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Aschenstaub

Der erste Zauberkrieg
von

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I. Kriegsjahr – Omnia vincit amor


 

| 1971 |

- 1. Kriegsjahr -

 

Omnia vincit amor

[Liebe besiegt alles]

 

─♦─

 

High Wycombe, Februar 1971 •

 

Natürlich schien die Sonne. Während es die letzten Tage höchstens ein paar schwache Strahlen durch die fast schon stählerne Wolkendecke geschafft hatten, war der Himmel heute von frühlingshaftem Blau. Noch hingen keine Blätter an den Bäumen, die das Licht hätten filtern können, und so kitzelte Alston Mulciber die gute Laune der Natur ungeniert im Nacken.

Blanker Hohn. Anders konnte er es nicht beschreiben. Da wünschte er sich einmal, das Wetter wäre ein Spiegel seiner Stimmung und dann das. Fast konnte er feines Gelächter hören, das von ganz weit her kam. Maybell hätte diese Ironie sicherlich amüsiert – vielleicht war es also doch passend, dass die Sonne ihn ausgerechnet jetzt piesackte.

Er seufzte. Hätte ihr auch die Ironie seiner mitgebrachten Blumen gefallen? Es war so lange her, dass sie ihn mit seinen ungelenken, romantischen Gesten aufgezogen hatte ... Was, wenn er vergaß, wer sie wirklich gewesen war? Belogen ihn seine Erinnerung inzwischen genauso wie er sich selber? Hätte sie ihn verständnislos angesehen; gar den Kopf geschüttelt?

Sein Kiefer knirschte, so fest presste er die Zähne aufeinander. In den Manteltaschen ballte er die Hände zu Fäusten.

Hör auf damit, flüsterte ihm eine innere Stimme zu. Sie hörte sich verdächtig nach May an. Aber vielleicht war auch das eine Lüge. Vielleicht hätte sie ihm gesagt, dass er sein Leid verdiente. Denn eines war klar – sie verdiente es nicht, unter einem Strauß roter Rosen begraben zu sein, den eine lächerlich große pinke Schleife zusammenhielt und der voll magischem Feenglitzer strotzte. Am schlimmsten war allerdings das hineingesteckte Pappherz, in dessen Mitte regelmäßig und ekelerregend grell ‚Frohen Valentinstag‘ aufblinkte.

Auch die goldene Zauberschrift schien ihn zu verhöhnen. Alston konnte sich nicht erklären, warum er das geschmackloseste Blumengesteck aller Zeiten nicht nur gekauft, sondern wirklich mitgebracht hatte. Etwa nur, weil die Verkäuferin es ihm als ihr teuerstes Stück angepriesen hatte, garniert mit der Frage, was ihm seine Liebe wert sei? Wurde er ... schwach?

Eigentlich hätte er die Floristin infolge ihrer Verkaufsbemühungen ganz süffisant nach den Grabgestecken fragen müssen. Einfach um das Grinsen von ihrem Gesicht zu wischen. Bloß weil der 14. Februar auf dem Kalenderblatt stand, gab es schließlich nichts zu feiern. Besonders für ihn nicht. Sein einziger Grund, diesen Tag zu zelebrieren (und das nicht etwa wegen eines ausgedachten Feiertags), lag unter der kalten, harten Friedhofserde vor ihm – seit zehn Jahren.

Er starrte auf die Inschrift des Grabsteins, obwohl er diese jederzeit mit geschlossenen Lidern vor sein inneres Auge beschwören konnte.

 
 

Maybell Mulciber

(née Longbottom)

* 14.02.1932

† 15.06.1961

 

***

- Omnia vincit amor -

 

Liebe besiegte alles. Noch mehr Hohn. Insbesondere wenn man wusste, dass jeder der drei kleinen, fast schon unscheinbaren Sterne im weißen Marmor für ein Kind stand, das seiner Mutter in den Himmel vorausgeeilt war.

Egal, was sie auch versucht hatten – Ihre Liebe hatte den Tod nie besiegen können. Sie hatte ihn überhaupt erst gebracht. Und jetzt schenkte er May ausgerechnet an ihrem Geburtstag Valentinsblumen. Als wären er und seine verfluchte Blutmagie nicht der Grund, weshalb sie unweit der überfüllten Krypta seiner Familie ruhte, anstatt sich in irgendeinem Tanzlokal die Füße zu ruinieren, wie sie es geliebt hätte.

Wobei ... würde sie heute noch tanzen? Es herrschte immerhin Krieg. Womöglich hatte das kleine gemischt-magische Lädchen in Brighton, in das sie ihn früher mit Vorliebe gezerrt hatte, gar nicht mehr geöffnet. Er wusste es nicht. Diese Straße mied er seit zehn Jahren erfolgreich, obwohl er nicht weit entfernt wohnte. Und selbst wenn jener Schuppen der Situation trotzte – die meisten schlauen Leute versteckten sich abseits der Arbeit trotzdem in ihren vier Wänden und gingen nicht mit Muggeln tanzen. Oder sie täten zumindest gut daran.

(Er ignorierte zu seinem eigenen, geistigen Wohl die Tatsache, dass er früher selber zwischen Muggeln, Schlammblütern und allerlei Mittelstandstragik durch die Menge gewirbelt war, weil er nur gewollt hatte, dass Maybell lachte und kein Walzer von ihnen verlangt wurde. Manchmal wirkte es, als würde der Okklumentikschild um seine intimsten Gedanken auch ihn selber ausschließen, denn er wagte es kaum, daran zu denken, dass ihm der Irrsinn gefallen hatte.)

Jedenfalls herrschte jetzt Krieg und Tanzen spielte an diesem Valentinstag keine Rolle. War die Hexe im Blumenladen deshalb so erpicht darauf gewesen, ihm einen völlig überteuerten Strauß anzudrehen? Weil kaum einer kam, um ein Dutzend bester doxyzidfreier Rosen zu kaufen, während ein paar Häuser weiter eine leerstehende Apotheke daran erinnerte, dass der Inhaber dieser (ein Squib) letzten November ermordet worden war?

Von seinen Leuten. Von Zauberern, die verflucht noch einmal Angst vor ihm hatten. Angesichts dessen hatte Alston wohl kein Recht zu bedauern, dass nicht mehr gefeiert wurde. Er hatte nicht nur Maybells Gesundheit auf dem Gewissen, sondern alles, was sie einst geliebt hatte.

(Bis auf Aiden. Ihr einziger Sohn lebte (dank seiner Blutmagie). Das musste er sich immer wieder vor Augen halten. Aiden ging es gut, Aiden lag nicht bei seiner Mutter unter der Erde. Aiden war in Sicherheit bei seiner Tante. Und das war Grund genug für alles.)

Ja, er verdiente stechenden Sonnenschein und jeden Rosendorn, den die Erinnerungen in sein Herz trieben. Er hatte es sich mit seinen eigenen Taten verdient, verdient, verdient.

Am liebsten hätte er sich auf Knien in das taufeuchte Gras vor dem Grab geworfen. Aber der uralte, über Jahrhunderte vererbte Familienstolz hielt ihn zurück. Er mochte alleine auf dem magischen Teil des Friedhofs sein, das hieß allerdings nicht, dass er sich wie ein hoffnungsloser Trottel verhalten durfte. Sein Vater war vielleicht seit Jahren tot und seine Mutter noch länger, doch manche Dinge lebten auch ohne ihre mahnenden Stimmen fort.

In seinen Augenwinkeln kribbelte es. Alston legte den Kopf in den Nacken, statt sich hinzuknien und über die spärliche Inschrift des Grabsteins zu streichen. Sonst würde er noch laut aussprechen, was er dachte, und wie ein Idiot mit jemandem reden, der ihn längst nicht mehr hörte. Aller Trauer zum Trotz, das würde entschieden zu weit gehen.

Dennoch konnte er nicht verhindern, dass ihm ein Satz immer wieder durch den Kopf kreiste, während er so in die Sonne blinzelte: Es tat ihm leid. Nicht nur May, der Kinder oder seiner selbst wegen.

Er rieb mit den Fingern seiner linken Hand über die schwache, kaum fühlbare Erhebung an seinem Daumenballen. Eine von drei Narben, die ihm das letzte Jahr geschenkt hatte. Auch wenn man die Spuren rund um sein Handgelenk nicht wirklich so nennen konnte. Hätte er nicht von den Überbleibseln des unbrechbaren Schwurs gewusst, wären sie ihm nie aufgefallen.

Die Mauer in seinem Kopf weigerte sich, aus Worten und Bildern einen klaren Gedanken zu formen, aber es tat ihm leid. Nicht was er getan hatte, sondern wie er sie letztes Jahr enttäuscht hatte. Vermutlich war es Wahnsinn, dass er seine einstige Arbeitskollegin Minerva McGonagall tatsächlich mochte. Es war in jedem Fall dem Wahnsinn zuzuschreiben, dass er ihr geschworen hatte, ihren alten (und viel zu geliebten) Vorgesetzten Elphinstone Urquart für sie zu beschützen. Vor den Todessern – vor sich selber.

Wenn dieser Valentinstag nicht ein Sonntag gewesen wäre, hätte er heute im Büro sitzen und diesem unerträglichen Weltverbesserer dabei zusehen müssen, wie er sich stündlich tiefer in die Scheiße ritt. Es war völlig egal, was er versuchte oder wie oft er auf Elphinstone einredete, am Ende musste er ja doch wieder den Zauberstab packen und ihm auf irgendeine Außenmission folgen, bevor er sich noch umbrachte (und ihn schlimmstenfalls gleich mit).

Alston seufzte erneut. Neben den feinen Linien des unbrechbaren Schwurs unter seiner Haut fühlte er die tiefen Gräben, die seine Fingernägel vor lauter Anspannung in der Handfläche hinterlassen hatten. Warum hatte er auch gehofft, bei May Ruhe zu finden? Dieser Gedanke war nicht nur schwach, sondern richtiggehend naiv. Er konnte nicht zulassen, dass er noch weiter abrutschte. Jetzt war es wichtiger denn je, standhaft zu bleiben!

Besser, er begab sich doch zurück ins Ministerium. Heute würde Elphinstone ja sicher Sinnvolleres zutun haben, als dort Überstunden zu schieben (schließlich verstand er etwas von echter Romantik). Und seine verehrte Minerva weilte noch im Diesseits und nervte bestimmt gerade die Schüler in Hogwarts mit Hausaufgaben. Verwandeln Sie einen Strauß rote Rosen in weiße Lilien – das wäre doch mal was.

Von Versuchung erfüllt, betastete Alston den Zauberstab in seiner Manteltasche, ließ es dann allerdings bleiben. Er war miserabel in Verwandlungen. Folglich verdiente er keinen Weg, um diese schlechte Entscheidung aus der Welt zu schaffen. Wenigstens war sie mit seinen vielen anderen beschissenen Beschlüssen in bester Gesellschaft ...

»Fuck, ich vermisse dich, May!«, platzte es plötzlich wider seines Stolzes aus ihm hervor, ohne dass er den Blick vom Himmel löste. »Ich vermisse dich jeden verfluchten Tag!«

»Ich vermisse sie auch.«

Alston wirbelte herum. Sein Herz stolperte und er musste husten, um es wieder in Takt zu bringen. Direkt vor ihm stand –

»Aiden!«

Für ein paar kostbare Sekunden starrte er seinen Sohn sprachlos an. Dieser trug einen dunkelblauen Umhang, der ihn älter als seine zehn Jahre wirken ließ. Mit seinem fast schwarzen, ordentlich gescheitelten Haar und den Gesichtszügen, in denen Alston so viel von seiner eigenen Härte erkannte (und zu wenig von Maybells Sanftheit), wirkte er wie die Miniaturausgabe eines erwachsenen Zauberers.

Der Anblick erschreckte ihn – jedes Mal aufs Neue. In seinen Gedanken war er doch immer noch ein kleines Kind! Und das sollte nicht am Grab seiner Mutter stehen. Wo war er überhaupt hergekommen? Er hatte nicht mit seiner Schwägerin verabredet, dass sie ihn herbrachte ...

»Hallo ... Vater.« Aiden lächelte unsicher. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Ja – hast du nicht ...«

Seinen Zauberstab fest umklammert, suchte Alston den Friedhof nach einer weiteren (unangenehmeren) Überraschung ab. Und tatsächlich, oben an dem abschüssigen Hang voller Gräber stand eine einsame, dunkel gekleidete Gestalt. Zu entfernt, als dass er sie erkennen konnte, aber trotzdem schienen die eben noch verhassten Sonnenstrahlen mit einem Mal deutlich schwächer.

Der Blick seines Sohnes fiel auf den gezückten Stab. »Ich – es tut mir leid ...?«

Die Furchtsamkeit in seiner Stimme lockte Alstons Aufmerksamkeit von der ominösen Gestalt zurück ans Grab. Er sah auf das kleine Gesteck aus Frühlingsblumen in Aidens Händen, an dessen Blättern der Junge sichtlich verlegen herumzupfte. (Und er wünschte sich, dasselbe tun zu können, obwohl sein Stolz es schon lange nicht mehr zuließ, sich derartige Blöße zu geben).

»Aiden ...« Eine unsichtbare Hand legte sich um seinen Hals und schnürte ihm die Worte ab. Wie viele Wochen (oder waren es Monate?) hatte er seinen Sohn nicht gesehen? Wann hatte er ihn zuletzt in die Arme geschlossen? Er wusste es nicht mehr und diese Erkenntnis stach schlimmer als zehn Jahre alte Reue. »Was machst du hier? Bist du etwa ganz alleine hergekommen?«, fragte er unerwartet heiser.

In seiner Stimme schwang zu viel von seinem eigenen (furchtbaren) Vater mit, das begriff er sofort. Er sah es in der Art, wie Aidens schlanke Finger sich um das Blumenkörbchen verkrampften. Oder wie seine Lider zuckten. Wie seine Lippen die Farbe verloren, nun da er sie fest aufeinanderpresste ...

»Das sind schöne Blumen«, hörte er sich schnell hinterherschieben. »Die würden deiner Mutter bestimmt gefallen.«

Aiden holte tief Luft. »Tante Edith hat gesagt, sie sind billig«, gestand er leise, wobei er das letzte Wort abfällig betonte. »Aber ich dachte ... die blauen Blüten haben mich an Mama erinnert. Solche Ähnlichen waren auf dem Foto von eurer Hochzeit.«

Alston hob die Mundwinkel zur Andeutung eines Lächelns. (Er liebte das Bild auf seinem Kaminsims und vermied es doch so oft, hinzusehen.) »Das stimmt. Ich bin sicher, es waren genau diese Blumen.« Das war eine glatte Lüge – die er gerne erzählte. »Also hat dich Tante Edith hergebracht ...?«, fragte er erneut, eklig hoffnungsvoll in seinen Ohren.

Wie um ihn für diese Schwäche zu bestrafen, schüttelte Aiden den Kopf. »Sie war nur heute Morgen mit mir beim Blumenladen. Eigentlich wollten wir morgen herkommen, weil sie heute so viel zu tun hat. Abends gibt es bei Großmutter eine Soiree.«

Allein das letzte Wort fühlte sich schon an, als hätte Alston in eine Zitrone gebissen. Kein Zehnjähriger sollte solch affige Begriffe für Abendveranstaltungen kennen müssen, auf denen nicht mal anständig getanzt und zu viel geschwätzt wurde. »Lädt die Alte etwa immer noch die Achtundzwanzig zu sich ein?«, brummte er missgelaunt. (Wenn der Krieg doch wenigstens solche spaßbefreiten Feiern auf dem Gewissen hätte!)

»Inzwischen sind es nur noch siebenundzwanzig der alten Reinblutfamilien«, korrigierte Aiden flink wie ein Klatscher. »Irgendein Weasley hat vorletztes Mal ihren Punsch mit Feuerwhiskey gemischt und dann auch noch hinter den Vorhängen mit meiner Cousine rumgemacht. Seitdem sind die endgültig raus.«

»Woher weißt du das so genau? Zwingt Edith dich inzwischen etwa, bei diesen geschmacklosen Veranstaltungen teilzunehmen?«

Aiden biss sich auf die Unterlippe. »Nein, aber Großmutter sagt, es reicht schon, dass du dich nicht mehr blicken lässt, dann muss wenigstens ich einen guten Eindruck machen. Immerhin bin ich der letzte Erbe –«

»Des Hauses Mulciber. Schon klar.« Es verlangte Alston reichlich Beherrschung ab, die Hände nicht wieder zu Fäusten zu ballen. Manchmal konnte er sich selber nur gratulieren, dass er Maybells Schwester wirklich seinen Sohn überlassen hatte. Natürlich schützte sie ihn vor allem, aber nicht den fragwürdigen Traditionen ihrer Eltern (offenbar vergaß nicht nur er gerne, wie sie als junge Menschen unter den Zwängen dieser feinen Gesellschaft gelitten hatten).

»Tut mir leid ...?«, sagte Aiden zögerlich – als könnte er irgendetwas dafür, dass er, sein eigener Vater, ihn vor Jahren weggegeben hatte. (Zu seinem Schutz, immer nur zu seinem Schutz – niemals vor Überforderung. Egal, was Edith glaubte.)

»Nein. Alles gut. Du hast nichts falsch gemacht.« Alston zwang sich, breiter zu lächeln (irgendwann würde die echte Freude schon wieder den Weg auf sein Gesicht zurückfinden). »Ich freue mich, dass du hier bist. Auch wenn ich immer noch nicht weiß, wer dich hergebracht hat.«

Obwohl er zwischenzeitlich die Gestalt oben am Eingang des Friedhofs verdrängt hatte, vergessen war sie nicht. Und ein schneller Blick zeigte ihm, dass sie immer noch an derselben Stelle stand, völlig unbewegt.

»Ähm ...« Offenbar betreten senkte Aiden die Lider und sah auf die Blümchen in seinen Armen. »Ich erinner mich nicht an seinen Namen, ehrlich gesagt. Irgendein Bekannter von Tante Edith. Er hat mich in ihrem Auftrag vom Nachmittagsunterricht bei Mr Tenner abgeholt, meinte er.«

»Hm«, brummte Alston. Seine Finger zuckten Richtung Zauberstab, aber er ließ es nicht so weit kommen. Er musste keinen Legilimentik-Zauber anwenden, um zu wissen, dass sein Sohn von diesen Worten überzeugt war – und gleichzeitig zu erkennen, dass sie eine Lüge waren. »Warum pflanzt du deine Blumen nicht in Ruhe ein?«, schlug er vor. »Immerhin ist es das letzte Mal, dass du es ohne Zaubern machen musst. Das ist ein besonderer Moment. Die Arbeit muss man zelebrieren, wenigstens einmal im Leben.«

Aiden legte die Stirn in Falten. »Ich wette, ich könnte es schon mit Zauberstab. Manchmal nehme ich heimlich Onkel Hughs Stab, wenn er Mittagsschlaf hält, und verhexe die Gnome im Garten –«

»Nun, ich bin aber nicht Onkel Hugh und lasse meinen wertvollsten Besitz einfach zu deinem Vergnügen rumliegen«, erwiderte Alston streng (aber nicht zornig, niemals zornig). »Also wirst du das hier ohne Magie erledigen müssen.«

Ein Schmunzeln konnte er allerdings nicht verbergen. Selbst wenn Aiden die letzten Jahre nicht mehr bei ihm gelebt hatte, war er eindeutig sein Sohn. Als ob irgendein Ministeriumsgesetz einen Mulciber von außerschulischer Magie abhalten konnte! Er klopfte ihm auf die Schulter.

»Bald, Aiden. Bald können wir dir deinen eigenen Stab kaufen gehen. Wollen wir später vielleicht schon mal einen Blick ins Schaufenster von Ollivanders riskieren? Dann können wir auch bei Florean Fortescues nach neuen Eissorten gucken.«

Endlich lächelte sein Sohn richtig. »Oh ja!«, rief er begeistert. »Können wir auch durch die Nokturngasse gehen? Tante Edith weigert sich immer, dabei ist es so aufregend da!«

»Nun, vielleicht hat deine Tante recht, wenn sie da nicht mit dir hingeht.«

Die paar Funken Vorfreude auf einen Einkaufsbummel in der Winkelgasse zerfielen in Alstons Innerem zu Asche, als er die Enttäuschung auf Aidens Gesicht wachsen sah. (Er wollte doch nur ein guter Vater sein. Warum war das so schwer?)

»Früher hast du mich immer die Schrumpfköpfe im Schaufenster bei Borgin & Burkes sehen lassen!«, beschwerte sein Sohn sich.

»Früher hatten wir auch keinen Krieg. Was meinst du, wie es in diesen Zeiten aussieht, wenn ich als Strafverfolger mich da rumtreibe? Ganz davon ab, dass uns jemand angreifen könnte, falls es so aussieht, als würde ich eine Razzia planen. Und das willst du doch nicht, oder?«

Aiden seufzte so entnervt, wie es nur ein Kind vollbrachte, das sich schon erwachsen wähnte. (Alstons Herz seufzte mit.) »Schön. Aber ich will vier Eiskugeln!«

»Meinetwegen kannst du auch fünf haben. Mit Feueratemstreuseln. Wenn du dich traust.«

»Mhhh ... okay.« Ein freches Zucken hob Aidens Mundwinkel wieder. »Aber nur damit du es weißt – mir ist klar, dass das Bestechung ist.«

»Und deshalb funktioniert es ja auch.« Alston zwinkerte seinem Sohn zu. »Ich bin gleich wieder da, in Ordnung? Ich will nur kurz mit ... Tante Ediths Freund sprechen. Ihm sagen, dass er gehen kann.«

»Klar.« Nun wieder ganz der brave Sprössling, zu dem ihn die Longbottoms zweifellos erzogen, nickte Aiden.

Mit einem letzten, langen Blick auf Maybells Grab und den grässlichen Rosenstrauß wandte Alston sich ab. Der Weg hinauf zum Eingang des Friedhofs war nicht weit, aber einigermaßen steil. Er hasste es, die vielen kleinen Treppchen am Hang überwinden zu müssen, während dort oben jemand (er) wartete und sich wahrscheinlich an seinem Anblick vergnügte. Immerhin schaffte er es, nicht außer Atem zu sein, als er den gepflasterten Platz auf der Kuppe des Hügels betrat, der das Örtchen High Wycombe übersah und seit Jahrhunderten der Familie Mulciber eine letzte Ruhestätte war.

»Du hast Nerven«, sagte er, noch bevor er die Distanz zwischen sich und der Gestalt im dunkelgrünen Umhang überwunden hatte.

»Dasselbe kann man von dir behaupten.« Tom drehte sich nicht zu ihm, sondern blieb stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, seinen Blick in die Ferne gerichtet.

Obwohl, nein – er sah geradewegs zu Maybells Grab, vor dem nun Aiden kniete und fleißig ein Loch für seine Blumen schuf. Seine Gesichtszüge glichen nur entfernt denjenigen auf den Fahndungsplakaten, doch Alston sah das rote Funkeln in den Augen. Früher hatten sie höchstens im Dunkel der Nacht, bei Kerzenschein und in einem Moment des Zornes so ausgesehen. Heute waren sie das Einzige, was nicht einmal Lord Voldemort mit Magie kontrollieren konnte.

Alston schlenderte zu Tom hinüber und lehnte sich an die Rückenlehne der Bank neben ihm, seine Füße an den Knöcheln überschlagen. »Nett von dir, dass du gekommen bist.« (Macht. Es war eine reine Machtdemonstration.)

»Es ist immerhin das letzte Mal für deinen Jungen, dass er seine Mutter an diesem Tag besuchen kann«, erwiderte Tom ungerührt. »Nächstes Jahr um diese Zeit wird er in Hogwarts am Haustisch der Slytherins sitzen.«

Die Arme vor der Brust verschränkt, sah Alston ebenfalls hinab zu Aiden. Er musste sich wohl keine Illusionen machen, dass er einen Hufflepuff herangezogen hatte (oder gar einen Gryffindor. Höchstens einen verkappten Ravenclaw). »Hör zu, ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du dich hier als Apparierservice für den Kleinen verdingt hast, aber wir wissen beide, dass du nicht deswegen da bist.«

»Selbstverständlich nicht. Aber du kannst nicht verkennen, dass es ein positiver Nebeneffekt ist, wenn ich meine Aufmerksamkeit dem Nachwuchs widmen kann.«

Toms Mundwinkel kräuselten sich zu der spöttischen Imitation eines Grinsens. Noch während sein Gesicht sich verzog, schmolzen auch seine magisch verfremdeten, aber somit herrlich menschlichen Züge wie Kerzenwachs dahin. Schon war es wirklich Tom – oder eher Voldemort –, der Alston aus dem Augenwinkel musterte.

Im Sonnenschein wirkte seine dünne Haut beinahe durchsichtig, sodass die Röte in seinen Iriden nur umso mehr hervortrat. Alston hatte schon Bilder von Vampiren gesehen, die gesünder aussahen als der Dunkle Lord. (Dabei hatte Tom einst ernsthaft gut ausgesehen. Bevor er nach Albanien gegangen war zumindest.)

»Netter Zauber«, kommentierte er die Verwandlung und hob die Augenbrauen. »Vielleicht solltest du den öfter bemühen.«

»Ich dachte, diese Oberflächlichkeiten hättest du frühzeitig hinter dir gelassen, Alston. Enttäusch mich jetzt nicht.«

Die Worte waren nur so dahingesagt, doch sie reichten, um Alston an das Gefühl zu erinnern, wenn er bei Amtsbesuchen in Askaban die Dementoren passierte. Nur, dass hier selbst ein Patronus machtlos wäre. (Wann war die Furcht nur so stark geworden?)

»Oh, mir soll es recht sein, wie du aussiehst«, gab er trotzdem grinsend zurück (wollte er sich etwas beweisen?). »Aber Halloween ist halt schon vorbei.«

»Macht ist eben nicht ansehnlich. Du weißt zu gut, dass sie das auch nicht sein muss.« Tom hielt den Blick unverwandt auf Aiden geheftet und keine Regung glitt über seine Maske von Gesicht.

»Ach, findest du Albus Dumbledore nicht absolut reizend?«, hörte Alston sich scherzen (als würde er nicht merken, welche Drohung Tom hier personifizierte).

Doch Tom war dieser halbgare Kommentar keine Erwiderung wert. Natürlich nicht.

Es war Fluch und Segen, den großen Lord Voldemort seit dem Alter von elf Jahren zu kennen. Fluch deshalb, weil Alston ihn immer noch Tom nennen wollte, obwohl der jedem die Zunge verhexte, den er auch nur bei diesem Gedanken erwischte. (Und schon stählte er seinen Gedankenschild ein wenig mehr.) Segen hingegen, weil er so immerhin ein ganz anderes Verständnis davon hatte, wer Lord Voldemort wirklich war (nämlich Tom).

Er straffte seine Schultern. Egal wie gerne er seinen alten Schulfreund weiter mit scharfzüngigen Bemerkungen herausgefordert hätte, er wusste, dass er sein Glück nicht übermäßig strapazieren sollte. Hier ging es nicht um ihn, sondern Aiden.

»Also, was kann ich für dich tun, mein überaus mächtig aussehender Freund?«, fragte er Tom in deutlich ernsterem Tonfall.

»Überleg lieber, was du für dich selber tun kannst.«

Zwischen Alstons Zähnen knirschte es, als hätte er Graberde geschluckt. »Einen Monat Urlaub fände ich nett. Und ein neues Set Zinkkessel vielleicht ...«

Er beobachtete, wie Toms Nasenflügel sich kaum merklich aufblähten. (Er war ein Meister der Körperbeherrschung – aber zu seinem Pech hatte Alstons Vater ihn früh gelehrt, jedes Zucken zu beachten.)

»... tja und es wäre wirklich nett, wenn meine Arbeit mir genug Zeit lassen würde, mich um die Anwärter aus dem äußeren Kreis zu kümmern – falls es das ist, was du meinst.«

»Nein. Lewis alleine erweist sich auch als fähig genug in den letzten Wochen. Somit ist Gideons Verlust so gut wie ausgeglichen.«

Alston zwang seine Arme aus ihrer Verschränkung und drückte stattdessen die Fingerknöchel gegen die Holzlehne der Bank, dass es schmerzte. »So gut wie ...?«

»Es fehlt immer noch jemand, der Gideons andere Aufgabe übernimmt.«

»Nun, jetzt wo es so viele junge, fleißige Anhänger gibt, die sich beweisen müssen – lass uns einen von ihnen dafür auswählen.«

Tom schüttelte genau einmal den Kopf. »Nicht alle, die mir dienen sind von gleicher Qualität.« Unerwartet drehte er sich doch um und konfrontierte Alston mit seiner vollen Aufmerksamkeit. »Und dein Potential verkümmert derweil. Wollen wir das etwa zulassen?«

Statt zu antworten, schnaubte Alston nur. Er brauchte den Moment, um seine Gedanken zu sortieren. (Früher hatte er ohne Nachdenken vor Tom sprechen können. Aber diese Zeiten waren lange vergessen. Sie waren keine Schüler mehr und in Momenten wie diesen vermisste er die Vergangenheit stärker denn je.)

»Ich glaube, du verkennst, wie wertvoll meine Position im Augenblick ist«, wandte er ein. »Ohne mich wüsste das Ministerium von jedem deiner Agenten, von der Führungsebene bis runter in die Mysteriumsabteilung. Ich halte alle Fäden in der Hand. Habe ich nicht erst neulich Beweise verschwinden lassen? Wie soll ich das tun, wenn ich mich noch anderen Dingen widmen soll?«

»Früher hättest du dich um die Chance gerissen, wieder ganze Nächte der Forschung zu widmen.« So schnell wie Tom ihn angesehen hatte, drehte er sich nun fort. »Denk nur an all die Geheimnisse, denen wir auf der Spur waren. An die vielen uralten Bücher und die Magie, welche direkt unter unseren Fingerspitzen lauerte ... War es nicht ein berauschendes Gefühl?«

Alston tat eine Menge, aber er dachte nicht daran. (Vor allem nicht an die Blutmagie.) »Wir werden diesen Krieg anders gewinnen«, sagte er, auch die letzten Spuren von bitterem Humor aus seiner Stimme verbannt. »Ich habe nicht umsonst jahrzehntelang im Ministerium gearbeitet und jede seiner Strukturen untergraben. Manchmal ist der menschliche Weg der Effektivste!«

»Und trotzdem haben wir es letztes Jahr nicht geschafft, dieses angeblich so gut ausgehöhlte Ministerium, das löchriger als ein Schweizer Käse ist, unter unsere Kontrolle zu bringen. Stattdessen hat uns archaische Magie zurückgeschlagen, wenn ich dich erinnern darf.«

Es kostete Alston jedes Fitzelchen Beherrschung, bei diesen Worten nicht zu zucken. (Sag nicht das Falsche, denk nicht einmal an die Wahrheit!, schrie es durch seinen Kopf.) »Ich musste mich am Ende gegen dich stellen, um mein Gesicht zu wahren. Aber das haben wir oft genug besprochen. Ich weiß, dass du meine Gründe kennst und verstehst.«

»Oh, ich habe nie etwas anderes behauptet.« Tom griff in seinen Umhang und zog ein winziges, schwarzes Säckchen hervor. »Aber genau deshalb müssen wir jetzt andere Wege finden, unsere Zukunft Wirklichkeit zu machen. Auch deinem Sohn zuliebe. Du willst schließlich ein guter Vater sein.«

Reglos starrte Alston auf Toms lange Finger, die das unbekannte Etwas nachdenklich abwogen.

»Geh ein Eis mit deinem Sohn essen«, sagte dieser, fast so freundlich wie der Junge von einst, mit dem er im Gemeinschaftsraum zusammengesessen hatte. »Und danach wirst du dich nach Wales begeben. Hier« – er drückte Alston das samtene Säckchen in die Hand – »du wirst es brauchen.«

Alston war, als hätte ihn ein Lähmfluch getroffen. Selbst seine Zunge schien mit einem Mal ganz schwer. Doch Tom lächelte nur wieder.

»Ich vertraue dir, Alston. Lass es mich nicht bereuen.«

»Natürlich nicht.«

(Log er? Vielleicht. Aber er würde nichts riskieren, solange Toms glutrote Augen auf Aiden ruhten.)

Grau in grau


 

Nahe Lake Windermere, Februar 1971

 

»Schnell jetzt – und leise!«

Die Worte waren kaum mehr als ein Zischen. Ein Mensch hätte sie leicht mit dem Rauschen des Windes verwechseln können. Doch für das ausgezeichnete Gehör einer Katze waren sie bestens zu verstehen.

»Und du bist dir sicher?«

»Wenn ich es doch sage!«

Zwei Männer. Dem Apparierknall vor wenigen Sekunden zufolge Zauberer. Die erste Stimme reif genug für einen vom Leben enttäuschten Vierzigjährigen mit Raucherproblem, die andere deutlich jünger – und dennoch beide mit einem ähnlich schneidenden Ton ausgestattet.

»Revelio!«, fauchte es zusammen mit der nächsten Böe durch die Nacht.

Gespannt hielt alles die Luft an. Sonst geschah nichts. Der Himmel blieb dunkel, das Säuseln des Windes im Gras das einzige andere Geräusch. Der ältere Zauberer brummte jedoch, scheinbar zufrieden.

»Habe ich es nicht gesagt? Wir sind hier richtig.«

Sein Partner schnaubte. Dann knirschte Kies unter schweren Stiefeln. Schnelle Schritte näherten sich, begleitet von Umhangrascheln. Noch bevor die Unbekannten in Sicht kamen, roch man sie allerdings. Vorausgesetzt, die eigene Nase war ebenso fein wie jene der Katze, welche im Schutz einer Lorbeerhecke die Ankunft überwachte. Zumindest für ihr Empfinden stanken die beiden Männer nach gewaltiger, wenngleich verbrauchter Magie. Ein bisschen so, als hätten sie eben an einen Elektrozaun gefasst und erst viel zu spät losgelassen.

Vielleicht hatten sie vor Kurzem noch gegen Auroren gekämpft?

Das wäre zumindest eine Erklärung für ihre unregelmäßig, ja geradezu erregt pulsierenden Auren. Die schützenden Magiemembranen, unsichtbar für menschliche Augen, glühten in Katzensicht eine orange, die andere schlammig-grün. Beschienen von diesem Licht erkannte man auch die Neuankömmlinge selber, welche von weiter unten des Weges kamen. Beide waren maskiert und in dunkle Roben mit silbernen Schließen gehüllt. Aurenfarben mochten unerklärlich sein, aber dieser Aufzug war es nicht, genauso wenig wie die Löcher in den bunten Membranen. Letztes schuf nur der häufige Gebrauch schwärzester Magie. Flüche, die Leben raubten oder Seelen quälten.

Der jüngsten Erfahrung nach fing dieser Prozess damit an, dass die Ränder einer Aura langsam ins Nichts zerfaserten. Dann legten sich erste graue Schleier über die einst so kräftige Farbe. Bis sie offenbar ganz zerriss und die Schwärze der Nacht durchschien, so wie bei diesen Männern – Todessern.

Unwillkürlich drückte sich die Katze tiefer gegen die Erde, in deren Kälte die Erinnerung an den gerade erst überwundenen Winter lauerte. Weder Ohr noch Schwanzspitze zuckten. Nicht mal ein Schnurrhaar regte sich.

»Bist du dir wirklich sicher, dass es hier ist?«, zischte der jüngere Zauberer in diesem Moment. »Da vorne ist nämlich eine beschissene Kirche!«

»Was hast du an ‚leise‘ eigentlich nicht verstanden?« Selber alles andere als still, wirbelte der zweite Mann auf dem Kiesweg herum. Sein Umhang bauschte sich im Wind auf und raubte beinahe die Sicht auf den gezogenen Zauberstab, den er seinem Kumpan gegen die Brust stieß. »Noch ein Wort –«

»Dann was? Du brauchst mich, nicht umgekehrt!«

Der Ältere imitierte mit seinem Knurren – wohl unfreiwillig – einen tollwütigen Crup. »Ich an deiner Stelle, Flubberwürmchen, würde mich nicht darauf ausruhen.« Mit diesen Worten drehte er sich wieder um.

Sein Begleiter straffte die Schultern. Aufgrund der Maske unter seiner Kapuze konnte man den Gesichtsausdruck des Jungen zwar nicht erkennen, doch spätestens nachdem er die Fäuste in den schwarzen Lederhandschuhen geballt hatte, war offenkundig, dass er diese Maßregelung nicht einfach hinnahm. Trotzdem folgte er dem anderen.

Die Katze wartete, bis zwei Paar schlammverkrustete Stiefel unter silbern bestickten Umhangsäumen an ihrem Versteck vorbeigezogen waren, dann setzte sie sich ebenfalls in Bewegung. Im Gegensatz zu den Schuhen der Männer entlockten ihre Pfoten dem Untergrund nicht ein Geräusch. Außerdem kannte sie den besten Schleichweg durch die trockene Hecke schon seit Wochen. Mal musste sie über die Erde robben, dann wieder war es leichter, durch eine Lücke im Blattwerk zu springen. Um das Nest voller Feen im (viel zu seichten) Winterschlaf machte sie einen Bogen und so gelang es ihr mühelos, den Zauberern unbemerkt zu folgen.

An einer kleinen Mauer stoppten die beiden. »Vorsicht«, warnte der Ältere. Er fuhr mit ausgestrecktem Zauberstab durch die Nachtluft. Seine Stimme gewann einen hämischen Unterton. »Gideon hat eine Schutzlinie gezogen. Nur wer das Mal des Dunklen Lords trägt, kann sie überschreiten. Alle anderen erwartet eine nette Überraschung.«

Viele, kleine Katzenherzschläge und nur wenige Menschenherzschläge lang herrschte Schweigen. Dann spuckte der andere Zauberer durch den vergitterten Mundschlitz seiner Silbermaske auf den Boden. »Also? Wenn ich nicht draußen warten soll, brech den Bann«, forderte er seinen Begleiter auf.

»Hah.« Der erste (oder eher einzige wahre) Todesser vergaß endgültig, leise zu sein, und lachte auf. »Aber ich brauche dich, was? Dabei bist du derjenige, der sich seine Sporen noch verdienen muss, Flubberwürmchen!«

Es gab nur ein ganz leises Geräusch, doch die Katze war sicher, den jungen Adepten von Lord Voldemort mit den Zähnen knirschen zu hören. Todesmutig wagte sie sich im Schatten der Hecke ein paar Schritte näher. Fast bis an die Steinmauer, über der in ihrer Sicht ein kaum erkenntlicher grüner Schleier lag. Bei ihrem ersten Besuch hätte sie den Schutzbann daher auch um ein Haar übersehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Nur einem angesengten Schnurrhaar war es zu verdanken, dass sich ihr die Gefahr enthüllt hatte. Seitdem hielt sie Abstand.

Ihr winziges Herz schlug schneller und schneller, während sie beobachtete, wie der ältere Mann seine Zauberstabspitze in die Luft vor sich stach. Als würde er ein Messer führen, schnitt er ein Dreieck ins Nichts. An jeder Ecke murmelte er ein anderes, unverständliches Wort. Zweimal wiederholte er den Vorgang – dann leuchteten die bis dahin unsichtbaren Spuren seiner Bewegung plötzlich giftgrün auf.

Der Zauberer neigte sein Haupt. »Verzeih unser gewaltsames Eindringen, Bruder«, murmelte er.

Eine kreisförmige Welle lief durch das leuchtende Symbol. Daraufhin verschwand beides von jetzt auf gleich – zusammen mit einem Geräusch, dessen Klang nicht einmal die Katzenohren wahrgenommen hatten. Erst sein Fehlen machte bewusst, dass es dagewesen war. Beschreiben ließ es sich dennoch nicht. Und mit dem nächsten Windstoß wehte schließlich eine sachte Wärme heran, die alle Gedanken daran vertrieb. Oder war es eher das plötzliche Fehlen einer gewissen Fluchkälte, die einen aufatmen ließ?

Es reichte jedenfalls, damit sich das gesträubte Nackenfell der Katze glättete. Auch die beiden Zauberer schienen zufrieden, denn sie setzten sich wieder in Bewegung. Quietschend glitt das alte Holztor in der Mauer auf. Die verborgene Beobachterin grub ihre Krallen fester in den Boden, ihre Hinterbeine zum Sprung gebeugt. Zehn, zählte sie innerlich herab, neun, acht, sieben, sechs –

»Argh!« Das war der Junge. Er stöhnte, offenbar vor Schmerz. »So eine verfickte Scheiße –«

»Pass doch auf, hier stehen Grabsteine!«

»Wie soll ich das denn sehen, wenn es hier dunkler als im Trollarsch ist? Es scheint ja nicht mal der Mond!«

»Friedhöfe gehören halt zu Kirchen, das weiß man doch, du Flubberwurm.«

»Und deshalb soll ich wissen, wo die vermaledeiten Scheißsteine stehen? Ehrlich nicht, ich hätte die Hand des Ruhmes behalten sollen –«

Der Ältere schnalzte mit der Zunge. »Egal, vorwärts«, kommandierte er.

Ganz in ihren Streit versunken, sah keiner von beiden die Katze nur ein paar Schritte weiter hinter über die Mauerkrone springen. Dank ihrem grau-schwarz getigerten Fell eins mit der Nacht, verschwand sie sogleich wieder im hohen Gras. Auf ihrem wahren Gesicht hätte sich jetzt ein Grinsen ausgebreitet, denn im Gegensatz zu den Männern erkannte sie die windschiefen Grabsteine klar und deutlich. Auf den Vordersten konnte sie sogar die Inschriften lesen. Ihre Fernsicht mochte in dieser Form eingeschränkt sein, aber dafür barg die Dunkelheit keine Geheimnisse mehr für sie. Eilig analysierte sie das neue Terrain, ehe sie in den Schutz eines marmornen Engels pirschte.

Derweil holte der Junge humpelnd zu seinem Mentor auf. »Warum sollte Rosier ausgerechnet hier ein Labor unterhalten haben?«, fragte er. »Hier stinkt es nach Muggeln, selbst wenn die tot sind!«

»Weiß ich nicht und es ist mir auch egal«, erwiderte der andere barsch.

»Aber wenn er unbedingt eine Kirche wollte, hätte er sich doch eine reformierte Zaubergemeinschaft suchen können.«

»Hätte, hätte ... ist doch fickegal. Hauptsache, wir bekommen das, wonach –«

Anstatt Worten folgte Würgen. Unter den steinernen Engelsflügeln hindurch beobachtete die Katze, wie sich der Todesser an die Schulter des anderen klammerte. Sein nächster Atemzug verwandelte sich in ein Röcheln.

»Wer von uns beiden ist jetzt der Idiot?«, murmelte der Junge. Halbherzig klopfte er seinem Begleiter den Rücken.

Mehr schien er immerhin nicht unternehmen zu müssen, denn dieser holte plötzlich scharf Luft, räusperte sich einmal und schon war der Spuk vorbei. »Hauptsache, wir bekommen, wonach unser Auftraggeber verlangt«, vollendete er seinen Satz, als wäre nie etwas gewesen.

»In einer Muggelkirche ...?«

»Warum nicht? Bei Merlin, nervst du. Gideon wird sich dabei schon was gedacht haben. Los jetzt, rein mit dir!«

»Ich bin doch nicht bescheuert! Bestimmt sind da noch ganz andere Banne über dem Gebäude. Ich für meinen Teil hätte welche benutzt, die schön wehtun.«

»Na dann kannst du sie ja auch finden und aufheben, wenn du doch so schlau bist.«

Der Junge zückte seinen Zauberstab. »Nichts lieber als das«, erwiderte er kühl.

Zusammen mit ihm richtete auch die Katze ihre Aufmerksamkeit auf die kleine Kapelle hinter den Grabsteinen. Um wirklich als Kirche bezeichnet zu werden, reichte es ihrer Erfahrung nach nicht. Das Gemäuer stand bestimmt seit zweihundert, wenn nicht dreihundert Jahren hier, so verwittert waren die Wände. Efeu bedeckte fast die gesamte Längsseite und vom Dach fehlten einige Schindeln. Mindestens eines der Fenster hatte außerdem ein quaffelgroßes Loch. In einem Reiseführer der Gegend hätte man den alten Friedhof samt Trauerkapelle sicherlich als malerisches Kleinod mit wunderbarer Aussicht auf den Lake District angepriesen. Ein bisschen ländlicher Charme für den abenteuerlustigen Wanderer ... Wenn neben den Abwehrzaubern nicht eine gewisse dunkle Atmosphäre gewesen wäre, die selbst in tiefster Nacht wie eine Gewitterwolke über dem Ort hing.

Immerhin, der junge ‚Flubberwurm‘ war nicht naiv, stellte die Katze fest. Er hatte recht, dass die Kapelle extra gesichert war. Je nachdem, wie sie den Kopf neigte, erkannte sie eine leichte Unschärfe an den Kanten des Gebäudes. Dies blieb allerdings das einzige Indiz für einen Schutzzauber. Verdammt gute Magie, das musste sie anerkennen. Die meisten Zauber versagten, wenn ihr Erschaffer das Zeitliche segnete. Als hätte es noch einen Beweis gebraucht, dass Gideon Rosier mächtig – und gefährlich – gewesen war ...

In weiser Voraussicht hielt sie sich versteckt. Es war einfacher, andere die Drecksarbeit erledigen zu lassen, auch wenn es ihr nicht immer leichtfiel. Ihr Moment würde später kommen. Lange dauerte es ohnehin nicht, da wies der Junge erste Erfolge vor. Einen Zauber nach dem anderen brachte er den Bann zum Einsturz, anstatt nur sich und seinem Begleiter ein Schlupfloch zu schaffen. Schnell, aber einfältig. Genau wie erhofft.

Immer noch lautlos jagte sie näher heran, im Zickzack von Grabstein zu Grabstein. Fremde Namen und weit zurückliegende Daten zogen an ihr vorbei. Blumen, Grablichter oder andere Gaben für die Toten fehlten hingegen ganz. Aber das erleichterte ihr nur den Weg.

Gerade umrundete sie ein Granitkreuz, da schoss ein warnendes Kribbeln durch ihre Schnurrhaare. Als wäre sie mit einer unsichtbaren Wand kollidiert. Sie hielt inne. Zwei Pfoten noch im Lauf erhoben, witterte sie. Es roch muffig. Nach Herbst, wenn das Laub vermoderte und Pilze sprossen. Nur intensiver, aber der Eindruck konnte an den empfindlichen Katzensinnen liegen. Geduckt schaute sie um die Ecke.

Bloß vier, vielleicht fünf Meter trennten sie noch vom Eingang zur Kapelle. Die Todesser standen an derselben Stelle wie zuvor und schwangen nun beide den Zauberstab. Doch zwischen denen und ihrem Versteck klaffte ein Erdloch. Kaum drei Stablängen von ihr entfernt – die Quelle des kräftigen Geruchs.

Jede Faser ihres Katzenkörpers zog sich zusammen, als sie sich fast schon auf dem Bauch liegend dorthin vorschob. Natürlich hätte sie einen anderen Weg suchen können, doch der Weg des geringsten Widerstandes war nie ihrer gewesen. Also kniff sie das Näschen zu und warf einen Blick in das ... Grab? Dort unten befand sich nichts außer ein paar dicken Würmern, aber die Länge und Tiefe hätte für einen Sarg gepasst. Von dem war allerdings nicht eine Spur zu sehen, genauso wenig von der fehlenden Erde. Das konnte kein gutes Zeichen sein.

Unwillkürlich zuckten ihre aufgereckten Katzenohren. Aus Richtung der Kapelle erklang ein Knarzen wie das letzte Wehklagen eines Baums, der gefällt wurde. Die beiden Todesser hatten es geschafft und die Eingangstür aufgestoßen. Bevor die schweren Holzflügel wieder zuschlagen konnten, sprang sie. Anstatt sich im Schutz der Grabsteine zu bewegen, rannte sie geradewegs auf den Eingang zu.

Dort angekommen hielt sie nicht inne, sondern schob sich ohne Nachdenken in den stetig schrumpfenden Spalt. Mauerwerk und Tür rieben über ihre Schnurrhaare, dass es schmerzte. Die Lücke war eng – zu eng? – und jeder Zentimeter stach nadelgleich in ihrem Kopf. Sämtliche Instinkte schrien sie an, nicht weiterzulaufen. Doch das gab ihr nur den letzten Schwung und sobald sie über den kalten Steinboden in die Kapelle schlitterte, spürte sie an der Schwanzspitze den Luftzug, mit dem die Tür zufiel. Beinahe hätte sie vor Erleichterung geseufzt. Nur die Erinnerung an die beiden Zauberer hielt sie davon ab, sich mit einem Miauen zu verraten.

Zum Glück sahen die Männer nicht zurück, sondern in den Raum hinein. Das gab ihr Gelegenheit, unter die erstbeste Sitzbank zu flüchten – mitten in ein Spinnennetz. Angewidert rieb sie mit der Hinterpfote über ihre ramponierten Schnurrhaare, bevor die kitzelnden Seidenfäden ihr ein Niesen entlockten. Unterdessen hörte sie den Jungen einen Feuerzauber wirken. Knisternd entfaltete sich eine kleine Flamme irgendwo in der Dunkelheit. Ihr Sichtvorteil schmolz auf die zurückbleibenden Schatten zusammen, in die sie sich prompt fester drückte.

»Hier ist nichts!«, grummelte der Junge. »Nicht mal rostige Kessel ...«

»Tsss.« Sein Begleiter machte ein paar Schritte vorwärts und drehte sich auf der Stelle, dass seine Sohlen über den glatten Stein quietschten. »Hast du dich nicht eben noch für deine Kenntnisse an Schutzzauber gerühmt? Gideon wird sein Forschungsequipment vor neugierigen Augen verborgen haben!«

»Nachdem das ganze Grundstück doppelt und dreifach gesichert ist? Das wäre doch nur lästig, selbst für Rosier. Ich sage, wir sind zu spät.«

Sie stützte sich mit ihren Vorderpfoten auf die Kniebank fürs Gebet und linste in den Mittelgang hinein. Tatsächlich war der Kapellenraum komplett unauffällig. Ein kleiner Altar ganz vorne – auf dem die Kerze brannte –, drei Holzbänke auf jeder Seite und eine Statuette der Jungfrau Maria zählten zu den wenigen, staubigen Einrichtungselementen.

Der ältere Todesser warf immer wieder seinen Zauberstab an einem Ende hoch, um ihn nach einer Umdrehung aufzufangen. »Hier muss etwas sein«, zischte er leise. »Sonst wäre es ... ihm nicht so wichtig, dass wir gründlich sind.«

Doch erneut gaben die Katzensinne dem Jungen recht. Außer dem Geschmack alter Magie war in dem Raum nichts Ungewöhnliches. Kein verräterisches Flirren in einer Ecke oder das leise Vibrieren von Bannen. Nur das stechende Gefühl von blankem Kupfer auf der Zungenspitze bewies, dass hier viel gezaubert worden war. Die Rückstände verrieten nicht, was geschehen war, aber sie reichten, um das Katzenfell erneut zu sträuben.

Aus Erfahrung wusste die Beobachterin, dass harmlose Kunststücke wie Schwebezauber in ihrer tierischen Wahrnehmung einen eher frischen, minzartigen Eindruck hinterließen. Verteidigungszauber und weitere, defensive Magie hingegen prickelten wie zischende Wissbies. Wieder andere Zauber oder Scherzflüche schmeckten nach der rußigen Luft an einem Kaminfeuer. Und die schwarzen Künste ... waren unberechenbar, aber niemals angenehm. Selbst wenn es nicht im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel stank – dunkle Flüche schufen einen ganz eigenen Abdruck, der einem wie unsichtbare Dementorenfinger über das Rückgrat strich.

Die beiden Männer bemerkten von all dem offenbar nichts. Mit gezückten Zauberstäben trampelten sie durch den Raum und stachen immer wieder wahllos in die Luft vor sich, gemurmelte Enthüllungszauber auf den Lippen. Sogar einige Fliesen brach der Ältere mit einem Fluch auf, weil er meinte, sie würden hohl klingen. Und nachdem ihn diese enttäuschten, ging er dazu über, den Altar zu traktieren.

Diese blinde Ignoranz gegenüber dem heiligen Ort brannte im Katzenherz. Noch waren es nur ihre Krallen, die aus ihren weichen Pfoten hervorbrachen und sich lautlos gegen den Boden drückten, doch der Drang wuchs, ihr Versteckspiel zu beenden. Fell und Versteck hinter sich zu lassen ... Aber nein, noch nicht. Falls etwas geschah. Sie brauchte Informationen!

Also schlüpfte sie vorsichtig von der Bank in den nächsten Schatten. Jetzt kam es darauf an. Ein Fehler konnte sie das Leben kosten. War sie eben pfeilschnell einhergejagt, fand nun jede Bewegung in Zeitlupe statt. Immer wieder erstarrten ihre Glieder, wenn einer der Zauberer plötzlich innehielt – als hätte sie ein Versteinerungszauber getroffen. Mitten im Schritt verharrte sie dann, nur damit sich alle Anspannung mit so etwas Lächerlichem wie einem Niesen des Älteren auflöste.

In einigem Abstand zu ihren beiden Observationsobjekten schlich sie so durch den Raum. Selbst wenn alle Spuren der Magie getilgt worden waren – für einen verräterischen Hinweis brauchte es viel weniger. Manchmal waren es die gewöhnlichsten Dinge, die am meisten verrieten. Zum Beispiel ein heller Fleck am Boden.

Ihr Katzenherz setzte einen Schlag aus. Mit eingezogenen Krallen strich sie über die verdächtige Steinfliese vor ihr. Kein Knirschen. Nicht ein Staubkörnchen drückte gegen ihre empfindlichen Ballen. Der Stein rund um den Altar war blank. Als wäre er geputzt worden – stundenlang. Diesen Farbunterschied erkannte sie sogar mit Katzenaugen. Aber selbst die besten Reinigungszauber ihrer Mutter hinterließen keine derart sterile Oberfläche.

Offenbar hatte man viel Wert darauf gelegt, weniger als nichts zurückzulassen. Ungeschickt nur, dass dem Rest der Kapelle nicht dieselbe Aufmerksamkeit zuteilgeworden war, wie sie schnell feststellte. Besonders rechts neben dem Eingangsbereich lagen überall kleine Dreckklumpen verteilt. Obschon sie wusste, dass deren Knirschen nur in Katzenohren wie Donner klang, reckte sie alle paar Schritte den Kopf nach den Zauberern. Die waren allerdings damit beschäftigt, sich gegenseitige Vorwürfe hinsichtlich ihrer mangelnden Kompetenz zu machen.

Davon ermutigt, nahm sie die Zeit für eine gründliche Witterungsprobe. Das Risiko zahlte sich aus, denn ein bekannter Geruch stieg ihr in die Nase. Herbst, Pilze – Lebensfäule. Die Erde stammte nicht vom Kiesweg oder den Stiefeln der Zauberer. Es handelte sich um die kläglichen Überreste der Grube, in die sie fast gestolpert wäre.

Diese Erkenntnis reichte, damit sich ein Bild in ihrem Kopf zusammensetzte. Ein Friedhof, ein offenes Grab, ein fehlender Sarg. Schwarze Magie. Todesser.

Lautlos verschmolz sie wieder mit den Schatten. Bevor die Gelegenheit verstrich, war es Zeit für ihren Rückzug. Und dann ... Phase zwei. Grimmige Entschlossenheit sträubte das Fell in ihrem Nacken. Aber zunächst das Wichtigste – wo kam sie hinaus?

Die verschlossene Tür war keine Option. Einen zweiten Ausgang gab es nicht. Zumindest keinen, der für Menschen gemacht war. Wohl aber das beschädigte Fenster, das sie schon von draußen bemerkt hatte. Kleiner als ein Quaffel war sie gerade so, die Größe des Lochs sollte also ihr geringstes Problem sein. Die einfache Glasscheibe reichte allerdings nicht ansatzweise zum Boden. Hinausschlüpfen konnte sie somit nicht. Sie musste hindurchspringen.

Schneller noch als ihre Herzschläge rasten ihre Gedanken. Die Gebetsbänke waren der höchste Punkt, den sie vom Boden erreichen konnte ... wenn sie auf deren Rückenlehne kletterte, alle Kraft zusammennahm, sich streckte ... ja, dann sollte es passen. Musste es. Sie durfte nicht warten.

Mit einem Satz gelangte sie auf die Sitzfläche der Bank direkt unterhalb des Fensters. Vorne am Altar wurden die Stimmen der Männer lauter.

»Ich habe den Zauber schon eingesetzt! Glaubst du wirklich, ich bin doof?«

»Pah, du hast undeutlich gesprochen – A-pa-re-cium!«

»Na? Zufrieden? Glaubst du mir jetzt endlich, dass ich den Zauber schon eingesetzt habe? Hier ist nichts versteckt!«

»Dann ...« Der Ältere geriet hörbar ins Straucheln. »Dann benutz halt deine Hände! Vielleicht müssen wir den Altar ohne Magie verschieben ... Vielleicht blockiert etwas unsere Zauber.«

»Na klar. Daran glaubst du doch selber nicht.«

»Nein, aber ich habe nicht vor, unseren Auftraggeber zu enttäuschen. Und glaub mir, wenn wir nicht alles versucht haben, werden wir das bereuen.«

Der Junge stöhnte, zunächst genervt, dann vor Anstrengung. Das nahm die Katze zum Anlass, auf die schmale Rückenlehne der Holzbank zu hüpfen. Sie sah nicht zu den beiden Männern am Altar. Für sie zählte nur das Loch in der Fensterscheibe.

Einatmen. Ausatmen. Anvisieren. Dem Instinkt vertrauen. Nicht denken. Bloß nicht denken ... Laufen. Springen. Strecken! Die scharfkantigen Glassplitter kamen näher, wurden größer – waren vorüber. Sie landete im Gras. Und dann rannte sie. Vorbei an allen Gräbern, über die Steinmauer, hinaus aufs freie Feld. Weiter, den Weg hinunter, um eine Ecke. Bis zu einem kleinen See. Erst unter den Ästen einer Trauerweide bremste sie.

Aber da hörte ihre Bewegung nicht auf. Noch im letzten Schritt zogen sich ihre Gliedmaßen wie von Geisterhand in die Länge. Abrupt verließen ihre Vorderpfoten den Boden und wurden zu feingliedrigen Händen. Aus getigertem Fell wurde schwarzes Haar, grüne Augen verloren ihr Glühen. Keinen Wimpernschlag später trat anstelle der Katze eine junge Frau ans Seeufer.

»Hah ...« Minerva McGonagall keuchte. Die Nachtluft stach in ihren zurückverwandelten Lungen wie der verdammte Cruciatus. Mit einer Hand an den Rippen lehnte sie sich gegen den Stamm der Weide. Nur ein Augenblick ... Fahrig tasteten ihre Finger nach dem Zauberstab in ihrer Umhangtasche.

Da war er ja! Erleichterung durchflutete sie bei der Berührung des warmen Holzes. So ging es ihr immer, nachdem sie zu lange in Katzengestalt unterwegs gewesen war. Manchmal, wenn sie nach der Rückverwandlung die Augen schloss, war ihr glatt, als würde die Drachenherzfaser darin glühen. Oder gar pochen. Fast so beruhigend wie der zweite Herzschlag ihrer Animagusform. Lächelnd zog sie den Stab hervor.

Aus der anderen Tasche ihres Umhangs holte sie eine große Feder. Auch diese war von ureigener Wärme erfüllt. Aber nicht mehr lange. In hastigen Schwüngen kritzelte sie mittels Zauberstab wenige Worte auf die rot-goldene Innenfahne.

Zwei Todesser, Windermere. Schick Auroren. H.P. in zehn.

Das musste reichen. Auf einen ungesagten Zauber hin ging die Phönixfeder in Flammen auf. Binnen Sekunden war sie restlos verschwunden. Nur ein Kitzeln blieb in Minervas Handfläche zurück. Die Zuversicht in ihr wuchs allerdings. Heute würde es einen Sieg zu feiern geben!

Kleine Tode


 

London, Februar 1971

 

Der Hyde Park lag ausgestorben da – abgesehen von seinen tierischen Bewohnern. Am Ufer des großen Serpentine-Sees schliefen die Enten mit ihren Köpfen unter den Flügeln und die zahlreichen Grauhörnchen, die bei Tag Passanten um Nüsse anbettelten, ruhten in den Bäumen. Dafür bevölkerten nun andere Geschöpfe die Grünflächen: Kleine Nager, streunende Haustiere und sogar ein Fuchs auf Nahrungssuche schlichen durch die Schatten.

Eine einzelne, getigerte Katze mehr fiel so kaum auf, selbst wenn sie zielstrebig über Wege und Brücken huschte, anstatt ihr Revier gegen Artgenossen zu verteidigen oder Mäusen neben den Mülleimern aufzulauern. Trotzdem sah Minerva sich immer wieder nervös um, die felligen Ohren gespitzt. Das Knacken so manchen Astes klang ganz wie eine Apparation und sie hatte nicht vor, nach ihrer eben erst geglückten Flucht aus der Kirche im Lake District ausgerechnet hier doch einem Todesser in die Arme zu laufen.

Es war zwar nicht so, dass sie den Kampf scheuen würde – aber manchmal erwies es sich klüger, ein Schatten in der Nacht zu bleiben; eine graue Katze unter vielen. Auf leisen Pfoten war sie Voldemorts Anhängern eine bedeutend größere Gefahr. Und mit ihrer Nachricht zur rechten Zeit konnte sie immerhin dafür sorgen, dass die Auroren zur Festnahme kamen.

Die Vorstellung, dass die beiden Trottel in der Kirche gerade den (gerechten) Schock ihres Lebens bekamen, beflügelte ihre Schritte. Auch das Glück dieser Nacht blieb auf ihrer Seite. Nicht mal der einsame Fuchs traute sich in ihre Nähe. Unbescholten gelangte sie an ihr Ziel, wo sie elegant auf eine leere Parkbank sprang. Nun hieß es warten. Mal wieder.

Sie verkniff sich wie so oft in den letzten Nächten ein Seufzen und setzte sich stattdessen auf ihre Hinterpfoten. Albus beteuerte schließlich oft genug, dass Geduld eine Tugend war. »Besonders in diesen Zeiten dürfen wir uns nicht zu überstürzten Handlungen hinreißen lassen«, pflegte er stets zu sagen, wenn sie als Reaktion darauf geräuschvoll die Luft einsog. Und er hatte ja recht, natürlich hatte er recht – er hatte immer recht. Trotzdem änderte es nichts daran, dass sie sich wie eine vermaledeite ägyptische Katzenstatue vorkam, so starr saß sie auf dieser Bank.

Und dann erst diese Kälte ... Mit einem Schaudern plusterte sie ihr Fell auf. War es in London etwa kühler als draußen im Lake District? Oder war es nur der langen Nacht geschuldet, dass sie sich an ein warmes Kaminfeuer mit Ingwerkeksen sehnte?

Egal. Sie vertrieb die Träume von einem wohlbekannten Wohnzimmer in Mayfair durch ein Zucken der Ohren. Wenn ihre Arbeit der letzten Monate sie eines gelehrt hatte, dann, dass ein Moment der Unachtsamkeit genau wie dieser reichte, um den Hinkepank nicht zu bemerken, der sich anschlich (und sie am Schwanz zog). Sobald sie wieder in Hogwarts war, würde genug Zeit bleiben, solchen Sehnsüchten nachzuhängen. Doch zuerst würde sie ihren Auftrag formvollendet abschließen. Also spannte sie die Muskeln fester an und besann sich auf den verlassenen Hyde Park zurück.

Sämtliche guten Vorsätze halfen allerdings nicht gegen den Ballon aus Ungeduld, der sich immer in ihr weiter aufblähte. Ein paar ereignislosen Minuten später konnte Minerva einfach nicht anders – sie musste ihren Katzenschwanz zucken lassen. Zumindest die Spitze davon. Nur ein bisschen von rechts nach links. So fiel es ihr leichter, die Büsche gegenüber anzustarren und sich nicht zu langweilen. Es war schließlich das eine, ein Ziel zu observieren oder Todessern aufzulauern. Dann hatte sie eine Mission, einen Fokus. Aber herumsitzen und warten? Ohne zu wissen, ob überhaupt jemand kommen würde ...?

Verdammt, das hier war viel zu kurzfristig! Zumal es ein Brief wahrscheinlich ebenso getan hätte, um die Informationen ihres Einsatzes zu übermitteln. Besser, sie dämpfte ihre Hoffnungen direkt –

Knack.

Das kam aus den Schatten. Nicht weit von ihr entfernt. Sie grub die Krallen in das Holz unter ihren Pfoten. Wartend. Andere Geräusche folgten, weniger laut als das erste. Altes Laub raschelte, dann löste sich ein Schemen umgeben von einer blassblauen Aura aus der Dunkelheit. Rasch kam er den sandigen Parkweg hinauf. Ein Umhang bauschte sich im Wind auf und schon trug es den schwachen Duft von Pflanzengrün vermischt mit dezentem Aftershave zu Minerva. Sie miaute leise.

Die Gestalt wandte den Kopf und näherte sich ebenso zielstrebig der Bank wie sie Minuten zuvor. Je näher sie kam, desto deutlicher wurden ihre Formen. Es war ein kleiner Mann mittleren Alters, an dessen dunkelblauem Umhang ein aufgesticktes Abzeichen des Ministeriums prangte. Unter seiner Robe trug er einen altmodischen Muggelanzug aus den 50ern, mitsamt bunter Krawatte und schnittiger Weste. Seine Hände waren in den Umhangtaschen verborgen, aber es war auch so zu erkennen, dass er einen Zauberstab umklammerte.

Minerva spannte die Muskeln an, bereit sich zurückzuverwandeln. In Gedanken griff sie schon nach ihrem eigenen Stab, eine einzige flüssige Bewegung. Aber den Mann ließ sie trotzdem nicht aus dem Blick. Im Gegenteil, sie nahm genau in sich auf, wie der Wind ihm das feine Haar aus der Stirn blies. Wie seine hellen Augen die Umgebung absuchten und doch immer wieder zu ihr zurückfanden. Wie er seine Schritte noch einmal beschleunigte. Und leider auch, wie schmal er im Vergleich zu ihrer letzten Begegnung geworden war ...

Ohne ein Wort zu sagen, setzte der Zauberer sich neben sie – als sei es alltäglich, sich nachts in einem geschlossenen Park mit einer Katze zu treffen. Das breite Lächeln auf seinem Gesicht spiegelte allerdings ihre eigene Aufregung. Es zerknitterte die Haut um seine Augen in lauter Lachfältchen und hinterließ kleine Grübchen auf seinen Wangen, die ihm den Ausdruck eines glücklichen Kindes an Weihnachten verliehen.

»Minerva?«, fragte er leise. Während er sprach, zog er den Zauberstab aus seiner Umhangtasche und legte ihn locker über seine Knie. Seine Stimme mochte vor Euphorie vibrieren, aber die Stabspitze zeigte definitiv in ihre Richtung.

Um ihn nicht genauso lang warten zu lassen, wie sie es hatte tun müssen, neigte Minerva den Katzenkopf, sodass es nach einem Nicken aussah. Und einen Augenblick später erwiderte sie das Lächeln des Mannes vernünftig, wieder zurück in ihrem eigenen Körper. »Hallo Elphinstone.« Ihre Stimme wankte ein wenig, aber das ließ sein Strahlen nur wachsen.

»Merlin sei Dank, Min. Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht, als ich deine Phönixbotschaft erhalten habe!« Ein verdächtiges Schimmern überzog seine grauen Augen. »Was bin ich erleichtert, dich wiederzusehen ...«

Bevor die Freude endgültig Oberhand gewinnen konnte, richtete Minerva ihrerseits den Zauberstab auf ihn. »Es tut mir leid, aber du kennst das neue Prozedere mit den Sicherheitsfragen sicherlich aus dem Ministerium. Also sag mir ... wie oft hast du die Frage schon gestellt?«

Ihr Gegenüber ließ sich nicht irritieren, sondern schnaubte amüsiert. »Zehn Mal. Ein elftes Mal hast du mich ja nicht gelassen.«

Wärme stieg ihr in die Wangen. Einmal mehr war sie dankbar, dass Menschen im Gegensatz zu Katzen im Dunkel so schlecht sahen. Selbst nach allem, was im letzten Jahr zwischen ihnen passiert war, brachte der Gedanke an Elphinstones viele Heiratsanträge sie immer noch in Verlegenheit. Oder erst recht, schließlich hatte der Ernst ihrer Gefühle den Witz darin überholt.

Sie räusperte sich gegen den aufsteigenden Kloß in ihrem Hals an, die Schultern zurückgedrückt. »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Elphinstone.« Ihre Mundwinkel zuckten leicht, als sie den Blick aus seinen funkelnden Augen auffing. »Im Übrigen ist zehn die perfekte Antwort«, fügte sie fester an. »Untersteh dich also, das ändern zu wollen.«

Elphinstone schlug die Lider nieder, ohne das Schmunzeln von seinen Gesichtszügen zu lassen. »Natürlich. Es wäre ja auch viel zu verwirrend, sich ständig eine neue Antwort merken zu müssen.«

»Gut, gut ...«

Schweigen senkte sich. Für ein paar Wimpernschläge saßen sie beide so verlegen da wie zwei Hogwartsschüler in der Nische hinter der Statue von Heraldine der holden Hexe im sechsten Stock, wann immer Minerva diese passierte. Dann erlöste Elphinstone sie mit einem Glucksen aus der Starre.

»Ein Glück habe ich die richtige Katze erwischt. Ich hatte schon Sorge, dass ich ein tiefgründiges Gespräch mit einer gewöhnlichen Straßenkatze anfange.«

Sie zog eine Augenbraue hoch, die Lippen geschürzt. »Solltest du meine einzigartige Fellzeichnung je vergessen, gibt es da einen ganz einfachen Trick – wenn sich die Katze streicheln lässt, ist es die Falsche.«

»Das weiß ich doch. Ich ärgere dich nur.« Elphinstone schenkte ihr ein Zwinkern. »Reine Sicherheitsmaßnahme meinerseits, versteht sich. Wenn du diesen gewissen Blick bekommst, weiß ich, dass es wirklich du bist.«

»Als wenn meine Rückverwandlung nicht Beweis genug ist, dass ich kein Todesser sein kann. Im Gegensatz zu einer Aura oder dem allgemeinen Aussehen kann man das ganz sicher nicht fälschen.«

»Ach Min. Nimm mich doch nicht so ernst, hm?«

Entgegen der Versuchung, sich von Elphinstones Leichtigkeit anstecken zu lassen, drückte sie den Rücken fester durch, ihren Blick starr auf den dunklen Parkweg gerichtet. »Die Lage ist aber ernst. Es ist Krieg und wir haben nicht lange Zeit. Lass uns zum Punkt kommen.«

Sie hörte ihn leise seufzen. Als sie einen Seitenblick riskierte, sah sie, dass er die Schatten in der anderen Richtung beobachtete, den Zauberstab fest im Griff. »Hat man dich verfolgt?«, fragte er. Von jetzt auf gleich war jeglicher Humor aus seiner Stimme verschwunden.

»Nein. Die beiden Todesser haben mich nicht einmal bemerkt. Ich habe noch gewartet, bis ich die Ankunft der Auroren gehört habe, die du geschickt hast, dann bin ich ungesehen disappariert. Was einmal mehr beweist – für manche Leute sind nachts eben wirklich alle Katzen grau. Was quasi gleichbedeutend mit unsichtbar ist.«

Elphinstone atmete hörbar auf. »Tja, ich habe einen Namen für diese Leute – Idioten. Und nur fürs Protokoll: Ich mag vielleicht auch einer sein, aber ich maße mir einfach mal an, dass ich das Brillenmuster um deine Augen überall und jederzeit wiedererkennen würde.«

Ein kleines Geräusch zwischen Schnauben, Seufzen und Schmunzeln entkam Minerva. »Wirklich, Elphinstone –«

Er unterbrach sie mit einem Kopfschütteln. »Gib mir nur eine Minute, ja?« Die Sanftheit in seiner Stimme überwältigte sie fast, als er sich wieder zu ihr drehte. Das Lächeln auf seinem Gesicht hatte sich gewandelt. Verschwunden war der Schalk, das freche Funkeln des Amüsements. Stattdessen lag nur Zärtlichkeit in seinem Blick. Er hielt ihr seine offene Handfläche entgegen und überbrückte die geringe Distanz zwischen ihnen. »Magst du mir deine Hand geben?«, bat er leise.

Für einen Sekundenbruchteil stockte sie, ohne ganz zu wissen weshalb. Vielleicht weil es so lange her war? Wochen – nein, sogar Monate. Doch dann schlug sie den Gedanken beiseite und folgte seinen Worten.

Allein die Wärme von Elphinstones Haut war genug, um ihr Herz stolpern zu lassen. Die Angst, von Todessern entdeckt zu werden, schmolz irgendwo in den Hintergrund. Es wurde nicht besser, als Elphinstone seine Finger sanft mit ihren verschränkte.

»Schnatz gefangen«, murmelte sie und drückte ihn bedachtsam.

Er gluckste leise. »Schließ deine Augen, okay?«

Sie holte tief Luft –

»Nur ganz kurz. Nicht mal eine Minute. Ich halte meine Augen auch extra weit offen.« Um seine Worte zu unterstreichen, stupste Elphinstone mit seinem Zauberstab sacht gegen ihr Knie. »Falls jemand aus dem Busch springt, werfe ich mich vollkommen heldenhaft vor dich. Ehrenwort.«

Schon klappte ihr der Mund wieder auf, eine Erwiderung auf der Zunge. Aber ein Blick auf Elphinstones hoffnungsvolles Gesicht besann sie eines Besseren. Also tat sie wie geheißen, obwohl es sich falsch anfühlte, ihre Verteidigung derart aufzugeben.

Als würde er diesen Gedanken hören, strich Elphinstone mit dem Daumen über ihren Handrücken. »Atme tief ein und aus.«

»Elphinstone ...« Automatisch sog sie die Luft ein, um sich für eine längere Rede zu wappnen – nur um sie dann wieder gehen zu lassen. Sie hörte, wie Elphinstone dasselbe tat. Noch ein Atemzug und ihre Schultern sanken hinab. Eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf flüsterte, dass das hier albern war, doch mit dem nächsten Ausatmen verschwand sie. Selbst das aufgeregte Kribbeln in ihrer Brust verflog. Nur Elphinstones warmer Druck auf ihrer Hand blieb.

»Danke«, wisperte sie in die Stille, ohne ihre Lider zu heben.

»Dann ist es also besser?«, fragte er im Flüsterton zurück.

»So viel besser.« Die Müdigkeit in ihrer Stimme überraschte sie selber. Bis eben hätte sie schwören können, dass jede Faser ihres Körpers unter Strom stand, und jetzt fröstelte sie plötzlich aufs Neue.

Zum Glück schien das Kaminfeuer in greifbare Nähe gerückt, denn Elphinstone drückte ihre Hand fester. »Es tut mir leid, dass du so lange keine Pause mehr hattest.«

»Schon gut ...«

»Nein. Du überwachst seit Monaten jeden Tag in deiner Freizeit Gideons Verstecke, immer in der Gefahr, entdeckt zu werden, und das nur, damit du mir helfen kannst – das ist keine Kleinigkeit. Und dann erst der Mut, den du heute bewiesen hast ... Ich wünschte, ich könnte dir mehr bieten als so eine kleine Verschnaufpause auf einer Parkbank. Du verdienst es.«

»Als ob du nicht selber jeden Tag mit den Todessern zu tun hast.« Minerva nahm noch einen tiefen Atemzug, ehe sie die Lider langsam wieder hob. »Überhaupt – hat man dich verfolgt?«

»Du lässt dich wirklich nicht lange ablenken, was?« Elphinstone schüttelte seufzend den Kopf. Mit seiner Zauberstabhand zog er ein kleines, rundes Gerät in einer Metallfassung aus der Umhangtasche. Der gläserne Kern sirrte unentwegt, allerdings nur ganz leise, wie eine lästige Mücke. Dazu leuchtete er blassrot. »Wenn ich mir das Taschenspickoskop so ansehe, habe ich meine beiden Aufpasser mit dem Umweg über den Tropfenden Kessel und drei sehr ... nette Etablissements wohl vorerst abgeschüttelt.«

»Also beobachten die Todesser immer noch dein Haus?«

Er seufzte neuerlich. »Min, mach dir nicht zu viele Gedanken –«

»Beantworte einfach meine Frage.«

»... ja. Sie stehen ganz zuverlässig jeden Tag im Hauseingang gegenüber. Inzwischen haben sie offenbar auch eine umfangreiche Karte an Orten zusammengestellt, die ich üblicherweise besuche. Abgesehen vom Ministerium, versteht sich. Wann immer ich meinen Kamin benutze oder appariere, kann ich sicher sein, dass sie früher oder später auftauchen. Sie müssen ihrerseits irgendwelche Aufspürer nutzen, die meine Abwesenheit registrieren ... Deshalb habe ich sie heute lieber glauben lassen, dass ich nur ein wenig ausgehe.«

»Ausgehe ...?« Minervas Stimme beschrieb dieselbe verwunderte Aufwärtskurve, die ihre hochgezogene Augenbraue darstellte.

Elphinstone rieb ihre Fingerknöchel mit seinem Daumen, während er leise lachte. »Um es genau zu sagen« – er lehnte sich näher heran und senkte seine Stimme zu einem Wispern – »ich glaube, dass meine zwei üblichen Wachhunde ziemlich verklemmt sind. Zumindest habe ich einiges ausprobiert, damit ich sie elegant loswerde, und festgestellt, dass sie mir nicht überall hin folgen.«

»Will ich überhaupt wissen, was du damit meinst?«

»Ich nehme stark an, dass du nicht so lächerlich engstirnig wie die beiden Kerle bist, also ja.« Mit einem Grinsen schob Elphinstone das Spickoskop wieder in seine Tasche. »Es gibt da einen reizenden kleinen Pub in einer Seitengasse des Drachenschwanzboulevards, der nicht im Mindesten anrüchig ist, aber besonders gerne von Zauberern besucht wird, die ein gewisses Interesse am gleichen Geschlecht hegen. Nun, was soll ich sagen – dahin wollten meine Verfolger plötzlich nicht mehr mitkommen.«

Sie konnte ein Auflachen nicht unterdrücken. »Ehrlich? Mehr braucht es nicht?«

»Anscheinend nicht.«

»Und ich dachte schon, du erzählst mir jetzt, dass du einen Besuch im Bordell oder dergleichen vortäuschst.«

»Oh nein, nein, keine Sorge!« Selbst im fahlen Mondlicht war ersichtlich, dass sich Elphinstones Ohrspitzen röteten. »Ich habe zugegeben mit dem Gedanken gespielt, aber das wäre wirklich der allerletzte Reisigzweig am Rennbesen gewesen – und zum Glück reicht es ja auch, dorthin zu gehen, wo alle sittsam angekleidet bleiben.«

»Umso bemerkenswerter, dass deine Verfolger dabei schon aufgeben. Ich hätte denen mehr Ehrgeiz zugetraut.«

»Ich auch. Aber ich habe noch ein paar andere Treffpunkte dieser Art ausprobiert und was soll ich sagen ... jedes Mal ein Volltreffer. Schneller wird man diese unliebsame Plage nicht mal mit einem Verschwindefluch los. Ich muss nur reingehen und schon kann ich ungesehen durch die Hintertür verschwinden, denn die beiden Trottel bleiben draußen stehen, als hätten sie einen Basilisken gesehen.«

»Und das, wo doch alle angezogen bleiben.« Es brauchte keine Sekunde, damit Minerva begriff, was sie gerade von sich gegeben hatte. Aber nun war es zu spät. Sie straffte die Schultern, eisern darum bemüht, ihre Miene zu kontrollieren.

Elphinstone neben ihr hustete, als hätte er sich furchtbar verschluckt. »Bei Merlins Feinripp«, keuchte er, »das hätte auch von Mulciber kommen können!«

»Der war wirklich schrecklich, was? Entschuldige.«

Doch neben ihr schüttelte Elphinstone grinsend den Kopf und verlockte damit ihre Mundwinkel zu einem Zucken. »Der war grässlich und ich finde es großartig«, stellte er klar. »Ich meine – wie schön ist es bitte, dass du über meine Flucht durch eine Schwulenbar einen Witz machen kannst, während meine Verfolger so viel falsche ‚Angst‘ davor haben, dass sie nicht mal einen Fuß über die Schwelle setzen können?«

Verlegen senkte Minerva die Augenlider ein Stück. Sie ertrug den Anblick von Elphinstone und besonders seinen schmunzelnden Lippen nicht länger, denn die riefen sie nur dazu auf, alle Vorsicht in den Wind zu schlagen. »Für mich war es nie ein Problem, dass du dich prinzipiell auch zu Männern hingezogen fühlst, warum sollte es das jetzt auf einmal sein?«

»Du weißt, wie ich das meine. Jemand anderes wäre vielleicht ... keine Ahnung, enttäuscht, dass ich es überhaupt so wirken lasse, als wäre ich offen für –«

»Elphinstone.« Minerva legte den Kopf schief und warf ihm ihren schärfsten Professorinnenblick zu. »Diese Person werde ich nie sein. Himmel, ich würde es auch überleben, wenn du den Besuch im Bordell vortäuschen müsstest. Es würde mir nicht gefallen, aber wichtiger ist doch, dass du in Sicherheit bist.«

Der amüsierte Ausdruck auf Elphinstones Gesicht schmolz zu sanfter Wehmut. Einen Moment lang erwiderte er nichts, doch Minerva spürte genau, wie er ihre Hand langsam zerquetschte – und sie drückte ebenso doll zurück.

»Wäre die Einstellung meiner zwei Verfolger nicht so traurig, dann wären ihre kleinen Tänzchen sogar richtiggehend lustig«, murmelte Elphinstone schließlich. »Neulich hat der eine versucht, seinen Kumpel mit einem ganzen Fass von Ogdens Feuerwhiskey zu bestechen. Erfolglos. Die feinen Herrschaften im Grünen Salon sind wohl zu furchteinflößend. Es könnte einen ja jemand auf ein Tässchen Tee einladen.«

»Seien wir froh«, seufzte Minerva leise. »Wären die beiden nur ein bisschen hartnäckiger, würden wir vielleicht nicht hier sitzen.«

»Das stimmt wohl. Ich möchte wetten, dass ihr Dunkler Lord außer sich wäre, wenn er wüsste, dass sie sich so leicht von ihrer Aufgabe abbringen lassen.«

»Oder stolz.« Geringschätzig schnaubte sie. »Ich kann mir richtig gut vorstellen, dass seine Anhänger nicht nur von einer Welt des reinen Blutes träumen, sondern auch einer Welt ohne jegliche ... ‚Abweichungen‘. Immerhin verbreitet sich das reine Blut nicht von alleine.«

Elphinstones Mundwinkel sanken weiter herab. »Wahrscheinlich hast du recht. Aber deshalb sind wir ja hier. Damit es nie dazu kommt.«

»Richtig.« Sie nickte langsam. Wie hatte sie sich überhaupt derart von ihrem Anliegen ablenken lassen? Schon kehrte das Kribbeln in ihre Glieder zurück, angefangen bei den Fingerspitzen. Sie verscheuchte die überschüssige Energie, indem sie den Stoff ihrer Strumpfhose an den Knien zurechtzupfte. »Und heute dürften wir zumindest einen Erfolg zu feiern haben.« In aller Kürze umriss sie ihre Beobachtungen des Abends, von der Ankunft der Todesser über das leere Grab hin zur gesäuberten Kirche.

Im fahlen Mondschein erbleichte Elphinstone. »Oh, bei Salazars schwärzester Magie ...«

Sie streichelte seinen Handrücken, denn ihr war klar, dass er an seine älteste Schwester dachte, die zu Lebzeiten vielleicht nicht in alle Experimente ihres Mannes involviert gewesen war, aber genug gewusst hatte, um in ihrem Tagebuch einige Hinweise zu hinterlassen. Und nun belegte das Auftauchen von Voldemorts Anhängern in der Kirche immerhin ihre Auffassung, es handle sich um Forschung, die der selbsternannte Dunkle Lord für seinen Krieg zu nutzen erachtete.

»Wenn die beiden Todesser erstmal in einer Arrestzelle sitzen, können wir sicherlich mehr Informationen von ihnen erhalten«, versuchte Minerva Elphinstone aufzumuntern, obwohl die Worte selbst in ihren Ohren schal klangen. »Dann informiere ich Albus und den Orden und gemeinsam bringen wir das alles in Ordnung. Auch in Elladoras Namen.«

Elphinstone wippte nachdenklich mit seinem Zauberstab auf und ab. »Für den Anfang wäre es schon schön, wenn ich nur den Namen ihres Auftraggebers erfahren könnte. Dann könnten wir den auch gleich festsetzen ... Aber gut, die Befragung ist allein meine Sorge. Und dank deiner Vorarbeit weiß ich ja zum Glück, wo ich ansetzen muss. Danke dafür. Du hast wirklich mehr als genug geleistet.«

»Ach ...«, hob Minerva zu einem Widerspruch an – doch im selben Augenblick zuckte Elphinstone wie vom Doxy gebissen zusammen.

»Wenn man vom Grimm spricht! Da ist auch schon die Nachricht vom Aurorenbüro.« Erneut wühlte er in der Tasche seines Umhangs. Anstatt des Spickoskops zog er dieses Mal ein galleonengroßes Goldstück hervor. In das Metall waren zwei Waagschalen geprägt, die von der Spitze eines Zauberstabs hingen – das Wappen der Strafverfolgungsabteilung. Darunter stand E. Urquart, Oberster Strafverfolger. »Lass mal sehen ...« Mit einem Zungenschnalzen drehte Elphinstone die Ausweismarke um.

»Und ...?«

»Verflucht.« Nun sanken nicht nur Elphinstones Mundwinkel, sondern auch die Schultern hinab. »Zugriff nahe Windermere – ein ca. zwanzig Jahre alter Verdächtiger flüchtig«, las er vor.

Minerva sank das Herz. »Nein – verdammt! Wäre ich nur länger geblieben –«

»Und hättest riskiert, dass dich jemand sieht? Du weißt doch, dass das nicht geht. Das Ministerium darf nicht wissen, dass wir am Gesetz vorbei zusammenarbeiten, und die Todesser sowieso nicht. Dass du gegangen bist, war genau richtig.«

Sie konnte sich ein Augenrollen nicht verkneifen. »Natürlich weiß ich das alles. Aber ich hätte aus den Schatten helfen können. Vielleicht ein kleiner, heimlicher Zauber zur rechten Zeit –«

»Nein.« Mahnend pikste Elphinstone sie mit dem Zeigefinger gegen das Knie, ohne dabei ihre Hand loszulassen, deren Rücken er nach wie vor sanft rieb. »Das Risiko ist es schlicht nicht wert. Außerdem ist nicht alles schief gegangen. Hier steht auch, dass Pippa und ihre Leute den älteren Todesser geschnappt haben. Er ist auf dem Weg in die Zentrale.«

Die Luft, die sich in ihren Lungen aufgestaut hatte, entlud sich in einem halb erleichterten, halb überraschten Laut. »Oh ... wenigstens etwas.«

»Mhm.«

Sie sah zu, wie Elphinstone mit dem Daumen über die magisch leuchtende Kurzbotschaft auf der Rückseite seiner Marke rieb, sodass sie verschwand.

»Ich sollte bald los. Pippa hat mich zwar wie versprochen direkt informiert und hält die Sache für mich zurück, aber wenn ich nicht zügig auftauche, um die Akte zu beanspruchen, greift sich nachher vielleicht doch jemand anderes den Verdächtigen. Je schneller die Anklage verfasst wird, desto besser, heißt es schließlich dieser Tage.«

»Dann sollte ich wohl zusehen, dass ich die Spur des zweiten Todessers aufnehme. Vielleicht lässt er sich ja an einem anderen von Rosiers Verstecken blicken. Davon wissen die Auroren schließlich nicht ...« Aufbruchbereit drückte Minerva ihre Füße fester gegen den Boden. Doch etwas hielt sie zurück. Elphinstones Hand. Er zog nicht an ihr, es war einfach nur seine bloße Berührung, die sie auf der Bank verweilen ließ. Sie wünschte, es bliebe mehr Zeit, nur eine Minute –

Elphinstone hob den Blick von seiner Marke. »Versuch lieber, noch etwas Schlaf zu bekommen. Ich glaube kaum, dass der zweite Mann heute noch irgendwo hingeht. Dafür wird der Schreck über das Auftauchen der Auroren viel zu tief sitzen. Und ich möchte nicht, dass dir ein Fehler passiert, weil du übermüdet bist.« Mit einem schiefen Lächeln drückte er ihre Hand fester, bevor er ein leises »Bitte« hinzufügte.

»Elphinstone ...« Sie sah auf ihre verschränkten Finger hinab und presste die Lippen zu einem festen Strich zusammen, um ein nutzloses Seufzen zu unterdrücken. »Du weißt, dass ich es hasse, wenn du mit sowas recht hast?«

»Ja, aber das ist es mir wert.«

Seufzend tappte sie mit ihrer Schuhspitze auf und ab. »Also dann ...« Aus dem Nichts schwoll ein Kloß in ihrem Hals an. Schon prickelte es am Rande ihres Sichtfelds. Rasch stand sie auf, wobei sie Elphinstone ein wenig zu entschlossen ihre Hand entzog. Sie klang, als hätte sie eine gigantische lila Sumpfkröte verschluckt, sobald sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. »Du schreibst mir, wenn du etwas Neues weißt?«

Neben ihr stand Elphinstone ebenfalls auf. »Natürlich«, erwiderte er leise. Im Gegensatz zu ihr wurden seine Worte immer sanfter, je näher der Abschied rückte.

Oh, wie sie es hasste! Angestrengt starrte Minerva in die Dunkelheit, ihren Zauberstab auf die Büsche gerichtet.

Doch natürlich wandte Elphinstone sich nicht einfach ab und ging. Nein, er nahm sich den Mut heraus, ihr eine Haarsträhne hinters Ohr zu streichen und sie die ganze Zeit dabei so ... so ... so anzusehen.

»Weißt du wie froh ich bin, dass die Todesser ausgerechnet heute aufgetaucht sind und uns zusammengeführt haben?« Er zupfte an dem lockigen Haar zwischen seinen Fingern und senkte seine Stimme weiter, bis sie weniger als das Wispern der Blätter im Wind war. Minerva wusste bereits, dass er Gälisch mit ihr sprechen würde, bevor er das erste Wort gesagt hatte. »Feuch«, flehte Elphinstone beinahe, »innsidh mi dhut cho mòr ’s a tha gaol agam ort.«

Ihr Kinn begann unaufhaltsam zu zittern.

»Ich weiß, diese Abschiede machen die Zeit dazwischen nur schwerer«, setzte Elphinstone weiterhin auf Gälisch hinzu, »aber darf es wenigstens heute noch einmal sein? Wenn wir sonst schon nicht feiern können?«

Es dauerte. Zumindest ein paar gepresste Atemzüge lang. Dann begriff Minerva, welches Datum sie hatten. Den 14. Februar. Valentinstag.

»Eigentlich hast du es doch schon in deiner Frage ausgesprochen«, erwiderte sie ebenso in ihrer zweiten Muttersprache.

Ertappt schlich sich das Schmunzeln zurück auf Elphinstones Gesicht. »Schon, aber nicht so, wie ich eigentlich will.«

»Phin ...« Die geballte Macht aus all den Wochen ohne ihn überrollte Minerva. So viele Tage, an denen sie sich nach seiner Umarmung verzehrt hatte; so viele Nächte, in denen Tränen ihr in die Augenwinkel gebissen hatten, weil sie in einem kalten Bett eingeschlafen war. Manchmal kam ihr die Distanz zu Elphinstone ärger vor als ihre Trennung von Dougal einst. (Und das Schlimmste: In den finstersten Stunden schlich sich die Frage ein, ob es nicht leichter wäre, diesen einen Tod erneut zu sterben, anstatt jedes Mal hundert kleine Tode zu erleiden, sobald ihre Wege sich trennten.)

Doch jetzt verdrängte sie diesen Irrsinn und umfasste Elphinstones warme Wangen mit beiden Händen. Es war ihr egal, dass sie auf offener Fläche standen und sie nach wie vor den Zauberstab umklammerte – sie wollte ihn nur noch küssen. Wenigstens für ein paar Sekunden vergessen, dass die Welt um sie in Kriegsflammen verging ...

Nur am Rande bemerkte sie, dass Elphinstone einen schimmernd blauen Protegoschild um sie schuf, während er seinerseits die Arme an ihre Taille legte.

»Ich liebe dich so ...«, murmelte er noch, da streiften ihre Lippen längst mit einer Erwiderung über seine und verschluckten all die restlichen Worte, mit denen er ihr sonst sicher seine Gefühle im Detail beschrieben hätte. Sie wusste es auch so. Spürte es.

Die Zeit, die für ihren Kuss blieb, war ohnehin viel zu kurz. Minerva kam es wie ein einziges Blinzeln vor, da schwand der Schutzschild schon wieder und Elphinstone trat zurück. Er seufzte schwerer als angesichts des Krieges.

»Ich glaube, Pippa hat eine zweite Nachricht geschickt. Ich sollte mich beeilen ...«

Sie nickte schon, da sprach er noch. »Viel Erfolg bei der Befragung. Und ... bitte pass auf dich auf.«

Lächelnd blinzelte Elphinstone gegen den überquellenden Glanz in seinen Augen an. »Immer. So wie du auch.« Ein letztes Mal beugte er sich vor und drückte ihr einen derart schnellen Kuss auf die Lippen, dass sie ihn kaum schmecken konnte. »Oidhche mhath, a ghràidh.«

Unkrautbekämpfung


 

Hogwarts, Februar 1971

 

Der verhaftete Todesser sprach nicht. Weder über seinen Auftrag, noch die Person dahinter oder sonst etwas, das auch nur entfernt mit Voldemort zu tun hatte. Er weigerte sich sogar, seinen Namen zu Protokoll zu geben. Das Einzige, was Elphinstone direkt herausfand, war, dass sein Gegenüber zu viel Feenkraut rauchte und mit dem plötzlichen Entzug offenbar nicht klarkam. So schrieb er es zumindest in seinem Brief, den eine zerzauste Eileule Minerva beim Frühstück in der Großen Halle überbrachte.

Der Kerl sitzt nur da und röchelt vor sich hin wie ein fettleibiger Crup, der zu stark an seiner Leine zerrt, hieß es da beispielsweise. Zum Glück konnten wir dank seines Zauberstabs und anhand der Fingerabdrücke zweifellos feststellen, dass es sich bei ihm um einen gewissen Benjamin Cowper handelt.

Dieser Nachname war Minerva bekannt, aber das hatte nichts zu heißen. Immerhin war er nicht derart berüchtigt wie Black oder Malfoy. Es gab viele Menschen in Großbritannien, die Cowper hießen – Muggel und Magier. Von daher wäre es keine Überraschung, dass zwei Personen desselben Namens überhaupt nichts miteinander zu hatten. Selbst in ihrer vergleichsweise kleinen Gesellschaft.

Cowper ist 1922 geboren, las sie weiter, momentan lebhaft in der Nähe von Exeter. Ein ehemaliger Slytherin, falls du dich das fragst.

Unwillkürlich zuckte ihr Blick bei dieser Anmerkung zu dem grün besetzten Haustisch hinüber. Die Stimmung dort war zwar nicht mehr so ernst wie im letzten September, aber auf den meisten Gesichtern versteckte sich weiterhin Anspannung. Das Gelächter war kurzlebiger, die Blicke über die Schulter zu den drei anderen Tischen vorsichtiger geworden. Zu vielen Kindern war eine Sympathie für die Todesser unterstellt worden. Meist war es bei fiesen Worten geblieben, doch ebenso hatte Drachendung den Weg in Schultaschen gefunden.

Besonders Narzissa Black hatten diese Ereignisse verändert. Nicht äußerlich – ihr blondes, fast schon silbriges Haar stach auch an diesem Morgen aus der Menge hervor, so sehr schimmerte es im Licht der schwebenden Kerzen. Irgendwann hatte Silvanus Kesselbrand sie im Lehrerzimmer mal mit einem Einhorn verglichen und insgeheim stimmte Minerva ihm zu. Nur hatte sie diese Wesen nie derart ... traurig erlebt. Wann immer sie allerdings Narzissa ansah, schien die jüngste Black in eine unsichtbare Schwärze gehüllt, die ihrem Nachnamen alle Ehre machte. Und dieser Vergleich zu Bellatrix ängstigte Minerva.

Rasch sah sie fort, zurück auf Elphinstones Brief. Die Worte zitterten vor ihr und beschämt stellte sie fest, dass ihre Finger bebten. Nicht nur das, ihr Mund war auch völlig trocken. Zur Beruhigung nahm sie einen Schluck Tee, doch der schmeckte bitter. Dabei hatten die Hauselfen ihn sicher so meisterhaft aufgebrüht wie immer. Gegen das schlechte Gewissen kamen allerdings nicht mal deren Künste an – und das Zwicken in ihrem Kopf war leider berechtigt. Tief innen drin wusste Minerva, dass sie Narzissa nicht für die Taten ihrer ältesten Schwester im letzten Jahr verurteilen durfte. Im Gegenteil, war es nicht fatal, dass sie jetzt wegsah?

Sie biss sich auf die Innenseite der Wange. Ja, ihr Fokus hatte sich gefährlich weit von Hogwarts entfernt. Gerade bei den Streitereien zwischen ihren Gryffindors und den Slytherins müsste sie mehr leisten, als Strafarbeiten zu verteilen ... Und dennoch schlug sie den Gedanken vorerst beiseite, um sich wieder auf Elphinstones ungewöhnlich nachlässige Handschrift zu konzentrieren.

Angestellt ist Cowper laut Register bei einem lokalen Unternehmen für Schädlingsbekämpfung. Will heißen: Für Galleonen flucht er den Leuten Gnome aus dem Garten. Dabei gehören die in einen gesunden magischen Garten! Wann werden all die selbsternannten Landschaftsgestalter nur begreifen, dass niemand sich so effektiv um wahre Schädlinge kümmert wie eine Gnomsippe?

Die folgenden Zeilen waren gefüllt mit allerlei harsch niedergeschriebenen Worten, die in ihrer Bedeutung genauso wenig nett waren wie in ihrer Präsentation. Hin und wieder hatte die Feder sogar das Pergament aufgerissen. Minerva konnte sich lebhaft ausmalen, dass Elphinstone beim Schreiben leise vor sich hingeflucht hatte, die freie Hand in seinem Haar vergraben. Wahrscheinlich hatte er den Ellenbogen auf dem Schreibtisch abgestützt, die Beine überschlagen und unablässig mit der Zehenspitze gewackelt. Die Vorstellung entlockte ihr ein Lächeln, auch wenn das Fazit seines Briefes ernüchternd blieb.

Nicht mal die Androhung von Veritaserum bringt mich voran. Entweder hat sich der feine Herr Resistenz antrainiert – oder er unterliegt einem meisterhaften Zungenfesselfluch und darf nichts sagen. Anders kann ich mir zumindest nicht erklären, dass ihm bei jeder Erwähnung der Schweiß auf die Stirn tritt und er trotzdem nur hustet ...

Nun, wir werden sehen, was passiert, wenn die neue Lieferung Veritaserum erst eintrifft. Momentan gibt es leider einen Engpass, da die zentrale Verteilstelle in den letzten Monaten etwas zu freigiebig damit war. Quasi kein Verhör hat ohne den Einsatz des Tranks stattgefunden, das rächt sich jetzt.

Minerva spürte Elphinstones Seufzen in den Zeilen, als säße er neben ihr.

Es ist schwer, das ist mir bewusst, doch wir müssen uns noch etwas gedulden. Ich melde mich so bald wie möglich wieder. Versprochen.

»Was hast du denn da? Etwa einen Liebesbrief?«

Ertappt schreckte Minerva zusammen und einmal losgelassen tat das Pergament es ihr gleich, indem es sich aufrollte. Von dem bis eben höchstens in Gedanken besetzten Nachbarplatz grinste sie eine verdächtig gutgelaunte Pomona an.

»Keine Sorge, ich will schon nichts lesen! Sag’s mir nur, wenn ich mich für dich freuen darf, ja?« Ohne auf Minervas kleines Schnauben zu achten, lehnte Pomona sich über ihren Teller hinweg, um die Servierplatte mit gegrillten Tomaten heranzuziehen.

»Guten Morgen auch, Mona.« Langsam schüttelte Minerva den Kopf und wandte sich – hoffentlich ohne rote Wangen – wieder ihrem Schwarztee zu. »So wie es aussieht, freust du dich bereits mehr als genug. Vor allem für einen Montagmorgen.«

Wie zur Bestätigung summte Pomona, während sie ihren Teller weiter befüllte. »Es geht doch nichts über eine Doppelstunde Kräuterkunde zum Start in die Woche! Vor allem, da ich heute mit meinen Sechstklässlern die Alraunen im Teenageralter baden werde. Das ist jedes Jahr aufs Neue schön. Schön chaotisch!« Zwinkernd erdolchte sie einen Kartoffelpfannkuchen. »Die armen Dinger wehren sich mit Hand- und Beinwurzeln, bis sie einmal im Zuber sitzen. Aber dann wollen sie am liebsten nicht mehr raus. Hach, dabei zuzusehen, welche Strategien den Schülern einfallen, um sie zu überzeugen, ist einfach ein erfrischender Start in die Woche!«

»Ja, sicher ...« Die Augen zusammengekniffen, überflog Minerva die Besetzung am Hufflepufftisch. In Gedanken war sie noch bei Elphinstones Brief – und zwar nicht dem Teil über Gartenschädlinge. »Sag mal, Mona, wenn wir schon bei deinen Sechstklässlern sind – ist dir in letzter Zeit etwas an Miss Cowper aufgefallen?«

»Hm?« Da Pomona den Mund voll hatte, hob sie ihre buschigen Augenbrauen und formte einen fragenden Gesichtsausdruck. »Cowper?«, nuschelte sie.

»Ja, du weißt schon – Liszette Cowper, die Vertrauensschülerin.«

Pomona schluckte hörbar. »Was soll mit ihr sein ...? Sie tut sich in diesem Jahr weder besonders positiv noch negativ hervor. Ihre Leistung in Kräuterkunde könnte besser sein, aber das Fach war von Anfang an nicht ihre Berufung. Sonst hab ich eigentlich keinen Kummer mit ihr. Du etwa?«

»Nicht direkt. Also verhält sie sich nicht anders seit letztem September?«

»Na ja ... alle verhalten sich anders. Aber ich würde nicht sagen, dass es bei ihr besondere Ausmaße angenommen hat. Im Gegenteil, sie hat mich zusammen mit den anderen Vertrauensschülern wunderbar dabei unterstützt, den jüngeren Kindern ein bisschen Seelsorge zu leisten.«

Das erleichterte Minerva. Dem Urteil ihrer Freundin vertraute sie. Egal wie unbedarft Pomona teils erschien, ihre Menschenkenntnis stand ihrem Herzen in Größe nicht nach (und letztlich war ja nicht mal gesagt, dass Liszette Cowper überhaupt mit dem Verhafteten verwandt war). Trotzdem ließ sie nicht locker. »Erinnerst du dich zufällig noch an ihre Berufsberatung letztes Jahr?«

»Klar!« Stolz drückte Pomona die Brust raus. »Miss Cowper hat großes Interesse daran ausgedrückt, eine juristische Laufbahn einzuschlagen. Ich fand auch, das würde ganz gut zu ihr passen – aber das kannst du vielleicht besser beurteilen. Fragst du deshalb? Ich habe ihr jedenfalls meine Unterstützung zugesichert und die Noten schafft sie bestimmt.«

Erneut lächelte Minerva. »Das ist gut zu hören. Danke, Mona.«

»Immer doch.« Einen Moment schwieg Pomona und sah ihr dabei zu, wie sie gedankenverloren mit dem Zeigefinger den Rand ihrer Tasse entlangstrich. Dann schob sie den Teller von sich. »Ich mein das jetzt nicht als Vorwurf Minerva, aber sei ehrlich – du bist mit deinen Gedanken ganz woanders, oder?«

Sie seufzte. Es gelang ihr nicht, den Blick von den Untiefen ihres Tees zu lösen und sich der prüfenden Miene ihrer Freundin zu stellen. »Nicht mehr als sonst auch«, murmelte sie. »Mach dir keine Sorgen.«

Pomonas Hand landete auf ihrer. »Ich mach, was ich will«, brummte sie finster. »Vor allem wenn es darum geht, dass du mal wieder nicht gut zu dir selber bist. Da muss man sich ja Sorgen machen. Ich mein, sieh nur ...« Sie deutete anklagend auf Minervas Teller, den eine einzige, gebutterte Toastscheibe belegte. »Du isst nicht mal richtig. Ich will ja gar nicht sagen, dass du reinhauen sollst wie ich, aber dieser Raubbau wird sich irgendwann rächen und dann wird’s dir schwarz vor Augen.«

Gequält lachte Minerva auf. »Ach Mona, es ist doch nur viel zu früh –«

»War es das gestern Mittag auch? Oder vorgestern Abend? Oder in der ganzen letzten Woche?«

Herausfordernd sah Pomona sie an und mindestens ebenso trotzig schob Minerva das Kinn vor. »Danke, ich brauche keinen Mutterersatz.«

»Nein, aber eine Freundin.« In Pomonas Augen zogen Regenwolken auf. »Falls ich das denn noch sein darf.«

Als hätte sie sich verbrüht, zog Minerva die Hand von der Teetasse fort. »So meinte ich das doch nicht! Mona – ich ...« Sie ballte die Finger vor ihrem Brustbein zusammen und drückte dagegen, aber natürlich linderte das keineswegs den Schmerz, der sie angesichts von Pomonas traurigem Blick durchzuckte. »Es tut mir leid. Ehrlich. Ich wollte nie, dass du dir Sorgen machst. Und das brauchst du auch gar nicht, wirklich nicht –«

»Nein, nein, diese halbgaren Worte lasse ich nicht gelten!« Ein bisschen zu laut hieb Pomona auf den Esstisch, dass sich die anderen Professoren zu ihnen umsahen. Doch sie ließ sich nicht beirren, sondern funkelte Minerva unter zusammengezogenen Augenbrauen her an. »Versprich mir lieber, dass wir bald mal wieder ins Drei Besen gehen und uns Rosmertas beste Pies gönnen, während wir so richtig gepflegt lästern. Ich meine – wusstest du, dass Hitchins und Loughlin aus der Fünften bare Galleonen mit ihrer inoffiziellen Schülerzeitung verdienen? Die anonyme Gerüchtespalte darin soll eine wahre Koboldmine sein.«

Davon hörte Minerva zum ersten Mal. Verlegen räusperte sie sich. »Mona, es tut mir wirklich leid.« Sie nahm einen tiefen Atemzug und straffte die Schultern, bevor sie das Lächeln zurück auf ihr Gesicht beschwor. »Du hast ja recht. Das müssen wir unbedingt mal wieder tun. Wenn sich die Lage erst beruhigt hat –«

Jetzt war es ausnahmsweise an Pomona, zu schnauben. »Wer weiß, wann das der Fall sein wird. Nein, ich meine bald. Sehr bald!«

Minervas Mundwinkel schwächelten umgehend. »Ich wünschte, es wäre so einfach ...«

»Schon klar«, stieß Pomona resigniert aus, »alles da draußen ist gerade schrecklich und du kannst nicht zusehen, das ist nicht deine Art. Das verstehe ich. Aber weißt du was? Da ist immer noch ein ganz normales Leben zwischen den großen Heldentaten, das geführt werden will. Muss.«

Betroffen senkte Minerva die Hand, doch Pomona stand bereits auf. Bevor sie ging, tippte sie allerdings noch einmal Elphinstones zusammengerollten Brief an.

»Die Rettung der Welt und ein schönes Leben sind nicht unvereinbar, weißt du? Niemand erwartet, dass du das eine für das andere aufgibst.«

 

Pomona hatte recht. Dieses Wissen ärgerte Minerva mindestens ebenso sehr wie ihre Schuldgefühle, deren Auswüchse dem Unkraut in einem gnomenlosen Garten in nichts nachstanden (sofern man Elphinstones Ausführungen dazu glaubte). Und doch bat sie Liszette Cowper nach dem Verwandlungsunterricht, noch eine Minute dazubleiben.

»Ja, Professor? Was kann ich für Sie tun?«, fragte die Schülerin misstrauisch, als sie vor ihr Pult trat. Vielleicht war es die Aufregung, vielleicht auch nur etwas zu viel Rouge, jedenfalls waren ihre Wangen leuchtend pink.

Im Hintergrund warfen Liszettes Freundinnen einen letzten, kritischen Blick durchs Klassenzimmer, dann verschwanden sie. Natürlich aufgeregt tuschelnd. Ob diese Mädchen wohl auf bestem Weg waren, neue Gerüchte für die ominöse Schülerzeitung zu erfinden? Zur Sicherheit imperturbierte Minerva die Tür mit einem Schlenker des Zauberstabs.

Stille senkte sich – beinahe. Liszette Cowpers silbern lackierte Fingernägel trommelten einen beständigen Rhythmus auf die Messingschnalle ihrer Schultasche.

»Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, Miss Cowper.«

»Ja, ähem, sicher, Professor. Falls es um meinen Aufsatz von letzter Woche geht – ich weiß, der war nicht ganz 10 Fuß lang. Aber ich fand, alles Nötige war gesagt, also habe ich mir diese Freiheit erlaubt, anstatt den Text künstlich zu strecken ...«

»Nun, alles hat sicher nicht Erwähnung in Ihrem Aufsatz gefunden – die Unregelmäßigkeiten der Verwandlungsmatrizen bei menschlicher Selbstverwandlung und deren Bedeutung hätten Sie theoretisch noch vertiefen können«, warf Minerva rasch ein. »Aber nein, darum soll es nicht gehen, Miss Cowper. Das wäre Stoff für ein weiterführendes Studium. Und das streben Sie schließlich nicht an, richtig?«

Liszette hielt die Luft an. »Oh ... nein.« Sie schlug mit einem entschuldigenden Lächeln die Lider nieder und setzte dabei ihren funkelnden Lidschatten in Szene.

Überhaupt war die Sechstklässlerin ausgesprochen schick zurechtgemacht. Normalerweise scherte Minerva sich nicht um so etwas, solange die Schuluniform vorschriftsgemäß getragen wurde, doch dank des Hintergedankens an eine mögliche Verwandtschaft zu Benjamin Cowper musterte sie ihre Schülerin mit ganz anderen Augen.

So fiel ihr erstmalig auf, dass Liszettes Winterrobe im Licht dezent schimmerte. Unüblich für die dicke Wolle. Vermutlich handelte es sich um einen isolierenden Wärmezauber, der an das Kleidungsstück gebunden war. Einen ähnlichen Glanzhauch kannte Minerva von ihren eigenen Versuchen, etwas gegen den garstigen Winterwind zu unternehmen. Auch wenn es sich auf dem Papier einfach anhörte, verlangte diese Magie bedachte Stabführung – die Liszette offenbar beherrschte, denn sie trug über ihrer Bluse keinen senfgelben Winterpullover und die Robe wies ebenso wenig ein Brandloch auf.

Ähnlich trickreich erschien zudem ihre Schultasche, auf der ein Ausdehnungszauber liegen musste. Sie war kaum von der Größe eines Taschenbuchs, doch sobald Liszette sie höher auf die Schulter zog, rumpelte es darin gewaltig. »Nun ...«, sagte sie zögerlich, »darüber wollten Sie aber sicher nicht mit mir sprechen, Professor? Also wenn es um die Gerüchte geht, dass ich diejenige war, die Narzissa Blacks Puderquaste in einen fangzähnigen Minimuff verwandelt hat, dann stimmt das absolut ni-«

Minerva schnaufte. »Nein. Es geht um weder noch. Auch wenn ich es schade finde, dass Ihr Interesse so begrenzt ist. Sie haben ein Händchen für filigrane Magie. Ich würde Ihnen durchaus zutrauen, eine Puderquaste derart zu verwandeln. Mit etwas mehr Begeisterung für Verwandlungen könnten Sie auch in meinem Unterricht bemerkenswerte Ergebnisse erzielen.«

Nun war es definitiv Verlegenheit, die Liszette Cowpers Wangen rötete. Gleichzeitig entging Minerva nicht, dass es ihre Mundwinkel hochzog, bevor sie das Gesicht rasch hinter ihrem Umhangärmel verbarg und ein Hüsteln von sich gab.

Ehe das Mädchen sich verpflichtet fühlte, weitere fadenscheinige Verteidigungen vorzubringen, räusperte sie sich. »Wie dem auch sei. Ich habe von Professor Sprout gehört, dass Sie eine eher weniger magieintensive Ausbildung anstreben?«

»Das ist richtig.« Für einen Moment sah Liszette auf ihre Schuhspitzen, dann reckte sie jedoch ihr Kinn vor. »Ich weiß, dass ich gut zaubern kann, aber das heißt nicht, dass ich ständig und immer zaubern möchte. Noch dazu so komplizierte Dinge.«

Das konnte Minerva zwar nicht nachfühlen, aber sie nickte trotzdem. »Daran ist nichts auszusetzen. Es ist immerhin Ihre Wahl, Miss Cowper. Und lieber so herum, als dass Sie glauben, Ihre Zauberfähigkeiten würden Sie anderen überlegen machen.«

Die Röte verschwand schlagartig aus Liszettes Wangen. Sie ballte die Hand um den Riemen ihrer Schultasche zur Faust. »Ich würde nie – ich denke nicht so!« Und deutlich leiser murmelte sie: »Ich bin doch nicht Narzissa!«

»Ich habe auch nicht angenommen, dass Sie so denken«, beschwichtigte Minerva sie. Innerlich atmete sie dennoch auf, obwohl sie zugleich dem Schuldgefühl-Unkraut förmlich beim Wachsen zuhören konnte.

»Gut«, erwiderte Liszette mit reichlich Trotz in der Stimme. »Ich interessiere mich nämlich für das völlige Gegenteil davon. Ich will magisches Recht studieren. Gerade wegen des Kriegs finde ich, dass das nicht weniger wichtig ist im Vergleich zu ... Zauberstabgefuchtel.«

»Oh, im Gegenteil. Es ist wichtiger denn je.« Anders als bei dem Gespräch mit Pomona musste Minerva das Lächeln dieses Mal nicht erzwingen, obschon es knapp ausfiel.

Liszette Cowper runzelte die Stirn.

»Es mag Sie überraschen«, fuhr Minerva fort, »doch einst habe ich gedacht wie Sie und eine Ausbildung in der Strafverfolgung absolviert. Bevor ich mich doch für die Zauberstabfuchtelei entschieden habe, versteht sich.«

»Oh ...« Für einen Moment sah Liszette noch verwirrter aus. Nur ihre Finger hörten endlich mit dem Klappern an der Schnalle auf. »Wirklich? Wollten Sie deshalb mit mir sprechen, Professor?«

»Unter anderem. Ich will Ihnen nicht zu viele Hoffnungen machen, aber vielleicht bestünde die Chance auf ein Praktikum im Ministerium für Sie diesen Sommer.«

Die Augen des Mädchens weiteten sich. »Das wäre eine große Ehre! Sagen Sie mir einfach, was ich dafür tun muss. Wenn es sein muss teile ich mir den Platz sogar mit Narzissa –«

»Immer langsam mit den jungen Greifen.« Minerva verkniff sich ein Schmunzeln und bedachte ihre Schülerin stattdessen mit demselben strengen Blick, den sie bei der Ausgabe benoteter Arbeiten aufsetzte. »Ganz so einfach geht es nun auch nicht.«

Das Pink kehrte mit voller Macht in Liszettes Wangen zurück. »Natürlich nicht, entschuldigen Sie. Sie wollen sich bestimmt erst vergewissern, dass ich es auch wirklich verdiene.«

Zu Minervas Überraschung holte Liszette tief Luft und schüttelte damit die Aufregung ab. Als sie wieder sprach, war ihre Stimme leise, aber fest.

»Ich sage es lieber gleich, Professor – ich bin sicher nicht die perfekte Kandidatin für so eine Chance. Mein Interesse an diesem Beruf ist noch recht frisch und meine Schulleistungen in den nötigen Fächern könnten besser sein, das weiß ich. Es ist nur so, dass ich mich früher nicht so bemüht habe, weil – nun ja, ich wollte eigentlich immer Porträtmalerin werden. Jedenfalls bis mich ausgerechnet mein Onkel dazu gebracht, meine Prioritäten zu überdenken.«

»Ihr Onkel ...?« Minerva beobachtete, wie Liszette jetzt nicht mehr an der Schnalle ihrer Tasche knibbelte, sondern direkt an der Haut rund um ihre Nägel.

»Ja. Er ... hat auf Papas Geburtstag vorletztes Jahr gesagt, wenn ich schon meine Magiefähigkeiten verkümmern lassen will, dann könnte ich ja wenigstens im Gamot sitzen und mich wichtig machen. Das wäre genauso nutzlos, aber immer noch besser, als wenn noch ein ... also ein Muggelgeborener dort sitzen darf.«

Offenbar war Minervas Entsetzen direkt aus ihrem Gesicht zu lesen, denn Liszette zog beschämt die Schultern hoch, bevor ihr überhaupt ein abfälliges Zungenschnalzen entkommen konnte.

»Damit hat er natürlich nicht recht«, flüsterte das Mädchen in Richtung ihrer Schuhspitzen. »Und ich bin mir sicher, er traut mir eh nicht mehr zu als eine Protokollantin zu sein. Aber ich – ich hab angefangen, darüber nachzudenken und ...« Mit brennend roten Wangen sah Liszette Minerva wieder an, ihre Lippen fest aufeinandergepresst und ein Funkeln in den Augen. »Ich will mich lieber dafür einsetzen, dass es im Gamot mehr Vielfalt gibt – und weniger Typen wie Onkel Ben.«

Der Name glich einem Blitzschlag. Von einer auf die andere Sekunde saß Minerva an der Kante ihres Stuhls, eine Hand am Zauberstab auf dem Pult, alle guten Vorsätze vergessen –

»Professor ...?« Liszette runzelte die Stirn. »Ich weiß, mein Grund für diese Berufswahl ist nicht die Beste, aber ich meine es wirklich ernst –«

»Das glaube ich Ihnen.« Tief ein- und ausatmend entließ Minerva die Anspannung aus ihren Gliedern, ohne allerdings ihre kerzengerade Haltung aufzugeben. Sie konzentrierte sich darauf, ihren Stab scheinbar beiläufig beiseitezuschieben, während sie weitersprach. »Und es tut mir offengestanden sehr leid, dass Ihr Onkel – Benjamin, sagten Sie? – Sie mit seinem Vorschlag verspotten wollte.«

»Nun ... er ist eben ein Schwarzherzmensch.«

Klopfenden Herzens sah Minerva zu, wie Liszette Cowper matt einen Mundwinkel hob und seufzte. Sie konnte es kaum fassen. Es konnte doch nicht wirklich so einfach sein?

Ihre Schülerin bemerkte davon nichts, sondern zwirbelte gedankenverloren eine dunkelblonde Haarsträhne zwischen den Fingern. »Paps sagt immer, dass sein Bruder selbst für die Toten noch zu unhöflich ist, deshalb hat man ihn bei seinem alten Job rausgeschmissen. Auch wenn ich es nicht besser finde, dass er jetzt Gnome quält, anstatt Bestatter zu sein.«

Minervas linke Augenbraue wanderte gen Haaransatz. »Bestatter?«, echote sie dumpf. Davon hatte Elphinstone nichts geschrieben.

»Ich sag ja, Onkel Ben ist komisch«, erwiderte Liszette, wobei sie die Haarsträhne strammer um ihren Zeigefinger wickelte. »Er redet auch total gerne von früher und all den Zaubern, die man braucht, um Körper zu präparieren und so ... weil ich mich schon als Kind gegruselt habe, zieht er mich ständig damit auf. Es würde mich nicht wundern, wenn er wirklich mit verbotener Magie experimentiert hat und sie ihn deshalb bei Burtons Bestattungsservice rausgeschmissen haben.«

In einem leisen Pfeifen sog Minerva die Luft zwischen ihren Zähnen ein. Überrascht schreckte Liszette Cowper zusammen.

»Ah ... entschuldigen Sie, Professor. Die Probleme meines Onkels interessieren Sie natürlich nicht.«

Ihre Lippen fest zusammengepresst, hinderte Minerva sich daran, »doch« zu sagen. Stattdessen zwang sie sich zu einem möglichst sanften Ausdruck. »Nun, es interessiert mich schon, wenn es Sie belastet oder sich auf Ihr Wohlbefinden auswirkt. Sie können sich mir gerne jederzeit anvertrauen, auch wenn ich nicht Ihre Hauslehrerin bin.«

Liszette nickte kaum merklich. »Ja ... danke für Ihr Angebot. Aber eigentlich sehe ich Onkel Ben gar nicht so oft. Und mein Paps ist zum Glück ganz anders.«

Einen Augenblick wartete Minerva, doch als klar wurde, dass das Mädchen nichts weiter zu sagen hatte, nickte sie die Erklärung knapp ab – wie es sich für eine Lehrerin gehörte. Bestimmt würden Elphinstone und sie auch so etwas aus dieser Information zaubern können.

»Nun, Miss Cowper – ich danke Ihnen für Ihre Ehrlichkeit. Wenn Sie mir in den nächsten Tagen ein Motivationsschreiben ausfertigen, werde ich gerne sehen, was sich hinsichtlich eines Praktikums arrangieren lässt.«

Schlagartig hielt Liszette damit inne, ihre Haare zu malträtieren. Die Wolken verschwanden von ihrem Gesicht und stattdessen funkelte wieder die Sonne aus ihren Augen. »Oh, vielen Dank –«

»Eins allerdings noch, Miss Cowper«, fügte Minerva an, bevor diese wie vom Billywig gestochen die Bodenhaftung verlor, »legen Sie Ihren Streit mit Miss Black bei. Ganz gleich, wer was gesagt oder getan hat, ich will nicht wieder hören, dass irgendjemandes Puderquaste Zähne bekommen hat, ist das klar?«

Liszette schrumpfte unter ihrem strengen Blick auf ein gesundes Maß Selbstvertrauen zusammen. »Aber Professor, Narzissa ist –«

»Auch nur eine Schülerin, genau wie Sie. Mit den gleichen Sorgen und Ängsten.« Minerva unterband jegliche neuen Widerworte durch ein bedeutungsvolles Heben ihrer Augenbrauen. »Wenn Sie Ihre Streitigkeiten mit Miss Black nicht anderweitig beilegen können, versuchen Sie wenigstens, einander aus dem Weg zu gehen. Als Mitarbeiterin der Strafverfolgung müssen Sie immerhin auch unliebsamen Menschen professionell gegenüber sein.«

Für ein paar Sekunden herrschte umfassendes Schweigen, in dem man nur Liszette Cowpers Fingernägel von Neuem gegen die Schnalle ihrer Schultasche trommeln hörte. Schließlich senkte sie tief einatmend ihren Blick. »Natürlich, Professor.«

»Gut. Dann war das auch schon alles.«

Ein flaues Gefühl im Magen, sah Minerva Liszette Cowper zu, die von neuer Energie erfüllt ihr Kinn hob und ihr versicherte, sich größte Mühe zu geben, bevor sie schwungvoll von dannen schritt.

Sie hoffte inständig, dass ihre kleine Lüge im Austausch für die Informationen eine gute Idee gewesen war. Auf noch mehr Schuldgefühle, die sich wie Unkraut in ihrer Brust vermehrten, konnte sie definitiv verzichten.

Doch von einem war sie überzeugt: Benjamin Cowpers alter Beruf musste mit seinem Auftrag für Voldemort zusammenhängen. Weshalb sonst hatte man ausgerechnet ihn auf Gideon Rosier angesetzt, der offenbar Tote für seine Experimente missbraucht hatte? Sie wusste zwar nicht, worin genau die Verbindung bestand – aber das ließ sich ändern. In Gedanken setzte sie bereits die Feder für einen Brief an Elphinstone aufs Pergament.

Wider den Erwartungen


 

Umgebung von Exeter, März 1971

 

East Devon war deutlich wärmer als Nordschottland. Das fiel Minerva nach ihrer Apparation direkt auf. Das Zweite waren die Narzissen, die mutig zu ihren Füßen die Köpfe aus der harten Erde streckten. Der Frühling kam in großen Schritten näher und mit ihm die neue Quidditchsaison.

Normalerweise hätte sie heute im Stadion auf den Rängen gesessen, um das Training ihrer Hausmannschaft zu unterstützen. Aber was war in diesem Jahr schon normal? Dass sie am Mittwochmittag in Gestalt einer rothaarigen Frau auf einem Feld unweit von Exeter mitten in Südengland landete jedenfalls nicht.

Unruhig nestelte sie die obersten Knöpfe ihres schlichten Umhangs auf, der für das Wetter viel zu dick war, da ploppte es auch schon hinter ihr. Eine zweite Person tauchte aus dem Nichts auf, genau wie sie ganz in Schwarz gewandt. Sie erkannte das glatte Gesicht des Mannes nicht wieder – dafür aber sehr wohl das Lächeln, bei dem der rechte Mundwinkel stets ein Stück höher wanderte als der linke.

»Zehn Mal«, sagte er, bevor sie den Mund auch nur geöffnet hatte.

Selbst ohne Zutun des Frühlingswindes erwärmten sich ihre Wangen genauso wie ihr Herz. Sie lächelte ebenfalls. »Und meine Frage? Ich will die Verwandlung nicht ruinieren und zur Katze werden. Es hat lang genug gedauert, die Sommersprossen glaubwürdig hinzubekommen.«

Elphinstone legte den Kopf – heute mit hellbraunem Haar darauf – schief. »Du kannst mir sagen, wo ich es zum elften Mal versuchen darf.«

»Denk nicht mal dran.« Schnaubend wandte sie ihm den Rücken zu und sah über die seichten Hügel in die Ferne. Dann fügte sie leiser an: »Madam Puddifoots Café. Der Tisch ganz links, am Fenster. Immer derselbe seit 1959. Wenn –«

»– es so weit ist.« Mit einem sanften Glucksen schob Elphinstone seinen Arm unter ihren. »Ich weiß.«

Heute war er ein Stück größer als sie, da sie nicht nur ihre Gesichtszüge, sondern gleich ihren ganzen Körper für diese verdeckte Mission angepasst hatte. Ein Vorteil für ihn, denn so konnte er ihr mühelos einen Kuss auf den Haaransatz drücken. Sie erschauderte.

Um sich von dem Ziehen in ihrem Magen abzulenken, besah sie sich sein verzaubertes Gesicht im Detail. Rasch kam sie zu dem Schluss, dass er ihr mit allen Spuren seines wahren Alters und den volleren Wangen deutlich besser gefiel als diese Erscheinung eines konventionellen Schönlings. Was sie auch sogleich aussprach. Dass sich Elphinstones Ohrenspitzen trotz seiner Verwandlung noch auf ihre übliche Art röteten, versöhnte sie zumindest etwas mit seiner gewählten Gestalt. So sehr sie ihre Lieblingsmagie auch schätzte, so ungern beobachtete sie deren Veränderungen an bekannten Menschen. Sie liebte Elphinstone nicht umsonst für all seine Eigenheiten – umso beruhigender war es daher, die vertrauten Details seiner Mimik wiederzufinden.

»Du weißt, wohin wir müssen?«, fragte sie, wohlwissend, dass ein richtiger Kuss nicht passieren würde, solange sie beide ein fremdes Gesicht trugen. Egal, wie sehr sie es sich herbeisehnte. Das brachte sie einfach nicht über sich.

Elphinstone nickte. »Es ist nicht weit. Nur ein Stück ...« – er legte seinen Zauberstab auf die Handfläche und murmelte einen Vier-Punkte-Zauber – »... dorthin.«

»Dann komm.«

Beieinander untergehakt setzten sie sich in Bewegung. Minerva hatte erwartet, dass sie nervös sein würde – beim Frühstück in der Großen Halle hatte sie Pomona damit vertrösten müssen, dass sie wirklich nur einen gebutterten Toast runterbrachte. Und zwar nicht wegen des baldigen Wiedersehens mit Elphinstone. Doch nun, da ihrer beider Ermittlung tatsächlich weiterging, war das Gedankenkarussell abrupt verstummt.

»Was macht unser Freund Benjamin Cowper?«, erkundigte sie sich. »Hast du ihm erzählt, dass wir heute seinem alten Arbeitsplatz einen Besuch abstatten?«

»Nein, das wär eh aussichtslos. Nachdem er letzte Woche auch auf die doppelte Dosis Veritaserum nicht angesprochen hat, müssen wir uns wohl mit der Aussicht abfinden, dass er nicht nur einem beliebigen Zungenfesselfluch unterliegt, sondern einem wirklich gelungenen.«

»So schlimm?«

Aus dem Augenwinkel registrierte sie, wie Elphinstone sich auf die Innenseite der Wange biss. »Er windet sich wie ein Flubberwurm. Ich schätze, die Befragung bereitet ihm Schmerzen ... auch wenn er versucht, es nicht zu zeigen.«

Sie hob eine Augenbraue. »Das klingt furchtbar!«

Er rieb sich den Nacken. »Nun, ja ...«

Prüfend musterte sie sein Profil. Er mochte verwandelt sein, aber die zu schmalen Strichen aufeinandergepressten Lippen oder verräterische Falten auf der Stirn waren bei allen Menschen ähnlich. »Phin ...«

»Ich bin nicht Mulciber, das weißt du, oder?«

»Natürlich.«

»Gut. Denn da es mir nichts bringt, diesen Mann sinnlos zu ärgern, befrage ich ihn selbstverständlich nicht weiter. Er wird seine gerechte Strafe so oder so bekommen. Das Dunkle Mal auf seinem Unterarm ist schließlich eindeutig.«

Zustimmend brummte sie.

»Hat sich denn an der Kirche noch etwas ergeben?«, fragte Elphinstone nun im Gegenzug. »Du hattest ja geschrieben, dass Professor Dumbledore sich selber ein Bild machen will.«

Jetzt war sie diejenige, die nur ein vages Seufzen von sich geben konnte. »Wir haben überhaupt nichts entdeckt. Nicht mal mit Albus’ Genie lassen sich Dinge finden, die gar nicht da sind. Und da wir keinen weiteren Vestigiator zur Verfügung haben ...« Sie hob die Schultern. »Cowpers Verbindung zu diesem Bestattungsinstitut ist unser einziger Anhaltspunkt.«

»Na, was für ein Glück, dass wir dort heute eine außerordentliche Betriebsprüfung vornehmen werden!«

»Glück ...« Sie warf Elphinstone einen durchdringenden Seitenblick zu. »Ich will wirklich nicht wissen, was du in den letzten zwei Wochen getan hast, um das alles hier zu arrangieren.«

»Dann werde ich auch nichts sagen.« Äußerst selbstzufrieden gluckste er und erinnerte sie daran, dass er eben ein wahrer Slytherin war. »Ach ja – hier ist im Übrigen dein Ausweis.« Er langte in seine Umhangtasche und zog ein in Leder gebundenes Stück Pergament hervor, auf dem das goldene Siegel des Zaubereiministeriums prangte. »Herzlichen Glückwunsch, Miriam McDougal, Sie sind jetzt eine frischgebackene zauberamtliche Betriebsprüferin.«

Mit zusammengekniffenen Lidern starrte Minerva auf den Ausweis, den er ihr vors Gesicht hielt. Das Passbild darauf war echt, denn es hatte sich von alleine ihrem verwandelten Äußeren angepasst. Diese Art magischer Bilder war durch das kostspielige wie aufwändige Herstellungsverfahren selten, aber ebenso notwendig für Pässe unterschiedlicher Art, um zu verhindern, dass Verwandlungen allzu häufig missbraucht wurden. Und sie waren in der Regel fälschungssicher. Was allerdings nicht hieß, dass man sie nicht auf einem gefälschten Pass anbringen konnte.

»Ich hoffe nur, dass niemand Verdacht schöpft«, grummelte sie. »Was du tust ist eine Sache, du bist immerhin Strafverfolger und hast gewisse Befugnisse, aber ich als Zivilistin sollte definitiv nicht hier sein. Wenn das auffliegt, bin ich meine Stelle in Hogwarts los. Mindestens.«

»Keine Sorge«, erwiderte Elphinstone und drückte ihr den Ausweis in die Hand. Dabei ließ er es sich nicht nehmen, diese sacht zu streicheln. »Ich habe Pippa informiert. Jetzt ist es endlich mal von Vorteil, dass ihre Moral stellenweise ähnlich lose ist wie Mulcibers. Sie wird nichts sagen, aber falls irgendwas schiefgeht, ist sie darauf vorbereitet uns zu helfen. Sie teilt nämlich meine Meinung, dass wir diese Verbindung so schnell es geht untersuchen sollten. Diskret versteht sich.«

Minerva seufzte und streckte ihr Gesicht in den Wind. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sich vorstellen, dass er Elphinstones zärtliche Berührung war. »Mir ist trotzdem nicht ganz wohl dabei, ausgerechnet einen gefälschten Ausweis zu benutzen. Das ist etwas anderes, als eigenständig nach einem verschwundenen Jungen zu suchen oder ein paar Häuser zu beobachten. Das ist genauso illegal wie Vielsafttrank zu benutzen. Und du weißt, in welche Schwierigkeiten uns das letztes Jahr gebracht hat.«

Sie hörte Elphinstone tief Luft holen. Ihr war klar, was er sagen würde.

Nachdem der Tagesprophet in den letzten Wochen gleich zweimal die Schlagzeile ‚Grabschänder schlagen (wieder) zu‘ hatte bringen müssen, war die mögliche Verbindung zwischen Benjamin Cowpers alter Arbeitsstätte und Voldemorts Umtrieben bedeutsamer denn je. Dass bereits fünf Tage nach den Ereignissen in der Kirche die erste Leiche von einem magischen Friedhof vermisst gemeldet worden war, hatte jeden Gedanken an einen Zufall bei ihr getilgt.

»Ich weiß, Phin«, kam sie ihm matt zuvor. »Wir tun nur Gutes. Das will ich gar nicht anzweifeln. Ich habe nur Sorge um uns.«

Elphinstone atmete leise pfeifend aus. Statt etwas zu sagen, zog er seinen Arm unter ihrem hervor und schlang ihn im Austausch eng um ihre Taille. Dankbar lehnte sie sich gegen seine Seite, obwohl das ihrer beider Schritte behinderte.

Eine Weile spazierten sie so durch die südenglische Hügellandschaft und genossen ihr gegenseitiges Schweigen, bis sich in der Ferne ein großes, schiefwinkliges Haus abzeichnete. Gleich vier Schornsteine ragten aus dem Dach, die ein jeder auf Hochtouren liefen. Je näher sie kamen, desto lauter wurde es zudem. Sägen, Schleifen, Hämmern – alle Geräusche stammten von verzauberten Werkzeugen unter der Kontrolle einer Hexe in Arbeitskleidung. Mit gezücktem Zauberstab stand sie auf dem Vorplatz und dirigierte Holzplatten umher. Hinter ihr an der Hauswand lehnten bereits einige fertige Werke: Särge.

Der Anblick genügte, damit Minervas Magen sich zusammenzog. Schweren Herzens löste sie sich von Elphinstone. »Na dann ...« Sie strich ihre Kleider glatt. »Auf in den Kampf.«

Elphinstone nickte und zog seinen falschen Ausweis hervor. Fast augenblicklich änderte sich seine gesamte Haltung. Die Sanftheit trat in den Hintergrund, um dem Strafverfolger in ihm Platz zu machen. In großen Schritten hielt er auf das Bestattungsinstitut zu. »Hallo?«, rief er schon von Weitem.

Die arbeitende Hexe wandte sich um. »Oh hallo!« Vorsichtig platzierte sie ein halbfertiges Bauteil neben sich, ehe sie die Hände überflüssigerweise an ihrem Overall abwischte und ihnen entgegenkam. Ihr ovales Gesicht zeichnete sich ausnahmslos durch Freundlichkeit aus. »Willkommen bei Burtons«, sagte sie in einem gemessenen Tonfall. »Wie darf ich Ihnen weiterhelfen? Falls Sie Interesse an unseren Sarggarnituren haben, müssten Sie bitte erst einen Termin ausmachen.« Mit dem Daumen wies sie über ihre Schulter zu einem großen Schild an der Hausfassade.

Kein Probeliegen/schlafen zu Geschäftszeiten, hieß es da.

»... Probeliegen?«, echote Elphinstone dumpf. Mit hochgezogenen Augenbrauen beäugte er die Särge in verschiedensten Fertigungsstufen, als könnte einer davon sich entscheiden, ihn mit Haut und Haaren zu verschlingen, wenn er sich nur näherte.

Die junge Sargmacherin runzelte die Stirn. »Entschuldigung – sind Sie keine Tagwandler?«

»Was?« Elphinstone lachte leise. »So würde ich mich jetzt nicht bezeichnen ... Was soll das überhaupt sein?«

»Nun, das ist natürlich nur einer von vielen Begriffen für vampirische Nachkommen«, erklärte die Hexe mit einem nachsichtigen Lächeln, als würde sie mit einem Kind sprechen. »Vielleicht ist in Ihrem Umfeld die Bezeichnung Scion geläufiger?«

»Ehrlich gesagt weder noch.« Elphinstone tauschte einen Blick mit Minerva, die ebenfalls nur mit den Schultern zucken konnte. »Ich höre auch gerade zum ersten Mal davon, dass es Vampire gibt, die bei Tageslicht nicht verbrennen.«

Ihr Gegenüber verkniff sich das Schmunzeln. »Ein hartnäckiger Aberglaube. Diejenigen, die nicht als Vampir geboren werden, sondern sich als Mensch an einen Meister binden, können bis zu ihrem ersten Tod durchaus in die Sonne treten. Aber da dies offensichtlich nicht auf Sie zutrifft, wollen Sie wahrscheinlich zu unserem Trauerberater? Der Haupteingang ist auf der anderen Seite. Ich bringe Sie gerne hin.«

Ausgebremst von so viel unerwarteten Erklärungen, vergaß Elphinstone glatt, ihr seinen Ausweis unter die Nase zu halten. »Danke, aber ich fürchte, wir haben keinen Termin ...«

»Das ist in diesem Fall kein Problem. Wir sind auch gerne im Notfall für Sie da.« Die Hexe bedachte sie beide mit einem entschuldigenden Nicken. »Mein Beileid im Übrigen für Ihren Verlust.«

Verlegen räusperte Elphinstone sich, doch Minerva kam ihm zuvor. »Wir sind weder zum Probeliegen noch in privater Angelegenheit hier«, gab sie zu. Kombiniert mit einem höflichen Kopfrucken ihrerseits zeigte sie das gefälschte Pergamentdokument vor.

»Oooh ...« Die Augen der jungen Hexe wurden so rund wie ihr Mund. »Eine Betriebsprüfung?«

»Leider«, erwiderte Elphinstone. »Ich würde mich auch lieber aufs Ohr legen. Wenn auch nicht unbedingt in einem Sarg.« Er hatte sich wieder gefangen und zeigte ein charmantes, aber doch professionelles Zwinkern.

»Nun, wenn das so ist, bringe ich Sie trotzdem gerne nach vorne zu unserem Institutsleiter. Hier entlang bitte.«

Sie folgten der Sargmacherin über das von Sägespänen übersäte Pflaster ums Haus. Obwohl es lächerlich war, lief Minerva beim Passieren der unfertigen Holzgestelle ein Schauer den Rücken hinab. Ihr Vater konnte in seinen Trauerpredigten noch so oft behaupten, dass der Tod nicht das Ende war und stets das Leben zu feiern blieb, sie mochte trotzdem nicht damit konfrontiert werden. Selbst Jahrzehnte später verfolgte sie der Anblick ihrer Großmutter, die starr auf weißem Samtfutter ruhte.

Elphinstone ließ sich nichts anmerken, aber er vermied es ebenfalls, die Sargrohlinge anzusehen. Wahrscheinlich war er in Gedanken bei seiner Schwester Elladora, die gerade erst ein halbes Jahr tot war. Am liebsten hätte Minerva seine Hand ergriffen – oder besser noch ihn in den Arm genommen. Lange konnte sie ihre Situation freilich nicht bedauern, denn schon gelangten sie durch Flügeltüren in einen kühlen Flur mit zur Hälfte holzgetäfelten, zu anderen Hälfte moosgrün gestrichenen Wänden. Magische Gemälde, auf denen langsam die Sonne über dem Meer aufging (oder eher unterging?), zierten den Weg.

Im Gegensatz zum geschäftigen Hinterhof strahlte das Innere des Bestattungsinstituts eine eigentümliche Ruhe aus. Fast so, als wäre es aus der Zeit gefallen. Dabei hörte man eindeutig das Pendel einer Standuhr schwingen. Vielleicht war das gedämpfte Licht schuld. Alles schien einen goldenen Schimmer zu haben, vom dunkelbraunen Parkett bis zu dem Broschürenständer, in dem Faltblätter aus Pergament über eine Reihe an Vampirservices informierten, gleich neben den Unterlagen für magische Einäscherungen und Ansichtsbeispielen von Grabschmuck.

Die angestellte Hexe führte sie daran vorbei zu einer weiteren Tür, an der ein Schild das Büro von Gwynn Galburn, dem Institutsleiter ankündigte. Sie klopfte dreimal, nur um im selben Atemzug schon einzutreten.

Das Zimmer dahinter verströmte ebenfalls eine geradezu heimelige Atmosphäre – was sicher auch an der gewaltigen Rankenpflanze lag, die sich um den Rahmen eines nicht minder riesigen Fensters wand und das Tageslicht mit ihren zarten Blättern filterte.

Anerkennend pfiff Elphinstone durch die Zähne. »Pandorea pandorana, noch dazu ein echtes Prachtexemplar!«

Nur zu gerne hätte Minerva sich ebenso an den wunderhübschen weißen Blüten erfreut. Doch in einem von zwei gemütlich aussehenden Sesseln unterhalb des Blumenrahmens saß jemand, den sie kannte. Zusammen mit dem Leiter von Burtons Bestattungsservice drehte ausgerechnet ihr ehemaliger Ministeriumskollege Alston Mulciber seinen Kopf zur Tür.

Elphinstones Pfiff verklang abrupt.

»Purnia, was soll die Störung? Ich habe noch einen Kunden.« Der überraschend junge Mann, der Gwynn Galburn sein musste, begutachtete sie mit gerunzelter Stirn.

Am liebsten wäre Minerva an Ort und Stelle eins mit dem Boden geworden. Es kostete sie alle Kraft, ihre Augen nicht ertappt von der Szenerie abzuwenden. Die Erkenntnis, dass Galburn zudem viel zu jung war, um Benjamin Cowper vor seinem Rauswurf gekannt zu haben, half nicht dabei, dass sie sich besser fühlte.

»Tut mir leid Gwynn, ich wusst nicht, dass du noch wen dahast«, erwiderte ihre Begleiterin. »Stand nicht im Kalender. Aber das hier sind Beamte von der Betriebsaufsicht, also ...«

»Schon gut. Ich bin hier eh fertig.« Ein angestrengtes Lächeln, das wohl sein äußerstes Maß an Höflichkeit darstellte, zierte Mulcibers Züge, als er aufstand. Im Gegensatz zu Galburn widmete er ihrem Dreiergespann keinen zweiten Blick.

Gleichwohl wagte Minerva kaum zu atmen. Was, wenn er sie trotz ihrer Verwandlung erkannte? Sie schielte aus dem Augenwinkel zu Elphinstone hinüber. Er trug einen neutralen Gesichtsausdruck zur Schau, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Nur sie konnte sehen, dass er die Fingernägel in den Handballen bohrte.

»Ich nehme das blaue Frühlingsarrangement für Maybells Grab«, erklärte Mulciber derweil in gelangweiltem Tonfall. »Mit wöchentlichen Auffrischungszaubern. Das Gleiche in Gelb für meine Mutter. Aber pflanzen Sie bei May zusätzlich drei Maiglöckchen. Und für meinen Vater ... nutzen Sie, was immer wegmuss. Hauptsache, es kostet nicht mehr als zwei Galleonen. Das sollte reichen, damit er mich nicht heimsuchen kommt.«

»Ah ...« Gwynn Galburn rang sich ein Nicken ab. »Natürlich. Laufzeit wie immer?«

»Sicher.« Mit diesem Wort drehte Mulciber sich auf dem Absatz um und hielt geradewegs auf die Tür zu, seine Hände in den Umhangtaschen vergraben. Falls er sie erkannte, verriet er es mit keiner Regung.

Instinktiv drückte Minerva sich eng an Elphinstone, um ihrem alten Bekannten Platz zu machen. Der gab nicht mal ein »Danke« von sich, sondern rauschte in einem Schwall kalter Luft an ihnen vorbei. Minerva war nicht sicher, ob sie es sich einbildete, aber sie hätte schwören wollen, dass er nach Räucherwerk roch. Bevor sie jedoch weiter darüber nachdenken konnte, wandte Gwynn Galburn Elphinstone und ihr seine Aufmerksamkeit zu.

»Nun«, sagte er und lächelte matt, »da geklärt ist, dass der werte Herr seinen Vater wirklich nicht leiden kann – was darf ich für Sie tun? Sie sind wahrscheinlich nicht bloß hier, um meine Pandorea zu bewundern.«

Wenn man Minerva gefragt hätte, wie sie sich einen Bestatter vorstellte, dann hätte sie an einen dürren älteren Herrn in schwarzem Anzug gedacht. Mit Halbglatze, einer kleinen Drahtbrille und ohne jeglichen Sinn für Humor. Nichts davon traf auf den Mann zu, der ihnen nun entgegentrat. Außer vielleicht, dass er von schmalem Körperbau war und nicht aussah, als könne er einen Sarg stemmen.

Gwynn Galburn – der volles, braunes Haar hatte – trug eine taillierte Robe in dunklem Aubergine, die mit bronzenen Seidenfäden bestickt war. Trotz dieser modischen Gemeinsamkeit mit Albus schaffte er es, nicht altbacken auszusehen. Vermutlich retteten ihn seine Jeans und Stoffschuhe, die zwar sauber und ordentlich, aber alles andere als magisch waren.

Überhaupt wirkte er wie ein grundlegend entspannter Mensch, was in seinem Beruf wahrscheinlich nur von Vorteil war. Selbst als Minerva ihren angeblichen Ministeriumspass vorzeigte, funkelte in Galburns Augen ungebrochene Fröhlichkeit.

»Bitte sehen Sie mir die Überraschung nach«, meinte er unbekümmert, »ich dachte, wir wären erst im nächsten Jahr wieder an der Reihe damit, unsere Betriebsgenehmigung zu erneuern.«

»Das stimmt, aber das ist der Charme an außerplanmäßigen Kontrollen«, gab Elphinstone zurück. »Man weiß nie, wann es so weit ist. Wir wollen schließlich alles sehen, was für gewöhnlich weggeräumt wird. Sonst können wir ja gar keine unbequemen Fragen stellen.«

»Verständlich.« Galburns verschmitztes Lächeln flackerte nicht einen Moment. »Dann müssen Sie aber auch damit vorliebnehmen, dass wir heute noch keinen Erfrischungszauber durch die untere Etage geschickt haben. Es könnte also etwas ... speziell riechen. Vielleicht möchten Sie ein Taschentuch mitnehmen? Dann zeige ich Ihnen sofort unsere Räumlichkeiten.«

Noch während er sprach, nickte er seiner Angestellten zu und diese wieselte rasch davon, nur um sogleich mit zwei stark parfümierten Stofftüchern zurückzukehren. Dankbar nahm Minerva eines an sich. Ihr Stolz durfte heute gerne zurücktreten, wenn sie schon nicht Elphinstones Hand zerquetschen konnte wie bei ihrem letzten Ausflug in eine Leichenhalle.

Elphinstone nahm das Tuch ebenfalls an und dann begaben sie sich auf die Reise durch Gwynn Galburns Reich. Große Nachfragen brauchten sie gar nicht stellen, der junge Bestatter sprudelte auch so vor Enthusiasmus über. Er zeigte und erzählte ihnen alles, angefangen von den Beratungszimmern für trauernde Angehörige und den angebotenen Optionen für Beisetzungen jeglicher Art. An Land, zu Wasser und sogar in der Luft, mitsamt dem Verstreuen der Asche von einem Besen aus – natürlich in feinsäuberlich Abstimmung mit Muggelschutzmaßnahmen – nichts war unmöglich. Auch die bereits gesehene Sargherstellung (aus sämtlichen gängigen Zauberstabhölzern, abgestimmt auf die eigene Persönlichkeit, und ergänzt von allerlei Sonderoptionen für Schutzrunen) ging er detailliert durch, bis schlussendlich nur die eigentliche Behandlung der toten Körper ausstand.

»Hier haben wir unseren großen Versorgungssaal, in dem wir die frisch Verstorbenen für ihre letzte Reise vorbereiten«, verkündete Galburn im Kellergeschoss angelangt mit ausgebreiteten Armen.

Minerva presste sich das Taschentuch fester vor die Mundpartie. Der Raum erinnerte stark an die Gerichtsmedizin des St.-Mungo-Hospitals mit seiner metallischen Einrichtung und den blanken Fliesen. Es half nicht, dass in der Mitte der Körper eines alten Zauberers unter einem eigenartigen grünen Schimmer thronte.

»Der eigentliche Abschied von den Toten findet natürlich oben, in der kleinen Andachtskapelle oder auf dem ausgewählten Friedhof statt – manchmal auch im Heim der Familie, je nach den Umständen«, führte Galburn ungerührt weiter aus, bevor er damit begann, ihnen in erschreckender Detailverliebtheit den Prozess der Aufbereitung eines Leichnams zu beschreiben (was unter anderem den Ablass diverser Körperflüssigkeiten beinhaltete – eine Vorstellung, die Minervas Mageninhalt definitiv beunruhigte).

Wäre sie echte Betriebsprüferin, hätte sie sämtlichen persönlichen Abneigungen entgegen dennoch kaum Negatives in ihren Bericht schreiben können. Alles war genau im rechten Maß unordentlich – ein paar Akten aus denen lose Blätter hervorquollen beispielsweise oder ein Kühlzauber, der wenige Tage über sein angegebenes Haltbarkeitsdatum hinaus war. Die Unterlagen des St.-Mungos waren feinsäuberlich den richtigen Toten zugeordnet und es gab keinen Körper, der nicht eindeutig zur Beerdigung freigegeben oder in einem tadellosen Zustand war. Etwas anderes hatte sie freilich nicht erwartet, immerhin war Benjamin Cowper einst der Arbeitsvertrag gekündigt worden, aber ernüchternd blieb es dennoch, wie normal der Betrieb ablief. Keine der demonstrierten Tätigkeiten eignete sich nur im Entferntesten für schwarzmagische Umtriebe.

Zum Glück sah Galburn hinter dem parfümierten Taschentuch ihren missmutigen Ausdruck nicht. Nachher hätte er es als Reaktion auf seine Arbeit missverstanden, denn er präsentierte ihnen gerade – nicht ohne Stolz – jene Körperstellen des Toten in der Raummitte, die er zuletzt kosmetisch behandelt hatte.

»Sehen Sie, eigentlich haben sich bei dem armen Mann schon längst wenig erfreuliche Totenflecken gebildet, aber mit unserer patentierten Tinktur und einigen geschickten Zaubern sieht man inzwischen nicht mehr, dass der Herr fast drei Wochen in seiner Wohnung lag, bevor man ihn gefunden hat. Jetzt kann seine Familie Abschied von ihm nehmen, ohne dass ihre Erinnerungen von den Spuren des Todes überschattet werden.« Geradezu andächtig zog Galburn das weiße Laken wieder bis zum Hals des Toten. »Das ist für mich persönlich immer der wichtigste Part. Dass wir den Hinterbliebenen mit unserem Service ein bisschen Frieden geben können. Egal wie die Umstände des Todes auch gewesen sein mögen.«

Elphinstone, der sein Taschentuch inzwischen unter den Ellenbogen geklemmt hatte, um sich anzusehen, was seine selbstschreibende Feder notiert hatte, nickte dem Bestatter anerkennend zu. »Das haben Sie schön gesagt, Mr Galburn. Ich muss gestehen, ich bin das erste Mal auf einem Einsatz wie diesem und hätte nicht erwartet, ausgerechnet hier so viel ... Fürsorge zu erleben.«

Ein verlegenes kleines Husten kam von Galburn. »Dieser Beruf ist nicht gerade positiv konnotiert, was? Ich kann es Ihnen nicht verdenken. Die meisten Menschen, die mich kennenlernen, halten mich für einen Exzentriker.« Seufzend sah er auf seine Hände hinab. »Oder sie erwarten gar, dass ich der schwarzen Magie verfallen bin und Unaussprechliches tue.«

Das Schuldgefühlunkraut in Minervas Brust raschelte mal wieder leise mit den Blättern. Der Höflichkeit halber zwang sie sich, das Taschentuch ebenfalls vom Mund zu nehmen und Galburn ein Lächeln zu schenken. »Dabei tragen Sie in Wahrheit eine Menge Verantwortung. Man könnte Ihre Position leicht missbrauchen ...«

»... aber Sie helfen lieber den Menschen«, beendete Elphinstone ihren Satz.

Galburn rieb sich den Nacken. »Irgendwer muss diese Arbeit ja machen. Und ich hatte irgendwie nie diesen ... Ekel, schätze ich, den andere Menschen vor dem Umgang mit dem Tod haben. Aber er fasziniert mich auch nicht, verstehen Sie mich da bitte nicht falsch! Sehen Sie das?« Er wies gen Decke. Dort hing eine Art umgedrehte Käseglocke, in deren Innerem heller Nebel wirbelte. »Das habe ich installieren lassen, als ich vor zwei Jahren aus Wales hierher gewechselt bin und die Verantwortung von Mr Burton übernommen habe.«

»Eine Art Diebstahlsicherung ...?«, mutmaßte Elphinstone.

»Nein, nein – dieser Alarmzauber reagiert auf eine Liste von rund 32 schwarzmagischen Zaubern und Flüchen. Sobald einer in diesem Raum ausgeführt wird, verfärbt sich der Schleier rot und lautes Geheul ertönt. Es ist mir sehr wichtig, ein Auge darauf zu haben, was hier unten passiert. Ich könnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, sollte sich herausstellen, dass jemand versucht, unlautere Praktiken an den Toten in meiner Obhut durchzuführen. Egal ob es Auszubildende sind, die eine schnelle Galleone mit dem Verkauf von Organen an illegale Tranklabore verdienen wollen, oder schwarze Experimente.«

»Ist es denn schon vorgekommen, dass ihr Zauber ausgelöst hat?«, hakte Minerva nach.

Gwynn Galburn schüttelte den Kopf. »Zum Glück nicht.«

»Mh ... worauf würde er denn so hypothetisch reagieren? Wenn Sie den Zauber kreiert haben, müssen Sie ja eine Idee haben, was man mit Leichen schlimmstenfalls anstellen kann.«

»Ah ...« Einen Moment lang rang Galburn seine Hände. »Ich weiß nicht, ob ich da wirklich ins Detail gehen sollte.«

Verständnisvoll lächelte Elphinstone ihm zu. »Glauben Sie mir, ich bin auch nicht scharf auf diese Unterhaltung, aber meine Kollegin hat recht – wenn es zu Ihren Sicherheitsmaßnahmen gehört, müssen wir uns ein Bild davon machen.«

»Natürlich.« Galburn leckte sich über die Lippen. »Also zum einen wären da Zauber, die dem Körper Energie entziehen. Wussten Sie zum Beispiel, dass die körpereigene Magie nach dem Tod noch mehrere Wochen aktiv bleibt? Deshalb wirkt beispielsweise die Tinktur gegen Totenflecken so gut, weil sie sich diese Kraft zunutze macht.«

Überrascht ließ Minerva die Hand mit ihrem Taschentuch weiter sinken. Ihr war, als hätte sie von dieser Art Magiefunken schon einmal gehört, aber sie konnte nicht den Finger darauf legen wo und wann.

»Diesen letzten Rest Magie kann man für eine Vielzahl äußerst schwarzmagischer Rituale missbrauchen«, fuhr Galburn fort. »Er ist leider ein sehr wirkungsvolles Ingredienz. Das ist unter anderem einer der Gründe dafür, warum St. Mungo in den 60ern damit aufgehört hat, den Eltern von vor oder während der Geburt verstorbenen Babys diese konservierten Lebensfunken als letztes Andenken mitzugeben. Heutzutage ist es allgemein Konsens in der Heilerschaft, dass es besser ist, den Körper nicht von seiner Magie zu trennen. Nicht anders handhaben wir es hier.«

»Huh ...« Nachdenklich tappte Elphinstone mit der Fußspitze auf den Fliesenboden. »Für welche Rituale braucht man bloß solch finstere Maßnahmen? Das muss ja wirklich schreckliche Magie sein ...«

»Oh sicherlich«, brummte Galburn. »Aber mit den Details dieser Hexerei bin ich selbstverständlich alles andere als vertraut!«

Ehe er sich weiter aufregen konnte, intervenierte Minerva. »Natürlich nicht. Aber worauf reagiert der Alarm denn noch? Ich finde diese Erfindung wirklich faszinierend. Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, sie verpflichtend für alle Einrichtungen dieser Art zu machen, wenn so große Gefahr für Missbrauch besteht.«

Bei dieser Anmerkung wuchs Galburn sichtlich. »Das wäre eine große Ehre! Sicher kann man den Alarm auch noch verbessern, aber im Moment reagiert er zusätzlich noch auf Flüche, die darauf ausgelegt sind, einen Körper zu animieren.«

»Sie meinen ... Nekromantie? Also einen Toten wiederbeleben?«

Galburn verzog das Gesicht. »Diesen Begriff würde ich nicht verwenden. Eine wahre Wiederbelebung dürfte unmöglich sein. Ich weiß, schon seit Anbeginn der Zeit haben Menschen daran geforscht, geliebte Personen zurückzubringen. Aber ich denke, wenn es eines gibt, das Magie nicht besiegen kann, dann ist das der Tod. Vielleicht weil er selber der Urmagie entstammt ...«

»Glauben Sie etwa an das Märchen der drei Brüder?« Elphinstone klang amüsiert.

Sichtlich ertappt zuckte Galburn zusammen. »Natürlich glaube ich nicht, dass der Tod eine Person ist – aber egal. Was ich meinte sind Zauber, die den toten Körper mit schwarzer Kraft erfüllen und ihn dazu zwingen, sich zu bewegen oder gar dem Willen eines anderen zu dienen. Allerdings ist der Erfolg dessen vor allem eins – bloße Theorie.«

Minerva blickte hinüber zu Elphinstone. In seinen Augen konnte sie das Funkeln derselben Befürchtung weichen sehen, die auch ihr Herz erfüllte: Noch. Mit einem schalen Gefühl in der Magengegend bedankten sie sich bei Galburn und ließen sich von ihm zurück in das warme Obergeschoss führen, wo die junge Sargmacherin schon auf sie wartete.

»Ich habe den Kamin bereits vorgewärmt«, sagte sie und streckte ihrem Chef eine Schatulle voller Flohpulver entgegen.

»Kamin?« Mindestens ebenso überrascht wie Minerva sah Galburn seine Angestellte an. »Wovon redest du, Purnia?«

Die Hexe zuckte mit den Schultern. »Soll es nicht nach Caerphilly gehen? Ich dachte, das würd zur Tour gehören.«

»Caerphilly ... ich wüsste nicht ...« Galburn lachte verlegen und rieb sich die Schläfe.

»Caerphilly in Wales?«, wandte Elphinstone sich an Purnia. »Meinen Sie den Ort, wo Mr Galburn vorher gearbeitet hat? Er erwähnte unten so etwas.«

»Genau.« Purnia wies auf den Broschürenständer, wo diverse in Walisisch bedruckte Pergamente steckten. »Ursprünglich hatten wir eine Dienststelle in Caerphilly, wo auch Gwynn und ich unsere Ausbildung gemacht haben. Allerdings mussten wir diese Anfang letzten Jahres schließen, weil wir nicht genug Angestellte haben, um beide Institute zu unterhalten. Und dank des Flohnetzwerks können wir ja auch so alle Inseln abdecken, von daher ... wahrscheinlich ist es wirklich nicht wichtig, dass Sie das Gebäude besichtigen. Da ist ja nix mehr los. Wir warten eigentlich nur noch darauf, dass sich ein Käufer findet –«

»Solange es noch offiziell zu Ihrem Betrieb gehört, müssen wir uns das ansehen«, fiel Minerva ihr rasch ins Wort. Vor lauter Aufregung wurde das Pergament in ihrer Hand ganz knittrig. »Tut mir leid, aber das ist Vorschrift, Mr Galburn.«

Der Institutsleiter sah auf. »Oh, ähm ...« Er blinzelte wie eine Katze nach einem ausgiebigen Mittagsschläfchen. »Ja. Caerphilly ... tut mir leid. Das hätte ich fast vergessen – ich schätze, ich bin gerade etwas müde. Aber natürlich bringe ich Sie hin. Purnia, holst du uns bitte die Adresse?«

»Die kennst du doch.«

Galburn massierte in kreisenden Bewegungen seine Schläfe. »Für unsere Gäste«, brachte er grimassierend hervor.

»Na gut ...« Die junge Hexe zog ihre Augenbrauen hoch, verschwand dann aber, um eine Broschüre zu holen, auf der die Waliser Adresse aufgedruckt war.

Nicht lange danach standen Minerva und Elphinstone in der nächsten holzgetäfelten Eingangshalle, die sich nur insofern von ihrem Pendant in Südengland unterschied, dass eine dicke Staubschicht auf den Bilderrahmen und dem Broschürenständer hier residierte.

Ursprünglich hatte das Institut gar nicht zu Burtons gehört, klärte Galburn sie auf. Erst vor einigen Jahren waren die beiden Bestattungsunternehmen nach dem Tod des eigentlichen Gründers verschmolzen und dann wiederum hatte Mr Burton sein gesamtes Geschäft Galburn vermacht.

»Eine Schande, das Gebäude jetzt verfallen zu sehen«, meinte dieser mit einem Seufzen, während er an seinem Schlüsselbund nach dem richtigen Schlüssel zur unteren Etage suchte.

»Ganz so ungenutzt kommt es mir hier gar nicht vor.« Elphinstone deutete mit der Spitze seines Zauberstabs auf den Fußboden ringsum. »Hier liegt kaum Staub. Nur auf der Einrichtung.«

Minerva folgte seinem Blick. Er hatte recht – wie schon in der Kirche zogen sich verdächtig saubere Spuren über das Parkett. Sie ging in die Hocke und schnupperte. In Menschengestalt waren ihre Sinne zwar längst nicht so effektiv, doch der stechende Geruch von Zitrone schaffte es trotzdem in ihre Wahrnehmung.

»Das war ein Reinigungszauber«, murmelte sie. »Ziemlich frisch ...«

»Nein – das kann nicht sein.« Galburn schüttelte den Kopf. »Hier hat niemand Zugang, höchstens meine Mitarbeiter!«

Kling.

Es war nur ein ganz leises Geräusch, als käme es aus einem sehr schlecht eingestellten Fernseher, in dem wiederum ein Krimi lief, der sich auf seinen Höhepunkt hinarbeitete. Und gerade deshalb reichte das Klirren, damit sie alle drei ihren Atem anhielten.

Minerva schnappte nach Elphinstones Umhangärmel. Vielsagend sah sie in Richtung der Kellerräume und er nickte. Mit ausgestrecktem Zauberstab ging er vor. Beide ignorierten sie Galburn, der erst erbleichte, ehe er so hastig die Schlüssel auf seinem Bund durchging, dass er direkt durcheinanderkam.

»Das sind bestimmt nur Wichtel«, haspelte er. »Im Garten ist ein Nest von denen, freche Biester ...«

Elphinstone musterte den abgegriffenen Türknauf, dann seinen Stab – und schließlich stupste er mit dessen Spitze gegen das Metall. Die Tür schwang umgehend ein Stück zurück. »Ich sage es ungern«, wisperte er über die Schulter nach hinten, »aber Wichtel knacken keine Schlosszauber.«

Hätte Galburn noch blasser werden können, wäre er durchsichtig gewesen wie ein Geist. »Aber weshalb ... wer sollte ...« Aus weit aufgerissenen Augen starrte er von Elphinstone zu Minerva. In gepresstem Ton ergänzte er: »Ich habe den Kamin immer geschlossen gehalten, ich schwöre es!«

Mahnend hob Minerva ihren Zauberstab gegen die Lippen, bevor sie ihn flach auf die Hand legte und »Homenum Revelio« murmelte.

Nichts geschah.

Galburn atmete hörbar aus, doch Minerva ließ ihm diesen Triumph nicht. »Haben Sie je dran gedacht, Ihr Kaminpasswort zu ändern?«, zischte sie. »Oder gar zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen? Oder hätte jeder hereinspazieren können, der das in Erfahrung gebracht hat?«

Aus Galburns Blässe wurde Röte. »Wir haben ein sehr sicheres Passwort ... außerdem ist es es schwer, sich ständig ein neues zu merken ... schon mein Vorgänger hat diesen Schutz verwendet –«

»Dann sind Wichtel wohl unser geringstes Problem.« Ohne auf Galburns Gestammel zu achten, schob Minerva sich an ihm vorbei. Den Zauberstab erhoben, stieg sie die Treppe hinab, Elphinstone direkt auf ihren Fersen.

Mit jedem Schritt wurde die Luft stickiger, anstatt kühler. Natürlich – das Institut war ja stillgelegt. Dazu passend schien auf den ersten Blick im Schein ihres Lichtzaubers alles unberührt. Die meisten Einrichtungsgegenstände waren fortgeschafft und somit fehlte dem Raum ein großer Teil seiner unheimlichen Wirkung. Insbesondere wenn man sah, dass tatsächlich mehrere flügellose blaue Geschöpfe durch die Luft jagten und kichernd so etwas wie einen Ball hin und her warfen.

Sobald sie Minerva bemerkten, stellten die Wichtel allerdings ihr Treiben ein und drängten sich dicht um ihr Spielzug. Im gleichen Atemzug keuchte weiter hinten Galburn auf.

»Mein Zauber!«

Dieses Mal schob er Minerva unsanft zur Seite.

»Aber ...«

In der Käseglocke unter der Decke, von der kopfüber ein Wichtel baumelte und ihnen eine lange Nase zeigte, waberten die Spuren roten Nebels.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Alle schottisch-gälischen Aussagen sind von mir selber (mithilfe von Sprachseiten) übersetzt worden. Da ich die Sprache nur auf Anfängerniveau beherrsche, will ich nicht ausschließen, dass die Übersetzungen nicht perfekt sind, ich gebe aber mein Bestes.
„Feuch, innsidh mi dhut cho mòr ’s a tha gaol agam ort“ heißt übersetzt so viel wie „Please, let me tell you, how much I love you/Bitte, lass mich dir sagen, wie sehr ich dich liebe“.
„Oidhche mhath, a ghràidh“ heißt schlicht „Good night, (my) love/Gute Nacht, Liebling/Schatz“ („Ghràidh“ ist ein Kosewort, das von „gràdh“, einem der gälischen Worte für Liebe kommt – in dem ersten Satz verwendet Elphinstone übrigens das intensivere „gaol“ für (intime) Liebe). Komplett anzeigen

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