Zum Inhalt der Seite

S.T.A.R.S. Snapshots

Another World, another Wesker ~ One-Shot-Sammlung
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Der OS spielt 1991, als Albert gerade bei der Army war - und zeigt, wie er Chris und Barry traf. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Wie kam Albert eigentlich dazu, die S.T.A.R.S. anzuführen? Und warum hinterfragte er das später nicht mehr? Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

[1991] – Ich schätze, ich sollte dir danken


 

Seit Albert Raccoon City verlassen hatte, war er nicht mehr in einer Kneipe gewesen. Wie auch, wenn er mit seiner Grundausbildung in der Army beschäftigt war? Deswegen nutzte er seinen ersten freien Abend, um in der Stadt, die dem Stützpunkt nahe war, eine Bar aufzusuchen, die ihm von einigen anderen empfohlen worden war. Wobei empfohlen vielleicht etwas großzügig war – denn während er die kleine Stadt betrachtete, durch deren Straßen er lief, war er sich ziemlich sicher, dass es einfach keine andere Bar gab.

Der Lärm war schon vor der Tür unüberhörbar, als er eintrat wurde er noch dazu von Zigarettenrauch und einem massiven Geruch nach Alkohol und Hefe eingehüllt. In einer Ecke spielte eine Jukebox erfolglos gegen die Soldaten an, während diese sich lautstark miteinander über ihre Pflichten oder ihre Familien austauschten. Eigentlich war es wie in jeder Bar, nur mit mehr Uniformen. Er fühlte sich fast wie zu Hause.

Albert schlängelte sich durch die Anwesenden – er erkannte nicht einmal jemanden, obwohl bestimmt auch einige Leute aus seiner Einheit dabei waren – bis zum Tresen, wo er sich ein Bier bestellte. Erst als ihm ein volles Glas ausgehändigt wurde, wollte er auch einen Tisch suchen, am besten in irgendeiner Ecke, wo die Leute ihn in Ruhe ließen und niemand ihn stören konnte.

Doch die Suche endete schon nach einem Schritt, als ein anderer Gast plötzlich mit Wucht gegen ihn stieß. Das Bier landete in Alberts Shirt, was ihn mit flammenden Ärger erfüllte, den er schon länger nicht mehr gespürt hatte – wahrscheinlich, weil er eben schon lange nicht mehr in einer Kneipe gewesen war.

Wütend wandte er sich an den Typ, der ihn angerempelt hatte. »Hey! Was soll der Scheiß?!«

Der andere hob unschuldig die Hände. »Mann, tut mir leid, okay? Ich hatte schon ein paar Bier, deswegen ...«

Albert stellte das nun leere Glas mit Nachdruck wieder zurück auf den Tresen, ohne den Blickkontakt zu dem anderen zu unterbrechen. »Wow, Glückwunsch. Und jetzt versuchst du, andere davon abzuhalten, denselben Fehler zu machen?«

»Na ja, du bist jetzt schon aggressiv, das wird bestimmt nicht besser, wenn du auch noch trinkst.«

»Oh, du hast mich noch nicht gesehen, wenn ich aggressiv werde«, sagte Albert und wollte gerade schon ausholen, um ihn zumindest mit einem Schlag zu treffen – als plötzlich jemand neben sie beide trat.

»Jetzt ist aber genug«, sagte der Neuankömmling mit brummender Stimme. »Kein Grund, hier direkt einen Streit anzufangen.«

Albert wandte sich ihm zu, um ihn darauf hinzuweisen, dass er niemanden brauchte, der sich hier einmischte und ihm sagte, was er tun sollte, doch kaum fiel sein Blick auf den Mann, der größer war als er und ihn deswegen mit leicht funkelnden Augen mild von oben herab betrachtete, erstarb jeder Widerspruch in seinem Hals. Für einen kurzen Moment kam es ihm vor, als wäre dieser Neuankömmling, der auch deutlich älter war, nicht nur irgendein Fremder, sondern sein Vater, der ihn von einem schlimmen Fehler abhalten wollte. Albert presste die Lippen aufeinander, dafür seufzte der Kerl, der ihn angerempelt hatte: »Mann, Barry, ich hab das auch allein geklärt.«

Der große Mann – Barry – sah ihn an und schüttelte mit dem Kopf. »Ich hab dir gesagt, du sollst dich zurückhalten, Chris. Jetzt entschuldige dich bei ihm.«

Chris rollte mit den Augen, wandte sich aber wirklich wieder an Albert: »Es tut mir leid. Ich hätte vorsichtiger sein sollen.«

»Ja«, erwiderte Albert nur. »Was auch immer.«

Die Lust auf einen Kneipenabend war ihm nun auf jeden Fall vergangen, deswegen ging er an Barry vorbei, um wieder nach draußen zu kommen. Doch schon nach einem Schritt legte sich eine schwere Hand auf seine Schulter. »Warte mal. Kann ich dich nicht zu einem Bier einladen? So als Wiedergutmachung?«

Albert sah Barry mit gerunzelter Stirn an. »Du hast doch nichts falsch gemacht.«

»Ich hab nicht gut genug auf Chris aufgepasst, das reicht doch«, erwiderte Barry. »Also?«

Eigentlich legte Albert keinen Wert auf Gesellschaft, schon gar nicht die eines angetrunkenen Idioten, der neugierig hinter Barrys Rücken hervorsah und auf seine Antwort wartete. Aber dann war da noch diese leise Stimme in seinem Inneren, die unbedingt Zeit mit jemandem wie Barry verbringen wollte. Die Erkenntnis füllte ihn wieder mit Ärger, diesmal aber auf sich selbst. Was wäre da die bessere Strafe, als mit einem angetrunkenen Idioten herumzusitzen? Deswegen seufzte er schließlich lautlos. »Fein, wenn du unbedingt Geld für mich verschwenden willst.«

Barry klopfte ihm zufrieden auf die Schulter und schob ihn dann schon in Richtung Tresen. »Wahrscheinlich hast du es schon mitbekommen, aber ich bin Barry, und mein ungeschickter Freund ist Chris. Wie heißt du?«

»Wesker«, antwortete er automatisch nur mit seinem Nachnamen, bis ihm einfiel, dass er ja gar nicht auf dem Militär-Gelände war, weswegen er das weiter ausführte: »Albert Wesker.«

 

Eine Stunde später wusste Albert, dass Barry und Chris bei der Air Force waren, die ebenfalls in der Nähe stationiert war und sich deswegen schon eine Weile kannten.

»Ist es eine gute Idee, so viel zu trinken, wenn ihr morgen wieder fliegen sollt?«, fragte Albert in Chris' Richtung.

Der winkte direkt ab. »Ich darf grad eh nicht fliegen. Hatte Ärger mit einem Vorgesetzten, weil ich seinen Befehlen nicht gefolgt bin. Dass ich raus durfte, liegt auch nur daran, weil es mein erster Verstoß war.«

Albert hätte ihn gern darauf hingewiesen, dass es eine dumme Idee war, bei der Air Force nicht auf die Vorgesetzten zu hören, aber das nahm Barry ihm bereits ab, gefolgt von einem »Das hab ich dir schon so oft gesagt«. Chris warf Barry darauf einen glühenden Blick zu. »Es war einfach falsch! Ich kann das nicht machen, wenn ich weiß, dass es nicht richtig ist.«

Was hatte man von ihm verlangt? Und warum hatte er sich so etwas nicht schon vor dem Beitritt denken können? Albert fragte nicht, denn im Grunde interessierte es ihn nicht. Chris erschien ihm inzwischen zwar nett, aber das war es auch schon. Er wollte nicht mehr über diese Person wissen, die er nach dieser Nacht ohnehin nie wiedersähe. Warum Energie in eine Beziehung investieren, die ohnehin zum Scheitern verurteilt war?

»Warum bist du eigentlich zur Army gegangen, Albert?«, fragte Barry ihn plötzlich.

»Ich will Polizist werden«, erklärte er knapp. »Aber ich hab keine Lust auf's College, also muss ich zumindest Militärdienst ableisten.«

Barry nickte anerkennend, was Albert fast mit Stolz erfüllte – ein Gefühl, das sofort zersplitterte, als er fortfuhr: »Aber du solltest unbedingt noch an deiner Aggressivität arbeiten. Chris hat vorhin einen Fehler gemacht, aber deswegen solltest du ihm nicht eine reinhauen.«

»Woher weißt du, dass ich das vorhatte?«

»Ja«, bekräftigte Chris neugierig, »woher weißt du das?«

»Deine Muskeln haben sich angespannt«, antwortete Barry, »und du hattest diesen Ausdruck im Gesicht, als wäre dir gerade jeder Ärger egal.«

So offensichtlich war das gewesen?

»Respekt. Ich hatte noch niemanden, der das vorher gesehen hat.«

»Das macht die Erfahrung.« Barry erhob sich von seinem Platz am Tresen. »Ich bin gleich wieder da, geht euch in der Zwischenzeit nicht an die Gurgel.«

Dabei bedachte er besonders Chris mit einem Blick, den dieser aber unschuldig erwiderte, während er einen Schluck Bier nahm. Kaum war Barry zwischen den anderen Gästen verschwunden, setzte Chris sein Glas wieder ab und beugte sich in Alberts Richtung. »Also, Al-«

»Albert«, erwiderte dieser frostig.

»Ja ja, also: Vaterprobleme?«

Albert runzelte seine Stirn, während Chris ihn fragend ansah. Da er das nicht weiter ausführte, blieb nur eine Antwort: »Ich weiß nicht, was du meinst.«

Chris seufzte lächelnd. »Ich will wissen, ob du Probleme mit deinem Vater hast.«

Diese Forderung erfüllte Albert mit Verwirrung, aber vor allem wieder Ärger. Was fiel diesem Kerl, der ihn gar nicht kannte, eigentlich ein?

»Was geht dich das an?«, erwiderte er.

Chris zuckte mit den Schultern. »Gar nichts. Ich mache mir nur meine Gedanken, warum du bei Barry so lammfromm bist, obwohl du mich kurz vorher noch schlagen wolltest. Und da fällt mir nur ein, dass du ihn sofort als Vaterfigur betrachtet hast. Hey, Barry ist ein echt väterlicher Typ, viele bei uns sehen ihn also als Vaterersatz, da ist also nichts Schlimmes daran. Meistens wollen die anderen einfach nur von ihren Vätern anerkannt werden. Aber weil der das nicht tut, holen sie sich die Anerkennung einfach von Barry.«

Albert bewunderte Chris ein wenig dafür, dass er selbst im angetrunkenem Zustand solche Schlussfolgerungen ziehen konnte. Aber natürlich gab er das nicht zu, sondern zog seinen Trumpf, mit dem er dem anderen den Wind aus dem Segel nehmen wollte: »Deine Theorie ist ja ganz nett, aber ich habe keine Probleme mit meinem Vater, denn meine Eltern sind schon lange tot.«

Vor seinem inneren Auge sah er wieder das Schlafzimmer voller Blut. Er trank rasch einen Schluck Bier, um das Bild zu verdrängen.

»Wow, tut mir leid.« Chris kratzte zumindest seinen letzten Anstand zusammen. »Aber hey, da haben wir ja was gemeinsam. Meine Eltern sind auch früh gestorben. Seitdem waren meine Schwester und ich auf uns allein gestellt.«

Sieh nicht hin, Alby. Wieder einmal hörte er die Stimme seiner Schwester in seinen Ohren, was ihn schaudern ließ.

»Sei froh, dass du nicht allein bist«, sagte Albert tonlos.

»Ja, das bin ich auch.« Chris lächelte zufrieden, sah ihn aber gleich wieder besorgt an. »Bist du etwa allein?«

»Ja.« Alex war adoptiert worden und hatte seitdem keinen Kontakt mehr zu ihm, er war also auf sich allein gestellt. »Aber das stört mich nicht.«

Das glaubte Chris ihm offensichtlich nicht, und in diesem Moment hasste Albert ihn sogar ein wenig dafür. Vielleicht hasste er aber auch nur sich selbst, dass es ihm nicht gelang, einen angetrunkenen Fremden davon zu überzeugen, dass mit ihm alles in Ordnung war.

Entschlossen knallte Chris seine Faust auf den Tresen, was Albert zusammenzucken ließ.

»Ich habe mich entschieden!«, verkündete er geradezu feierlich. »Ich werde jetzt einfach dein Bruder sein, Al!«

»Albert«, erwiderte er genervt. »Und warum denkst du überhaupt, dass ich einen brauche?«

Chris legte eine Hand auf Alberts Schulter und sah ihm intensiv direkt in die Augen. »Weil Familie echt wichtig ist. Und jeder sollte eine haben. Auch du.«

Er hoffte, die Gänsehaut käme davon, wie unheimlich er die Situation gerade fand, und nicht, weil er irgendwie ergriffen davon war. Nein, ganz bestimmt nicht, weil er ergriffen davon war. Sobald Chris wieder nüchtern war, vergaß er das ohnehin, er durfte sich keine Hoffnungen machen. Alex hatte all seine Hoffnung damals mitgenommen, als sie gegangen war, er wollte diesen Schmerz nicht noch einmal erleben.

Unwirsch fegte er Chris' Hand von seiner Schulter. »Ich brauche niemanden.«

Chris blieb keine Zeit, darauf etwas zu erwidern, da Barry zurückkehrte. Prüfend blickte er zwischen ihnen hin und her, diesmal sah er Albert besonders intensiv an – wahrscheinlich war er wieder zu angespannt. So gern er noch eine Weile geblieben wäre, um Zeit mit diesem Mann zu verbringen, so sehr wollte Albert jetzt nur noch weg, bevor er doch noch Emotionen investierte.

Deswegen stand er nun auch direkt auf. »Ich denke, ich gehe dann mal besser. Danke für die Einladung. Und … macht's gut oder so.«

Verabschiedungen lagen ihm nicht so wirklich, deswegen hob er nur noch die Hand und ging dann möglichst rasch in Richtung Ausgang. Hinter sich hörte er noch, wie Barry »Was hast du ihm gesagt, Chris?« fragte, doch die Antwort bekam er schon nicht mehr mit. Sollte Chris ihm ruhig erzählen, was er wollte, er würde diese beiden Männer ohnehin nie wiedersehen, also konnte es ihm egal sein. Jedenfalls war er davon noch überzeugt, als er durch die Tür nach draußen in die kühle Luft trat, um zum Stützpunkt zurückzugehen und diesen Abend wieder zu vergessen.

 

Einen Monat später lief Albert nach dem Frühstück durch die Kaserne, direkt vorbei an der Poststelle, die ihn wie üblich nicht interessierte – immerhin erwartete er von niemandem Post und verschickte auch keine. Deswegen ignorierte er auch den lauten Pfiff, der von dort kam, aber als jemand »Wesker!« rief, hielt er doch inne und wandte sich dem ungeduldigen Soldat hinter dem Tresen zu, vor dem er rasch salutierte.

»Wollen Sie Ihren Brief jetzt oder nicht?«, fragte er und wedelte dabei mit einem Umschlag.

Albert runzelte die Stirn. »Brief?«

»Ja! Nehmen Sie ihn endlich!«

Um keinen Streit mit einem Vorgesetzten zu provozieren, nahm Albert ihm den Brief ab und entfernte sich dann rasch, ehe er einen Blick auf den Umschlag warf. Dabei hatte er nicht viel Hoffnung, dass es irgendetwas Interessantes war, wahrscheinlich stammte er lediglich von seiner Bank, die ihn über neue Investmentangebote informieren wollte, oder dem Lagerraum, wo er seine Möbel untergebracht hatte.

Deswegen überraschte es ihn umso mehr, als er sah, dass der Absender jemand von der Air Force war – und als er Chris' Namen las, konnte er nicht anders, als die Stirn zu runzeln. Er musste nicht einmal darüber nachdenken, wer das überhaupt war, denn er erinnerte sich immer noch, obwohl er es eigentlich hatte vergessen wollen.

Aber warum schreibt er mir? Und das ausgerechnet heute?

Um das herauszufinden, öffnete Albert den Umschlag und zog eine einfache Glückwunschkarte heraus, die ihn nur noch verwirrter zurückließ. Als er sie aufklappte, begrüßte ihn darauf dieselbe kantige Schrift wie schon auf dem Umschlag:

 

Alles Gute zum Geburtstag, Al!

Bestimmt fragst du dich, woher ich das jetzt schon wieder weiß. Wenn du das wissen willst, musst du heute Abend wohl oder übel wieder in die Bar kommen. Ich lade dich diesmal auch auf ein Bier ein. Also lass mich nicht hängen!

 

PS: Barry kommt auch.

 

Es ärgerte ihn, dass Chris ihn schon wieder Al nannte, und dass er irgendwie an sein Geburtsdatum gekommen war – aber gleichzeitig ertappte er sich selbst dabei, dass es ihn freute, zum ersten Mal seit er das Waisenhaus verlassen hatte, von jemandem einen Geburtstagsgruß zu bekommen. Schade, dass er ausgerechnet von Chris gekommen war. Dass der aber noch an ihn dachte, überraschte ihn wirklich. Er war fest davon ausgegangen, nie wieder etwas von einem der beiden zu hören. Vielleicht konnte es nicht schaden, eine Ausnahme zu machen und die beiden zumindest noch einmal zu treffen – vor allem Barry wäre an seinem Geburtstag mal eine willkommene Abwechslung zu seinen sonstigen Arten, diesen Tag zu verbringen.

Ob Chris von derselben Person, die sein Geburtsdatum verraten hatte, auch wusste, dass er heute Ausgang hatte? Das würde er auf jeden Fall herausfinden, selbst wenn er dafür noch einmal mit ihm sprechen musste.

 

Diesmal war die Bar wesentlich leerer als noch beim letzten Besuch, aber die Lautstärke blieb gleich. Chris hatte einen Tisch ergattert, von dem aus er Albert zu sich winkte. Albert setzte sich ihm gegenüber, um möglichst weit entfernt von ihm zu sitzen.

»Barry kommt später«, erklärte Chris die Abwesenheit des anderen direkt. »Aber schön, dass du es geschafft hast, Al.«

»Albert. Verrätst du mir jetzt, wie du an meine Daten gekommen bist?«

»Du kommst gleich auf den Punkt, was? Ich kenne jemandem auf deinem Stützpunkt, den hab ich gefragt, ob er einen Albert Wesker mit einem Aggressionsproblem kennt – und da bist du wohl der einzige. Also, eigentlich bist du auch der einzige Wesker, das mit dem Aggressionsproblem war daher vermutlich unnötig.«

Albert konnte nicht anders, als ein wenig zu schmunzeln. Offenbar bestärkte das Chris darin, fortzufahren: »Ich habe ihn nicht gefragt, wann du Geburtstag hast, aber ihm ist das in den Akten einfach in die Augen gesprungen, deswegen hat er es mir gesagt. Und darum weiß ich es auch. Genau wie das mit deinem heutigen Ausgang.«

»Und du dachtest, es wäre eine gute Idee, mir eine Karte zu schicken?«

Chris lächelte vielsagend. »Sei mal ehrlich: Hast du dich gefreut?«

Er könnte ihn einfach anlügen, ihm sagen, dass ihm dieses Zeichen gar nichts bedeutete und Chris sich gar nicht mehr anzustrengen brauchte, irgendetwas zu beweisen. Das war immerhin garantiert das einzige, worum es ihm ging, er wollte sich selbst zeigen, dass er ein guter Kerl war, Albert war dafür nur der Mittel zum Zweck. Aber dennoch …

»Habe ich. Ich schätze, ich sollte dir danken.«

Chris' Lächeln schien noch eine Nuance wärmer zu werden. »Dann bin ich erst recht froh, dass ich die Karte geschickt habe. Willst du jetzt mein Bruder sein?«

Meinte er das wirklich ernst? Sie waren immer noch praktisch Fremde, deswegen konnte Albert ihm das nicht einmal glauben. »Warum machst du das?«

»Hab ich dir doch schon gesagt. Niemand sollte so allein sein wie du.«

»Das ist lächerlich«, erwiderte Albert direkt. »Ich weiß nicht mal, wie du richtig heißt.«

Chris musste einfach die Kurzform eines Namens sein, und seinen Nachnamen kannte er auch nicht. Wie sollte man auf einer solchen Basis eine Freundschaft aufbauen, geschweige denn eine Familie sein?

Statt diesen Fehler einzusehen, reichte Chris ihm die Hand über den Tisch hinweg. »Chris Redfield.«

Statt einzuschlagen, blickte Albert ihn nachdenklich an. »Du heißt wirklich Chris?«

»Es ist schön simpel, oder?«

Albert lachte kurz auf, dann schüttelte er seufzend mit dem Kopf. »Du wirst deine Zeit mit mir verschwenden. Ich bin ziemlich langweilig.«

Chris ließ die Hand sinken und für einen Moment befürchtete Albert fast, dass er sein Angebot damit wirklich zurückzog. Doch er grinste nur verschmitzt. »Dieses negative Denken ist das erste, was ich dir austreibe, da kannst du dir sicher sein.«

Offenbar war er entschlossen. Sich weiter dagegen zu sperren könnte entweder zu weiteren nervigen Momenten führen – oder seine einzige Möglichkeit zerstören, wirklich einmal so etwas wie einen Freund zu haben. Das mit Alex war so lange her … vielleicht sollte er es einfach mal wieder riskieren. Wenn das schief ging, konnte er immer noch in seine Einsamkeit zurück.

Er gab sich selbst einen Ruck, dann ergriff er Chris' Hand, die immer noch auf dem Tisch lag. »Okay, dann lass uns Brüder sein. Aber ich bin mir sicher, dass es dir bald langweilig wird.«

Chris strahlte regelrecht, während sie sich die Hände schüttelten. »Mann, Al, es wird wirklich Zeit, dass dir jemand beibringt, wie man positiv denkt. Zum Glück hast du jetzt ja mich.«

Albert hatte nicht einmal den Drang, ihn erneut zu korrigieren. Er schüttelte lächelnd nur noch einmal den Kopf, davon überzeugt, dass Chris schon bald das Interesse verlieren würde.

Er konnte an diesem Abend noch nicht wissen, dass sein Leben von nun an mit dem von Chris verbunden wäre und dass sie zusammen noch Dinge erleben würden, die keiner von ihnen sich in seinen kühnsten Träumen je ausgemalt hätte.
 

[1996] – Wir werden wohl die S.T.A.R.S. sein


 

Mit einem betont freundlichen Lächeln an seinen Gegenüber setzte Albert sich. »Ah, King. Ich hab dich beim Anti-Aggressions-Training vermisst. Keine Lust mehr darauf?«

David schnitt ihm eine Grimasse. »Sehr lustig, Alter. Bringen wir das einfach hinter uns.«

»Wie du willst.«

Albert griff nach einem Formular und einem Kugelschreiber, er notierte Davids Namen und sein Geburtsdatum, beides Dinge, die er auswendig kannte. Dann sah er ihn wieder an. »Also, warum haben sie dich heute festgenommen? Einbruch? Raub?«

»Kneipenschlägerei.« David zuckte mit den Schultern. »Ich hab nicht angefangen, aber ich hab gewonnen. Deswegen sitze ich jetzt hier.«

Albert schmunzelte ein wenig, während er das notierte. »So ähnlich bin ich damals auch hier gelandet. Und dann wurde ich selbst Polizist.«

David lachte humorlos auf. »Damit sie dich jetzt nicht mehr verknacken können?«

»Klar. Ich streife jedes Wochenende durch die Bars, um Leute zu verprügeln, und werde dafür nicht eingesperrt, das hast du gut erkannt.«

Dafür erntete er ein wütendes Schnauben von David. Immerhin kooperierte er aber mit Albert, während dieser den weiteren Bericht ausfüllte und ihn schlussendlich unterschrieb. »Okay, danke, für deine Mitarbeit, King. Aber ich bleibe dabei, dass du wirklich von einem Anti-Aggressions-Training profitieren würdest.«

David zog eine Grimasse. »Der beste Grund, mit dem Mist aufzuhören, ist wohl, damit du mir nicht mehr dauernd diesen Scheiß erzählst. Ich kann es nämlich nicht mehr hören.«

»Dann hör entweder ganz damit auf oder lass dich nur noch erwischen, wenn ich keinen Dienst habe.« Albert schmunzelte unablässig, was bei David nur zu einem erneuten Schnauben führte.

Davon unberührt heftete Albert das Dokument ab und stand auf, um David erst einmal in eine Zelle zu bringen. »Das Prozedere kennst du ja schon. Der Haftrichter freut sich bestimmt.«

Gerade als David aufstand, kam ein anderer Officer – Kevin – herein, der ihn aufhielt: »Hey, Albert! Der Chief will dich unbedingt sehen!«

Albert sah den anderen mit gerunzelter Stirn. »Jetzt? Ich bringe gerade einen Gefangenen weg.«

Kevin zuckte mit den Schultern. »Hey, wenn Chief Irons dich jetzt sprechen will, meint er auch jetzt. Ich sag ihm bestimmt nicht, dass du keine Zeit für ihn hast.«

»Ich renn nicht weg«, erwiderte David. »Wenn es so wichtig ist, solltest du das tun.«

»Darauf fall ich bestimmt nicht nochmal rein«, kommentierte Albert trocken, da er nicht gern daran zurückdachte – vor allem da er David erst in der Eingangshalle wieder geschnappt hatte, so dass jeder Zeuge davon geworden war, wie er versagt hatte; die Standpauke seines Vorgesetzten steckte ihm immer noch in den Knochen.

David grinste kurz. »Einen Versuch war es wert.«

Da ihm wohl nichts anderes übrig blieb, seufzte Albert. »Okay, Kevin, kannst du King in die Zelle bringen? Sag den Wärtern, es ist das übliche.«

»Klar!« Kevin strahlte direkt enthusiastisch. »Ich mach das schon.«

David murmelte irgendeinen Fluch, ging aber anstandslos mit Kevin mit. Albert wiederum ging in den ersten Stock, um dort herauszufinden, was Irons von ihm wollen könnte. Er hatte in der letzten Zeit nicht viel angestellt, weswegen man ihn zurechtweisen müsste – schon gar nicht vom Chief persönlich. Den hatte er immerhin seit seinem ersten Tag hier nicht mehr persönlich getroffen. So als einfacher kleiner Officer gab es schließlich keinen Grund, den Polizeichef zu treffen.

Außerdem, fuhr es ihm durch den Kopf, ist es schon spät. Warum arbeitet er überhaupt noch?

Sollte der Vorteil eines Chefs nicht der sein, nicht bis in die Nacht arbeiten zu müssen?

Albert verscheuchte den Gedanken, als er am Büro ankam und nach einem kurzen Klopfen hereingebeten wurde. Schon bei seinem letzten Besuch war er von einem ausgestopften Adler eingeschüchtert gewesen. Inzwischen hatte dieser Begleitung von einem präparierten Wolf und auch dem Schädel eines Reptils bekommen. Beim ersten Mal war Albert davon ausgegangen, dass der Adler einfach Dekoration sein sollte – inzwischen wusste er aber, dass Irons gern jagte und die erlegten Tiere dann selbst ausstopfte. Dieses Wissen ließ den Raum noch erdrückender wirken als er ohnehin schon war.

Irons empfing ihn mit einem Whiskey in der Hand. »Ah, Wesker! Setzen Sie sich!«

Mitten in der Nacht vom Chief gerufen zu werden, war schon unangenehm genug, dass er aber auch seinen Namen kannte, ließ Albert das Schlimmste annehmen. Deswegen setzte er sich rasch auf einen der Ledersessel.

»Wollen Sie auch ein Glas?«, fragte Irons.

»Nein, danke.« Im Moment hätte Alkohol ihn ohnehin nur nervöser gemacht – und er musste noch einige Stunden arbeiten, da konnte er es sich nicht leisten, sich zu betrinken. Außer er wäre gefeuert, aber dafür erschien ihm Irons zu … gut gelaunt. Außer es machte ihm Spaß, Leute zu entlassen. Albert traute ihm das durchaus zu.

Irons leerte sein Glas mit einem Zug, dann stellte er es auf den Schreibtisch und setzte sich auf den Sessel gegenüber von Albert. »Wie lange sind Sie schon bei uns, Wesker?«

»Drei Jahre, Sir.«

Irons nickte gedankenverloren. »Richtig, richtig. Wie gefällt Ihnen die Polizeiarbeit?«

Sollte er wirklich gefeuert werden? Die Situation machte ihn so nervös, dass er die Hände in seinem Schoß faltete, damit er nicht unbewusst an seiner Kleidung herumzupfte; das machte nämlich bestimmt keinen guten Eindruck.

»Ich bin gern Polizist«, antwortete er. »Die Arbeit am Schreibtisch ist ein wenig eintönig, aber der Außendienst gefällt mir. Besonders wenn ich Menschen helfen kann.«

Irons nickte bedächtig. »Wie fänden Sie es, als Mitglied einer Spezialeinheit zu helfen?«

»Ich glaube, ich verstehe nicht, Sir.«

»Das RPD hat zusätzliche Gelder bekommen und möchte dafür eine neue Einheit gründen, deren Ziel spezielle Einsätze sein werden. Terrorbekämpfung, Rettungsmissionen, Dinge, für die man normalerweise nicht die normale Polizei beauftragt.«

Benötigte man so etwas in Raccoon City? Bislang hatte Albert davon nichts mitbekommen, aber das musste nichts bedeuten. Gerade als einfacher Officer gab es bestimmt Dinge, die man nicht erfuhr – oder erst dann, wenn es schon lange vorbei war. Gerade deswegen irritierte ihn diese Entscheidung aber noch mehr.

»Und ich soll in dieser Einheit arbeiten?«, hakte Albert nach. »Sind Sie sicher, dass Sie da die richtige Person fragen? Denn bei allem Respekt, Sir, aber ich-«

»Sie sollen auch nicht einfach in der Einheit arbeiten«, unterbrach Irons ihn. »Sie sollen Ihr Captain werden!«

Albert starrte Irons an. Das musste ein Witz sein, anders ließ sich das nicht erklären. Er war seit drei Jahren hier, war unauffällig genug, dass er keinen Ärger provozierte, und machte genug Fehler, dass er bislang nicht einmal eine Belobigung bekommen hatte, geschweige denn Beförderungen. Es störte ihn nicht, denn sein Job gefiel ihm (mit Ausnahmen), und mehr Verantwortung klang nicht unbedingt verlockend für ihn. Schon allein, weil er auf das Geld nicht angewiesen war, er lebte zu großen Teilen immer noch von dem Erbe seiner Eltern. Selbst bei der Armee war er nur bis zum Private First Class gekommen, ehe er ausgetreten war. Er verfügte auch nicht über besondere Fähigkeiten oder ein übermäßiges Maß an Intelligenz, absolut nichts, was ihn befähigen könnte, eine Spezialeinheit anzuführen.

»Das kann nicht ernst gemeint sein, Sir«, sagte Albert. »Das muss ein Irrtum sein.«

»Nein, ist es nicht.« Irons wirkte ein wenig genervt. »Ich habe eine ausdrückliche Bewertung, in der darauf bestanden wird, dass Sie diese Rolle übernehmen, Wesker.«

»Von wem?«

Vielleicht gab es noch einen anderen Wesker, von dem Albert nichts wusste, der aber für diese Rolle wirklich geeignet war. Dann könnte er das direkt klarstellen, sobald er den Namen desjenigen wusste, der die Bewertung abgegeben hatte.

Doch Irons schüttelte mit dem Kopf. »Das ist Verschlusssache. Warum wehren Sie sich so dagegen, Wesker? Freuen Sie sich doch lieber, dass Sie jemandem so positiv aufgefallen sind, dass derjenige denkt, Sie könnten diese Einheit anführen.«

»Ich weiß gar nichts darüber, wie man eine Einheit führt!«

»Dann lernen Sie es, Mann!« Irons fegte den Einwand mit einer Handbewegung beiseite. »Ich kann mir hier doch nicht die Probleme von jedem von euch anhören! Akzeptieren Sie die Beförderung doch einfach!«

Wahrscheinlich sollte er sich wirklich nicht beschweren und das einfach akzeptieren. Deswegen neigte er nur ein wenig den Kopf, um ein Nicken anzudeuten. Es kam ihm vor, als atme Irons erleichtert auf, dann schob er eine auf dem Tisch liegende Akte in Weskers Richtung. »Hier stehen weitere Informationen drin, zu Aufgaben und Zielen der Einheit, erste Personal-Vorschläge, so etwas eben. Unser anonymer Geldgeber hat das sehr durchdacht.«

Zögernd nahm er die Akte an sich und folgte Irons' Bewegungen, als dieser aufstand.

»Ich nehme das mal als ein Ja«, meinte der Chief. »Bis nächsten Monat haben wir die Räumlichkeiten eingerichtet, bereiten Sie sich also schon mal darauf vor.«

Bevor Albert das Büro verließ, legte Irons noch eine fleischige Hand auf seine Schulter. »Machen Sie sich keine Gedanken, Wesker. Sie bekommen das schon hin.«

Mit diesen Worten entließ er Albert aus dem Gespräch, das ihn so verwirrt zurückließ, dass er ohne die Akte in seiner Hand der Überzeugung gewesen wäre, dass es nicht stattgefunden hatte. So war da aber dieser unumstößliche Beweis, dass Irons – und dieser mysteriöse Geldgeber – einfach nur verrückt geworden war.

Bevor er in die Akte sah, kehrte er ins Ostbüro zurück. Dort hatten sich einige Officer um Kevin versammelt, der gerade versicherte, dass alles okay war. Er wirkte fast schon erleichtert, als er Albert sah und nutzte diese Ausrede, um sich an den anderen vorbeizuschieben. »Hey, Albert! Was wollte der Chief von dir?«

Er kam nicht zum Antworten, weil ihm sofort das Blut in Kevins Gesicht und auf seiner Uniform auffiel. »Was ist passiert?«

Kevin zuckte mit den Schultern. »King hat mir die Nase gebrochen, als ich ihn in seine Zelle bringen wollte. Der Arsch ist sogar mit Handschellen noch gefährlich.«

Albert spürte direkt den Anflug des schlechten Gewissens, dazu wieder die Frage, ob er überhaupt irgendetwas anführen könnte, wenn er in diesem Bereich schon versagte. »Geht es dir gut?«

»Ach, das geht schon. Harry besorgt mir Eis dafür. Sag mir lieber, was Irons von dir wollte. Ich bin echt neugierig!«

So wie immer eben. Sobald Kevin es wusste, wäre es bald ein allgemeines Thema im Revier. Es dauerte für ihn nicht lange, um Gerüchte zu verbreiten oder sie aufzuschnappen. Also könnte er es ihm auch einfach direkt sagen: »Ich bin befördert worden.«

Kevin lächelte, was ein seltsamer Anblick mit seinem blutigen Gesicht war. »Das ist ja großartig! Glückwunsch, Albert! Wirst du dann unser Vorgesetzter oder so?«

»Genau genommen werde ich der … Captain einer neuen Spezialeinheit.«

Das ließ Kevin irritiert die Stirn runzeln. Eine neue Einheit, von der er noch nichts gehört hatte? Das musste für ihn ein Ding der Unmöglichkeit sein.

»Was für eine Einheit?«, fragte er.

Albert sah auf die Akte hinunter, die er mitbekommen hatte. Auf dem Umschlag war ein ihm unbekanntes Logo abgebildet, das von Worten umrahmt wurde: »Special Tactis and Rescue Service

»Das klingt echt lang«, urteilte Kevin. »Ihr habt doch bestimmt eine coole Abkürzung, oder?«

»Na ja …« Albert zuckte mit den Schultern, seine Mundwinkel hoben sich ein wenig. »Wir werden wohl die S.T.A.R.S. sein.«

 

»Es ist doch irgendwie seltsam, oder?«

Albert sah zu Andy hinüber, der mit gerunzelter Stirn in seinem Salat stocherte. Wenn er im Außendienst war, so wie heute, arbeitete er immer mit dem älteren und erfahrenen Andy zusammen. Anders als Barry machte er nicht den Eindruck, ein Vatertyp zu sein, aber Albert schätzte seine ruhige Art und seine Erfahrung, mit der Andy vor allem ihn mehr als einmal aus dem Schlamassel geholt hatte.

Seit Albert ihm aber zu Beginn der Schicht von dieser Beförderung erzählt hatte, war Andy nachdenklich und verschlossen.

»Was ist seltsam?«, hakte Albert nach. »Dass wir hier im Auto essen, statt im Diner?«

Was ihn selbst wunderte. Normalerweise bestand Andy darauf, an einem richtigen Tisch zu essen, um Rückenschmerzen zu vermeiden. Heute hatten sie das Essen jedoch mitgenommen, saßen nun im Streifenwagen auf dem Parkplatz des Diners und aßen hauptsächlich schweigend. Im Gegensatz zu Andy war Albert mit seinem Sandwich aber auch schon fertig.

»Das meine ich nicht«, erwiderte Andy. »Das mit deiner Beförderung. Du bist ein guter Kollege, Albert, aber Captain einer Spezialeinheit? Wirklich?«

»Ich bin auch nicht wild darauf.« Albert zuckte mit den Schultern. »Aber der Chief schien echt unter Druck zu stehen, dass ich das machen muss. Willst du die Beförderung haben?«

»Schwachsinn.«

Schade, Albert hatte ein wenig gehofft, die Verantwortung direkt abschieben zu können. Er war von der Aussicht auf diesen Posten immer noch nicht begeistert, obwohl er schon gesehen hatte, dass Barry für das Team ausgesucht worden war. Das war das einzige, worauf er sich bereits freute, alles andere – inklusive der anderen feststehenden Mitglieder Marini, Vickers, Aiken, Dewey, Dooley und Sullivan – erfüllte ihn nach wie vor mit einem Gefühl von Panik und Überforderung; er hatte noch nie irgendwen angeführt oder Anweisungen gegeben, wie sollte das also funktionieren?

Und warum sollte er der Captain sein, wenn alle anderen bislang feststehenden Mitglieder so viel älter waren als er und auch wesentlich mehr Erfahrung aufwiesen? Er wollte er diese Beförderung weiterhin nicht, aber Irons hatte ihm zu verstehen gegeben, dass er keine Wahl hatte.

Andy stieß ein frustriertes Seufzen aus. »Du hast gesagt, du weißt nicht, wer der Geldgeber ist, der dich unbedingt als Captain haben will, richtig?«

»Irons hat es mir nicht gesagt. Und auch in den Unterlagen gibt es keine Hinweise darauf.«

Er hatte sogar Barry gefragt, von wem er angeworben worden war, aber dieser hatte ihm lediglich sagen können, dass die Anfrage vom RPD gekommen war, ohne solche Details.

»Sie wollen also einen unerfahrenen Captain und nicht einmal verraten, wer sie sind.« Andy schüttelte mit dem Kopf. »Die Sache stinkt gewaltig, Albert. Mach dir keine Sorgen, ich werde herausfinden, was es damit auf sich hat. Dann boxe ich dich da raus.«

Natürlich hatte Andy gemerkt, dass er kein Interesse an der Beförderung hatte und sich davor fürchtete. Sie waren seit drei Jahren Partner, was sollte er anderes erwarten?

»In Zukunft musst du dafür aber endlich mal aufhören, in Schwierigkeiten zu geraten. Irgendwann wirst du in eine Situation geraten, aus der nicht mal ich dich wieder rausbekomme. Oder ich werde nicht mehr da sein, um dir zu helfen.«

Albert sah ihn ratlos an. »Willst du etwa weggehen?«

»Nein. Aber wir sind Polizisten, Albert. Es kann immer irgendetwas passieren. Vergiss das nicht.«

Als hätte das Revier mitgehört und wollte ihn in seiner Aussage unterstützen, erwachte das Funkgerät in diesem Moment zum Leben und berichtete von einem bewaffneten Überfall auf einen Lebensmittelladen in der Nähe. Andy nickte vielsagend in Richtung des Funkgeräts, dann nahm er es an sich und verkündete, dass er und Albert diesen Fall übernehmen würden.

Er stellte die Schale mit seinem Salat auf das Armaturenbrett, startete den Motor und fuhr mit lärmenden Sirenen bereits los.

Albert atmete tief durch. Selbst die Aussicht auf diesen Einsatz ließ ihn weniger nervös sein als die Beförderung. Aber er musste sich keine Sorgen mehr machen. Andy würde dieses Rätsel lösen und dann dafür sorgen, dass nicht einmal mehr Irons ihn dazu zwingen könnte, den neuen Posten zu übernehmen. Alles würde gut werden, er musste nur ein weiteres Mal auf Andy vertrauen.

 

Zwei Wochen waren seit Andys Versprechen vergangen, sich um diese Sache zu kümmern. Zwei Wochen, in denen Albert sich wesentlich besser gefühlt hatte, selbst wenn Andy ihn immer auf ein andermal vertröstete, wenn Albert ihn darauf angesprochen hatte. Anscheinend war die Recherche nicht so einfach gewesen wie gehofft. Aber Albert machte sich keine Sorgen. Andy hatte ihn sogar davor bewahrt, dass er die Verantwortung für Kevins Verletzung durch David tragen musste – unter der Auflage, Kevin nicht mehr einfach mit Gefangen loszuschicken.

Als Albert zum Beginn seiner heutigen Schicht in die Eingangshalle des RPD trat, in der mehr Hektik und Nervosität als sonst herrschte, hielt Kevin ihn direkt auf, als hätte er nur auf ihn gewartet: »Albert, hast du es schon gehört?«

Eigentlich hatte er absolut keine Lust auf irgendwelchen Tratsch, aber Kevin sah so ungewohnt ernst aus, dass er nicht einfach weitergehen konnte. »Nein, was denn?«

Da Kevin auch noch seine Hand auf Alberts Schulter legte, ahnte dieser nichts Gutes – und wurde direkt bestätigt: »Vorhin ist jemand in die Halle gekommen, hat behauptet, er sei Zeuge in einem wichtigen Verfahren und wollte unbedingt mit Andy sprechen.«

Sein Inneres fühlte sich bereits unangenehm kalt an, sein Unterbewusstsein wusste, was kommen würde, aber er konnte Kevin nicht unterbrechen.

»Kaum ist er ins Büro gekommen, hat er eine Waffe gezogen und Andy-«

Er wollte es nicht hören, weigerte sich, das einfach zu glauben, deswegen schnitt er ihm nun doch das Wort ab: »Wo ist er? Wie geht es ihm?«

Kevin schüttelte bedauernd mit dem Kopf. »Tut mir leid, Albert. Aber Andy war sofort tot. Falls es dich tröstet-«

Aber Albert wollte ihm nicht weiter zuhören. Er riss sich von Kevin los und stürmte ins Ostbüro, von dem ein Teil noch abgesperrt war, auch die Blutlachen auf dem Boden waren noch deutlich zu sehen, da die Spurensicherung ihre Arbeit gerade erst beendete. Der Angreifer war garantiert auch erschossen worden, anders konnte es gar nicht sein. Aber warum sollte ihn das trösten? Was dachte Kevin sich dabei?

Mit schnellen Schritten ging er um das Büro herum, ins Untergeschoss hinab, direkt in die Leichenhalle. Er schätzte sich glücklich, dass er nicht oft hierher musste, deswegen kannte er den blonden Mann in dem Arztkittel nicht, der gerade einen Körper in die Kühlung schieben wollte, nun aber innehielt. »Kann ich helfen?«

»Ich wollte nur nach Andy sehen ...«

Der Mann schien sofort zu wissen, was er meinte. Er nickte auf die Bahre hinunter, an der er gerade stand. Albert trat näher. Wie üblich steckte die Leiche in einem schwarzen Body Bag. Der andere öffnete den Reißverschluss ein wenig, so dass tatsächlich Andys viel zu blasses Gesicht freigelegt wurde.

Bis zu diesem Moment hatte er noch gehofft, dass es nur ein Irrtum war oder dass er sich verhört hatte, denn Andy konnte doch nicht einfach tot sein. Er war erfahren, vorsichtig, holte Leute – vor allem Albert – aus Bredouillen, in die sie sich selbst gebracht hatten, er würde sich doch nicht einfach erschießen lassen. Aber nun lag er hier, kalt und leblos. All seine Erfahrung war nun wertlos, seine Vorsicht nicht mehr gefragt. Alles war einfach fort – nur wegen irgendeines Mannes mit einer Waffe. Warum hatte er das getan? Die Tat war zu gezielt geschehen, um ein Zufall zu sein. Was könnte Andy ihm angetan haben, um das zu verdienen?

»Mr. Wesker, nehme ich an?«

Die Stimme des Arztes holte ihn wieder aus seinen Gedanken. Er wandte sich dem anderen zu, der ihn mit einem seltsamen Blick musterte und sich dann selbst zunickte. »Ich wurde gebeten, Ihnen etwas auszurichten.«

»Von wem?«

Und warum fragte man gerade diesen ihm Unbekannten danach? Es gab wesentlich bessere Möglichkeiten in einem Revier voller Kollegen.

»Unwichtig«, wehrte der Mann ab. »Ich soll Ihnen sagen, dass Sie aufhören sollen, Fragen zu stellen. Das ist nicht gesund, für niemanden.«

Albert runzelte seine Stirn. Der Mann lächelte schräg, als wüsste er gar nicht genau, wie das eigentlich funktionierte. Diese Mimik erinnerte ihn an etwas, aber er konnte einfach nicht sagen, woran genau.

»Akzeptieren Sie die Beförderung einfach, Mr. Wesker.«

Der einzige Schluss, der ihm blieb, wollte ihm gar nicht gefallen. »Wollen Sie sagen, Andy wurde getötet, weil er herausfinden wollte, wer der Geldgeber ist?«

»Sie mögen es nicht, wenn man Fragen stellt.« Er zuckte mit den Schultern. »Verständlich, oder?«

»Dann ist es meine Schuld, dass er tot ist?«

»Haben Sie ihn beauftragt? Nein? Dann nicht. Aber Sie sollten auch verhindern, dass irgendjemand anderes zu viel nachforscht. Also akzeptieren Sie es einfach, dann kommt niemand mehr zu Schaden.«

Für einen kurzen Moment setzte Alberts Verstand aus, etwas fiel scheppernd zu Boden, der andere keuchte – dann fand Albert sich am anderen Ende des Raumes wieder, wie er den vermeintlichen Arzt an seinem Kragen gepackt gegen die Wand drückte. All das Anti-Aggressions-Training hatte ihn nicht auf einen solchen Fall vorbereitet, nicht auf diese hilflose Wut, die gerade in seinem Inneren wütete.

»Für wen arbeitest du?!«, fragte er knurrend. »Wer bist du?!«

Der andere lächelte nur nachsichtig. »Ist es wirklich eine gute Idee, noch einmal in Schwierigkeiten zu geraten? Es gibt niemanden mehr, der dich retten kann. Und die Beförderung ist nur für dich bestimmt. Da kommst du nicht mehr raus.«

Albert versuchte tief durchzuatmen, wie er es gelernt hatte. Er starrte dem anderen in die spöttisch dreinblickenden Augen, die fast Mitleid mit ihm zu haben schienen – nicht wegen seiner Situation, sondern weil er genau wusste, dass Albert niemals an ihn heranreichen würde. Auch das berührte etwas in seiner Erinnerung.

»Kennen wir uns?«, fragte er leise.

Der Mann schmunzelte nur und löste sich ohne jede Gewalt aus seinem Griff. »Konzentrier dich auf deine Aufgabe. Ich habe dir alles gesagt, was du dafür wissen musst. Wenn du nicht willst, dass noch jemand stirbt, akzeptiere deine Bestimmung.«

Ohne jedes weitere Wort ging er einfach davon, ließ Albert allein mit der Leiche seines Kollegen, der nur deswegen gestorben war, weil er ihm hatte helfen wollen. Warum war das derart eskaliert? Wer war dieser Geldgeber, dass er sogar sprichwörtlich über Leichen ging, um sein Geheimnis zu bewahren?

Er schüttelte mit dem Kopf, während er mit dem Rücken an der Wand zu Boden rutschte. Wer immer es war, er durfte nicht mehr fragen, nicht mehr zweifeln. Niemand sollte mehr wegen ihm sterben, um ihn vor dem zu retten, was anscheinend seine Bestimmung war. Wenn er das nur früher erkannt hätte …

»Es tut mir leid, Andy«, murmelte er, während er die einzigen Tränen wegwischte, die er sich in dieser Sache erlaubte. »Es tut mir so leid ...«

 

Zwei Wochen später stand er in einer Galauniform, die ihm extra für diesen Anlass übergeben worden war, im Presseraum des RPD. Alle Plastikstühle waren von Vertretern der örtlichen Presse besetzt, nur am Podium selbst thronte Irons und erzählte gerade ausschweifend von den Verdiensten der hiesigen Polizei, aber auch den neuen Gefahren, die der Stadt drohten und denen man mit den S.T.A.R.S. begegnen wollte.

Albert stand an der Seite, wartete darauf, dass sein Stichwort fiel, dass er offiziell zum Captain einer vollkommen neuen Eliteeinheit ernannt wurde. Einer Aufgabe, der er sich immer noch nicht gewachsen fühlte, aber sie war unausweichlich, ihm blieb nur dieser Weg. Entsprechend unaufgeregt war er in seinem Inneren. Seine Nervosität war durch den kalten Entschluss ersetzt worden, sicherzugehen, dass jeder glaubte, er wäre geeignet für diese Rolle, damit niemand mehr auf die Idee käme, nachzuforschen. Wenn er selbst nicht zweifelte, tat auch sonst keiner es – und niemand müsste mehr wegen ihm sterben.

Mit diesem Entschluss war er auch das erste Mal seinen neuen Untergebenen begegnet, hatte sie kühl begrüßt und ihnen versichert, dass er sich gut um sie kümmern würde. Die Skepsis in Marinis Augen hatte ihn nur darin bestärkt, noch kälter zu werden. Barry schien deswegen besorgt zu sein, er warf ihm selbst jetzt immer wieder Blicke zu, aber davon durfte er sich nicht beeinflussen lassen – schon allein, weil Barry auch Chris überredet hatte, Teil der S.T.A.R.S. zu werden. Albert würde nicht zulassen, dass den beiden etwas zustieß. Wenn er sie dafür zumindest am Anfang auf Distanz halten musste, würde er das tun, selbst wenn es ihm schwerfiel.

Irons nannte seinen Namen und riss ihn aus den Überlegungen. Albert trat in das Blitzlichtgewitter der Fotografen, schüttelte Irons' Hand und nahm den symbolischen Schlüssel für das neue Büro entgegen. Dabei gab er sich Mühe, zu lächeln, obwohl ihm nicht einmal der Sinn danach stand. Aber nach außen würde er sich so zeigen, wie der mysteriöse Geldgeber ihn vermutlich haben wollte: stolz und zufrieden über diesen zweifelhaften Erfolg.

Eines Tages würde er herausfinden, wer dieser Geldgeber eigentlich war – und dann würde er alles, was er in diesem Moment empfand, an ihm auslassen. Egal, wie lange es dauerte.
 

[1996] – Ich bin jetzt dein Vorgesetzter


 

Eigentlich war es Alberts Vorsatz gewesen, sich von den Mitgliedern der S.T.A.R.S. größtenteils fernzuhalten. Solange er auf Distanz blieb, konnte er Autorität als Captain ausstrahlen, niemand würde bemerken, wie viele Zweifel und Sorgen ihn plagten. Er erlaubte sich gerade so viel Nähe, dass er sich die Vornamen von allen merkte und auch über aufgeschnappte Gespräche Hobbys mitbekam (er war immer noch erstaunt, dass Kenneth gern gärtnerte), was er sich nur für mögliche Geburtstagsgeschenke merkte, die von guten Captains erwartet wurden.

Gerade bei Barry und Chris schmerzte ihn diese Distanz natürlich – aber gleichzeitig war er überzeugt, dass sie ohne ihn klarkamen. Barry hatte seine Familie und im Kendo-Waffenladen schon Freunde gefunden. Und mit Chris waren schließlich auch dessen Freunde Joseph und Forest zu S.T.A.R.S. gekommen – und Albert bekam fast jede Woche einen Bericht über die Schäden, die diese drei anrichteten, wenn sie sich am Wochenende gemeinsam betranken. So fiel es ihm nicht schwer, Chris' Einladungen abzulehnen, mit ihnen trinken zu gehen.

Barry war da schon eine andere Sache. Deswegen stand Albert an diesem Samstag Abend vor dem Vorstadt-Haus, in dem Barry mit seiner Familie lebte. Wie ein guter Captain trug er eine Flasche Wein im Arm, als Dankeschön für die Einladung.

Schon während er darauf wartete, dass die Tür geöffnet wurde, spürte er, wie die Nervosität in ihm wieder anstieg. Was, wenn er sich verplapperte? Wenn Barry misstrauisch wurde? Das konnte Albert nicht zulassen, er musste das verhindern – und dafür musste er weiterhin kühl und distanziert bleiben. So wie schon die letzten drei Monate. Er konnte das tun, er musste das tun.

Seine Gedanken wurden unterbrochen, als Barry die Tür öffnete. Er lächelte bereits so väterlich, dass Albert in einem ersten Impuls einknicken und ihm alles erzählen wollte, aber er riss sich zusammen. »Guten Abend, Barry. Danke für die Einladung.«

Barry erwiderte die Begrüßung. »Komm rein, komm rein. Kathy und die Mädchen freuen sich schon auf dich.«

Albert war schon lange nicht mehr im Haus einer liebenden Familie gewesen. Im Rahmen seiner Arbeit hatte er verschiedene Wohnungen aufgesucht, in denen er Fällen von Lärmbelästigung oder häuslicher Gewalt nachgegangen war. Deswegen war er zuerst überwältigt, als er in das aufgeräumte Wohnzimmer trat, aus einem angrenzenden Raum Kinderlachen hörte und den Duft von frisch gekochtem Essen in sich aufsog. Das alles erfüllte ihn mit einer lange nicht mehr gekannten Sehnsucht nach zu Hause, nach seinen Eltern und seiner Schwester.

In diesem Moment war er sich schon nicht mehr sicher, ob er die Distanz aufrecht halten könnte.

Nachdem er die Tür geschlossen hatte, nahm Barry ihm dankend die Weinflasche ab. »Als Freund musst du eigentlich keine Geschenke mitbringen.«

»Ich bin jetzt dein Vorgesetzter«, erinnerte Albert ihn, in einem Versuch, die Autorität zu erhalten. »Und ich habe gelesen, als solcher wäre das eine Selbstverständlichkeit.«

Barry runzelte die Stirn, kam aber nicht dazu, etwas zu sagen, da Kathy plötzlich aus der Küche kam. Lächelnd schloss sie Albert in eine Umarmung, ohne dass er sich dagegen wehren konnte. »Es ist so lange her, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Schön, dass du mal wieder da bist.«

Er entschuldigte sich kurz angebunden, während er die Umarmung erwiderte. »Ich war ziemlich beschäftigt.«

Eigentlich hatte er Barrys Geduld mit ihm nicht überstrapazieren wollen. Aber diese Selbstzweifel hätte er ihnen auch unter anderen Umständen nicht mitgeteilt. Es reichte, dass Chris davon wusste.

Kathy musterte ihn genauer, während Barry die Mädchen holte. Albert lächelte möglichst unschuldig. »Stimmt etwas nicht?«

»Nein, ich habe nur gerade darüber nachgedacht, wie erwachsen du geworden bist.«

»Ich war schon letztes Mal erwachsen.«

Er war bei Barrys Familie zu Besuch gewesen, nachdem er vor drei Jahren die Army verlassen hatte. Aber Kathy schüttelte bereits mit dem Kopf. »Das meine ich nicht. Du wirkst jetzt nicht mehr so unruhig.«

»Das verdanke ich nur dem Anti-Aggressions-Training«, sagte er schmunzelnd.

Sie lachte und tätschelte seine Schulter. »Was auch immer geholfen hat, behalte es bei.«

Barry kehrte mit zwei kleinen Mädchen ins Wohnzimmer zurück. »Du erinnerst dich doch bestimmt an Moira und Polly, oder?«

Bei seinem letzten Besuch war Polly noch zu klein gewesen, um zu laufen, nun marschierte sie entschlossen, aber unbeholfen, hinter Moira her, während sie die Hand ihrer Schwester hielt.

»Natürlich«, sagte Albert und kniete sich hin. »Meine Güte, wie groß ihr geworden seid!«

Mit strahlenden Gesichtern kamen die beiden auf ihn zu, als wäre er nicht zuletzt vor drei Jahren bei ihnen gewesen.

»Hast du uns was mitgebracht?«, fragte Moira.

»Aber was denkst du denn?« Albert griff in die Innentasche seines Jacketts und zog zwei Erdbeerlollies hervor, die er nach einer kurzen Rücksprache mit Barry gekauft hatte.

Die Mädchen bedankten sich brav, als er sie ihnen gab, Kathy ermahnte sie allerdings sofort, dass es erst nach dem Essen Süßes gab.

»Das wissen wir, Mom«, versicherte Moira ihr.

Unwillkürlich fühlte Albert sich an seine eigene Kindheit erinnert, an die Momente, wenn seine Familie Besuch bekam und diese ihnen kleine Geschenke brachten. Wie sehr vermisste er diese Zeiten damals.

»Wascht euch schon mal die Hände«, wies Kathy die Mädchen an. »Es gibt gleich Essen.«

Gehorsam marschierten sie in Richtung Badezimmer, um der Anweisung zu folgen. Albert sah ihnen lächelnd hinterher, dann stand er wieder auf und wandte sich den Eltern zu. »Die beiden sind zauberhaft. Ihr müsst echt stolz auf sie sein.«

Barry nickte. »Das sind wir auch.«

Für einen kurzen Moment warfen Kathy und Barry sich einen Blick zu, wie man ihn von frisch Verliebten kannte. Albert fühlte sich plötzlich fehl am Platz und bereute bereits, gekommen zu sein. Vielleicht half ihm das aber auch dabei, seine Distanz zu bewahren.

»Ich muss zurück in die Küche.« Kathy berührte Barry sacht am Ellenbogen. »Kannst du bitte den Tisch decken?«

Nachdem er zugestimmt hatte, kehrte sie in die Küche zurück. Barry winkte derweil Albert mit sich ins Esszimmer. Dort holte er das Geschirr aus einem Schrank und begann mit Alberts Hilfe den Tisch zu decken. Dabei führten sie kurz Smalltalk darüber, wie es Barry in Raccoon City gefiel, ob er und seine Familie sich schon eingelebt hatten und wie er seinen Job so fand.

Bei der letzten Frage schmunzelte Barry ein wenig. »Mein Vorgesetzter hilft mir sogar im Haushalt, natürlich finde ich den Job gut.«

Albert lachte kurz auf. »Das habe ich wohl verdient, was?«

Barry musterte ihn eindringlich, mit gerunzelter Stirn, als könnte er ihn so einfach durchschauen – und Albert zweifelte nicht einmal daran, dass ihm das gelänge. Offenbar tat er das aber nicht, denn er senkte nur besorgt die Stimme: »Ist irgendetwas passiert?«

»Nein. Was soll denn passiert sein?«

Darauf zuckte Barry mit den Schultern. »Das möchte ich ja gerade von dir wissen. Ich weiß, dass du die Aufgabe, unser Captain zu sein, ernst nimmst, aber das bedeutet doch nicht, dass du so abweisend gegenüber Chris sein musst. Oder gegenüber mir.«

Darum ging es ihm also. Albert hatte befürchtet, er würde ihn noch einmal auf den Geldgeber ansprechen oder wie er Captain werden konnte. Seine Distanz hing zwar damit zusammen, aber sie ließ sich besser wegerklären: »Ich will nur nicht, dass jemand denkt, dass ich euch bevorzuge.«

Barry glaubte das offensichtlich nicht, seine Stirn war immer noch gerunzelt. Aber als Moira und Polly ins Esszimmer stürmten, dicht gefolgt von Kathy, die vorsichtig eine Platte mit Braten vor sich hertrug, blieb ihm keine Zeit mehr, das Thema zu vertiefen. Lächelnd kümmerte er sich sofort darum, dass seine Töchter sich an den Tisch setzten, dass Albert ebenfalls Platz nahm und dann auch der Rest des Essens serviert wurde.

Erst einmal war Albert also sicher – er konnte nur hoffen, dass er nicht mehr so bald mit Barry allein wäre.

 

Das Essen verlief harmonischer als er gedacht hätte. Barry und Kathy schnitten das Essen für ihre Töchter klein, während sie leise lachend mit ihnen sprachen, obwohl vor allem Moira Albert fast die ganze Zeit interessiert musterte und ihm hin und wieder Fragen stellte, die sich vor allem auf »Bist du jetzt Daddys Boss?« und »Jagt ihr böse Menschen?« beschränkten. Albert antwortete ihr kindgerecht, immer lächelnd und ließ dabei sogar seine emotionale Distanz missen.

»Stell ihm nicht so viele Fragen«, wies Barry sie irgendwann zurecht. »Iss lieber auf, Kleines. Danach kriegst du was Süßes.«

Das war für sie Überzeugungsarbeit genug, dass sie sich auf ihr Essen konzentrierte, statt weiter neugierig zu sein. Barry warf einen um Entschuldigung heischenden Blick zu Albert, doch dieser winkte nur ab. »Es ist gut, dass sie so neugierig ist. Sie wird einige Lehrer mit ihren Fragen bestimmt zur Weißglut treiben.«

»Oh, ganz sicher«, sagte Kathy lächelnd. »Wir diskutieren jetzt schon darüber, wer von uns später zu Eltern-Lehrer-Konferenzen gehen wird, um sich die Beschwerden darüber anzuhören.«

Der Rest des Essens verlief mit weiterem Smalltalk, indem Albert nun Kathy fragte, wie ihr die Stadt gefiel und wie sie sich eingelebt hatte. Sie berichtete ihm von den Nachbarn, von denen sie freundlich begrüßt worden waren, so wie dem Kindergarten, den Moira und Polly nun besuchten, mit kleinen Einwürfen von Barry, wann immer er etwas anders betrachtete. Alles Dinge, die ihn bei jeder andere Person nicht interessiert hätte, aber bei den beiden auf jeden Fall. Für den Moment konnte er sich sogar als Teil der Familie fühlen.

Von sich selbst konnte er wesentlich weniger berichten, als Kathy ihn während des Kaffees nach dem Essen darauf ansprach. Er erzählte von seiner Zeit beim RPD, wählte dabei aber nur Geschichten, die auch für die Mädchen geeignet waren und klagte ein wenig spöttisch darüber, dass Kevin ihn sogar jetzt noch manchmal anhielt, um ihm irgendwelchen neuen Tratsch zu erzählen, den er im Revier aufgeschnappt hatte. Dabei störte es ihn eigentlich nicht einmal, er fand es sogar eher angenehm, dass Kevin ihn als einziger seiner alten Kollegen noch genauso wie vor der Beförderung behandelte.

Andy erwähnte er mit keiner Silbe, obwohl Barry tatsächlich einmal sogar sehr direkt nach seinem früheren Partner fragte.

»Er ist nicht mehr im RPD«, antwortete Albert darauf nur, offenbar ernst genug, dass Barry auch nicht mehr weiter nachfragte.

Nach den ausgetauschten Geschichten wurde es so spät, dass es für die Mädchen nicht nur Zeit für das Bett war, sondern auch für Albert aufzubrechen. Polly war schon zu müde für eine Verabschiedung und wurde von Kathy ins Kinderzimmer getragen, aber Moira reichte Albert noch artig die Hand, ehe sie ihrer Mutter folgte.

»Ich begleite dich nach draußen«, sagte Barry und bevor Albert ihm versichern konnte, dass er den Weg allein fände und er ohnehin direkt vor dem Haus geparkt hätte, standen sie auch schon draußen.

Im Dunkeln war der Wind frisch genug, dass es Albert tatsächlich fröstelte. Er verschränkte die Arme vor sich, um sich ein wenig warmzuhalten, da er überzeugt war, dass er ohnehin nicht so schnell ins Auto käme. Und als Barry ihn ansprach, wusste er auch, dass er recht hatte: »Um noch einmal auf das Thema vorhin zu sprechen zu kommen …«

»Bitte, Barry ...« Albert blieb stehen und wandte sich ihm zu. »Ich habe meine Gründe, warum ich so bin. Wirklich gute Gründe.«

»Und die kannst du nicht mit mir teilen?«, fragte Barry.

Unwillkürlich sah Albert die Straße hinab, nur um sicherzugehen, ob jemand sie beobachtete. Er konnte nichts Verdächtiges entdecken, aber das musste nicht bedeuten, dass wirklich niemand da war. Schließlich sah er wieder in Barrys besorgt-skeptisches Gesicht, eine eigentümliche Mischung, die er in einem solchen Fall auch von seinem eigenen Vater erwartet hätte.

Unsinn. Ich weiß ja nicht mal mehr, wie Dad aussah.

»Nein«, antwortete er, »kann ich nicht.«

»Hat das etwas damit zu tun, dass die Leute im RPD sich fragen, warum gerade du befördert wurdest?«

Mist, Barry war wesentlich besser darin, Schlüsse zu ziehen, als er gehofft hatte.

»Du kriegst also mit, was die anderen so reden?«

»Natürlich. Man kann dem Gerede schlecht ausweichen.« Barry wartete einen kurzen Moment, aber da Albert nichts sagte, fragte er weiter: »Warum wurdest gerade du befördert?«

Hilflos zuckte Albert mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Der Geldgeber wollte es so. Und ich weiß nicht, wer das ist.«

Aber er erinnerte sich noch gut an die Warnung, die dieser vermeintliche Arzt ihm mitgegeben hatte. Er erinnerte sich noch an Andys Leiche.

»Warum finden wir das nicht heraus, und-«

»Nein!«, unterbrach Albert ihn etwas zu laut, dann senkte er sofort die Stimme wieder: »Bitte mach das nicht. Lass das einfach auf sich beruhen, Barry.«

Sein Gegenüber sah ihn finster an. »Interessiert dich das denn gar nicht? Warum willst du es nicht wissen? Was ist passiert, Albert?«

Natürlich interessierte es ihn, sogar brennend. Aber nicht so sehr, dass er gewillt war, noch irgendwelche anderen Opfer in Kauf zu nehmen.

»Wenn ich dir zu viel erzähle«, antwortete er, »bringe ich nur dich und deine Familie in Gefahr.«

Für einen Moment sah Barry ihn nur schweigend an. In seinem Gesicht konnte Albert nicht lesen, ob er ihm das glaubte oder nicht oder ob er vielleicht noch weiter nachhaken wollte. Aber vielleicht gelang es Barry, in seiner Miene die Verzweiflung und die innige Bitte zu erkennen, dass er nicht weiter darüber reden wollte, dass er schon wütend genug über sein Einknicken war.

Schließlich schüttelte Barry seufzend mit dem Kopf. »Okay, etwas stimmt an der Sache nicht. Aber ich frage nicht weiter, wenn du das nicht willst.«

Albert atmete auf, doch Barry fuhr bereits fort: »Aber dafür musst du mir etwas versprechen.«

»Klar, was denn?« In diesem Moment hätte er ihm alles versprochen, nur um aus dieser Situation wieder rauszukommen.

Barry legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Benimm dich wenigstens Chris gegenüber wieder normal. Er lässt es sich nicht anmerken, aber es nimmt ihn ziemlich mit, dass sein Bruder ihn behandelt, als kenne er ihn kaum.«

»Er hat doch Joseph und Forest.«

»Das ist nicht dasselbe.«

Albert hatte wohl zu wenige Freunde, um das beurteilen zu können. Andererseits … wenn er Zeit mit Kevin, Andy oder sonst einem Kollegen verbracht hatte, war das auch anders gewesen als seine Treffen mit Chris. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Chris auch auf Abstand zu halten.

»Okay, ich verspreche es dir. Ich rede ab sofort wieder normal mit ihm.«

Lächelnd klopfte Barry ihm auf die Schulter. »Danke, Albert. Ich hoffe, du kommst bald mal wieder vorbei.«

»Wenn ich darf«, sagte er zurückhaltend.

»Natürlich darfst du. Sieh dich einfach als Teil der Familie.«

Teil der Familie. Albert wagte nicht einmal zu hoffen, dass er sich irgendwann tatsächlich dauerhaft als solcher fühlen würde. Dafür stand er sich selbst zu sehr im Weg, wie er befürchtete. Aber dass es gerade Barry war, der ihm das anbot, half ihm tatsächlich, ein wenig optimistischer zu sein.

»Danke.« Albert lächelte. »Ich weiß das sehr zu schätzen.«

Barry nickte ihm zu, nahm endlich die Hand von seiner Schulter und trat einen Schritt zurück. »Komm gut nach Hause, Albert. Wir sehen uns am Montag im Büro.«

Nachdem er sich auch verabschiedet hatte, setzte Albert sich ins Auto und beobachtete, wie Barry ins Haus zurückging. Er wurde nicht niedergeschossen, kein Verrückter tauchte plötzlich aus der Dunkelheit auf und griff ihn an, Barry winkte sogar noch einmal kurz, ehe er die Tür hinter sich schloss.

Als Albert den Motor startete, hoffte er, dass Barry sich an dieses Versprechen halten würde, dass er nicht weiter nachforschte, damit er und seine Familie in Frieden leben könnte. Aber Barry war vernünftig und er dachte an seine Frau und seine Töchter, er würde nichts tun, was sie gefährdete.

Mit dieser Zuversicht in seinem Inneren fuhr Albert los, um wieder nach Hause zu kommen – und er fragte sich bereits, ob es dreist wäre, die Familie nächsten Samstag direkt noch einmal zu besuchen.
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
David ist einer der Protagonisten aus Outbreak 1 und 2.
Andy ist ein NPC, der in der Endszene von Szenario 1 in Oubtreak 1 mit mehreren Bisswunden in Behandlung zu sehen ist. In Oubtreak 2 ist er als spielbarer Charakter freischaltbar. Sein Charakter an sich ist deswegen auch rein meiner Fantasie entsprungen. Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück