den Abend miteinander, ehe sie auch schlafen gingen. Zu Beginn war es komisch für sie beide gewesen, doch dann hatte es ihnen gefallen. Sie redeten viel miteinander, erzählten von den letzten Jahren, wie es ihnen ergangen war. Mario hier in Japan, mit seinen Studium, seiner Jobsuche und dem Beginn. Auch wie es mit den Kickers lief. Elsa von ihren Erfahrungen in Deutschland, der Schwangerschaft und dem Schock darüber. Die ersten Jahre mit Masaru, ihr Studium und dann ihre Rückkehr nach Japan. Was nie ein Thema war, war, wie es zwischen ihnen beiden stand. Sie sprachen auch nicht darüber, was zwischen ihnen passiert, vorgefallen war. Dass sie miteinander geschlafen hatten und auch ihre früheren Gefühle, das war ein unausgesprochenes Tabu-Thema. Ebenso die Tatsache, dass Elsa Mario von ihrer Schwangerschaft und ihrem gemeinsamen Sohn nichts gesagt hatte. Doch trotz diesem eigentlich riesengroßen Felsbrocken, der auf ihrer Beziehung zueinander lag, funktionierte ihr Zusammenleben wunderbar. Elsa könnte es sich nicht schöner vorstellen. Das Schönste an der ganzen Sache war jedoch eindeutig, wie sehr Masaru aufblühte. Er war so glücklich darüber, seine Mama und seinen Papa bei sich zu haben. Und jedesmal, wenn sie in sein kleines Gesicht sahen, das vor Freude strahlte, seine Augen die so sehr leuchtenden, war sowohl Elsa als auch Mario bewusst, dass sie gerade alles richtig machten. Und das wollten sie auch zukünftig machen - für ihren gemeinsamen Sohn.
 

~~~
 

“Er schläft endlich.” Mit einem Seufzen kam Mario aus Masarus Kinderzimmer und trat ins Wohnzimmer.

“Zur Zeit braucht es wirklich mehr Zeit. Ich habe das Gefühl, er kommt abends gar nicht wirklich zu Ruhe sondern muss einfach unendlich viel erzählen. Ist ja nicht so, als ob er davon schon den ganzen Nachmittag Zeit gehabt hätte. So nach dem Motto: Wie wars im Kindergarten? Gut. Und abends, kaum dass er im Bett liegt: Wow, Mama, heute im Kindergarten, da haben wir … und dann hört es gar nicht mehr auf!” Elsa schmunzelte und schüttelte ihren Kopf.

“Das trifft den Nagel auf den Kopf.” Mario entkam ein Lachen, als er sich neben Elsa auf das Sofa setzte und das Glas entgegennahm, das diese ihm reichte. Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, legte er seinen Kopf nach hinten auf die Lehne. “Nur wenn er mit mir beim Training war oder Gregor und ich mit ihm Fußball gespielt haben - oder auch nur dein Bruder, dann ist er danach so platt, dass er einfach nur ins Bett fällt … also Masaru, bei deinem Bruder bezweifle ich das.”

Elsa entkam ein Lachen, während sie ihre Beine unter sich zog und sich Mario zuwandte. “Tja, ich hätte zwar nicht erwartet, dass ich das mal laut sage, aber dann muss er wohl mehr Fußball spielen.”

Der neben ihr Sitzende drehte seinen Kopf und sah sie nachdenklich an. “Hmm … kann es sein, dass du es nicht so toll fandest, dass Masaru Fußball spielt? Gregor hat so etwas zu Beginn mal erzählt.”

Sie legte ihren Kopf auf ihrem Arm an der Lehne ab, blickte Mario ohne abzulassen in die Augen. “Das … ist so, ja.”

“Warum?”, fragte er vorwurfsfrei.

“Naja”, sie biss sich auf die Unterlippe und griff mit einer Hand nach der Decke, die sie über ihren Beinen ausgebreitet hatte, um diese zwischen Daumen und Zeigefinger zu zwirbeln, “Fußball … habe ich immer untrennbar mit dir verbunden. Und wenn Masaru Fußball spielt, dann ist er dir noch ähnlicher. Auf der einen Seite hatte ich Angst, dass man dann noch schneller erkannt, dass du sein Vater bist. Und auf der anderen Seite hat mich das immer … irgendwie traurig gemacht.”

“Traurig?”

Elsa sah ihn verwundert an. Lag da Besorgnis in seinem Blick. Ihre Wangen wurden rot und sie wich seinem Blick aus. “Ich … habe es ja schonmal gesagt: Unsere Nacht hat mir halt auch mehr bedeutet, als ich dir damals zu verstehen gegeben habe. Ganz im Gegenteil, ich habe ja behauptet, dass es nicht so wäre …” Sie hob ihren Kopf mit großen Augen, als sie eine Berührung an ihrer Hand spürte, die an der Sofalehne lag.

“Und heute?”, fragte Mario sie.

Heute? Elsas Herz nahm einen Schlag zu. Was er ihr heute bedeutete? Wollte er das wirklich wissen? Und … was bedeutete Mario ihr? Noch ehe sie ihre Gedanken vertiefen konnte, erklang seine Stimme erneut.

“Ist es für dich okay, dass Masaru Fußball spielt. Mit deinem Bruder … Mit mir?”

Sie blinzelte erstaunt und war sich sicher, dass ihre Wangen noch röter wurde. Oh Gott, was für Gedanken hatte sie sich da fast gemacht? Sie und Mario waren in erster Linie eines - Masarus Eltern. Vielleicht würden sie auch wieder Freunde sein, mehr wagte sich gar nicht zu erhoffen. Und zudem - sie war es gewesen, die Marios Herz gebrochen hatte. Ihr war doch klar, dass er für sie nichts mehr empfand. Sie war einfach nur froh, dass sie es so gut hinbekamen und damit musste sie zufrieden sein.

“Ich finde es schön”, antwortete sie leise. “Er hat so unglaublich viel von dir. Mal abgesehen davon, dass er sowieso aussieht wie du.” Und was der Grund war, dass es überhaupt rausgekommen war, dass Mario Masarus Vater war. Das schien diesem in diesem Augenblick auch durch den Kopf zu gehen, wenn sie seinen Gesichtsausdruck richtig deutete. “Ich liebe es so sehr, euch zu beobachten, zu sehen, was ihr für eine innige Beziehung zueinander habt. Ich bin so froh darüber”, ein leiser Schluchzer entkam ihr und erstaunte sie selbst, “dass ich das nicht kaputt gemacht habe. Ich bin wirklich so froh darüber.” Und noch ehe Elsa ihre Hände vor ihr Gesicht legen konnte, spürte sie, dass Mario seine Hände um ihre Wangen legte und mit seinen Daumen sanft die Tränen wegwischte, die aus ihren Augen liefen.

“Das alles bin ich auch. Auch wenn alles so verdammt dumm gelaufen ist, er ist einfach ein riesengroßes Geschenk für mich. Ja, wir beide sind sehr jung, aber du bist eine wunderbare Mutter und ich bin stolz auf dich. Und ich liebe Masaru sehr. Zudem finde ich es toll, mein Hobby mit ihm teilen zu können, das bedeutet mir auch etwas.”

Ein Lächeln erschien auf Elsas Zügen. “Danke”, flüsterte sie.

“Dafür nicht, Elsa. Es ist einfach eine Tatsache.” Damit ließ Mario seine Hände wieder sinken und drehte sich so, dass er seinen Kopf wieder mit geschlossenen Augen anlehnen konnte. “Das Problem daran, wenn ich mit ihm mehr trainieren muss, dass er gut schläft, ist, dass dann auch ich müde bin und früh einschlafe.”

Elsa lachte und tätschelte ihm das Knie, froh darüber, dass die Atmosphäre zwischen ihnen jetzt anders war und sie sich keine Gedanken mehr über irgendwelche Bedeutungen und Gefühle machen musste.

“Mario, du bist eben doch nicht jung … du bist alt.”

Er lachte. “Danke Elsa. Aber du weißt, was das bedeutet.” Er drehte seinen Kopf erneut zu ihr. In seinen Augen leuchtete der Schalk. “Du bist auch alt, immerhin sind wir gleich alt.”

“Ja, das spüre ich immer öfter. Aber ich sage mir dann, wenn ich morgens aufwache und alles knackt: Elsa, du bist nicht alt, du bist einfach nur knackig.”

“Oh ja, das bist du. Sehr knackig.” Immer noch lachend ließ Mario seinen Kopf wieder nach hinten sinken.

Elsas Herz hatte bei dieser Aussage einen Schlag zugenommen. Gleich darauf schalt sie sich selbst. Nein, sie musste aufhören, sich plötzlich solche Gedanken zu machen. Sie war froh, dass sie und Mario so eine gute Beziehung zueinander hatten - alles andere würde das nur unnötig komplizieren. Sie musste sich auf das konzentrieren, was die Tatsachen waren. Sie waren Eltern und Mitbewohner, mehr nicht!

Kapitel 18

“Musst du wirklich?” Niedergeschlagen sah Elsa Mario an, der ihr am Esstisch gegenüber saß, vor ihnen noch das benutzte Geschirr ihres Abendessens. Masaru saß auf ihrem Sofa und sah sich ein Bilderbuch an.

“Ja, leider. Ich wünschte, ich könnte einfach absagen, denn ich wäre lieber hier bei euch …” Marios Wangen nahmen einen sanften Rotton an und er schluckte. “Ähm, bei Masaru. Auch bei dir, doch. Vermutlich habe ich mich schon sehr an dich gewöhnt.”

Ein Schmunzeln erschien auf Elsas Zügen. “Das kann natürlich auch gut sein. Aber trotzdem. Wie lange bist du dann weg?”

“Ich fahre direkt am Montag und komme Freitagmittag wieder. Also eine ganze Arbeitswoche.”

“Okay.” Elsas Gesicht verzog sich und sie griff nach ihren Stäbchen, um ihre Hände beschäftigen zu können. “Masaru wird dich sicherlich sehr vermissen.” Ich dich auch - aber das traute sie sich nicht auszusprechen.

“Ich ihn auch. Ach ja, aber gut, es ist nur eine Woche, die bekommen wir rum. Ihr werdet schon merken, noch ehe ihr euch richtig versehen habt, bin ich wieder da. Vielleicht fällt es euch gar nicht auf, dass ich weg bin.” Mario sah Elsa direkt an. “An sich könntest du dir auch überlegen, in meinem Bett zu schlafen in der Zeit. Dann musst du nicht mit dem Futon auf dem Fußboden vorlieb nehmen.”

Nun waren es Elsas Wangen, die rot wurden. “Mal schauen”, murmelte sie.

“Dein Rücken wird es dir danken.” Sein Blick war ernst.

Sie hob einen Mundwinkel. “Und was, wenn ich danach dann nicht mehr aus deinem Bett ausziehen will?”

“Dann …”, sein Blick war weiterhin ernst auf sie gerichtet, “müssen wir es vielleicht teilen …”

Elsa riss ihre Augen weit auf und ihr Herz setzte aus. Was?

“Das war ein Scherz”, brach es aus Mario heraus, als er ihren Blick erkannte. “Elsa, nur ein Scherz.”

“O-okay”, murmelte sie und sprang auf, um hektisch das Geschirr zusammen zu stellen.

“Elsa”, Mario legte eine Hand auf ihren Unterarm und hielt diesen so einen Augenblick fest, “entschuldige bitte, das war ein dummer Scherz. Aber du darfst trotzdem in meinem Bett schlafen. Mein Angebot ist völlig ohne Hintergrundgedanken.”

Sie sah ihn wieder an, hoffte, dass er ihr nicht ansah, wie aufgewühlt sie jetzt war. “Ich werde darüber nachdenken”, murmelte sie.

“Mach das. Ansonsten”, er blickte sie fragend an, während er ebenfalls aufstand, “hast du vielleicht einen kleinen Koffer, den ich auf die Geschäftsreise mitnehmen kann?”

“Natürlich. Ich hole ihn dir nachher kurz aus dem Keller, ja?”

“Sehr gerne. Vielen Dank, Elsa.”

“Nicht dafür.” Sie winkte ab und begann dann, das Geschirr in die Küche zu tragen, während sie sich selbst schimpfte. Sie musste mit diesen dummen Gedanken aufhören. Sie waren Eltern und Freunde, ja. Sie durfte in Marios Aussagen nicht mehr hineininterpretieren, als da tatsächlich war. Ein Seufzen entkam ihr. Vermutlich würde sie noch verrückt werden … oder es sich zumindest machen.
 

~~~
 

Es war 22.30 Uhr in Tokio, in Deutschland 15.30 Uhr. Sieben Stunden Zeitunterschied mussten einfach irgendwo untergebracht werden, wenn man miteinander sprechen wollte. Elsa saß auf ihrem Sofa, eine Decke über den Beinen ausgebreitet, darauf ihren Laptop stehend, auf dessen Bildschirm ihre Freundin Hannah zu erkennen war. Sie versuchten regelmäßig miteinander zu telefonieren, oft auch so, dass Masaru noch etwas von seiner Tante hatte. Doch heute hatte sie einfach nur die Zeit füllen wollen, in der Masaru im Bett lag und sie allein war. Hielt sie es denn tatsächlich nicht mehr aus, ohne jemand anderen in der Wohnung zu sein? Mal abgesehen von Masaru, der um die Uhrzeit aber selbstverständlich schlief. Elsa und Hannah unterhielten sich nun schon eine ganze Weile, redeten darüber, was die letzte Zeit so bei ihnen los gewesen war. Und selbstverständlich hatte erstere auch davon erzählt, dass Mario diese Woche auf Geschäftsreise war und sie und Masaru dementsprechend allein.

“Oh, vermisst du ihn etwa?”, fragte Hannah belustigt, denn ihre Freundin wirkte tatsächlich ein wenig traurig diesbezüglich.

“Das … das ist gar nicht so!”, wehrte Elsa sich sofort und sah zur Seite. “Ich … habe mich halt an ihn gewöhnt … Es ist schön, mit ihm zusammen zu wohnen. Mit uns beiden und Masaru, das klappt einfach gut. Und … wir sehen uns seit knapp einem Monat täglich. Und dass er jetzt nicht da ist … das ist halt seltsam … Und Masaru vermisst seinen Papa auch sehr! Er fragt ständig nach ihm!”

Ein Lachen erklang aus den Lautsprechern ihres Laptops.

“Natürlich. Es ist nur so traurig für dich, weil Masaru ihn vermisst.” Der Sarkasmus war Hannahs Stimme eindeutig zu entnehmen.

“Es … auch …”

Auf Elsas Entgegnung schüttelte Hannah schmunzelnd ihren Kopf. “Oh Elsa, ich erinnere mich noch daran, wie es war, als wir beide hier in Deutschland zusammengelebt haben. Du hast so oft von ihm geschwärmt, was für ein toller Mann er ist, wie wundervoll, wie gut er aussieht. Vielleicht sogar, wie gut er im Bett war. Gut, du hast dir auch immer Sorgen gemacht, dass du sein Leben kaputt machst, weil du von ihm schwanger geworden bist und sein Kind bekommen hast, weshalb du es ihm ja auch nicht sagen wolltest.”

“Hannah?”

“Worauf ich hinaus will, liebste Elsa, du warst damals so unglaublich in ihn verschossen. Als du wieder in Japan warst, hast du versucht ihn zu vergessen, weil du deiner Meinung ja nie mit ihm zusammen sein könntest. Und dann hat er erfahren, dass Masaru sein Sohn ist, ab da sind deine Aussagen von ihm anders gewesen, nicht mehr so verliebt und schwärmend. Bis vor, was hast du gerade gesagt? Fast einen Monat … seitdem schwärmst du wieder dauerhaft von ihm. Er ist so toll, so lieb, so ein wundervoller Mann. Er sieht immer noch so gut aus und wenn er dich ansieht, blablabla. Hey, du kannst es nicht verleugnen, das alles sagst du doch.” Hannah zuckte mit ihren Schultern und Elsa, deren Wangen tiefrot angelaufen waren, konnte nichts antworten, also blickte sie zur Seite und trank einen Schluck aus ihrem Weinglas. Auch Hannah hatte eines vor sich stehen. Sie hatten in Deutschland Abends ab und an einen Wein zusammen getrunken. Das versuchten sie auf diese Weise fortsetzen, auch wenn es vielleicht ein wenig verrückt für Hannah war, denn dort war es schließlich früher Nachmittag. Aber gut, sie musste nicht mehr mit dem Auto weg und hielt sich an das eine Glas, mehr gab es eben nicht.

“Du hast dich wieder in ihn verliebt, oder?”, fragte Hannah in dem Moment und lächelte ihre Freundin aufmunternd an. “Vielleicht auch nicht wieder sondern die Gefühle sind einfach wieder in dir hochgekommen. Vermutlich waren sie nie weg.”

Elsas Wangen wurden noch dunkler und sie sah erneut zur Seite, ehe sie seufzte und mit ihren Schultern zuckte. “Es ist egal, was ich empfinde … Mario, er … ich glaube nicht, dass er so für mich empfindet. Ich meine, er akzeptiert mich doch nur, weil ich die Mutter seines Sohnes bin.”

“Also das bezweifle ich. So wie du immer erzählst, muss da doch mehr dahinter stecken. Ich kann nicht glauben, dass er dich nicht auch mag.”

“Okay, mögen, das kann ich mir auch vorstellen. Vielleicht können wir wieder Freunde sein oder sind welche, aber mehr kann ich mir nicht vorstellen.”

Hannah zog ihre Beine an und schlang ihre Arme darum, während sie Elsa musterte. “Gibt er dir denn keine Zeichen, wo du denken könntest, dass er doch mehr empfindet als Freundschaft?”

Stirnrunzelnd erwiderte Elsa den Blick. “Ich weiß nicht …” Plötzlich warf sie eine Hand in die Luft, während sie mit der anderen ihr Weinglas festhielt. “Ich habe keine Ahnung. Er gibt mir total widersprüchliche Anzeichen. Auf der einen Seite sagt er so Sachen wie dass er mich vermissen wird, wenn er weg ist - eben weil er sich ja schon so sehr an mich gewöhnt hat.”

“Das hast du mir vorher aber auch gesagt”, warf Hannah ein, Elsa winkte jedoch sofort an.

“Dann streicht er mir mit seiner Hand sanft über die Wange und sagt, dass ich toll bin, um im nächsten Augenblick zu ergänzen, dass ich einfach die beste Mutter für Masaru bin und er froh ist, dass wir uns so gut verstehen. Und er sagt auch immer wieder, was für eine tolle Mitbewohnerin ich bin. Und wo sind da nun tiefer gehende Gefühle?”

“Okay, das hört sich wirklich nicht so an.” Hannah seufzte und verzog ihren Mund zu einer Schnute.

“Richtig. Und deshalb darf ich unsere Beziehung zueinander nicht noch verkomplizieren, in dem ich Gefühle für ihn habe, die er nicht erwidert. Wir sind Masarus Eltern und als diese müssen wir beide es schaffen. Daher versuche ich all meine Gedanken darauf zu schieben!” Mit einem entschlossenen Nicken hob Elsa ihr Glas an und hob es an ihren Mund, um einen großen Schluck zu nehmen.

“Ach, ich denke, ich muss ihn mir mal genauer ansehen und dann kann ich dir meine professionelle Einschätzung geben.” Hannah zwinkerte ihr zu und nahm ebenfalls einen Schluck Wein zu sich.

“Dazu musst du echt mal herkommen.”

“Was etwas ist, über das ich dringend mit dir reden muss, Elsa.”

“Was genau?”

“Wie spontan bist du?”

“Spontan?” Verwirrt blickte Elsa ihre Freundin an. Diese grinste breit.

“Ich kann für diesen Samstag einen Flug nach Japan bekommen, der weniger als die Hälfte kostet, als man sonst nach Japan zahlt. Acht Tage später wäre der Rückflug. Ich selbst habe noch genug Urlaubstage übrig, ich kann spontan sein. Es geht also nur um euch.”

Überrascht blinzelte Elsa, ehe ein Strahlen ihre Züge erhellte. “Oh, das wäre ja so toll! Das bekommen wir auf jeden Fall hin. Ich kann in der Arbeit zwar vermutlich nicht die ganze Zeit über frei nehmen, aber ein paar Tage Urlaub habe ich auch noch übrig. Und dann wohnst du einfach hier und … oh …” Ihr Gesichtsausdruck änderte sich. “Ich … sollte das erst noch mit Mario abklären … Bis wann brauchst du wegem Buchen Bescheid?”

“Am besten so schnell wie möglich. Da diese Flüge Restplätze sind, werden sie vermutlich sehr schnell ausgebucht sein. Und einfach buchen ist auch doof, da eine kostenlose Stornierung nicht möglich ist.”

“Hmm …” Elsa runzelte ihre Stirn. “Okay, pass auf. Ich schaue, dass ich gleich morgen früh mit Mario spreche. Vielleicht kann er mich ja noch anrufen, bevor das Seminar startet.” Sie stellte ihr Weinglas ab und griff nach einem Handy, um Mario eine Nachricht zu schreiben, dass er sich doch so schnell wie möglich melden sollte.

“Das wäre wirklich super.”

“Oh, das wäre es echt. Und Masaru wird sich sicherlich auch freuen.” Elsa und Hannah lächelten sich an. Als Elsas Handy zu klingeln begann, senkte sie verwundert ihren Kopf. “Oh, warte kurz. Es ist Mario. Der ruft aber schnell zurück.” Schnell nahm sie das Telefonat an.

“Mario?”

“Elsa. Ist alles in Ordnung? Ist dir oder Masaru etwas passiert? Ich kann den nächsten Zug nach Hause nehmen. Sag mir nur wo ich hinkommen soll und …”

Ein leises Kichern ließ ihn in seinem Redefluss innehalten.

“Mario, keine Sorge. Uns geht es gut. Ich wollte nur etwas fragen, was auch bis morgen früh Zeit gehabt hätte. Hast du dir etwa Sorgen um uns gemacht?”

“Natürlich! Ich mache mir immer Sorgen um euch beide!” Mario ließ ein Schnaufen vernehmen. “Aber Elsa, ich bin wirklich froh, dass es euch gut geht.”

“Und geht es dir gut?” Ihr Blick wanderte zu der Uhr an der Wand. “Und solltest du nicht eigentlich schlafen? Du musst doch morgen früh raus.”

Nun entkam ihm ein leises Lachen. “Ich finde es irgendwie seltsam, den Abend allein zu verbringen, das war ich jetzt schon eine Weile nicht mehr. Dementsprechend kann ich irgendwie auch schlecht schlafen. Ich bin jetzt schon froh darüber, am Freitag nach Hause zu kommen und dich und Masaru in den Arm nehmen zu können … ähm … Also Masaru in den Arm zu nehmen und dich zu sehen.”

Hannah beobachtete von ihrer Seite aus, wie sich Elsas Wangen röteten. Auf dem Gesicht ihrer Freundin lag auch ein sanfter, roter Schimmer. Sie konnte nicht wirklich verstehen, was Elsa auf japanisch sagte, zudem bekam sie ja auch generell nicht mit, was Mario am Telefon von sich gab, aber die Reaktion ihrer Gegenüber am Bildschirm war aussagekräftig genug.

“Ich freue mich auch auf Freitag”, antwortete Elsa.

“Das finde ich schön. Sollen wir dann zusammen etwas machen? Vielleicht noch in den Tierpark gehen? Da ist Masaru doch gerne. Und ich komme ja schon gegen 14 Uhr an, da ist noch genug Zeit übrig.”

“Sehr gerne. Masaru wird sich freuen.” Elsa kicherte leise. Als vor ihr ein lautes Räuspern erklang, sah sie verwundert auf und wurde noch röter. “Äh, weshalb ich eigentlich mit dir sprechen wollte, Mario”, richtete sie an diesen, während ihre Wangen dunkler wurden, je länger Hannah sie mit diesem wissenden Blick bedachte. “Hannah würde diesen Samstag einen recht billigen Flug nach Japan bekommen. Die kosten sonst recht viel, daher würde sich das anbieten. Ebenso den Rückflug. Sie wäre dann acht Tage bei uns. Allerdings ist es deine Entscheidung. Wenn du nicht magst, dann finden wir sicherlich auch eine andere Lösung. oh!” Sie sah Hannah begeistert an. “Vielleicht kann sie sonst auch bei meinen Eltern wohnen. Mein altes Zimmer ist ja jetzt frei. Ansonsten könnten wir vielleicht …”

“Geht klar, Elsa. Sie soll buchen. Wir bekommen das schon hin.”

“Wirklich, Mario?”

Bei seiner Antwort war sie sich sicher, dass er lächelte.

“Sonst würde ich es nicht sagen, Elsa. Und ich bin mir sicher, dass es dir und Masaru sehr gefallen wird, wenn sie hier ist. Also sag ihr, sie soll buchen.”

“Du bist ein echter Schatz, Mario!”, brach es aus ihr hervor. Dann wurde ihr klar, was sie gesagt hatte. “Ähm, ich meine … also …” Sie stockte. “Danke, Mario.”

“Gerne. Ich bin ja schon gespannt auf die Frau, die dich in Deutschland unterstützt hat.”

“Sie auch auf dich.”

“Dann wird es noch spannender.”

Elsa und Mario beendeten ihr Gespräch relativ schnell und noch während Elsa ihr Handy zur Seite legte, blickte sie Hannah an.

“Mario sagt, du sollst buchen.”

“Wirklich?” Hannah strahlte. “Oh, ich freue mich.”

“Und ich mich erst. Das wird so toll werden! Mach dich auf ein straffes Programm gefasst. Ich werde mit dir so viel unternehmen, dass du danach nochmal Urlaub brauchst, um dich zu erholen.”

“Mädchen, nicht nur ich”, erwiderte Elsas Freundin sofort und schon brachen beide in gelöstes Lachen aus.

Kapitel 19

“Du, Mario?”, wandte sich Elsa diesem zu, während er gerade an Masarus Jacke den Reißverschluss schloss.

“Ja?” Er hob seinen Kopf in ihre Richtung, deutete ihr damit an, dass er ihr lauschte, ehe er Masaru auch noch die Mütze auf den Kopf setzte. Es war Dezember, er wollte nicht riskieren, dass der Junge krank wurde.

“Ich habe mir überlegt”, Elsas Hand umgriff den Henkel ihrer Handtasche ein wenig fester und beobachtete Mario, als dieser aufstand und sich zu ihr drehte, “wegen dem schlafen. Also eigentlich könnten doch vielleicht Hannah und ich gemeinsam in deinem Bett schlafen und du schläfst bei Masaru im Zimmer? Dann muss Hannah nicht im Wohnzimmer schlafen und der Raum ist frei, niemand wird gestört. Gerade, wenn du oder ich früh raus müssen.”

Marios Augen hatten sich bei Elsas Frage geweitet und im nächsten Augenblick stand er direkt vor ihr und seine Hand berührte ihr Kinn. Elsas Herz nahm einen Takt zu, als er dieses sanft nach oben drückte und seine dunklen, warmen Augen direkt auf ihre gerichtet waren.

“Elsa”, gab er mit leiser aber fester Stimme von sich, “ich räume mein Bett nicht. Du kannst gerne bei Hannah im Wohnzimmer schlafen oder bei Masaru. Ich hätte gerne meinen Rückzugsraum. Ich kenne deine Freundin doch gar nicht. Wir sollten bei unseren bisherigen Überlegungen bleiben.” Damit löste er seine Hand und drehte sich herum, um Masarus Hand in seine zu nehmen. “Na gut, gehen wir und holen deine Freundin ab, Elsa. Nicht, dass wir zu spät kommen.” Gemeinsam mit ihrem Sohn verließ er die Wohnung. Elsa sah ihm noch einen Augenblick unsicher hinterher. Wieder hatte er ihr Herz zum durchdrehen gebracht. Diese Handlung, ihr so nahe zu sein, ihr Kinn hochzudrücken. Er hätte seinen Kopf nur ein kleines Stück senken müssen, dann hätten sich ihre Lippen berührt. War ihm eigentlich klar, was er da mit ihr anstellte? Sicher nicht, denn sonst würde er sich doch zurückhalten … Ein Seufzen entkam ihr, ehe sie machte, dass sie den beiden folgte. Sie wollte wirklich nicht zu spät sein, um Hannah abzuholen. Vorfreude auf ihre Freundin spülte alles andere hinfort. Nur noch ein wenig, dann würden sie sich in den Arm nehmen können.
 

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Seufzend zog Mario die Bettdecke ein wenig höher und starrte an die Decke. Wie genau kam er jetzt eigentlich hierher? Er schloss seine Augen und verschiedene Geräusche drangen an seine Ohren. Das leise Schnaufen seines Sohnes und das Rascheln dessen Bettdecke, als er sich in seinem Bett bewegte. Dann die Stimmen und das Lachen von Elsa und ihrer Freundin, das gedämpft durch die Wand drang. Masarus Kinderzimmer und sein Schlafzimmer lagen direkt nebeneinander. Man konnte die beiden Frauen hören. Und immer noch fragte er sich, wie er hier gelandet war … Heute Mittag hatte er Elsa eigentlich noch erklärt, dass er sein Bett nicht räumen sondern selbst dort schlafen würde … Und nun lag er doch auf eigentlich Elsas Futon auf dem Boden von Masarus Zimmer und versuchte zu schlafen, während sich Elsa und Hannah in seinem Bett breit machten. Oh man … Aber gut, was sollte er auch machen, wenn Elsa ihn mit diesen großen und wunderschönen Augen ansah und einen Wunsch äußerte? Wie als ob er ihr jemals einen Wunsch abschlagen könnte. Elsa hatte sowieso sehr viel Einfluss auf ihn. Auf ihn, seine eigenen Gedanken und Wünsche … auf seine Gefühle. Oh Gott. Er legte beide Hände auf sein Gesicht. Wie sollte das hier funktionieren? Er und Elsa zusammen in einer Wohnung. Sie war die Mutter seines Sohnes. Dass sie nicht mit ihm zusammen sein wollte, hatte sie ja eindrucksvoll dadurch bewiesen, dass sie ihm nichts von Masaru erzählt hatte. Hätte sie mit ihm zusammen sein wollen, hätte sie das doch gemacht, spätestens, als sie nach Japan zurückgekehrt war. Er musste es einfach schaffen, seine dummen Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Das Schlimmste wäre eindeutig, dass es so eskalieren würde, dass Elsa sich nicht mehr dazu in der Lage sah, mit ihm zusammen zu leben. Denn wenn sie ausziehen würde, würde sie Masaru sicherlich mitnehmen. Und auch, wenn sie dann vielleicht doch ein Wechselmodell einführen würden, wo ihr Sohn tageweise je bei einem von ihnen leben würde, wäre das nicht mehr das, was ihn wirklich glücklich machte. Nein, er würde damit klar kommen, wie es jetzt war. Er musste einfach.
 

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Am nächsten Morgen wurde er dadurch geweckt, dass ein lautes “Papa” durch den Raum hallte, gefolgt von fast 15 Kilo purem Kind, das sich auf ihn warf. Ein lautes “Uff!” entkam Mario und er streckte seine Hände abrupt aus, um Masaru aus seinem Magen zu ziehen. “Großer”, murmelte er und rieb sich über das Gesicht. Die strahlenden Augen seines Kindes waren auf ihn gerichtet.

“Papa! Du hier schlaf?”

Er musste schmunzeln und richtete sich auf, während er Masaru durch die schwarzen Haare wuschelte. “Ja, habe ich. Mama und Tante Hannah schlafen in meinem Bett, also habe ich Mamas genommen.”

“Schön.” Und schon warf sich Masaru um Marios Hals und drückte sich an ihn. Mario erwiderte die Umarmung und genoss es, seinen Sohn so bei sich zu haben. Und ihm war klar, dass er das auf keinen Fall riskieren durfte, daher musste er seine Gefühle für dessen Mutter zurückstellen.

“Bist du denn schon wach? Sollen wir aufstehen und frühstücken?”

Schon nickte der Junge und sprang auf. “Ja. Hunger hab.”

“Na dann raus mit dir. Worauf hast du denn Lust?”
 

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Sie saßen schon eine Weile zusammen am Esstisch, als eine Türe geöffnet und wieder geschlossen wurde. Gleich darauf kam Elsa in einem dicken Pyjama gähnend in die Küche.

“Guten Morgen”, murmelte sie, ehe sie erneut gähnte, dazu eine Hand vor den Mund hielt. “Hier riecht es ja köstlich.” Ihr Blick glitt vom Esstisch in die Küche, wo es ziemlich unordentlich aussah.

“Masaru hatte Lust auf Pancakes, also haben wir welche gemacht, nicht wahr, Großer?”, richtete Mario grinsend an seinen Sohn. Der nickte aufgeregt, während er bereits den fünften in sich hinein schaufelte.

“Na dann. Wenn es so gut schmeckt wie riecht, dann freue ich mich darauf.” Elsa kam zum Esstisch, legte beiden Männern eine Hand auf die Schultern und beugte sich zu Masaru, um diesen einen sanften Kuss auf die Wange zu drücken. “Guten Morgen mein Schatz”, fügte sie hinzu. Dann beugte sie sich zu Mario und erstarrte, als ihr bewusst wurde, dass sie auch ihm fast einen Kuss auf die Wange gehaucht hätte. Sie zog ihren Kopf mit roten Wangen zurück. “Entschuldige bitte”, nuschelte sie, “war wohl eindeutig zu wenig Schlaf.”

Auch Marios Wangen nahmen einen roten Schimmer an. “Schon okay”, murmelte er und versuchte sein Herz zu beruhigen. Schnell widmete er sich wieder seinem Kaffee vor sich, während Elsa in die Küche ging, um sich ebenfalls einen Kaffee und Pancakes zu holen. “Schläft Hannah noch?”, richtete er an sie, ohne seinen Kopf zu drehen.

“Ja, tut sie. In Deutschland wäre es jetzt ungefähr zwei Uhr morgens. Der Jetlag wird sich vermutlich noch ein paar Tage durchziehen.”

“Das kann ich mir gut vorstellen.” Mario sah doch wieder auf, als sie sich ihm gegenüber an den Esstisch fallen ließ.
 

~~~
 

Als Hannah aufstand, war es halb elf. Elsa bot ihr noch ein Frühstück an, dass diese gerne annahm. Während Mario mit Masaru auf dem Boden saß und dort mit den Autos spielte, begutachtete Hannah ihn vom Esstisch aus.

“Okay, ich verstehe, was du immer meinst. Kein Wunder bist du schwanger geworden. Den heißen Typ hätte ich auch nicht von der Bettkante gestoßen! Er sieht ja schon angezogen zum anknabbern aus, aber ohne Kleidung? Ich glaube, ich will es mir gar nicht erst vorstellen, immerhin gehört er dir.”

“Hannah!”, stieß deren Freundin schockiert aus.

Mario drehte sich auf den Tonfall verwirrt zu ihnen herum. Er hatte kein Wort von dem verstanden, was Hannah zu Elsa gesagt hatte. Die beiden Frauen sprachen hauptsächlich deutsch miteinander. Anscheinend hatte Elsa in den dreieinhalb Jahren in Deutschland die dortige Sprache gut erlernt. Fragend blickte er Elsa an, deren Wangen rot angelaufen waren.

“Alles in Ordnung, Elsa?”, fragte er nach.

“So etwas kannst du doch nicht sagen”, richtete diese an ihre Freundin, die daraufhin auflachte. Mario wurde ignoriert, sie konnte ihm doch nicht sagen, was Hannah gerade von sich gegeben hatte.

“Oh, ihr Japaner seid einfach so prüde.”

Da Mario immer noch verständnislos in ihre Richtung blickte, fühlte Elsa sich doch dazu gezwungen, etwas zu sagen. “Sie meinte, wir Japaner sind prüde”, murmelte sie, was dem Vater ihres Sohnes nur ein Stirnrunzeln entlockte.

“Ich habe eigentlich erst gemeint, dass du schon ziemlich gut aussiehst und ich verstehe, dass Elsa dich nicht von der Bettkante gestoßen hat”, erklärte Hannah in dem Augenblick auf Englisch, sodass auch er sie verstehen konnte. Sofort färbten sich seine Wangen rot. “Und ja, ihr seid wirklich prüde, obwohl ihr beide …” Sie sprach es nicht aus, deutete nur mit ihren Fingern zwischen ihnen hin und her. “Da sitzt der Beweis.” Nun zeigte der Finger auf das Kind, das weiterhin mit seinen Autos spielte und sich nicht stören ließ.

“Das … ist nicht prüde”, murmelte Mario und versuchte sich rechtzufertigen. “Das gehört sich einfach nicht. Wir reden über so etwas halt nicht. Und ja, wir sind hier in Japan, so ist das eben.”

“Schon gut.” Hannah lachte wieder glockenhell. “Ich wollte euch auch nicht ärgern, es ist mir einfach nur in den Kopf geschossen.”

“Du bist unmöglich.” Ein Lachen entkam Elsa. In den dreieinhalb Jahren hatte sie sich nicht richtig daran gewöhnen können, dass die Deutschen so offen waren, was dieses Thema anging. Natürlich hatte sie Sex gehabt, das hatte man spätestens nach ein paar Monaten gesehen, aber darüber reden musste sie nun wirklich nicht.

“Was hast du heute geplant?”, fragte ihre Besucherin in dem Moment.

“Das kann ich beantworten. Masaru und ich”, Mario sah von Hannah zu seinem Sohn vor sich auf dem Boden, “gehen Oma und Opa besuchen und essen dort zu Mittag, nicht wahr? Danach treffen wir uns noch mit Onkel Gregor und haben einen richtigen Männertag. Und Mama und Tante Hannah können einen Mädelstag machen und stundenlang quatschen. Natürlich nur”, verunsichert wandte er sich an Elsa, “wenn es für euch okay ist, dass ich Masaru entführe. Ich bin mir sicher, dass Hannah auch gerne Zeit mit ihm verbringen will”, nun blickte er diese an. “Ich dachte halt, dass ihr euch so lange Zeit nicht gesehen habt, da habt ihr sicher ganz viel zu reden. Und dann noch der Jetlag. Vielleicht bist du ja auch ganz froh, wenn heute noch kein großes Programm ansteht.”

“Oh Mario, das ist so lieb von dir”, richtete Elsa mit leuchtenden Augen an ihn. “Was meinst du, Hannah? Wir könnten nachher auch was zu essen bestellen.”

“Das klingt wirklich gut.” Hannah nickte und wandte sich Mario zu, den sie anlächelte. “Danke, dass du so an mich denkst.”

Schon wurden seine Wangen wieder rot. “Gerne. Wenn Elsa glücklich ist, bin ich es auch.”

“Na das höre ich doch gerne.” Hannah schmunzelte. “Mach meine Freundin auch weiterhin glücklich.”

“Hannah”, zischte besagte beste Freundin, während Mario nickte.

“Ich gebe mein Bestes. Denn wenn es Mama gut geht”, er sah Masaru an, “dann geht es uns allen gut, nicht wahr?”

Der Junge verstand ihn zwar nicht wirklich, nickte aber trotzdem.

“Danke dir.” Elsa lächelte Mario an, der das Lächeln erwiderte.

“Immer, Elsa.”

Hannah legte ihren Kopf schräg und beobachtete die beiden ebenfalls lächelnd. Man merkte ihnen doch an, dass sie sich mochten. Sie war gespannt, wann den beiden das klar wurde.

Kapitel 20

“Da, Tante Hannah, Pferde!” Masarus kleine Hand ergriff die größere und schon wurde Hannah von ihm mit durch den Tierpark gezogen.

Schmunzelnd blickten Elsa und Mario den beiden hinterher. Zu Beginn war Masaru Hannah gegenüber sehr zurückhaltend, fast etwas schüchtern. Aber gut, neun Monate im Jahr eines noch nicht einmal Dreieinhalbjährigen waren doch sehr viel. Es hatte zwar ein wenig gebraucht, aber dann war er ihr gegenüber wieder vollständig aufgetaut. Und ab da hörte er auch nicht mehr auf zu reden. Er hatte die ersten drei Jahre viel deutsch gehört, auch seine Kinderkrippe war deutschsprachig gewesen. Mit ihren Freunden sprach Elsa damals deutsch, versuchte es so gut es ging zu lernen, was wohl auch gut geklappt hatte. Mit Hannah, mit der sie ja zusammen wohnte, sprachen sie deutsch. Mit Oma und Opa japanisch. Auch hatte sie mit ihrem Sohn japanisch gesprochen, es war seine Muttersprache. Und jetzt, nachdem er lange hauptsächlich japanisch gesprochen hatte, gab er einen süßen Kauderwelsch aus japanisch und deutsch von sich. Elsa war die Einzige von ihnen, die ihn wirklich verstehen konnte.

“Es ist schön, das zu sehen.” Elsa lächelte und vergrub ihre Hände in ihren Jackentaschen. “Es ist nicht selbstverständlich, dass immer noch so eine Verbundenheit da ist, wenn so eine große Entfernung zwischen einem liegt, dazu der Zeitunterschied. Deshalb macht es mich wirklich glücklich, dass Masaru und Hannah sich so gut verstehen und ein tolles Team sind.” Als sie eine Hand an ihrem unteren Rücken spürte, sah sie erstaunt auf. Mario war dicht neben sie getreten und sein Blick war auf sie gerichtet, während ein Lächeln seine Mundwinkel umspielten.

“Du gibst dir viel Mühe, dass Masaru und deine Freundin sich auch regelmäßig über Videotelefonie sehen. Du sorgst dafür, dass er sie nicht vergisst. Es ist dir wichtig, Elsa, deshalb tust du alles für diese Beziehung. Und ich konnte die letzten Tage, in denen Hannah hier ist, bemerken, wie gut es auch dir tut.”

Ihre Wangen färbten sich bei Marios Worten in einen sanften Rotton. Schnell richtete sie ihren Blick zu ihrem Sohn und dessen Begleitung. Die beiden standen an dem Gehege, in dem die Pferde waren. Hannah lachte, während Masaru auf die Tiere deutete.

“Sie war in einer Zeit meines Lebens an meiner Seite, in der ich sonst niemanden hatte. Und auch danach ist sie immer bei uns gewesen. Sie war bei vielen Dingen eine feste Säule in meinem Leben.”

Sie schnappte nach Luft, als Marios Hand von ihrem Rücken über ihre Seite nach oben und zu ihrer Wange wanderte. Ein warmer Schauer rann über ihren Rücken.

“Du weißt nicht, wie dankbar ich ihr dafür bin.”

Wieder sahen sie einander in die Augen, waren sich so nahe. Elsas Herz nahm einen Takt zu. Genau so etwas waren diese Dinge, die sie als widersprüchliche Zeichen von ihm bezeichnen würde. Auf der einen Seite brachte es ihr Herz zum schneller schlagen, auf der anderen machte es ihr Sorgen. Vielleicht beabsichtigte und meinte er damit gar nicht das, was sich ihr Herz in dem Augenblick sehnlichst wünschte und das machte ihr Angst.

“Mama, Papa!”, riss eine laute Stimme sie aus ihren Gedanken.

Elsa und Mario machten einen Schritt auseinander und blickten in die Richtung, aus der sie gerufen worden waren. In dem Augenblick kam Masaru schon bei ihnen an und warf sich an ihre Beine.

“Die Pferde sind so toll. Mag auch eines haben!”

Lachend bückte sich Mario und hob seinen Sohn hoch. “Tut mir leid, Großer, aber das passt nicht in unseren Flur.”

Elsa kicherte bei der Aussage. In Deutschland gab es ein altes Lied, das irgendwie so ging: “Da steht ein Pferd auf dem Flur”. Schade, dass es das nicht auf japanisch gab, sie würde es Mario jetzt zu gerne vorspielen. Sie legte eine Hand auf Marios Unterarm, lehnte sich ein wenig nach vorne und strich Masaru sanft über die Wange. “Vielleicht können wir ja nachher noch nach einem Kuscheltier schauen. Da gibt es ja vielleicht auch Pferde.”

“Ja, wenn ich darüber nachdenke, vielleicht findet sich in deinem Zimmer ja Platz für ein kleines Pferd”, stimmte Mario nachdenklich zu.

“Au ja!” Masaru jubelte und strahlte übers ganze Gesicht. Elsa und Mario lachten. Sie liebten es beide, wenn ihr Sohn so glücklich war. Das sollte er immer sein und sie würden alles dafür tun, dass es so wäre!
 

~~~
 

“Ich mag wirklich nicht, dass du gehst”, murmelte Elsa zwei Tage später.

“Ich auch nicht, Elsa. Es war und ist so schön hier bei euch. Ich habe euch sehr vermisst. Masaru ist inzwischen echt groß, das erschreckt einen. Er hat auch so einen Fortschritt im Reden gemacht.”

“Da ist er zwar immer noch ein wenig hintendran, aber er wächst zweisprachig auf. Laut Kinderarzt spricht er dafür wirklich gut.” Elsa seufzte auf und verschränkte ihre Arme unter ihrem Kopf, während sie zur Decke hinauf blickte.

“Ich finde es ja toll, dass du immer noch deutsch mit ihm sprichst”, murmelte Hannah, die auf ihrem Bauch lag, die Arme um ihr Kopfkissen geschlungen und ihren Kopf darauf zur Seite gedreht hatte, um ihre Freundin anzusehen.

“Ich finde es toll, eine zweite Sprache zu können. Deutsch ist alles andere als leicht und ich bin auch kein Meister darin, aber ich gebe mein Bestes. Um besser zu werden, muss ich es weiter sprechen. Und so kann ich mit dir reden. Masaru auch. Er kann im Gegensatz zu mir auch noch kein Englisch. Das wird mit der Schule kommen, aber jetzt ist er noch zu klein.”

“Er macht das super. Nein, du machst das super, ihr beide halt.”

Ein Lächeln erschien auf Elsas Zügen. “Danke”, flüsterte sie.

“Ach, deswegen doch nicht. Aber ich muss schon sagen, die letzten Tage durfte ich feststellen, dass nicht nur du das super machst. Mario ist wirklich ein sehr toller Vater. Er vergöttert Masaru ja regelrecht.”

“Nicht wahr?” Aus dem Lächeln wurde ein Strahlen.

“Oh ja. Und auch ihr beide”, Hannah schmunzelte, “ihr seid ein sehr gutes Team.”

“Wirklich?” Auch Elsa drehte ihren Kopf zur Seite, betrachtete ihre Freundin neugierig.

“Ja. Ihr seid so … so harmonisch. Ihr drei, ihr seid einfach viel mehr als Elternteile und ein Kind. Ihr seid eine Familie und das ist wirklich schön. Ich freue mich sehr, dass es so gut läuft.”

“Wirklich?” Nun drehte sich Elsa mit schneller schlagendem Herzen auf die Seite.

“Ja. Warte kurz.” Hannah griff nach ihrem Handy und suchte darauf etwas, ehe sie es ihrer Freundin reichte. “Das Foto habe ich heute im Tierpark von euch dreien gemacht. Siehst du es nicht auch? Ihr seid eine Familie!”

Elsa blickte mit großen Augen auf das Foto. Mario hatte Masaru auf dem Arm. Elsa beugte sich zu diesem und berührte ihn an der Wange, während ihre Hand auf Marios Unterarm lag. Hannah hatte recht. Sie wirkten wie eine Familie. Wie eine glückliche Familie, so wie sie darauf lächelten und strahlten. Ihre Augen leuchteten alle. Es war ein tolles Foto.

“Kannst du es mir bitte schicken?”, fragte sie mit bebender Stimme und wischte sich sogleich verlegen eine kleine Träne aus den Augenwinkeln. Das hatte sie gerade wirklich berührt.

“Meinst du nicht auch, Mario hätte schon vor über vier Jahren so reagiert, wenn du ihm gesagt hättest, dass du von ihm schwanger bist?”, fragte Hannah in diesem Augenblick.

Elsa erstarrte. “Ich … ich weiß es nicht. Ich … ich rede mir immer ein, dass es wahrscheinlich so gewesen wäre. Vermutlich wäre er immer für mich da gewesen, hätte mich unterstützt. Aber auf der anderen Seite … er hätte so viel für mich aufgeben. Das wollte ich doch nicht. Er hat gesagt, dass er mich liebt, aber was, wenn er nach Deutschland gekommen wäre und nach kurzer Zeit hätten wir herausgefunden, es passt nicht? Dann hätte er sich vielleicht dazu gezwungen gefühlt, mit mir zusammen zu sein, nur weil ich sein Kind erwarte. Das hätte doch auch nicht sein müssen …”

“Elsa.” Hannah streckte eine Hand aus, umfasste damit eine ihrer Freundin. “Wenn ich die letzten Tage etwas beobachten konnte, dann das Mario viel an dir liegt. Er sieht dir immer hinterher, lächelt dabei. Sein Blick verfolgt dich regelrecht. Es geht ihm immer um dich und Masaru. Er will ständig deine Meinung wissen, ob alles in Ordnung ist, ob du etwas brauchst. Ja, du bist die Mutter seines Sohnes, aber das ist nicht der Grund dafür. Ich bin mir sicher, dass du für ihn viel mehr bist als nur das. Ich bin mir sogar sehr sicher, dass er dich immer noch liebt.”

Nun glühten die Wangen der neben ihr Liegenden regelrecht. “Denkst du … denkst du das wirklich?”

“Oh ja, das denke ich. Elsa, der Kerl … das ist dein Kerl. Werde dir darüber klar, was du willst. Aber dann lasse ihn nicht mehr solange warten, bis du es ihm sagst. Er musste schon einmal lange auf die Wahrheit warten, verschweige ihm nicht noch so etwas Wichtiges.”

“Was meinst du damit?” Elsa runzelte ihre Stirn. Ja, sie hatte Masaru seinem Vater verschwiegen und ihr war auch klar, wie falsch das gewesen war, doch was sollte sie ihm jetzt nicht verschweigen?

“Dass Mario für dich ebenfalls viel mehr als nur Masarus Vater ist. Ihr beide verdient es, glücklich zu werden. Lass eure kleine Familie”, Hannah hob ihr Handy an, “Wahrheit werden.”

Kapitel 21

Die Stimmung war niedergeschlagen, das zog sich schon durch den ganzen Tag. Doch Mario konnte es verstehen. Es war unklar, wann Elsa und Hannah sich das nächste Mal sehen würden, persönlich. Kontakt hatten sie regelmäßig, ob Nachrichten oder Anrufe mit Video, trotzdem war es etwas anderes, so Zeit miteinander verbringen zu können. Die Stimmung der beiden Frauen hatte sich auch auf Masaru ausgewirkt. Er war sehr weinerlich und klammerte sich regelrecht an Hannah.

Sie liefen gemeinsam durch das Flughafengebäude, zeigten dem Jungen, von der Besucherterrasse aus die startenden und landenden Flugzeuge, was diesen total begeisterte. Trotzdem hielt er Hannahs Hand in seiner, weigerte sich, diese loszulassen. Ihren Koffer hatte sie bereits aufgegeben, sie hatten aber noch ein wenig Zeit, ehe sie durch die Sicherheitskontrolle musste.

“Mama”, gab Masaru auf einmal von sich und starrte diese mit großen Augen an. “Muss Pipi!”

“Oh, dann aber schnell. Komm.” Elsa hielt ihm ihre Hand entgegen und gleich darauf liefen sie gemeinsam zu den Toiletten. Mario und Hannah sahen ihnen hinterher.

“Mario?”, richtete Hannah an ihn.

Fragend blickte er sie an. “Ja?”

Sie trat zu ihm, sah ihn mit schief gelegtem Kopf an. “Ich wollte dir nur noch sagen, dass du ein toller Papa bist. Wie du mit Masaru umgehst, wie sehr du ihn liebst … Ich wünschte, Elsa wäre ehrlich zu dir gewesen, von Anfang an. Sei ihr bitte nicht mehr böse. Sie hat es dir nicht verschwiegen um dich zu verärgern, sie wollte nur, dass du glücklich wirst.”

Mit vor Erstaunen geweiteten Augen sah Mario seine Gegenüber immer noch an. Was Hannah da gesagt hatte … Langsam schüttelte er seinen Kopf. “Ich bin ihr nicht mehr böse. Ja, ich finde es nicht gut. Ich wünschte mir, dass ich von Anfang an gewusste hätte, dass es Masaru gibt, beziehungsweise, dass er auf dem Weg ist. Dass ein Kind entsteht, dazu gehören immer zwei Personen. Ich hätte sie unterstützt, immer und überall. Ich wäre für sie, für sie beide dagewesen. Sie bedeuten mir unglaublich viel.”

Ein Lächeln trat auf Hannahs Züge. “Elsa bedeutet dir viel?”

Marios Wangen bekamen einen roten Schimmer. “Natürlich”, murmelte er, “sie ist Masarus Mutter.”

“Sie ist mehr für dich, oder? Also mehr als nur die Mutter deines Sohnes.”

Seine Wangen wurden dunkler, er antwortete jedoch nichts.

“Ich habe euch beide die letzten Tage betrachtet. Elsa und du … zusammen mit Masaru, ihr wirkt wie eine Familie.” Sie lächelte immer noch, konnte es nicht abschalten, wollte es auch gar nicht. “Ich habe es Elsa erst gesagt. Ihr beide, ihr seid so ein harmonisches Team, ihr funktioniert Hand in Hand. Ihr beide liebt euren Sohn und tut alles für ihn. Aber ich habe auch euch beide beobachtet, dich. Wie du Elsa ansiehst, ihr hinterher blickst, wenn sie irgendwo hingeht. Wie du alles dafür tust, dass es ihr gut geht, ihr versuchst jeden Wunsch direkt von den Augen abzulesen. Sie bedeutet dir viel. So viel mehr, als dass ihr einfach nur ein gemeinsames Kind habt. Dann ist da ja auch noch eure Vorgeschichte, die Gefühle, die ihr beide füreinander hattet, die auch der Grund dafür sind, dass es Masaru heute gibt. Und ich will ehrlich sein, ich glaube, dass es diese Gefühle immer noch gibt.”

Mario blinzelte erstaunt, ehe er lächelte und seine Hände in seine Hosentaschen schob. “Weißt du Hannah, ich war eifersüchtig auf dich, von Anfang an.”

“Was?” Nun war sie es, die ihn erstaunt anblinzelte. Mit so einer Aussage hatte sie nicht gerechnet, vor allem nicht, nachdem sie ihm seine Gefühle auf den Kopf zugesagt hatte.

“Du hast Elsas ganze Schwangerschaft miterlebt, vermutlich sogar die ersten Tritte von Masaru zu spüren bekommen. Sie hat sich mit dir austauschen können, mit dir über alles reden. Dann hast du meinen Sohn von der Geburt an erlebt. Alle seine ersten Entwicklungen. Seine ersten Lächeln, seine ersten Zähne. Als er zu essen begonnen hat. Seine ersten Schritte, die ersten Worte. Du warst von Beginn an eine sehr enge Bezugsperson für ihn. Du hast alle die Dinge erlebt, die ich gerne erlebt hätte, es aber nie getan habe und auch die Chance dazu niemals wieder haben werde. Er war fast drei, als ich ihn kennengelernt habe. Wie gesagt, ich war so eifersüchtig auf dich, darauf, dass du das alles erlebt hast. Aber jetzt, nachdem du bei uns zu Besuch warst, mir gezeigt hast, wie sehr du meinen Sohn liebst - jetzt bin ich einfach nur dankbar für dich. Dafür, dass du für Elsa da warst, diese ganze Zeit durch. Dass du sie unterstützt hast. Dafür, dass du Masaru so in dein Herz geschlossen hast und auch für ihn da warst. Ich hoffe, dass du das weiterhin bist.”

Tränen waren in Hannahs Augen getreten, die sie berührt wegwischte. “Das werde ich”, hauchte sie.

“Das hoffe ich. Und ich hoffe, wir schaffen es, dass du uns wieder, regelmäßig besuchen wirst. Du bist immer bei uns willkommen. Du gehörst zur Familie. Du bist für Elsa wie eine Schwester und für unseren Sohn wie eine Tante. Nein, du bist seine Tante.”

Sie nickte. “Danke.”

“Danke dir.”

“Trotzdem”, sie zwinkerte ihm zu, “du hast nicht auf meine Aussage reagiert.”

Er zuckte mit seinen Schultern. “Was soll ich auch sagen? Du scheinst ja bis auf den Grund meiner Seele zu sehen.”

Hannahs Augen begannen zu leuchten. “Du liebst sie noch?”

“Ich habe nie damit aufgehört, auch wenn ich es lange zu unterdrücken versucht habe, lange wütend auf sie war. Aber das alles hat nichts an meinen Gefühlen für sie geändert.”

Nun strahlte alles an seiner Gegenüber. “Sag ihr das.”

“Irgendwann werde ich das sicher … aber … bist du sicher, dass ich das soll? Ich will sie nicht verlieren, ebenso wenig wie Masaru. Ich darf das alles nicht riskieren.”

“Mario”, Hannah legte eine Hand auf seine Schulter, sah ihn ernst an, “sag es ihr. Du wirst nichts riskieren, glaube mir. Solange du es ihr nicht sagst, riskierst du es, euch zu verlieren. Ihr drei, ihr seid schon eine Familie. Macht es einfach offiziell.”

Und noch ehe einer von ihnen etwas weiteres sagen konnte, stießen Elsa und Masaru wieder zu ihnen.
 

~~~
 

Zwanzig Minuten später verabschiedeten sich Elsa und Hannah unter Tränen voneinander, hätten sich am liebsten gar nicht mehr losgelassen. Auch Masaru wurde von Hannah fest gedrückt. Sie umarmte auch Mario, flüsterte ihm zu, dass er Elsa und ihren Sohn weiterhin glücklich machen sollte, ehe sie durch die Sicherheitskontrolle ging. Mario trat neben Elsa, die Masaru auf dem Arm hatte und an sich drückte. Er legte einen Arm um sie und gemeinsam sahen sie Hannah hinterher, winkten ihr, bis sie nicht mehr zu sehen war. Anschließend gingen sie drei wieder auf die Besucherterrasse und sahen noch zu, wie Hannahs Flugzeug Richtung Deutschland startete, ehe sie sich zusammen auf den Nachhauseweg machte.
 

~~~
 

“Er schläft. Er war total aufgewühlt, aber das wundert mich nicht.” Elsa seufzte. “Hannah und ich waren ja nur am weinen, natürlich hat das Masaru auch mitgenommen. Es tut mir wirklich leid.” Sie sah zu Mario, zu dem sie in die Küche getreten war. Er lächelte sie an.

“Du musst dich doch nicht entschuldigen, Elsa. Du und Hannah, ihr wart traurig. Das sind Gefühle, die eben dazu gehören. Das kann auch Masaru wissen und lernen. Zudem bin ich mir sicher, dass ihr euch bald über ein Videotelefonat sehen werdet. Außerdem wird uns Hannah auch wieder besuchen, sie ist hier immer willkommen.”

Elsas Augen weiteten sich erstaunt, ehe sie lächelte. “Oh Mario. Danke.”

“Nicht dafür. Ich mag sie, sie ist sehr sympathisch, wenn auch manchmal sehr … offen und direkt, aber das wird wohl an ihrer Mentalität zu liegen. Die Deutschen sind halt anders.”

Ein Lachen entkam Elsa. “Das stimmt wohl. Glaube mir, es war teilweise sehr überfordernd, als ich in Deutschland angekommen bin. Mit der Zeit wurde es einfacher. Auch wenn sie mich die Tage wieder oft durcheinander gebracht hat. Anscheinend bin ich schnell wieder in das japanische Verhalten eingetaucht.”

“Es war wohl immer in dir.” Mit einem Schmunzeln zwinkerte Mario ihr zu.

Sie lächelte immer noch, wurde dann plötzlich ernst. Was hatte Hannah gesagt? Sie musste ehrlich sein. Zu sich, zu ihm … zu ihnen beiden … Langsam trat sie auf ihn zu und auch er wurde ernst. Das Schmunzeln erlosch und er sah mit großen Augen zu ihr hinunter, unsicher, was sie da tat. Da legte sie ihm schon beide Hände auf die Brust, spürte, wie sein Herzschlag unter ihrer Handfläche zunahm.

“Trotzdem … Mario, ich bin dir sehr dankbar, dass Hannah hier wohnen durfte, bei uns. Dass wir dein Bett bekommen haben. Es bedeutet mir viel und ich werde es dir niemals vergessen.”

Und dann stellte sie sich auf ihre Zehenspitzen, hob ihren Kopf und hauchte ihm einen sanften Kuss auf die Wange, verharrte in dieser Stellung einen Augenblick mit geschlossenen Augen. “Lass eure kleine Familie Wahrheit werden”, schossen ihr Hannahs Worte durch den Kopf. Wahrheit … sie wollte es. Sie wollte, dass sie eine Familie waren. Nicht nur auf Bildern, in Wirklichkeit. Und dann nahm sie ihren ganzen Mut zusammen, zog ihre Lippen über seine Wange weiter und dann streifte sie seine Lippen. Ihr Herzschlag explodierte fast in ihrer Brust. Es fühlte sich so gut an, alles in ihr zog sich genussvoll zusammen. Sie wollte das hier … Doch … Mario regte sich nicht. Als sie ihre Augen öffnete, erkannte sie, dass er sie mit großen Augen anstarrte. Was sich in ihr gerade noch genussvoll zusammengezogen hatte, schmerzte plötzlich. Sie machte einen Schritt nach hinten und löste sich von ihm.

“Ent-entschuldigung”, stotterte sie und wollte sich umdrehen, verschwinden, einfach nur von ihm wegkommen.

Da legten sich seine Hände um sie, zogen sie erneut an sich. Seine dunklen Augen legten sich warm auf ihre, musterten sie genau, sein Blick huschte von einem Auge zum andern, dann senkte er seinen Kopf. Elsas Herztakt nahm erneut zu und alles in ihr begann zu kribbeln, noch mehr, als sie seinen Atem auf ihren Lippen spürte und genau dann, als sich ihre Münder berührten, nur ganz leicht, nicht richtig … erklang ein lautes Heulen. Beide erstarrten, ehe sie zur Seite sahen.

Ein Seufzen entkam Mario. “Unser Timing ist echt verdammt schlecht”, murmelte er.

“Anscheinend”, erwiderte Elsa. Sie löste sich aus seinen Armen, blickte ihn noch einmal entschuldigend an, ehe sie sich auf den Weg zu ihrem Sohn machte, der immer noch weinte und nun laut nach ihr verlangte.

Mario blickte ihr hinterher und seine Finger landeten auf seinen Lippen. Sie hatten sich fast geküsst … Und dann begann er zu strahlen, ein Lächeln nahm seine Züge ein. Der Kuss war von Elsa ausgegangen. Das bedeutete doch eindeutig, dass sie doch etwas für ihn empfand und dass da doch noch sehr viel mehr zwischen ihnen war …

Kapitel 22

“Komm doch mal zu mir, Masaru. Dann kann Mama ihren Kaffee in Ruhe austrinken.” Mario streckte eine Hand nach seinem Sohn aus, der nur seinen Kopf schüttelte und ihn anschließend nur noch weiter in Elsas T-Shirt vergrub. Diese seufzte und drückte ihn noch etwas mehr an sich, während sie versuchte, ihren Kaffee zu trinken, ohne ihn auf ihrem Sohn zu verschütten. Sie hob ihren Kopf und kaum dass Marios und ihr Blick sich trafen, nahm ihr Herz einen Takt zu. Gestern Nacht hatten sie sich beinahe geküsst … und dann hatte Masaru geweint und klebte seitdem an ihr, ließ sie nicht eine Minute allein.

“Vermutlich nimmt es ihn doch mehr mit, dass Hannah abgereist ist, als ich dachte.” Sanft streichelte Elsa ihrem Sohn über den Rücken.

“Das scheint zu stimmen.” Mario kniete neben Elsas Stuhl und legte eine Hand auf Masarus Knie, der ihn unsicher anblickte. “Großer, sollen wir bald in den Kindergarten gehen?”

Und schon schüttelte der Junge seinen Kopf. “Nicht Kindergarten gehen.”

“Schatz, Papa und ich müssen arbeiten, du musst leider in den Kindergarten.”

“Nein!” Und schon liefen “Nur Mama!”

wieder Tränen über Masarus Gesicht.

“Okay, pass auf, ich mache dir einen Vorschlag. Ich mache heute früher Feierabend und dann kann ich dich auch früher abholen.” Auch auf diese Aussage erhielt Mario ein Kopfschütteln.

“Ähm …” Unsicher sah Elsa von ihrem Sohn zu dessen Vater.

“Dann bringe ich dich doch gleich hin und …”

“Nur Mama!” Masarus Stimme wurde lauter und aufgebrachter.

“Wie wäre es, wenn ich dich in den Kindergarten bringe und Papa dich abholt?”, versuchte Elsa eine diplomatische Lösung zu finden. Es besorgte sie, dass Masaru gerade so auf sie fixiert war. Sie wollte auf keinen Fall, dass Mario sich zurückgesetzt fühlte.

“Nein! Nur Mama!” Das dünne Stimmchen wurde lauter.

“Und wenn ich dich in den Kindergarten bringe und Mama dich abholt?”, versuchte auch Mario einen Kompromiss zu finden.

“Nein! Nein! Nein!” Ein lautes Brüllen war zu hören und schon zuckte Elsa zusammen, ebenso Mario.

“Okay mein Schatz, ich bringe dich in den Kindergarten und hole dich ab, ist das in Ordnung?”, fragte Elsa leise und strich über die Haare des Jungens. Er nickte und drückte sich an sie. Unsicher blickte sie zu Mario, dem man die Enttäuschung ansehen konnte. “Es tut mir leid”, richtete sie leise an ihn.

“Alles gut. Du kannst da nichts für, daher hast du auch keinen Grund dafür, dich zu entschuldigen”, richtete er an sie und zog seine Mundwinkel ein wenig nach oben.

“Trotzdem fühle ich mich dabei nicht wohl.”

Mario zog seine Hand von Masarus Bein, legte sie stattdessen auf Elsas Knie, deren Wangen sofort von einem zarten roten Schimmer überzogen wurden.

“Es ist okay. Er braucht gerade dich, seine Mutter. Vermutlich hat er einfach Angst, dass auch du gehst.”

“Das glaube ich auch. Immerhin sind wir beide auch erst vor knapp neun Monaten von Deutschland nach Japan gekommen und haben damals alles, was für ihn gewohnt und normal war, zurückgelassen. Ich könnte mir vorstellen, dass es ihn gestern einfach sehr aufgewühlt hat, als wir Hannah zum Flughafen gebracht und sie verabschiedet haben. Immerhin haben wir das vor neun Monaten auch schon gemacht.”

“Das klingt plausibel.” Mario drückte Elsas Knie sanft, ehe er seinen Sohn erneut ansah. “Was hältst du davon, wenn ich auch früher Feierabend mache? Dann können wir etwas zusammen machen.”

Nun zuckte Masaru mit seinen Schultern, schmiegte sich enger an seine Mutter. Diese strich ihm erneut über die Haare.

“Wir schreiben nachher, ja, Mario? Dann können wir mehr besprechen.”

“Das fände ich gut, ja.” Er stand auf. “Na gut, dann mache ich mich trotzdem auf den Weg in die Arbeit. Je früher ich anfange, desto besser, wenn ich auch früher Feierabend machen will.” Er tippte seinem Sohn gegen das Knie. “Dann sehen wir uns heute Mittag, Großer.” Er blickte Elsa an, zögerte einen Augenblick, ehe er eine Entscheidung traf. Er beugte sich nach vorne und legte seine Lippen einen Augenblick zart auf ihre Wange. “Bis heute Mittag.”

Elsa sah ihm mit großen Augen hinterher, als er den Raum verließ. Ihr Herz schlug unglaublich stark in ihrem Brustkorb, während sich ein Lächeln auf ihren Zügen ausbreitete und sie mit ihren Fingerspitzen über die gerade von ihm geküsste Stelle strich. Das hier bedeutete so unglaublich viel …
 

~~~
 

Es war wie verhext! Mario wollte doch nur eine Sekunde allein mit Elsa sein. Doch es war wie verflixt, vor knapp drei Tagen hätten sie sich fast geküsst und seitdem gab es keine Chance, keine Einzige! Und jetzt auch noch das! Sofort überkam ihn das schlechte Gewissen. So sollte er gerade nicht denken, es gab eindeutig wichtigeres als Elsa und ihn und das war …

“Er hat Fieber.” Besorgt blickte Elsa auf das Fieberthermometer, ehe sie ihren Kopf hob. “Na gut, dann werde ich in der Arbeit anrufen, mich abmelden und anschließend beim Kinderarzt, um einen Termin mit Masaru auszumachen.” Erneut wandte sie sich ihrem Sohn zu und strich diesem sanft über die Stirn. “Okay kleiner Mann, du schläfst noch ein bisschen und dann gehen wir nachher zum Doktor, ja?”

Masaru nickte nur und rollte sich unter seiner Decke zu einer Kugel zusammen. Eine sehr mitleidig zu betrachtenden Kugel. Seine Augen wirkten glasig, die Wangen waren hochrot, die Stirn blass, zudem standen Schweißperlen darauf. Ein Husten entkam ihm, schüttelte den ganzen, kleinen Körper, der in seinem großen Bett regelrecht verschluckt zu werden schien.

“Das wird schon, Großer.” Mario trat einen Schritt näher, wurde jedoch von Elsa aufgehalten, die ihm bedeutete, aus dem Zimmer zu treten. Gleich darauf folgte sie ihm, hielt aber einen gewissen Abstand zu ihm. Kaum dass er zu ihr wollte, hob sie abwehrend ihre Hand.

“Wir sollten ein wenig Abstand halten, Mario. Nicht”, sie schluckte einen Moment und sah ihn unsicher an, “nicht, dass du auch noch krank wirst.”

“Und was ist mit dir, Elsa?”, fragte er, blieb aber wie von ihr angewiesen auf Abstand.

“Masaru und ich teilen uns das Zimmer, wenn, dann habe ich vermutlich schon angesteckt. Aber dann ist wenigstens einer von uns beiden fit. Denn falls ich auch krank werde, dann kannst du hoffentlich nach Masaru schauen.”

Nachdenklich erwiderte Mario ihren Blick, ehe er nickte und seufzte. “Du hast recht … leider.”

“Ich weiß.”

“Eigentlich … ich hatte gehofft …”, brachte er hervor, beendete den Satz jedoch nicht.

Mit roten Wangen lächelte Elsa. “Ich auch, Mario …”

Nun lächelte auch er. Dann wurde er wieder ernst. “Okay, ich gehe nach der Arbeit einkaufen. Bitte schreib mir, was du brauchst. Und ruf mich an, wenn du mit Masaru beim Kinderarzt warst, ja?”

“Natürlich. Und ich rufe erstmal in der Arbeit an. Und eben beim Kinderarzt. Oder vielleicht auch andersrum.”
 

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“Papa?”

“Psst, warte kurz, Masaru. Mama schläft.” Leise zog Mario seine Schlafzimmertüre hinter sich her. Er hatte leider recht behalten. Masaru war wieder gesund, doch jetzt, vier Tage später, lag Elsa mit Fieber flach, sie hatte sich bei dem Jungen angesteckt. Zumindest er war fit und blieb es hoffentlich auch. Nun hatte er sie in sein Schlafzimmer verfrachtet und schlief die nächsten Tage, bis es Elsa besser ging, wieder auf ihrem Futon im Zimmer seines Sohnes.

“Mama krank?” Besorgt musterte sein Sohn die Zimmertüre, ehe er den Kopf hebt. “Masaru Mama krank macht?”

Erschrocken sah Mario ihn an und als eine Träne über die Wange seines Sohnes lief, kniete er sich sofort auf den Boden und zog ihn in die Arme.

“Nein, Masaru. Mama hat sich vielleicht angesteckt, aber das heißt nicht, dass du sie krank gemacht hast.” Er schob seinen Sohn ein Stück von sich und lächelte. “Aber ich habe eine Idee. Bald ist Weihnachten. Sollen wir mal deine Omas anrufen, ob die ein bisschen Deko für uns haben? Dann können wir die abholen gehen und die Wohnung dekorieren. Mama freut sich sicher darüber. Oh, und”, seine Augen leuchteten auf, “sollen wir beide Männer vielleicht einen Weihnachtsbaum zusammen kaufen gehen? Damit können wir deine Mama auch überraschen.”

Und schon leuchteten auch Masarus Augen und er nickte. “Ja, Weihnachtsbaum!”

“Na dann kommt mit. Wir rufen erst die Omas an, dann fahren wir bei beiden vorbei, ehe wir einen Baum holen gehen.”

Schon klatschte Masaru vor Freude in die Hände. Mario betrachtete ihn stolz. Sein kleiner Junge war einfach sein großer Schatz … und der andere, sein Blick fiel erneut auf die Schlafzimmertüre, wurde hoffentlich bald wieder gesund. Dass er sie endlich in seine Arme schließen konnte.
 

~~~
 

“Ich glaube es nicht!” Mit großen Augen starrte Elsa in ihr Wohnzimmer.

“Mama, gefällt dir?”, fragte Masaru und sah sie erwartungsvoll von unten her an, seine kleine Hand in ihrer.

“Es ist wundervoll!”

“Das haben wir beide gut gemacht, Großer.” Mario zwinkerte seinem Sohn zu, ehe er zu Elsa blickte die ihn mit leuchtenden Augen ansah. “Wir sind ein gutes Team”, erklärte er ihr. “Und Masaru hat alles geschmückt.”

“Das seid ihr wirklich. Und du hast es toll gemacht, mein Schatz.”

In einer Ecke ihres Wohnzimmers stand ein Weihnachtsbaum, der mit Lichterketten und Weihnachtsbaumschmuck geschmückt war. Es passte zwar nicht zusammen, was daran hing, aber Masaru schien seinen Spaß gehabt zu haben und das war das wichtigste. Auch ansonsten war viel weihnachtliche Dekoration und Lichter verteilt.

“Es ist wirklich …” Und noch ehe sie aussprechen konnte, wurde Elsa von einem Hustenanfall geschüttelt.

“Elsa.” Mario trat auf sie zu, streckte seine Hände nach ihr aus, doch noch ehe er sie berühren konnte, hob Elsa ebenfalls eine Hand, um ihn vom Näherkommen abzuhalten.

“Nicht. Nicht, dass du dich noch ansteckst.” Ihre Stimme klang heiser. “Ich gehe besser wieder ins Bett.”

“Mach das Lieb…” Mario stockte und seine Wangen wurden rot. “Ähm, ja, geh bitte ins Bett. Ich mache dir noch einen Tee. Deine Mutter hat mir auch eine Suppe für dich mitgegeben, die mache ich dir auch noch warm.”

“Das wäre sehr lieb.”

“Ich mache alles für dich …” Ernst sah Mario sie an und nun wurden ihre Wangen rot und ein Lächeln erschien auf ihren Zügen … bis sie wieder husten musste.

“Ab mit dir ins Bett. Und du Masaru, du hilfst mir.”
 

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Nachdem Mario seinen Sohn abends ins Bett gebracht hatte, sah er bei Elsa vorbei. Sie lag in seinem Bett und schlief. Er setzte sich vorsichtig auf den Bettrand, darauf bedacht, sie nicht zu wecken. Sie brauchte den Schlaf, dass sie schnell wieder gesund werden würde. Seine Finger strichen sanft eine Haarsträhne zur Seite, die über ihr Gesicht gefallen waren. Seine Fingerspitzen blieben anschließend auf ihrer Wange liegen. Sie hatte zwar oft genug gesagt, dass er von ihr fernbleiben sollte, damit er sich nicht ansteckte, doch er konnte es einfach nicht - nicht mehr.

“Ich liebe dich”, flüsterte er. Sein Herzschlag nahm zu. Auf der einen Seite hoffte er, dass sie es nicht hörte, aber auf der anderen … dann wüsste sie es … Er wollte es ihr endlich sagen. Ihr. Wenn sie gesund war. Wenn sie beide zusammen waren. Er wollte mit ihr zusammen sein. Richtig. Sie beide. Sie beide und Masaru. Eine richtige Familie.

Kapitel 23

“Ich habe etwas überlegt”, richtete Elsa an den neben ihr Laufenden.

“Und was?” Neugierig blickte Mario sie an, ehe er seinen Blick wieder auf ihren vor ihnen laufenden Sohn richtete. Dieser hatte seinen Fußball zwischen den Armen und hüpfte damit vor ihnen über den Parkweg. Elsa war wieder einigermaßen gesund und sie hatte einen kleinen Spaziergang machen wollen um ein wenig raus und an die frische Luft zu kommen. Mario hatte entschieden, dass sie alle gehen würden. Und als Masaru vernommen hatte, dass es in den Park gehen würde, hatte er selbstverständlich seinen Fußball mitgenommen. Was sollte man im Park auch sonst machen, außer Fußball zu spielen?

“Wegen Weihnachten. Ich hatte gedacht, dass wir vielleicht bei uns feiern, mit unseren Familien zusammen. Ich weiß, das ist alles sehr kurzfristig. Doch ich kann mir vorstellen, dass es deinen und auch meinen Eltern sehr gefallen würde, Weihnachten mit ihrem Enkelkind zu feiern. Und ich will nicht meinen oder deinen Eltern das Gefühl geben, dass wir sie bevorzugen. Daher alle zur gleichen Zeit und dann bei uns? Gregor würde vermutlich auch dabei sein und vielleicht auch Conny, je nachdem, was ihre Familie geplant hat. Also, was denkst du darüber?” Unsicher richtete sie ihren Blick auf den neben ihr Laufenden, der seine Stirn nachdenklich runzelte. Dann wandte er sich ihr zu und lächelte.

“Ich finde die Idee gar nicht schlecht, Elsa. Du sagst es ganz richtig: Meine Eltern würden sich sehr freuen, deine ebenso. So ist es am einfachsten. Klar, es wird ein wenig eng werden, aber das bekommen wir hin. Den Tisch können wir ausziehen, wenn wir alle ein wenig zusammenrutschen, dann passt das gut. Das Essen kommt einfach auf die Theke … Ähm, ja, das Essen …”

“Da habe ich gedacht, tragen wir zusammen. Jeder bringt etwas mit. Das macht es sicher einfacher, als dass wir den ganzen Tag in der Küche stehen und kochen müssen. Unseren Familien geht es sicher auch so.”

“Klingt noch besser.” Mario schmunzelte und wandte seine Aufmerksamkeit wieder vor sie. “Masaru wird es richtig gut gefallen, da bin ich mir mehr als sicher. Beide Omas und Opas auf einem Haufen, dann noch sein Lieblingsonkel.” Als er einen Knuff in die Seite bekam, sah er erstaunt neben sich.

“Na ein Glück, dass du inzwischen nicht mehr der Fußball-Onkel bist, denn sonst wüsste ich nicht, wer den Platz des Lieblingsonkels einnehmen würde. Du oder Gregor.”

Auch Mario lachte. “Das wäre tatsächlich so … Nein, ich bin wirklich sehr froh, dass ich inzwischen sein Papa bin und nicht sein Onkel. Also …”, er stockte, ehe er Elsa sanft anlächelte, “du weißt, was ich meine. Ich bin wirklich sehr froh darüber …”

Ihr Herz nahm einen Takt zu und auch sie musste lächeln. Sein Hand bewegte sich in ihre Richtung, streifte ihre beim Laufen, hielt inne und dann schob er sie sanft in ihre und … genau in dem Augenblick erklang eine laute und aufgeregte Stimme.

“Masaru!”

“Onkel Gego!”

Erschrocken rissen Elsa und Mario ihre Hände zur Seite und blickten nach vorne, wo gerade Gregor und Conny um eine Ecke gebogen waren. Ersterer hatte sich auf einem Knie auf den Boden gekniet und seine Arme ausgebreitet, in die sich im nächsten Moment schon Masaru warf. Auch Conny beugte sich zu ihrem Freund und dessen Neffen hinunter.

“Macht ihr auch einen Spaziergang?”, fragte Elsa und trat zu ihrem Bruder und ihrer Freundin.

“Ja, war einfach notwendig. Ihr also auch?” Conny richtete sich wieder auf und lächelte.

“Fußball spielen!”, rief Masaru und hielt seinem Onkel den Fußball entgegen.

“Also da bin ich dabei, das weißt du ja”, erwiderte Gregor breit grinsend und erhielt ein vor Freude strahlendes Lachen von Masaru.

“Geht es dir wieder gut?”, fragte Conny ihre Freundin. Diese nickte.

“Im großen und ganzen ja. Ich merke zwar, dass ich noch ein wenig schlapp bin, aber wenn ich es mit vor ein paar Tagen vergleiche, dann ist es um Welten besser.” Kopfschüttelnd aber schmunzelnd blickte Elsa ihren Sohn an. “Masaru hat die Erkältung viel besser weggesteckt als ich. Er war ja nach drei Tagen wieder topfit, ich bin doch ein wenig länger im Bett gelegen.”

“Tja, so kleine Kinder können das wohl besser ab.” Auch Conny schüttelte ihren Kopf, ehe sie ihre Freundin erneut anblickte. “Sollen wir noch eine Runde zusammen laufen?”

“Sehr gerne. Und wie ich es sehe, hast du Gregor sowieso schon an Masaru verloren.”

Ein Lachen erklang. “Damit kann ich sehr gut leben. Bei Masaru weiß ich ihn in guten Händen.”

“Das ist wahrscheinlicher als umgekehrt.”

Jetzt lachten beide Frauen und folgten den beiden, über die sie redeten. Masaru hatte Gregors Hand gepackt und zog diesen mit sich, vermutlich zu der Stelle, an der die beiden oft miteinander Fußball spielten.

Mario folgte ihnen und warf Elsa einen verstohlenen Blick zu. Ihr Timing war wirklich katastrophal. Natürlich könnte er auch jetzt noch zu ihr aufschließen und einfach Elsas Hand in seine nehmen, ihre Finger miteinander verschränken und ihr so zeigen, dass er ihr nahe sein wollte. Aber bevor sie das vor anderen Menschen, mal ausgenommen von Masaru, machten, dazu auch noch Elsas Familie und seinem besten Freund, sollten sie erst noch darüber sprechen, was das war, das zwischen ihnen, mit ihnen. Daher … Er seufzte und ging an den Frauen vorbei, um zu Gregor und Masaru aufzuschließen. Dabei streifte er sanft Elsas Hand, sah ihr in die Augen, lächelte. Und wie so oft machte sein Herz einen Satz, als sie sein Lächeln erwiderte.

“Du Conny, was machst du eigentlich an Weihnachten?”, hörte er sie dann gleich darauf hinter sich sagen. Weihnachten … nur noch ein paar Tage. Bis dahin wären sie sicherlich mehr als nur Eltern, bis dahin waren Elsa, er und Masaru eine richtige Familie, da war er sich sicher!
 

~~~
 

Das durfte doch nicht wahr sein! Sie hatten ein Kind! Ein einziges! Und trotzdem kam es Mario inzwischen vor, als hätten er und Elsa mindestens zehn. Anders ließ es sich doch nicht erklären, dass Elsa ständig von einem Kind umringt wurde. Entweder saß Masaru neben ihr, auf ihrem Schoß oder hielt sich sonst irgendwie an ihr fest. Begonnen mit dem Aufstehen bis zum ins Bett bringen. Und das, was er, Mario, unbedingt wollte, nämlich endlich mit Elsa allein zu sein, um über alles sprechen zu können, war einfach nicht möglich. Um über sich zu reden und sie hoffentlich, endlich, küssen zu können, benötigten sie Zeit zu zweit! Er war sich sicher gewesen, dass sie beide bis Weihnachten endlich mehr waren als Eltern eines Kindes und Mitbewohner … und jetzt … Seufzend sah er sich um. Elsas und seine Mütter standen gemeinsam in der Küche und unterhielten sich, während ihre Väter auf dem Sofa saßen und von dort aus ihren Enkel beobachteten, der gemeinsam mit seinem Onkel und seiner Tante die Holzeisenbahn aufbaute, die er zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Elsa war ins Badezimmer gegangen.

“Mario, wir suchen Schüsseln, um die Reste des Essens einzupacken. Kannst du mir sagen, wo die sind? Ich will nicht eure Küche durchwühlen”, erklang die Stimme seiner Mutter und riss ihn aus seinen Gedanken.

“Warte kurz, Mama. Ich komme und zeige sie euch doch.” Der Gerufene drehte sich um und stieß dabei mit Elsa zusammen, die gerade aus dem hinteren Flur getreten war, der zu den Schlafzimmern und dem Badezimmer führte.

“Entschuldige”, brachte sie hervor und sah ihn mit roten Wangen an. Ihre Hände lagen auf seiner Brust, wo sie sich abgefangen hatte. Seine Hände hatte er im Reflex ausgestreckt und ihre Ellenbogen umgriffen.

“Nichts passiert, Elsa.”

Eigentlich sollte er zu ihren Müttern, doch gerade fühlte er sich außerstande, wegzugehen. Er wollte hier bleiben, bei ihr. Und noch lieber wollte er sie in seine Arme ziehen, seine Gesicht in ihren Haaren vergraben und ihren Geruch tief einziehen. Und noch sehr viel lieber würde er sie küssen, ihre weichen Lippen nach so langer Zeit wieder richtig auf seinen spüren. Sie schmecken, sie an sich ziehen und …

“Mama! Papa! Guckt mal! Zug!”

Beide fuhren auseinander und blickten zu ihrem Sohn, der vor dem Weihnachtsbaum aufgesprungen war und ihnen winkte.

“Ich komme gleich schauen, Großer. Vorher muss ich noch zu deinen Omas in die Küche”, richtete Mario an ihn, ehe er nochmal Elsa anblickte, die seinen Blick entschuldigend erwiderte. “Unser Timing ist schrecklich …”, murmelte er. Sie zog ihre Mundwinkel schief nach oben.

“Da hast du leider recht.” Mit ihren Händen streichelte sie sanft über seine Brust, ehe sie sich ihrem Sohn zuwandte und auf diesen zulief. Mario sah ihr hinterher und vermisste sie sofort. Sie, das Gefühl, sie zumindest halb im Arm zu halten. Ihre Nähe, ihre Wärme, ihren Geruch … einfach alles an ihr.
 

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“Und der kleine Hase nahm den kleinen Bären an der Hand und sah ihn an: Du bist mein bester Freund auf der ganzen Welt. Ich werde immer bei dir sein. Ich werde immer deine Hand halten. Wenn du mich brauchst, bin ich für dich da”, las Elsa ihrem auf ihrem Schoß sitzenden Sohn das Bilderbuch vor, das er ebenfalls zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. “Du darfst immer zu mir kommen. Jederzeit. Du bist mein allerbester Freund, lieber Bär und ich habe dich lieb.”

Mario, der bis gerade mit einem halben Ohr zugehört hatte, schenkte ihr plötzlich seine ganze Aufmerksamkeit. Die Worte die sie vorlas stammten zwar aus einem Kinderbuch, aber sie trafen einen Nerv bei ihm. Jederzeit … Er wollte immer für Elsa da sein, ihre Hand halten. Ihr beistehen, wenn sie ihn brauchte. Er würde kommen, wenn sie ihn rief. Immer und jederzeit. Das war es, was er wollte. Er wollte an ihrer Seite sein, für immer. Urplötzlich sprang er auf und trat zu der Frau die ihm so viel bedeutete. Verwirrt blickte sie zu ihm auf, noch mehr, als er das Bilderbuch aus ihren Händen nahm und neben sie auf das Sofa warf. Die Verwirrung stieg weiter, als er Masaru ergriff und von ihrem Schoß hob. Er drehte sich zur Seite und drückte ihn dessen Onkel in die Arme.

“Hier, nimm du mal”, richtete er dabei an Gregor, ehe er sich wieder Elsa zu wandte.

“Was ist denn los?”, fragte sein bester Freund verwundert.

“Ich will und kann nicht mehr warten. Es ist schon genug Zeit vergangen, ich werde keine Minute mehr verschwenden”, antwortete Mario ihm.

"Hä?", kam von Gregor, der kein Wort von dem verstand, was sein bester Freund von sich gab.

Doch weiter betrachtete der Ältere ihn nicht sondern griff nach Elsas Händen und zog sie vom Sofa, direkt vor sich. Er löste seine Hände nicht von ihren, hielt sie umfasst und blickte ihr in die Augen, die immer noch geweitet waren und ihn verwirrt ansahen, während ihre Wangen gerötet waren.

“Elsa, ich will nicht mehr auf das richtige Timing warten. Das war bisher so unglaublich schlecht. Ich”, er drückte ihre Hände etwas fester, “liebe dich, Elsa. Ich liebe dich schon so unglaublich lange. Doch ich habe es nicht geschafft, es dir zu sagen. Und dann, als ich endlich allen Mut zusammengenommen habe und wir beide uns so nahe gekommen sind, bist du abgereist. Ich verstehe, warum du mir damals das Herz gebrochen hast, weshalb du so gehandelt hast. Und auch was unseren Sohn angeht. Natürlich habe ich es dir übel genommen, dass du mir deine Schwangerschaft verheimlicht hast, unseren Sohn, aber inzwischen habe ich es dir verziehen. Du tust alles für Masaru und du bist so eine wunderbare Mutter. Doch für mich bist du auch noch so viel mehr als nur das. Du bist die Frau, die ich liebe und von der ich mir sicher bin, dass ich sie immer lieben werde, mein ganzes Leben lang. Du und Masaru, ihr seid meine Familie und ich will, dass es für immer so ist.”

Elsas Augen hatten sich noch weiter geweitet und ihr Mund stand ebenfalls offen. Ihr Blick lag auf ihm, wich nicht eine Sekunde zur Seite.

“Also, ähm”, auch Marios Wangen nahmen Farbe an, als ihm bewusst wurde, dass er ihr gerade, vor ihren Familien, ein Liebesgeständnis gemacht hatte, “was ich eigentlich sagen wollte und das auch gar nicht so ausschmücken. Ich liebe dich, Elsa. Und eigentlich wollte ich dich auch eigentlich einfach nur küssen … Das will ich schon so unglaublich lange und die letzten Wochen ist immer etwas dazwischen gekommen. Ich dachte wirklich schon, ich wäre verflucht oder …” Und da zog sie plötzlich ihre Hand aus seinem Griff und legte sie auf seinen Mund, um ihn mitten im Satz zu unterbrechen. Sie lachte, alles an ihr strahlte und ihre Augen leuchteten.

“Mario, hör auf zu reden und küss mich einfach endlich!” Ihre Hand wanderte von seinem Mund zu seinem Hemdkragen und auch ihre zweite landete dort, um sich daran festzuhalten. Und dann zog sie ihn daran zu sich, stellte sich auf die Zehenspitzen und legte ihre Lippen auf seine.

Kapitel 24

Das hier. Das war alles, was sie wollte, was sie zu ihrem Glück brauchte. Er war es. Er und ihr Sohn, nur die beiden. Elsa hatte ihre Hände von Marios Hemdkragen gelöst und ihre Arme stattdessen um seinen Nacken geschlungen. Seine Hände hatten sich um ihre Taille gelegt, sie eng an sich gezogen, während ihre Lippen aufeinander lagen. Beide legten ihre Gefühle in diesen Kuss, wollte zeigen, was der jeweils andere ihnen bedeutete. Elsa seufzte leise, zog ihn noch etwas enger an sich, während sie den Kuss mit geschlossenen Augen genoss. Es war schon so ewig her, dass er sie das letzte Mal geküsst hatte. Und sie war sich sicher, dass dieser Kuss heute besser war als jeder andere. Mario schlang seine Arme um sie, presste sie enger an sich, während auch ihr Kuss tiefer wurde. Bis schließlich …

“Mama? Papa? Beißt ihr euch? Darf nicht beißen! Tut weh!”

Perplex lösten sich Elsa und Mario voneinander und blickten neben sich hinunter, wo ihr Sohn stand und sie verunsichert ansah, während um sie herum schallendes Gelächter erklang.

“Ähm …”, brachte Mario verwirrt hervor, ehe er sich auf ein Knie niederließ, dabei eine Hand auf Elsas Hüfte liegen ließ. Schmunzelnd schüttelte er seinen Kopf. “Großer, mach dir keine Sorgen.” Seine zweite Hand legte er auf Masarus Haare. “Deine Mama und ich”, er blickte lächelnd zu ihr auf, wandte sich seine Aufmerksamkeit dann erneut seinem Sohn zu, “wir haben uns nur geküsst. Das machen Erwachsene manchmal.”

“Wird hier sicherlich in Zukunft noch öfter vorkommen als nur manchmal”, erklang Gregors Stimme im Hintergrund, wurde von seinem besten Freund jedoch einfach ignoriert.

“Geküsst?” Nun sah Masaru verwundert zu seiner Mutter und anschließend wieder zu seinem Vater zurück.

“Ja. Weißt du, ich habe deine Mama sehr, sehr lieb und das zeige ich ihr damit. Weißt du, deine Mama gibt dir doch auch oft hier einen Kuss hin.” Mario tippte Masaru sanft mit dem Zeigefinger an die Wange. “Zum Beispiel als Gute-Nacht-Kuss. Weißt du, warum sie das macht?”

“Weil Mama mich lieb hat?”, fragte der Junge mit schräg gelegtem Kopf.

“Genau. Und ich liebe deine Mama, deshalb habe ich sie geküsst.”

Nachdenklich musterte Masaru seine Eltern, ehe er strahlend lächelte. “Küsst du Mama dann immer?”

Mario lachte und nickte. “Ich hoffe, dass ich das jetzt immer machen darf.” Er sah auf und sein Herz nahm einen weiteren Takt zu, als sein Blick auf Elsas traf.

“Das hoffe ich auch”, erwiderte sie. Gleich darauf kniete sie sich auch nieder, streckte eine Hand nach ihrem Sohn aus, der sie gleich darauf an sie schmiegte. “Was hältst du denn davon, wenn Mama und Papa nicht nur Mama und Papa sind sondern … sie gemeinsam Mama und Papa sind?”

Verwirrt sah Masaru auf und erneut erklang Gelächter.

“Ich glaube schon, dass mein Neffe ein sehr, sehr schlauer Junge ist, aber diese Aussage versteht er sicherlich nicht.” Gregor schüttelte breit grinsend seine Kopf und sah Masaru an. “Sie wollen sagen, dass sie jetzt so zusammen sind, wie Oma und Opa und Tante Conny und ich. Also dass sie sich ganz arg lieb haben.”

“Und sich küssen?” Masaru legte seinen Kopf schräg.

“Genau das.” Nickend bestätigte Gregor die Frage.

“Das mag ich. Mama und Papa sollen sich küssen!” Masaru klatschte in die Hände und lehnte seinen Kopf an Elsa, ehe er herzhaft gähnte.

“Er ist wohl sehr müde”, sagte Akane, die ebenso wie alle anderen die kleine Familie auf dem Boden betrachtete. Anschließend wechselte sie einen Blick mit Chiyoko, die schmunzeln musste. “Na endlich, nicht wahr?”, fragte sie diese.

Mit einem Lachen nickte Marios Mutter. “Du sagst es.”

“Was soll das denn heißen?”, fragte Mario und sah sie ebenfalls an.

“Na was wohl? Akane und ich haben schon seit vielen Jahren darauf gewartet, dass sich zwischen euch beiden etwas tut, immerhin wart ihr immer so verliebt ineinander.”

“Richtig”, stimmte Elsas Mutter zu. “Dann kam Elsas Schwangerschaft, die Enthüllung, dass Mario Masarus Vater ist, eure Streitereien. Als ihr uns dann verkündet habt, dass ihr zusammenziehen wollt, waren wir überzeugt davon, dass das eskalieren wird. Aber ihr habt uns überrascht.”

“Das habt ihr wirklich.” Chiyoko nickte. “Ihr habt das so toll gemacht. Von Anfang an habt ihr euch für Masaru wirklich Mühe gegeben. Und da ihr alle Streitereien zur Seite geschoben hat, hat man doch die alten Gefühle, die ja auch der Grund dafür sind, dass es unseren Enkel heute gibt, wieder hervortreten können. Wie ihr beide die letzten Wochen miteinander umgegangen sind, wie ihr euch gegenseitig unterstützt habt, wie Mario von Beginn an für euch beide da war. Sagen wir es so”, sie zwinkerte Akane zu, die schmunzeln musste, “wir beide haben gehofft, dass ihr beide zueinander finden werdet. Zum einen für Masaru, vor allem aber für euch zwei. Was ihr füreinander empfindet, das hat man einfach gemerkt.”

“Dem gibt es nichts hinzuzufügen”, ließ sich auch Conny vernehmen und erhielt Gelächter für ihre Aussage.

“Dann scheint es ja unausweichlich gewesen zu sein”, erklärte Mario und blickte Elsa an. Deren Wangen waren auf die Aussagen ihrer Mütter rot angelaufen und nickte nun, während sie lächelte.

“Das scheint es wirklich. Und es macht mich glücklich.” Sie lehnte sich zu dem neben ihr Knienden. “Ich habe es noch gar nicht erwidert.” Sie kam noch näher, so dass sich ihre Nasen berührten. “Ich liebe dich auch”, hauchte sie ihm entgegen, löste so ein Leuchten in seinen Augen aus, dann zog er sie erneut an sich und in einen Kuss.

“Na, gebt mir den hier mal her, das macht es euch sicher einfacher”, erklang Masaos Stimme und schon stand Marios Vater vor dem frischen Paar und nahm seinen Enkel aus Elsas Armen, um ihn hochzuheben. “Weitermachen”, richtete er dabei an die beiden und ging mit Masaru zur Seite.

Verwundert blickten ihm dessen Eltern nach, ehe sie lachten. Mario ließ sich nach hinten auf den Hintern fallen und ehe Elsa es sich versah, zog er sie auf seinen Schoss, schloss sie fest in seine Arme.

“Du hast es gehört. Weitermachen.” Und noch während Elsa lachte, legte er seine Lippen wieder auf ihre und erstickte ihr Lachen damit.
 

~~~
 

Sie saßen auf dem Boden hatten sich aneinander geschmiegt und tauschten leise Liebesgeständnisse aus, als ihre Besucher zu ihnen traten. Sie hoben ihre Köpfe mit roten Wangen.

“Wir gehen jetzt dann.” Masao lächelte das verliebte Pärchen an, das sich aufrappelte.

“Oh, stimmt, es ist ja schon spät”, stellte auch Elsa fest und blickte auf ihren Sohn, der in den Armen von Ryotaro lag, seinen Kopf an dessen Schulter gelegt und seinen Hasen in den Händen. Er wirkte sehr müde. “Dann halten wir euch gar nicht lange auf.” Sie streckte ihre Hände nach Masaru aus, doch ihr Vater drehte sich zur Seite, so dass sie den Jungen nicht erreichte. Verwirrt ließ sie ihre Hände sinken.

“Wir nehmen Masaru mit zu uns. Er darf bei uns übernachten. Nicht wahr, mein Schatz?” Akane streichelte ihrem Enkel über die schwarzen Haare. Dieser nickte und drückte seinen Kuschelhasen fester an sich.

“Ihr … was?” Elsa blinzelte ihre Mutter an und lief bei deren Antwort rot an, ebenso der neben ihr Stehende.

“Ich beide sollt ein wenig Zeit für euch haben und die wollen wir euch auf diese Weise geben. Zudem haben wir unseren Enkel gerne bei uns.”

“Dann … ähm …” Elsa blickte zu Mario, der eine Hand auf ihren unteren Rücken legte.

“Danke euch. Das ist sehr nett.”

“Damit schlagen wir einfach nur mehrere Fliegen mit einer Klappe”, winkte Ryotaro ab. “Ihr beide habt kinderfrei und wir unseren Enkel. Daher, alles gut.”

“Dann auch danke von mir. Das ist wirklich lieb von euch”, bedankte sich auch Elsa bei ihren Eltern.

Ein paar Minuten später hatten sie sich von allen verabschiedet, ihren Sohn nochmal zum Abschied geküsst und nun standen sie im Flur ihrer Wohnung, um die Türe hinter ihren Besuchern zu schließen. Da drehte sich Ryotaro noch einmal zu ihnen um.

“Elsa, Mario, tut mir doch einen Gefallen.”

“Ja, Papa?”

“Natürlich. Was sollen wir tun?”

Elsa und Mario sahen ihn fragend an und liefen im nächsten Augenblick so rot an, wie sie es den ganzen Abend noch nicht waren, während aus dem Flur lautes Gelächter erklang.

“Bitte verhütet dieses Mal richtig, nicht, dass wir in neun Monaten erneut Großeltern werden.”
 

~~~
 

“Okay, das war … direkt.” Elsa räumte in ihrem Wohnzimmer noch ein wenig auf, während Mario an der Seite stand und sie beobachtete.

“Das war es wohl”, erwiderte er.

“Ja.” Elsa griff nach dem Geschirr, das Masaru ebenfalls geschenkt bekommen hatte. Sie lief damit an Mario vorbei in die Küche, damit sie es ebenfalls in die Spülmaschine stellen konnte, dann konnte ihr Sohn es bald benutzen. Er folgte ihr, lehnte sich mit der Hüfte an die Arbeitstheke.

“Elsa?”, richtete er mit seiner dunklen und weichen Stimme an sie.

“Ja?”, fragte sie und hasste sich dafür, dass ihre eigene Stimme nun so zitterte.

“Was machst du da?”

“Ich will das hier nur noch ein wenig aufräumen und …”

“Du schindest Zeit.”

Mit großen Augen und stark schlagendem Herzen blickte sie zu ihm. “Ich … ich schinde … keine Zeit”, brachte sie stockend hervor.

“Tust du doch.”

“Ich … ich …”

Er kam näher, brachte ihr Herz dazu, noch schneller zu schlagen. Sie bekam das Gefühl, dass es aussetzte, als seine Hand an ihre Wange griff, dort eine Strähne zwischen die Finger nahm und diese leicht zwischen seinen Fingern drehte.

“Du weißt, wenn du das nicht willst, dann müssen wir nicht. Ich werde dich zu nichts drängen, ich will, dass unser Timing ab sofort perfekt wird. Wir haben alle Zeit der Welt.”

Ein Lächeln erschien auf ihren Zügen. “Nein, es ist nicht, dass ich nicht … Ich …” Sie blinzelte und ihre Wangen nahmen zum wiederholten Male an diesem Abend einen roten Ton an. “Ich bin einfach nur so nervös. Ich weiß, dass wir schon einmal miteinander geschlafen habe, Masaru ist der lebende Beweis dafür, aber … Ich habe seit damals nicht mehr … also …” Sie biss sich auf die Unterlippe. “Das hier, das ist der Beginn von etwas Neuem … etwas Großem … Ich will nichts falsch machen …”

Auch Mario lächelte und strich ihre Haarsträhne hinter ihr Ohr, legte seine Hand anschließend auf ihre Wange. “Du hast mit einer Sache recht. Das hier ist der Beginn von etwas Neuem und Großem. Und du machst nichts falsch, wirst du niemals machen. Elsa Daichi, ich liebe dich.”

Sie hob ihre Hand legte sie auch auf seine Wange. “Und ich liebe dich, Mario Hongo.”

Und dann senkte Mario seinen Kopf, Elsa hob ihren. Ihre Lippen trafen sich, vereinten sich zu einem alles verzehrenden Kuss, der immer intensiver wurde. Und dann hob Mario Elsa kurzerhand hoch und trug sie gleich darauf zu seinem, nein, ihrem gemeinsamen Schlafzimmer.

Kapitel 25

eineinhalb Jahre später
 

“Tor!” Jubelnd hob Elsa ihre Hände. Noch lauter als sie jubelte allerdings eindeutig ihre Schwägerin in Spe neben ihr.

“Super, Gregor! Weiter so!” Anschließend wandte sich Conny an ihre Freundin. “Er hat es einfach drauf, nicht wahr?”

“Das hat er”, stimmte Elsa schmunzelnd zu. Ihr Blick huschte über den Platz. Von Gregor, der auf der einen Seite des Spielfeldes noch von seinen Freunden gefeiert wurde zu der anderen, wo ihr Freund im Kasten stand und zufrieden grinste. Natürlich, mit dem Tor waren die Kickers in Führung gegangen. Elsas Blick glitt weiter, blieb einen Moment an Thomas hängen, der auf einer Bank am Rand des Spielfeldes saß und etwas in ein Mikrofon hinein sprach und aufnahm. Er hatte nach der Schule Journalismus studiert und war nun für den Sportteil einer ansässigen Zeitung zuständig. Er hatte ihr einmal erzählt, dass er früher schon immer Reporter hatte werden wollen, durch die Kickers hatte es ihn dann zum Sport gezogen. Das hatte ihr wirklich gut gefallen. Ihr Blick ging weiter und das Lächeln auf ihren Zügen breitete sich aus. Dort, auf der Bank neben Sascha und den inzwischen anderen Auswechselspielern der Kickers, saß Masaru und verfolgte das Fußballspiel ganz aufgeregt. Er war so stolz gewesen, als die Kickers ihn vor einiger Zeit als ihren Balljungen eingestellt hatten, wenn man es so nennen wollte. Man merkte ihm die Liebe zum Fußball an und Mario nahm ihn oft mit zum Training. Alle der Kickers Spieler hatten einen Beruf, übten diesen zum Großteil in Vollzeit aus, doch sie waren zusammen geblieben, hatten sich sogar vergrößert. Es war für sie alle ihr Hobby, ein sehr wichtiges. Sie waren in ihrer Liga auch recht gut, hatten regelmäßig Spiele gegen andere Mannschaften und keiner von ihnen wollte es missen. Mario und Gregor redeten inzwischen sogar darüber, eine Bambini-Mannschaft zu gründen und wollten noch mehr fußballbegeisterte Kinder wie Masaru mit Spaß an ihrem Sport unterstützen. Elsa freute sich darüber.

In seiner Aufgabe als Balljunge der Kickers, brachte Masaru ihnen die Getränke und Handtücher und das tat er mit großem Stolz. Sie war ebenfalls sehr stolz auf ihn und ihr war bewusst, es ging nicht nur ihr so. Elsa richtete ihre Aufmerksamkeit wieder dem Spiel vor sich, gerade rechtzeitig um zuzusehen, wie die Gegner aufs Tor der Kickers zu stürmten. Doch Mario hielt sie mühelos auf.

“Du bist mein Held!”, rief sie laut über den Platz. Es schien bei Mario anzukommen, denn er schmunzelte und blickte in ihre Richtung, konzentrierte sich im nächsten Augenblick schon wieder auf seine Aufgabe. Zufrieden lehnte sich Elsa wieder an der Bande an, die das Spielfeld umgab und beobachtete weiterhin das Spiel.
 

~~~
 

“Na? Wie fandet ihr es?” Gregor trat auf seine Verlobte und auf seine Schwester zu, als diese nach dem Ende des Spiels zu ihnen nach vorne kamen. Dabei lagen seine Augen nur auf Conny, was Elsa mit einem Schmunzeln zur Kenntnis nahm.

“Ihr wart super, wie immer”, antwortete Conny mit einem Kichern. “Vor allem du natürlich!”

Nun entkam Elsa ein leises Lachen und sie trat zu ihrem eigenen Freund, der gerade seine Kappe vom Kopf gezogen und diese neben seine Handschuhe auf die Bank legte. Anschließend nahm er von Masaru ein Handtuch entgegen und wischte sich damit über die Stirn. Elsa strich ihrem Sohn über die Haare, als er mit weiteren Handtüchern an ihr vorbeilief und diese verteilte. Er war inzwischen fünf Jahre alt und das hier gehörte zu seinen Lieblingsaufgaben. Wenn er nur beim Aufräumen Zuhause auch so fleißig wäre. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem vor ihr Stehenden zu. Mario grinste sie breit an.

“Wenn er daheim doch auch nur so fleißig wäre, nicht wahr?”, fragte er und entlockte seiner Freundin ein Lachen, die nun direkt vor ihm stand und nach seinem Kragen griff.

“Es ist erschreckend, wie gut du meine Gedanken lesen kannst.”

“Tja, wenn ich etwas bin, dann gerne in deinem Kopf.” Mario hob seine Lippen an ihr Ohr. “Oder woanders in dir”, flüsterte er, sodass niemand ihn hören konnte.

“Mario!” Elsa senkte ihren Kopf mit roten Wangen.

“Was denn?”

Sie blickte wieder auf und schüttelte belustigt ihren Kopf. “Manchmal bist du unmöglich.”

“Du liebst mich trotzdem. Oder vielleicht gerade deswegen.”

“Ich liebe dich, das ist richtig, weshalb ist fast egal.”

“Sehr gut, ich dich nämlich auch.” Mario senkte seinen Kopf, ehe er sich einen schnellen Kuss stahl.

“Papa, trinken?”, erklang neben ihnen. Masaru hob seinem Vater dessen Wasserflasche entgegen.

“Das ist eine sehr gute Idee, mein Großer”, erwiderte dieser und nahm die Flasche an, um daraus zu trinken.

“Du machst das wirklich super, Masaru”, richtete Elsa an ihren Sohn.

“Natürlich. Er ist der Beste. Eine bessere Hilfe als ihn könnte ich mir nicht vorstellen.” Sascha trat zu dem Jungen und klopfte ihm sanft auf die Schulter.

Es wirkte, als würde Masaru fünf Meter wachsen, so stolz war er auf das Kompliment.

“Richtig, der beste Balljunge der ganzen Welt.” Kevin hob einen Daumen hoch und schon wurde Masaru weitere fünf Meter größer.

Elsa lachte bei seinem Blick, da trat Gregor neben seinen Neffen und ging auf ein Knie, legte eine Hand auf dessen Schulter und blickte zu seiner Schwester.

“Sag mal, Masaru, wolltest du deiner Mama nicht noch etwas sagen? Beziehungsweise sie etwas fragen?”

Verwundert legte Elsa ihren Kopf schräg, sah Gregor fragend an.

“Mama fragen?”

“Ja, etwas wegen deinem Papa, erinnerst du dich?”

Verwundert blickte Masaru seinen Onkel an, anschließend seine Mutter und sah dann an dieser vorbei. Da schien es ihm wieder klar zu sein, denn er strahlte und nickte mit dem Kopf. “Ja!” Der Junge trat nach vorne zu seiner Mutter, die sich auch auf ein Knie niederließ.

“Was sollst du mich den fragen?”

Masaru strahlte nur noch mehr. “Mama, magst du meinen Papa heiraten?”

Perplex starrte Elsa ihren Sohn an. Was? Seinen Papa … heiraten? Da drangen die Worte zu ihr durch und mit weit aufgerissenen Augen blickte sie über ihre Schulter, um im nächsten Augenblick eine Hand vor ihren Mund zu schlagen.

“Liebling”, richtete Mario an sie, der sich hinter sie gekniet hatte, in einer Hand einen Blumenstrauß, in der anderen ein kleines Samtkästchen.

“M-mario”, stotterte Elsa.

Ein Lachen entkam ihm. “Liebling, das hier, das ist gerade meine Pose. Würdest du vielleicht aufstehen?”

“Nein!”, erklang da Masarus Stimme und schon schlang er seine kleinen Arme um Elsas Hals und setzte sich auf ihr Bein. Mario und Elsa sahen ihn an, ehe sie beide lachen mussten, wie auch die um sie Herumstehenden.

“Tut mir leid”, gab Elsa von sich.

“Ach, ich kann improvisieren, habe ich die letzten Jahre gelernt.” Mario war es, der nun aufstand, um seine Freundin und seinen Sohn herum ging und sich einfach direkt vor Elsa nochmal auf den Boden kniete. “Hier Masaru, halte mal”, richtete er diesen und drückte ihm die Blumen in die Hände. Der Junge nahm diese sorgfältig an sich, während er seinen Vater gespannt beobachtete.

“Elsa Daichi, ich liebe dich.” Mario sah sie mit strahlenden Augen an. “Du bist die Frau, die ich an meiner Seite haben will, mein Leben lang. Du und Masaru, ihr seid meine Familie und ich wünsche mir, dass wir eine richtige Familie sind. Es würde mich freuen, wenn ihr beide meinen Namen tragen würdet.” Er stockte. “Oder … ähm, ich nehme deinen Namen an, das ist auch okay. Ich will einfach, dass wir alle drei gleich heißen.” Elsas Hand berührte seine sanft.

“Ich würde gerne so heißen wie du, Mario.”

Erleichterung machte sich in ihm breit. Er blickte seinen Sohn an. “Und du Masaru? Willst du auch so heißen wie dein Papa?”

Verwirrung breitete sich wiederum in diesem aus. “Papa?”

Wieder erklang Gelächter um sie herum und auch Mario und Elsa konnten sich nicht zurückhalten.

“Nein, mein Schatz.” Elsa streichelte ihm sanft über den Rücken.

“Mario?” Die Verwirrung nahm zu, dann schüttelte Masaru entschlossen seinen Kopf. “Nein, ich heiße Masaru!”

Wieder lachte Elsa leise. “Du wirst immer Masaru heißen, versprochen.”

“Was Mama sagen will, ist, dass ihr mit Nachnamen heißen sollt wie ich”, versuchte Mario sich zu erklären.

Der Junge runzelte seine Stirn.

“Wie heißt du denn mit vollem Namen, Masaru?”, fragte Mario ihn.

“Masaru Daichi.”

“Und ich heiße nicht Daichi sondern Hongo. Du heißt Daichi mit Nachname und Mama auch. Aber ich würde mich freuen, wenn du und Mama auch Hongo heißt.”

Masaru dachte angestrengt nach. “Masaru Hongo?”, fragte er.

“Genau.” Elsa lächelte.

Da trat Gregor zu ihnen, zog die Aufmerksamkeit auf sich. Er bückte sich und blickte seinem Neffen direkt in die Augen. “So Maseru, du kommst jetzt mal kurz zu mir. Deine Mama und dein Papa haben da noch etwas zu regeln.” Er griff nach seinem Neffen und nahm ihn auf die Arme. Dann hob er seine Augenbrauen und wandte sich seinem besten Freund zu. “Und du machst das jetzt noch richtig, Käpt´n.” Der nächste Blick landete auf Elsa. “Los jetzt, aufstehen, Schwesterherz. Wir alle wollen hier etwas sehen!”

Mit einem Kichern tat Elsa was ihr Bruder sagte und stellte sich vor ihren Freund. Dieser blieb knien, griff nach ihrer Hand und nahm sie in seine.

“Du hast gehört, ich soll es richtig machen.”

“Ja, das habe ich.”

“Na dann. Elsa Daichi, ich liebe dich, mehr als alles andere, mit Ausnahme unseres Sohnes. Du und er, ihr seid das Größte in meinem Leben. Und daher frage ich dich: Willst du meine Frau werden?”

Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, nahm es ganz und gar ein. “Natürlich will ich das, Mario. Ich liebe dich ebenfalls.”

Es schien, dass eine große Anspannung den jungen Mann verließ. Er löste seinen Griff, öffnete stattdessen das kleine Kästchen, das er total vergessen hatte und hielt ihn seiner Freundin, nein, Verlobten, entgegen. “Ist der so genehm?”

“Oh Mario, er ist wunderschön!” Vor Erstaunen standen Elsas Augen weit offen, als sie den Ring in dem Kästchen betrachtete. Er wirkte wie verschlungen, war mit kleinen Steinchen übersät.

“Da bin ich aber froh.” Mario zog den Ring aus dem Kästchen, ließ dieses einfach neben sich fallen und schob den Ring über ihren rechten Ringfinger. Anschließend stand er auf und kaum dass er sich aufgerichtet hatte, fiel ihm Elsa um den Hals, drückte sich an ihn.

“Ich liebe dich so sehr”, flüsterte sie in sein Ohr.

“Ich dich auch”, erwiderte er und suchte im nächsten Augenblick ihre Lippen mit seinen. Sie hatte ja gesagt. Etwas anderes hatte er sich nie gewünscht und doch hatte er noch so viel mehr geschenkt bekommen.

Epilog

Zum wiederholten Male faltete Elsa den Zettel auseinander. Gebrauchsanleitung stand am oberen Rand, in japanischen Schriftzeichen. Ihr Blick huschte zu den Bildern. Zwei Striche, positiv. Ein Strich, negativ. Kein Strich, ungültig. Das kannte sie doch schon. Unsicher blickte sie auf das Stäbchen, das sie neben sich auf den Badewannenrand abgelegt hatte. Da klopfte es an der Türe.

“Elsa? Alles in Ordnung?”

“Ja, ist es. Frag nicht alle zehn Sekunden nach!”

“Sicher?”

“Mario!”

“Ich verstehe nicht, warum ich nicht zu dir reinkommen darf.”

“Weil ich nicht will, dass du dabei bist, wenn ich auf ein Stäbchen pinkle.”

“Ich war auch bei allem anderen dabei, falls ich dich daran erinnern darf. Also …”

Elsa verdrehte ihre Augen und unterdrückte ein lautes Seufzen. “Hör auf, so nervös zu sein.”

“Was erwartest du denn von mir?”

Sie war sich sicher, dass er direkt vor der Türe stand und seine Hände in die Luft warf, während er diese Frage stellte.

“Dass du dich beruhigst. Das ist nur ein Schwangerschaftstest.”

“Nur ein Schwangerschaftstest? Nur? Du hast das vielleicht schonmal erlebt, ich aber noch nie! Ich darf nervös sein, das ist mein gutes Recht!”

“Oh Mario.” Nun musste sie ein Lachen unterdrücken. “Glaube mir, ich bin nicht weniger aufgeregt als bei meinem ersten Test bei Masaru und da haben noch ganz andere Gefühle eine Rolle gespielt.” Sie stand auf und kaum dass sie die Spülung betätigte, hörte sie erneut die Stimme ihres Ehemannes.

“Darf ich jetzt reinkommen?”

Einen Augenblick überlegte sie. “Nein”, entschied sie kurzerhand und ging zum Waschbecken um ihre Hände zu waschen.

Mario nahm seine Wanderung vor der Badezimmertüre wieder auf. Er lief ein Stück nach links, drehte sich um, nach rechts laufen, umdrehen und das wieder und wieder. Oh Gott, war das normal? Er war so nervös und aufgeregt. Warum war Elsa nur so ruhig? Weil sie das tatsächlich schon einmal erlebt hatte? Und dann wollte sie nicht, dass er nervös war? Wenn er das abstellen könnte, würde er es doch machen!

In dem Augenblick bewegte sich die Türklinke ihres Badezimmers und gleich darauf stand seine Ehefrau im Türrahmen. Mario erstarrte, als er erkannte, dass ihr Gesicht tränenüberströmt war und sie eine Hand auf ihren Mund gepresst hatte. Enttäuschung überkam ihn. Das war wohl die Antwort.

“Oh Liebling”, gab er von sich und trat zu ihr, um sie an sich zu ziehen und zu trösten. Doch noch bevor er das tun konnte, wurde ihm klar, dass ihre Augen leuchteten. Es passte nicht zu ihren Tränen. Außer … Da hob sie ihm den Schwangerschaftstest entgegen, der eindeutig zwei Striche zeigte - positiv.

“Wir werden noch einmal Eltern.”

Einen Augenblick starrte Mario ungläubig auf den Test, ehe er wieder Elsa ansah, die ihre Hand hatte sinken lassen und man nun erkennen konnte, dass sie vor Freude strahlten. Ihre Tränen waren Freudentränen. Und dann riss er sie in seine Arm und hob sie hoch, ehe er sich mit ihr im Arm drehte und einen lauten Freudenschrei von sich gab. Sie würden noch einmal Eltern werden! Masaru würde ein Geschwisterchen bekommen. Er hielt inne und ließ Elsa auf den Boden sinken. Er sah sie mit leuchtenden Augen an.

“Ich liebe dich”, brachte er hervor. Sie lachte.

“Ich dich auch, Mario.”

Und dann senkte er seinen Kopf, um seine Lippen auf ihre zu legen. Sie beide, sie waren doch die glücklichsten Menschen auf der Welt.
 

~~~Ende~~~
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und nun weiß auch Mario, dass Elsa einen Sohn hat ... Und da ist eine Verbindung - eine Verbindung, bei der sich noch keiner mehr Gedanken macht ... die einfachste Lösung ist eben, davon auszugehen, was Elsa gesagt hat. Noch kommt keiner auf die richtige Idee ... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ein kurzer Gedanke - was wäre wenn ... und dann wieder verworfen ... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So hat sich das erste Aufeinandertreffen der beiden sicherlich keiner vorgestellt - vor allem die beiden nicht. Aber nun ist es passiert - und wieder wurden zwei Herz erneut mehr gebrochen, als es schon war ... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Da hatte einer richtig geschlussfolgert ... aber nein, das sorgt noch nicht dafür, dass Mario es erfährt.
Im nächsten Kapitel findet jemand, der Elsa sehr, sehr nahe steht, heraus, wer wirklich Masarus Vater ist.
Eines meiner Lieblingskapitel- also bis Sonntag ^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Bevor die Frage aufkommt, warum ihre Eltern nicht wütend sind:
was würde es bringen, dass sie es sind? Es würde nichts an all dem ändern. Natürlich finden sie es nicht gut, ganz im Gegenteil, aber schlussendlich wollen sie jetzt einfach nur da sein und unterstützen, dass Masaru und sein Vater, Mario, eine Beziehung zueinander entwickeln können.

Sie werden Elsa schon noch einige Takte dazu sagen, aber nicht in dieser Szene. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das Kapitel ist zwar eher kurz und wirklich viel passiert nicht, aber ich mag es sehr :)
Hannah tut da schon das ihre ;)

PS: ich muss noch anmerken, dass sie zu Beginn Anna hieß ... und dann schreibe ich und schreibe ... und da steht Anna und Elsa ... da ich aber nicht über Frozen schreibe, habe ich den Namen schlussendlich auf Hannah geändert - zwar immer noch ähnlich, aber der Name bedeutet mir auch viel ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Oh, ich liebe dieses Kapitel sehr ^^
es folgen jetzt übrigens nur noch 2 + Epilog :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das letzte Kapitel - das wollte ich einfach noch bringen - ihr wisst ja, Happyend und so ;)
ansonsten folgt jetzt gleich noch der Epilog und ich LIEBE ihn - ich glaube, der ist mein Lieblings"kapitel" dieser Geschichte - und er steht auch schon ziemlich lange ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war es mit Unspoken.
Diese Geschichte war etwas ganz anderes - und ich liebe sie sehr.
ich hoffe, euch hat sie auch gefallen :D

Schön, dass sich auch einige Nicht-Kickers Fans hierher verirrt haben, weil der Plot interessant klang - ich hoffe ihr wurdet nicht enttäuscht.

Und falls ihr Gefallen an den Kickers gefunden habt - Centranthusalba und ich freuen uns über Leser hier im Kickersforum (und auch Schreiberlinge)

Am Mittwoch startet wie immer eine neue Kickers. ;) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (136)
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Von:  Linchen-86
2023-09-03T07:37:59+00:00 03.09.2023 09:37
Uhlalala... Der Vater bester Spruch :D Feier ich total...

Aber jetzt dürft ihr loslegen :D
Von:  Linchen-86
2023-09-03T07:29:29+00:00 03.09.2023 09:29
IT s Christmas Time... Alle unterm Weihnachtsbaum...

Unser letztes Weihnachtsfest hatte hier auch alles gesprengt:D

Haha, wie oft das Timing bei den einfach nicht stimmt und er sich am Ende denkt, so jetzt reicht es,.es gibt kein Timing, ich mach das jetzt einfach, hier und vor allen :D

Es war total schön was Mario zu Elsa gesagt hat und Elsa hat auch genau richtig reagiert... :)


Von:  Linchen-86
2023-09-03T07:19:24+00:00 03.09.2023 09:19
Krankes Kind da leider man einfach immer so mit und diese Kindervieren sind einfach so hart. Ich bin schon sehr gespannt wie es dieses Jahr hier wird.

Es war süß, dass die beiden Jungs alles weihnachtlich geschmückt und vorbereitet haben. Das könnte eine richtige Tradition werden :)

Und zum Schluss sagt er es: aww wie süß, nach alles was war sehr mutig von ihm :)
Von:  Linchen-86
2022-12-02T20:13:38+00:00 02.12.2022 21:13
Jajajajaja... Go for it. Find ich gut das Elsa den Schritt schon gehen wollte
Antwort von:  Tasha88
02.12.2022 21:41
ja. wäre auch zu schön gewesen, wenn es geklappt hätte ... doch dann bin da ja immer noch ich ;p
Von:  Linchen-86
2022-12-02T20:03:43+00:00 02.12.2022 21:03
Anna und Elsa wäre auch lustig, aber Hannah finde ich auch besser *-*

Und Elsa sollte wirklich auf sie hören. Nicht nochmal die Wahrheit verschweigen, weil man selber meint man wüsste besser was der andere denkt...
Antwort von:  Tasha88
02.12.2022 21:41
:D anna und Elsa - das assoiiziert zu viel
und ich sage ja - hannah ist da ;) die wäscht allen mal den Kopf ;p
Von:  Linchen-86
2022-12-02T19:54:02+00:00 02.12.2022 20:54
Und ja Japaner sind prüde :D aber irgendwie ist es ja auch niedlich
Antwort von:  Tasha88
02.12.2022 21:39
schon manchmal putzig ;)
ich meine, prüde bin ich ja auch XD
Von:  Linchen-86
2022-12-02T19:44:30+00:00 02.12.2022 20:44
Weiter gelesen... Uhh Hannah kommt, Yeah... Find ich richtig cool.

Und ih man, wie verknallt die beiden sind...
Antwort von:  Tasha88
02.12.2022 21:39
^schön, von dir hier zu lesen ^^
so ein bisschen ablenkung für mich gerade - du weißt ja bescheid >.<
die Kids schlafen wenigstens ...

und ja, die sind so was von verknallt, warum merken sie es einfach nicht??? aber immerhin kommt jetzt hannan ;p
Von:  phean
2022-11-23T07:39:09+00:00 23.11.2022 08:39
Mh ... Ich hab Masaru in dem Kapitel vermisst ... Der hat wirklich gefehlt, war er doch immer da ...

Und warum zum Geier sind Gregor und Conny noch nicht verheiratet?????
Antwort von:  Tasha88
23.11.2022 09:05
er wurde doch erwähnt ;p
und Gregor ist halt etwas ... ähm ... langsam
aber warum sind sie noch nicht verheiratet? das wird hier nicht erwähnt.
in dem Kapitel zuvor sind sie erst ca 25 Jahre alt - da muss man noch nicht verheiratet sein (sage ich ;) )
das hier ist nochmal etwas später- und in meinem Kopf sind sie es inzwischen :)
Antwort von:  Tasha88
23.11.2022 09:05
danke dir fürs mitlesen ^^
Antwort von:  phean
23.11.2022 09:33
Was wurde erwähnt?

Aber das kommt im Epilog nicht raus 🤣🤣🤣 ich lern als nächstes Gedanken lesen 🤣🤣🤣
Antwort von:  Tasha88
23.11.2022 09:45
Masaru wurde einmal erwähnt 😂😂. Damit ist ihm genüge getan 😂
Antwort von:  Tasha88
23.11.2022 09:46
Ach, die müssen ja nicht unbedingt erwähnt werden. Da ging es ja nur um die Szene 😂
Von:  phean
2022-11-23T07:35:57+00:00 23.11.2022 08:35
Erstmal ... Mir hat's das Kap gar nicht angezeigt

Dann

Urghs ... Seit wann hat man beim Ring Finger im Kästchen? 🤢 Naja wenigstens ist der Finger schön mit Steinchen besetzt.

Masaru redet noch ziemlich hakelig 🤔 irgendwie hab ich nur Kinder um mich, die über alles mögliche reden und erzählen. Das Sams kritisieren und sagen, wie man richtig wünscht und und und xD
Antwort von:  Tasha88
23.11.2022 09:04
Erstens - seltsam o.O

und Finger im Kästchen - passiert, wenn man zu gierig ist und der andere schnell zudrückt ... aber ja, der hat da nichts zu suchen - danke, habs mal in einen >Ring< geändert - was auch viel mehr sinn macht XD

ansonsten habe ich hier einen Fünfjährigen, der auch noch sehr hakelig redet - und einen dreijährigen, der eigentlich gar nicht redet außer einzelne Worte - mit Mama, Papa, Ja und No kommt man aber auch weit XD

zudem wird Masaru zweisprachig erzogen - dementsprechend kann es mit der Sprache länger dauern - und das habe ich hier tatsächlich berücksichtigt und nach meiner Erfahrung geschrieben ;)
aber ja, reden kann man Fünfjähriger auch seeeehr viel ^^
Antwort von:  phean
23.11.2022 09:32
Sag bloß, dir würde kein Finger ein an den Finger gesteckt 🤣

Achso ja, zweisprachig stimmt, das hatte ich vergessen 😬

Trotzdem niedlich xD schön, wenn das Kind fragen muss 🙈
Antwort von:  Tasha88
23.11.2022 09:45
🥰😂
Von:  Centranthusalba
2022-11-20T13:07:59+00:00 20.11.2022 14:07
😍😍😍😍😍😍😍😍😍
So schööööööööön.
Ich mag es, dass der Epilog an den Prolog anknüpft.

Das war mal etwas sehr anderes als bisher. Sehr viel erwachsener und mit mehr Konsequenzen.

Für meinen Geschmack kam jemand zu wenig vor 😉, aber das wird sich ja wieder ändern.

Ich freue mich aufs nächste!
Antwort von:  Tasha88
20.11.2022 15:26
Danke dir 🥰🥰
Ja, das mag ich auch sehr 🥰

Das finde ich auch. Einfach etwas anderes. Aber es ist gut, auch so etwas zu schreiben.

Und klar kam für der zu wenig vor 😜😏. Aber der nächste OS am Mittwoch dann 😂


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