Die Aussprache
„Tatze, hey, Tatze?“
Wie durch eine nebelige Wand nahm Sirius die Stimme seines besten Freundes wahr. Dann öffnete er mühsam die Augen.
Als James ihn blinzeln sah, atmete er erleichtert auf und ließ seinen Kopf für einen kurzen Moment auf die Decke des Krankenbetts sinken.
„Alter, hast du mir einen Schrecken eingejagt!“
„Was es ist denn passiert?“ fragte Sirius schwach und bereute es gleich wieder, als ein stechender Schmerz über seine Nase bis in seine Stirn fuhr.
„Ich hab dich in einer riesigen Blutlache im Gang gefunden, das ist passiert!“ knurrte James.
Sie befanden sich beide im Krankenflügel, der in der Nacht wie ausgestorben war und er schien schon eine ganze Weile am Bett seines Freundes Wache zu halten.
Sirius kniff die Augen zusammen, als er versuchte sich an die letzten Geschehnisse zu erinnern und plötzlich wurde ihm schlagartig alles klar.
„Dieses verfluchte Weibsstück hat mir die Nase gebrochen!“ empörte er sich laut, was allerdings nicht sonderlich bedrohlich klang, da es sich anhörte, als hätte er einen furchtbaren Schnupfen.
Vorsichtig betastete er seine geschundene Nase, er gestand es sich selbst nicht ein, aber insgeheim war er ziemlich eitel. Erleichternd seufzend stellte er fest, dass sie ihre edle aristokratische Form beibehalten hatte und höchstens etwas angeschwollen war.
„Keine Angst,“ bemerkte James resigniert „für Poppy ist so was ein Klacks. Aber sag mal,“ begann er, während sich seine Stimme merkwürdig veränderte „mit ‚verfluchtes Weibsstück’ meinst du doch nicht etwa diesen frechen kleinen Rotschopf, oder?“
Sirius schnaubte nur und fuhr noch im selben Augenblick vor Schmerz zusammen.
„Ich hab mich über diese Dudelsackspieler lustig gemacht und dann ist sie einfach …ausgetickt!“
James runzelte die Stirn.
„Du wirst dir das doch nicht etwa gefallen lassen, oder?! Wenn das raus kommt wirst du zum Gespött der gesamten Schule! Ich sehe es schon vor mir…“ er zog eine Grimasse und schloss die Augen „…ein Artikel in der Schülerzeitung: ‚Sirius Black, ehemals zweitcoolster Schüler in Hogwarts (Sirius zog entnervt eine Augenbraue hoch), wird von einem kleinen Giftzwerg niedergeschlagen und wird somit zum lächerlichsten Loser in der Geschichte des Schlosses gekürt!’“
„Du übertreibst.“ gab der vermeintlich noch zweitcoolste Schüler des Schlosses zurück. „Außerdem, wenn du und ich dicht halten, wer sollte dann schon davon erfahren?“
„Was ist wenn die Wallace es rum erzählt?“ fragte James misstrauisch.
„So etwas würde sie niemals tun.“ Und es lag nicht die geringste Spur des Zweifels in Sirius` Stimme.
Genau in diesem Augenblick kam Madam Pomfrey aus einem Hinterzimmer herein und scheuchte den protestierenden James heraus. Der Patient brauche jetzt vor allem Ruhe, um sich von dem Schock zu erholen und er selber habe auch schon längst im Bett zu liegen.
Beleidigt schlurfte James in seinen Schlafsaal und ließ den schweigenden Sirius allein mit der Krankenschwester zurück. Diese betastete noch mal vorsichtig die gut verheilende Nase ihres Patienten und klebte noch mal ein magisches, schmerzlinderndes Pflaster darauf. Dann deckte sie ihn noch einmal gut zu, ermahnte ihn sich ja nicht davon zu schleichen, löschte das Licht und zog sich dann in ihr eigenes Quartier zurück.
Sirius lag jetzt hellwach allein in der Dunkelheit. Er war leicht errötet, denn er war es nicht gewöhnt so bemuttert zu werden. Sein Kopf fühlte sich merkwürdig leer an und er konnte sich nicht so recht entscheiden, ob er nun wütend war oder nicht.
Ihm kam es so vor als hätte er schon einige Stunden so an die Decke starrend rumgelegen, als sich plötzlich, ganz vorsichtig, die Tür zum Gang öffnete. Im fahlen Licht des zunehmenden Mondes konnte er sehen, wie eine kleine Gestalt herein gehuscht kam, leise die Tür hinter sich schloss und nun zielsicher auf sein Bett zusteuerte.
Hastig schloss er die Augen und stellte sich schlafend, als er auch schon hörte wie der Hocker, auf dem zuvor James gesessen hatte, zu seinem Bett gezogen wurde und sich jemand darauf setzte.
Dann ertönte plötzlich eine Mädchenstimme ohne jegliche Emotionen darin: „Du brauchst dir keine Mühe geben, Black, ich weiß das du wach bist.“
Sirius öffnete sein linkes Auge einen Spalt breit und sah in das eingesunkene Gesicht seiner Besucherin.
Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr diese weiter fort: „Ich bekommen um mich…“ sie holte tief Luft „…bei dir zu – zu entschuldigen!“ erleichtert atmete sie wieder aus.
„Ich habe einfach völlig überreizt reagiert.“ fuhr sie nun unbefangener fort „In den letzten Monaten, war ich einfach nicht ich selbst gewesen.“
Dann platzte plötzlich alles aus ihr heraus: „Ich gehöre einfach nicht hierher, weißt du, ich gehöre ins Shelter nach Glasgow! Ich gehöre zu den Jungs – zu meiner Familie!“ Ihre Stimme zitterte. „Aber sie wollen es einfach nicht sehen, sie meinen, in der Welt der Muggel hätte ich keine Chance auf eine bessere Zukunft. Ich WILL aber keine bessere Zukunft, mir reicht die Gegenwart, wenn ich nur zu hause sein kann!“
„Warum sagst du es ihnen nicht einfach?“ fragte Sirius, der nun beide Augen auf die immer verzweifelter aussehende Brianna gerichtet hatte.
„Ich kann es einfach nicht.“ antwortete sie mit kläglicher Stimme. „Sie haben sich so für mich gefreut, als Dumbledore kam und erzählte, ich sei eine Hexe.“ Zweifel überzogen ihr Gesicht und bei Erwähnung des Schulleiters stieg leiser Zorn in ihr auf. „Anfangs dachte ich, ich würde die Zeit in der Schule schon überstehen, aber dann wurden die Ferien zu hause immer kürzer und die Tage in Hogwarts immer länger und unerträglicher. Als Gabriel dann auch noch kam und zufällig fragte, welchen Beruf ich denn in der Welt der Zauberer ergreifen wolle, wäre ich fast wahnsinnig geworden!“ sie schnaubte „Langsam habe ich den Eindruck, dass alle mich los werden wollen!“
„Ich bin sicher, sie wollen einfach nur das Beste für dich.“ So mitfühlend zu sprechen war eigentlich gar nicht Sirius` Art, aber er sah den Schmerz in Briannas Augen, das Heimweh und die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, die sie vier Jahre lang auf Hogwarts gequält hatten. „Deine, äh, ‚Freunde’ vermissen dich bestimmt genauso sehr und lassen es sich nur nicht anmerken um dir nicht im Weg zu stehen!“ Er sagte das nicht nur so dahin, sondern er war sich hundert Prozent sicher, dass er richtig lag. Er hatte die schmerzerfüllten Gesichter von Briannas merkwürdigen Begleitern gesehen, als sie sie damals am Kings Cross verabschiedet hatten.
Brianna machte große Augen. Dieser neue, einfühlsame Sirius Black machte ihr fast ein bisschen Angst. „Ich scheine dich ja wirklich ziemlich hart getroffen zu haben…“
„Hä?“
„Ach, schon gut.“ Sie lächelte plötzlich. Dann beugte sie sich völlig unerwartet zu ihm hinunter küsste ihn auf die Stirn, erhob sich und ging zurück zu Tür.
Sirius war völlig perplex, doch noch bevor Brianna die Tür wieder hinter sich schließen konnte riss er sich zusammen und rief ihr hinterher: „Hey warte, Rotschopf!“
Verwundert sah Brianna noch einmal zurück.
„Ich wollte mich auch bei dir entschuldigen!“
Wieder musste Brianna lächeln, Sirius erahnte es mehr, als das er es sah.
„Ist schon gut, ich weiß jetzt, dass du mich nur aufmuntern wolltest!“ dann schloss sie leise die Tür hinter sich.
Sirius ließ sich sacht in die Kissen zurück gleiten, fuhr aber gleich wieder hoch, als die Tür mit einem Ruck wieder aufgerissen wurde.
„Das heißt aber nicht, dass ich dich jetzt besser leiden kann, Black! Ich halte dich immer noch für einen aufgeblasenen, arroganten, …einfach unausstehlichen Sassenachtunichtgut!“
Und mit diesen Worten knallte sie die Tür wieder zu.
Daraufhin sank Sirius zufrieden lächelnd wieder in den Schlaf.
Endlich war sein Rotschopf wieder da!