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Diagnose: Schreibblockade

Dreimonatige Challenge
von

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21.5.2024: Nettigkeit

„Ich hab ja schon immer gesagt, dass dieser Kerl nicht nur aus Nettigkeit handelt!“

Kaum hatte Hellen ihrer Schwester die Tür geöffnet, tat die auch schon ihre Meinung über den ehemaligen Schwager in spe kund.

„Wenn ich den in die Finger kriege, kann er was erleben, Kleines!“, zog Judith, die gut einen Kopf kleiner als Hellen war, ihre jüngere Schwester in die Arme.

„Ist das schön, dich zusehen!“, murmelte die und schmiegte sich an Judiths Lockenpracht. Wie oft hatten die Schwestern früher Auseinandersetzungen wegen Richard gehabt, weil Judith nie einen Hehl aus ihrer Abneigung gegen ihn gemacht hatte. Und genau das war jetzt, was Hellen unendlich gut tat. Judith sprach gewissermaßen das aus, was ihr an Worten fehlte oder was sie in den letzten Tagen schon so oft gesagt und gedacht hatte, dass sie sich inzwischen fühlte, als hätten die Worte an Bedeutung verloren.

„Danke, dass du gekommen bist“, löste Hellen sich aus der Umarmung und schaute Judith glücklich an. Die seufzte aber beim Anblick ihrer kleinen Schwester aus und schüttelte den Kopf.

„Was hat dieser Mistkerl dir nur angetan. Aber das kriegen wir schon wieder hin“, meinte sie und strich Hellen über die fahle Wange.

„Jetzt kommst du erst mal mit!“

Hellen nickte und führte Judith in die Küche, wo Jenny ihren Gästen etwas zu essen und zu trinken vorbereitete.

„Hallo“, ging sie auf Judith zu und die beiden Frauen reichten einander die Hände.

„Danke, dass Sie sich um Hellen gekümmert haben“, meinte Judith, aber Jenny winkte ab.

„Kein Problem“, sprach sie mit einem Lächeln und gemischten Gefühlen. Kaum war Hellen bei ihr untergekommen, hatte sie schon die sonstige Ruhe in ihrer Wohnung zurückgesehnt, aber jetzt, da sie sich ein wenig an die Mitbewohnerin auf Zeit gewöhnt hatte, war es doch seltsam, dass sie in Kürze wieder ausgezogen sein würde.

„Das würde sicherlich nicht jeder tun“, meinte Judith nun und betrachtete Jenny aufmerksam. Sie hatte wache Augen und schien deutlich resoluter als ihre Schwester.

„Natürlich komme ich für die Kosten auf. Was bekommen Sie?“, fragte sie und brachte damit sowohl Jenny als auch Hellen in Verlegenheit.

„Ich geb dir das Geld natürlich so schnell wie möglich wieder“, warf Hellen ein, aber Judith wehrte ab, dass das schon okay sei.

„Ach, ich weiß gar nicht… es waren ja nur ein paar Tage und Hellen hat wirklich wie ein Spatz gegessen“, zuckte Jenny leicht die Schultern und machte eine wegwerfende Handbewegung, während Hellen mit einem schiefen Lächeln antwortete. Ja, sie hatte wirklich kaum etwas herunter bekommen können, was auch Judith ihr ansah. Dennoch zückte die ihr Portemonnaie und legte Jenny einen Fünfzig Euro Schein auf den Küchentisch.

„Dann ist es damit hoffentlich abgegolten. Wenn es nicht reicht, melden Sie sich bitte“, sprach sie und erstickte den aufkommenden Protest sogleich im Keim, indem sie das Gespräch auf ein anderes Thema lenkte.

„Hast du alles gepackt?“, wendete sie sich an Hellen, die sie verwundert anschaute.

„Ja, viel war es ja nicht“, murmelte die und fragte dann verdutzt, ob Judith sich nach der langen Fahrt nicht erst mal ausruhen wolle. Die aber war das Energiebündel, das Hellen schon immer so bewundert hatte: Scheinbar niemals müde und mit der Fähigkeit, alles unter Kontrolle zu halten.

„Ich müsst nur mal kurz um die Ecke, dann können wir direkt los“, antwortete sie und bekam von Hellen die Badezimmertür gezeigt.

„Deine Schwester ist echt stark“, murmelte Jenny, als Judith die Tür hinter sich geschlossen hatte und Hellen nickte.

„Ich bin so froh, dass sie jetzt hier ist. Noch mal vielen Dank für deine Unterstützung“, sagte sie und wieder tat Jenny so, als wäre es nichts gewesen.

„Ich hoffe, du kannst dich bald von den Erlebnissen erholen“, antwortete sie stattdessen und Hellen nickte.

„Was hast du jetzt eigentlich vor?“, lehnte sich Jenny an die Arbeitsplatte und sprach den Punkt an, den sie aus unerfindlichem Grund in den letzten Gesprächen immer ausgelassen hatten. Vielleicht, weil sie beide ahnten, dass es den Abschied in dieser seltsamen neu heranwachsenden Freundschaft noch schwerer machen könnte?

„Wir haben beschlossen, dass ich nicht nur für ein paar Wochen bei Judith unterschlüpfe, sondern erst mal richtig bei ihr einziehe, um mir einen Nebenjob zu suchen und mein Studium dann an einer Uni in ihrer Nähe fortzusetzen. Hier würde mir Richard viel zu viele Steine in den Weg legen, das weiß ich. Aber über die Grenzen unserer Stadt hinaus, hat er ja zum Glück nicht sonderlich viel Einfluss und Judith wohnt weit genug weg. Vielleicht werde ich so ein, zwei Semester mehr brauchen, als ursprünglich geplant, aber das ist es mir wert. Ich bin Judith dankbar, dass ich bei ihr wohnen kann, aber ich hab auch meine Lektion aus dem Ganzen gelernt und will mich nicht mehr so abhängig machen. Rückblickend… war ich echt naiv, mich von ihm so aushalten zu lassen, auch wenns unter dem Argument war, dass ich mich voll auf meine Karriere fokussieren solle“.

Hellen schüttelte den Kopf über sich selbst und seufzte aus. Es war ein seltsames Gefühl, diese Stadt, in der sie so lange gelebt hatte, jetzt so kurzfristig hinter sich zu lassen, aber sie freute sich auch auf den Neuanfang. Es war fast, als würde sie endlich aus einem Albtraum aufwachen.

„Die letzten Tage hab ich zwar versucht mich mit Unisachen abzulenken, aber so wirklich geklappt hat das nicht“, warf sie einen Blick auf ihren Koffer, in dem sie all ihre Unterlagen und Bücher hatte und etwas Kämpferisches erschien in ihren Augen. Ja, Richard hatte ihr viel genommen, aber diesen Teil ihres Lebens würde er nicht zerstören!

„Bist du soweit?“, erschien in diesem Moment Judith wieder in der Tür und Hellen stimmte mit einem Nicken zu.

„Passt auf euch auf“, meinte Jenny und zog Hellen, überrascht von sich selbst, in eine Umarmung.

„Du aber auch!“, antwortete die und räusperte sich.

„Hätte nicht gedacht, das mal zu sagen, aber ich glaube, ich werd dich vermissen“, meinte Jenny und beide Frauen lächelten einander an.



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