Was hatte sich der FBI Agent nur dabei gedacht? Er handelte doch sonst nicht so spontan. Doch auch für Shuichi war die Situation alles andere als normal gewesen. Er hatte seine kleine Schwester Masumi seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gesehen.
Shuichi Akai arbeitete bereits seit etwas mehr als zwei Jahren für das FBI. Sein Einstieg verlief relativ unspektakulär. Es gab keinen Fall an den er gesetzt wurde und auch sein damaliger Partner musste ihn erst noch auf den Boden der Tatsachen zurückholen.
Akais Kopf dröhnte und seine Glieder schmerzten. Er hatte zudem Probleme beim Atmen. Seit langer Zeit fühlte sich sein Körper träge an. Und auch wenn er es nie laut aussprechen würde, er wollte zurück in sein Bett. Nur mit Mühe war er überhaupt aufgestanden.
Jodie lief gedankenversunken die Straße entlang. Seit längerem überlegte sie, welche Möglichkeiten das FBI noch hatte, um gegen die Organisation einen Sieg zu erringen. Doch es war alles andere als einfach.
Es war kalt. So kalt. Eiskalt. Und trotzdem kam man nicht drumherum seine Wohnung zu verlassen. Auch Jodie gehörte zu den Menschen, die die wärmere Jahreszeit bevorzugte.
Ungläubig blickte Shuichi auf den Säugling in James Armen. Anschließend schaute er auf den Korb am Boden. Normalerweise sah man so etwas nur in vielen, eher unrealistischsten Filmen.
Um Kirs Position innerhalb der Organisation zu stärken und um eine Kontaktperson zu haben, die einen regelmäßig mit Informationen versorgte, hatte Shuichi seinen Tod vorgetäuscht. Es war eine heikle Angelegenheit und die Wahrheit kannten nur wenige Personen.
Als Jodies Wecker klingelte, sprang sie nahezu aus dem Bett. Sie hatte sich wochenlang auf die Hochzeitsfeier ihrer Kollegen gefreut und auch mehrere Stunden im Einkaufszentrum verbracht. Und dann hatte Jodie das perfekte Kleid gefunden.
„Oma! Oma!“ Die Kinderstimmen wurden immer lauter. „Oma! Oma!“ Noch lauter.
Jodie – mittlerweile eine alte Frau – setzte sich in ihrem Bett auf. Vor Wochen war sie noch eine agile ältere Dame gewesen, die vor nichts zurückschreckte. Doch sie hatte abgebaut.
Einkaufen. Es gab nur wenig Dinge, die besser waren als Einkaufen. Dinge, die sie gern mit Shu machte, aber auf die sie nun verzichten musste.
Jodie mochte das Einkaufen in kleinen Ladengeschäften wie auch in den größeren Einkaufszentren.
Aus einer Laune heraus hatte Jodie Inspektor Megure vorgeschlagen, dass sie ihm und seinen Leuten Englischunterricht geben könnte. Als Amerikanerin in Japan wusste die Agentin nur zu gut, wie schwer es gewesen war, mit den Menschen in Kontakt zu treten.
Shuichi ging zu seinem Wagen, stieg ein, schnallte sich an und fuhr los. Er beobachtete den Verkehr und hörte nebenbei die Nachrichten im Radio. Seit einer Woche unterstützten sie die japanische Polizei und verfolgten einen Serienmörder.
Shuichi fühlte sich müde und erschöpft. Der Tag war zweifelsohne lang und seine Auseinandersetzung mit Bourbon machte es nicht gerade besser. Doch er musste funktionieren, denn ansonsten würde er keine Leben retten können.
Jodie fuhr gerne Zug. Doch in den letzten Jahren musste sie immer mehr auf dieses Verkehrsmittel verzichten. Die Gründe waren vielseitig. Zum einen war sie nahezu auf ihr Auto angewiesen und zum anderen gab es für weitere Entfernungen andere Transportwege.
Das Wetter war nahezu perfekt. Perfekt für ein Date mit Shuichi. Doch leider war es kein Date. Zumindest nicht offiziell.
Die Sonnenstrahlen umspielten Jodies Gesicht während nur wenig schneeweiße Wolken langsam am hellblauen Himmel dahinzogen.
Je später es wurde, desto mehr Menschen tummelten sich auf den Straßen in Beika. Die meisten von ihnen trugen eine Verkleidung, aber es gab auch jene, die sich dem neuen Brauch noch immer verwehrten.
Halloween.
Versteckt in der Dunkelheit beobachtete Vermouth in ihrem schwarzen Wagen argwöhnisch das Haus der Familie Starling. Während sie das Foto des Agenten, welches an ihrem Rückspiegel hing, betrachtete, krallte sie sich mit den Händen in das Lenkrad.
Vermouth saß in ihrem schwarzen Wagen und beobachtete argwöhnisch das Haus der Familie Starling. Sie krallte sich mit der rechten Hand in das Lenkrad und betrachtete dabei das Foto des Agenten, welches an ihrem Rückspiegel hin.
Wach auf.
Wach auf.
Wach auf.
Die Stimme. Fern. Bekannt. Nah.
Wach endlich auf.
Wieder diese Stimme.
Wach doch bitte auf.
Er hörte sie.
Mach die Augen auf.
Seine Augenlider zuckten.
Shuichi.
Lauter.
Jodies Hand zitterte beim Lesen des Blattes Papier. Ihr Gesicht war binnen weniger Sekunden kreidebleich geworden.
„Jodie?“
Die Agentin reagierte nicht.
„Jodie?“, fragte Akai erneut und griff anschließend nach dem Zettel in ihrer Hand.
Shiho betrat das provisorische Krankenzimmer, welches seit einigen Monaten ihren neuen Arbeitsplatz darstellte. „Guten Morgen“, sagte sie ohne eine Antwort zu erwarten. Wie immer gaben die Geräte den gleichen monotonen Ton von sich.
Shuichi öffnete die Wagentür und stieg ein. Als Jodie neben ihm Platz nahm, fuhr er mit quietschenden Reifen los. Er sah zu ihr. „Alles in Ordnung? Bist du getroffen?“
„Nur ein Streifschuss“, murmelte Jodie und schnallte sich an.
Vermouth saß in ihrem schwarzen Ford und beobachtete das Haus der Familie Starling. Sie krallte sich mit der linken Hand in das Lenkrad und betrachtete dann das Foto des Agenten, welches an ihrem Rückspiegel hing. Sein Gesicht war mit einem roten Kreis umrandet und verunstaltet.
Er betrachtete sein Spiegelbild. Schwarze Stoffhose. Weißes Hemd. Schwarzes Jackett. Herausgeputzt. Und obwohl er sich selbst im Spiegel erkannte, stand doch jemand anderes vor ihm. Und dennoch würde er diesen Tag durchstehen. Für sie.